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Deshalb mein Fazit: „Parteienverdrossenheit“ ist ein schlechtes Erbe aus unserer Vergangenheit (Weimar und Nazidiktatur), das wir leider nicht überwunden haben.

Ruprecht Wimmer

Thomas Mann nähert sich der jungen Bundesrepublik

Abstract

After the defeat of Nazi Germany in May 1945, Thomas Mann experienced a roller coaster of emotions. First he felt mainly pity and mistrust: had National Socialism in the ravaged country really been eliminated? Soon Mann strove to renew his relationship to the “old continent” Europe and at the same time to his old homeland Germany; this inspired fresh travel plans. The initial throes of the Cold War would gradually destroy his close ties to the US. Meanwhile, his work “Doktor Faustus”, completed in 1947, had a controversial reception – especially in West Germany – and complicated Mann’s return, although he was increasingly determined to do so. His first trip to Europe in 1947 was followed by a long phase in which he took his leave of the USA. Four other trips occurred in this period, the last of which culminated in a partial return (to Switzerland). During his second journey, to the two new German states in the bicentennial of Goethe’s birth, 1949, Mann had great difficulties coming to terms with both West and East Germany. Thomas Mann, who still regarded Communism as based on humane principles and who was being courted by the German Democratic Republic, remained sceptical towards Adenauer’s Federal Republic. This caused more and more problems in America. In 1952 he finally settled in Switzerland, in other words, in the German-speaking part of Europe. Despite Mann’s growing disillusion with the politics of Communist states, his relationship to the two Germanies stayed ambiguous. Yet in 1955, the year of his death, Thomas Mann was invited to hold keynote speeches at Schiller festivals in both states. However, his appearance in Stuttgart together with Federal President Theodor Heuss certainly indicated Mann’s rapprochement to the Federal Republic.

Einleitung

Mit dem Tag der deutschen Niederlage beginnt für Thomas Mann eine neue Lebensphase. Dass er sich dessen bewusst ist, bezeugt der Tagebucheintrag vom 7. Mai 1945:

Ist dies nun der Tag, korrespondierend mit dem 15. März 1933, als ich diese Serie von täglichen Aufzeichnungen begann, – also ein Tag feierlichster Art?1

Der Emigrierte blickt sofort auf den Anfang seiner Emigration zurück und ist versucht, vorausblickend eine Symmetrie zu entwerfen. Denkt er jetzt schon insgeheim daran, dass sich – gewissermaßen spiegelbildlich zu seinem Emigrationsweg, der ihn von Deutschland bis in seine neue Heimat Amerika geführt hatte – eine Rückkehr anbahnt, wie es dann ja wirklich der Fall war? Jedenfalls sieht er sich von nun an den verschiedensten Impulsen ganz neuer Art ausgesetzt – und es wird sieben Jahre dauern, bis seine wenigstens halbe Rückkehr an ihr Ende gelangt, bis er in der deutschen Schweiz seine letzte Bleibe finden wird. Um die wechselnden Konstellationen klarer zu erkennen, die er durchlaufen wird, empfiehlt es sich, gewisse Motivationsstränge zu beschreiben, die sich längs seines Weges hinziehen und die – um es jetzt mit einer musikalischen Metapher zu sagen – wie die Stimmen eines polyphonen Satzes miteinander konzertieren, früher oder später einsetzen, verstummen, sich überkreuzen, harmonieren oder gegeneinanderstehen.

Diese „Stimmen“ seien vorweg charakterisiert und in der Reihenfolge ihres Einsetzens vorgestellt. Die erste: Sofort wendet sich Thomas Mann der neuen Lage in Deutschland zu. Zu seinem Misstrauen, ob der Nationalsozialismus nun wirklich Vergangenheit sei, tritt das mitleidende Entsetzen über das kulturelle und soziale Chaos in der alten Heimat. Zweitens: Rasch hinzukommt das „Ringen um die alte Erde Europa“ und die Auseinandersetzung mit von Deutschland kommenden Signalen, das wird bald mit konkreten Reisevorsätzen verbunden. Drittens: Eine ernsthafte Erkrankung stellt sich dem einige Zeit entgegen, mit der unvermutet schnellen Genesung und der beginnenden Zeit des Kalten Krieges setzt die allmähliche Lösung von den USA ein. Die früheren Reisepläne konkretisieren sich, vorerst ohne Deutschland als Ziel. Eine weitere, vierte „Stimme“ kommt hinzu: die Auseinandersetzung mit der widersprüchlichen Aufnahme des nunmehr erschienenen Doktor Faustus in Amerika, Europa und speziell in Deutschland. Kurz darauf – die fünfte Stimme – gilt es, sich mit der Teilung Deutschlands auseinanderzusetzen, das rechte Verhältnis zur Bundesrepublik und zur DDR zu finden. 1949, im Rahmen seiner zweiten Europareise, betritt Thomas Mann wieder deutschen Boden und besucht demonstrativ die beiden Deutschland. Dann noch, teilweise parallel dazu verlaufend, die fortschreitende innere Lösung von den USA, begleitet von der dritten und vierten Europareise, nach denen sich die Rückkehr immer problematischer erweist. Doch arbeitet Thomas Mann da bereits am Spätwerk, etwa zeitgleich mit der halben „Heimkehr“ (in die Schweiz) zeichnen sich – trotz mancher Anzeichen von Altersschwermut – bereits neue Hoffnungsstrukturen ab für eine übernationale Kunst der Zukunft. Gleichzeitig entspannt sich die anfänglich überaus kritische Einstellung zur jungen deutschen Bundesrepublik.2

Misstrauen und Mitleid

Im oben zitierten Tagebuch-Eintrag heißt es auch: „Es ist nicht gerade Hochstimmung, was ich empfinde.“ Und der Grund für diese Seelenverfassung folgt sogleich:

Übrigens wird dies und oder das m i t Deutschland, aber nichts in Deutschland geschehen, und bis jetzt fehlt es an jeder Verleugnung des Nazitums, jedem Wort, daß die „Machtergreifung“ ein fürchterliches Unglück, ihre Zulassung, Begünstigung ein Verbrechen ersten Ranges war. Die Verleugnung und Verdammung der T a t e n des Nationalsozialismus innen und außen, – wo sind sie?

Viele Belege, die in die gleiche Richtung gehen, finden sich in den folgenden Monaten des Jahres 1945; sie gehen Hand in Hand mit demonstrativen Gesten der Zuwendung an die neue Heimat Amerika, Thomas Mann denkt etwa daran, sich einen kleinen „Privatstrand“ dort „zu kaufen zum Arbeiten und Ruhen im Sommer“. Im Rahmen einer Reise an die amerikanische Ostküste wird auch der 70. Geburtstag festlich begangen, an der Library of Congress wird der Vortrag Deutschland und die Deutschen in englischer Sprache gehalten, ja es gibt eine erste Idee, in diesem üblichen Jahresvortrag im nächsten Jahr über das Thema „Amerika“ zu sprechen.

Das ist die eine Seite der Medaille. Simultan dazu meldet sich verstärkt ein teilnehmendes Interesse an der humanitären und kulturellen Lage in Deutschland zu Wort; so heißt es im Tagebuch bereits am 13. Mai 1945:

Über Deutschland, dessen Leben in den nächsten Jahren kaum vorzustellen. Vorläufig werden sie keine Schulen, kein Theater, kein Radio, keine Zeitungen haben. Auseinanderfall, Hunger, Krankheiten, Reduzierung der Bevölkerungsziffer auf vielleicht 45–50 Millionen.3

Anfang August 1945 wird dann die Potsdamer Konferenz recht zwiespältig kommentiert:

Erschüttert, trotz allem, von den Verfügungen über Deutschland. Die unsinnige Vergrößerung Polens bis zur Oder. Die Massen-Dislozierungen ins verengerte Land (…) Die Reduzierung auf einen Agrarstatus (…) mit etwas harmloser Industrie für den Selbstgebrauch. Beabsichtigt wahrscheinlich die Reduzierung der Bevölkerung auf 40 oder so Millionen. Nichts davon noch überraschend, aber als definitiver Plan doch chokant (…) Auch die Reichseinheit, obgleich nicht angegriffen, wird nicht haltbar sein (…) Deutschland hat va banque gespielt und hat verloren. Vielleicht war dies Reich genötigt, das Schicksal auf Alles oder Nichts herauszufordern. Es hat für nichts (sic!) entschieden, denn alles, obgleich momentweise in greifbarer Nähe, war immer unmöglich.4

Das Ringen um die „alte Erde“

Natürlich geht Hand in Hand mit diesen schwankenden Kommentaren das Nachdenken Thomas Manns, welche Möglichkeiten er selbst ergreifen könnte und sollte, um seinerseits auf die deutschen Zustände einzuwirken. Das wird rasch durchkreuzt und beeinflusst von ersten Signalen, die von Deutschland aus in seine Richtung erfolgten. Noch ohne Impuls von außen denkt er augenblicksweise daran, seinen diesjährigen Washingtoner Vortrag über Deutschland und die Deutschen auch in Deutschland zu veröffentlichen.5 Dann kommen von drüben die ersten gewichtigen Stimmen, die um seine Rückkehr bitten, ja diese sogar fordern. Die wichtigsten seien hier angeführt.

Vom 4. August 1945 datiert ein offener Brief des Schriftstellers Walter von Molo, der wie Thomas Mann Mitglied der Preußischen Akademie der Schönen Künste gewesen war. Thomas Mann erhielt davon am 10. des Monats Kenntnis, doch Molo hatte ihm zuvor noch privat geschrieben. Die zentrale Stelle des offenen Briefs wird von Thomas Mann im Tagebuch zitiert:

Kommen Sie bald wie ein guter Arzt, der nicht nur die Wirkung sieht, sondern die Ursache einer Krankheit sucht und diese vornehmlich zu beheben bemüht ist.6

Thomas Mann bereitete seine grundsätzliche Antwort sorgfältig vor, sie trägt den sprechenden Titel „Warum ich nicht nach Deutschland zurückgehe“. Sie erschien erst Ende September 1945. Dass sie offenbar länger beim Verleger lag, brachte es mit sich, dass sich ihr Erscheinen überkreuzte mit einem Artikel von Frank Thieß über die „Innere Emigration“ vom 18. August 1945, der in deutlich härterem Ton Thomas Manns Rückkehr forderte, gleichzeitig die im Lande Gebliebenen verteidigte – und für einen Zusammenschluss der inneren und der äußeren Nazi-Gegner plädierte.7 Thomas Manns öffentliche Verweigerung einer Rückkehr, eben im genannten offenen Brief, war nun nicht dazu angetan, die bereits sich abzeichnende Polarisierung in Deutschland abzumildern, im Gegenteil: Da er die Lage dort nicht aus eigener Anschauung kannte, verprellte er auch manche, die sich keiner Schuld bewusst sein mussten und ihm gegenüber bislang eine neutrale Position bezogen hatten. Um die schwierige Situation noch zu verdeutlichen, muss festgehalten werden, dass weder Molo noch Thieß zu denen gehörten, die jede Annäherung an die Nazis vermieden hatten: In der Bibliothek Alfred Rosenbergs (Der Mythus des 20. Jahrhunderts) fanden sich Exemplare von Molos Büchern mit sehr persönlichen Widmungen, und Thieß hatte, bevor er 1941 bei den Nazis in Ungnade fiel, die Machtergreifung ausdrücklich begrüßt.8

Und doch: Um dieselbe Zeit erfolgt ein geheimes Werben Thomas Manns um die alte Heimat: Aktionen, die Hilfe organisieren, und ein Aufruf, der Mäßigung der alliierten Politik und wirtschaftliche Hilfe verlangt, werden unterstützt, und begrüßt wird, dass der eigene Verleger S. Fischer seinen Verlag wieder nach Deutschland verlegt.9

Und rasch, Anfang 1946 schon, werden konkrete Reisepläne ins Auge gefasst, freilich gegen den Rat der allermeisten Freunde. Symptomatisch hierfür ist ein Brief an Agnes E. Meyer vom 6. Februar dieses Jahres. Thomas Mann hat den Vorschlag eines Brüsseler Agenten erhalten, eine „Lecture Tour“ in europäische Hauptstädte zu unternehmen, und fragt die Freundin um Rat, wobei er die Reiseroute gleich selbst ergänzt:

Schweden müßte wohl einbezogen werden – und Deutschland, d.h. etwa München und Berlin. Ich bin recht aufgeregt, teils bedrückt, teils neugierig aufgekratzt von der Perspektive. Was d a f ü r spricht, das Abenteuer dieses Jahr zu bestehen, ist die Überlegung, daß, wenn ich Deutschland überhaupt je wieder betreten will, ich es b a l d tun muß, da sonst die Kluft unüberbrückbar wird. (…) Ich hörte gern, ja ich m u ß wissen, wie Sie sich zu der Idee verhalten.10

Meyer rät ihm von der Reise ab, wie auch Bruno Walter und Erich von Kahler. Es ist nicht auszumachen, ob Thomas Mann ihnen gefolgt wäre, denn eine plötzliche Krankheit machte ihm – vorerst – einen Strich durch die Rechnung.

4. Krankheit und beginnende „Amerikamüdigkeit“

Ende März 1946 erfolgte, nach Monaten der Unpässlichkeit, ein alarmierender medizinischer Befund: Es wurde eine „Infiltration am rechten Unterlappen der Lunge“ festgestellt.11 Eine sofortige Operation war geboten, Thomas Mann erfuhr jedoch nie, dass es sich um Krebs, um ein Bronchialkarzinom handelte. Es mutet uns auch heute noch sensationell an, dass der knapp Einundsiebzigjährige den Eingriff in relativ kurzer Zeit überwand; bereits nach knapp zwei Monaten konnte er das Krankenhaus in Chicago verlassen und zu seiner Arbeit am Doktor Faustus zurückkehren. Doch nun setzt eine neue „Stimme“ ein: Natürlich gibt es weitere widersprüchliche Signale aus Deutschland, aber die frühere Identifikation mit der neuen Heimat Amerika wird brüchig. Es hängt mit dem Tod des Präsidenten Roosevelt und der unter Stalin immer aggressiver auftretenden Sowjetunion zusammen, dass sich die Fronten zwischen den Westmächten und der UdSSR verhärteten, dass Deutschland als umkämpftes Territorium eine neue Bedeutung erhielt, dass in den USA nun eine systematische Kommunistenjagd begann. Dazu kam, dass Thomas Manns Wunschkandidat, Henry A. Wallace, im November 1948 die Präsidentschaftswahl gegen Harry S. Truman verlor, wodurch die ausgleichende Politik Roosevelts am Ende war. Thomas Mann, der seit jeher zu allen Richtungen der Emigration Kontakte unterhielt, und der – ohne selbst je Kommunist zu sein – lange, zu lange an die faire Partnerschaft des sowjetischen Kommunismus glaubte, war angewidert von der sich etablierenden Mentalität des „Kalten Krieges“, zudem blieb bei ihm die unentschiedene Haltung gegenüber dem seinerseits in sich zerrissenen Deutschland bestehen – dass von dort nicht nur Freundliches kam, war er gewohnt, so hatte er im März 1947 die Vorwürfe zu verkraften, die ihm der Dirigent Wilhelm Furtwängler bei seiner Verteidigungsrede vor der Berliner Spruchkammer machte, indem er seinen offenen Brief an Walter von Molo vehement kritisierte.

Die Fertigstellung des Doktor Faustus am 29. Januar 1947 fällt nun schon in die Zeit konkreter Reisevorbereitungen. Die Einladung des Brüsseler Agenten wird seit dem Dezember 1946 weiterverfolgt, als schließlich die Festlegung auf England, die Schweiz und die Niederlande stattfindet, ist klar, dass Deutschland nur schweren Herzens ausgeschlossen bleibt. Er fährt am 22. April 1947, hält Vorträge in London, Zürich und Amsterdam, liest in Graubünden die Doktor Faustus-Druckfahnen; die Schweiz wird als heimatlich-vertraut erlebt – und Thomas Mann fährt auch an die deutsche Grenze, um von dort mit seinem Bruder Viktor zurück nach Zürich zu fahren. Er hatte Einladungen nach München und Braunschweig abgelehnt und schreibt an seinen Münchener Freund Hans Reisiger:

Ach, lieber Freund, nach D. komme ich nicht, diesmal jedenfalls noch nicht. Zu vieles spricht dagegen im Lande und in meinem doch immer noch und immer wieder stark verbitterten Herzen. Die Furtwängler-Demonstration allein schon, so frech und unmusikalisch wie sie war, würde mich abhalten. (…) Auch wäre solch ein Besuch eine künstliche ängstliche Sache, und die Amerikaner sähen ihn gar nicht sehr gern.12

Die „Freude, wieder in der Schweiz zu sein“, wird prompt relativiert: In Deutschland erscheint ein Zeitungsartikel, in dem Manfred Hausmann behauptet, Thomas Mann habe 1934 den Innenminister Frick gebeten, nach Deutschland zurückkehren zu dürfen. Thomas Manns Empörung ist nur zu begreiflich, denn wir wissen heute, dass dieses Schreiben nur den Antrag auf Verlängerung des Reisepasses enthielt und die Herausgabe des deutschen beschlagnahmten Eigentums forderte.13

Gemischte Gefühle begleiten die Rückkehr: einmal der Eindruck, wieder – „noch einmal“ – die alte Heimat erlebt zu haben, dabei Gedanken an die unsichere Zukunft Deutschlands und anderer europäischer Länder, die freundlich-bewillkommnende Zollkontrolle („You are t h e Thomas Mann. Welcome home“) und am Ende, am 14, September 1947, im amerikanischen Haus, die Empfindung der „Seltsamkeit des Wiederdaseins.“14

Die Jahre bis zur nächsten Reise sind gekennzeichnet durch Schwanken und Unsicherheit, amerikanische antikommunistische Positionen verhärten sich, der Plan, die Bildung einer westdeutschen Regierung zu realisieren, vergrößerte Thomas Manns Furcht vor einem Lagerdenken als Auslöser eines neuen Weltkrieges, andererseits erhält sein Vertrauen in die Sowjetunion – besonders durch die kommunistische Machtübernahme in Prag 1948 – einen deutlichen Dämpfer. Auch die darauf folgende Initiative des Marshall-Planes trägt nicht zu seiner Erleichterung bei, da er ständig einen nationalsozialistischen Rückfall Westdeutschlands fürchtet.15 Dazu kommen erste widersprüchliche Aufnahmen des Doktor Faustus, den die einen als – fast unverdientes – Geschenk an Deutschland begrüßen, andere als Verfälschung der Geschichte und als verfehltes Plädoyer für eine deutsche Kollektivschuld ablehnen.16 Freilich wird das wieder austariert durch ein neues Romanprojekt, das die spärlichen Hoffnungssignale des Doktor Faustus aufnimmt und vereindeutigt, die Geschichte vom „großen Papst Gregorius, dem ‚Erwählten‘“.

Die beiden Deutschland

Dann kommt sie doch: die nächste Europa-Reise im Goethejahr 1949, die auch eine Reise in die beiden Teile Deutschlands sein wird, und zwar im Zeichen des einen großen Deutschen, im Zeichen Goethes. Es erübrigt sich, das wahrhaft gespenstische Hin-und-Her genauer zu beschreiben, bis die endgültige Reiseroute festlag: die Reise sollte über die amerikanische Ostküste, über England (Oxford), Schweden und die Schweiz, dann durch beide Deutschland – über Frankfurt, Stuttgart, München, Nürnberg nach Weimar führen, abschließend sollte es dann über Frankfurt nach Amsterdam und Rotterdam und von dort aus per Schiff in die USA zurückgehen.

Was bedrängt nun Thomas Mann längs der langen Reisezeit – vom 25. April bis 19. August –, was fordert ihm Entscheidungen ab, was bestätigt ihn? Beginnen wir mit dem Positiven. Natürlich freuten ihn die ehrenvollen Einladungen nach Oxford und Stockholm, er hielt dort – wie zuvor schon in Washington, später dann in Kopenhagen, Zürich und Basel – den Vortrag Goethe und die Demokratie und konnte sich seines „europäischen“ Publikums sicher sein. Außerdem war er stolz auf die Einladungen nach Frankfurt und München. In Goethes Geburtsstadt hielt er seine Ansprache im Goethejahr im Rahmen der großen Feier von Goethes 200. Geburtstag in der Paulskirche, in der bayerischen Hauptstadt, wohin ihn sein alter Freund Emil Preetorius und die Bayerische Akademie der Schönen Künste gebeten hatten, konnte er danken für die Wahl zum Ehrenvorsitzenden der literarischen Abteilung und seine Freude darüber ausdrücken, dass die Verbundenheit zu seiner langjährigen Heimat durch das Ehrenamt wiederhergestellt war.

Was ihn herausforderte und ihm Entscheidungen abverlangte: die anhaltenden Versuche des „Neuen Deutschland“, ihn zu gewinnen. Es hatte damit begonnen, dass Hans Mayer ihn gebeten hatte, einer Leipziger Thomas-Mann-Stiftung zuzustimmen. Dann hatte ihm sein alter Bekannter Johannes R. Becher die Einladung zu einem Goethe-Vortrag in Weimar vermittelt und ihm gleichzeitig die Verleihung eines Weimarer Goethepreises in Aussicht gestellt. Diese beiden Initiativen, auf die Thomas Mann einmal ablehnend, einmal nach längerem Zögern zustimmend antwortete, helfen uns, sein künftiges Verhältnis zur jungen Bundesrepublik und zur entstehenden DDR zu beschreiben – diese wurde unmittelbar nach der Reise gegründet.

Bevor wir uns diesem Zentralpunkt unseres Themas zuwenden, noch der Blick auf das Ereignis, das Thomas Mann mehr als alles andere beschwerte und bedrängte: Während des Stockholmer Aufenthaltes erreichte ihn die Nachricht vom Freitod seines ältesten Sohnes Klaus. Er war schwer getroffen, gerade auch deshalb, weil ihr Verhältnis innerlich gespannt gewesen war, weil Klaus sich – mit welchem Recht auch immer – als teils marginalisiert, teils als lieblos dominiert vorkam. Es ist bis heute rätselhaft, wie Thomas Mann es schaffte, die Vortragsreise fortzusetzen, und mehr noch, wie Katia sich dazu zwingen konnte, ihn weiter zu begleiten.

Es war also offenkundig: Ostdeutschland warb um Thomas Mann. Das ging so weit, dass Johannes R. Becher, unserem Autor seit seiner vorkommunistischen Zeit fast freundschaftlich verbunden, es durchsetzen konnte, dass ein Weimarer Goethepreis als Gegengewicht zur Frankfurter Auszeichnung eigens für die Verleihung an Thomas Mann geschaffen wurde – und nachher dann nie wieder verliehen wurde. Wenn der Geehrte das gewusst hätte! Dementsprechend aufwendig inszeniert waren dann die Feierlichkeiten im Weimarer Theater. Das Motiv war klar: Thomas Mann hatte – unabhängig von seiner Nähe zu Becher – seit den zwanziger Jahren dem Kommunismus, und lange auch seiner staatlichen Realisierung, etwas Positives abgewonnen, freilich immer parallel zur apodiktischen Feststellung, kein Kommunist zu sein. Das mag auch seinem kompromisslosen Abscheu vor dem Nationalsozialismus geschuldet sein, demgegenüber er der Marxistischen Weltsicht immer noch – wir werden später davon hören – den „Menschheitsgedanken“, also eine grundsätzlich humane Ausrichtung zugestand. So war auch sein Verhältnis zum ostdeutschen Staat immer von einer gewissen Behutsamkeit geprägt. Allerdings nicht von Feigheit: Er fügte seiner Weimarer Version der Ansprache im Goethejahr einen Passus ein, der forderte, dass über all den Unterschieden, die den Osten vom Westen trennten, die „Erkenntnis“ stehen müsse, „daß gewisse schwer erkämpfte und unveräußerliche Errungenschaften der Menschheit, daß Freiheit, Recht und die Würde des Individuums dabei nicht untergehen dürfen, sondern daß sie, sei es auch in gebundener Form, bedingt durch verstärkte soziale Verpflichtung, aufgenommen, heilig bewahrt und in die Zukunft überführt werden müssen.“17

Wenn wir nun zusammenhängend – in einem chronologischen Längsschnitt – die Einstellungen Thomas Manns zu den beiden deutschen Staaten zu kennzeichnen versuchen, so empfiehlt es sich vorab festzuhalten, dass der Autor seine Perspektive nicht folgerichtig entwickeln und präzisieren konnte. Er war ständig mit wechselnden und durchaus nicht immer authentischen Informationen konfrontiert, und zwar von Seiten anderer Emigranten, amerikanischer Freunde und den nächsten Familienangehörigen. Dazu kamen immer neue politische Ereignisse und die eigenen Stimmungsschwankungen.

Grundsätzlich aber war die Genese seines Bildes von der jungen Bundesrepublik eng verflochten mit seinen Eindrücken von einem sich in den Kalten Krieg hineinsteigernden Amerika, das Westdeutschland als Frontstaat gegen den russischen Bolschewismus ansah und damit aufwertete. Damit kontrastierten aber alte Freundschaftsbindungen; von Emil Preetorius und Hans Reisiger war schon die Rede. Zugleich war ständig der Verdacht virulent, dass die NS-Ideologie noch nicht überwunden sei.

Die junge DDR stand – so seltsam uns das heute anmutet – weniger im Fokus seiner kritischen Aufmerksamkeit, dabei spielten – oben war bereits davon zu sprechen – sein alter Glaube an einen humanen Kern des marxistischen Weltbildes ebenso eine Rolle wie die Nähe zu Personen – vor allem zu Johannes R. Becher, den er aus seiner expressionistischen Phase kannte und schätzte. Indessen musste Thomas Mann sehr rasch erkennen, dass die reale Politik des Ostblocks, dass dessen inhumane Skrupellosigkeit die angeblichen Ideale nur zu deutlich ad absurdum führte.

Ich gebe nun ausgewählte symptomatische Details. Zunächst einen Überblick über die immer problematischer werdenden „Rückkehren“ nach Amerika. Nach der Goethe-Reise erfolgte ein letztes Mal noch ein „Heimkommen im eigentlichen Sinn“, ein „Glück des Zuhause, des Gerettet- und vor der Welt Geborgenseins“ stellte sich her.18 Nach der dritten Reise heißt es im Tagebuch noch:

Amerika gewissermaßen heimatlich und vorläufig nicht bedrohlich.19

Nach der vierten Reise dann nur mehr der erleichterte Rückblick – ohne erneute Zuwendung zur überseeischen Heimat:

Wie merkwürdig! Wie vieles durchlebt. Welche Strecken durchmessen! Getan – nicht viel, aber meinen Mann gestanden.20

Die fünfte Reise würde dann die Rückkehr sein.

Nun zu den Zwischenzeiten und ausgewählten „Reise-Erfahrungen“. Nach der Goethe-Reise galt es sofort, sich zu rechtfertigen. Der schwedische Korrespondent Olberg fragte nach dem Verhältnis zu Ostdeutschland. Daneben dann die Verhärtung der amerikanischen Haltung: die Attacke des UAC (Un-american committee) gegen Henry Wallace, der Spionage-Prozess gegen Alger Hiss. „Grauen und Übelkeit“ stellen sich ein, das Nachdenken über ein Verlassen des Landes intensiviert sich.21 Parallel dazu das Misstrauen gegen die junge Bundesrepublik,22 besonders gegen Kanzler Konrad Adenauer, und die Remilitarisierung des Landes. Für Thomas Mann zeichnet sich „ein faschistisches Europa unter deutscher Hegemonie unter der Protektion des Vatikan und Amerikas“ ab.23 Dann noch der amerikanische Paukenschlag: Die Library of Congress sagte Thomas Manns jährlichen Vortrag ab. Der Grund für diese Ausladung war offenkundig: Man argwöhnte – mit Blick auf den Besuch in Ostdeutschland –, dass Thomas Mann dem Kommunismus zuneigte. Doch wird das nicht offen ausgesprochen, vielmehr schlägt der Librarian vor, die Ausladung durch eine Absage des Ausgeladenen zu kaschieren. Thomas Mann geht mit verdächtiger Promptheit darauf ein, doch verrät der beißende Unterton seines Einverständnisses, dass er tief getroffen ist. Die nächste Reise dauert von Mitte April bis Anfang August 1950, der für Washington vorgesehene Vortrag („Meine Zeit“) wird nun in Chicago – und dann in mehreren europäischen Städten, aber nicht in Deutschland – gehalten; am 25. Juni erfolgt der Schock des ausbrechenden Koreakriegs, der den Autor in seiner Einschätzung der amerikanischen Aggressivität zu bestätigen scheint. Die meiste Zeit wird in der Schweiz verbracht, alte Verbindungen werden reaktiviert. Die Liebe als privates Weltereignis dominiert streckenweise – und zwar in der Verliebtheit in den bayerischen Kellner Franz Westermeier, die Auslöser war für den Aufsatz über die Erotik Michelangelos.

Die Zeit bis zur vierten Europareise – sie ist noch eine im eigentlichen Sinn – bringt weitere Enttäuschungen in den USA: das Antikommunistengesetz, die Todesurteile gegen die Rosenbergs,24 ohne deshalb das Urteil über die junge Bundesrepublik zu mildern; Thomas Mann stand da ganz unter dem Eindruck von schiefen Informationen wie von Seiten Agnes Meyers, die in ihrem Brief vom 27. Oktober 1950 Adenauer und Ehrhardt als „the most awful reactonairies“ bezeichnete und Ludwig Ehrhardts Freie Marktwirtschaft als überholt abtat.25 Dabei geriet Thomas Mann selbst immer mehr in den Verdacht, ein Sympathisant des Kommunismus zu sein, und das war besonders schmerzlich für ihn, da er zeitgleich die „abstoßenden“ kommunistischen Prager Schauprozesse mit ihrer „Technik der Seelenzertrümmerung“ zur Kenntnis nehmen musste. Außerdem blies sein alter Widersacher Eugene Tillinger zum Angriff und listete angebliche kommunistische Initiativen Thomas Manns auf. Dieser schwor sich „unverbrüchliche Teilnahmslosigkeit“,26 ergriff aber dann doch die Initiative und schrieb auf die Bitte von Angehörigen DDR-Inhaftierter einen Brief an Walter Ulbricht, in dem er sich für die Freilassung dieser Personen verwendet. Darin wird er grundsätzlich: Er vergleicht den kommunistischen mit dem faschistischen Totalitarismus und gesteht dem ersteren „ganz andere Beziehungen zum Menschheitsgedanken“ zu. Dieser solle deshalb faschistische Praktiken, „Kruditäten und formlose Grausamkeiten“ vermeiden.27 In den folgenden Monaten scheint sich die antibundesrepublikanische Haltung Thomas Manns eher abzumildern, vielleicht ist dies den jüngsten Informationen geschuldet, die er über den realen Kommunismus erhielt. Selbst die Militarisierung der Bundesrepublik scheint er jetzt nur mehr achselzuckend zu registrieren.

Die vierte und letzte Reise ist überschattet von den Verkaufsproblemen, die sich für das kalifornische Haus ankündigen, und vom Entsetzen über den Verlauf des Koreakriegs. Sie verläuft relativ unspektakulär, kein Vortrag ist vorbereitet. Symptomatisch ist, dass die Aufenthalte im deutschsprachigen Europa – in der Schweiz, vor allem in Zürich, und in Österreich – überwiegen, und dass auch Deutschland (München) nicht ausgespart wird. Der Erwählte war schon 1950, im Oktober des Vorjahres, abgeschlossen worden; jetzt hat Thomas Mann den wieder aufgenommenen Felix Krull im Gepäck; er liest, wie das seine Gewohnheit ist, die vor kurzem entstandenen Teile in Bad Gastein, in Salzburg und in Zürich mit außerordentlichem Erfolg vor, was ihn in seinem Glauben an ein freundlich bewillkommnendes Europa bestärkt haben mag.

Das letzte halbe amerikanische Jahr – Oktober 1951 bis Juni 1952 – ist, neben der zweifelnden Weiterführung des Krull Vorüberlegungen über Details der Rückübersiedlung gewidmet, und die amerikanische Politik tut nichts, um den Desillusionierten davon abzubringen – so gerät Tochter Erika zunehmend „ins Visier des amerikanischen Geheimdienstes“,28 und ein Prozess gegen 15 kalifornische Kommunisten beginnt im Februar 1952.

Die Rückkehr selbst hat so gar nichts Romanesk-Folgerichtiges. Zwar notiert das Tagebuch am ersten Juli 1952 in Zürich scheinbar definitiv: „Das Ziel erreicht“, doch werden anschließend – wobei ständig der besorgte Blick hinüber in die ganz im Kalten Krieg aufgehenden USA wandert – Häuser im Tessin und in der Gegend von Zürich besichtigt, es gibt Abstecher nach München und Salzburg, und einen Kuraufenthalt in Bad Gastein. Hatte Thomas Mann schon vor der Rückkehr die positive Aufnahme des Erwählten und des Buddenbrook-Jubiläums in Deutschland gerührt kommentiert – „bei den Deutschen, so hämisch sie oft sind, doch schließlich einzig Verständnis“29 – so empfängt ihn München mit besonderer Herzlichkeit. Im September war er dort auf eigenen Wunsch in den Herzogpark gefahren worden und vor den „Fundamenten des niedergelegten Hauses“ gestanden „ bewegt und gedankenvoll“.30 Dann, bei einem zweiten Aufenthalt im Oktober, feiert ihn das Münchener Publikum nach einer Lesung des Krull im Schauspielhaus, noch vor dem eisernen Vorhang ruft man ihm zu: „Wiederkommen! Dableiben!“ Und als man ihm gar unter bestimmten Bedingungen „die Wiederansiedlung in München in von der Stadt erstelltem Hause“ anbietet, notiert der Gerührte am 22. Oktober im Tagebuch: „Meine geheime Halb-Neigung dazu.“31

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22 декабря 2023
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