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Die Organisationsgeschichte. Das Frauenwahlrecht als Thema innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung

Die bürgerliche Frauenbewegung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts hatte sich seit ihrem offiziellen Beginn mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenverbandes im Jahr 1865 in Vereinen und später in zusammenschließenden Dachverbänden organisiert. Sie nutzte damit das im 19. Jahrhundert populärste Organisationsmodell und partizipierte an der gesamtgesellschaftlichen Fundamentalpolitisierung, die sich den 1880er Jahren immer weiter durchsetzte.30 Die Frauenbewegung war sowohl Produkt als auch Produzentin dieser Politisierung, denn sie selbst pluralisierte die öffentliche Meinung und mobilisierte als Interessensverband die Öffentlichkeit. Als Hochphase vieler sozialer Bewegungen – wie der Frauenbewegung – gelten die Jahrzehnte zwischen 1890 und 1914, die Jahre zwischen Aufhebung der Sozialistengesetze bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.31 Von den gesamtgesellschaftlichen Veränderungen profitierte auch die Frauenbewegung, die zwar bis 1908 in einigen Landesteilen (z.B. Preußen und Bayern) noch unter dem Verdikt eines sie einschränkenden Vereinsparagrafen stand; aber dennoch gelang ihr ab den 1890er Jahren ein enormer Mobilisierungsschub.

Als 1904 in Berlin der International Council of Women tagte, erreichte die Popularität der Bewegung einen ihrer Höhepunkte.32 Ulla Wischermann hat für diese Zeit vier große Arbeitsschwerpunkte der bürgerlichen Frauenbewegung herausgearbeitet. Dies war einmal die Verbesserung der Bildung – wozu auch die Zulassung von Frauen zu den Universitäten gehörte –, dann die Haus- und Erwerbsarbeit, die Frage der »Sittlichkeit«, vorzugsweise das Thema Prostitution, und last but not least die Forderung nach der politischen Partizipation. Der Kampf um das Frauenwahlrecht war also als Thema in dieser wichtigen Mobilisierungsphase selbstverständlich vertreten.33

1902 war für den Kampf um das Frauenstimmrecht ein sehr entscheidendes Jahr. Anita Augspurg gründete in Hamburg den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht, und der Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung BDF nahm auf seiner fünften Generalversammlung in Wiesbaden den Kampf um das Frauenstimmrecht in sein Programm auf. Konkret wurde beschlossen, dass der Gedanke des Frauenstimmrechts nach Kräften gefördert werden sollte, »weil alle Bestrebungen des Bundes erst durch das Frauenstimmrecht eines dauernden Erfolges sicher sind«. Diese Resolution wurde einstimmig angenommen.34 Damit war der Kampf um das Frauenstimmrecht offiziell in das Programm des BDF aufgenommen worden.

Der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht, der sich 1904 in den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht (DVerbandFS) umbenannte, setzte vor allem auf Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit. Darüber hinaus wurden Petitionen verfasst, Flugschriften herausgegeben, Vorträge organisiert und vor allem Parteiarbeit betrieben, die darauf abzielte, die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in die diversen (bürgerlichen) Parteiprogramme einzubringen.

Von Anfang an war klar, dass der DVerbandFS ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht forderte. Dies wurde auch auf der Generalversammlung 1907 in Frankfurt am Main noch einmal betont, als »mit überwältigender Mehrheit« eine revidierte Satzung angenommen wurde, in der dieses Wahlrecht als Programmpunkt gestärkt wurde. Hintergrund dieser Klarstellung war, dass die Sozialdemokratinnen immer wieder darauf verwiesen, sie seien die Einzigen, die sich für diese Art von Frauenstimmrecht einsetzten. Der DVerbandFS hoffte nun, allen Zweifeln »die Spitze abgebrochen« zu haben.35 Auf dieser Generalversammlung in Frankfurt am Main wurde auch beschlossen, die Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Die Frauenbewegung von Minna Cauer aufzukündigen, die bis dahin als Publikationsorgan auch des DVerbandFS galt. Als Begründung wurde angeführt, dass der »Verband […] nicht auf dem Boden einer bestimmten politischen Partei, ebensowenig einer Partei oder Richtung der Frauenbewegung«36 stehe und daher Die Frauenbewegung, das Blatt der »radikalen« Richtung, nicht mehr das offizielle Verbandsorgan sein könne. Stattdessen wurde eine eigene Zeitschrift gegründet, die Zeitschrift für Frauenstimmrecht, die von Anita Augspurg ab 1907 herausgegeben wurde. Diese scheinbare Nebensächlichkeit ist ausgesprochen interessant, weist sie nämlich darauf hin, dass der DVerbandFS sich zu diesem Zeitpunkt als Sammelbecken aller Frauenstimmrechtsbemühungen verstand und sich nicht »nur« im linken Lager verortete. Dies zeigte sich auch daran, dass der DVerbandFS sowohl Mitglied im Weltbund für Frauenstimmrecht, als auch im BDF war.37

1908 änderte sich die Situation schlagartig, als ein einheitliches Reichsvereinsgesetz in Kraft trat und die frauendiskriminierenden Sonderregelungen in diversen Vereinssgesetzen damit aufgehoben wurden. Ab diesem Zeitpunkt nahm die organisierte Stimmrechtsbewegung noch einmal richtig Fahrt auf, und die Mitgliederzahlen wuchsen enorm an. Was allerdings damit auch anwuchs, waren Kontroversen darüber, welchen genauen Inhalt die Frauenstimmrechtsforderungen haben sollten, bzw. darüber, welcher Weg zum Erreichen des Ziels sinnvoll sei. Klar war allen bürgerlichen Frauenstimmrechtlerinnen, dass die Arbeit der Frauen parteiübergreifend sein musste. Wenn aber – so fragten sich einige Mitglieder – ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht38 in den Statuten des DVerbandFS als Ziel stand und die Sozialdemokratie als einzige Partei dieses Wahlrecht forderte, war der Verband dann parteipolitisch neutral? Und: Wo war es sinnvoller für das Frauenstimmrecht zu kämpfen? In einem Frauenstimmrechtsverband oder auch oder nur in einer Partei? Erschwerend kam hinzu, dass der Landtag in Preußen nach wie vor durch das Dreiklassenwahlrecht gewählt wurde. Vor allem Frauen aus dem preußischen Landesverband befürchteten, dass die Forderung nach dem allgemeinen usw. Wahlrecht für alle eine zu große Hürde für die preußischen Frauen darstellen würde. Da Minna Cauer als Vorsitzende des preußischen Landesverbandes des DVerbandFS konsequent auf der Forderung dieses Wahlrechts bestand, spalteten sich der westdeutsche und der schlesische Landesverband ab. Sie gründeten 1911 zusammen mit dem norddeutschen Verband eine eigene Organisation, die Deutsche Vereinigung für Frauenstimmrecht (DVereinigungFS), die ein Frauenstimmrecht forderte, das dem der Männer entsprach – also wie etwa in Preußen ein Zensuswahlrecht, das Frauen einbezog.39

Auch personell kam es zu großen Veränderungen in den Frauenstimmrechtsvereinen; so legten Augspurg und Heymann den Vorsitz im DVerbandFS nieder, und Minna Cauer verließ den Preußischen Landesverband. Statt Augspurg führte ab 1911 Marie Stritt den Verband, der nur noch pro forma (und da sich die Gegnerinnen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten) das allgemeine usw. Wahlrecht für Frauen forderte. Es war aber auf der Generalversammlung 1913 mehr als klar geworden, dass die Mehrheit nicht hinter diesem Wahlrecht stand. Da Minna Cauer, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann sowie die bayerischen, hamburgischen, bremischen, Teile der badischen Landesverbände und ein Teil der Berliner Ortsgruppen, die Ortsgruppe Darmstadt und Einzelpersonen eine Fixierung auf das allgemeine usw. Wahlrecht verlangten, verließen sie schließlich den Verband endgültig und gründeten den dritten Frauenstimmrechtsverein, den Deutschen Stimmrechtsbund (DSRB).

Vor dem Ersten Weltkrieg existierten in Deutschland somit drei bürgerliche Frauenstimmrechtsvereine. Einmal der 1902 gegründete DVerbandFS, dann die DVereinigungFS, die 1911 aus den ausgetretenen Mitgliedern preußischer Landesverbände gegründet worden war, und der DSRB. Minna Cauer fasste diese Entwicklung im Februar 1914 mit den Worten zusammen: »Es ist nunmehr genügend Auswahl vorhanden, so daß jeder sein Feld sich aussuchen kann; das konservative, das gemäßigte und das demokratische. Rechnen müssen die Frauen also jetzt mit diesen drei Richtungen der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland.«40

Wie lässt sich diese Organisationsentwicklung analysieren? Zuerst einmal wird m.E. deutlich, dass sich um das Frauenstimmrecht eben nicht nur der »linke« Flügel bemühte, sondern auch der »rechte«. Auch die sich als »konservativer« verstehenden Gruppen hatten sich für das Wahlrecht engagiert und Möglichkeiten gefunden, ihre politische Präferenz und eine Agitation für das Frauenstimmrecht miteinander zu verbinden. Das Schweigen des Dachverbandes BDF zu diesem Thema, welches in der Forschung als Nichtinteresse gewertet wurde41, wird bei genauer Betrachtung der Organisationsgeschichte zum normalen Umgang des BDF mit neuen Themen. Der BDF hatte bereits 1902 auf seiner fünften Generalversammlung den Kampf um das Frauenstimmrecht in sein Programm aufgenommen. Er verstand folglich die sich um das Stimmrecht bemühenden diversen Frauenstimmrechtsvereine als seine Aktionen für das Frauenwahlrecht – umso mehr als der DVerbandFS ja auch sofort Mitglied im BDF geworden war. Umgekehrt verstanden sich die Frauenstimmrechtsvereine als Mitglieder einer allgemeinen Frauenbewegung. Der BDF als Dachorganisation sah unter diesen Voraussetzungen überhaupt keine Veranlassung, sich zusätzlich noch mit dem Thema zu beschäftigen, es wurde ja bereits von der eigenen Frauenbewegung bearbeitet. Helene Lange ging 1902 sogar so weit zu sagen: »Herrscht doch über die einschlägigen Fragen – der Vereins- und Versammlungsfreiheit, wie das Stimmrecht – keinerlei Meinungsverschiedenheit innerhalb der deutschen Frauenbewegung.«42 Und auch noch 1910 formulierte sie in einem internen Schreiben an die ADF-Landesvorsitzenden: »Ferner ist in Betracht zu ziehen, daß die Gegensätze innerhalb der Frauenbewegung, da sie im Wesentlichen nur Gegensätze der Taktik sind, nicht so entscheidend sind, um eine eigentliche Parteibildung notwendig zu machen.«43

Es gab also – wie übrigens auch in Großbritannien oder den USA – viele widerstreitende Meinungen im großen Feld der Frauenstimmrechtsbewegung, doch können diese nicht mit »radikal« oder »gemäßigt«, geschweige denn mit Zustimmung oder Ablehnung erklärt werden. Vielmehr sind die Unterschiede auf verschiedene taktische Herangehensweisen, aber auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass die bürgerliche Frauenbewegung zum ersten Mal versuchte, ein dezidiert (partei)politisches Thema innerhalb ihrer sich als parteipolitisch neutral verstehenden Bewegung zu platzieren. Dabei zeigte sich, dass eine umfassende Frauensolidarität, die noch beim Kampf um das Bürgerliche Gesetzbuch von 1890 bis 1900 als Argumentationsgrundlage funktioniert hatte – da das BGB ja Frauen als Geschlechtsgruppe massiv diskriminierte –, in der Frage nach dem Wahlrecht nicht trug.44 Vielmehr wurde deutlich, dass der (partei)politische Hintergrund der Frauenbewegungsaktivistinnen eine viel größere Rolle spielte als die gemeinsame Opposition gegen den Ausschluss vom Wahlrecht.

Eine selbstverständliche Übernahme?

Wenn aber – wie oben dargestellt – die Quellen darauf hinweisen, dass die Frauenstimmrechtsbewegung als Teil der Frauenbewegung verstanden werden muss, und zwar als Teil, an dem sich viele Richtungen und Strömungen beteiligten, warum ist dann in der Forschungsliteratur der 1970er bis 1990er Jahre (und teilweise auch heute noch) die angeblich herausragende Rolle der »Radikalen« so betont worden? An dieser Stelle scheint es sinnvoll zu sein, sich einige der Einschätzungen der Forschung noch einmal anzusehen und zu versuchen, deren Herangehensweise zu rekonstruieren.

In Bezug auf die Behauptung der hier zu untersuchenden Forschung, die deutsche Frauenbewegung sei erst verhältnismäßig spät in den Kampf um das Frauenwahlrecht eingestiegen, wird nach einer Re-Lektüre der Quellen deutlich, dass hier die Bewegung um 1900 selbst den Interpretationsrahmen vorgegeben hat, den spätere Forscherinnen dann unreflektiert übernommen haben. Als Beispiel kann exemplarisch auf den bereits erwähnten Artikel von Anna Lindemann aus dem Jahr 1913 verwiesen werden. Sie beginnt ihren Artikel mit den Worten: »Spät, viel später als die Frauen anderer uns nah verwandter Nationen, haben sich die deutschen Frauen eine Organisation geschaffen zur Erringung ihrer politischen Gleichberechtigung.«45 Diese Aussage findet sich auch in anderen zeitgenössischen Schriften immer wieder, interessanterweise bereits seit dem Beginn der Wahlrechtsdebatten seit Mitte der 1890er Jahre. Auch Helene Lange schreibt 1896 in ihrer frühen Arbeit zum Frauenstimmrecht, dass der Zeitpunkt des Eintretens für das Frauenstimmrecht in jeder Nation ein anderer sein wird, um dann fortzufahren: »… daß endlich Deutschland mit seiner lastenden Büreaukratie, seinem Schematismus und Militarismus in dieser Frage am allerweitesten zurück ist.«46 Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass 1902 in Die Frauenbewegung, dem Blatt von Minna Cauer, über die Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht geschrieben wurde: »Auch Deutschland braucht nunmehr nicht als einziges Land ohne Stimmrechtsbewegung beiseite zu stehen auf dem Internationalen Stimmrechtskongreß der Frauen, der […] in Washington abgehalten wird.«47 Bei dieser gleichlautenden Argumentation drängt sich die Frage auf, was mit dieser Verlautbarung eigentlich erreicht werden sollte. Denn den damaligen Aktivistinnen dürfte klar gewesen sein, dass von einer Verspätung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung chronologisch gesehen nicht die Rede sein konnte, denn andere Länder wiesen keineswegs generell früher eine organisierte Frauenstimmrechtsbewegung auf.48

Das Argument der Verspätung zielte – meiner Meinung nach – in zwei Richtungen. Einmal wurde es intern in die Bewegung hinein genutzt, um den eigenen Mitgliedern zu verdeutlichen, dass diese Thematik bereits erfolgreich in anderen Ländern (und seien dies noch so wenige) auf die Tagesordnung gesetzt worden war. Die deutsche Frauenbewegung könne hier – wollte sie im internationalen Konzert wahrgenommen werden – nicht zurückstehen. Gleichzeitig diente der Blick ins Ausland aber auch dazu, der bewegungsexternen Öffentlichkeit den Gleichklang des Kampfes der Frauenbewegungen weltweit zu verdeutlichen und damit darauf hinzuweisen, dass das Ringen der Frauenbewegung in Deutschland nicht singulär zu begreifen war. Der deutschen Öffentlichkeit sollte so gezeigt werden, dass die Forderungen der nationalen Frauenbewegung durch die gleichlautenden Kämpfe im Ausland legitimiert waren. Diese Strategie findet sich sowohl in den Zeitschriften, in denen immer über das fortschrittliche Ausland berichtet wird, um dann die eigene Rückständigkeit geißeln zu können, als auch in den größeren Schriften der Protagonistinnen. Mit diesem Vorgehen hatte die Bewegung eine Methode gefunden, ihre eigenen Forderungen nicht als singulär und dadurch unwichtig erscheinen zu lassen, sondern als für eine »Kulturnation«, die sich im internationalen Reigen der Nationen bewegen wollte, notwendig, um anschlussfähig zu bleiben.49 Vor allem in der Anfangsphase eines neuen Themas in der Frauenbewegung bringt die Aufnahme von internationalen Argumenten und sogar Propagandainstrumenten in der eigenen Öffentlichkeit große Vorteile.50

Insgesamt möchte ich hier die These aufstellen, dass die frühen Forschungsarbeiten deshalb zu ihren Ergebnissen gekommen sind, weil sie unreflektiert bewegungsinterne Argumentationen übernommen haben, und hier vorrangig solche, die aus der »radikalen« Richtung kamen. Dies kann sehr gut an den zeitgenössischen, die Entwicklung der Frauenstimmrechtsbewegung »zusammenfassenden« Artikeln gezeigt werden. So ist in dem bereits zitierten Artikel der »radikalen« Anna Lindemann aus dem Jahr 1913 exakt die Einschätzung zu finden, die aus der Forschungsliteratur der 1980er Jahre so vertraut ist: die Verspätung im internationalen Kontext, die angebliche Vorreiterrolle der sich selbst als Radikale verstehenden Protagonistinnen bei einer ersten Organisation und die Debatten zwischen den verschiedenen Flügeln der Frauenstimmrechtsbewegung. Auch ein Artikel von Auguste Kirchhoff, ebenfalls der »radikalen« Richtung nahestehend, zur Entwicklung der Frauenstimmrechtsbewegung aus dem Jahr 1916 zeichnet das Bild der radikalen Vorreiterstellung in der Frage des Frauenstimmrechts nach. Hier liest man davon, dass die Frauenstimmrechtsforderungen im BDF auf wenig Gegenliebe stießen, da man »zugestandenermaßen von ihrer Propagierung eine Beeinträchtigung der anderen Bundesinteressen« fürchtete.51 Auch in der Autobiografie von Lida Gustava Heymann – in Zusammenarbeit mit Anita Augspurg 1941 im Schweizer Exil verfasst – findet sich die Erzählung der sich (unversöhnlich) gegenüberstehenden beiden Frauenbewegungsflügel, deren »radikaler« Flügel alleine den Kampf um das Frauenstimmrecht aufnahm.52 Es ist dieses Bild, welches die Forschungsliteratur bis heute prägt.

Es können an dieser Stelle nur erste Hinweise und Überlegungen erfolgen. Doch schon jetzt lässt sich erahnen, dass die Geschichte des Kampfes um das Frauenwahlrecht und der Beitrag der Frauenbewegung daran auf der Basis einer Re-Lektüre zentraler Quellen neu erzählt werden müsse. Dies wär auch dringend geboten, denn bisher ist der Kampf der deutschen Frauenbewegung um die Demokratie in Deutschland zu wenig in den historischen Standardwerken bedacht worden. Die Frauenbewegung als politische Kraft, als soziale Bewegung, die auf dem Weg zur Politisierung und Demokratisierung der deutschen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielte, in dem sie die Auswirkungen der unhinterfragten Geschlechterdifferenz auf Politik und Gesellschaft thematisierte, könnte so wieder sichtbar werden.

1Ute Rosenbusch, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, Baden-Baden 1998.

2Z.B. Bärbel Clemens, »Menschenrechte haben kein Geschlecht!«. Zum Politikverständnis der bürgerlichen Frauenbewegung, Pfaffenweiler 1988; Christl Wickert (Hg.), »Heraus mit dem Frauenwahlrecht«. Die Kämpfe der Frauen in Deutschland und England um die politische Gleichberechtigung, Pfaffenweiler 1990; Ute Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Reinbek 1990; Barbara Greven-Aschoff, Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland 1894–1933, Göttingen 1981.

3Angelika Schaser, Zur Einführung des Frauenwahlrechts vor 90 Jahren am 12. November 1918, in: Feministische Studien 27 (2009), H. 1, S.97–110.

4Gisela Bock, Das politische Denken des Suffragismus: Deutschland um 1900 im internationalen Vergleich, in: dies., Geschlechtergeschichte der Neuzeit. Ideen, Politik, Praxis, Göttingen 2014, S. 168–203, hier S. 170.

5Ebd., S. 171.

6Zu der von Bock untersuchten Forschungsliteratur siehe Fußnote 2.

7Bock, Das politische Denken des Suffragismus, S. 201.

8Zu England vergleiche: Elizabeth Crawford, The Women’s Suffrage Movement in Britain and Ireland. A Regional Survey, London 2013; zu den USA: Sally Gregory McMillen, Seneca Falls and the Origins of the Women’s Rights Movement, New York 2008.

9Anna Lindemann, Die Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland, in: Jahrbuch der Frauenbewegung 1913, hrsg. von Elisabeth Altmann-Gottheiner, Berlin 1913, S. 163.

10Ulla Wischermann, Die Blätter des Bundes. Zur Publikationstätigkeit des BDF, in: Ariadne – Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 25 (1994), S.46–51, hier S.48.

11Ebd., S.47.

12Die Beteiligung der Frauen an den Wahlen in Neuseeland, in: Die Frau 1 (1893/1894), H. 10, S. 692.

13Wirkungen des Frauenstimmrechts (Wyoming), Die Frau 2 (1894/1895), H. 5, S. 317; Alice Zimmer (London), Das Wahlrecht der Frauen in England, in: Die Frau 2 (1894/1895), Nr. 6, S. 364–365; Helene Mercier, Das Wahlrecht der Frau, in: Die Frau 2 (1894/1895), H. 12, S. 731–734.

14Helene Lange, Frauenglossen zur preußischen Wahlreform, in: Die Frau 17 (1910), H.6, S. 321–323.

15Siehe dazu: Susanne Kinnebrock, Anita Augspurg (1857–1943). Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik. Eine kommunikationshistorische Biographie, Herbolzheim 2005, S. 169–175.

16Z.B.: Ein Protest gegen das Frauenstimmrecht, aus: The Englishwoman’s Review, Juli 1894, in: Die Frauenbewegung 1 (1895), H. 2, S. 11; über die erste Ausübung des Stimmrechts seitens der Frauen in Colorado berichtet die New York Staatszeitung, die eine erbitterte Gegnerin ist, in: Die Frauenbewegung 1 (1895), H.4, S. 29.

17So Gerhard, Unerhört, S. 217.

18Helene Lange, Frauenwahlrecht, in: F. Ortmans (Hg.), Cosmopolis – an international monthly review (1896), H. 3, S. 539–554; später als eigenständige Schrift publiziert unter dem Titel: Intellektuelle Grenzlinien zwischen Mann und Frau/Frauenwahlrecht, Berlin 1899.

19Ebd., S. 25.

20Ebd., S. 26.

21Ebd., S. 29.

22Ebd., S. 34.

23Ebd., S.40.

24Siehe: Kerstin Wolff, »Stadtmütter«. Bürgerliche Frauen und ihr Einfluss auf die Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert (1860–1900), Königstein i. Ts. 2003.

25Minna Cauer, Die Frau im 19. Jahrhundert, Berlin 1899, S. 136.

26Ebd., S. 138

27Ebd., S. 141.

28Ebd., S. 143.

29Ebd., S. 144.

30Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, Frankfurt am Main 1988.

31Vgl. dazu den Beitrag von Hedwig Richter in diesem Band, außerdem: Hedwig Richter, Transnational Reform and Democracy. Election Reform in New York City and Berlin around 1900, in: Journal of the Gilded Age and Progressive Era 15 (2016), S. 149–175.

32Siehe dazu Anja Schüler/Kerstin Wolff, »Es sind die gleichen Überzeugungen, die die Frauen aller Länder erfüllen …«. Zur Entstehung von internationalen Netzwerken in den Frauenbewegungen, in: Eva Schöck-Quinteros u. a. (Hg.), Politische Netzwerkerinnen. Internationale Zusammenarbeit von Frauen 1830–1960, Berlin 2007, S. 13–26.

33Ulla Wischermann, Frauenbewegung und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke, Gegenöffentlichkeiten, Protestinszenierungen, Königstein i. Ts. 2003, S. 59.

34Siehe: Die fünfte Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine in Wiesbaden, in: Centralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine 4 (1902), H. 15, S. 116.

35Siehe: II. Hauptverhandlung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht in Frankfurt am Main, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 1 (1907), H. 11, S. 42.

36Ebd.

37Ebd.

38Im Folgenden: allgemeines usw. Wahlrecht.

39Deutscher Frauenstimmrechtsbund (Hg.): Auguste Kirchhoff, Zur Entwicklung der Frauenstimmrechts-Bewegung, Bremen 1916, S.9.

40Minna Cauer, Drei Richtungen, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht 8 (1914), H.4, S. 11. Zur weiteren Entwicklung siehe Rosenbusch/Weg zum Frauenwahlrecht.

41Siehe: Bärbel Clemens, Der Kampf um das Frauenstimmrecht in Deutschland, in: Christl Wickert (Hg.), »Heraus mit dem Frauenwahlrecht«, S. 106.

42Helene Lange, Der Bund deutscher Frauenvereine in Wiesbaden, in: Die Frau 10 (1902/03), H. 2, S. 65–70, hier S. 67.

43Helen Lange in einem Schreiben an die Vorstände der Ortsgruppen des ADF 23. 3. 1910; Nachlass des deutschen Staatsbürgerinnenverbandes, AddF, NL-K-08; 19-2,2.

44Siehe den Text von Marion Röwekamp in diesem Buch, die die These aufstellt, dass bereits der Kampf der Frauenbewegung um eine Revidierung des BGB als Wahlrechtskampf verstanden werden kann.

45Lindemann, Frauenstimmrechtsbewegung, S. 159.

46Lange, Frauenwahlrecht, S. 38.

47O.A. [Minna Cauer]: Deutscher Verein für Frauenstimmrecht, in: Die Frauenbewegung 8 (1902), H. 1, S. 1.

48Bock, Suffragismus, S. 192–203.

49Vgl. zum Argument der »Kulturstaaten« und »Zivilisation« im Zusammenhang mit einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht: Hedwig Richter, Moderne Wahlen. Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert, Hamburg 2017, S. 536f.

50Darauf hat bereits Susanne Kinnebrock in ihrem Aufsatz: »Wahrhaft international?« Soziale Bewegungen zwischen nationalen Öffentlichkeiten und internationalem Bewegungsverbund, in: Schöck-Quinteros u. a., Politische Netzwerkerinnen, S. 27–56, hingewiesen.

51Kirchhoff, Entwicklung, S. 4.

52Siehe dazu: Lida Gustava Heymann, in Zusammenarbeit mit Anita Augspurg, Erlebtes – Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850–1940, Frankfurt am Main 1992, Kapitel 4: Frauenbewegung – Frauenstimmrecht, S.94–127.

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