Читать книгу: «Kleines Bernstein», страница 3

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7. Milch

Gondas hatte die Wagen schon wieder mit allerlei wertvollen Gütern vollgeladen: an vorderster Stelle Bernstein, große Brocken und kleinere, unbearbeitet, dazu, soviel davon Platz fanden, von den nach dem Winter wieder guten Pelzen – er schickte sich an, nach Carnuntum zu reisen, vielleicht sogar bis nach Aquileia, das würde er später entscheiden.

Gondas rief erneut die stärksten Männer der benachbarten Stämme desselben Namens, desselben Blutes im Heiligen Hain zusammen, vollgesogen mit den Prophezeiungen der Ahnen und alter Furcht. Ein abgelegener Ort, niemand störte sie hier, und die Götter waren hier besonders nahe. Natürlich würde es mehr Gewinn abwerfen, die Waren nach Aquileia zu bringen, dort kann man den Bernstein direkt an die Handwerker verkaufen, die ihn später bearbeiten. In Carnuntum bekamen sie erheblich weniger dafür, die römischen Zwischenhändler wollten ja auch etwas verdienen. Sie hatten schon einmal Bernstein nach Aquileia gebracht und waren dafür so reich belohnt worden, dass die Achsen ihrer Wagen auf der Rückreise fast gebrochen wären, sie hatten nicht nur Geld und Glasgeschirr mitgebracht, sondern auch Kupfer, Zinn und Zink, das reichte den örtlichen Meistern für Jahre, so viele Messingarmreife, Broschen, Anhänger und anderen Schmuck konnten sie daraus fertigen, mehr als es Leute gab, die Frauen und Männer schmückten sich jeden Tag mit etwas anderem.

Für Selija hatten die Meister damals ein wunderschönes Brustband gefertigt, wie sie es nur in anderen Ländern hatten kennenlernen können, aber auch von sich noch vieles hinzugefügt, sie verstanden nicht weniger von ihrem Handwerk: An den Seiten je zwei Nadeln mit einem runden, perforierten Kopf, eine für die linke, die andere für die rechte Brustseite. An den Köpfen je ein Anhänger befestigt, halbkreisförmig, ebenfalls mit einem hübschen Lochmuster. Auf der flachen Seite je fünf Kügelchen, von denen lange Ketten aus kleineren Kügelchen ausgingen, fünf an der Zahl, von unterschiedlicher Länge, die die ganze Brust bedeckten. Selija trug das Brustband, wenn sie guter Stimmung war oder auch, um zu zeigen, wer im Stamm das Sagen hatte.

Selija stand hinter einem Baum und horchte. Sie wusste, dass sie das nicht durfte, na und? Eine andere Frau mitbringen, das durfte man ja auch nicht, aber wer hörte schon auf sie? Wie sehr sie sich auch immer zu beruhigen versuchte, sie bekam eine Gänsehaut. Die Bäume rauschten irgendwie zornig, und dann war da noch diese Eule, ›U-huuu‹, wie verhext. Warum konnte sie nicht einfach still sein? Sie machte ihr Angst und störte sie beim Zuhören. Und auch die Männer wurden leiser, sie redeten weiter, aber halblaut, sodass Selija kaum noch etwas verstehen konnte.

Es werde immer schlimmer, sagte Gondas, die Germanen witterten die Händler: die Lugier, die Burgunden, die Markomannen, die Quaden – alle warteten nur darauf, die Wagen zu überfallen und die Männer zu erdolchen oder gefangen zu nehmen und den Bernstein für sich zu behalten, als hätten sie ihn selbst eingesammelt. Die Markomannen und die Quaden drangen ins Römische Reich ein, zogen mit ihren Kriegern bis nach Aquileia. Auf dem Weg dorthin traf man jetzt schon nicht mehr nur auf germanische Räuberbanden, sondern auch auf ganze, gut bewaffnete Armeen, den Bernstein und den Proviant, den sie immer mit sich führten, wollten alle. Von so einer Reise konnte man nicht nur ohne Reichtümer, sondern auch gar nicht mehr zurückkehren. Sie sollten sich besser nach Osten wenden, meinte Gondas, über die Berge ziehen, das dauere länger, mindestens fünfzig Tage in eine Richtung, aber so sei nun einmal das Leben, es lasse uns eben oft keine Wahl.

Verhandelt, abgemacht, die Trinkhörner standen bereit, mit Met gefüllt, um die Vereinbarungen zu bekräftigen.

Selija weinte, das hatte ihr gerade noch gefehlt, den Mann zu verlieren, Bentis war noch zu klein, Getier schlich um ihre Beine, im Wald funkelten die Augen der wilden Tiere, Selija rannte, so schnell die Beine sie trugen, nach Hause, völlig außer Atem.

Am Morgen kehrte Gondas müde, aber ruhig zurück – nach der Entscheidung war ihm leichter ums Herz –, er sagte Selija nur, in ein paar Tagen werde er sich mit den besten Männern auf den Weg machen. Selija weinte, bat ihn, nirgendwohin mehr zu gehen, sie hätten auch so schon genug, sogar mehr als genug.

»Was wäre ich für ein Anführer, wenn mich nicht nach mehr dürstete?«, fragte Gondas, und damit war alles entschieden.

Damit auch Selija zu wollen lernte, ließ sie Gondas zu den Wagen gehen, die die Soldaten selbst für alle Fälle abwechselnd bewachten, und sich nach Belieben zu bedienen. Gondas hatte Recht, er war nicht umsonst der Anführer, ohne Grips wird man nicht zum Besten. Zuerst nahm Selija ein paar von den allergrößten Stücken zur Hand: »Aber die kannst du dir nicht um den Hals hängen, und zum Zerteilen sind sie zu schade«, meinte Gondas. Worum es Gondas schade war, darum war auch ihr schade. So gebot es die Pflicht der Ehefrau.

›Vielleicht sollte ich ja, wenn Gondas weg ist, wieder bei der Alten mit den Wolfsbissen an einem Bein vorbeischauen, vielleicht würde sie ja etwas für Glesum zusammenbrauen, damit alles ruhig und schmerzlos vorbei wäre?‹ Später, jetzt war der Bernstein an der Reihe.

Und dann sah Selija das, was sie brauchte. Ein kleines Stück Bernstein, weiß wie Milch, auf dem Wagenboden, gut, dass sie tiefer gegraben hatte. Selija drückte ihn fest in ihrer Hand, den Tropfen, so voller Leben, die allerliebste Milch, am Rand entlang ein feiner Streifen, rot wie geronnenes Blut. Selija würde zu Handwerksmeistern gehen, sich nicht bei ihnen anstellen, das musste sie nicht, die anderen mussten warten, sie würde zu ihnen gehen und sie bitten, einen Anhänger für sie zu fertigen, mit feinen Ketten, damit sie ihn immer um den Hals tragen konnte als Zeichen – sollen die Menschen und Götter nur sehen, wer hier das Sagen hat.

II.
BETA URSAE MINORIS
oder
KOCHAB
IM KLEINEN BÄREN

Kochab (arabisch: al kaukab »Stern«) ist ein orangeroter Riese von etwas geringerer Helligkeit als der Polarstern. Der zweithellste Stern im Kleinen Bären belegt den 49. Platz auf der Helligkeitsskala der Sterne und war im ersten Jahrhundert dem nördlichen Himmelspol am nächsten. Bis heute bleibt unklar, welchen Stern im Kleinen Bären die alten Balten als Polarstern ansahen: Alpha (den heutigen Polarstern) oder Beta (Kochab). Für andere Völker wie die alten Araber war Kochab der Polarstern. Er leuchtet 450-mal heller als die Sonne und ist 42-mal größer als sie. Seine Entfernung zur Erde beträgt etwa 130 Lichtjahre. Sein Alter wird auf etwa 2,95 Milliarden Jahre geschätzt.

8. Nebel

Einige Wochen nach dem Fest der Frauen kam für die Männer die Zeit, in der Krieger und Händler nicht auf Reisen waren, sie blieben zu Hause, weil Jünglinge ihres Stammes das Alter erreicht hatten, in dem sie zu Kriegerfürsten werden sollten, und das Fest ihrer Initiation anstand. In diesem Jahr war die Reihe an Bentis, dem Sohn des obersten Stammesführers, deshalb bereiteten sich alle auf eine besonders feierliche Zeremonie vor, säuberten den Heiligen Hain, schnitten das Gras und lichteten den Jungwald, luden die Stammesführer ein, um zu schauen, was für eine Feier das würde, mit was für Reichtümern und Macht.

Auch die Frauen gingen hin und beobachteten, wie ihre Söhne zu Männern wurden, denn dazu waren sie von Geburt an bestimmt gewesen.

An jenem Morgen putzte sich Selija noch viel schöner als sonst heraus, hängte sich so viel Schmuck um, wie nur Platz war; die Sonne schien wohltuend, sie wusste, was für ein Tag heute war, also zeigte sie sich nicht störrisch und versteckte sich nicht hinter den Wolken.

Sie musste Bentis bereitmachen, Gondas hatte es schon angeordnet, die Männer warteten. Aber nichts lief nach Plan, die merkwürdigsten Dinge geschahen. Bentis saß auf seinem Bett und weigerte sich, es zu verlassen, die Augen standen hervor, die Pupillen waren geweitet, er sprach bald mit sich selbst, bald mit wer weiß wem, mit Wesen, die kein anderer sah, den Lebenden gab er keine Antwort, als wären sie gar nicht da. Er rupfte und zupfte an seinen Kleidern, als wären sie voller Pferdehaar, doch das waren sie nicht. Manchmal schrie er, als wäre er außer sich, rief laut, dass Käfer über die Wände krabbelten, doch wo sollten die in einer so sauberen Hütte herkommen? Alle sahen sich um, versuchten die nicht vorhandenen Uferfeuchtkäfer, Schnellkäfer und Waldmaikäfer totzuschlagen, aber was hätten sie denn totschlagen sollen, wenn da nichts war?!

Alle waren so mit der Käfersuche beschäftigt, dass sie gar nicht sahen, wie Bentis sich auszog, nackt über die Felder lief und dabei wer weiß was herumschrie, während seine leicht angeschwollene Männlichkeit, die er nicht nur nicht verbarg, sondern ganz offen zur Schau stellte, hin und her baumelte. Das war schon für einen einfachen Mann eine unerhörte Schamlosigkeit, ganz zu schweigen vom Sohn des Anführers. Gondas schickte gleich mehrere seiner Männer aus, um ihn einzufangen, sie wurden Bentis schon nach kurzer Zeit habhaft, fesselten ihn mit Stricken und bedeckten ihn ein wenig, auch wenn der sich nach Kräften wehrte, sich schreiend hin und her wand und sogar zu beißen versuchte. Sie schleppten ihn nach Hause, schlossen ihn ein, verbarrikadierten die Tür, einige der Männer blieben als Wache zurück.

Fast drei Tage brachte Bentis in diesem Wahn zu, erst dann schlief er ein. Wer nichts gesehen hatte, schwieg, und wer es gesehen hatte, machte den Mund nicht auf, denn Gondas war gut, aber wenn er in Wut geriet, konnte er einen eigenhändig mit dem Speer durchbohren, bevor man auch nur einen Mucks von sich gab, da kannte er kein Erbarmen.

Die Gäste gingen auseinander, beluden ihre Wagen mit Gondas’ Geschenken, schlugen sich die Bäuche voll und zechten, ohne sich groß zu wundern, Soldaten bekamen ja noch ganz anderes zu Gesicht. Der Sohn des Anführers, na und? Beim Sterben sind alle gleich.

»Gib ihm Wasser«, hieß die Alte mit den Wolfsbissen am Bein Selija.

Selija gab ihm immer mehr Wasser und hörte nicht auf damit, bis Bentis wirklich zur Ruhe kam und dann genas, danach war er wieder ganz der Alte.

9. Regen

Als sie sich um Bentis keine Sorgen mehr machen musste, bemerkte Selija, dass mit ihr selbst etwas nicht stimmte. Sie war schwanger. Vielleicht hatte sie ja zu wenig vom Gebräu der Alten getrunken, oder er hatte nicht gewirkt, oder vielleicht hatte die verfluchte Hexe ihn auch zu schwach zubereitet. Selija war schwanger, also musste sie es noch einmal versuchen.

Selija griff zum Tongefäß mit dem Tollkirschensud, den sie aus Vorsicht zur Seite gestellt hatte, jetzt würde sie ihn ganz austrinken, wer weiß, was dann kam, vielleicht würde sie vom Wahn heimgesucht über die Felder rennen, laut schreien und um sich schlagen, den Regen herbeirufen, was sonst hätte die Kraft, alles auszuwaschen, bis man sie einfing, fesselte und einsperrte, doch vielleicht wäre sie ja dann losgeworden, was sie nicht wollte.

Der Krug war leer. Bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken, so hatte es Selija es gewollt. Aber warum hatte das, was für das eine Kind bestimmt war, ein anderes getrunken?

10. Tränen

Ich bin gar nicht Glesum, mein Name ist Blindė. Ich wurde in einen anderen Stamm hineingeboren, der auch zu den Ästiern gehört, aber das weiß hier niemand und das ist gut so. Ich schweige, sage zu keinem ein Wort, damit niemand merkt, wie ähnlich einander unsere Sprachen sind. Wir wohnen noch weiter weg vom Meer, das weiß ich, denn auch unsere Männer fahren zuweilen an die Küste für Bernstein, aber nicht so oft wie Gondas – wir wohnen weiter weg, es ist nicht einfach für uns, die Küste zu erreichen und den anderen Händlern zuvorzukommen. Wir leben nicht schlecht, auch ohne Bernstein, bauen Weizen an und haben Vieh, dazu Bienen, die uns Honig und Wachs gaben, die tauschen wir gegen römisches Geld und andere Reichtümer ein, die die Bernsteinhändler von dort mitbringen, wir haben von allem genug, sogar mehr als genug.

So hätte ich denn dieses wunderbare Leben gern weitergeführt, aber ich war hässlich, sah anders aus als die anderen, braunes Haar, braune Augen, niemand wollte ein solches Mädchen, alle schubsten mich herum, aber Essen bekam ich, über zu viel Arbeit konnte ich auch nicht klagen, ich musste nur Eicheln einsammeln für die Schweine, in härteren Wintern auch für die Menschen, das war’s schon. Aber mein Name war scheußlich, man sagte, da sei eine Frau gewesen, sehr fruchtbar, sie habe aus jedem beliebigen Körperteil gebären können, sogar aus den Beinen und Armen, und so habe sie die Göttermutter aus Wut in eine Salweide verwandelt, in unserer Sprache Blindė, grün, aber unfruchtbar. Man sagte, wer so hässlich wie ich sei, brauche keine Kinder, die Abscheulichkeit müsse mit mir enden, aber was wusste ich Kind denn schon?

Ich hätte immer so weitergelebt, vielleicht nicht ganz so wunderbar, doch als ich im Wald umherstreifte und nach Eicheln oder wer weiß was Ausschau hielt, ich weiß selbst nicht mehr, wonach, vergaß ich mich völlig, es regnete Bindfäden, da spürte ich plötzlich, dass mich jemand an den Haaren packte, ich schrie laut: »Na und, schrei doch, so viel du willst, wer wird schon auf so eine Vogelscheuche hören, da rein, in den Wagen und fertig.«

Es waren mehrere Wagen, eine ganze Kolonne, ich fuhr zum ersten Mal irgendwohin, wer sollte mich auch herumkutschieren, der Wagen war aus Holz, er holperte so, dass ich mich übergab, bis man mich so mit Fäusten und Füßen bearbeitete, dass ich mich beruhigte. Die anderen Wagen waren vollbeladen mit Sachen und blickfest zugedeckt, nur in einige ganz hinten – wie kleine Häuschen mit Gittern – hatte man ebenso unglückselige Schmutzfinken wie mich gepfercht, nur hübschere. Die meisten davon Frauen und Kinder, die konnten sie leichter einfangen, unterwegs kamen Männer hinzu, die die Wagen anzugreifen versuchten, die wurden eingefangen, gefesselt und landeten bei uns.

Wir fuhren lange durch die Gegend, die Sonne ging auf, die Sonne ging unter, Tag für Tag, die Sprache der Menschen wechselte immer wieder, man gab uns ein wenig zu essen und zu trinken, wir durften abwechselnd auf dem Wagenboden schlafen, der Wagen ratterte und holperte, bis wir vergaßen, wer wir waren und wo wir herkamen.

Als die Straßen langsam besser wurden, fest und aus Stein, erreichten wir das Land der Krieger und Händler, man hieß uns aussteigen, wir stanken, waren voller Schmutz, man musterte uns von oben bis unten, befahl uns zu schweigen und uns um Kreis zu drehen; dann tauschte ein dickbäuchiger Mann mit einem glänzenden Ring am Finger mich gegen Geld ein, mich und noch ein paar hübschere Frauen, ich weiß gar nicht, warum er mich, so hässlich und klein, zusammen mit ihnen nahm.

Die Fahrt ging weiter, diesmal dauerte sie nicht ganz so lange, wir gelangten in eine riesige Stadt (später sagte man mir, sie heiße Aquileia, doch damals war mir das egal, Hölle ist Hölle, wie immer du sie auch nennen magst), eine, wie ich sie mir nicht einmal im Traum vorgestellt hätte. Man ließ mich an einer Mauer frei, vor einem Tor – weißes zweistöckiges Haus, rotes Dach, das Wasser schoss in Strahlen empor und fiel in große Becken hernieder, nicht nur auf dem Hof, sondern auch in den Gemächern, auf den Innenhöfen spazierten Vögel, große mit farbigen Schwanzfedern herum; dazu kamen die allerschönsten Bäume, Sträucher und Blumenbeete, hübsch zu allen möglichen Figuren zurechtgeschnitten, die Wände im Inneren mit Bildern von Mensch und Natur bemalt; dazu andere Bildnisse aus Stein, wie echt, ein Großteil des Daches fehlte, da war ein Loch, durch das so viel Sonnenlicht hereinstrahlte, dass alles im Inneren funkelte, während der Himmel sich überall im Wasser spiegelte. Ein buntes Farbenspiel wie im wundersamsten Traum – Mosaike an den Wänden und am Boden, farbenfrohe Stoffe – und auch die Stühle ganz weich, die Betten mit unzähligen weichen Stützen.

Ich war hin und weg, konnte keinen Schritt mehr gehen, man musste mich mit Gewalt von dort wegzerren. Ich erlangte meine Fassung wieder, gewöhnte mich an alles, wenn niemand es sah, weinte ich noch, ganz leise, um nicht aufzufallen, ich hatte doch ein paradiesisches Leben. Meine Arbeit bestand darin, der Dame des Hauses die Kleider bereitzulegen und ihr beim Anziehen zu helfen. Das war es auch schon. Meine Herrin besaß von allem im Überfluss, ganze Zimmer waren vollgestellt und -gehängt, der Schmuck fast ausnahmslos aus Gold, in separaten Kästchen verstaut. Sie pflegte sich schön zu machen und für den ganzen restlichen Tag zu verschwinden, vergnügte sich mit Frauen und Männern, war frei, so sehr es ihr Herz begehrte, hatte vom Vater ein Vermögen geerbt und gab es nach eigenem Gutdünken aus, ihr Mann konnte nur zusehen und schweigen.

Ich half ihr beim Anziehen der Tunika, immer aus Seide, leuchtende Farben und bestickt, mit zwei Gürteln, die ich ihr umband, einen um die Taille, den anderen unter der Brust hindurch, um ihre Figur stärker zu betonen. Zuvor band ich ihr noch ein Stoffband eng um die Brust, das ihre Brüste in Form brachte und anhob. Dazu Schuhe, Goldschmuck, das Haar wickelte ich mit einer glühend heißen Zange zu Locken, dann ging meine Herrin. Bei ihrer Rückkehr war sie fröhlich und nicht selten beschwipst vom Wein, dann zog ich sie aus, das war’s, tagsüber hatte ich frei.

Ich dachte mir allen möglichen Schabernack aus – probierte die Kleider der Herrin an, versuchte die Pfauen einzufangen, plantschte insgeheim in den Schwimmbecken; die Bilder, Skulpturen und Wandbehänge habe ich bis heute vor Augen, so oft und so lange bestaunte ich sie. Wenn ich von allem genug hatte, ging ich zur Tür meines Herrn und horchte, der alte Kaufmann hatte stets Gäste, die Getreide und Flachs aus Ägypten, Saphire aus Taprobane, Seide aus China oder ästischen Bernstein zum Verkauf hierherbrachten. Diese Länder klangen in meinen Ohren wie Zaubersprüche, aber ich wusste damals schon, dass es auf der Welt eine Vielzahl davon gibt, und ich gab mir Mühe, sie mir zu merken, für den Fall, dass ich einmal dorthin gelangte.

Besonders mochte ich in die Thermen, auch dort half ich meiner Herrin beim Aus- und Ankleiden. Ich warf den Kopf in den Nacken und schaute lange zur Decke, die allerschönsten Zeichnungen, nur so hoch oben, dass man sie kaum sehen konnte, Säulen und ein Marmorboden, seht nur, da rutscht ein Tollpatsch aus und fällt hin, denn rundum ist nichts anderes als Dampf. Meine Herrin trug dort nur einen Lendenschurz und die Brüste stützende Stoffbänder, während ich die Tunika anbehielt – mich hat noch niemand nackt gesehen, so hässlich, wie ich bin. Obwohl, hier in Aquileia sah ich gar nicht so hässlich aus, hier lebten alle möglichen Menschen, schwarze und noch schwärzere, sogar ihre Haut war schwarz, und schneeweiße wie zu Hause, sogar solche wie ich. Aber wem oft genug gesagt wird, er sei hässlich, der ist es auch, der wird nicht schön, nur weil er am anderen Ende der Welt gelandet ist.

11. Blut

Nackt hatte mich auch mein Herr nicht gesehen. Julianus, er sah nicht sehr oft vorbei, immer erst bei Einbruch der Dämmerung, wenn meine Herrin sich wer weiß wo herumtrieb und noch nicht von dort zurückgekehrt war. Er warf mich aufs Bett, beim ersten Mal begriff ich gar nicht, was jetzt kommen würde, er knetete mich nur, Blut, immer mehr Blut, ich dachte schon, das würde nie mehr aufhören; der Herr wand sich, das Tier, soll er doch verrecken, später hörte ich auf zu denken, lag mit geballten Fäusten da, weinte lautlos und ohne Tränen, biss mir die Lippen wund, jedes Mal, das hörte nicht auf, wie sehr ich mich auch immer an die ganze Abscheulichkeit gewöhnt hatte.

Doch eines Tages, gegen Abend, ich sah mich nach meiner Herrin um, sie konnte nach Hause kommen, sie hatte mich wie immer geheißen, sie an der Tür abzuholen, ich schlurfte herum und wartete, ließ Kieselsteine durch die Luft fliegen, neckte die Hunde – jemand packte mich an den Haaren, schon wieder an diesen verfluchten Locken, nicht umsonst hasste ich sie so sehr, packte mich und hob mich auf einen Wagen. Ich schrie nicht, ich hatte mir schon vor langer Zeit abgewöhnt zu schreien, um Hilfe zu bitten oder zu beten, ich wusste, es würde so kommen, wie es kommen musste, nichts zu machen, nichts zu erflehen, du musst nehmen, was du bekommst. »Du wirst meine Glesum sein«, sagte er, was soll’s, ich bin schon ganz anderes gewesen.

Dieser Mann, Gondas, brachte mich wieder in einem Wagen weg, ohne Gitter, wie einen Menschen, wie seine ermatteten Krieger, die längste Zeit wusste ich nicht, wohin, vielleicht ja nach Hause, ihre Sprache ähnelte der unseren sehr, und sie sahen auch aus wie unsere Männer mit ihren Wildschweinamuletten auf der Brust. Ich schwieg, als hätte man mir den Mund gestopft; es ist stets besser zu schweigen, bis man weiß, was auf einen zukommt, und es kommt, wie es kommt, meist schlecht, also schwieg ich. Der Wagen rüttelte und schüttelte wieder, Holzräder, aber wenigstens lagen auf dem Boden ein wenig Stroh und Pelze. Wir fuhren erneut sehr lange, die Sonne ging auf und unter, immer wieder, er fütterte mich wie eine Prinzessin, rührte mich selbst nicht an, die Krieger hielten überhaupt großen Abstand. Als ich völlig durchgerüttelt war und mich ausgekotzt hatte vor lauter Schaukeln, erlaubte man mir auszusteigen. Ich fühlte mich wirklich wie zu Hause – die Bäume und Häuser und Menschen wie bei uns, sie sahen mich nur böse an, als wäre ich freiwillig hier, als wäre ich zu Besuch, wo mich niemand wollte, alle sahen in mir so etwas wie ein Scheusal, ein von der Göttermutter gesandtes Ungemach. Nur Gondas nicht, obwohl er dem Alter nach hätte mein Vater sein können, noch schön und stark, ich sah, dass er gut zu mir wäre.

Er kam zu mir, als er mir ein Haus gebaut hatte, ziemlich weit weg von den anderen, nur für mich, und obwohl auch er ein Tier war, hatte sein Blick einen anderen Ausdruck, irgendwie sanft, und auch die Hände waren sanft, er gab sich Mühe, mich nicht zu verletzen. Er fand mich nicht hässlich, streichelte immer wieder mein Haar und sagte: »Du bist meine Glesum.« Schon gut, ich werde sein, was du willst, habe ich denn eine Wahl?

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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192 стр. 4 иллюстрации
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9783963115936
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