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2. Celebrities als Kulturphänomen. Vom Star zum Talent

Wählt man eine geschichtliche Perspektive auf das Phänomen der Celebrities, so fällt auf, dass sie lange Jahre vor allem als Prominente oder Stars gesehen wurden. Damit wurden sowohl ihre ganz besonderen Leistungen und Eigenschaften gekennzeichnet, als auch ihre gefühlte Distanz zum Publikum. Für das Publikum waren sie quasi „himmlische Sternenwesen“. Gesucht wurden in jenen Zeiten mehr oder weniger halbgottähnliche Wesen, die sich im Angesicht der eigenen Unzulänglichkeiten bewundern ließen und eben dadurch die eigenen Unzulänglichkeiten ein Stück weit kompensieren halfen.

Im lateinischen Ursprungssinn des Wortes „Prominenz“ geht es ja um das „Herausragen“: Ein Prominenter ragt aus der Masse heraus und wird dafür bewundert und bestaunt oder auch tragisch bemitleidet oder verachtet. Im Fokus steht die Distanz zum Normalen. So wurden Prominente früherer Tage häufig mit Diva-Eigenschaften verbunden wie etwa „die“ Callas. Aber auch „die“ Piaf und „die“ Knef oder Karajan und Gründgens galten quasi als gottgleich, weil für die meisten Normalsterblichen unerreichbar.

Abb. 2: Distanz zum Normalen - Édith Piaf, Maria Callas, Hildegard Knef, Herbert von Karajan und Gustaf Gründgens

Mit dem im deutschen Sprachgebrauch noch recht frischen Begriff „Celebrity“ kommt ein neuer Umgang mit öffentlich bekannten Persönlichkeiten ins Spiel. Es ist die Perspektive der Fans und der Öffentlichkeit selbst. Folgen wir dem Ursprungssinn des lateinischen Verbs „celebrare“, so rühmt, feiert und sammelt sich die Fan-Öffentlichkeit zahlreich, um die berühmten Persönlichkeiten zu verstehen. Das Wort kennzeichnet ein eifriges Tun, Umdrängen und Betreiben von vielen. Paradoxerweise rücken damit gerade die eigentlichen „Nobodies“ mit ihrem Eifer selbst in den Fokus. Hier geht es nicht mehr um die Distanz zu den eigenen Unzulänglichkeiten, sondern um eine möglichst große Nähe zwischen Celebrity und Normalsterblichen. In Form der Celebrity erhalten die Fans ein Zentrum, eine Gestalt für ihre Sehnsüchte, Wünsche und Anliegen.

So zeigt die RTL-Show „Das Supertalent“ und die Gesangs-Castingshow „The Voice of Germany“ von ProSieben und Sat.1, wie viele ganz besondere Begabungen gerade im vermeintlich „Normalen“ stecken. Dabei geht es weniger darum, die Sieger zu dauerhaften Celebrities zu machen. Es geht darum, jedes Mal aufs Neue das Prinzip zu zelebrieren, dass es unter „den Normalen“ immer wieder neue Supertalente zu entdecken gibt, die das Besondere im Normalen beweisen.

Abb. 3: Das Besondere im Normalen – die Berlinerin Sarah Stiefel zeigt Ketten-Akrobatik in „Das Supertalent“

Bei einer Celebrity wird heute eher das Besondere im Normalen gesucht und in den gesellschaftlichen Mittelpunkt gerückt. So gesehen ist es nicht zufällig, dass auch in Deutschland verstärkt von „Celebrities“ die Rede ist und nicht mehr nur von „Prominenten“ oder „Promis“.

3. Die Meister der neuen „Pröffentlichkeit“

Selbst für dauerhaft berühmte Celebrities gilt heute, dass sie nicht zu abgehoben, sondern möglichst normal sein sollten. Diva-Attitüden schaffen Distanz und werden daher kritisch gesehen. Es geht um Nähe, weshalb sehr geschätzt wird, wenn mit Celebrities quasi auf Augenhöhe kommuniziert werden kann. So wird beklatscht, wenn sich Taylor Swift bei ihren 68 Millionen Twitter-Followern für die netten Geburtstagswünsche mit einem kleinen Ständchen bedankt und dazu noch ein Teenie-Foto von sich postet, als wären es ihre Nachbarn.

Abb. 4: Neue Nähe – Taylor Swift bietet der Welt private Vertraulichkeit an wie ihren Nachbarn

Folgt man Cara Delevingne oder Taylor Swift auf Twitter oder Instagram, so wird die Mischung aus Besonderem und Normalem sehr deutlich: Posts von ganz normalen Situationen und Kontexten mit Familie und Freunden, Urlaub und Shoppen sind zu sehen, wie sie jeder Normalbürger auch ins Netz stellen kann. Aber sie werden durchmischt mit VIP-Locations, Treffen mit anderen Promis, Bühnenauftritten der Celebrities und ästhetisch besonders aufwendigen Arrangements, die wiederum das Besondere unterstreichen. Wie nie zuvor werden dabei die Dimensionen des privaten und öffentlichen Raums miteinander verwoben.

Insbesondere bei Social-Media-Beiträgen lässt sich nicht mehr ohne Weiteres sagen, ob es sich um Privates handelt, das öffentlich gemacht wird, oder ob es um Öffentliches geht, das in den privaten Raum hineinragt. Jedenfalls wird aus dem privaten Raum und dem öffentlichen Raum ein gemeinsamer Raum – eine neue „Pröffentlichkeit“. Wir konnten in einer Studie aufzeigen, wie stark sich private und öffentliche Welt vermischen können.2 Im Umgang mit Celebrities zeigt sich sehr verdichtet, wie die Schnittstellen zwischen „normal“ und „besonders“ sowie „privat“ und „öffentlich“ neu austariert werden.

Wir wollen daher im Folgenden betrachten, wie dieser Bedeutungswandel das Erzählformat einer Marke, den Zeitgeist und die Polarisierung mit öffentlich bekannten Persönlichkeiten beeinflusst.

Dieser Wandel in der gesellschaftlich-kulturellen Funktion von Celebrities hin zu einer neuen „Pröffentlichkeit“ schlägt sich grundlegend auf die Wirkung von Prominenten als Testimonials in der Werbung nieder. Wir wollen daher im Folgenden betrachten, wie dieser Bedeutungswandel das Erzählformat einer Marke, den Zeitgeist und die Polarisierung mit öffentlich bekannten Persönlichkeiten beeinflusst.

4. Wandel 1. Das Erzählformat für die Marke muss sich erneuern

Das Erzählformat, also wie eine Geschichte erzählt wird, ist oft wichtiger als die vordergründige Geschichte selbst. Denken wir nur an einen Internetsurfer oder einen TV-Zuschauer. Sie bewerten Werbung nach anderen Kriterien als Marketingverantwortliche, die mit professionellem Blick auf den Inhalt der Werbebotschaft fokussieren. „Normale“ Rezipienten achten dagegen viel stärker darauf, wie sie unterhalten werden. Das heißt, sie bewerten vor allem das Erzählformat.

Ein Beispiel: Bei der Entwicklung einer neuen Kommunikation für ein Waschmittel kommt die Idee auf, eine Hose zu zeigen, die beim Stagediving heftig verdreckt worden ist und nun vom Waschmittel erfolgreich gesäubert wird. Der eingesetzte Rockstar soll den Erfolg glaubwürdig attestieren. Zur Überraschung von Marketingverantwortlichen und Werbern wird das Konzept von den dazu befragten Frauen als langweilig abgelehnt. Die Begründung: Eine dreckige Hose als Aufhänger der Geschichte kommt schon allzu oft vor, unter anderem bei Werbung für Coca-Cola oder o.b. Das Erzählformat an sich ist somit nicht mehr wirklich spannend und aktuell.

Es ist wie bei Liebesfilmen: Die Boy-meets-Girl-Geschichte kennen wir alle. Aber wirklich gute Liebesfilme schaffen es, diese wieder in einem neuen Gewand zu erzählen. In heutiger Zeit werden Erzählformate erwartet, die das Besondere im Normalen inszenieren, wie es in den TV-Shows „Das Supertalent“ oder „Joko und Klaas“ der Fall ist. Vielleicht war auch deshalb der Edeka-Weihnachtsspot „Heimkommen“ so unglaublich erfolgreich: Darin rettet ein alter Mann auf gewitzt-makabere Weise das Weihnachtsfest im Kreise seiner Familie, indem er im Vorfeld seinen abtrünnigen Kindern eine Nachricht von seinem Ableben zukommen lässt. Der Grund: Diese waren jahrelang nicht mehr erschienen und tauchen nun notgedrungen zur vermeintlichen Totenfeier auf – um dort von ihm zur Weihnachtstafel überrascht zu werden.

Abb. 5: Das Besondere im Normalen – nur die Todesanzeige verhilft zum Weihnachtsfest im Kreise der Lieben

Zum Beispiel feiert Friedrich Liechtenstein in einer bislang so nicht gesehenen Weise seinen Einkauf bei Edeka, indem er perfekt das „Besonders-Normale“ inszeniert. Von der Figur her gewiss ein Normalo, entfaltet er dennoch wie in einem Tagtraum eine eigenwillige Fantasiewelt, in der die sinnlichen Qualitäten der Lebensmittel von ihm als ganz besonders erlebt werden, eben „supergeil“. Der Zuschauer erlebt durch ihn, wie sehr er sich selbst als König fühlen könnte – bis hin zum Baden in Milch und Schokoflocken.

Testimonials haben es oft erfolgreich geschafft, Geschichten rund um Produkte und Dienstleistungen neu zu erzählen. Der Grund: In ihnen spiegeln sich in besonderer Form die Sichtweisen bzw. „Verarbeitungsformen“ ihrer Zeit wider.

5. Wandel 2. Es braucht neue Antworten auf Zeitgeist-Fragen

Ob ein Prominenter als Testimonial erfolgreich wirkt, hängt weniger davon ab, wie sympathisch er ist oder welche Ähnlichkeiten er zur Marke aufweist. Entscheidend ist, ob er interessante Antworten auf brennende Fragen des Zeitgeistes geben kann. So wurden Karin Sommer für Jacobs Krönung und Herr Kaiser für die Hamburg-Mannheimer zu modernen Helden, weil sie es schafften, viele unterschiedliche Haltungen in einer Zeit zu vereinen, in der das Ausleben individueller Freiheiten immer wichtiger wurde. Auch die Knorr-Familie vermittelte durch die Zwillinge zwischen eher wertkonservativen Gemeinschaftsvorstellungen und den Individualinteressen innerhalb einer Familie. Und die Klementine zeigte, dass lästiges Waschen nicht im Widerspruch zur persönlichen Hautpflege stehen muss – und das war seinerzeit wirklich neu.

Abb. 6: Friedrich Liechtenstein inszeniert das Normale besonders supergeil

Die Reinform der neuen Individualkultur verkörperten der Marlboro-Cowboy und der Camel-Man. Mit Zigaretten dieser Marken konnte jeder ein wenig zum Rebell avancieren. Und nicht nur die tollen, auch die vermeintlich „dummen“ Seiten der Individualhelden konnten werblich genutzt werden, wie etwa bei Boris Becker in der AOL-Werbung: Wenn selbst Boris es schafft „drin zu sein“, dann wird der Schritt ins Internet schon nicht so schwer sein. Diese Botschaft von AOL kam erfolgreich beim Verbraucher an.

Diese klassischen Heldeninszenierungen haben heute ausgedient. Die gesellschaftlich-kulturelle Entwicklung in Richtung von immer mehr individuellen Freiheiten hat sich im Empfinden vieler Menschen verkehrt und ist zu einer Egokultur mit viel Kälte im Umgang miteinander geworden.

Beim Verbraucher stehen daher weniger Helden im Kurs, die durch individuelles Können aus der Mittelmäßigkeit herausragen als vielmehr Menschen, die der kalten Egokultur die Stirn bieten.

So sind als Werbebotschafter zum Beispiel Unternehmertypen angesagt, die sich nicht für ihre Erfolge feiern, sondern für Werte der Gemeinschaftlichkeit stehen. Zu solchen Werten zählen etwa das Bekenntnis zum Produktionsstandort Deutschland, das Einstehen für wichtig empfundene gesellschaftliche Werte und schlichtweg die gerne eingeräumte Akzeptanz, in Deutschland Steuern zu zahlen. In der Öffentlichkeit stehen Unternehmenslenker wie Claus Hipp, Ernst Prost (Liqui Moly) oder Wolfgang Grupp (Trigema) für diesen Typ des „freundlichen Patriarchen“, der Egointeressen hinter das Wohl der Gemeinschaft zu stellen weiß.

Abb. 7: Helden individueller Freiheit – Herr Kaiser, Klementine, Frau Sommer, Boris Becker und Marlboro-Cowboy

Ein noch viel weitergehendes Testimonial-Format ist mit Friedrich Liechtenstein für Edeka geschaffen worden. Der Starkult wird persifliert, indem er sich der Normalität quasi unterwirft: Obwohl weitgehend unbekannt, verhält sich Liechtenstein in der Edeka-Werbung in vielerlei Hinsicht so egomanisch wie ein Star. Er greift damit die Egokultur auf, in der jeder gerne ein Star sein möchte. Der Egokult wird hier jedoch ironisch eingesetzt, um am Ende schlichtweg die Produkte von Edeka begeistert zu verehren. Der ganz normale (Supermarkt-)Alltag wird „supergeil“ inszeniert. Damit wird das Prinzip der „Pröffentlichkeit“ mit seiner Vermengung von Starrummel und privater Anfassbarkeit ins Werbeformat transformiert.

Abb. 8: Markenbotschafter für mehr Mitmenschlichkeit – Claus Hipp, Ernst Prost und Wolfgang Grupp

Die Liechtenstein-Inszenierungen mögen aus Sicht von eher konservativen Kunden fehlplatziert wirken. Allerdings gab es auch schon früher nicht wenige, die der Klementine und Herrn Kaiser nichts abgewinnen konnten. Schließlich erfüllte Herr Kaiser nicht nur Träume vom eigenen Haus und Auto, sondern stand immer auch für den Spießertyp. Und die Klementine wirkte nicht gerade als Beschleunigerin weiblicher Emanzipation, sondern sagte Mutti klipp und klar, wie sie die Schmutzwäsche wieder porentief rein bekommt. Dennoch sorgten sie für genügend Reibungsfläche in der öffentlichen Diskussion, die zu einer Emotionalisierung und Vertiefung des Strebens nach Individualität führte.

Abb. 9: Kultische Verehrung eines Nobodies als Star, der sich für die Normalität von Edeka begeistert

Heute sind derartige Reibungsflächen kaum noch zu finden. Interessante Antworten auf brennende Fragen des Zeitgeistes werden zu wenig gegeben.

6. Wandel 3. Es muss mehr polarisiert werden

Polarisierung erzeugt Schärfe und erhöht die Erkennbarkeit. Durch Polarisierung unterscheiden wir hell und dunkel, manchmal auch vereinfachend schwarz und weiß. Dadurch erscheint vieles klarer, wie etwa die überzeichneten Charaktere in großen Kinofilmen mit ihren strahlenden Helden gegen finstere Schurken. Polarisierung schafft Profilierung und fördert die Einprägsamkeit. Und sie fordert heraus: Bist du für mich oder gegen mich? Dadurch trennt eine Marke in echte Freunde und falsche Freunde. Falsche Freunde meckern nur und kosten Geld, weil sie nicht zur Marke passen.

Celebrities werden durch Polarisierung verständlicher, mitunter liebenswerter und somit anfassbarer. Denn sie haben nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen. Wie bei Normalsterblichen ist mit Licht auch Schatten verbunden. Der Blick in die private Normalität überwindet Distanzen.

In der Kommunikationspraxis wird Polarisierung allerdings meist gemieden. Die Angst vor negativen Reaktionen seitens der Konsumenten ist zu groß – trotz gegenteiliger Behauptungen aus den Marketingabteilungen. Im Zweifelsfall werden spannende, aber „irgendwie schwierige“ Werbespots gern ins Internet abgeschoben, während die klassische Kampagne in TV und Print dem breiten Mainstream mundgerecht geliefert wird. Auch Herr Liechtenstein war für Edeka lange nur im „Schonraum“ Internet unterwegs. Den Abverkauf erledigte der deutlich plumpere Volkstribun Reiner Calmund, dessen Bauchentscheidung für die richtigen Würstchen gerade zur WM-Zeit den Absatz von Grillgut ankurbeln half.

Die Angst des Marketingmanagements vor skurrilen Helden und polarisierenden Geschichten wird durch quantitative Werbewirkungstests noch geschürt. Die vorgegebenen Benchmarks in den Tests beziehen sich meist auf Sympathie- und Akzeptanz-Scores oder den Informationsgehalt über die Produkte, was durch Polarisierung in aller Regel nicht erfüllt werden kann – und ja auch nicht soll. Welchen Informationsgehalt vermittelt Liechtenstein denn schon über die Edeka-Produkte? Es ist ja alles supergeil. Wie viele finden ihn denn in seinem Milchbad wirklich sympathisch? Eben wegen dieser Risiken setzen viele Unternehmen und Werbestrategen lieber auf Bewährtes, wenn es um die Begeisterung der Massen geht. Dabei ist Polarisierung gerade wichtig, um den Sumpf gleichmacherischer Beliebigkeit zu verlassen.

Polarisierung heißt, den etwas anderen Weg zu gehen, um überhaupt noch echte Statements für die Marke zu erzeugen.

Ein Zeichen setzt hier die ING-Diba mit Dirk Nowitzki, indem die übliche Bankenwerbung auf den Kopf gestellt wird. Nicht Business-Kompetenz, Leistung, Zahlen oder Top-Service werden präsentiert, sondern Dirk Nowitzki als etwas ungelenker Normalo, der in seiner Freizeit „Größe“ beweisen muss. So holt er hilfsbereit in einem Spielzeugladen dank seiner Größe aus dem obersten Regal ein Spielzeug herunter, das sich ein kleines Kind so sehr wünscht. Der Clou: Die Mutter des Kindes wollte es eigentlich ihrem Kind nicht kaufen und hat die ganze Zeit so getan, als wäre sie zu klein und käme nicht an das Spielzeug so hoch oben im Regal heran. Umso sparsamer schaut sie Nowitzki an, als der große Retter helfend herbeieilt. Aber: Für das Kind hat er die Sterne vom Himmel geholt. Und das ist das Wichtigste.

Abb. 10: Der Star als Normalo – Dirk Nowitzki macht sich im Spielzeugladen unfreiwillig zum Deppen

Nicht der herausragende Sportstar wird inszeniert, sondern Dirk Nowitzki in seiner ganzen alltags(un)tauglichen Menschlichkeit. Damit signalisiert die ING-Diba eine für Banken neue Nahbarkeit. Als Kunde braucht man sich nicht für kleine Ungelenkheiten zu rechtfertigen oder gar zu schämen, denn „große Leute“ haben sie ja auch, und am Ende werden Schwierigkeiten immer irgendwie gemeistert. Die Botschaft der Bank: Wir finden auch für ganz normale Kunden (und Situationen) gute Lösungen.

Wäre eine Polarisierung auch mit klassischen Stars möglich? Nehmen wir die Lichtgestalt Franz Beckenbauer als Beispiel, für den lange Zeit andere Gesetze zu gelten schienen. Ganz Großes wie der Gewinn von Weltmeisterschaften gelangen ihm als Spieler und Trainer mit unfassbarer Leichtigkeit. Selbst private Krisen, an denen andere zerbrechen, haben ihm offenbar nichts anhaben können. Franz Beckenbauer ist so zum „Kaiser“ geworden, mit göttergleichen Fähigkeiten, wie sie Helden in klassischen Mythen zugeschrieben werden. Und dennoch: In der Werbung ist er heute schwerer einsetzbar, weil von Stars erwartet wird, dass sie sich in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Von einem Kaiser, der scheinbar agiert, wie er will, ist das kaum zu erwarten. Richtig neue Erzählformate zu entwickeln, ist mit einem wie ihm nicht einfach. Nicht bloß glänzen und strahlen, sondern auch Schwächen zeigen, Privates teilen, Nähe vermitteln und Anfassbarkeit bieten – das passt nicht zu einem Kaiser. Franz Beckenbauer ist eben ein klassischer Promi-Gott und kein Meister der neuen „Pröffentlichkeit“.

7. Was lernen wir von den neuen Meistern der „Pröffentlichkeit“?

Celebrities sind die Hauptdarsteller von Paradigmen, die in einer Kultur zu einer bestimmten Zeit von Relevanz sind.

Das psychologische Profil, das Prominente, Stars, Celebrities auszeichnet, ändert sich mit der Zeit in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Fragestellungen und Rahmenbedingungen: Die gottgleichen Stars und Diven der Nachkriegszeit wurden von Rebellen wie Jimi Hendrix und Che Guevara abgelöst, auf die Madonna und David Bowie als coole Ego-Inszenierer folgten, die wiederum ersetzt wurden von den heutigen Celebrities, die als „Normalo“-Promis das Versprechen vorleben, jeder kann mit festem Glauben, Fleiß und etwas Glück berühmt werden.

Eine vertiefende Analyse dieser psychologischen Profile offenbart die Hintergründe der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung: In der Bewunderung der Stars der Nachkriegszeit ließen sich die Grenzen des eigenen Könnens überwinden und die eigenen Idealvorstellungen zugleich erhalten. Die nachfolgenden Rebellen repräsentierten Wünsche, den vermeintlichen Übermächten des Establishments in Django-Manier individuell etwas entgegenzusetzen. In der Werbung stellten entsprechend Marlboro-Cowboy und Camel-Man die gesellschaftlich etablierten Regeln in Frage. Aus der individuellen Rebellion heraus entwickelte sich dann ein neuer Egokult der Superstars, dem Naomi Campbell und Claudia Schiffer in der Werbung Ausdruck verliehen. Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft fand in diesen Egostars ihre Vorbilder.

Mit den neuen Meistern der „Pröffentlichkeit“ hat sich das psychologische Profil etabliert, dass eigentlich „jeder ein Held oder Star“ werden kann.

In den Vordergrund rücken Protagonisten, die sich ganz normal wie du und ich geben, aber im nächsten Moment die große Glamourwelt repräsentieren können. Gute Beispiele sind Taylor Swift und Justin Bieber – als Persiflage spielt diese Rolle Friedrich Liechtenstein in der Werbung. Der Egokult bleibt einerseits bestehen, wird aber zugleich gebrochen, indem er demokratisiert wird und für alle gilt.

Das Profil der „Normalo“-Prominenten lässt sich vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Entwicklung verstehen, die bei aller Sympathie für Individualität wieder mehr Gemeinschaftsgefühl einfordert.

Es führt zugleich dazu, dass die Anzahl der Menschen, die berühmt werden wollen, immer weiter ansteigt – insbesondere in jüngeren Altersgruppen. Ob auf YouTube, Instagram oder in Blogs – überall wird nach Followern gesucht und entwickeln sich neue Stars.

Celebrities sind die Protagonisten großer Zeitgeist-Paradigmen, denn sie repräsentieren die Wünsche ihrer Fans: Idealbildungen, Rebellionen, Kultentwicklungen oder auch Normalisierungen.

Dabei können ältere, jüngere und alternative Paradigmen durchaus eine Zeit lang nebeneinander existieren. Als Testimonials können sie auch Übergänge zwischen den Paradigmen mitgestalten: Symbolisch half Frau Sommer in der Jacobs-Krönung-Werbung mit ihrem Kaffee, eine sich immer mehr individualisierende Gemeinschaft zusammenzuhalten. Und Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer war ebenfalls für alle da – unabhängig von ihrem individuellen Hintergrund. Sie machten werbliche Angebote in einer Zeit, in der ein Teil der Gesellschaft für mehr Individualität rebellierte und der andere Teil sich weiter an den etablierten Idealen orientierte.

Eine besondere psychologische Funktion haben Celebrities im Zuge der Social-Media-Entwicklung entfaltet. Durch das Zusammenwachsen von privatem und öffentlichem Raum zur neuen „Pröffentlichkeit“ finden die Aktionen von Prominenten besondere Beachtung. Sie verbinden in ihrer Person nicht nur par excellence private und öffentliche Dimensionen, sondern werden zu eigenen Medien, deren Auswirkungen künftig noch stärker berücksichtigt werden müssen, insbesondere in der Mediaplanung.

Es ist davon auszugehen, dass diese neue „pröffentliche“ Funktionalität dazu führt, dass Celebrities künftig noch mehr gesellschaftliche Bedeutung entwickeln.

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9783962511050
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