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2 Jürgen Werbicks Positionen

Worum es Jürgen Werbick geht, das wird gleich zu Beginn seiner Ausführungen und ganz besonders in seiner Replik auf Ebertz deutlich. Es formuliert sich speziell in dem, was er fürchtet: Werbick fürchtet, dass unter der Decke einer Communio-Ekklesiologie – der Terminus kommt bei Ebertz allerdings genau besehen gar nicht vor – und mit Hilfe des Netzwerk-Gedankens, also auf der Basis der Auflösung der traditionellen Pfarrei- und Gemeindestrukturen270, „eine amtszentrierte (bzw. priesterzentrierte) Vollmachtsverteilung aufrecht“ erhalten wird, „die beim derzeitigen ‚Priestermangel‘ dazu führen muss, dass die Netze reißen und die Gemeindemitglieder wie die überlasteten Amtsträger sich allein gelassen fühlen“271, wie es in der Replik heißt. Werbick fürchtet also, wie es zu Beginn geheißen hatte, dass all die neuen gemeindetheologischen Überlegungen, jene von Ebertz, aber auch anderer, dazu dienen, „die Frage der Ämter und Aufgaben in der Kirche (zu) umschiffen“272.

Werbicks Argumentation ist also primär amtstheologisch und kirchenpolitisch motiviert. Werbick graut es vor einem amtstheologisch begründeten „Zelebrationstourismus“273 und er befürchtet, sicher nicht ohne Grund, den ideologischen Umgang mit den Laien, die als „ekklesiologische Ersatzleute“ instrumentalisiert würden, „wenn die priesterliche ‚erste Garnitur‘ nicht mehr zur Verfügung steht“274. Mit anderen Worten: Werbick wittert hinter allen Modellen, die „Vernetzung“, großflächige Seelsorgeräume oder überhaupt die bischöfliche Diözesankirche favorisieren, als Motivation wie Resultat das zähe Festhalten an der alten klerikalen Zwei-Stände-Kirche, wie sie vorkonziliar tatsächlich Konzept und Realität war und nachkonziliar in der Praxis durchaus noch nicht überwunden ist. Wer könnte in dieser Intention Werbick widersprechen?

Am Schluss seiner Replik fragt Werbick dann auch unmissverständlich die Entscheidungsträger der Kirche, also die Hierarchie, ultimativ und alternativ:

Bejaht sie den „Ersatz“ der priesterlichen Gemeindeleitung durch Laien-Ämter und den weitgehenden „Ersatz“ der Eucharistiefeier vor Ort durch andere liturgische Formen wie auch deren sakramentalen Charakter, oder betrachtet sie dies alles als Notfall – zu dem man freilich selbst entscheidend beigetragen hat, weil man gemeindeleitenden Charismen den Weg zum priesterlichen Amt versperrt – und sucht sie nach Wegen, die diesem Notfall abhelfen könnten? Tertium non datur – es sei denn, man hält die Verörtlichung des Glaubens in Zeiten einer umfassenden Virtualisierung für weitgehend entbehrlich.275

Es geht Werbick also um das, was man „Gemeindeleitungsdilemma“ nennen könnte, also um die unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht auflösbare Entscheidungslage, entweder die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt unverändert zu lassen, dann aber auf Grund des eklatanten Priestermangels die sakramentale, vor allem eucharistische „Versorgung“ des Volkes Gottes zu gefährden, zudem die Priesterrolle immer ausschließlicher auf Sakramentenspendung zu reduzieren und de facto den Umbau der gewohnten priesterlichen Rolle zu akzeptieren, insofern immer deutlicher gemeindeleitende Funktionen, offen oder unter der Hand, an Laien abwandern, oder aber die Zulassungsbedingungen zum Priestertum zu ändern, was mit einiger großer Wahrscheinlichkeit die Priesterzahlen wieder steigern und es wohl ermöglichen würde, die gegenwärtige pastorale Struktur aufrecht zu erhalten.

Werbicks Option ist eindeutig, wenn sie auch eher nur indirekt aus seiner kritischen Stoßrichtung erschließbar ist: Er möchte, wie viele, etwa auch der Basler Bischof Kurt Koch,276 eher die Zulassungsbedingungen zum Priestertum verändern als umgekehrt die Basisrealität der Kirche dem aktuellen Priestermangel anpassen.

Werbicks Gründe für diese Option sind nachvollziehbar: Die Feier der Eucharistie müsse, so Werbick, weiterhin im Zentrum der kirchlichen Vergemeinschaftung stehen, die Eucharistie aber müsse konkret vor Ort realisierbar sein, und dazu brauche es eben, so der Priester der einzig legitime Vorsteher der Eucharistie bleibe, wovon Werbick ausgeht, genug geweihte Amtsträger.277

Zudem wird deutlich, dass Werbick nicht nur Eucharistievorsitz und Priestertum koppelt, was ja nicht umstritten ist, sowie Eucharistieversammlung und Gemeindebildung, was ebenfalls weitgehend Konsens sein dürfte, wenn auch in der Realität schon durchaus nicht so selbstverständlich wie theologisch postuliert, sondern auch, umstrittener schon, Eucharistievorsitz, Gemeindeleitung und Seelsorge. „Mir scheint die seelsorgliche Prägung der Gemeindeleitung unaufgebbar“, so Werbick, weswegen „eine verantwortbare Gemeindegröße dadurch definiert“ wäre, „dass sie es dem Gemeindeleiter erlaubt, Seelsorger zu sein“278. Da scheint dann doch unübersehbar die alte Hirtenmetapher als strukturierendes Modell kirchlicher Basissozialformen durch: überschaubar, in einem zugleich eucharistisch, seelsorglich und irgendwie auch lebensweltlich homogen und dabei dann kommunial verdichtet.

Werbick stellt sich hier nun selbst den Einwand, ob dies nicht „doch ein recht priesterzentriertes Konzept“ sei,

das die haupt- und ehrenamtliche Mitarbeit von Laien in ihrer ekklesiologischen Bedeutung unterschätzt und sich zu sehr auf die Eucharistiefeier als Mittelpunkt von Sammlung und Sendung der Kirche vor Ort konzentriert?279

Um dann und an die Kirchenleitungen zu plädieren, doch zuzugeben, dass die eigenen Planungen, die auf Vernetzung und überregionale Einheiten hinausliefen, Laien doch wieder nur als „ekklesiologische Ersatzleute“ betrachten. Werbick wirft den Kirchenleitungen also letztlich einen instrumentellen Umgang mit den Laien vor, was bisweilen, vielleicht sogar regelmäßig, zutreffen mag, aber den Vorwurf, sein Konzept sei priesterzentriert, nicht wirklich widerlegt.

Werbick bezweifelt im Übrigen nicht, dass die herkömmlichen Pfarrgemeinden „vielfach katholische Restmilieus“ darstellten, welche „sich schwer tun mit der Zugänglichkeit für die … ‚am Rande‘ “280, und er leugnet auch nicht, dass es einer spezifischeren „Profilierung der Gemeinden“281 bedürfe. Aber seine Zielvorstellung läuft eben doch auf das berühmte „geschwisterliche Zusammenwirken von priesterlichen Amtsträgern, haupt-, neben- und ehrenamtlichen Laien in den Pfarrgemeinden“282 hinaus und setzt, wie Werbick gleich zu Beginn schreibt, auf eine Seelsorge vor Ort, die unter anderem „durch eine Veränderung der Zugangsmöglichkeiten zum Weihesakrament“283 weiterhin möglich sein sollte.

Was Ebertz wolle, das sei der Rückzug aus der Fläche, so Werbick. Warum er selbst in ihr bleiben will, wird eher in den Umrissen einer doch sehr herkömmlichen, priesterzentrierten Vorstellung der kirchlichen Basisstruktur deutlich – und vor allem im Druck auf die Veränderung der Zulassungsbedingungen zum Priestertum, den solch ein Festhalten ohne Zweifel ausübt.

3 Michael Ebertz’ Positionen

Was will nun aber Michael Ebertz? Sein Ausgangspunkt ist die soziale Realität entwickelter Gesellschaften. Klassische Pfarrgemeinden seien „Auslaufmodelle“ geworden, „an denen selbst die Lebensströme katholischer Kirchenmitglieder mehrheitlich vorbei fließen“284, insofern das Pfarrprinzip schlicht ungenügend geworden sei.285 Moderne Lebensverhältnisse hätten sich örtlich entbettet, der Übergang von lokalen zu nicht-lokal bestimmten Lebensformen sei schon lange im Gange. Kirchengemeinden seien daher „notorisch unterdifferenzierend“, „tendenziell communiofeindlich“, „mehr oder weniger geschlossene Gesellschaften“, in denen „Erfahrungsverdünnung“, und „Selbstrekrutierung“286 herrsche.

Es sei „schon merkwürdig“, dass der „so offensichtlich negative Ausgang eines gewissermaßen historischen Experiments immer noch ignoriert“ würde und man einfach nicht wahrnehme, dass sich viele Menschen „schon längst nicht mehr in die pfarrheimlich verlängerten Wohnzimmer anderer begeben wollen“. Dies, weil sie sich dort „vereinsamt fühlen in der auf Frohsinn und Harmonie bedachten Pfarrcommunio“: zu „friedlich, höflich, friedhöflich“287 sei es da.

Ebertz’ Argumentation changiert stilistisch zwischen soziologischer Exaktheit und essayistischer Polemik. Dass Wohnraum, lokaler, sozialer und kommunikativer Nahraum sowie politischer und kirchlicher Organisationsraum unwiderruflich auseinander getreten sind, während sie früher mehr oder weniger deckungsgleich waren, dass die entwickelte Gesellschaft strukturell Individualisierung erzwingt, dass Einschluss immer auch Ausschluss bedeutet, dass wir nichts mehr genießen und besser beherrschen, als unsere Spuren zu verwischen, all dies ist ebenso unbestreitbar wie im gemeindetheologischen Konzept wenig reflektiert. Vor allem: Es ist auch in der Kirche Realität geworden, eine in den konkreten pastoralen Handlungsstrategien vielfältig akzeptierte und berücksichtigte Wirklichkeit.

Ebertz polemisiert und argumentiert gegen „linke(.) wie rechte(.) Romantizismen“288, und das mit allem Recht. Was aber will er dagegensetzen? Ebertz empfiehlt, dem Luhmannschen Modell der funktionalen Differenzierung als Basisprinzip der modernen Gesellschaft zu folgen:

Es ginge darum, die Pfarreien in funktionale Knotenpunkte eines größeren und vielfältigen pastoralen Verbundsystems zur differenzierten ‚Sammlung‘ und ‚Sendung‘ für Gläubige und Glaubenwollende zu verwandeln, um deren Anknüpfungschancen zu erhöhen und ihrem komplexen Verhältnis von Territorialität und Mobilität Rechnung zu tragen. Dieses Verbundsystem hätte noch andere Knotenpunkte der Sammlung und der Sendung,

wobei Ebertz dann auf diakonale oder kategorialpastorale Orte verweist. Es sei die Aufgabe dieser Knotenpunkte, „jeweils über sich hinaus- und gegenseitig aufeinander (zu) verweisen“289.

Ebertz setzt dabei eine Reihe von wichtigen und folgenreichen konzeptionellen Unterscheidungen „Ich setze … begrifflich und sachlich voraus“, so Ebertz,

dass nicht jede … Bestätigungs- und Plausibilitätsbasis … des Glaubens gleichzusetzen ist mit „Gemeinde“, „Gemeinde“ nicht gleichzusetzen ist mit „Ortsgemeinde“ und „Ortsgemeinde“ nicht identisch ist mit „Pfarrgemeinde“.290

Ebertz verweist hier auf die diakonischen Orte, den Religionsunterricht und ähnliche nicht-gemeindliche pastorale Handlungsorte der Kirche. Es gelingt ihm so, die soziale Pluralität und damit die Gesamtheit kirchlichen Handelns in den Blick zu bekommen, eine gesamtpastorale Perspektive, die bei Werbick doch eher unterbelichtet bleibt, wie bei ihm generell die empirische Realität von Kirche hinter dem dogmatischen Diskurs (und den kirchenpolitischen Optionen) doch etwas verschwindet. Ebertz verweist immer wieder auf den „größere(n) pastorale(n) Verantwortungsraum mit einem breit gefächerten Panorama von Angeboten und Initiativen, die jeweils über sich hinaus- und gegenseitig aufeinander verweisen“291.

Er plädiert für Spezialisierung und Profilierung der Gemeinden und für eine sakramentale und diakonale Begründung der Identität christlicher Gemeinden, wie das II. Vatikanum sie konzipiert habe.

4 (Kirchen-)Politik und Pastoral(-theologie): Die Beobachtungen

Unübersehbar an dieser engagierten Diskussion führender Vertreter einer pastoraltheologisch sensiblen Soziologie bzw. Dogmatik ist, dass beide Diskutanten bemerkenswert aneinander vorbei argumentieren, knapp zwar, aber doch deutlich. Sie tun das, insofern sie sich weniger mit der realen Argumentation des Kontrahenten befassen, sondern mit möglichen kirchenpolitischen Konsequenzen seiner Position.

Werbick sieht in der massiven Gemeindekritik von Ebertz und seiner Vernetzungsoption zuletzt die Klerikalisierung der Kirche auf modernisiertem Niveau und er stellt dem, schon ein wenig paradox, ein deutlich priesterzentriertes Vergemeinschaftungskonzept von Kirche auf Basisebene gegenüber, ein Konzept, das zu retten und zu erneuern wäre, wenn man denn die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt änderte und so mehr Priester bekäme. Das setzt im Übrigen voraus, dass dieses Modell nur am Priestermangel und nicht eben auch daran gescheitert wäre, dass solche Gemeinschaftsidyllen hoch ideologieanfällig sind und ziemlich jenseits der Realität entwickelter Gesellschaften liegen. Ebertz’ Kritik an Werbicks Position als „Romantizismus“ scheint also nicht ganz ohne Gründe.

Ebertz zielt nun aber seinerseits an Werbick vorbei, wenn er dessen Angst vor primär an Priesterzahlen orientierten kirchlichen Raumordnungskonzepten, wie sie ja tatsächlich allüberall die Szene bestimmen,292 nicht wahr- und so auch nicht ernst nimmt. Und ohne Zweifel stimmt ja, dass die sehr bedenkenswerten Ansätze von Ebertz293 funktionalisiert werden können für die Verlängerung eines hoch problematischen kirchlichen Systems: Ein primär soziologisch-analytischer Ansatz, hilfreich und hellsichtig in vielem, kann in systemstabilisierende Optionen umschlagen.

Spiegelbildlich blendet Werbick – zumindest in dieser Diskussion – die Realität des individualisierten Lebens in hoch entwickelten Gesellschaften doch recht weitgehend aus, nimmt er soziologische Erkenntnisse nicht wirklich ernst, beziehungsweise baut er sie ein in sein kirchenpolitisches, ansonsten ja nachvollziehbares und gut begründetes Options- und Ängsteraster.

Das (kirchen-)politische Kräftefeld, stark und mächtig in dieser Frage, verschiebt und versetzt die argumentativen Vektoren aus der eigentlich angezielten gemeinsamen Ebene. Insofern ist diese kleine Diskussion geschätzter (und sich offenkundig schätzender) Kollegen auf pastoraltheologischem Feld ein schönes Exempel für das, was man die „politische Ablenkbarkeit des theologischen Diskurses “ nennen könnte: ganz hinter dem Rücken der Beteiligten und diesseits aller bewussten Funktionalisierung und Instrumentalisierung.

Widerstand gegen diese „politische Ablenkbarkeit“ könnte im Rückgriff auf Gaudium et spes und dabei speziell auf dessen beiden zentralen Termini, den Volk-Gottes- und den Pastoral-Begriff, erworben werden. Werbick wie Ebertz verzichten in ihren Artikeln sowohl auf den konziliaren Volk-Gottes-Begriff wie auf den konziliaren Pastoral-Begriff. Sie verzichten mit dem Volk-Gottes-Begriff auf die Basis für die kontrollierte Zuordnung von soziologischen und theologischen Kategorien in den soziologischen Kategorien und mit dem Pastoral-Begriff auf die Basis für die Zuordnung von soziologischen und theologischen Kategorien in den theologischen Kategorien.

Die Kirche als soziale Größe kommt mit dem Volk-Gottes-Begriff unter einen theologischen Horizont, denn der Volk-Gottes-Begriff besagt, dass die Kirche nicht irgendein Volk ist und nicht irgendeine gesellschaftliche Institution, sondern nur dann die Kirche Jesu, wenn sie die Institution des Volkes des Gottes Jesu ist. Das aber zeigt sich darin, ob in ihr dieser Gott in Wort und Tat präsent ist und also erfahren werden kann.

Die Kirche als theologische Größe kommt mit dem zweitvatikanischen Pastoral-Begriff aber unter eine soziologische Herausforderung, insofern dieser Begriff in Gaudium et spes die kreative und handlungsbezogene Konfrontation von Welt und Evangelium meint.

Der konziliare Volk-Gottes-Begriff294 wiederum verhindert, in jenen katholischen Institutionalismus abzugleiten, der die Existenz, Größe und Fortdauer der Sozialform für die Existenz, Größe und fortdauernde Präsenz des Evangeliums nimmt; der Pastoral-Begriff aber verhindert, dass kirchliche Sozialformen sich in irgendeiner Weise als selbstbezügliche Gleichgesinntengrüppchen konstituieren, denen die Existenzprobleme der Menschen von heute fremd sind und die diesen dann mit kulturpessimistischer Abwertung begegnen.

Ersteres, ein modernisierter Institutionalismus, das ist die Gefahr von Ebertz’ Position, und Werbick wirft ihm das ja auch vor. Letzteres, romantisierender Kleingruppenharmonismus, geschart etwa um den nahen priesterlichen Hirten, ist die Gefahr der Werbickschen Position, und Ebertz hält sie ihm vor.

Man muss aber die beiden Positionen nicht von ihren Schwächen, sondern von ihren Stärken her nehmen. Die Stärke der Ebertzschen Position ist ihr realistischer, unvoreingenommener Blick auf die Beziehungen von Individuum und Institution, von Einzelnem und Kirche. Die Stärke von Werbicks Position ist der klare Blick auf die systemkonformistischen Implikationen und Versuchungen der Ebertzschen Position und die Option für die „Fläche“ als Herausforderung für die pastorale Raumordnung in Zeiten des zunehmenden Ressourcenmangels, eine Herausforderung, die man stärker diakonisch und über den Pastoral-Begriff als Pflicht zur unbedingten Solidarität (Gaudium et spes 1) mit allen Menschen begründen sollte.

Welche Konsequenzen material aus der Diskussion zu ziehen wären, wäre eigens zu erörtern. Man könnte etwa zwischen der Gemeinde als territorialer Angebotsstruktur und als punktueller, knotenartiger Rezeptionsstruktur innerhalb einer gesamtpastoralen Handlungskonzeption von Kirche unterscheiden. Vor allem aber käme es darauf an, nicht von den Sozialformen her auf deren Funktionen, sondern von den notwendigen kirchlichen Funktionen her auf die dafür notwendigen Sozialformen hin zu denken, was übrigens auch die Beteiligung möglichst vieler in diese Transformationsprozesse einschlösse.

DER LANGE WEG VOM ERLAUBNIS- ZUM ERMÖGLICHUNGSDISKURS
Die Gemeindeleitungsproblematik im Kontext der Konstitutionsprobleme der katholischen Kirche in den entwickelten Gesellschaften Deutschlands und Österreichs
1 Die Fragestellungen

Man kann die Frage nach einer in der katholischen Kirche heute möglichen Gemeindeleitung durch Laien in verschiedenster Weise kontextualisieren. Es wäre etwa möglich, sie diachron durch die Kirchengeschichte zurückzuverfolgen, in der bekanntlich die Einflussrechte der sogenannten „Laien“ auf allen Ebenen der Kirche sehr wandelbar waren, über lange Jahrhunderte jedenfalls sehr viel größer als heute,295 und für die neutestamentliche Zeit gar gesagt werden kann, dass, ich zitiere den Grazer Neutestamentler Christoph Heil, die „auf den galiläischen ‚Laien‘ Jesus von Nazareth zurückgehende Erneuerungsbewegung … in den ersten Generationen keine innergemeindliche Gegenüberstellung von ‚Klerikern‘ und ‚Laien‘ (kannte)“296. Marlis Gielen stellte zudem jüngst fest, dass

Frauen … in der ersten urchristlichen Generation funktionsidentisch mit Männern Aufgaben in der Gemeindeleitung wahr(nahmen), und zwar gleichermaßen im Bereich der Gemeindeorganisation wie im Bereich der vertiefenden Evangeliumsverkündigung297

und man im Neuen Testament vergeblich „nach einer Verbindung zwischen gemeindebezogenen Funktionsbegriffen und der Funktion des Vorsitzes bei der gemeindlichen Herrenmahlfeier“298 suche.

Man kann die Problematik natürlich auch auf die Erfahrungen mit dem c. 517 § 2 focussieren, der unter spezifischen Bedingungen erlaubt, Laien an der Ausübung der Hirtensorge („cura pastoralis“) einer Pfarrei zu beteiligen, und dann synchron durch die kirchlichen Weltregionen verfolgen, schließlich ist die katholische Kirche spätestens seit dem II. Vatikanum nicht nur realiter, sondern auch in ihrer konzeptionellen Selbstreflexion vom Eurozentrismus zur globalen Perspektive übergegangen, entdeckt sie dort ihre Katholizität nach innen und außen neu299 und reflektiert sie den Glauben erstmals im Horizont globaler Modernisierung.300

Hier soll demgegenüber das Thema zeitlich und örtlich eingerenzt werden: Es wird im Folgenden um Europa und speziell den deutschsprachigen Raum der Gegenwart gehen. Dabei soll die Gemeindeleitungsproblematik in drei Kontexten betrachtet werden, die neben dem kirchenrechtlichen für Kirchenbildungsprobleme einschlägig sein dürften.301 Ich werde von „außen nach innen“ vorgehen und die Gemeindeleitungsproblematik zuerst in einen religionssoziologischen, dann in einen pastoraltheologischen und schließlich in einen systematisch-theologischen Kontext gestellt wird.

Religionssoziologisch wird es um die Frage nach dem aktuellen Wandel in den Vergesellschaftungsprozessen von Religion in Europa gehen, einem Wandel, der gerade die katholische Kirche und ihre Sozialformen massiv umformatiert; pastoraltheologisch geht es um die Frage nach Konzeption und Realität der kirchlichen basisnahen Organisationsformen in den letzten Jahrzehnten, und systematisch-theologisch schließlich um die normative Selbstdefinition von Kirche, wie sie im II. Vatikanum vorliegt, welche normative Selbstreflexion das für unser Thema einschlägige Verhältnis von Laien und Klerikern grundlegend neu entwirft.

Alle drei Fragestellungen sind von manifesten Dialektiken und Spannungen durchzogen. Sie können hier nur in thetischer verkürzung erörtert werden. Zumal abschließend gezeigt werden soll, dass diese drei analytischen Kontextualisierungen der Gemeindeleitungsproblematik sich in einer gewissen Weise zu einem neuen Horizont zusammenschließen, von dem zu hoffen ist, dass er eine weiterführende Perspektive eröffnet.

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9783429061623
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