Читать книгу: «Übersetzungstheorien», страница 3

Шрифт:

2.2 Verfremdendes ÜbersetzenÜbersetzen (SchleiermacherSchleiermacher)

Der wohl wichtigste theoretische Beitrag zum ÜbersetzenÜbersetzen im 19. Jh. stammt von HUMBOLDTS Zeitgenossen Friedrich D.E. SCHLEIERMACHERSchleiermacher (1768–1834). In seiner Abhandlung „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens“ von 18131Störig stellt SCHLEIERMACHER die Prinzipien dar, die seiner Platon-Übersetzung zugrunde lagen. Er reflektiert über die Schwierigkeit, den „Geist der Ursprache“ in eine Übersetzung einzubringen, und hebt auf drei Unterscheidungen ab:

(1) Zunächst unterscheidet er Texte, in denen einfaches Berichten über einen Sachverhalt im Vordergrund steht, wie beispielsweise im Wirtschaftsleben, in Zeitungsartikeln, Reiseberichten usw., von solchen Texten, in denen „des Verfassers eigenthümliche Art zu sehen“ (ebd.:40) zum AusdruckAusdruck kommt, nämlich in Kunst und Wissenschaft. Bei Ersteren komme es in der „Uebertragung auf ein bloßes Dolmetschen an“, und es könne im Grunde nicht allzuviel falsch gemacht werden. „Deshalb ist das Uebertragen auf diesem Gebiet fast nur ein mechanisches Geschäft, welches bei mäßiger Kenntniß beider Sprachen jeder verrichten kann“ (ebd.:42). Das Übertragen von Kunstwerken dagegen sei viel schwieriger und allein einer theoretischen Betrachtung wert.

(2) Die Gründe für diese Zweiteilung der Textvorkommen liegen nach SCHLEIERMACHERSchleiermacher in verschiedenartigen Wörtern. Er unterscheidet zwischen Ausdrücken, die sich in verschiedenen Sprachen genau entsprechen, da sie sich auf genau eingrenzbare Gegenstände und Sachverhalte beziehen2SchleiermacherStörig, und anderen Wörtern, welche Begriffe, Gefühle, Einstellungen erfassen und sich im Lauf der Geschichte verändern. In solchen Wörtern äußert sichHumboldt der Geist der SpracheSprache und das DenkenDenken des Einzelnen, besonders in der Kunst. So spricht er nicht vom Griechischen oder Lateinischen als Sprachen, sondern davon, dass man „deutsch“, oder „römisch“ oder „hellenisch“ rede (ebd.:48). Es geht ihm um den Autor. Im Grunde hat SCHLEIERMACHER damit die bis heute akzeptierte Zweiteilung von Textvorkommen in den Naturwissenschaften und in den Geisteswissenschaften begründet, deren Begriffsbildung verschieden ist.

(3) In Bezug auf das künstlerisch anspruchsvolle ÜbersetzenÜbersetzen unterscheidet SCHLEIERMACHERSchleiermacher zwei „Methoden“, womit er das gängige Diktum von TreueTreue oder FreiheitFreiheit etwas präzisieren möchte, indem er jeweils auf das Gesamtwerk eines Autors verweist.

(a) Bei der ersten Methode werde versucht, eine Übersetzung so zu gestalten, dass sie wie ein OriginalOriginals. Ausgangstext wirkt und den AutorAutors. Sender „reden lassen will wie er als Deutscher zu Deutschen würde geredet und geschrieben haben“ (ebd.:48), also ihn zu den Lesern hinbewegt. Ein solches Vorhaben erweist sich aber angesichts der Einheit von DenkenDenken und Reden in der „angebornen SpracheSprache“ als unmöglich (ebd.:60).3SchleiermacherLeserStörig

(b) Bei der anderen Methode des Verfremdens herrscht dagegen eine „Haltung der SpracheSprache, die nicht nur nicht alltäglich ist, sondern die auch ahnden läßt, daß sie nicht ganz frei gewachsen, vielmehr zu einer fremden Ähnlichkeit hinübergebogen sei“ (ebd.:55), wo also die LeserLesers. Empfänger zum AutorAutors. Sender hin bewegt werden. Nur so sei die „treue Wiedergabe“ des fremden Originals in der ZielspracheZielspraches. ZS gewährleistet. Der Vorwurf der Ungelenkheit im AusdruckAusdruck durch die Nachbildung sei dabei in Kauf zu nehmen, denn anders sei der „Geist der Sprache“ aus dem OriginalOriginals. Ausgangstext gar nicht in die Übersetzung zu retten. Das eigene Idiom des Übersetzers soll mit dem fremden so verschmelzen, dass in der Übersetzung die „Ursprache“ erhalten bleibt. Notwendig ist allerdings eine Bildung der Leserschaft.

Daher erfordert diese Art zu uebersezen durchaus ein Verfahren im großen, ein Verpflanzen ganzer Litteraturen in eine SpracheSprache, und hat also nur SinnSinn und Werth unter einem Volk welches entschiedene Neigung hat sich das fremde anzueignen. Einzelne Arbeiten dieser Art haben nur einen Werth als Vorläufer einer sich allgemeiner entwickelnden und ausbildenden Lust an diesem Verfahren (ebd.:57).

Die „Kennerschaft geistiger Werke“ anderer Völker, die SCHLEIERMACHERSchleiermacher voraussetzt, vermag dies dann auch zu goutieren. Durch solches ÜbersetzenÜbersetzen wird die eigene SpracheSprache bereichert, wie es auch schon die Römer sahen (s. Kap. 1.3).

2.3 Die Sprachinhaltsforschung (WeisgerberWeisgerber)

Durch verschiedene Sprachen entstehen unterschiedliche Weltansichten, ja aus dem Blickwinkel des Einzelnen sogar unterschiedliche Wirklichkeiten. Als stellvertretend für eine solche Sprachauffassung sind neben HUMBOLDTHumboldt (s. Kap. 2.1) und SCHLEIERMACHERSchleiermacher (s. Kap. 2.2) auch J. Leo WEISGERBERWeisgerber (1899–1985) und BenjaminBenjamin Lee WHORFWhorf (1897–1941) zu nennen. Sehr einleuchtend zeigt z.B. WEISGERBER, wie SpracheSprache die Funktion erfülle, eine Realität zu erschaffen, indem sie beobachtbare faktische Gegebenheiten ordnet.1WeisgerberSprache

WeisgerberWeisgerber verweist auf den Sternenhimmel, der zunächst für den Menschen ein unendliches Gewirr darstellt und erst dann begreifbar wird, wenn der Mensch zwischen den Gestirnen unterscheidet, wenn er Konstellationen wie die einzelnen Sternbilder benennt und damit bestimmt (op. cit. 41971: 25–72). Dabei werden dieselben Gestirne in Asien und im Okzident zu unterschiedlichen Sternbildern geordnet. – Es handelt sich hier um ein schönes Beispiel für den menschlichen Versuch, in ein unüberschaubares Gewirr mittels der SpracheSprache eine Ordnung zu bringen. Dann wird aus dem Chaos des Faktischen ein Kosmos der Ordnung.

Entscheidend ist jeweils die PerspektivePerspektive der Menschen auf die Dinge. „Ein Beispiel für eine solche kulturbedingte und sprachlich vermittelte Sehweise stellt das Wort Unkraut dar. Die Pflanzenwelt wird aufgrund wirtschaftlicher, vielleicht auch ästhetischer (nicht aber biologischer) Interessen in zwei Klassen eingeteilt: in Kulturpflanzen und in Pflanzen ohne wirtschaftlichen Wert“ (KOLLERKoller 1992:162).

WEISGERBERWeisgerber als Hauptvertreter der sogenannten Sprachinhaltsforschung oder Inhaltbezogenen GrammatikGrammatik hat im Anschluss an HUMBOLDTHumboldt die These von der SpracheSprache als geistiger Zwischenwelt, vom „WeltbildWeltbild der MutterspracheMuttersprache“ entworfen. Jede Sprache gilt als ein relativ geschlossenes, gegen andere Sprachen abgegrenztes System. Dabei wird betont, dass sich nicht für jedes Wort einer Sprache in jeder anderen ein genaues Äquivalent finde, sondern dass gewisse Unterschiede auftreten. Schon Arthur SCHOPENHAUER (1788–1860) hatte Beispiele charakteristischer Wörter gesammelt,2Störig die eigentlich unübersetzbar sind:


απαιδευτος, rudis, roh.ingénieux, sinnreich, clever.
ορμη, impetus, Andrang.Geist, esprit, wit.
μηχανη, Mittel, medium.witzig, facetus, plaisant.
seccatore, Quälgeist, importun.malice, Bosheit, wickedness.

Als Beweis für die Existenz eines einzelsprachlichen Weltbilds werden angeführt:

U.a. die Schwierigkeiten bei der anderssprachigen Wiedergabe sogenannter charakteristischer Wörter, wie z.B. esprit, patrie, charme; cereals, gentleman, fairness; Sehnsucht, Gemütlichkeit, Weltschmerz, Innerlichkeit, Tüchtigkeit, Gestalt usw.

Die Unterschiede im System der Verwandtschaftsbezeichnungen und Farbskalen, von Naturerscheinungen (Schnee, Wüstenformen) usw. Die unterschiedliche Wahrnehmung und Frequenz der Wörter ergibt sich aus der verschiedenen geographischen Lage.

Die Existenz von Wortfeldern: Ein Einzelwort gewinnt seine inhaltliche Bestimmtheit erst in der Struktur eines ganzen Wortfeldes. So ist mangelhaft in einer viergliedrigen Skala (mangelhaft – genügend – gut – sehr gut) etwas anderes als in einer sechsgliedrigen Skala (ungenügend – mangelhaft – ausreichend – befriedigend – gut – sehr gut). Der Wortschatz einer SpracheSprache ist in solche Wortfelder gegliedert. Einzelne Wörter sind kaum vergleichbar, weil ihr Stellenwert in den einzelsprachlichen Wortfeldern je verschieden ist (vgl. WEISGERBERWeisgerber 1950:68).

Die unterschiedlichen Konnotationsbereiche: der Franzose verbindet mit dem Wort escargot die Vorstellung einer Delikatesse, während der Deutsche bei Schnecke eher an ein unappetitliches schleimiges Lebewesen denkt. Oder: Für die Franzosen ist pain ein knuspriges Weißbrot, für die Deutschen ist Brot häufig ein dunkler Vollkornlaib.

Die zutiefst menschliche Erfahrung von LEID wird in verschiedenen Sprachen mit völlig unterschiedlichen Zeichen benannt, die auch formal nicht aufeinander bezogen werden können:

d. Leid, Kummer, Schmerz

e. sorrow, grief, harm

f. peine, affliction

i. pena, dolore

DenkenDenken und Reden werden also gleichgesetzt. Jene geistige „Zwischenwelt“ zwischen Mensch und Außenwelt hat sprachlichen Charakter, und sie vermittelt den Angehörigen der Sprachgemeinschaft das „WeltbildWeltbild der MutterspracheMuttersprache“. Das Zusammenspiel von kulturbedingter Wirklichkeitserfassung und SprachgebrauchSprachgebrauch zeigt sich besonders deutlich in Bereichen des menschlichen Lebens, wie es schon SCHLEIERMACHERSchleiermacher im Gegensatz zu den äußeren Dingen festgestellt hatte (s. Kap 2.2). Mehrsprachige Vergleiche in diesem Sinne hat Mario WANDRUSZKAWandruszka vorgelegt, dessen Bücher bezeichnende Titel haben, wie zum Beispiel: „Das Leben der Sprachen“3Wandruszka.

WANDRUSZKAWandruszka unterscheidet durch den Vergleich vorliegender Übersetzungen für Gefühlsbezeichnungen, wie Hunger, Angst, Schmerz, Lust, Freude, Glück usw., wie diese Gefühle in den verschiedenen SprachenSprache ausgedrückt werden:

„Für die Römer war anxius, später anxiosus ‘angsterfüllt, beunruhigt’. Im Spanischen, im Italienischen aber kann ansioso, im Englischen anxious bald ‘angstvoll’, bald ‘begierig’ sein. (…) Diese Wanderung des Wortes von ‘angstvoll’ bis zu ‘begierig’, – und oft zu einem gesellschaftlich formelhaften, liebenswürdig bemühten ‘begierig’, ‘bestrebt’ –, bezeigt uns die DynamikDynamik des menschlichen Sprechtriebs, des spontanen Denkens in Metaphern und Metonymien, des impulsiven Sprechens und Gesprächs, die von SpracheSprache zu Sprache zu anderen Ergebnissen geführt haben. So kann anxiety, weit entfernt von jeder Beklemmungsangst, die Sorge, das Bemühen sein. Im Italienischen aber bedeutet erst recht ansia und ansietà, im Spanischen ansia und ansiedad bald Beklemmung, Angst, bald Unruhe, Ungeduld, bald Begierde, Sehnsucht!“ (WANDRUSZKAWandruszka 1984:44/45).

2.4 Das linguistische RelativitätsprinzipRelativitätsprinzip (Sapir/WhorfWhorfSapir/Whorf-Hypothese)

Die Gleichsetzung von DenkenDenken und Reden und die These der mehr oder minder totalen Determiniertheit der Wirklichkeitserfassung durch die Struktur der SpracheSprache(n) ist Gegenstand des „linguistischen Relativitätsprinzips“, wie es BenjaminBenjamin Lee WHORFWhorf 1956 formuliert hat1Whorf:

Aus der Tatsache der Strukturverschiedenheit der Sprachen folgt, was ich das „linguistische RelativitätsprinzipRelativitätsprinzip“ genannt habe. Es besagt, grob gesprochen, folgendes: Menschen, die Sprachen mit sehr verschiedenen Grammatiken benützen, werden durch diese Grammatiken zu typisch verschiedenen Beobachtungen und verschiedenen Bewertungen äußerlich ähnlicher Beobachtungen geführt. Sie sind daher als Beobachter einander nicht äquivalent, sondern gelangen zu irgendwie verschiedenen Ansichten von der Welt. (…) So geht zum Beispiel die Weltansicht der modernen Naturwissenschaft aus der höher spezialisierten Anwendung der grundlegenden GrammatikGrammatik der westlichen indoeuropäischen Sprachen hervor (1963:20f).

Um seine These einer Kausalrelation zwischen grammatischer Struktur und WeltbildWeltbild zu belegen, kontrastiert WHORFWhorf Sprach- und Denkstrukturen der Hopi-Indianer in Arizona und der Azteken in Mexiko mit dem Englischen, das er als Hauptbeispiel der „SAE-Sprachen“ (Standard Average European) bezeichnet. Dabei glaubte er – insbesondere hinsichtlich der Raum-Zeit-Auffassungen – grundlegende Unterschiede feststellen zu können. In seiner Sicht der Dinge wurde WHORF von Edward SAPIR, seinem Lehrer an der Universität Yale, unterstützt.

Die Grundthese hat SAPIR so ausgedrückt: „No two languages are ever sufficiently similar to be considered as representing the same social reality. The worlds in which different societies live are distinct worlds, not merely the same world with different labels.“2

Deshalb hat sich für den BegriffBegriff des linguistischen Relativitätsprinzips auch die BezeichnungBezeichnung „Sapir/WhorfSapir/Whorf-Hypothese“ durchgesetzt. Keine zwei Sprachen und keine zwei Kulturen seien ähnlich genug, um dieselbe Wirklichkeit abzubilden. Mit dieser Hypothese hat sich die SprachwissenschaftSprachwissenschafts. Linguistik eingehend auseinandergesetzt, jedoch liegen bis heute kaum Untersuchungen vor, die das RelativitätsprinzipRelativitätsprinzip umfassend untermauert hätten.

Als direkte Konsequenz aus dem linguistischen RelativitätsprinzipRelativitätsprinzip folgt das Axiom, dass Sprachen ihrem Wesen nach unübersetzbar seien. Jede Übersetzung würde die sprachlichen Inhalte einer MutterspracheMuttersprache in solche einer anderen Muttersprache transponieren, die beide ja unterschiedliche geistige Zwischenwelten darstellen. Entscheidend ist hier, dass allein die Sprachen mit ihren Wortinhalten und ihrer GrammatikGrammatik in den Blick genommen werden. Während HUMBOLDTHumboldt aus sprachphilosophischen Gründen alles ÜbersetzenÜbersetzen für unmöglich hielt, sahen andere, wie z.B. Mario WANDRUSZKAWandruszka, noch eine gewisse Möglichkeit der Übertragung durch den „Geist der SpracheSprache“. Jene relativistische Auffassung ist weit verbreitet. Wenn aber Sprachen als direkter AusdruckAusdruck einer KulturKultur, einer nationalen Eigentümlichkeit gesehen werden, dann können fremde Texte immer nur annähernd übertragen werden. Die „UnübersetzbarkeitUnübersetzbarkeit“ eines fremden Weltbildes sperrt fremdsprachige Texte gegen eine Aneignung.

2.5 Formbetontes ÜbersetzenÜbersetzen (BenjaminBenjamin)

Die Auffassung des Verfremdens im Übersetzen (s. Kap. 2.2) findet sich auch bei Walter BENJAMINBenjamin (1892–1940), der sich in dem Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“1Störig 1923 als Dichter gleichfalls zur Übersetzung des literarischen Kunstwerks geäußert hat. Er geht von der Existenz einer reinen Sprache vor dem babylonischen Sündenfall aus und betont die Selbstgeltung des Kunstwerks, völlig unabhängig von dessen RezeptionRezeption: „Denn kein Gedicht gilt dem LeserLesers. Empfänger, kein Bild dem Beschauer, keine Symphonie der Hörerschaft“ (ebd.:156). Und dabei ist die Gestalt das wichtigste, die MitteilungMitteilung des Textes eher nebensächlich.

BENJAMINS Sprach- und ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie liegt der Gedanke zu Grunde, dass das mimetische (abbildende) Prinzip für die Besonderheit der Einzelsprachen verantwortlich sei2Benjamin (s. Kap. 2.1) und die „onomatopoetische Erklärungsweise“ dafür noch am ehesten in Frage kommt. Er hebt die Besonderheit und Nichtvertauschbarkeit des einzelnen Wortes hervor und denkt dabei vor allem an die FormForm, der InhaltInhalt ist ihm weniger wichtig:

Was aber außer der MitteilungMitteilung in einer Dichtung steht – und auch der schlechteste ÜbersetzerÜbersetzer gibt zu, daß es das Wesentliche ist –, gilt es nicht allgemein als das Unfaßbare, Geheimnisvolle, ‘Dichterische’? Das der Übersetzer nur wiedergeben kann, indem er auch dichtet? (Aufgabe, S. 156)

BENJAMINBenjamin kommt es darauf an, den AusdruckAusdruck des Originals, sein „Wie“, in der ZielspracheZielspraches. ZS nachzubilden. Er bezeichnet dieses „Wie“ als „Die Art des Meinens“, die er sorgfältig vom inhaltlich „Gemeinten“ unterscheidet: „In ‘Brot’ und ‘pain’ ist das GemeinteGemeinte zwar dasselbe, die Art, es zu meinen, dagegen nicht. In der Art des Meinens nämlich liegt es, daß beide Worte dem Deutschen und Franzosen je etwas Verschiedenes bedeuten, daß sie für beide nicht vertauschbar sind, ja sich letzten Endes auszuschließen streben; am Gemeinten aber, daß sie, absolut genommen, das Selbe und Identische bedeuten“ (Aufgabe, S. 161).

BENJAMINBenjamin betont das „Magische in der SpracheSprache“ und beruft sich auch auf SCHLEIERMACHERSchleiermacher, der ja mit HUMBOLDTHumboldt den Geist als wesenhaft in der Sprache gebunden sah. Der ÜbersetzerÜbersetzer soll versuchen, in seiner eigenen Sprache jene „Art des Meinens“ des fremden Textes nachzubilden:

Die wahre Übersetzung ist durchscheinend, sie verdeckt nicht das OriginalOriginals. Ausgangstext, steht ihm nicht im Licht, sondern läßt die reine SpracheSprache, wie verstärkt durch ihr eigenes Medium, nur um so voller aufs OriginalOriginals. Ausgangstext fallen. Das vermag vor allem WörtlichkeitWörtlichkeit in der Übertragung der SyntaxSyntax, und gerade sie erweist das Wort, nicht den Satz als das Urelement des Übersetzers. Denn der Satz ist die Mauer vor der Sprache des Originals, Wörtlichkeit die Arkade. (Aufgabe, S. 166)

BENJAMINS ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie hat vor allem im englischen Sprachraum bis heute stark nachgewirkt, wo Theorien die wörtliche Übersetzung besonders betonen. BENJAMINBenjamin meinte ja: „Die Interlinearversion des Heiligen Textes ist das Urbild oder Ideal aller Übersetzung“ (Aufgabe, S. 169). Damit aber wird Übersetzung zur Utopie.

2.6 Dekonstruktion und UnübersetzbarkeitUnübersetzbarkeit (DerridaDerrida)

In einer sog. postmodernen Literaturtheorie und Philosophie, der u.a. von Jacques DERRIDADerrida (1930–2004) und Paul DE MAN begründeten „Dekonstruktion“, wird die These von der UnübersetzbarkeitUnübersetzbarkeit wieder aufgegriffen und der „unübersetzbare Rest“ in Texten in den Vordergrund der Betrachtung gestellt. Peter V. ZIMAZima (1994) hat einen stringenten Überblick über die Grundaussagen und den wissenschaftstheoretischen Hintergrund der Dekonstruktion vorgelegt; vgl. ferner Philippe FORGETForget (Hrsg.) (1984).

Gemeinhin wird ja angenommen, dass man einen Text schon irgendwie verstehen, eben seinen SinnSinn erfassen und dann auch übersetzen könne. Den Grund hierfür bilden unsere Sprachkenntnisse und dann die Erfahrung durch die Tradition der Überlieferung, dass die Sprachzeichen durchaus immer wieder das Gleiche bedeuten. VerstehenVerstehen sei möglich, wenn nur der gute Wille zur Verständigung vorhanden ist. Dahinter steht der philosophische Gedanke eines Logos als sinntragendem Wort, das immer schon auf die allen gemeinsame WahrheitWahrheit eines auffindlichen Sinns im Ganzen verweist.

Hier hakt die Dekonstruktion ein. Grob vereinfachend ist zu sagen, dass sie sich vor allem gegen die „logozentrische“ Vorstellung einer eingrenzbaren Begrifflichkeit in der Sprache, ein „transzendentes Signifikat“,Sprache wendet. In der Nachfolge Nietzsches wird auf die grundlegende Ambivalenz der Wortbedeutungen in Texten verwiesen, die sich niemals auf einen bestimmten SinnSinn fixieren lassen würden. Zentral ist hier der Terminus écriture, das Schreiben, die Schrift, das Geschriebene, der schriftliche Text. Im Gegensatz zur mündlichen RedeRedes. parole, wo der Sinn des Gemeinten direkt präsent und eindeutig ist, sei es das Wesen schriftlicher Texte, vieldeutig und unbeständig zu sein, da sie in immer wieder neuen Situationen stets neu und anders gelesen werden. Hinter jeder Lektüre steht also eine Übertragung, und dadurch entstehe eine unabschließbare Sinnverschiebung, DERRIDADerrida nennt es die différance, nach dem Verb différer (abweichen). Interpretativ läßt sich kein „Sinn“ fixieren, da jedes Sprachzeichen auf andere verweist und jeder Autor Bedeutungen „endlos aufschieben“ kann.

Die Schrift bringt den Zerfall der semantischen Identität des Zeichens mit sich. Dessen Wiederholung in verschiedenen kommunikativen Kontexten hat abweichende Sinnzuordnungen zur Folge, welche die Identität eines Wortes erschüttern können. DerridaDerrida bezeichnet diese dekonstruierende Wiederholung als Iterabilität (itérabilité) (ZIMAZima 1994:55).

Im Ergebnis entsteht eine Streuung des Sinns von Wörtern, eine Dissémination (DERRIDADerrida 1972). Für DERRIDA besteht das Besondere an einem „Original“ darin, dass es überhaupt für wert befunden wurde, „ein Überleben“ (BENJAMINBenjamin) in einer Übersetzung zu erfahren, die erst zu seiner Erfüllung wird.

The translation will truly be a moment in the growth of the original, which will complete itself in enlarging itself … And if the original calls for a complement, it is because at the origin it was not there without fault, full, complete, total, identical to itself.1

Was hier von Texten und Übersetzungen gesagt ist, war ursprünglich vom einzelnen Zeichen her gesehen:

Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß Derridas dissémination oder Streuung nicht mit dem semiotischen BegriffBegriff der Polysemie identisch ist, der von Greimas und Courtés als Pluri-Isotopie definiert wird: als Zusammenwirken von zwei oder mehreren heterogenen Isotopien (ZIMAZima 1994:72).

Wörter sind geschichtlich und bedeuten niemals nur das, was am Anfang ihres Gebrauchs stand, oder was der AutorAutors. Sender genau damit sagen wollte, sondern ihr SinnSinn „flottiert“ und ist oft „unentscheidbar“ (indécidable). In der Literaturwissenschaft wird die Textinterpretation freilich gerne auf die sog. „Autorintention“ zurückgeführt, deren Festlegung von den Dekonstruktivisten als Illusion oder als Vorurteil entlarvt wird. Ist der Sinn eines Textes wirklich so sicher, gibt es da nicht Brüche (ruptures)? Durch die Infragestellung ihrer zentralen Begriffe werden die expliziten Behauptungen von Autoren „dekonstruiert“.

Das Interesse des Interpreten verlagert sich vom Gemeinten auf die Zeichenstrukturen. Wie autonom sind diese eigentlich? Wörter können sich verselbständigen und so Gedanken, das VerstehenVerstehen in neue Bahnen lenken. Wo ist dann der (ursprüngliche) SinnSinn? Und welcher Sinn wäre dann zu übersetzen? Wie verhindere ich, dass meine Übersetzung wieder anders verstanden wird? Verwiesen wird hier gerne auf das Wortspiel und die Ironie als Motivation des Schreibens:

Weil im Wortspiel und dessen unabsehbaren, nie ganz kontrollierbaren Konsequenzen sichtbar wird, daß kein BewußtseinBewusstsein, keine Vernunft, kein Logos über die SpracheSprache so verfügt, daß sie als Text im (guten) Willen zur Macht des hermeneutischen Regelapparats aufgehen kann, ja, daß sie den Schreibenden (ob Schriftsteller oder Interpret) immer schon hinterrücks (hinter seinem Rücken) überspielt oder – das Bild macht SinnSinn – übertrumpft (FORGETForget 1984:10).2

Die Zweideutigkeit von Wörtern macht auch deren KontextKontext zweideutig:


Erschütterung1) geschüttelt werden, nicht mehr unbewegt sein
2) schütter werden, es entstehen Brüche und Leerstellen
Ungerechtigkeit1) unverdiente, nicht dem Recht entsprechende Behandlung
gleichgültig1) indifferent, egal, nicht interessierend
2) gleich gültig, Egalität
aufheben1) auflösen, vernichten
2) ineinander aufgehen lassen, Synthese
3) hochheben, aufnehmen
4) aufbewahren (Schwäbisch)
Aufgabe1) Vorhaben, Problemstellung, Pflicht
2) Kapitulation vor etwas
excéder1) übertreffen, hinausgehen über
2) ein Exzess sein, irritieren, übertrumpfen
sich auseinandersetzen mit1) sich befassen mit, die Meinung zu etwas sagen
2) sich wegsetzen von
3) Güter trennen (jur.)
un posteur d’écriture1) ein Schriftsteller (der entwirft, kein Garant der WahrheitWahrheit)
imposteur d’écriture

Gras/Sarg: Das Anagramm (Wort rückwärts gelesen) wird auffällig, wenn in einem Roman oft Gras und Sarg verbunden werden, wie z.B. in „Die Leiden des jungen Werthers“ von Goethe.

trace/écart: Gerne werden mit einem Anagramm auch die Spuren des Unbewussten (traces) im Text aufgespürt, die einen Sinnabstand (écart) zum bewusst Ausgesagten indizieren, die Behauptung im Text konterkarieren, überspielen, widerlegen (vgl. FORGETForget 1984:172ff).

Das BewusstseinBewusstsein von der prinzipiellen Nicht-Beherrschbarkeit der SpracheSprache, der Nicht-Festlegbarkeit der Zeichen, die wir miteinander austauschen, widerspricht natürlich der Vorstellung einer bewussten kontinuierlichen Formulierung durch einen AutorAutors. Sender. Bei einer solchen Sprachauffassung ist es nicht verwunderlich, dass DERRIDADerrida auch die Übersetzung als eigentlich unmöglich, als eine Aporie ansieht, auch wenn er kein Übersetzungstheoretiker ist. Er knüpft an die Vorstellungen Walter BENJAMINS an, den er ausführlich kommentiert (vgl. DERRIDA 1987:207). Dessen Sprach- und ÜbersetzungstheorieÜbersetzungstheorie (s. Kap. 2.5) liegt ja der Gedanke zu Grunde, dass das mimetische (abbildende) Prinzip für die Besonderheit der Einzelsprachen verantwortlich sei. Nicht etwa ein bestimmter Aussagewille, sondern das Unreflektierte in einem Diskurs sei das Entscheidende. Schon deswegen könne es nicht darum gehen, wie LUTHERLuther verlangt hatte (s. Kap. 1.4), die Übersetzung den Anforderungen der Empfänger anzupassen.

BENJAMINBenjamin stellte sich einen ÜbersetzerÜbersetzer vor, der in seiner eigenen SpracheSprache versucht, „die Art des Meinens“ des fremden Textes nachzubilden. Hier knüpft DERRIDADerrida (1987:201) an und unterstreicht mit dem Hinweis auf den Mythos von Babel die Unmöglichkeit des Übersetzens. Es sind vielfältige Sprachen entstanden, und der Übersetzer kann sich nicht über deren Ausdrucksebenen hinwegsetzen und so tun, als gäbe es ein Verhältnis der EntsprechungEntsprechung zwischen den Zeichen. Insbesondere Dichtung sei unübersetzbar, und so schreibt DERRIDA (1987:220, zit. nach ZIMA 1994:87):

Die Übersetzung strebt nicht danach, dies oder jenes zu sagen, diesen oder jenen SinnSinn zu übertragen oder eine bestimmte BedeutungBedeutung mitzuteilen, sondern sie will die Affinität zwischen den Sprachen aufzeigen und ihre Möglichkeit erkennen lassen [remarquer l’affinité entre les langues].

Das stets Intakte, Unfaßbare, Unberührbare ist es, was den ÜbersetzerÜbersetzer fasziniert und seine Arbeitsweise bestimmt. [Le toujours intact, l’intangible, l’intouchable, c’est-ce qui fascine et oriente le travail du traducteur] (ebd.:224).

Dieser „unfassbare Rest“ – wir denken an das Unbewusste – beherrscht auch Paul DE MANS Kommentar zu BENJAMINS oben erwähntem Aufsatz. „Der amerikanische Dekonstruktivist deutet das Wort Aufgabe in ‘Die Aufgabe des Übersetzers’ als Verzicht, als Kapitulation vor dem Unübersetzbaren, das aus einer Aporie hervorgeht. Diese kommt dadurch zustande, dass die Forderung nach Originaltreue unaufhebbar der Forderung nach einer freien, der ZielspracheZielspraches. ZS treuen Übertragung widerspricht. DE MAN spricht in diesem Zusammenhang von einer ‘Aporie zwischen FreiheitFreiheit und TreueTreue zum Text’“ (ZIMAZima 1994:87).

Die Dekonstruktivisten nehmen vor allem die Widerstände wahr, auf die der ÜbersetzerÜbersetzer stößt. Problematisch ist es allerdings, wenn die „magische Seite der SpracheSprache“ (BENJAMINBenjamin) zu einem quasireligiösen Zauber hochstilisiert wird, um daraus die Aporie des Übersetzens abzuleiten. Dies führt für eine TheorieTheorie des Übersetzens völlig in die Sackgasse.

Die Dekonstruktion ist eine Denkmethode, die radikal alle Schemata und ihre sprachliche Fixierung in Frage stellt. Sie ist eigentlich nicht definierbar, weil ja eine Definition den Prinzipien der Dekonstruktion widerspräche und bei jeder Wiederholung selbst wieder dekonstruiert werden müsste. Dekonstruktion ist eine Art ständiges In-Beziehung-Setzen von Erkanntem zu anderem, und dadurch die Produktion von „neuem Sinn“. Dies eignet sich besonders für die Ideologiekritik, wo herkömmliche Überzeugungen kritisch hinterfragt werden sollen.

Kommentar

Wenn Sprachen als direkter AusdruckAusdruck einer KulturKultur, einer nationalen Eigentümlichkeit gesehen werden, können fremde Texte immer nur annähernd übertragen werden. Auffällig bei diesen relativistischen Theorien ist die BetonungBetonungs. Fokussierung des einzelnen Wortes, in dem sich die Fremdheit des anderen Weltbilds oder die Eigenart des Dichters, ja dessen unergründliches Unbewusstes konzentriert. Dann wird das ÜbersetzenÜbersetzen einer fixierten WahrheitWahrheit in der Tat unmöglich.

Die Wirkung SCHLEIERMACHERS war nicht eine Tendenz zum verfremdenden Übersetzen, sondern vielmehr ein neues Interesse an historisch-kritischer Textanalyse, was zur Entstehung der diachronischen Sprachforschung führte.

Lektürehinweise

Walter BENJAMINBenjamin (1923): „Die Aufgabe des Übersetzers“. In: H.J. STÖRIGStörig: Das Problem des Übersetzens. Darmstadt 1969, S. 156–169.

Jacques DERRIDA (2007): Psyche. Inventions of the other, vol. I. Chicago.

Philippe FORGETForget (Hrsg.) (1984): Text und Interpretation. München (UTB 1257).

Werner KOLLERKoller (1992, 82011): Einführung in die Übersetzungswissenschaft. Heidelberg/Wiesbaden (UTB 819), insbesondere Kapitel 2.1.

Mario WANDRUSZKAWandruszka (1984): Das Leben der Sprachen. Vom menschlichen Sprechen und Gespräch. Stuttgart.

Iwar WERLEN (2002): Sprachliche Relativität. Tübingen (UTB 2319).

BenjaminBenjamin Lee WHORFWhorf (1963): Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie. Reinbek bei Hamburg.

Peter V. ZIMAZima (1994, 22016): Die Dekonstruktion. Tübingen (UTB 1805).

1 914,22 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
741 стр. 19 иллюстраций
ISBN:
9783823300878
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают