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Das Problem mit dem Geld

Eske Bockelmann

Gibt es ein Problem mit dem Geld? Nun, wenn es ein solches Problem im Singular gäbe, dann könnte es nur heissen: Es gibt zu wenig davon. Geld fehlt an allen Ecken und Enden, endlos reihen sich die Probleme, die sich auf den einen Nenner bringen liessen: Es müsste Geld her, dann gäbe es sie nicht. Weil es an Geld mangelt, fehlt hier trinkbares Wasser und können dort Kinder zum Schuften gezwungen werden. Weil es an Geld mangelt, werden Theater geschlossen, wird die Belegschaft von Krankenhäusern ausgedünnt, müssen Lehrer vor übergrossen Klassen stehen, arbeiten sich entsprechend diejenigen, die für ihre Arbeit bezahlt werden, massenweise zuschanden und vergammeln zahllose andere ohne bezahlte Arbeit im ärmlichen Zuhause, müssen Tiere auf die grauenvollste Weise gehalten werden, auf dass sich auch finanziell ausgedünnte Menschen ihr Fleisch leisten können, muss das Klima für Naturkatastrophen angeheizt werden, weil es sich selbst die reichsten Staaten nicht leisten können, ihre Wirtschaft entsprechend zu drosseln, weil sie sonst von dem Geld, das doch ohnehin schon zu wenig ist, noch weniger bei sich entstehen sähen …

Von diesen Problemen gibt es offenbar unzählige. Zu lösen wären sie, so scheint es, immer nur durch Geld, durch mehr davon. Gibt es also die Probleme, weil es vom Geld zu wenig gibt? Um Himmels willen nein, denn Geld gibt es nicht nur genug, es gibt mehr als genug, es gibt viel zu viel davon! Natürlich niemals für den, dem es gerade fehlt, dem es für dies und jenes fehlt oder gleich insgesamt, um zu überleben oder jedenfalls ordentlich leben zu können. Für wen aber ist das Geld denn dann, so viel es heute gibt, zu viel? Für das Geld selbst: Das zeigen seine Krisen. Denn Geld, wie es heute weltweit in Kraft und Geltung ist, muss mehr werden, sonst gerät es in die Krise. Sicher, es mag auch Menschen geben, die nie genug bekommen können, und zwar nie genug Geld. Doch dass die «Wirtschaft» durch solche Menschen zum Wachstum gezwungen würde, ist ein Märchen. Das Geld, von dem Menschen heutzutage leben müssen, muss – in einer kapitalistischen Geldwirtschaft wie der heute gültigen – seinerseits erwirtschaftet werden, und zwar indem unter Aufwendung von Geld mehr Geld erwirtschaftet wird, als aufgewendet wurde. Sobald das nicht gelingt oder dieses Wachstum gesamtwirtschaftlich auch nur etwas zu gering ausfällt, bedeutet das Krise. Und zwar nicht deshalb, weil da gierige Menschen die Krise kriegen würden, sondern weil die Wirtschaft ganz objektiv ins Stocken gerät. Die Menge Geld, die jeweils aktuell auf diesem Globus umläuft und die nun schon seit Jahrhunderten immer grösser wird, muss immer noch grösser werden, und das heisst, sie braucht in einem entsprechend Jahr für Jahr weiter wachsenden Masse auch immer noch mehr Anlage- und Vermehrungsmöglichkeiten. Wenn die sich in der produzierenden Wirtschaft nicht mehr ausreichend bieten, müssen solche in der Finanzwirtschaft aushelfen – und sie tun dies sehr erfolgreich. Doch je erfolgreicher diese Geldvermehrung funktioniert, Geld also pflichtgemäss als Kapital funktioniert und zu mehr Geld wird, umso sicherer bereitet sich eben dieser Erfolg jeweils selbst die Schwierigkeit, irgendwann nicht mehr erfolgreich genug sein zu können: Es gibt zu viel Geld gemessen an zu wenig Gelegenheiten, dieses Geld weiter zu vermehren – Gewinne zu machen. Und so hagelt es eine Zeit lang Verluste.

An Geld also mangelt es nicht, wenn Geld allenthalben fehlt. Im Gegenteil: Allenthalben fehlt es, weil Geld da ist. Das Geld selbst macht die Probleme, die nur durch Geld zu lösen sind – oder sagen wir: zu lösen wären. Das viele Geld, es löst sie nicht, es setzt sie überhaupt erst in die Welt. Und das dank einer Einrichtung, die ihm die Macht dazu verleiht, ja, die das Geld als diese Macht inthronisiert: unsere Art der Wirtschaft. In der Marktwirtschaft wird bekanntlich alles über Geld geregelt, und das heisst, was Menschen hervorbringen und womit, wovon und wodurch sie leben, ist in der Hauptsache zu bezahlen, sie bekommen es gegen Geld und brauchen dafür Geld, da sie es nur noch gegen Geld bekommen. Das heisst nicht, dass jeder einzelne Handschlag, jeder Gedanke, jede Geste nur noch stattfindet, wenn da jemand für sie zahlt. Doch dass sie insgesamt stattfinden können, das setzt in jedem Fall voraus, dass da, für zahllose andere Dinge, Geld geflossen ist. Und in diesem Sinn ist in unserer Art von Wirtschaft sehr wohl alles abhängig gemacht vom Geld. Vom Gang des Geldes, von dessen Wohl und Wehe – auch wenn ihm selbst da gar nichts weder wohl noch wehe tut – hängt das der Menschen ab. Und das der Menschheit.

Da herrschen denn die Probleme in mächtigem Plural. Wovon die Menschen leben, Nahrung, Wasser, Wärme, Luft und all die schönen Dinge, es muss sich, vermittelt über Geld, auch ganz nach dessen Logik richten: nach der Logik einer Un-Substanz, die sich aber so ganz anders verhält als das, was den Dingen und den Menschen gut- und nottut. Nach dieser Logik werden in jedem Supermarkt unablässig Lebensmittel vernichtet und müssen sie vernichtet werden, nicht weil es nicht möglich wäre, sie denen zukommen zu lassen, die davon zu leben hätten, sondern weil es die Geldlogik erzwingt: weil es nämlich weniger Geld kostet – nicht etwa Kraft, Überlegung und guten Willen –, überlagerte Kisten Obst im Ganzen wegzuwerfen, als nur die verdorbenen Stücke auszulesen. Nach dieser Logik muss das, wovon wir leben, auch auf eine Weise produziert werden, die jederlei Vergiftung, jede Form der Verschwendung und alle nur erdenklichen Arten der Brutalität billigend in Kauf nimmt, und mehr noch, die sie gezielt in die Geld-Rechnung mit einbezieht. Nach eben dieser Logik steht alles, von den einzelnen Menschen bis hinauf zu ganzen Staatenblöcken, im Zeichen harter Konkurrenz – bis zum fernen Hindukusch.

Alles, wie und wovon Menschen leben, wird, da Geld zu seinem Zweck geworden ist, Mittel zum Zweck, das Mittel zu diesem Zweck. Und nicht nur alles, wovon die Menschen leben: auch die Menschen selbst. So wie die Obstkisten werden ganze Belegschaften ausgemustert, nicht weil sie zu nichts nütze wären, sondern weil das Unternehmen, das sie bezahlen müsste, zu wenig Geld abwirft oder weil es ohne sie mehr Geld abwirft. Das Leben der weitaus meisten Menschen hängt, da sie Geld verdienen müssen, davon ab, ob ihre Verwendung anderen – was einbringt? Geld. Inmitten überbordender Regale mit Dingen, die gar nicht massenhaft genug verkauft werden könnten, wenn es nach der Geldrechnung geht, müssen Menschen trotzdem grundsätzlich um ihr Auskommen bangen, weil nicht die Menge solcher Dinge ihr Auskommen sichert, sondern weil ihr Auskommen vorher ein Einkommen in Geld verlangt. Und so, in dieser Weise und nach diesem wenig anheimelnden Gesetz, hängen die Menschen real zusammen: Alles, was sie füreinander produzieren, produzieren sie nicht, um füreinander zu sorgen, sondern in Verfolgung dieses Zwecks; nicht weil sie als Gemeinschaft füreinander da wären, sondern – gezwungen durch das Geld, das jeder braucht – jeder für sich und in Konkurrenz mit allen anderen, also zugleich gegen sie. In dieser Gegnerschaft zu stehen zu all denen, von denen man zugleich leben, an denen man ja zugleich sein Geld verdienen muss: das ist der gesellschaftliche Zusammenhang, dem das Geld die Menschen unterwirft.

Jeder sieht sich darin, ob er will oder nicht, unter die Anforderung gestellt, anderen etwas einzubringen, jeder muss an sich selbst die Berechnung vollziehen, rentabel zu sein, und hat andere unter demselben Kalkül zu betrachten. Und diese Anforderung tritt jedem Einzelnen, der sich an ihr bewähren muss, nicht nur in Gestalt der anderen greif- und sichtbaren Menschen gegenüber, die entsprechend agieren und konkurrieren. Sondern sie tritt, weil sich auch an ihnen nur der über alles geworfene Zwang des Geldes durchsetzt, jedem unmittelbar als diese anonyme Vergesellschaftung gegenüber, als der abstrakte, fordernde und jeden nach ihrem Gesetz formende Zwang.

So wird die Welt dem Menschen – abstrakt – zur Umwelt; und um die, seitdem sie so genannt wird, muss man bangen. Der Mensch selber aber wird sich fremd. Ist das ein Problem? Nein, es sind unermesslich viele.

TALENTE Vorarlberg

Heinzpeter Znoj und Gernot Jochum-Müller

Das Projekt

TALENTE-Vorarlberg12 schafft Rahmen und Möglichkeiten für fairen Tausch von Waren und Dienstleistungen. Dazu wird das Talent verwendet, ein Zahlungsmittel ohne Zinsdruck, Inflation, Schuldenkrise und Spekulation. Ziel des Vereins ist eine sozial und ökologisch vertretbare Wirtschaft. Regionale Kreisläufe zwischen Privatpersonen, Organisationen und Unternehmen werden gefördert. Die Mitglieder entfalten ihre Talente und begegnen sich mit Respekt.

1996 ist TALENTE-Vorarlberg als klassischer Tauschverein gestartet. Für eine Stunde Leistung werden 100 Talente verrechnet. Daraus ergeben sich Kreisläufe. Viele Menschen leben ihre Talente heute mehr, als sie dies ohne den Verein tun könnten. Im Vergleich mit anderen Tauschsystemen fällt der Verein durch die Anzahl der Mitglieder und die jährlich getätigten Umsätze auf. An jedem Arbeitstag werden etwa 50 Tauschgeschäfte verbucht. Hinzu kommen viele Austauschhandlungen, die aufgrund des Vertrauens auf einen späteren Austausch nicht verbucht werden. Der Verein versucht die Bedürfnisse seiner Mitglieder ernst zu nehmen, indem er seine Aktivitäten den Mitgliederbedürfnissen entlang entwickelt. So wurden auch kleine Unternehmen eingebunden, als diese Interesse gezeigt haben und die Mitglieder bei ihnen einkaufen wollten. Organisiert werden Aktivitäten wie Treffen, Onlinebanking, monatliche Zeitung, zwei grosse Märkte im Jahr etc. von einem Team mit über 25 engagierten Personen. TALENTE sind das Geld des Vereins. Es wird dezentral, demokratisch und frei von Zinsen geschöpft. Alle können so viele Talente schöpfen, wie sie brauchen.

(Gernot Jochum-Müller)

Das Gespräch

Dornbirn, 19. Februar 2014

Heinzpeter Znoj und Gernot Jochum-Müller unterhalten sich über verschiedene Komplementär-Währungssysteme. Sie beleuchten zu Beginn die eurogedeckten Systeme und zeigen den Unterschied zu einem zeitbasierten System wie die TALENTE auf.

Eurogedeckte und zeitbasierte Währungen

Heinzpeter Znoj (HZ): Was ist eigentlich der Unterschied zwischen den Talenten und den eurogedeckten Systemen? Nicht nur die eurogedeckten Lokalwährungen, sondern auch die Talente sind ja durch einen Umrechnungskurs von 1 Stunde Arbeit = 100 Talente = 10 Euro an den Euro gebunden.

Gernot Jochum-Müller (GJ): Talente entstehen durch den Tausch von Leistungen. Man kann sie nicht gegen Euro kaufen. Wenn zwei Personen ein Talente-System beginnen, indem sie eine Stunde tauschen, dann ist der eine 100 Talente im Minus und der andere 100 Talente im Plus. Das ist, wenn man so will, ein dezentraler Geldschöpfungs-Akt. In diesem System werden Leistungen immer nach der Faustregel «100 Talente sind eine Stunde» getauscht.

Im Unterschied dazu kauft man in eurogedeckten Systemen die Lokalwährung mit Euros. Diese eurogedeckten Lokalwährungen haben die Aufgabe, den Euro für bestimmte Aufgaben und Ziele zu binden. In Langenegg beispielsweise war das ursprüngliche Ziel der Lokalwährung die Finanzierung des Dorfladens. Eurogedeckte Systeme taugen gut dazu, eine Kaufkraftbindung für bestimmte Ziele zu erreichen. Wenn man so will bekommt der Euro eine Masche bzw. eine Kennzeichnung.

Talente entstehen demgegenüber ohne Beteiligung von Euros. In einem Talente-System können auch Personen mitmachen, die zu wenig Euros haben, um sie in eine eurogedeckte Lokalwährung zu investieren, die aber Zeit haben und Leistungen einbringen können. So kommen sie zu Talenten.

Ein weiterer grosser Unterschied besteht darin, dass eurogedeckte Systeme immer nur in dem Ausmass genutzt werden können, wie Euros zu ihrer Deckung vorhanden sind, während Talente aus einer regionalen Geldschöpfung entstehen und weitgehend an die Region ihres Ursprungs gebunden sind.

HZ: Aber auch die eurogedeckten Systeme versuchen ja, die Kaufkraft in der Region zu halten: Die VTaler, Klostertaler oder die Langenegger Talente tragen den Lokalbezug in ihrem Namen. Verwirrenderweise heisst die eurogedeckte Währung in Langenegg auch noch «Talente» …

GJ: Das erzeugt tatsächlich leichte Verwirrung.

HZ: Also, man kauft mit Euros eine dieser lokalen Talerwährungen und kann damit nur in der entsprechenden Region bezahlen. Die Taler sind ein Versuch, die Euros in der Region zu halten, indem man sie unter den Leuten, die sich dazu verpflichtet haben, sie anzunehmen, in lokalisierter Form zirkulieren lässt.

GJ: Genau.

HZ: Man wird also mit dem Erwerb lokaler Taler Mitglied einer Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gegenseitig verpflichtet haben, diese Währung wie Euros in Zahlung zu nehmen.

GJ: Es gibt zwei unterschiedliche Mitgliedschaften in solchen Systemen. Die einen Mitglieder verpflichten sich, monatlich für eine gewisse Summe Euros Lokalwährung zu kaufen. Die anderen, etwa Unternehmen und Vereine, verpflichten sich, die Lokalwährung an Zahlung zu nehmen.

HZ: Aber nicht jeder Langenegger oder Klostertaler wird die dortige Lokalwährung auch benützen. Es gibt keine Zwangsmitgliedschaft wie beim gesetzlichen Zahlungsmittel Euro.

GJ: Ja, die Mitgliedschaft bei diesen Lokalwährungs-Systemen ist vollkommen freiwillig. Jeder der Teilnehmer unterschreibt eine Vereinbarung, dass er auf freiwilliger Basis mitmacht. In beiden Systemen, bei den Talenten wie auch bei den eurogedeckten Lokalwährungen, gibt es keinerlei Zwang mitzumachen.

HZ: Aber sobald man sich zu einer Lokalwährung verpflichtet hat, muss man konsequent mitmachen – also je nach Vereinbarung beispielsweise jeden Monat für eine gewisse Summe Euros Klostertaler kaufen. Es handelt sich um eine starke Verpflichtung für Mitglieder, die diese Verpflichtung aber freiwillig eingegangen sind.

GJ: Ja, genau. Hinzu kommen Mitläufer, die die lokale Währung zwar benützen, aber selber steuern wollen, in welcher Situation sie diese annehmen oder nicht. Sie sind auch nicht bereit, beispielsweise eine jährliche Gebühr an das Währungssystem zu bezahlen. Aber inoffiziell wissen die Benützer der Lokalwährung, dass man in deren Betrieben die Lokalwährungs-Scheine ausgeben kann.

HZ: Das finde ich interessant: Es gibt gewissermassen zwei Stufen der Mitgliedschaft zur Lokalwährung – einen harten Kern, der sich verpflichtet, und Mitläufer, die den VTaler aus verschiedenen Gründen annehmen, beispielsweise weil ein Geschäft in VTalern besser ist als kein Geschäft in Euros.

GJ: Diese losen Mitglieder verzichten aber auf das Recht, die eurogedeckte Lokalwährung wieder in Euro umtauschen zu können. Dieses Recht ist den Mitgliedern vorbehalten. Aber sie wissen meist, wo sie sie ausgeben können – sie kennen das Netzwerk.

HZ: Sie haben nur ein leicht erhöhtes Risiko, das mit der ungedeckten Annahme der Lokalwährung verbunden ist, und sie tragen das Risiko nicht, das mit der Verpflichtung zum periodischen Kauf der Lokalwährung einhergeht.

GJ: Ja.

HZ: Für alle ist jedoch das Vertrauen der Teilnehmer ins System die Voraussetzung, dass es funktioniert.

GJ: Das wichtigste Motiv, das wir letztes Jahr bei der Befragung der Betriebe in Erfahrung gebracht haben, ist das Image, ein regional ausgerichteter Betrieb zu sein. Das zweitwichtigste ist die Idee, neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden zu binden.

HZ: Kann man sagen, dass die Verwender der Lokalwährung gewissermassen eine lokale wirtschaftliche Solidargemeinschaft sind?

GJ: Ja, genau. Das System lebt von der Verbindlichkeit. Letztes Jahr haben wir das System der VTaler auf eine Jahresgebühr umgestellt. Sie bewegt sich für Betriebe zwischen 100 und 600 Euro und finanziert verschiedene Werbemassnahmen. Die Kunden bezahlen keine Gebühr. Mit der Umstellung haben wir etwa die Hälfte der Betriebe verloren. Der Grund für die Umstellung waren Klagen von Kunden: «Der Betrieb wird von euch beworben, aber wenn man dort steht, sagt der Besitzer: Gib mir lieber Euro.» Mit der Einführung der Jahresgebühr sind jetzt nur noch Betriebe dabei, die von der Idee überzeugt sind, sich einbringen möchten und vom Imagenutzen profitieren wollen.

HZ: Das heisst, die Trittbrettfahrer sind durch die Einführung der Jahresgebühr ein Stück weit vergrämt worden.

GJ: Ja, genau.

HZ: Es entsteht nun eine abgeschlossenere Gemeinschaft, die mit dieser Währung bezahlt, wobei man sich aber darauf verlassen kann, dass diese tatsächlich in Zahlung genommen wird. Gibt es bei diesen Lokalwährungssystemen ein Problem mit der Verbindlichkeit?

GJ: Ja, das ist ein sehr grosser Punkt. Man ist als Systembetreiber verantwortlich dafür, diese Verbindlichkeit einzufordern und herzustellen. In dem Zusammenhang hat mir letztes Jahr eine Studie zur Frage, was Solidarität in einer Gemeinschaft langfristig aufrechterhält, geholfen. Verblüffenderweise waren es Sanktionen gegenüber denen, die sich nicht solidarisch verhalten. Dieser Punkt ist auch bei der Einführung der Jahresgebühr eingetreten. Wir führten zuvor eine Befragung zu verschiedenen Modellen durch, um herauszufinden, was tragfähig ist und was nicht. Wir erhielten von jenen, die jetzt weiter mitmachen, sehr viel Zuspruch für den Vorschlag, jene abzustrafen, die eh nicht ordentlich mitgemacht haben im System. Jene, die das System mittragen, wollten also unter sich sein – die Trittbrettfahrer sollten ausgeschlossen werden.

HZ: Die Lokalwährung kann als eine Institution angesehen werden, die aufgebaut wird, um gemeinsame Werte zu schützen. Und das geht nur, wenn der Kreis der Mitglieder klar definiert ist.

GJ: Ja – man muss klar definieren, wer dabei ist und welche Verpflichtungen die Mitglieder übernehmen. Denn es zeigt sich immer wieder in solchen Alternativwährungssystemen, dass der Idealismus nur am Anfang trägt. Nach einer gewissen Zeit muss für die Mitglieder ein operativ erlebbarer Nutzen erkennbar sein. Das heisst, die Mitglieder müssen in der Lage sein, mit diesen Währungen Bedürfnisse zu befriedigen.

HZ: Müssen sie also im Alltag wie normales Geld verwendbar sein?

GJ: Ein Stück weit, ja. Es ist von allen akzeptiert, dass man damit nicht spekulieren und sparen kann. Aber ich muss meine Grundbedürfnisse decken können. Ich muss es ausgeben, nicht nur annehmen können.

HZ: Kann man also sagen, dass Benützer von Lokalwährungen auf einen theoretischen Zinsgewinn verzichten, aber am praktischen kollektiven Nutzen in Form des Engagements der Mitglieder für die lokale Wirtschaft teilhaben?

GJ: Ja, genau. Wobei ich aber nicht von einem Verzicht sprechen würde. In der Befragung erwähnen die Betriebe nie einen solchen Verzicht, sondern immer den Nutzen, über die Lokalwährung neue Kunden zu gewinnen und sich mit anderen Betrieben zu vernetzen.

HZ: Müsste man realistischerweise nicht auch sagen, dass die Kunden darauf verzichten, für die gleiche Kaufkraft in einem billigen Supermarkt mehr einzukaufen? Ist nicht in jeder Transaktion mit Lokalwährung ein aktives Engagement, wenn nicht eine Subvention, für die lokale Wirtschaft enthalten?

GJ: Im Gegensatz zu klassischen Gutscheinsystemen, wie sie Innenstädte herausgeben, kann der Kunde, der mit Lokalwährung bezahlt, aber erwarten, dass der Betrieb normalerweise dafür auch wieder lokal einkauft. Gutscheine dagegen werden von den Geschäften nach einmaliger Transaktion auf der Bank wieder in Euro zurückgetauscht. Gutscheine erzeugen also im Gegensatz zu Lokalwährungen keine lokale Wertschöpfungskette.

Volkswirtschaftliche Ziele eurogedeckter Lokalwährungen

HZ: Kann man Lokalwährungen als politisches Projekt ansehen, die lokale Wirtschaft ein Stück weit von der Globalisierung abzukoppeln?

GJ: So weit würde ich nicht gehen. Ein wesentlicher Effekt der Lokalwährungen besteht in der Bewusstseinsbildung für das Wirtschaften in der Region und das Potenzial der Region. Die Lokalwährungen werden auch von Leuten getragen, die davon überzeugt sind, dass nur Regionen mit einer starken lokalen Wirtschaft im globalen Kontext nachhaltig erfolgreich sind. Wir haben hier in Vorarlberg viele kleine Betriebe, die in ihrer Branche aber globale Spieler sind und die darauf angewiesen sind, dass qualifizierte Personen nach Vorarlberg ziehen. Wenn die dörfliche Struktur und die regionale Wirtschaft nicht funktionieren, verlieren sie ihre Attraktivität als Wohn- und Lebensraum für die Mitarbeiter global agierender lokaler Firmen. Einen Anreiz, hierher zu ziehen, bilden auch die touristischen Möglichkeiten, die hohe Kultur, das gastronomische Angebot, die gut funktionierende Infrastruktur. All das, was die Region als Lebensraum attraktiv macht, ist abhängig von einem funktionierenden lokalen Handel.

HZ: Kann man insofern sogar sagen, dass die Lokalwährungen dazu beitragen, die Region für die globalisierte Wirtschaft fit zu halten?

GJ: Ja.

HZ: Wirklich notwendig sind Lokalwährungen dafür aber wohl nicht. Können diese regionalpolitischen Ziele nicht auch konventionell mit Euros als Zahlungsmittel erreicht werden, wenn sich Kunden und Betriebe bewusst für die lokale Wirtschaft einsetzen?

GJ: Mit einer lokalen Komplementärwährung müssen die Leute aber einander mehr Vertrauen schenken, dass sie sich tatsächlich für die lokale Wirtschaft einsetzen, wie das die Betriebe in ihren Broschüren von sich sagen. Mit dem Bezahlen in Lokalwährung kann ich ihr Handeln direkt beeinflussen. Die Macht, eine lokale Transaktion zu erzwingen, die im Gutscheinsystem allein beim Betrieb liegt, geht ein Stück weit an den Kunden zurück.

HZ: Im Grunde genommen leuchten die Vorteile eines solchen Systems für die lokale Wirtschaft unmittelbar ein. Dennoch machen nicht alle Betriebe mit, die könnten. Was gibt den Ausschlag für oder gegen das Mitmachen? Ist es die Freude am Experiment? Sind es ideologische Gründe dafür oder dagegen?

Motive für die Teilnahme

GJ: Ein Grossteil jener, die mitmachen, ist davon überzeugt, dass es mit dem konventionellen Geldsystem so nicht weitergehen kann. Sie sind dem herrschenden Wirtschaftssystem gegenüber kritisch eingestellt. Ein weiterer Teil macht aus Imagegründen mit oder wegen der Kundenbindung – weil ich als Bäcker weiss: Wenn der Bäcker im Nachbardorf nicht dabei ist, kommen die Mitglieder sicher zu mir.

HZ: Es gibt also unterschiedliche Motivationen, bei Lokalwährungen mitzumachen, und unterschiedliche weltanschauliche Deutungen davon, was sie bewirken. Handelt es sich um ideologisch offene Systeme?

GJ: Ja – das zeigt sich für mich an der parteipolitischen Orientierung der Akteure. Es gibt für stark nach links orientierte Akteure gute Gründe, mitzumachen, aber auch für relativ stark nach rechts orientierte Akteure. Das ist an sich schon ein interessantes Phänomen.

HZ: Gibt es politische Orientierungen, die bei den Mitgliedern nicht oder schwach repräsentiert sind?

GJ: Wenn man das ganze politische Spektrum betrachtet, so finden sich quasi Idealtypen. Die Bürgerlich-Konservativen finden die Lokalwährungen meistens gut, weil sie darin den Grundsatz der Subsidiarität verwirklicht sehen: Jeder macht, was er selber am besten kann. Die Sozialdemokraten beurteilen die Lokalwährungen kritisch, weil sie der Meinung sind, dass die Probleme, die damit gelöst werden sollen, eigentlich eine Aufgabe des Staates sind. Bei den Liberalen trifft man wieder auf zwei Gruppen – die eine, die sagt: «Natürlich muss der Geldmarkt liberalisiert werden und wir brauchen verschiedene Formen von Geld.» Und die andere Gruppe, die sagt: «Das Geldsystem muss global funktionieren und ganz auf die Wirtschaft ausgerichtet sein – es darf nicht der Marktbeeinflussung dienen.»

HZ: Vor diesem Hintergrund kann ich mir jetzt gut vorstellen, weshalb eurogedeckte Lokalwährungssysteme von der Wirtschaft und von Lokalpolitikern ernst genommen werden können. Welche Erfahrungen machst du konkret mit diesen Akteuren?

GJ: Wir machen sehr unterschiedliche Erfahrungen. Ich beginne mit einer ganz schwierigen. Für die Region Walsertal haben wir in Abstimmung mit dem dortigen Regionalmanagement in einer Arbeitsgruppe mit vielen Akteuren den Walsertaler kreiert. Bei der Einführung standen wir vor der Situation, dass von den sechs Bürgermeistern der beteiligten Gemeinden drei dafür und drei dagegen waren. Das erzeugte im Walsertal insgesamt eine Stimmung, die ein Wachstum des Systems verhinderte. Um überhaupt Akzeptanz zu erzeugen, mussten wir auf Teilnahmegebühren verzichten. Das reduzierte die Verbindlichkeit und machte es auch unmöglich, für die Mitglieder Dienstleistungen zu erbringen. Der Walsertaler wurde letztlich auf ein reines Gutscheinsystem reduziert.

Eine andere, weniger schwierige Erfahrung haben wir mit den VTalern gemacht, bei denen wir letztes Jahr die Jahresgebühr für Betriebe eingeführt haben. Das System beginnt jetzt langsam zu wachsen. Die Gemeinschaft ist wegen der Jahresgebühr kleiner, aber viel stärker geworden. Die Identifikation mit dem System ist unter den Mitgliedern gestiegen. Das zieht neue Kunden an, die sagen, das gefällt mir. Wir verkaufen jetzt VTaler-Scheine in der Summe von 100’000.– bis 150’000.–Euro im Jahr. Sie zirkulieren vier bis fünf Mal, bevor sie wieder in Euro umgetauscht werden.

HZ: Das heisst, die VTaler erzeugen Umsätze von etwa einer halben Million Euro im Jahr.

GJ: Das dürfte in etwa hinkommen.

Dann haben wir zwei Systeme, die extrem gut funktionieren. Das ist zum einen die Gemeinde Langenegg im Bregenzerwald – quasi unser Urmodell. In Langenegg beziehen 20% der Haushalte regelmässig Talente gegen Euros und die Gemeinde bezahlt alle Förderungen in Langenegger Talenten aus. Auf diese Weise bringen wir in dieser Gemeinde von 1100 Einwohnern jedes Jahr Talente im Umfang von 160’000 bis 170’000 Euro in Umlauf, die nachweislich vier Mal im Jahr zirkulieren. Die Talente wurden ursprünglich eingeführt, um in diesem kleinen Dorf den Dorfladen zu unterstützen, und sind jetzt für eine Wertschöpfung von weit über 600’000 Euro im Jahr verantwortlich. Das lässt sich konkret in Arbeitsplätze umrechnen.

Dieses Modell können wir in der Gemeinde Neukirchen in Oberösterreich seit Juni 2013 erfolgreich replizieren. In dieser Gemeinde von 2500 Einwohnern sind nach sieben Monaten bereits die ersten 100’000 Euro in Umlauf gebracht worden. Wir werden nach einem Jahr bereits 10% aller Haushalte erreicht haben. Ein wichtiger Effekt ist auch, dass zwei Betriebe, die daran waren abzuwandern, in Folge der Impulse, die durch die Lokalwährung erzeugt wurden, nun entschieden haben, doch zu bleiben.

HZ: Ein grosser Erfolg also.

GJ: Im Gegensatz zu Langenegg, wo die Gemeinde das System trägt, hat es in Neukirchen eine Gruppe von Betrieben übernommen, das System über Gebühren zu finanzieren. Die Gemeinde engagiert sich zwar auch in Neukirchen sehr, trägt aber keine finanzielle Last. Die Betriebe entwickeln nun Initiativen, um ihre Qualitäten zu präsentieren. Eine dieser Initiativen ist ein «Reparaturcafé», in dem technisch versierte Mitarbeiter an einem Samstag Vormittag zur Verfügung stehen, damit die Bevölkerung sich von ihnen gratis technische Geräte reparieren lassen kann.

HZ: Diese unentgeltliche Leistung hat jetzt aber nichts mit der Bezahlung in Lokalwährung zu tun …

GJ: Diese Erfahrung machen wir sowohl in eurogedeckten Lokalwährungen als auch in stundengedeckten Talente-Systemen immer wieder: Dort, wo durch diese Systeme lokale Beziehungen und Vertrauen wieder stärker ausgeprägt sind, nimmt die Bedeutung der Bezahlung und Verrechnung von Leistungen in vielen Fällen ab. Natürlich muss ein Betrieb Leistungen verrechnen, die er betrieblich erbringt, aber er kann wie im Neukirchener Reparaturcafé auch mal ausserbetrieblich Mitarbeiter für eine Aufgabe zur Verfügung stellen, die eigentlich allen zugute kommt.

HZ: Auf diese Weise muss in einer solchen Gemeinde ein deutlicher Stimmungswandel zustande kommen.

GJ: Ja. Wenn ich mit der Projektleitung und dem Bürgermeister über das Projekt rede – das zaubert ein Lächeln ins Gesicht.

HZ: Du hast gesagt, dass in Neukirchen inzwischen 10% der Leute mitmachen, in Langenegg 20% – gibt es ein soziologisches Profil dieser Mitglieder: Wer macht eher mit, wer nicht? Frauen, Männer, Ältere, Jüngere?

GJ: Das haben wir so genau noch nicht erfasst. Klar ist, dass es Personen mit einem Zugang zum Thema sind, die sich ohnehin für das Dorf engagieren. In Langenegg ergibt sich ein Teil der Mitgliedschaft daraus, dass die Gemeinde alle Förderungen an die Vereine und Haushalte in Talenten ausbezahlt und dadurch 85% aller Bewohner mit den Talenten in Berührung gekommen sind. Das führt zu sehr vielen Gesprächen über das System.

HZ: Wirkt die Gemeinde somit als Multiplikator für das System, weil sie mit allen Leuten im Dorf zu tun hat?

GJ: Ja, genau.

HZ: In dem Sinn ist es also wichtig, dass die politische Gemeinde mitmacht. Können Gewerbe und Vereine das System überhaupt tragen, wenn die Gemeinde aussen vor bleibt?

GJ: Wenn das System von den politischen Behörden mitgetragen wird, ist damit in einer typischen Vorbereitungszeit von zwei Jahren ein intensiver Dialog mit den Bürgern verbunden. Das führt dann von Anfang an zu einer starken Mitgliedschaft. Als Alternative lässt man ein System ohne aktive Unterstützung der politischen Behörden von klein auf langsam wachsen, wie das mit den VTalern gemacht wird.

HZ: Kann man also zusammenfassend sagen, dass die eurogedeckten Systeme dort, wo sie eingeführt wurden, einen relativ breiten Zuspruch erfahren?

Talente/Zeittauschsysteme

GJ: Eurogedeckte Systeme sind leichter darzustellen als Zeittauschsysteme. In der Diskussion werden die eurogedeckten Systeme oft mit klassischen Einkaufsgutscheinen verglichen, welche die Betriebe schon kennen. Sie sind deshalb leichter nachvollziehbar, auch wenn sie nicht nur vom Kunden eine Verhaltensänderung erzwingen (wie bei den Gutscheinen), sondern auch vom Betrieb selbst.

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