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Lichtwesen

Glaubt mir, Leute, das war für mich als frischgebackener Jenseitiger nicht gerade leicht zu verstehen. Aber je mehr ich verstand, umso mehr nahm das Jenseits für mich Formen an.

Plötzlich tauchten um mich herum Lichtgestalten auf. Sie kommunizierten mit mir. Ihr müsst euch das nicht wie ein Gespräch vorstellen. Bei einer Unterhaltung im Jenseits bekommt das Bewusstsein wie beim Überspielen von einer zur anderen Festplatte neues Wissen übermittelt. Diese faszinierenden Lichtgestalten versprühten unsagbar schöne Farben, die ich wiederum auch mit anderen Augen als den irdischen wahrnahm. Es ist einfach alles Bewusstsein. Man nimmt wahr und weiß. Ich fühlte mich jedenfalls sehr wohl und vollkommen angenommen in dieser Gesellschaft. Auch wusste ich, dass wir irgendwie alle zusammengehören und uns trotzdem voneinander unterscheiden. Jede Wesenheit trug eine andere Farbe. Da war zum Beispiel der Violette - genau so ein Typ wie ich, der mir seine Unsicherheit übermittelte. Er gesellte sich sofort zu mir, denn auch er verstand so vieles nicht. Wir beide waren Anfänger in der Gesellschaft der Jenseitigen, deshalb trugen wir dieses tiefviolette Licht, das ziemlich dunkel war und kaum leuchtete. Die Fortgeschrittenen hingegen überfluteten uns Anfänger mit einem Feuerwerk aus faszinierenden Farblichtern. Sie leuchteten golden, himmelblau, silbrig, rosa und hörten nicht damit auf, hieraus immer neue unbeschreiblich betörende Farben entstehen zu lassen.

„Schon wieder Klassenunterschiede“, dachte ich so für mich. Der Violette mischte sich sofort ein:

„Da hast du vollkommen recht, Rainer, das hört wohl niemals auf.“

„Ihr habt noch viel zu lernen!“, entgegneten sanfte, fröhliche Stimmen, die zu den Fortgeschrittenen mit den tollen Lichtkleidern gehörten.

Ich sage euch, Leute, man kann hier gar nichts denken, ohne dass die anderen oder das übergeordnete Bewusstsein es mitbekommen. Das mag euch nicht gerade erstrebenswert vorkommen. Kam es mir zuerst auch nicht. Aber glaubt mir, später erkannte ich, dass es wunderbar ist.

„Du machst erste Fortschritte, Rainer. Es freut mich sehr, dass dir deine Gesellschaft gefällt. Du musst aber noch eine ganze Menge lernen!“

„Gerade fange ich damit an, mich zu arrangieren und auch irgendwie wohlzufühlen, schon kommst du mit neuen Pflichten.“

„Aber, aber, mein lieber Rainer, das sind doch keine Pflichten, sondern therapeutische Maßnahmen.“

Den Violetten hatte ich nun ständig an den Hacken hängen. Ich schien ihn nicht mehr loszuwerden. Er hatte eine Menge auf dem Kerbholz, was ihn jetzt in seinem jenseitigen Zustand sehr quälte. Trotz seiner tiefen Reue und unserem anfänglichen Verständnis wollte ich mich jetzt mit diesem Typen nicht weiter abgeben, nicht mit ihm auf einer Stufe stehen. Ich fühlte mich als etwas Besseres. Aber ich wurde ihn einfach nicht los. Er war in meinem Bewusstsein und suchte hier nach Vereinigung. Ich sträubte mich dagegen, denn seine Taten, die er zu seinen Lebzeiten begangen hatte, schienen mir mehr als verabscheuungswürdig. Gegen ihn war ich nun wirklich ein Waisenknabe. Nein, bei aller Liebe, ich wollte mit diesem Abschaum der Menschheit nichts zu tun haben. Die strahlenden Lichtwesen waren mein Ziel. Aber das andere Bewusstsein belehrte mich eines Besseren.

„Rainer, du verurteilst ihn, weil du dich für etwas Besseres hältst. Aber du bist nicht in seinen Schuhen gegangen - du weißt nicht, wie unbequem sie für ihn waren. Also kannst du dir kein Urteil erlauben!“

„Nun, findest du es denn in Ordnung, dass er so viel Leid über seine Mitmenschen gebracht hat - aus welchen Gründen auch immer?“

„Ich urteile nicht. Er muss seine Taten vor sich selbst verantworten. Spätestens jetzt erkennt er, was er in seinem Leben angerichtet hat. Er durchlebt das Leid seiner Opfer, was ihm unendliche Seelenqualen bereitet. Nun bereut er zutiefst seine Schandtaten und ihm ist verziehen. Das Schwierigste aber für ihn ist jetzt, diese Verzeihung anzunehmen und sich selbst zu vergeben. Lieber Rainer, ich sage dir zu deiner Selbstgerechtigkeit - wenn du ohne Schuld bist, dann wirf den ersten Stein!“

„Schon gut, ich habe verstanden. Was soll ich auch anderes sagen, denn ich bin nicht ohne Schuld. Aber doch ein Stück weniger als der Violette. Auch mein Lichtkleid ist nicht ganz so dunkel wie seines. Das ist doch schon ein Beweis dafür, dass ich mit ihm nicht auf einer Stufe stehe!“

„Du musst immer das letzte Wort haben. Hierdurch wirst du niemals eine Akzeptanz des jetzigen Gegebenen erreichen.“

*

Wie ihr euch sicher denken könnt, war dem Violetten meine Einstellung bewusst. Ich hatte ihn hiermit sehr verletzt, was ich auch sofort zu spüren bekam. Das, was ich dem Violetten mit meinem Urteil antat, schmerzte mich jetzt selbst. Man muss sich hier schon ganz schwer am Riemen reißen mit dem, was man so denkt. Was mich allerdings noch mehr schmerzte, war die Tatsache, dass der Violette mir meine Selbstgerechtigkeit verzieh. Anscheinend war er weiter als ich. Er hieß Karl. Es war ihm wichtig, dass ich seinen irdischen Namen akzeptierte und ihn in mein Bewusstsein aufnahm.

„Also schön, das kann ich ja tun, ohne gleich dicke Freundschaft mit Karl zu schließen“, dachte ich so bei mir, während ich immer noch versuchte, hier meine eigenen Regeln aufzustellen.

Glaubt mir, ich anstelle des anderen Bewusstseins hätte mich schon längst fallen lassen. Aber das tat es nicht. Es begegnete mir ausschließlich mit unendlicher Güte und einem absoluten Verständnis, was ich wiederum keinesfalls zu würdigen wusste. Ich konnte diesen Supergeist einfach nicht aus der Fassung bringen, egal wie unverschämt und respektlos ich mich ihm gegenüber benahm. Nun, ich war schließlich immer ein rational denkender Mensch gewesen.

Jetzt als körperloses Wesen zu existieren, war mir mehr als suspekt. Diese fremde Welt warf Fragen über Fragen auf. Zudem glaubte ich immer noch, dass ich mich in einem Traum befand, aus dem ich irgendwann aufwachen würde. Die ganze Kiste war für mich einfach zu surreal. Außerdem empfand ich nicht wirklich Reue über mein vergangenes Leben. Einiges tat mir zwar aufrichtig leid, aber zutiefst bereuen konnte ich meine kleinen Schandtaten nicht. Schließlich hatte ich in einer Welt gelebt, in der sich ein jeder selbst der Nächste ist. Wenn man nicht nach diesem Prinzip lebte, wurde man rücksichtslos niedergetrampelt. Wie also hätte ich mich demnach anders verhalten sollen, um ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen?

„Aber du hattest keinen Frieden und keine Freude in dir. Du warst nicht frei. Getrieben von der Sucht nach immer größerem Erfolg hast du versucht, deine innere Leere auszufüllen. Die Erfüllung deiner materiellen Wünsche bescherte dir nicht wirklich Zufriedenheit, sondern lediglich ein kurzes Glücksgefühl, das aber sogleich wie ein Schmetterling davonflatterte und in dir neue Wünsche zurückließ!“

„Ach, du kannst sagen, was du willst. Ich fühlte mich ganz wohl dabei und war zufrieden mit meinem Leben.“

„Dir hat es also an nichts gefehlt? Es hat dir nichts ausgemacht, dass du allein warst, weil deine Angst vor Bindung so übermächtig war?“

„Nein, absolut nichts!“

„Rainer, du machst dir etwas vor. Denke doch bitte einmal an die Geschichte mit Gloria zurück.“

„Dir entgeht nun wirklich nichts!“

„Nein, gar nichts!“

*

Die Geschichte mit Gloria lag so weit zurück, dass ich sie schon fast vergessen hatte. Nun, ich war damals blutjung und ein ziemlich schüchterner junger Mann, als ich mich in Gloria verliebte. Ja, meine Lieben, ihr werdet es kaum glauben, aber zur damaligen Zeit war ich ein völlig Anderer. Ich besaß kein Selbstbewusstsein und hatte noch nicht gelernt, meine Unsicherheit zu überspielen. Umso mehr grenzte es fast schon an ein Wunder, dass ich bei diesem tollen Mädchen hatte landen können. Allerdings lebten wir in zwei verschiedenen Welten, die unterschiedlicher gar nicht hätten sein können. Unsere Welten waren wie Himmel und Hölle, wobei die meine die Hölle der Entbehrungen war. Ihr müsst dazu wissen, dass das Drama schon vor meiner Geburt seinen Anfang nahm. Mein Erzeuger hatte meine Mutter mit mir schwanger sitzen lassen und sich verantwortungslos aus dem Staub gemacht. Heutzutage ist das keine große Katastrophe, weil die Frauen inzwischen gelernt haben, allein im Leben zurechtzukommen. Aber zu Ende der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts war eine Frau in dieser Situation doch ziemlich angeschmiert. Meine arme Mutter rackerte sich von früh bis spät ab, um uns einigermaßen über die Runden zu bringen. Sie hastete tagsüber von Putzstelle zu Putzstelle und abends nähte sie daheim bis tief in die Nacht hinein für fremde Leute. Über ihr freudloses Dasein beklagte sie sich nie. Ganz im Gegenteil, meine Mutter war zu meinem großen Unverständnis immer fröhlich. Sie vermittelte mir bei jeder Gelegenheit, dass ich der Grund für ihre große Freude sei und dass sie alles dafür tun würde, um mir ein besseres Leben zu ermöglichen. Schon als Kind empfand ich es als ziemlich ungerecht, dass wir uns trotz der harten Arbeit meiner Mutter so gut wie gar nichts leisten konnten. Meiner Meinung nach wurde meine Mutter einfach zu schlecht bezahlt. Aber trotz aller Entbehrungen waren wir irgendwie glücklich. Auch meine Wünsche wurden mir meistens erfüllt. Mutter putzte und nähte für gut situierte Leute, die natürlich ebenfalls Kinder hatten. So trug ich die abgelegte Kleidung von den „besseren“ Kindern und erhielt auch das gebrauchte Spielzeug aus diesen Kreisen, so dass es mir eigentlich an nichts fehlte. Mutter sagte dann immer voller Dankbarkeit: „Siehst du, mein Junge, Gott versorgt uns schon, auf ihn ist immer Verlass!“ Ich allerdings dachte in diesen Momenten: „Die Reichen scheint er aber offensichtlich lieber zu mögen.“ Für meine Mutter aber waren diese materiellen Dinge nicht so wichtig. Sie legte jeden Pfennig, den sie erübrigen konnte, für meine Ausbildung zurück, denn Bildung war ihrer Meinung nach das Wichtigste im Leben.

Ich sage euch, meine Lieben, meine Mutter war eine fabelhafte Frau, die immer ihren Mann gestanden hat. Alles Gute in meinem Leben habe ich ihr zu verdanken. Ich hätte keine bessere Mutter haben können. Nun aber wieder zu Gloria:

Ich lernte dieses schöne Mädchen während meines Studiums kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Als sie mir begegnete, stockte mir der Atem und ich brachte kein vernünftiges Wort heraus, so dass ich mir damals vorkam wie ein Idiot. Gloria sah aus wie ein Engel. Ihre außergewöhnliche Schönheit zog einen jeden gleich in ihren Bann. Ihr wunderschönes Gesicht mit der lustigen Stupsnase war umrahmt von langen blonden Locken. Und wenn ich an ihre atemberaubende Figur zurückdenke, dann komme ich selbst als körperloser Jenseitiger noch ins Schwärmen. Aber am faszinierendsten waren für mich ihre großen Augen, die ihr feines, zartes Gesichtchen vollends beherrschten und so veilchenblau wie das klare Wasser eines Bergsees waren. Besser kann ich dieses Märchenwesen nicht beschreiben. Mir fehlen die Worte, um ihrer Schönheit gerecht zu werden. Macht euch einfach selbst ein Bild von ihr.

Mit Gloria erlebte ich eine wunderbare Zeit im Zauber der unbeschwerten Jugend. Bieten konnte ich ihr allerdings nichts. Meistens trafen wir uns zu langen Spaziergängen, knutschten auf Parkbänken oder im Freibad herum und aßen manchmal - wenn mein knappes Budget es erlaubte - in irgendeiner Kaschemme zu Abend. Gloria, das verwöhnte Töchterchen reicher Eltern, war erstaunlicherweise mit allem zufrieden. Ihre große Verliebtheit machte sie gegenüber allen anderen Bedürfnissen genügsam. So ging es einen ganzen Sommer lang. Wir taumelten im Glück, waren uns selbst genug, schmiedeten Zukunftspläne und fühlten uns unverwundbar. Die Realität um uns herum versank in einem Meer aus verheißungsvollen Träumen, die uns glückselig durch unseren Alltag trugen und uns Glauben machten, alles erreichen zu können, was immer wir wollten.

Ja, meine lieben Lebenden, der Rausch meiner ersten großen Liebe endete für mich in einer jähen Enttäuschung. Der Tag meines Aufwachens war Glorias 21. Geburtstag. Zuvor erhielt ich per Post eine kunstvoll gestaltete Einladungskarte, die mich damals sehr überraschte. „Hätte sie mir auch selbst sagen können, dass ich zu ihrer Geburtstagsfeier kommen soll“, sagte ich zu meiner Mutter, während ich ihr voller Stolz die Einladung mit der piekfeinen Adresse zeigte.

Aber meine Mutter war nicht sonderlich beeindruckt, sondern wirkte eher besorgt, als sie die Karte las. Ich hatte ihr Gloria zwar noch nicht vorgestellt, aber ihr bereits jede Menge von diesem Mädchen vorgeschwärmt. So verstand ich damals nicht, dass meine Mutter sich nicht mit mir über die Einladung freuen konnte, sondern sogar versuchte, mir die Teilnahme an Glorias Party auszureden: „Rainer, findest du es richtig, zu dieser Feier zu gehen? Glorias Eltern sind stadtbekannte, superreiche Leute, die nicht zu uns passen. Sie gehören zu einer anderen Gesellschaftsschicht, mit der wir nicht mithalten können. Was kannst du diesem verwöhnten Mädchen schon bieten?“ Ich hatte kein Verständnis für die Bedenken meiner Mutter und reagierte ziemlich barsch: „Mama, das ist wieder ganz typisch für dich, du denkst einfach viel zu kleinbürgerlich. Die Zeiten der großen Standesunterschiede sind lange vorbei. Gloria liebt mich und ist mit allem zufrieden, was ich ihr momentan bieten kann.“

Meine Mutter lächelte und lenkte ein, während sie mir neckisch an den Ohren zog: „Nun, vielleicht hast du ja recht, mein Großer. Ich gönne dir dein Glück von ganzem Herzen, das kannst du mir glauben. Aber ich will einfach nicht, dass man dich enttäuscht und du dich von deinem Studium ablenken lässt. Schließlich hast du, seitdem du dieses Mädchen kennst, kaum noch etwas dafür getan. Mir ist aufgefallen, dass du so gut wie gar nicht mehr lernst. Wenn meine Bedenken für dich kleinbürgerlich sind - nun, dann stehe ich zu meiner Kleinbürgerlichkeit.“

Mir war klar, wo der Hase begraben lag. Meine Mutter war stinksauer, weil ich mit der Lernerei etwas geschludert hatte.

Ich jedenfalls war mit dem Thema durch. Für mich gab es kein „Wenn“ und kein „Aber“. Ich war mir meiner Sache mit Gloria sicher und nichts auf der Welt hätte mich davon abhalten können, ihrer Einladung Folge zu leisten.

Nun, meine lebenden Freunde, ihr werdet euch sicher schon denken können, wie die ganze Sache ausging.

Die Party endete für mich in einem großen Desaster, an dem ich noch lange zu knacken hatte. Wenn ich es recht bedenke, wahrscheinlich mein ganzes Leben lang. Gloria hatte mich zutiefst verletzt, so dass ich nie wieder einer Frau vertrauen konnte.

Manchmal sollte man besser auf seine Mutter hören, wenn es auch noch so schwer fällt. Sie darf im Nachhinein nur nicht sagen: „Ich habe es doch gewusst!“ Meine Mutter war so weise und tat das damals nicht, obwohl ihr dieser Satz wahrscheinlich heiß auf der Zunge brannte, als ich wie ein verprügelter Hund an diesem besagten Abend heimkam.

Eigentlich möchte ich nicht weiter darüber reden. Ich muss gestehen, dass die Erinnerung an diesen Abend mich immer noch sehr schmerzt.

„Du hast die Geschichte noch nicht verarbeitet, weil du sie dein Leben lang verdrängt hast, Rainer. Deshalb musst du darüber reden, um damit abzuschließen.“

„Ach, du bist es, der große Meister der Psychologie, der dem armen Jungen diese Schmach nicht ersparen wollte.“

„Rainer, du bist verbittert und ungerecht. Deine Mutter hat dich damals gewarnt. Du hast nicht hören wollen. Es war dein freier Wille, diese Feier zu besuchen. Vergiss das bitte nicht!“

„Ja, aber was ist denn so falsch daran, wenn man als junger, schwerverliebter Mann an der Geburtstagsfeier der Freundin teilnehmen möchte? Schließlich konnte ich nicht ahnen, worauf das hinausführt.“

„Rainer, gar nichts ist falsch daran. Man hat dir einfach übel mitgespielt. Ich sprach bereits mit dir von den Dingen hinter den Dingen, auf die du keinen Einfluss hast. Negative Energie hat dir einen Stromschlag versetzt, von dem du dich niemals so richtig erholt hast.“

„Und du hast es zugelassen!“

„Nein, ich habe dir die Möglichkeit gegeben, dich weiterzuentwickeln. Hierzu gehören nun einmal die beschwerlichen Wege durch dunkle Täler. Der Weg zum Licht führt durch die Finsternis. Wer nie am Boden lag, wird den Himmel nicht erreichen!“

„Das ist mir einfach zu hoch. Kannst du als Allmächtiger nicht endlich mal mit der Faust auf den Tisch hauen, wenn so eine Riesensauerei passiert? Wäre ich Gott, würde ich das tun.“

„Wärest du Gott, wäre ich es nicht und die irdische Welt hätte schon längst eins auf den Hut bekommen, weil du in deiner Ungeduld genug von ihr hättest!“

„Da magst du recht haben. Ich würde ihnen schon zeigen, wo es langgeht. Ungerechtigkeit würde ich erst gar nicht dulden. Da würde ich gleich dazwischenfunken!“

„Siehst du, mein Sohn, deshalb bist du nicht Gott. Du eignest dich besser zum großen Zampano vom Rummelplatz, der alle Taschenspielertricks beherrscht.“

„Jetzt muss ich aber lachen. Manchmal bist du wirklich irre komisch.“

„Ich sagte dir bereits, dass ich einen großen Humor besitze und gerne lache.“

„Du bist schon ganz in Ordnung. Verzeihe mir bitte meine Aufsässigkeit.“

„Schon vergeben. Du kannst mich gar nicht damit ärgern. Ich weiß, dass du nicht anders kannst. Schließlich kenne ich dich in- und auswendig, so dass mich nichts an dir überrascht oder gar schockt.“

„Kann dich überhaupt etwas schocken?“

„Nein, mir ist nichts Menschliches fern. Ich habe für alles Verständnis, bin voller Liebe und Freude, die ich an euch weitergeben möchte. Ich warte auf euch, dass ihr zu mir kommt, damit ich euch mit meinem Geist erfüllen kann. Dies geschieht im Glauben. Euer Glaube ist die Nabelschnur zu Gott. Ich bin jeder Stein, jeder Planet, jeder Stern, jedes Atom, jeder Tropfen im Ozean. Ich bin das Eine und das Alles und ihr seid ein Teil von mir.“

„Heißt das, dass auch ein Mörder zu dir kommen kann und du Verständnis für seine Gräueltaten aufbringst?“

„Ja, auch ein Mörder darf zu mir kommen. Ein jeder, der Gott aufrichtig sucht, findet bei mir Erlösung von der Herrschaft seines dunklen, quälenden Geistes. Auch einem Mörder, der reumütig zu mir kommt, wird ein neuer Geist gegeben.“

„Nun, ich bin beeindruckt. Wäre ich Gott, würde ich mir den Abschaum aber vom Halse halten und das ganze Pack vernichten.“

„Siehst du, deshalb bist du nicht Gott, sondern der Zampano vom Rummelplatz.“

„Aber es muss doch eine ausgleichende Gerechtigkeit für diese Typen geben. Die dürfen doch nicht ungestraft davonkommen.“

„Ich werde es dir auf einfache Weise in einem Kontext erklären, den du verstehen kannst. Das Prinzip ist im Grunde genommen sehr simpel. Alles Böse, was ihr dem Leben zufügt, fügt ihr euch letztendlich selbst zu. Ergo - liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Kein Mensch kann glücklich sein, der dem Bösen verfallen ist. Seine Seele befindet sich in einem tiefen schwarzen Loch, aus dem es kein Entrinnen gibt. Eure Wissenschaftler haben mittlerweile entdeckt, dass es im Universum dunkle Energie gibt. Die gesamte Materie besteht aus Atomen - aus beweglichen, geladenen Teilchen, die ständig in Bewegung sind und Veränderung hervorrufen. Auch euer Körper besteht daraus. Das heißt, dass alle Materie ständig in Bewegung ist. Alles fließt. Somit ist die Welt - wie ihr sie seht - eigentlich eine Illusion, ein Hologramm, zu Materie erstarrter Geist. Der Geist ist hochexplosiv und erschafft die Materie - Energie ist sein Werkzeug. Vor den großen Errungenschaften der Wissenschaft und allem Geschaffenen stand zunächst immer ein geistiger Impuls - eine Idee, die trotz aller rationalen Widrigkeiten vom unerschütterlichen Glauben an das Gelingen getragen wurde. Auch das ist in gewisser Hinsicht Religion - eine Rückverbindung mit Gott. So arbeiten eure Wissenschaftler durch den starken Glauben an ihre Theorien im Endeffekt unbewusst mit Gott zusammen, obwohl sie immer das Gegenteil beweisen wollen. Hinter dunkler Energie aber steht ein dunkler Geist - nicht die Schöpferkraft, sondern die Kraft der Zerstörung. Metaphysisch gesehen - der Teufel - das Antileben. Dunkle Energie breitet sich im Universum immer weiter aus. Es beginnt der Kampf zwischen Licht und Dunkelheit. Selbst wenn diese alles verschlingende Energie übermächtig wird und das gesamte Universum in ihren Höllenschlund zieht, so wird sie niemals den Sieg davontragen. Auch wenn alle Materie am Ende der Zeit im Schlund der Finsternis zu einem winzigen, unvorstellbar massereichen Punkt zusammengepresst wird, so enthält dieser Winzling dennoch genügend Energie und alle erforderlichen Daten zur Auslösung einer sich rasend schnell ausdehnenden Supernova. Alles beginnt von vorn und ich erschaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde.

„Bei mir gibt es keinen Tod, es gibt keinen Anfang und es gibt kein Ende. Alles, was war - alles, was ist, und alles, was sein wird, geschieht gleichzeitig. Alles andere ist Illusion!“

„Ach, lassen wir das jetzt. Das versteht doch kein Mensch und ist auch schon wieder mehr, als ich verkraften kann. Ich glaube, nun bin ich meinen irdischen Freunden noch den Rest der Geschichte schuldig.“

„Gut, lege los, Rainer. Ich bin froh, dass du jetzt wieder darüber reden kannst. Es wird dich befreien.“

*

Mensch, Leute, das war ja mal wieder der Hammer. Mir fällt es schwer, das alles zu verstehen. Euch wahrscheinlich auch. Der „Chef“ gibt sich wirklich große Mühe, uns ein bisschen schlauer zu machen. Aber ehrlich gesagt, ihn zu verstehen erfordert schon eine ganze Menge Grips. Jetzt will ich euch aber nicht länger auf die Folter spannen. Ihr wartet doch schon darauf, wie es damals mit Gloria endete.

Wie ihr euch sicher denken könnt, wollte ich beim ersten Zusammentreffen mit Glorias Eltern einen guten Eindruck machen. Also ging ich noch zum Friseur, um meine langen Haare in Form schneiden zu lassen. Außerdem zwängte ich mich in einen Anzug, den meine Mutter wieder irgendwo für mich ergattert hatte. Für Hemd und Krawatte musste ich leider ein wenig Geld ausgeben. Meine Mutter, die absolute Jeansgegnerin, war endlich einmal zufrieden mit meinem Äußeren. Sie war total begeistert. Ich hingegen fühlte mich in dieser Aufmachung nicht so ganz wohl. Für meine Begriffe war das alles viel zu steif. Ich kam mir vor wie ein spießiger Musterknabe, aber war schon davon überzeugt, dass ich für diesen Anlass korrekt gekleidet war.

Meine Güte, Leute, ich sage euch, wenn man um jeden Preis alles richtig machen will, sich verdreht und verbiegt, um anderen Leuten zu gefallen, dann ist das der sicherste Weg, um gründlich auf die Schnauze zu fallen.

Und ich fiel derbe auf die Schnauze. Jetzt amüsiert ihr euch wahrscheinlich köstlich über mich und stellt euch vor, wie lächerlich ich mich in meinem abgetragenen Anzug gemacht habe. Hätte ich doch wenigstens Turnschuhe dazu getragen. Dann wäre ich noch einigermaßen cool herübergekommen. Aber nein, es mussten blankgeputzte, schwarze Treter sein, die mir auch noch eine Nummer zu klein waren. Meine Mutter hatte sie aus dem Nachlass eines verstorbenen Onkels neben anderen Altmännerklamotten mal wieder für mich zusammengerafft. Die Dinger quetschten mir schmerzhaft die Zehen zusammen, weil sie vorne ziemlich spitz gearbeitet waren. Mein Gang war dementsprechend wie auf Eiern. Es war ein ziemlich heißer Spätsommertag, so dass ich in meinem gezwungenen Outfit zu allem Übel noch schwitzte wie ein Affe. Ich sage euch, Leute, tragt niemals Klamotten, in denen ihr euch nicht wohlfühlt. Lasst euch nicht dazu überreden, denn wie außen so innen.

Kurzum, ich durchschritt in meinem lächerlichen Aufzug die riesige schmiedeeiserne Pforte, die heute für die Gäste geöffnet war und den Zutritt zum Park von Glorias Heim ermöglichte. Ja, es war nicht etwa ein großer Garten, sondern vielmehr ein Park mit einer riesigen links und rechts von hohen Bäumen eingesäumten Auffahrt zur Villa. Man musste schon ein ganzes Stück zurücklegen, um das Prachthaus zu erreichen. Ich war zutiefst beeindruckt, aber auch total verunsichert. Am liebsten hätte ich auf der Stelle kehrtgemacht, aber meine Liebe zu Gloria ließ einen Rückzieher nicht zu. Während ich die Auffahrt zur Villa zu Fuß erledigen musste, rauschten an mir fortwährend teure Cabriolets mit gutgelaunten jungen Leuten vorbei. Alle waren sie sommerlich leicht und lässig gekleidet. Ich war auch damals kein Trottel, wenn ich auch so aussah. Meine innere Stimme sagte mir längst in einer Tour: „Hau ab, bevor du dich hier gänzlich blamierst!“ Aber ich hörte nicht auf sie. War es nun die Liebe zu Gloria, die mich antrieb, oder meine Neugier darauf, wie die „Geldsäcke“ leben und feiern - ich weiß es nicht. Jedenfalls war mir mein Stolz an diesem Abend völlig abhandengekommen. Ich ließ sogar das hämische Gelächter über mich ergehen, wenn mal wieder so ein Luxusschlitten mit Luxuskindern an mir vorbeirauschte, während ich mich beschwerlich mit höllisch schmerzenden Füßen um jeden schweißtreibenden Schritt zur Bewältigung meiner Wegstrecke bemühte. Vielleicht spürte ich unbewusst, dass ich die Erfahrung der vollkommenen Demütigung machen musste, auch wenn sie noch so schmerzlich war. Sie war aber im Nachhinein gesehen ganz sicher richtungweisend für die Gestaltung meines späteren Lebens.

Wie ihr schon erraten könnt, blamierte ich mich bis auf die Knochen. Ich war der Hofnarr des Abends, über den sich alle lustig machten. Auch meine geliebte Gloria war hiervon nicht ausgenommen. Sie hatte mich den ganzen Abend über links liegen gelassen und mir zu verstehen gegeben, dass ich ihr peinlich war. Darüber hinaus präsentierte sie der Allgemeinheit noch zu später Stunde ihren Verlobten, der selbstverständlich standesgemäß war. Wisst ihr, was das Gute ist? Wenn man so viele Tritte bekommt wie ich an diesem Abend, dann kommt es auf einen mehr oder weniger nicht mehr an. Der erste Tritt ist immer am schmerzhaftesten, den zweiten und dritten spürt man auch noch, vielleicht auch den vierten und fünften, aber spätestens dann wird man immun dagegen und es bildet sich ganz wundersam eine Hornhaut auf der Seele.

Die ersten Tage nach meiner großen Niederlage leckte ich natürlich meine Wunden. Ich wollte niemanden sehen. Meine Mutter ließ mich Gott sei Dank in Ruhe. Sie stellte mir keine Fragen. Schließlich war sie eine weise, lebenserfahrene Frau, die genau wusste, welche Enttäuschung ich erfahren hatte und was ich jetzt durchmachen musste. In dieser Zeit fasste ich einen Entschluss. Von nun an wollte ich mich für mein Wirtschaftsstudium auf die Hinterbeine setzen. Ich wollte besser sein als jeder andere, mehr geben als nötig, um eines Tages das Leben führen zu können, wovon ich träumte. Ich wollte hinaus aus den Entbehrungen, meiner Mutter ein vernünftiges Leben ermöglichen und es allen zeigen, die über mich gelacht haben.

An diesem Ziel hielt ich mit eisernem Willen fest. Es wurde zur obersten Priorität in meinem Leben. Hier war kein Platz mehr für tiefgehende Liebesgeschichten.

*

„Nun, Rainer, ist es endlich heraus. Du hast dir alles von der Seele geredet und die Hornhaut darauf - wie du es ja so schön ausgedrückt hast - aufgeweicht. Kannst du jetzt auch den Menschen verzeihen, die dich damals gedemütigt haben?“

„Weißt du, eigentlich sind sie mir inzwischen egal. Sie werden schon alle ihre Denkzettel bekommen.“

„Würde dich das freuen, wenn es so wäre?“

„Ja, schon, es würde mir Genugtuung verschaffen.“

„Was hättest du von dieser Genugtuung, außer dem niederen Gefühl der Schadenfreude?“

„Eigentlich nichts!“

„Und warum willst du dich belasten - für nichts?“

„Weiß ich nicht!“

„Ich sage dir, wenn du dir selbst ein Geschenk machen willst, dann verzeihe ihnen von ganzem Herzen. Das macht dich frei von ihnen.“

„Gut, ich verzeihe ihnen.“

„Rainer, das kommt aber nicht von ganzem Herzen, nicht aus tiefster Seele. Aber es ist für den Anfang schon gut, dass dir deine Peiniger gleichgültig sind. Ihre Denkzettel allerdings gehen dich absolut nichts an.“

„Siehst du, du bist eben doch eine Spaßbremse. Ich würde dich anlügen, wenn ich behauptete, dass es mir keine Freude bereiten würde, diese Typen auch einmal ganz weit unten zu sehen. Das heißt ja nun nicht, dass ich ihnen den Schaden zufügen will. Obwohl ich mit meinen jetzigen Fähigkeiten doch mal ganz gern bei ihnen spuken würde.“

„Rainer, ich liebe deine Ehrlichkeit. Aber du bist schon wieder auf dem Jahrmarkt. Du weißt, dass ich keine Spaßbremse bin. Aber warum willst du deine Peiniger am Boden sehen und ihnen Angst einjagen? Denke doch bitte auch einmal daran, dass du später selbst - wie du es so schön ausdrückst - ein reicher Geldsack warst, der keine Rücksicht auf seine Mitmenschen genommen hat.“

„Du hast ja recht. Ich will mich auch gar nicht über diese Menschen stellen. Vielleicht hätte ich damals - wäre ich auf ihrer Sonnenseite gewesen - ebenso über einen Typen in einer dermaßen altbackenen Aufmachung gelacht.“

„Siehst du, das klingt schon besser. Wenn man sich in die Lage seiner Mitmenschen versetzt, bringt man doch mehr Verständnis für ihre Handlungsweisen auf. Jetzt gib dir einen Ruck und verzeihe ihnen. Dann bist du sie endlich los.“

„Ja, ich glaube, jetzt kann ich es.“

*

Ja, Leute, ich hatte wieder etwas gelernt. Ich hoffe, ihr auch. Also, erhebt euch nicht über andere Menschen und macht euch nicht über sie lustig, egal wie lächerlich sie auch herüberkommen. Ihr kennt ihre Umstände nicht.

Ja, ich weiß, ihr denkt jetzt, „der hat es nötig, uns zu belehren“. Stimmt ja auch! Ich will euch nun wirklich nicht belehren und euch auch nicht den Spaß verderben. Genießt euer Leben, seid froh und glücklich dabei. Niemand von uns ist perfekt und muss es auch gar nicht sein. Aber vielleicht kommt ihr einmal in eine ähnliche Situation. Es wäre schön, wenn ihr dann für den armen Tropf, über den sich alle lustig machen, Partei ergreifen würdet. Besonders die ganz jungen Leute unter euch, die äußersten Wert auf Markenklamotten legen, euch bitte ich, einmal darüber nachzudenken, dass nicht alle Eltern die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung haben, um die teuren Wünsche ihrer Sprösslinge zu erfüllen. Seid dankbar dafür und betrachtet es als Privileg - nicht etwa als etwas Selbstverständliches -, wenn eure Eltern die Möglichkeit haben, euch gut auszustatten. Aber grenzt bitte niemanden aus, bei dem der Hase zu Hause anders läuft.

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22 декабря 2023
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9783941435704
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