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Teil I Außenansicht der Menschheitskrise

1. An der Schwelle zu einem neuen Zeitalter

Das Zeitalter der Digitalisierung hat begonnen – so lautet das Mantra der Industrie, der Wirtschaft und Politik, das uns täglich entgegentönt. «Digitalisierung» ist zum Leitbegriff unserer Epoche geworden. Viele wissen zwar gar nicht, was er genau beinhaltet, doch meint man sicher zu wissen, dass in ihm der Schlüssel für die Zukunft der Menschheit liege. Nicht anders als die Industrielle Revolution, die vor mehr als 200 Jahren die moderne Industriegesellschaft heraufführte, werde jetzt die Digitale Revolution eine umwälzende Veränderung des gesamten Lebens auf der Erde bewirken, so die allgemeine Erwartung.

In der Tat: Atemberaubend schnell sind in den letzten Jahrzehnten auf der Grundlage der Digitaltechnik elektronische Geräte und Systeme erfunden worden, die für unsere Großeltern noch jenseits des Vorstellbaren gewesen wären. Die Entwicklung schreitet derartig rasant voran, dass mit Recht von einem tiefgreifenden Wandel gesprochen wird, dessen Dimensionen gewaltig sein werden. Jedoch ist dieser Wandel – wie jeder große Umbruch in der Menschheitsgeschichte – nicht nur von Hoffnungen getragen, sondern auch von Ängsten begleitet. Begeisterung und Euphorie paaren sich zunehmend mit Furcht und Sorge. Paradoxerweise aber wirken im Falle der Digitaltechnik Angst und Sorge bisher nicht hemmend auf den Fortschritt, sondern sind selbst zu Triebfedern der Entwicklung geworden. Dieser überraschende Befund ergibt sich bereits bei einem Blick auf die Anfänge.

Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA die Computertechnik zu etablieren begann, waren Forscher und Wissenschaftler fasziniert von den Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz elektronisch gesteuerter Rechner eröffneten. Gefördert von der ARPA, einer Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums, verbanden sie ab 1969 die Großcomputer mehrerer US-Universitäten zu einem Netz, das unter dem Akronym ARPANET bekannt wurde. Dahinter stand zunächst nur der Wunsch der Wissenschaftler, die Ressourcen dieser Rechner durch einen landesweiten Datenaustausch besser zu nutzen. Die US Air Force indes verfolgte damit noch ein ganz anderes Interesse, das sich nicht aus der Begeisterung für die neue Technik speiste, sondern aus der Angst vor einer drohenden militärischen Gefahr, die sich abzuzeichnen begann:

Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten befanden sich zu jener Zeit im Kalten Krieg mit der Sowjetunion und ihren Vasallen und bangten nach dem Sputnik-Schock von 1957 sowohl um ihre globale technische und wirtschaftliche Überlegenheit wie auch um ihre nationale Sicherheit. Dass die Sowjets als Erste über eine Rakete verfügten, mit der man Satelliten in den Weltraum befördern konnte, bedeutete, dass sie künftig auch in der Lage sein würden, atomar bestückte Raketen auf das Gebiet der USA zu richten. Hätte man dort das militärische Computernetz zentral strukturiert, hätte ein Raketentreffer es möglicherweise auf einen Schlag vernichten können, mit verheerenden Folgen für die gesamte Kriegsführung der USA. Deshalb setzte die US Air Force auf die dezentrale Struktur, die ihr Forscher Paul Baran bereits zu Beginn der 1960er-Jahre zum Schutz gegen einen vernichtenden Atomschlag vorgeschlagen hatte, und eben dadurch wurde das ARPANET unbeabsichtigt zum Vorläufer des heutigen Internets.

Schon bald aber entdeckte der US-Geheimdienst NSA (National Security Agency), dass die viel größere Gefahr in den Computern selbst lauerte, weil sie statt von außen auch von innen attackiert und zerstört werden konnten: Daniel J. Edwards, ein NSA-Mitarbeiter, stellte 1972 eine Studie vor, der zufolge es trotz oder gerade wegen der Dezentralisierung möglich sei, in den bestehenden elektronischen Datenverkehr ein feindliches Computerprogramm einzuschleusen, das sich hinter einem unverfänglich erscheinenden Dokument verbirgt, beim Herunterladen nicht bemerkt wird und sich sofort in die befallene Festplatte einnistet, um von dort aus je nach Absicht des Absenders wirksam zu werden.

Das war anfangs eine rein theoretische Überlegung, doch mit ihr war eine Idee geboren, die bald darauf weltweit zu einer realen Bedrohung wurde. Sie bereitet bis heute allen Benutzern digitaler Geräte Sorge, denn wer sein Gerät mit dem Netz verbindet, muss damit rechnen, dass er sich ungewollt ein Schadprogramm einfängt, das schrittweise oder auch schlagartig die Herrschaft über seinen Computer übernimmt, indem es heimlich Daten abfängt, Passwörter ausspioniert, Programme manipuliert oder den Zugang zu allen Dateien blockiert und sie im schlimmsten Falle sogar zerstört. Diese Gefahr wiederum führte einerseits zur Entwicklung ständig aktualisierter Antivirenprogramme, die den Computer schützen sollen, und andererseits bei Kriminellen zur Entwicklung immer neuer Schadprogramme zur Überwindung ebenjener Abwehr. Ein nicht endender Wettlauf entstand, wie der zwischen Igel und Hase im Märchen.

Doch zurück zu Edwards: Auf der Suche nach einem einprägsamen Titel für seine Studie besann er sich auf den griechischen Mythos von der Stadt Troja, die nicht auf reguläre Weise durch eine militärische Niederlage unterging, sondern durch das sorglose Hereinholen eines hölzernen Pferdes in die Stadt, in dem feindliche Soldaten versteckt waren. Nach diesem Vorbild taufte er das unbemerkt in den Computer gelangte Schadprogramm auf den Namen «Trojanisches Pferd» (meist abgekürzt «Trojaner» genannt).

Vorzeichen eines welthistorischen Umschwungs in der Antike

Das mythische Bild, das Edwards da in die Computerwelt einführte, hat in unserer Zeit eine unvorhergesehene Aktualität gewonnen, die weit über das Problem der Schadprogramme hinausgeht. Das Trojanische Pferd kann heute als Allegorie gelten für eine umfassende Gefährdung und Herausforderung der Menschheit, die Thema dieses Buches sein wird, zu Edwards’ Zeit aber noch nicht gegeben war. Für ihn handelte es sich lediglich um eine Metapher, die er als vermutlich humanistisch gebildeter Mensch aus Homers Epos Ilias entnahm. Blickt man jedoch auf unsere gegenwärtige Situation, dann lohnt es sich, die fragliche Passage der Ilias genauer anzuschauen, denn in ihr steckt zugleich eine Botschaft, die uns auf die Spur zu den geistesgeschichtlichen Wurzeln des Computerzeitalters führen kann.

Homer erzählt, wie die vereinten Heere der Griechen zehn Jahre lang vergeblich versuchten, die an der kleinasiatischen Küste gelegene Stadt Troja zu erobern. Nach zahllosen verlustreichen Kämpfen griffen sie schließlich auf den Rat des Odysseus zu einer List: Sie zogen eines Abends im Schutz der Dunkelheit geräuschlos ab und hinterließen auf dem geräumten Strand ein riesiges, aus Holz gefertigtes Pferd, in dem Krieger versteckt waren. Die Trojaner sahen am nächsten Morgen mit Erstaunen die leere Ebene vor ihrer Stadt und betrachteten das Pferd als ein Geschenk der Götter. Ungeachtet der dringenden Warnung der Seherin Kassandra zogen sie es triumphierend in die Stadt und feierten dort ihren «Sieg». Spät in der Nacht kletterten die versteckten Griechen heraus, öffneten die Stadttore und ließen die Heere herein, die inzwischen zurückgekehrt waren und nun mühelos alles niedermachten.

Eigentlich durften sich die Trojaner zu Recht als Sieger empfinden, denn der Angriff der Griechen war objektiv gescheitert. Doch wiegten sie sich in Sicherheit und waren von der Gunst ihrer Götter so fest überzeugt, dass sie das vermeintliche Siegeszeichen, in dem die tödliche Gefahr lauerte, gar nicht untersuchten. Selbst die Warnung einer Wahrsagerin von untadeligem Ruf vermochte nicht ihr Vertrauen zu erschüttern. Arglos wie Kinder rechneten sie nicht mit einer so hinterhältigen Kriegstaktik. Wir Heutigen haben kein Recht, darüber zu spotten, denn das sorglose Nichtbeachten einer lebensbedrohenden Gefahr ist auch der modernen Menschheit nicht fremd, wie später zu besprechen sein wird.

Ob und inwieweit Homers Epen Ilias und Odyssee auf Wirklichkeit oder auf Fiktion beruhten, war unter den Fachgelehrten schon im Altertum heiß umstritten und ist es bis heute. Hinsichtlich der Erzählung vom Trojanischen Pferd jedoch ist der Gelehrtenstreit müßig; er geht am Kern der Sache vorbei. Denn ob Mythos oder nicht – Homers Darstellung greift statt in die Vergangenheit in die Zukunft: Wie ein Wetterleuchten am Horizont kündigt sich in der Gestalt des «listenreichen Odysseus», der das raffinierte Täuschungsmanöver mit dem Pferd ersann, das Heraufkommen eines künftigen Zeitalters an, zu dessen hervorstechenden Merkmalen das allgemeine Erwachen der Verstandeskräfte gehörte – ein Ereignis von ungeheurer Tragweite bis in die Gegenwart.

In Homers Epen steht der Held Odysseus unter dem Schutz der Göttin Athena, von der es hieß, sie sei direkt aus dem Haupt des Zeus geboren worden – ein symbolischer Hinweis auf die starke Gedankenkraft, die von ihr ausging. Entsprechend war Odysseus im Altertum für seine Klugheit und Redegewandtheit berühmt; mit seinem erfindungsreichen Verstand wusste er jeder Schwierigkeit zu begegnen und jedes Abenteuer zu bestehen. Mochten seine Listen moralisch mitunter auch angreifbar sein, wirkungsvoll waren sie immer.

Dieser souveräne, selbstbewusste Umgang mit den Möglichkeiten des verstandesmäßigen Denkens entfaltete sich in der etwa 500 v. Chr. einsetzenden griechischen Klassik in vielfältigen Facetten: Da agierten auf der einen Seite die wandernden Sophisten, die ihr Wissen und ihr ausgefeiltes rhetorisches und argumentatives Können zu Geld zu machen wussten. Ihnen gegenüber standen wahrheitssuchende Denker wie Sokrates, Platon und Aristoteles, die zu den Vätern der abendländischen Philosophie wurden. Selbst das einfache Volk in Athen diskutierte öffentlich über Politik und trieb – ein unerhörtes Novum – die Erprobung einer echten Volksherrschaft (Demokratie) voran. Gleichzeitig kam es zu einer Blüte der Wissenschaften, die das Fundament der abendländischen Bildung legte, und nicht zuletzt zu großartigen Werken der Dichtkunst, Architektur und bildenden Künste. Die durch Jahrtausende gepflegte Verehrung der Götter endete zwar noch nicht, doch machte sich auch im Volk mehr und mehr die Kraft des eigenen Denkens geltend. Diese umfassende Kulturströmung wirkte durch Alexander den Großen ostwärts bis weit nach Asien hinein und westwärts durch das Römerreich, zu dem Griechenland seit 146 v. Chr. politisch gehörte, in das gesamte Abendland.

Das Rätsel der Sphinx

Es wäre ein großes Missverständnis, wollte man aus den Errungenschaften der griechischen Kultur den Schluss ziehen, in der vorgriechischen Zeit habe es kein wirkliches Denken gegeben. Es gab es durchaus und sogar in reichem Maße. Jedoch hatte es einen gänzlich anderen Charakter als dasjenige Denken, das wir seit der griechisch-römischen Kulturepoche gewohnt sind. Und das hatte seinen guten Grund: Solange die Menschen noch über ein gewisses Maß an hellseherischen Fähigkeiten verfügten, beschränkte sich ihre Wahrnehmung der Welt nicht auf das rein Physisch-Materielle, wie es später der Regelfall wurde, sondern hinter dem Sinnlich-Äußeren nahmen sie (wenn auch in abnehmender Deutlichkeit) noch übersinnliche Kräfte und Wesenheiten der geistigen Welt wahr. Sie erlebten also in der Natur zwei Wirklichkeiten ineinandergewoben. Davon künden die kulturellen Zeugnisse aller alten Kulturen. Solche Erfahrungen aber konnte man nicht anders zum Ausdruck bringen als in Bildern (Imaginationen), deren Elemente zwar der Sinneswelt entnommen waren, sich aber auf eine übersinnliche Realität bezogen und insofern nicht im materiellen Sinne «wörtlich» zu nehmen waren. Ein solcherart bildhaftes, imaginatives Denken und Sprechen wird heute – oft herablassend oder sogar abwertend – als «mythisch» bezeichnet.

Mit dem zunehmenden Verblassen der übersinnlichen Wahrnehmung und dem Heraufkommen der nur noch äußerlich mit Götterverehrung verbundenen «Verstandesseelen-Kultur», wie Rudolf Steiner sie nennt, verlor das mythische Denken seine Berechtigung und musste sich grundlegend verändern. Das erwies sich, wie nicht anders zu erwarten, als äußerst schwierig. Und doch war der Wandel unabweisbar notwendig, um dem eigenständigen Denken zum Durchbruch zu verhelfen, mit dem der Mensch in Freiheit sich selbst bestimmen kann.

Den frühen Griechen war die Schwierigkeit des Übergangs bewusst. Sie brachten sie, wie es dem alten imaginativen Bewusstsein entsprach, in ein mythisches Bild, das Bild vom «Rätsel der Sphinx». Die schon aus der ägyptischen Kultur bekannte Gestalt der Sphinx wurde in der bildenden Kunst als ein verderbenbringendes Ungeheuer dargestellt, das auf einem geflügelten Löwenkörper mit Schlangenschwanz den Kopf einer Frau trug. Dieses Untier, so erzählt die antike Ödipus-Sage, versperrte den einzigen Zugangsweg zu der Stadt Theben und stellte jedem, der an ihr vorbeiwollte, ein Rätsel. Konnte er es nicht lösen, wurde er erwürgt und gefressen. Tausende fielen der Sphinx zum Opfer, bis endlich Ödipus des Weges kam und das Rätsel löste, woraufhin das Ungeheuer seine Macht verlor und sich selbst in den Abgrund stürzte. Theben war befreit. Wie aber lautete das Rätsel?

Was ist das?

Morgens geht es auf vier Beinen, mittags auf zwei und abends auf drei.

Und es ist am schwächsten, wenn es die meisten Beine hat.

Auf den ersten Blick erscheint der Spruch simpel: Jeder kann sofort erkennen, dass es sich um ein Lebewesen mit Beinen handelt. Verglichen aber mit der Alltagserfahrung ergibt sich kein stimmiges Gesamtbild. Verwirrende Widersprüche und Ungereimtheiten fallen auf: Lebewesen, die im Laufe ihres Lebens verschieden viele Beine haben, gibt es nirgends. Ferner ist der korrekten Abfolge von Morgen, Mittag und Abend die falsche Zahlenfolge 4 – 2 – 3 zugeordnet. Und wie soll es angehen, dass die wenigste Kraft hat, wer die meisten Beine hat?

Heutzutage wundern sich schon elfjährige Kinder darüber, dass die Thebaner ein «so einfaches Rätsel» nicht lösen konnten. Es sei doch ganz klar, sagen sie, dass damit der Mensch gemeint sei, der als Baby auf allen vieren krabbelt, als Erwachsener auf zwei Beinen geht und am Lebensabend den Stock als drittes Bein zu Hilfe nimmt, und natürlich sei er als Baby am schwächsten. Sie ahnen nicht, was es vor drei Jahrtausenden für eine Überwindung kostete, von der anschaubaren Wirklichkeit eines Säuglings, eines Erwachsenen und eines Greisen völlig abzusehen und die drei Erfahrungen gedanklich auf ein einziges Merkmal zu reduzieren, nämlich auf die Anzahl der Beine. Aus dem Umgang mit lebensvollen Bildern aus der Sinneswirklichkeit wurde ein bildloses Operieren mit nackten Begriffen. Die Philosophie nennt diesen Vorgang Abstraktion (von lateinisch abstrahere = wegziehen, entfernen, trennen).

Das Rätsel der Sphinx ist also als ein Signum zu verstehen für die große Aufgabe, die der Menschheit im anbrechenden Zeitalter der Verstandeskräfte gestellt war. Um ihr gerecht zu werden, musste der Schritt vom imaginativen zum abstrakten Denken vollzogen werden. Das war die Forderung, die die Sphinx als Wächter an der Schwelle zu der neuen Zeit mit Macht erhob, und nur dem, der sich wenigstens anfänglich darin geübt hatte, gab sie den Weg in die Zukunft frei. Alle anderen waren dem Untergang geweiht.

Die Ausbildung des neuzeitlichen Denkens

In Griechenland entwickelt und von den Römern weitergeführt, verbreitete sich das bildlos-abstrakte Denken über die Welt. Gefordert waren jetzt Denkanstrengungen, die sich klar abgrenzen von der Gewohnheit, die Sinneseindrücke unreflektiert auf sich wirken zu lassen und sich mit dem zu begnügen, was sie spontan im eigenen Inneren anregen. Solange die äußere Welt noch atavistisch als geistdurchdrungen und seelisch belebt erfahren wurde, war eine solche Haltung berechtigt. Doch diese Zeit war vorüber, und wenn jetzt keine besonderen Anstrengungen unternommen wurden, konnte die seelische Resonanz auf Sinneserfahrungen nur noch in der Form auftreten, in der wir sie bis heute kennen: als ein kaum entwirrbares Gemenge assoziativ sich ergebender Vorstellungen und Empfindungen, die ziellos hierhin und dorthin schweifen und sich im Nu vom Ausgangspunkt entfernen.

Die geforderte strenge Schulung bestand folglich darin, einen Gedanken vorsätzlich zu fassen und ihn kontrolliert Schritt für Schritt weiter zu entwickeln, unabhängig sowohl von äußeren Reizen wie auch von seelischen Regungen. Nur so konnte das Ziel erreicht werden, Herr über sein Denken zu werden.

Indem sie sich darin schulten, gelangten die führenden Philosophen zu einer epochalen Entdeckung: Jedes exakt geführte Denken stößt auf unverrückbare Gesetzmäßigkeiten der Logik, die nicht aus der Willkür des eigenen Subjekts stammen, sondern sich objektiv aus dem Denken selbst ergeben und folglich für alle Menschen gelten. Die Wissenschaft, die daraus entstand, wurde von Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) begründet. Seine Schriften zur Logik wurden wegweisend für die folgenden Jahrhunderte.

In der lateinisch sprechenden Gelehrtenwelt des Hochmittelalters griffen die Scholastiker seine Ergebnisse auf und entwickelten sie weiter, indem sie systematisch daran arbeiteten, gedankliche Schlüsse nach allen Seiten gegen Missbrauch und Fehlschlüsse so abzusichern, dass man das Ergebnis als «wahr» und der Wirklichkeit entsprechend ansehen konnte. Ihre Bemühungen gipfelten in dem erfolgreichen Versuch, gültige Regeln für jede wissenschaftliche Beweisführung zu entwickeln. Wikipedia führt das folgendermaßen aus:

«Bei dieser Methode handelt es sich um ein von den logischen Schriften des Aristoteles ausgehendes Verfahren zur Klärung von Fragen mittels theoretischer Erwägungen, ausgehend von Prämissen (‹Voraussetzung, Annahme›). Dabei wird eine Behauptung untersucht, beispielsweise Die Erde ist eine Scheibe, indem zuerst die für und die gegen sie sprechenden Argumente nacheinander dargelegt werden und dann eine Entscheidung über ihre Richtigkeit getroffen und begründet wird. Behauptungen werden widerlegt, indem sie entweder als unlogisch oder als Ergebnis einer begrifflichen Unklarheit erwiesen werden oder indem gezeigt wird, dass sie mit evidenten oder bereits bewiesenen Tatsachen unvereinbar sind.»

Diese methodisch streng kontrollierte Führung der Gedanken wurde zum Vorbild für alle wissenschaftlichen Disziplinen unserer Zeit, besonders für die am Beginn der Neuzeit einsetzende moderne Naturwissenschaft. Sie stützte sich bewusst auf die abgesicherten Methoden der Scholastik, wendete sie aber nicht mehr auf theologische Themen an wie im Mittelalter, sondern auf die Phänomene der Natur, deren Erforschung damals mit Macht einsetzte.

Denkstrukturen, geronnen im Computer

Es blieb nicht dabei, dass die scholastische Methode zum Paradigma ernst zu nehmender Wissenschaft wurde; nach ihrem Muster formte sich auch die in der westlichen Welt vorherrschende Art des Denkens, die allgemein als diskursiv bezeichnet wird. Man versteht darunter ein methodisches Vorgehen, das von Vorstellung zu Vorstellung, von Begriff zu Begriff logischgesetzmäßig voranschreitet und dadurch zu Schlussfolgerungen gelangt, mit denen sich z.B. eine Auffassung oder eine Theorie begründen lässt.

Gedankengänge in Sprache und Text diskursiv zu entwickeln ist im Laufe der Zeit so selbstverständlich geworden, dass eine wichtige Eigenart, die damit verknüpft ist, kaum mehr auffällt: Bei jedem Schritt der Darlegung prüft der Zuhörer oder Leser unwillkürlich: Ist die Aussage richtig oder falsch? Ist sie logisch einwandfrei? Entspricht sie den bekannten Tatsachen? Zustimmung oder Ablehnung ist gefragt, Ja oder Nein. Sinnvolle weitere Schritte können sich erst anschließen, wenn die Frage beantwortet ist. Am deutlichsten zeigt sich das in der Mathematik, die nach jeder Rechenoperation prüft: Ist das Ergebnis richtig oder falsch? Kein Weg führt dort an einer eindeutigen Festlegung vorbei, denn das Ergebnis kann nur richtig oder falsch sein, eine andere Alternative gibt es nicht.

Nicht auf allen Forschungsfeldern ist die Entscheidung so eindeutig zu treffen. Die streng mathematisch orientierte Naturwissenschaft allerdings hat es mit dieser Methode weit gebracht; sie ist zur beherrschenden Wissenschaft der Neuzeit aufgestiegen. Im 20. Jahrhundert war es eines ihrer Anliegen, die schon in der Antike und dann wieder ab der Renaissance verfolgte Idee einer mechanischen Rechenmaschine neu aufzugreifen und ein Gerät zu entwickeln, mit dem die logischen Strukturen des diskursiven Denkens technisch nachgeahmt werden können. Das Projekt begann in den 1930er-Jahren und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem triumphalen Erfolg: Der Computer (abgeleitet von lat. computare = berechnen) eroberte die Welt, einige Zeit noch mit analoger Technik, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dann nur noch mit der Digitaltechnik.

Die heute gebräuchlichen Computer werden elektronisch mit dem Binärsystem betrieben. Ihre Grundfunktion besteht aus Entscheidungen zwischen Ja oder Nein, die physikalisch realisiert werden durch die Befehle «Strom an» für Ja und «Strom aus» für Nein (binär ausgedrückt «1» und «0»). Die im diskursiven Denken ständig sich wiederholende Grundstruktur (zuerst die Prämissen, dann der logische Schluss daraus) wird vom Digitalrechner mit Millionen winziger elektrischer Schalter imitiert, die jeweils zu kleinen Einheiten zusammengefasst sind. Letztere bestimmen, ob der Strom zur nächsten Einheit weiterfließen darf oder nicht, indem sie die Prämissen festlegen: Entweder lassen sie mehrere Bedingungen zu, von denen wenigstens eine erfüllt sein muss (sog. Oder-Schaltung), oder sie fordern eine bestimmte Anzahl von Bedingungen, die gemeinsam erfüllt sein müssen (sog. Und-Schaltung). Hinzu kommt als drittes Element die Nicht-Schaltung, die den in einem sekundären Stromkreis fließenden Strom aus- statt anschaltet. Durch die Kombination dieser drei Schaltungen kann jeder logisch strukturierbare Vorgang dargestellt werden. Anzumerken ist noch, dass die «Schalter» heute so winzig sein können, weil sie nicht mehr aus mechanischen Teilen oder aus Röhren bestehen, wie es zunächst der Fall war, sondern aus winzigen Transistoren, deren Siliziumschichten je nach angelegter Spannung den Strom durchlassen oder stoppen.

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354 стр. 25 иллюстраций
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9783772543562
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