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Читать книгу: «Die Naturforschenden», страница 3

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SAMMELN UND FORSCHEN – IMPULSE AUS DEM AUSLAND

Es war allerdings nicht nur der mangelnde öffentliche Zugang zu naturhistorischen Sammlungen, die der Modernisierung der Naturforschung um 1800 im Weg stand. Es fehlte auch an Ausbildungsmöglichkeiten für angehende Naturforscher. Anders als an anderen grossen akademischen Hochschulen in Europa existierten in der Schweiz bis ins 19. Jahrhundert nämlich noch gar keine naturwissenschaftlichen Fächer oder Lehrstühle, weder an den Akademien in Genf, Lausanne und Bern noch an der Universität Basel.10 Einzig die Botanik war als Teilbereich der Medizin bereits in der wissenschaftlichen Lehre und Forschung vertreten, doch interessierten sich die Ärzte mehr für die Verwendung der Pflanzen als Arzneimittel und weniger für deren Systematik, Physiologie oder Taxonomie. Erst um 1778 lassen sich erste Tendenzen für die Einrichtung naturhistorischer Sammlungen an Schweizer Hochschulen nachweisen. In Basel kaufte die Regierung das umfangreiche Naturalienkabinett von Daniel Bruckner (1707-1781). Ein Argument für den Ankauf war, dass dieses für die Stadt und die Universität einst von grossem Nutzen sein könnte, sollte «mit der Zeit die Naturgeschichte öffentlich gelehrt» werden.11 Die Sammlung wurde in der Öffentlichen Bibliothek eingerichtet, jedoch dauerte es noch mehrere Jahrzehnte, bis sie ihre wissenschaftliche Bestimmung erfüllen sollte. In Genf forderte 1794 Henri Boissier (1766-1845) die Gründung eines Naturalienkabinetts zum Zweck des Unterrichts in Naturgeschichte. Daraufhin genehmigte die Genfer Regierung einen Kredit zur Anschaffung einiger physikalischer Instrumente und der Naturaliensammlung des Apothekers Pierre-François Tingry (1743-1821). Die Professoren machten allerdings nur wenig Gebrauch von den Sammlun gen, und aufgrund ausstehender Zahlungen musste die Sammlung wieder an ihren Besitzer zurückgegeben werden.12 1805 wurde der erste Lehrstuhl für Naturgeschichte an der neu eröffneten Akademie in Bern eingerichtet und mit dem Naturforscher Karl Friedrich Meisner (1765-1825) besetzt.

Der Hauptteil der Naturforschung fand jedoch abseits der Hochschulen statt, in sogenannten Gelehrten Gesellschaften, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden waren. Hierzu gehören die Physikalische beziehungsweise Naturforschende Gesellschaft in Zürich (gegründet 1746), die Societas Physico-Medica Basiliensis (1751-1787), die Privatgesellschaft naturforschender Freunde in Bern (gegründet 1786) oder die Société des Naturalistes Genevois (gegründet 1791, ab 1799 Société de Physique et d’Histoire Naturelle de Genève). Manche dieser Gesellschaften unterhielten auch eigene Sammlungen und Naturalienkabinette, zu deren Unterbringung sie eigene Räumlichkeiten einrichteten, wie zum Beispiel die Physikalische Gesellschaft in Zürich. Doch auch hier sollte es noch einige Jahre dauern, bis weitere Kreise von den privaten Interessen der Naturforscher und deren Gegenständen profitieren konnten.13 Die politischen Umstände waren dabei nicht gerade günstig. Mit dem Einmarsch der französischen Truppen unter Napoleon im Jahr 1798 gerieten die helvetischen Stadtrepubliken unter die Kontrolle Frankreichs. In den unruhigen Zeiten kamen die Aktivitäten an den Schweizer Hochschulen praktisch zum Erliegen. Wer ein ernsthaftes Studium in Medizin, Naturgeschichte oder Botanik absolvieren wollte und auch über die nötigen finanziellen Mittel verfügte, studierte an einer Universität im Ausland. Besonders hoch angesehen waren die Universitäten in Göttingen, Paris oder Leiden. In diesen modernen Universitäten fand der Unterricht nicht bloss in Hörsälen statt, sondern sie verfügten schon über eigens für die akademische Lehre und Forschung eingerichtete Museen, botanische Gärten und weitere, umfangreiche Sammlungen aus allen Teilgebieten der Naturforschung. Ebenso standen Exkursionen und Forschungsreisen auf dem Lehrplan.14 Die Studenten aus der Schweiz lernten den Vorzug der wissenschaftlichen Sammlungen kennen. Hier sammelte man nicht für den privaten Gebrauch, sondern für den «höheren» Zweck der Wissenschaften. Nach ihrem Studienaufenthalt brachten die Studenten nebst ihrem Wissen auch die Idee einer neuen Art der Ausbildung zurück in die Schweiz.

DAS STUDIUM IN DER NATUR – AUGUSTIN-PYRAMUS DE CANDOLLE

Ein Student, der in den vollen Genuss dieser neuen Bildungsform im Museum, im botanischen Garten und auf Exkursionen kam und diese schätzen lernte, war der Genfer Augustin-Pyramus de Candolle.15 Die von ihm selbst verfasste und durch seinen Sohn beendete Biografie gibt einen Einblick in das Leben eines Naturforschers um 1800. Sie macht auch sichtbar, welche Personen in dieser Zeit Naturforschung betrieben und an welchen Orten sie dies taten.16 De Candolle wurde am 4. Februar 1778 in Genf als Sohn eines wohlhabenden Bankiers geboren. Er besuchte das Gymnasium und erste Kurse an der Akademie, der späteren Universität Genf. Sein Interesse galt zunächst vor allem der Literatur, ehe er im Frühling 1794 einen Kurs in Botanik «in einem äusserst bescheidenen Garten» der Genfer Société de physique et d’histoire naturelle besuchte.17 Diese Gesellschaft war 1791 vom Apotheker und Naturforscher Henri-Albert Gosse als Société des Naturalistes mit dem Ziel der Förderung der Naturwissenschaften gegründet worden. In seiner Biografie schrieb de Candolle, dass er bei Wanderungen während der Sommerferien im Juragebirge bemerkt habe, dass ihm kein einziger Name einer Pflanze bekannt war. Daraufhin habe er den Entscheid gefasst, zumindest die Namen der Pflanzen zu studieren. Sein neues Interesse an der heimischen Flora konnte er mit seinen Schulfreunden Jean-Pierre Pictet (1777-1857), Sohn des Geografen und Astronomen Jean-Louis Pictet, und dem an naturhistorischen Themen ebenfalls interessierten späteren Geschichtsprofessor und Statistiker Jean Picot (1777-1864) teilen. Beide wohnten in der Nachbarschaft von de Candolles Elternhaus und stammten ebenfalls aus wohlhabenden Familienverhältnissen. Ihr privilegierter sozialer Status erlaubte es den jungen Naturforschern, ihrer Neugierde und ihren Interessen ohne konkrete berufliche Aussichten nachzugehen, denn Naturforschung war kein Beruf, mit dem sich Geld verdienen liess.

1797 besuchte der französische Geologe Déodat Gratet de Dolomieu (1750-1801) die Stadt Genf. Die Eltern von Pictet und Picot baten Dolomieu, die Söhne nach Paris mitzunehmen. Sie luden de Candolle ein, ebenfalls an der Reise teilzunehmen. Im November erreichten sie Paris. Da im Winter keine Vorlesungen in Botanik stattfanden, besuchten die drei Freunde verschiedene Vorlesungen in Physik, Chemie, Mineralogie, Anatomie und Zoologie. Bei der Rückkehr nach Genf 1798 fasste de Candolle den Entschluss, Medizin zu studieren. Er stand, wie er selbst sagte, vor der Wahl zwischen Göttingen und Paris, wobei seine Unkenntnis der deutschen Sprache die Wahl auf Paris fallen liess. Von Paris aus unternahm er bereits im Herbst 1798 eine Exkursion in die Normandie. Zum ersten Mal an der Atlantikküste, unterliess es de Candolle nicht, möglichst alles an zoologischem und botanischem Material zu sammeln, was er finden konnte. Sein Vorhaben, eine ganze Sammlung von Fischen, die er bei den Fischern zusammenkaufte, in einem Fass voller Weingeist mit nach Paris zu nehmen, scheiterte, da sich irgendwelche anderen Tiere an den Fischen gütlich taten und diese vollständig zerbissen.18 In der Zwischenzeit wurde seine Heimatstadt von Frankreich annektiert. Zurück in Paris, erfuhr de Candolle, dass die neue französische Regierung in Genf eine zentrale Schule für das Departement Léman einzurichten gedachte. Als Professor für Naturgeschichte sah man den gerade einmal 20-jährigen de Candolle vor. Für den Unterricht sollte er ein eigenes naturhistorisches Museum aufbauen und sich dafür aus den Doubletten des Museums in Paris bedienen. Mit grossem Eifer ging er dieser Aufgabe nach und stellte eine reichhaltige Sammlung zusammen, die er nach Genf schickte. Die Sammlung von wissenschaftlich unschätzbarem Wert kam zwar in Genf an, sollte jedoch nie ihren Bestimmungszweck erfüllen. Wie das gesamte Schulprojekt fiel sie den politischen Wirren am Ende der Helvetik zum Opfer, wurde geplündert und zerstreut. Als er knapp 20 Jahre später nach Genf zurückkehrte, fand er nur noch ein misshandeltes ausgestopftes Zebra vor.19

Die Zeit der Napoleonischen Kriege nach 1803 verbrachte de Candolle mit weiteren Studienaufenthalten in Holland und England. 1807 wurde er zum Professor für Botanik an der Universität in Montpellier berufen. Dort legte er eine umfangreiche und systematische Studiensammlung an. Im Bereich der Naturforschung verpasste de Candolle nicht viel in seiner Heimat. Zwischen 1800 und 1815 lassen sich, abgesehen von Bern, nur indirekt Aktivitäten an den Schweizer Hochschulen in Bezug auf die Naturwissenschaften feststellen. Die Professoren waren mehr mit politischen Debatten zu einer gesamtschweizerischen Bildungsreform beschäftigt oder allgemein damit, den schweizerischen Staat in eine funktionierende Form zu bringen.

RESTAURATION UND WISSENSCHAFTSBETRIEB

1814 trat die Stadtrepublik Genf der Schweiz bei und wurde zum Hauptort des gleichnamigen und neu gegründeten Kantons. Mit der Beruhigung der politischen Situation konnte in der Schweiz auch der wissenschaftliche Betrieb wieder in Gang gebracht werden. Von besonderer Bedeutung für die Naturwissenschaften war die Gründung der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft (SNG) im Jahr 1815 durch den bereits erwähnten Henri-Albert Gosse und den Berner Theologen und Naturforscher Samuel Wyttenbach.20 Nun gab es zum ersten Mal eine Organisation, in der sich die Schweizer Naturforscher gesamtschweizerisch austauschen konnten. Die Gesellschaft richtete sich aber nicht nur an Experten, sondern sie sollte explizit auch Laien und Liebhabern der Natur Teilnahme und Teilhabe an den Wissenschaften ermöglichen.21 Vom allgemeinen Aufschwung der Naturwissenschaften, der von der SNG ausging, profitierte auch de Candolle. Noch im Gründungsjahr der Gesellschaft erhielt er aus Genf ei nen Ruf als Professor für Naturgeschichte. Er nahm die Stelle unter der Bedingung an, dass ihm für den Unterricht ein botanischer Garten zur Verfügung gestellt werde. Bei seinem Umzug nach Genf 1816 galt seine grösste Sorge zunächst dem Transport seiner Sammlung aus Montpellier. Die 40 Wagen voll mit Material, die im September vor seiner Haustür angeliefert wurden, lösten bei den Nachbarn Besorgnis über seinen Geisteszustand aus. Wie sollte er all diese Dinge in einer so kleinen Wohnung unterbringen? Doch de Candolle hatte die Sammlung genauestens vorbereitet, systematisch geordnet und jede Kiste durchnummeriert, sodass er bereits am übernächsten Tag wieder seine voll eingerichtete private Studiensammlung zur Verfügung hatte.22


Abb. 2: Der Professor in seinem Garten. Porträt von Augustin-Pyramus de Candolle aus dem Jahr 1822. Gemälde von Pierre-Louis Bouvier (1766-1836).

Noch ehe er mit den Vorlesungen begann, machte er sich an die Einrichtung des botanischen Gartens. Die Regierung in Genf kam de Candolles Wunsch entgegen und stellte ihm ein Feld bei Des Bastions sowie eine nicht unbeachtliche finanzielle Summe zur Verfügung.23 Bereits im November 1817 konnte der Unterricht beginnen. Der Hörsaal befand sich in der Mitte des botanischen Gartens. Im folgenden Jahr startete de Candolle einen Aufruf zur öffentlichen Unterstützung des botanischen Gartens, dem zahlreiche wohlhabende Bürger der Stadt Folge leisteten. Sie spendeten eine überaus stattliche Summe zum Bau von Gewächshäusern sowie mehrere Hundert Pflanzenarten aus ihren eigenen Gärten. Inspiriert vom Erfolg des botanischen Gartens griff Henri Boissier seine Idee von 1794, die Gründung eines akademischen Museums, wieder auf. Er beabsichtigte, ein Gebäude einzurichten, in dem die naturwissenschaftlichen Fächer Physik, Chemie, Mineralogie und Zoologie einen Platz für Lehre und Forschung auf der Basis der Sammlungen erhielten. Boissier hatte bereits im Jahr 1811 sein privates Naturalienkabinett und seine Sammlung von Antiquitäten der Akademie Genf vermacht. Doch diese hatte bis dahin keine zweckmässige Aufstellung oder Verwendung gefunden. Gemeinsam mit de Candolle konnte er weitere Personen aus der Regierung und der Akademie für das Vorhaben gewinnen. Im Jahr 1818 beschloss der Senat der Genfer Akademie, eine Museumskommission einzuberufen. Sie bestand aus den Professoren für Physik, Chemie, Mineralogie, Botanik, Zoologie und Archäologie. Einen freien Raum für das Museum fand man in einem Gebäude, welches zur Zeit der Besatzung dem französischen Regierungsrepräsentanten als Logis gedient hatte. Schon 1819 fanden die ersten Vorlesungen im Akademischen Museum statt. Im Mai 1820 verabschiedete die Genfer Regierung einen weiteren Beschluss, durch welchen der Besitz des Museums und sämtliche darin enthaltenen Sammlungen an die Stadt übergingen. Das Museum erhielt nun ein jährliches Betriebsbudget, eine administrative Verwaltung und ein Reglement, das auch die Öffnungszeiten für das breite Publikum festlegte. Damit war das erste naturwissenschaftliche Museum der Schweiz offiziell eröffnet. Die Sammlung wuchs rasch dank zahlreichen Spenden und Geschenken von privaten Sammlern und wohlhabenden Bürgern.24

Die Gründung der SNG, die Berufung eines Professors für Naturgeschichte in Genf und die Eröffnung des botanischen Gartens sowie des akademischen Museums förderten auch die Entwicklungen der Naturwissenschaften in anderen Schweizer Städten. An der zweiten Jahresversammlung der SNG 1816 nahm der an der Universität Basel als langjähriger Leiter der öffentlichen Bibliothek tätige Mathematiker und Astronom Daniel Huber (1768-1829) teil. Zurück in Basel, initiierte er nicht nur die Gründung einer lokalen Sektion der SNG, sondern setzte sich auch stark für die Einrichtung eines naturwissenschaftlichen Museums ein. Gemeinsam mit dem Basler Ingenieur, Physiker und Naturforscher Christoph Bernoulli (1782-1863) und dem politisch wie akademisch gut vernetzten Peter Merian (1795-1883), dessen Leidenschaft die Geografie war, gelang es, sowohl Regierung, Universitätsleitung als auch weitere Kreise einflussreicher Personen vom Nutzen der Naturwissenschaften zu überzeugen.25 1818 richtete die Universität Basel einen Lehrstuhl für Naturgeschichte ein, zusammen mit einem weiteren für Chemie und Physik. Als Professoren ernannte man Christoph Bernoulli und Peter Merian. Direkt nach Antritt der Stellen traten Huber, Bernoulli und Merian mit dem Anliegen an die Basler Regierung, dass ein zweckmässiger Unterricht in Naturgeschichte, Physik und Chemie nur möglich sei, wenn die entsprechenden Sammlungen und Infrastrukturen wie ein chemisches Laboratorium und physikalische Instrumente für Demonstrationen zur Verfügung gestellt würden.26 1821 konnte das naturwissenschaftliche Museum eröffnet werden und entwickelte sich gleich wie in Genf rasch zum Zentrum der naturwissenschaftlichen Lehre und Forschung.27 Ab den 1820er-Jahren fanden auch in anderen Schweizer Städten vergleichbare Entwicklungen statt. Bereits 1819 wurden in St. Gallen und Lausanne lokale Sektionen der Naturforschenden Gesellschaft gegründet. 1824 entstand in Lausanne der botanische Garten inklusive einer naturhistorischen Sammlung. 1830 wurde in Porrentruy der bereits seit 1792 unter französischer Leitung gegründete botanische Garten neu konzipiert und durch ein naturhistorisches Museum ergänzt. Weitere naturhistorische Museen und botanische Gärten öffneten 1832 in Bern, 1833 in Zürich oder 1835 in Neuchâtel ihre Tore.


Abb. 3: Flanieren in der Natur – der botanische Garten in Genf 1824.

SAMMELN FÜR EINEN HÖHEREN ZWECK

Seit den 1820er-Jahren gelangten in praktisch allen grösseren Städten der Schweiz, die über entsprechende Hochschuleinrichtungen verfügten, private Sammlungen von Naturgegenständen in universitären Besitz, wo sie auch im Unterricht eingesetzt wurden. Damit hatte sich das Modell der Sammlung als Forschungsinstrument und Lehrmittel vollständig etabliert. Die wissenschaftlichen Museen waren aber noch keine öffentlichen Bildungsinstitutionen, wie man sie heute kennt. So war der Besuch der Sammlungen für die Öffentlichkeit zu Beginn in Genf nur am Dienstagnachmittag, in Basel am Sonntagnachmittag möglich. Während der restlichen Zeit waren sie den Professoren und Studierenden vorbehalten. Man war sich aber durchaus des Potenzials bewusst, das die Museen als öffentliche Bildungsinstitutionen besassen. Karl Friedrich Meisner beschrieb den Zweck des Museums der Naturgeschichte in Bern folgendermassen:

«Naturalienkabinette können – so wie überhaupt Sammlungen jeder Art – nur einen vernünftigen Zweck haben: Aufmunterung zum Studium der gesammelten Gegenstände und Belehrung. Man bringt eine Menge Gegenstände der Natur zusammen, stellt sie nebeneinander in einer gewissen Ordnung auf, bezeichnet sie mit Namen, Aufenthalts- und Fundort u.s.w. Warum? Es lässt sich kein anderer vernünftiger Zweck denken, als dieser: durch die Aufbewahrung und Aufstellung einer Reihe von Naturprodukten hier und da die schlafende Neigung zur Naturgeschichte zu wecken und ihr gleichsam den ersten Stoss zu geben sich zu regen; dem Ungelehrten wie dem Gelehrten Gelegenheit zu verschaffen, durch Anschauung und Vergleichung ihre Begriffe zu berichtigen und ihre Kenntnisse zu bereichern.»28

Mit der Zusammenführung der Sammlungen und ihrer Eingliederung in die wissenschaftliche Lehre und Forschung entstanden die neuen Zentren der Naturforschung, in denen das Wissen über die Natur nicht nur geschaffen und gespeichert, sondern auch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurde. Gerade für die Etablierung der naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Biologie, Geologie oder Anthropologie spielten die Museen und botanischen Gärten als Forschungs- und Lehranstalten eine zentrale Rolle. Hier versuchten Naturforschende wie de Candolle mit ihren Klassifikations- und Ordnungsmustern, nach denen sie die Naturgegenstände aufstellten, die Natur im wahrsten Sinn des Wortes in Ordnung zu bringen. In zunehmendem Mass dienten sie ebenso dazu, die Naturphänomene einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen und anhand der ausgestellten Dinge zu veranschaulichen.29 Durch den neuen Wissensraum Museum gelangte die Natur direkt ins Zentrum des bürgerlichen Lebens, nämlich in die Städte. Die Ausstellungen regten zur Reflexion über das Verhältnis der Menschen zur Natur an. Beim Anblick der Objekte in den naturhistorischen Museen und den botanischen Gärten sahen sich Forscher wie Besucher mit existenziellen Fragen konfrontiert: Wie entstand die Erde, wie entwickelten sich die verschiedenen Arten, woher kommt der Mensch? Durch die zunehmende Öffnung der wissenschaftlichen Sammlungen zur Mitte des 19. Jahrhunderts konnten Bürgerinnen und Bürger aktiver an der Verhandlung dieser Fragen teilnehmen, nicht nur indem sie den Forschungsanstalten eigene Sammlungsobjekte zur Verfügung stellten, sondern auch indem sie ihre eigenen Beobachtungen oder Ansichten über die Natur mitteilten.30 Naturforschung war nicht mehr die private Angelegenheit einzelner wohlhabender Bürger, sondern öffnete sich nun dem städtischen und bildungsbürgerlichen Publikum. Dieses musste nun keine weite Reise auf sich nehmen, sondern die Natur wurde ihm sozusagen direkt vor der Haustüre in wohlgeordneter Form präsentiert. Die Museen oder botanischen Gärten bildeten eine Plattform zur Generierung und Verhandlung neuen Wissens über die Natur.31 Und mit diesem Wissen, das den Menschen fernab der Natur vor Augen geführt wurde, begannen sie die Natur mit anderen Augen zu sehen.

FRANZISKA HUPFER
DAS WETTER IN TABELLEN
Christian Gregor Brügger und die Institutionalisierung der Meteorologie

«Ein Jünger der Naturwissenschaften […] hat seit einigen Jahren ganz von sich aus unternommen, unser vielverzweigtes ‹Alpisch-Rhätien› mit einem Netz von Stationen für Witterungs- und Naturbeobachtungen zu überziehen», teilte eine Bündner Zeitung 1859 mit.1 Dieser «fleissige Naturforscher» war Christian Gregor Brügger (1833-1899), der drei Jahre zuvor, nach seinen Studienjahren in München und Innsbruck, in seinen Heimatkanton Graubünden zurückgekehrt war und auf Eigeninitiative ein meteorologisches Beobachtungsnetz aufgebaut hatte. Der damals erst 23-Jährige war überzeugt davon, dass eine empirische und vergleichende Beobachtung des Wetters Gesetzmässigkeiten erkennen lassen würde. Er wollte verstehen, wie die «Bewegungen des irdischen Luftmeeres» die lokalen Wettererscheinungen bedingten und wie sich diese auf die Vegetation auswirkten.2 Deshalb versuchte Brügger, an möglichst vielen Orten des Kantons Graubünden freiwillige, das heisst unbezahlte Wetterbeobachter zu gewinnen. Ihnen übergab er eine Tabellenvorlage inklusive Anleitung, nach der zwei Mal täglich Temperatur, Niederschlagsart, Bewölkungsgrad und Windrichtung zu notieren waren.3 Am Ende jedes Monats sandten die sogenannten Korrespondenten ihre Tabellen an Brügger. Korrespondenzbeziehungen zu Beobachtern an vielen verschiedenen Orten gehörten in der Naturforschung seit dem 18. Jahrhundert zu den typischen Methoden.4

Damit Brügger die Messresultate miteinander vergleichen konnte, hielt er seine Korrespondenten an, alle einen Thermometer desselben Typs zu kaufen. Einzelne statteten sich auch mit einem Barometer zur Luftdruckmessung oder mit einem Ombrometer aus, mit dem sie die Niederschlagsmenge messen konnten. Die Instrumente mussten kalibriert, das heisst aufeinander abgestimmt werden, wobei Brüggers eigene Instrumente die Norm bildeten. Vorkenntnisse waren nicht erforderlich, um beim Projekt mitzumachen. Brügger rekrutierte seine Mitarbeitenden, die neben einzelnen Frauen mehrheitlich Männer waren, durch persönliche Kontakte. Er wurde dabei unterstützt vom angesehenen Privatgelehrten und Schlossbesitzer Carl Ulysses von Salis-Marschlins (1795-1886), der selbst meteorologische Messungen machte und neue Beobachter an Brügger vermittelte. Einige Personen nahmen von sich aus mit Brügger Kontakt auf und anerboten sich als Mitarbeiter, «um der Wissenschaft dienen zu können».5 Die Beobachter, die bis auf wenige Ausnahmen nicht naturwissenschaftlich gebildet waren, empfanden ihren Einbezug in ein wissenschaftliches Projekt als einen grossen Vertrauensbeweis. Der Zernezer Pfarrer Guidon dankte für die «Ehre», als Mitarbeiter aufgenommen zu werden.6 Pfarrer schienen Brügger als Beobachter besonders geeignet. Sie bildeten die am stärksten vertretene Berufsgruppe. Das meteorologische Netz wurde im Kanton Graubünden schnell bekannt, da Zeitungen die Zusammenstellungen der Messresultate abdruckten. Die «Bündner Zeitung» publizierte jeweils am Monatsanfang eine Tabelle mit den Temperaturangaben zum Vormonat. Waren es im April 1857 noch zehn Stationen, stieg die Zahl bis im Juli 1858 auf 37 Stationen an.7 Die Tabellen enthielten die monatlichen Durchschnittstemperaturen, den Tag des niedrigsten und höchsten Thermometerstands sowie der grössten täglichen Schwankung, gefolgt von der mittleren täglichen Temperaturdifferenz, der Windrichtung und schliesslich der Anzahl Tage mit Schnee, Regen, Nebel oder Bewölkung.


Abb. 1: April 1858: Der Zollbeamte Andreas Bärtsch notierte drei Mal täglich den Thermometerstand, die Niederschlagsart, den Bewölkungsgrad und die Windrichtung im bündnerischen Martinsbruck (heute Martina). Am Monatsende sandte er seine Tabellen jeweils an Brügger.

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9783039198986
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