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II.

Am selben Tage, abends, machte ich wieder einen Pürschgang, der sich bis an das äußerste Ende meines Bezirkes ausdehnte. Aber auch hier hatte ich kein Glück, denn ich wurde von der Dunkelheit überrascht, bevor ich einen „Heißersehnten“ zu Gesicht bekam.

Missmutig und verstimmt trat ich den Heimweg an. Da ich noch circa zwei Stunden zu gehen hatte, schritt ich rüstig aus und machte mit meinen stark genagelten Waldschuhen auf dem mit Sandsteinen gepflasterten Talsträßchen einen ziemlichen Spektakel. Auf jeden Fall musste derselbe vom Wild schon auf eine große Entfernung wahrgenommen werden. Und doch gab es ein solches Stück, das mich nicht vernahm.

Als ich nämlich circa 1 Stunde gegangen war, kam ich an eine Stelle, an der das Sträßchen auf beiden Seiten von Wald begrenzt ist, d. h. auf der einen Seite stehen ca. 5 bis 6 Baumreihen, während sich nach der anderen Seite hin dichter zusammenhängender Wald ausdehnt.

Als ich ungefähr die Mitte der genannten Stelle passierte, sah ich plötzlich durch eine Baumlücke hindurch auf circa 15 Schritte links von mir in der Wiese ein einzelnes Reh äsen. Sofort blieb ich stehen, und im nächsten Moment erkannte ich dasselbe als einen guten Bock. Wie ich unter genannten Umständen so nahe an denselben herankommen konnte, wollte ich momentan nicht begreifen. Um darüber nachzugrübeln, hatte ich jetzt auch keine Zeit, denn nun hieß es: „Schießen!“ Aber das war keine Kleinigkeit.

Wohl warf der bereits aufgegangene Mond sein Licht in verschwenderischer Weise auf die Wiesenfläche, aber da, wo ich mich befand, war es vollständig dunkel. Zuerst wollte ich es mit der Kugel probieren, aber als ich anlegte und zielte, konnte ich weder etwas von einem Korn noch etwas von einer Kimme unterscheiden. Ich musste wieder absetzen. Mit Schrot schießen, war mir nicht waidgerecht genug, weshalb ich es noch einmal mit der Kugel versuchte. Ich legte an, und als die Mündung sich auf dem Vorderteil des Rehbocks befand, drückte ich ab. Der Schuss krachte; mein Rehbock aber hatte weder etwas verspürt noch etwas gehört. Denn als ich absetzte, äste derselbe, ohne den Grind auch nur ein einziges Mal in die Höhe zu heben, ganz ruhig weiter.

Jetzt wurde mir die Geschichte doch etwas zu bunt. Morgens schoss ich dreimal nach einem Bock und derselbe rührte sich nicht von der Stelle, und jetzt sollte die Sache von Neuem beginnen?

Ein Schrotschuss war mir jetzt genug. Ich legte an, und der Rehbock brach auf den Schuss im Feuer zusammen.

Es war ein „guter“, aber „tauber“ Sechser.

III.

Etliche Tage danach kam ich auf einem Abendpürschgang in ein kleines Tälchen, das gleich hinter dem Dorf rechts in den Wald hineinreicht.

Man nennt es „Gerstel“.

Dort sollte, wie ich in Erfahrung brachte, auch ein sehr guter „Sechser“ stehen. Ein hiesiger Nimrod ging demselben zwar schon seit Anfang der Pürschzeit zu Gefallen, aber bis jetzt hatte derselbe nicht das Glück, ihn zu Strecke zu bringen. Die verdammte Kugel bohrte nämlich jedesmal ein Loch in die Luft, anstatt, wie sonst, ein solches in den Rehbock.

Heute sollte es aber anders kommen.

Da ich noch etwas Zeit hatte, ging ich mitten durch das Tälchen bis an das Ende desselben. Von hier aus wollte ich noch eine kleine Weile auf einem Seitenweg den eigentlichen Pürschweg antreten.

Ich suchte mir einen Platz aus, der mich fast das ganze Tälchen überschauen ließ. Kaum aber hatte ich es mir etwas bequem gemacht, gewahrte ich auf circa 300 Meter von mir entfernt zwei dicht aufeinander folgende Rehe im schnellsten Tempo in der Wiese umherlaufen.

Die Sache war mir sofort klar. Ein Bock trieb ein Schmalreh; vielleicht gar der „Gesuchte“?

Wie sollte ich aber jetzt an denselben herankommen?

Den Weg durch das Tälchen konnte ich nicht mehr zurück, weil derselbe nicht die geringste Deckung bot.

Ein solcher, der an dem Waldesrand hinführt und den ich eigentlich zu meinem Pürschgang benutzen wollte, würde wohl die nötige Deckung geboten haben, aber er hätte mich zu weit umgeführt. In diesem kritischen Moment verfielen meine Gedanken auf etwas anderes. Ein in der Nähe sich befindlicher Bauersmann musste mir behilflich sein. Derselbe spannte gerade sein Fuhrwerk an, um nach Hause zu fahren. Sofort rannte ich auf ihn zu und bat ihn, er möge sich etwas beeilen. Den Grund sagte ich ihm natürlich auch, und nach ein paar Sekunden fuhr derselbe in raschem Tempo auf dem Fahrwege mitten durch das Tälchen durch, gerade auf die Rehe zu.

Selbstverständlich ging ich dicht hinter dem Fuhrwerk nach.

Als wir ungefähr auf Büchsenschussnähe herankamen, machten die Rehe einige Fluchten nach rechts, kümmerten sich aber weiter nicht um uns.

Hinter einem schützenden Haferacker ließ ich mich zu Boden gleiten. Dort blieb ich einige Sekunden liegen und kroch dann im Schutze des genannten Ackers so weit hervor, bis ich die Rehe wieder zu Gesicht bekam.

Dass ich einen sehr guten Bock vor mir hatte, sah ich vorher schon, weshalb ich mich nicht mehr lange zu besinnen brauchte.

Ich legte an, und der Schuss krachte. Mein Rehbock machte einen Hochsprung und brach dann – zu Tode getroffen – zusammen.

Kaum aber war der Schuss verhallt, so flogen von der Seite her, wo der Bock zusammengebrochen war, die „Donnerwetter“ nur so in der Luft herum.

Im ersten Moment war ich ganz sprachlos; denn dass es Böcke gibt, die ich nicht treffen konnte, und solche, die taub sind, glaubte ich wohl. Aber dass ein Rehbock mit „Donnerwetter“ um sich werfen konnte, das war mir denn doch zu viel.

Nun, ich wurde nicht lange im Zweifel gelassen, denn alsbald löste sich vom gegenüberliegenden Waldesrand eine dunkle Gestalt, in der ich den schon erwähnten Nimrod erkannte. Derselbe wetterte zwar immer noch ganz gewaltig; ich aber kehrte mich nicht daran, sondern sprang vor Freude in die Höhe, als ich des bereits verendeten Bockes ansichtig wurde.

Es war und blieb bis jetzt mein bester.

Wie Herr R. später erzählte, lag er gerade im Feuer, als ich „drückte“. Wohl hatte er die beste Absicht, vor mir zu schießen, denn er sah mich ja kommen, aber die verdammte Flinte hatte heute einmal wieder ihren „eigenen Kopf.

So oft nämlich Herr R. anlegte, fing sie mit ihrem vorderen Teil zu wackeln an, dass ein Schießen unmöglich war. Er musste also zusehen, wie ihm der Bock „vor der Nase“ weggeschossen wurde.

Nebenbei möchte ich noch bemerken, dass ich letztgenannten Pürschgang mit der speziellen Erlaubnis des Herrn R. unternahm und dass Letzterer am gleichen Abend auch noch einen Bock zur Strecke brachte, der noch viel schöner auf hatte als der meinige. Also ein Pflaster auf die Wunde.

Mit Waidmannsheil !


Die folgende Geschichte beschäftigt sich weniger mit der Jagd als mit den Jägern. Wie in allen Gesellschaftsschichten finden sich auch hier allerlei absonderliche Persönlichkeiten. Camillo Morgan schrieb im Jahre 1902 eine entsprechende Begebenheit über seine „Jagdkollegen“ auf. Er gab seiner Geschichte den Titel:

Ein Jagdherrenpaar

Wer sie doch alle annageln könnte, die vielen Pseudo-Nimrode und Jäger-Karikaturen, die der grünen Gilde zur Unzier gereichen! Wem von uns haben nicht schon Typen von Jägerlingen die Wege gekreuzt, bei deren Anblick man sich im ersten Moment nicht recht klar war, ob man sich über sie ärgern oder sie auslachen sollte? Wäre jeder von uns Amateurphotograph und würde solche kuriose Gestalten durch eine Momentaufnahme immer gleich auf der Stelle fixieren – man brächte ein Album zusammen, wie es köstlicher kaum mehr gedacht werden kann!

In Ermangelung eines photographischen Apparates tut’s freilich auch die gewöhnliche Feder, und ich will daher mit dieser versuchen, in Nachstehendem ein edles Jagdherrenpaar zu skizzieren, dem in einer Galerie hochkomischer Schießprügelträger unstreitig zwei Ehrenplätze gebühren.

Im Spätsommer 1890 war’s, dass ich als Jagdgast eines mir befreundeten bayerischen Aristokraten zwei Herren zu studieren Gelegenheit hatte, welche Pächter seines Nachbarrevieres waren. Es waren Zwillingsbrüder, welchen mein Freund (auf den mutmaßlichen Gehalt ihrer beiden Schädel anspielend) den Spitznamen „Gebrüder Strohkleien“ zuerkannt hatte; einer von ihnen hieß mit Taufnamen Otto, der andere Fritz.

Beide waren noch bartlose Jungen, Söhne einer immens reichen Münchener Großhändlerswitwe, welche ihren Sprösslingen allen noblen Passionen nach Herzenslust zu frönen erlaubte. Die beiden Lebebuben hielten sich daher auch Pferde, Mätressen, Segeljachten auf mehreren bayerischen Seen und mussten’s natürlich auch mit dem Jagen versuchen, das ja auch zum Highlife gehört.

So wurde denn eine große und wirklich schöne Pachtjagd im bayerischen Hochgebirge erworben, eben jene neben dem Besitztum meines Freundes, ein transportables Jagdhaus von Pieper dort aufgestellt, ein Jäger mit einer stattlichen Meute von Hunden darin installiert, und das Waidwerken konnte beginnen.

Wöchentlich zwei- bis dreimal kamen die „Gebrüder Strohkleien“ aus München in ihr Revier, und an diesen Tagen gab’s für mich und für meinen Freund keine Jagd, denn wir bewaffneten uns nur mit unseren Gläsern (Anmerkung: Ferngläsern), um von der Reviergrenze aus Beobachtungen anzustellen. Da gab’s nämlich immer etwas zu sehen, worüber wir lachen mussten, manchmal wahrhaft zwerchfellerschütternd, dass uns die Tränen an den Wangen herunterliefen.

Schon die Adjustierung der beiden „Strohkleien“ war im höchsten Grade possierlich; ich brauche sie nicht erst lang und breit zu beschreiben, da speziell bezüglich ihres „Gewandes“ genügt, wenn ich sage, dass dasselbe echt „salontirolerisch“ war, unpraktisch über alle Maßen, aber funkelnagelneu und von den sicherlich teuersten Firmen bezogen.

Die Armierung ließ zu wünschen nicht übrig: prächtige Drillinge mit Zielfernrohren, vergoldete Hirschfänger, Jagd- und Patronentaschen aus echtem Krokodil- oder Saffianleder, kurzum: höchster Komfort! Die Meute bestand aus kurzhaarigen und stichelhaarigen Vorstehhunden, bayerischen Gebirgsbracken und Teckeln (Anmerkung: Dackeln) schweren und mittleren Schlages, recht hübschen Hunden, von welchen jedoch vielleicht kein einziger ferm (Anmerkung: als jagdlicher Gebrauchshund) dressiert war; daraus machten sich die Herren „Strohkleien“ allerdings nichts, sondern hatten ihre Freude daran, wenn die Köter nur recht mörderisch durcheinander heulten und kläfften, unbekümmert darum, dass dieses Höllenspektakel das Wild für Stunden in der Runde vergrämte.

Der Jäger der beiden Brüder, ein strammer, kerniger Bursch aus der Gegend, passte zwar durchaus nicht zu seinen Herrn und Hunden, da er seine Sache sehr gut verstand, doch war er ein schlauer Patron und als solcher so klug, zu allen jagdlichen „Patzern“ seiner Gebieter zu schweigen, um sich deren Huld dauerhaft zu erhalten; er fand alles, was sie taten und beschlossen, für „ganz gut“ und „in Ordnung“ und bekam dafür alsbald den Titel eines „Oberjägers“ verliehen, obgleich es an einem „Unterjäger“ noch fehlte.

Mein Freund machte darüber einen gelungenen Witz, dass die obere Hälfte des schlauen Gesellen wahrscheinlich den Oberjäger vorstelle, während seine unteren Extremitäten offenbar mit dem Unterjäger-Titel fürlieb nehmen mussten, oder auch, dass er, ausgezogen in seinen Unterkleidern, zum Unterjäger herabsank, um sich erst wieder in seiner laubfroschgrünen Büchsenspanner-Livree mit dem goldenen Eichenlaub auf dem Kragen als Oberjäger fühlen zu dürfen.

Eines Morgens, als die Herren „Strohkleien“ abermals „Jagten“ und ich und mein Freund wie gewöhnlich die Grenze abstreiften, um womöglich wieder etwas von dieser „Jagd“ zu erlauschen, trug sich zufälligerweise gerade in unserer allernächsten Nähe eine lustige Begebenheit zu, die wir daher in allen ihren Phasen zu verfolgen Gelegenheit hatten.

Kaum hundert Schritte von unserer Grenze entfernt, wo wir im dichten Stangengehölz versteckt auf der Lauer lagen, standen in einem Graben Otto und Fritz „Strohkleien“ auf mehr als Büchsenschussweite auseinander unter zwei mächtigen Bäumen postiert, jeder schussbereit seinen Drilling zur Hand, und harrten sichtlich erregt, was ihnen durch die vom „Oberjäger“ geführte Meute aus einem nahen Jungmaisbestand zugejagt werden würde. Schon war der Trieb fast zu Ende, als sich ihre Hoffnungen, zu Schusse zu kommen, doch noch erfüllten, denn ein Bock – kapitaler Sechser – stürmte in wilden Fluchten an ihnen vorüber.

„Bum“, „bum“, bum“, sprach der Drilling des Herrn Otto. „Bum“, „bum“, „bum“, echote jener des Herrn Fritz, aber trotz zweier Kugelschüsse und vier Schrotschüssen wäre es dem Bock doch noch geglückt, mit heiler „Haut“ zu entkommen, wenn ihm nicht noch in letzter Minute der „Oberjäger“, aus dem Jungmais tretend, rasch eine dritte Kugel nachgesandt hätte. Da der Bock seine Richtung im selben Augenblick abänderte und einen Seitensprung machte, wodurch er seine Breitseite darbot, so bekam er die Kugel ohne Zweifel in den Halsknochen oder ins Rückgrat, denn er brach im Feuer zusammen und erhielt von dem rasch hinzugeeilten „Oberjäger“ den Fangschuss.

Otto und Fritz verließen hierauf ihre Stände und näherten sich dem Erlegten; Fritz mit sauersüßer, Verdrossenheit verratender Miene, Otto hingegen in aufgeräumter Stimmung.

„Hast du deine Kodak bei dir?“ hörten wir Otto seinem Bruder zurufen.

„Wie immer!“ entgegnete dieser. „Wozu?“

„Welche Frage!“ erwiderte Otto. „Zum Photographieren natürlich. Es wird eine prächtige Aufnahme geben. Licht ist gut, Hintergrund pittoresk; ich stelle mich, Gewehr bei Fuß, dort an jenes Haselgebüsch. Der Bock liegt mir als Beute zu Füßen, und der Oberjäger überreicht mir den grünen Bruch. Ganz famose Idee das. Vielleicht nicht?“

„Wäre nicht übel, wenn du den Bock selber geschossen hättest!“ versetzte hämisch der Bruder.

„Mein Gott! Nimmst es du denn genau? Von dem großen Fuchsfell, das in deinem Zimmer unter dem Rauchtischchen liegt, erzählst du doch jedem, der es hören will, du hättest dasselbe erbeutet, obgleich diesen Fuchs ebenso unser Oberjäger erlegte wie den heutigen Bock.“

Der Hieb saß vortrefflich; Fritzchen muckte nicht mehr, sondern holte aus seiner Jagdtasche die Kodak hervor, während Otto hinter dem erlegten Bock Aufstellung nahm und neben sich den Oberjäger postierte – in theatralischer Pose, wie er, eine Art Kniebeuge machend, mit abgebogenem Arm seinem Herrn und Gebieter einen Eichenbruch überreicht.

„So, fertig!“ kommandierte Otto. Er und der Oberjäger standen unbeweglich wie Säulen; Fritzchen machte „klapp“, und die Aufnahme war vorüber, allem Anscheine nach ganz gelungen. Dann brannten sich die beiden „Waidmänner“ je eine echte Havanna an und schnürten mit ihren Hunden von dannen, während dem Oberjäger noch das Aufbrechen und Zerwirken des Bockes oblag.

Ungefähr sechs oder sieben Wochen danach erschien in einer illustrierten Revue ein uns wohlbekanntes Tableau: den berühmten Nimrod Otto „Strohkleien“ darstellend, mit einem kapitalen Sechserbock zu Füßen, über welchen ihm der „Oberjäger“ ehrehrbietigst einen Eichenbruch überreicht. Und unter dem Bild erzählt Otto „Strohkleien“ selbst über sein gewaltiges Waidwerken in der Saison, weitläufig und bombastisch, so bandwurmartig in die Länge gezogener Satzgefüge und Satzwendungen sich bedienend, dass man bei dieser Lektüre nicht nur St. Hubertus anrufen musste, sondern auch den heiligen Ulrich, welcher bekanntermaßen der Schutzpatron aller von Übligkeiten (Anmerkung: Übelkeiten) befallenen Sterblichen ist.

Zum Schluss sei nur gesagt, dass das originelle brüderliche Jagdherrenpaar im bayerischen Hochgebirge noch heutzutage sein jagdliches Unwesen treibt und in der dortigen Gegend bereits eine gewisse „Berühmtheit“ erlangt hat, da es in jener schlichten, ursprünglichen Bergwelt eine daselbst bisher unbekannt gewesene Neuheit eingeführt hat: „Das Jagdfexentum!“

Nun ist es aber nicht nur so, dass sogenannte „Prestigejäger“ unangenehm auffallen können. Die nachfolgende Geschichte beweist, dass auch gestandene Jäger, die ihrer Passion mit Leib und Seele nachgehen, vor Peinlichkeiten nicht gefeit sind. Hans Schischka schrieb eine solche Begebenheit im Jahre 1924 in der Zeitschrift „Der deutsche Jäger“. Er nannte sie:

Der Pratzengirgl

Wäre es nach der Größe seiner Hände gegangen, so hätte der Girgl eigentlich Claqueur werden müssen, denn diese Hände hatten die Größe türkischer Tschinellen und baumelten an zwei langen Armen so, dass Girgl, ohne sich bücken zu müssen, das Knie kratzen konnte, wenn er aufrecht stand.

Da ihm der Beruf eines Claqueurs unbekannt war, trat er in die Fußstapfen seines Vaters und wurde Jäger im Hochgebirge. Seine Füße standen mit den Händen im proportionalen Verhältnis, und Girgls Dackel schlief ganz bequem in den Schuhen seines Herrn. Trotz der Größe seiner Extremitäten war Girgl eine gute Seele. Friedfertig und mit einem Naturhumor ausgestattet, duldete er, dass ihn Groß und Klein mit dem Rufnamen „Pratzengirgl“ anredeten, und wenn er ausnahmsweise einmal mit „Girgl“ gerufen wurde, so glaubte er, dieser Ruf gelte einem Namenskollegen, und hörte nicht darauf.

Als Jäger war Girgl eine Perle. Er liebte Wald und Wild und hasste die Raubschützen wie ein Foxterrier die Katzen. Erstere wichen ihm aus wie dem leibhaftigen Gottseibeiuns, seit er einen besonders verwegenen Wilderer, der auf ihn geschossen, aber nur leicht verwundet hatte, mit einem Hieb seiner Tatze ins Moos legte, dann wie einen Gamsbock schränkte und den Geknebelten zum Gericht trug, das zwei Stunden vom Kampfplatz entfernt war. Dort musste der Mann erst massiert werden, damit er seine Glieder wieder gebrauchen konnte, während Girgl sich nicht einmal verbinden lassen wollte, weil ihn der Durst plagte.

Als die Tochter seines Jagdherm, die in dem schönen Gebirgsdorf auf Sommerfrische war, sich einst im Wald erging und, angeregt von den Naturschönheiten, ein Frühlingsgedicht machen wollte, konnte sie die ihr eingefallenen Reime nicht festhalten, weil es ihr an Notizpapier fehlte. Da stand wie aus dem Boden gewachsen plötzlich der Pratzengirgl vor ihr, und das Komtesschen wendete sich sogleich mit der Frage an ihn, ob er ein Stück Papier bei sich habe.

„Noa“, meinte Girgl; „i hab oa müass’n vorhin a Hand voll Gros nehma, ’s ischt a so guat wia a Papier.“

Ganz verwundert schaute er der Komtesse nach, die mit hochroten Wangen, ob dieser prompten Antwort, das Weite suchte. An seinen Wiener Aufenthalt knüpfen sich für Girgl reiche Erinnerungen. Sein Herr ließ ihn einmal kommen, um ihm die Möglichkeit zu geben, die Großstadt kennen zu lernen. Da gab es ein Schauen und Stehenbleiben! Girgl vergaß ganz den Mund zuzuklappen und lief mit dem Schädel gegen ein Auto, dass dieses aus dem Gleichgewicht kam. Der Kammerdiener seines Herrn hatte als Cicerone Girgls die schwersten Stunden seines Lebens mitzumachen.

An der Ecke der Eichenbachgasse ist eine Umsteigstelle der Straßenbahn. Ein Arbeiter, der den Ringwagen noch erreichen wollte, lief diesem nach; hinter dem Arbeiter in derselben Absicht ein Wachmann außer Dienst. Girgl sah den laufenden Arbeiter, und in der irrigen Meinung, einen verfolgten Verbrecher vor sich zu haben, gab er ihm einen Klaps ins Genick, der den armen Menschen roullierte (Anmerkung: umwarf). Dann hob er den armen Teufel auf und überreichte ihn dem Wachmann, der sich zum Einschreiten bewogen fühlte, mit den Worten: „So, da hast den Lumpen!“

Menschenansammlung, Versöhnung nach Erklärung des Missverständnisses mit nachfolgendem Händedruck, der den armen Teufel für einige Tage arbeitsunfähig machte.

Das Abspringen von der Straßenbahn nicht gewohnt, sprang Girgl in der Nähe des Pratersterns verkehrt ab und landete mit großem Gepolter auf der Sitzfläche seiner Ledernen. Der Schaffner gab das Notsignal, näherte sich dem Gestürzten und machte ihm Vorwürfe:

„Sehen Sie, das haben Sie davon, weil Sie sich rückwärts angehalten haben. Warum halten Sie sich nicht an der vorderen Griffstange fest?“

„Do war i auf die Pappen g’fallen“, erwiderte Girgl mit größter Gemütsruhe, erhob sich und ging unter dem Gelächter der Zuschauer seines Weges.

Die Krone seiner Anwesenheit in Wien war Girgls Theaterbesuch. Schon beim Eintritt in den Logengang grüßte er den goldbordierten Logenschließer wie einen fremden Fürsten mit einer Verbeugung, wobei Girgls Hinterteil mit einem befrackten Herrn in Kollision geriet, der zwischen dasselbe und die Mauer des Logenganges eingeklemmt wurde, dass seine Knochen krachten. Ein Händedruck entschädigte den Unglücklichen für diese Lebensgefahr.

Endlich saß Girgl in der ihm von seinem Herrn beigestellten Loge, und der Kammerdiener musste ihm auf hundert Fragen Auskunft geben. Die „Musibanda“ fand den ungeteilten Beifall Girgls, und er wollte sich durchaus einen Schuhplattler aufspielen lassen, von welchem Vorhaben ihn nur der Aufgang des Vorhanges abhielt. Mit dem Vorhang öffnete sich der Äser Girgls, der sich während des ganzen Aktes nicht mehr schloss.

Im zweiten Akt erreichte das Stück seinen Höhepunkt. Die Primadonna des Theaters wurde von einem ungestümen Liebhaber arg bedrängt. Weinend lag sie vor dem Rasenden auf den Knien, und als er den Dolch gegen sie zückte, tönte ein markerschütternder Schrei durch den Zuschauerraum. Dieser Schrei bildete die Sensation des Stückes, verlor aber diesmal seine Wirkung vollkommen, denn Girgls Herz hatte Feuer gefangen und er wollte sich zum Retter des schönen Weibes aufspielen. Wie ein Rachegott stand er an der Logenbrüstung, im Begriffe, sich über diese auf die Bühne zu schwingen, und wie Donnergrollen tönte es von seinen Lippen:

„Bals dös Mensch nöt auslasst, du Schwanz, du damischer, reiß i dir an Haxn aus. Auslass’n, sag’ i!“

Und zum Publikum gewendet: „Und ös kinnts da zuschaug’n, wia der Kerl dös Mensch martert, ös Sauschwänz’, ös miserabligen?“

Er wollte sich den Händen des Kammerdieners und des Logenschließers, die ihn umklammert hielten, entwinden und wusste nicht, was das Gelächter bedeuten sollte, das durch das vollgefüllte Haus brauste.

Lange konnte sich Girgl nicht beruhigen, und er wollte durchaus das arme Dirndl erwarten, damit ihm kein Leid mehr angetan werde.

„Auf da Stöll heirat’ is, bals mi mag“, knurrte er noch im Fortgehen.

Für seinen Seelenschmerz fand es der Kammerdiener geraten, Girgl in einige Nachtlokale zu dirigieren, wo es ohne Intermezzo nicht abging. Der junge Tag fand Girgl an einen Laternenpfahl gelehnt, den er liebevoll umhalst hatte, beim „Bröckerllachen“. Ein schwarzer Hund, der vorbeilief, beschnupperte den Mageninhalt Girgls, wurde aber auch von diesem wahrgenommen, und ganz erschrocken fragte er den neben ihm stehenden Kammerdiener:

„Sag amal, kannst di du erinnern, wo i den Hund da g’fressn hab?“

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