Читать книгу: «Altes Wissen - Neuer Tod», страница 3

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5

Als die Beamten weg waren, fiel Linda in sich zusammen. Das unkontrollierbare Zittern steigerte sich in ein Schütteln des ganzen Körpers, das sie in die Knie zwang. Auf dem Boden kauernd ließ sie es geschehen. Sie hatte einfach keine Kraft mehr, sich dagegen zu wehren. Hugo schaute alles mit weit aufgerissenen Augen an, er traute sich weder, seiner Schwester näher zu kommen, noch sie aus den Augen zu lassen und abzuhauen. Reglos stand er mit hängenden Schultern da und beobachtete, wie der seltsame Anfall zuerst an Stärke gewann, dann jedoch ganz langsam wieder abebbte. Nach gefühlten endlosen Minuten rappelte sich seine Schwester endlich schweißgebadet hoch in die Hocke. Dort blieb sie zunächst, denn ihr wurde schwindlig und sie musste mehrmals blinzeln, bis sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte. Als sie draußen ein Auto vorfahren hörte, zischte sie ihrem Bruder zu:

„Hilf mir aufzustehen! Die sollen mich nicht so sehen!“

Doch Hugo schien wie versteinert und rührte sich immer noch nicht.

„Nun mach schon! Bitte! Ich lese dir auch gleich was vor!“, rief sie drängend und wie gehofft, zeigten diese Worte sofort ihre gewünschte Wirkung. Hugo eilte zu seiner Schwester und zog sie hoch. Er war erstaunlich kräftig für seine kleine Statur und wäre Linda nicht so groß gewesen, ihr kleiner Bruder hätte sie getragen, da war sie sich sicher. Auf ihn gestützt führte Hugo sie nach oben in ihre Dachwohnung, wo Linda sich erschöpft und verängstigt auf ihr Bett fallen ließ.

Was war nur los mit ihr?

Sie musste unbedingt ein außerordentliches Treffen ihres „Kreises“ einberufen, vielleicht konnten ihre „Schwestern“ ihr helfen oder ... das Buch! Sie riss es vom Nachttisch herunter und umklammerte es ganz fest wie einen Schatz. Bald darauf war sie eingeschlafen. Hugo hielt Wache und rührte sich nicht von der Stelle. Auch nicht, als er seinen Bruder Harald hatte heimkommen hören und auch nicht spät in der Nacht, als dessen Frau Bettina nach Hause gekommen war. Manchmal ging er zu ihnen hinunter und fragte sie nach ihrem Tag, aber heute nicht - heute musste er auf seine Linda aufpassen. Irgendwas war nicht so wie immer, aber er wusste nicht, was es war und das machte ihm Angst.

6

Am nächsten Vormittag erschienen Bettina und Harald Bockmeyer gemeinsam im Polizeipräsidium. Lola Amati, die Kripo-Sekretärin mit afrikanischen Wurzeln, begrüßte das Paar und bedeutete ihnen, noch kurz zu warten. Die Beamten Kiss und Clemens wären gleich zur Stelle. Frau Bockmeyer stieß ihren Mann unsanft in die Seite und zischte ihm zu:

„Mich nervt das Ganze jetzt schon! Was können wir denen denn schon sagen? Wir wissen doch auch nicht, was mit deiner Mutter passiert ist!“

„Richtig, aber das weiß die Polizei ja noch nicht und deshalb werden wir ihnen das jetzt sagen“, meinte ihr Mann nur gelangweilt und fügte noch mit einem wohlwollenden Blick auf die rassige Schönheit, die sie in Empfang genommen hatte, hinzu: „Schon witzig, wenn so eine dunkelhäutige Frau mit schwäbischem Akzent spricht und diese knallroten langen Fingernägel ... echt Hammer, die Frau!“

„Jetzt lenk nicht ab und schau die nicht so gierig an, Mensch!“, wetterte Bettina leise. „Die Frage ist doch, ob die uns glauben werden! Was is, wenn sie irgendwie rausfinden, wie sie vergiftet wurde und wir nicht beweisen können, dass wir damit nix zu tun haben? Ich bin Ärztin, Habo!“, zischte sie und benutzte aus reiner Gewohnheit den Spitznamen ihres Mannes. Früher hatte sie ihn aus Liebe gerne verwendet, doch das war lange her. „Die werden doch vermuten, dass ich Anzeichen einer Vergiftung hätte bemerken müssen. Aber ich war doch seit Wochen nicht mehr bei ihr!“, jammerte Bettina, doch ihr Mann zuckte nur die Schultern.

„Dann sag denen das doch, Bettina und jammer mir nicht die Ohren voll! Wir haben damit nix zu tun und damit basta!“

„Dein Wort in Gottes Ohr!“, flüsterte die nervöse Frau und strich sich durch ihre weißblonden, kurzen Haare. Mit starrem Blick fixierte sie die Türe, durch die sie demnächst würden gehen müssen.

Welche Fragen man ihnen wohl stellen würde?

Welche Familiengeheimnisse würden vor Fremden ausgebreitet werden?

Warum musste ihre blöde Schwiegermutter auch dauernd zur Flasche greifen und warum hatte sie als Ärztin das nicht verhindern können?

Ihr wurde übel bei dem Gedanken, dass man sie für alles verantwortlich machen könnte! Dabei hatte sie von Anfang an nicht den geringsten Einfluss auf Edith gehabt! Ihre Schwiegermutter hatte sie, Bettina, noch nie leiden können und hatte sie nie zur Familie gezählt. Aber das würde sie der Polizei sicher nicht auf die Nase binden, das wäre zu verdächtig und vielleicht sogar das Mordmotiv, nach dem die suchten. Gerade wollte sie ihrem Mann eintrichtern, ja nichts vom schlechten Verhältnis zwischen ihr und seiner Mutter zu erzählen, da wurde die Türe schwungvoll aufgerissen und ein junger, gut aussehender Mann kam auf sie zu.

„Guten Tag, Frau Bockmeyer? Und Herr Bockmeyer, nehme ich an?“, fragte Joska Kiss und streckte zuerst der attraktiven Frau die Hand entgegen. Ihr fester Händedruck bestätigte seinen ersten Eindruck - diese zierliche, aber sehr durchtrainierte Dame hatte eine ausdrucksstarke Persönlichkeit. Sie strahlte einerseits durch ihre aufrechte Haltung Selbstsicherheit aus, ihr Gruß fiel jedoch sehr leise, fast schüchtern aus - sie wirkte, als wäre sie jetzt schon auf der Hut. Joska war sehr gespannt, wie das Gespräch mit Bettina Bockmeyer verlaufen würde. Denn dass er die Frau übernahm, hatte er im ersten Moment schon entschieden. Sascha durfte gerne den dürren Jägersmann übernehmen, der einen laschen Händedruck hatte, aber nicht so nervös wie seine Frau wirkte.

„Ja, guten Tag. Ich bin Bettina Bockmeyer und das ist mein Mann Harald. Mein Sohn sagte uns, dass Sie uns sprechen wollen? Wenn es um die Vergiftung meiner Schwiegermutter geht, darüber wissen wir wirklich gar nichts!“, hob die gehetzt wirkende Frau an, doch Joska ging nicht darauf ein. Inzwischen war auch sein Kollege Clemens zu ihnen getreten und sie wurden einander vorgestellt.

„Frau Bockmeyer - wenn Sie mir bitte folgen würden? Herr Clemens kümmert sich um Ihren Mann.“

„Wir werden nicht zusammen vernommen?“, fragte Frau Bockmeyer fast schon panisch, hatte sich dann aber sofort wieder im Griff. Sie hatte selbst bemerkt, wie verdächtig das rübergekommen war und so fügte sie noch hinzu: „Alles klar, schon in Ordnung. Müssen Sie ja so machen, nehm ich an“.

„So ist es, gnädige Frau und nun kommen Sie bitte mit. Möchte jemand Kaffee oder sonst etwas?“, fragte Herr Kiss und orderte dann für alle Kaffee bei seiner Assistentin Lola.

„Nehmen Sie bitte Platz, Frau Bockmeyer. Ich werde das Gespräch aufzeichnen“, eröffnete Herr Kiss die Vernehmung und deutete auf einen Stuhl ihm gegenüber.

„Brauche ich einen Anwalt?“, fragte Bettina Bockmeyer, rügte sich im Stillen aber sofort für diese unbedachte Äußerung. Natürlich brauchte sie noch keinen Rechtsbeistand, sie war ja nur eine Zeugin und keine Verdächtige (noch nicht!). Das erklärte ihr dann auch der Kommissar und begann nach der üblichen Einführung und des Einschaltens des Aufnahmegerätes mit der Befragung:

„Ihre Frau Schwiegermutter ist im Laufe des Sonntags, achter März zweitausendzwanzig an einer Vergiftung gestorben. Man kann in einem solchen Falle nicht von einer genauen Tatzeit sprechen - wir wissen inzwischen zwar die Zusammensetzung des Giftcocktails - jedoch können wir keine exakte Zeit herleiten, wann Frau Edith Bockmeyer das Mittel zu sich genommen hat. Somit ist es etwas müßig, Sie zu fragen, wo Sie zur Tatzeit waren. Ich kann Sie also nur fragen, ob Sie etwas über gewisse Heilkräuter wissen, die man Ihrer Schwiegermutter in zu hoher Dosis verabreicht hat?“

„Woher wollen Sie denn wissen, ob sie sich das Zeug nicht selbst einverleibt hat?“, kam es trotzig zurück und wieder rief sich Bettina Bockmeyer zur Besonnenheit auf. Sie musste wirklich aufpassen, dass sie nicht doch zum Kreis der Verdächtigen befördert wurde.

„Das wissen wir natürlich nicht und genau das gilt es ja, herauszufinden. Sie waren es also nicht und wissen auch gar nichts darüber?“

„Ich war es nicht, das können Sie mir glauben!“, rief die Befragte und bekam wieder Oberwasser. „Ich hasse Heilkräuter und das ganze Drumherum geradezu! Als Ärztin sind mir diese Quacksalber zuwider und ich kenne mich mit diesen ganzen Mittelchen und Kräutern überhaupt nicht aus. Niemals hätte ich meiner Schwiegermutter so etwas verabreicht! Im Gegenteil! Wenn ich davon gewusst hätte, hätte ich natürlich versucht, es ihr auszureden!“

„Hätten Sie es denn überhaupt mitbekommen und falls ja, hätte Ihre Schwiegermutter auf Sie gehört? Wie war Ihr Verhältnis zueinander?“, wollte der Kommissar wissen und augenblicklich kam Bettinas Nervosität wieder zum Vorschein. Das hatte der gewiefte Polizist bestimmt bemerkt - sie musste wirklich vorsichtiger sein!

„Unser Verhältnis war weder gut noch schlecht. Wir wohnten zwar im selben Haus, aber gesehen haben wir uns nur manchmal kurz im Treppenhaus und an Weihnachten. In einem haben Sie natürlich recht: Ich hätte es nicht mitbekommen, wenn sie das Zeug genommen hätte, beziehungsweise, ich hätte vielleicht gemerkt, dass sie schneller als durch Alkohol üblich abgebaut hätte, wenn sie das Gift über einen längeren Zeitraum eingenommen hätte. Aber da ist mir nichts aufgefallen, also muss sie es eher in einem oder wenigstens in sehr kurzen Abständen kurz vor ihrem Tod getrunken haben. Ich gehe als Ärztin von Letzterem aus, denn wenn die ganzen Substanzen noch im Blut nachweisbar waren, muss sie sie auf einmal genommen haben. Oder wie sieht das die Gerichtsmedizin?“, fragte sie herausfordernd und wieder in ihrer alten Selbstsicherheit.

„Sie haben als Ärztin genau richtig kombiniert, Frau Bockmeyer. Auch die Rechtsmediziner gehen davon aus, dass der Giftcocktail auf einmal oder zumindest in sehr kurzen Abständen eingenommen wurde. Wenn Sie uns bei dieser Frage nicht helfen können ... nun gut ... wir sind ja erst am Beginn unserer Ermittlungen. Wir werden es schon noch herauskriegen - auch ohne Ihre Hilfe“, verkündete der Kommissar zuversichtlich, was die Ärztin wieder in Aufregung versetzte.

„Es ist doch nicht so, dass ich Ihnen bei der Aufklärung nicht helfen will, Herr Kiss!“, polterte sie los. „Ich kann Ihnen nicht behilflich sein, weil ich nichts weiß und auch nichts getan habe!“

„Das glaube ich Ihnen ja, zumindest so lange, bis wir nichts Genaueres herausgefunden haben. Themenwechsel: Erzählen Sie mir etwas über Linda Bockmeyer“, forderte Joska sein Gegenüber auf.

„Was gibt es über die schon zu sagen? Sie ist eine alte Jungfer, die sich aber liebevoll um ihren behinderten Stiefbruder kümmert. Sie ist Altenpflegerin und wohnt seit ihrer Adoption als Dreijährige auf dem Bockmeyer-Hof. Leider haben Harald und Linda kein gutes Verhältnis zueinander, aber warum das so ist, weiß ich nicht. Das war wohl schon immer so, aber da müssen Sie meinen Mann fragen.“

„Das werden wir tun, Frau Bockmeyer. Aber gesundheitlich ist bei Linda alles in Ordnung?“

„Warum fragen Sie das? Ich weiß zumindest nicht, dass sie irgendwelche Probleme hätte. Außer vielleicht Rückenschmerzen - aber wer hat die nicht und bei dem anstrengenden Beruf als Altenpflegerin ist das ja auch kein Wunder!“

„Reine Routine“, sagte Herr Kiss darauf nur, denn er würde ihre Beobachtung bezüglich des Zitterns nicht ansprechen, wenn es Bettina Bockmeyer bisher nicht aufgefallen war. Oder sie wollte es nur nicht erwähnen? Irgendwie kam er bei dieser Befragung nicht weiter und er wollte sie gerade beenden, als Frau Bockmeyer doch nochmal das Wort ergriff:

„Ich weiß zwar nicht, ob es etwas mit Ihrem Fall zu tun hat, aber mein Mann klagt in letzter Zeit ständig darüber, dass es fast all seinen Tieren so schlecht geht. Er kann es sich nicht erklären und seine Katze ist auch schon längere Zeit nicht mehr aufgetaucht.“

„Tja, keine Ahnung, ob es da einen Zusammenhang gibt. Aber gut, dass Sie es mir gesagt haben. Wir werden Augen und Ohren offen halten und das sollten Sie zuhause auch tun, falls Ihnen weiterhin etwas verdächtig vorkommt“, forderte der Kommissar die Ärztin auf und beendete damit die Befragung. Er begleitete die Frau nach draußen und bat sie, noch kurz zu warten. Er wolle kurz zu ihrem Mann und seinem Kollegen gehen.

„Wir sind doch eh getrennt gekommen und ich muss auch gleich wieder in die Klinik“, verkündete Frau Bockmeyer und rauschte davon. Kopfschüttelnd ging Joska zu Sascha ins nächste Vernehmungszimmer.

„ ... keine Ahnung, ob sich meine Schwester mit Heilkräutern auskennt“, schnappte Joska auf, als er eintrat. „Möglicherweise hat sie da etwas in ihrer Ausbildung zur Altenpflegerin gelernt, aber echt ... darüber haben wir nie gesprochen. Das müssen Sie sie schon selbst fragen!“, sagte Harald Bockmeyer inzwischen doch leicht genervt. Von seiner anfänglichen Coolness war nicht mehr viel übrig.

„Mit Ihrer Frau bin ich schon fertig und hätte auch noch ein paar Fragen an Sie, falls sie mein Kollege nicht bereits gestellt hat“, eröffnete Herr Kiss sein Gespräch mit dem Zeugen.

„Und welche wären das?“, schnappte Herr Bockmeyer und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

„Mich interessiert, warum Sie und Ihre Schwester kein gutes Verhältnis zueinander haben“, fragte er geradeheraus, was seine Gegenüber, ihren Minen nach zu urteilen, in Erstaunen versetzte. Also hatten sie wohl noch nicht darüber gesprochen.

„Woher wollen Sie wissen, wie unser Verhältnis ist?“, knurrte Harald Bockmeyer und biss die Zähne zusammen.

„Ihre Frau hat das angedeutet“, sagte Joska nur.

„Aha ... die muss es ja wissen. Aber was hat das alles mit dem Tod unserer Mutter zu tun?“, fragte er herausfordernd.

„Bis jetzt noch nichts, aber das versuchen wir ja, herauszufinden. Es kann also nicht sein, dass Sie und Ihre Schwester gemeinsam geplant haben, Ihre Mutter umzubringen? Nur so als Idee?“, warf Joska in den Raum und beobachtete den Zeugen dabei ganz genau.

„Wir beide zusammen? Das ist wirklich lächerlich!“, rief Herr Bockmeyer und fing tatsächlich zu lachen an.

„Für uns ist das nicht lächerlich, aber wenn Sie also wirklich so ein schlechtes Verhältnis zu Ihrer Schwester haben, dann haben entweder Sie oder Linda alleine Ihre Mutter vergiftet?“, fragte Joska herausfordernd, was Herrn Bockmeyer aufspringen ließ.

„Ich habe es Ihrem Kollegen schon gesagt - niemand aus meiner Familie hat etwas mit dem Tod unserer Mutter zu tun! Keine Ahnung, woher sie das Gift hatte und warum sie es genommen hat! Vielleicht hatte sie einfach die Schnauze voll von ihrem Säuferleben, was weiß denn ich!?“, rief er aufgebracht und starrte die beiden Kommissare wütend an.

„Bitte setzen Sie sich wieder, Herr Bockmeyer! Sie sind hier nur als Zeuge, aber wenn Sie sich weiterhin so aufführen, kann sich das auch schnell ändern!“, befahl Joska Kiss und Harald Bockmeyer setzte sich widerstrebend wieder auf seinen Stuhl.

„Tut mir leid, wirklich! Aber verdächtigt zu werden, die eigene Mutter umgebracht zu haben, ist schwer zu verdauen! Zumal ich in letzter Zeit mit den Nerven etwas runter bin“, entschuldigte sich Herr Bockmeyer, worauf Sascha sofort einhakte:

„Warum denn, Herr Bockmeyer?“

„Na ja ... seit ein paar Wochen hab ich ständig Probleme mit meinen Tieren! Zuerst ist meine Katze verschwunden, dann haben die Hasen und Meerschweinchen nichts mehr gefressen und meinen Hirschen und Rehen geht es irgendwie auch nicht gut. Ich kann mir das alles nicht erklären und mache mir allmählich große Sorgen!“

„Meinen Sie, es gibt da einen Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen und dem Tod Ihrer Mutter?“, wollte Joska wissen.

„Keine Ahnung, aber das erscheint mir schon etwas weit hergeholt. Warum sollte das jemand tun? Wenn man mir schaden wollte, dann würde er doch meiner Mutter nichts tun. Wir hatten doch kein inniges Verhältnis zueinander“, erklärte der Zeuge.

„Außer, der Täter wusste davon nichts und hat es wirklich auf Sie abgesehen“, murmelte Joska mehr zu sich selbst, versetzte Herrn Bockmeyer damit aber in Panik.

„Auf mich abgesehen? Aber warum denn? Ich habe keine Feinde!“, bekräftigte er, doch das kam für die Kommissare etwas zu schnell.

„Wirklich keiner, dem Sie mal auf die Füße getreten sind?“, fragte Joska, was Herrn Bockmeyer schon wieder aufspringen ließ.

„Aber deshalb bringt man doch niemanden um und vergreift sich an wehrlosen Tieren!“, brauste er auf.

„Also haben Sie sich doch mal bei jemandem unbeliebt gemacht?“, hakte der Kommissar nach.

„Nein, hab ich nicht!“, schrie der Mann jetzt beinahe, was den Beamten doch etwas verdächtig vorkam. Beide schienen jedoch diese Befragung nicht weiterführen zu wollen, denn Joska sagte in ruhigem Tonfall:

„Das war´s fürs Erste, Herr Bockmeyer. Halten Sie sich aber bitte weiterhin zu unserer Verfügung. Sie finden alleine hinaus?“

„Ja. Guten Tag die Herren!“, sagte Harald Bockmeyer erleichtert und rauschte hinaus.

„Der Typ hat was zu verbergen, da bin ich ganz sicher. Aber was und wie kriegen wir das raus?“, fragte Joska und sah seinen Kollegen herausfordernd an. „Wen außer den Familienmitgliedern könnten wir noch befragen? Edith Bockmeyer hat ja anscheinend sehr zurückgezogen gelebt, hatte keinerlei Kontakt zu irgendwem - außer zu ihrem Arzt, aber der konnte uns ja auch nichts weiter sagen. Es ist zum Verrücktwerden!“

„Und selbst wenn das Labor herausfinden sollte, dass in einer der Flaschen das Gift drin war, hilft uns das auch nicht viel weiter. Außer sie finden noch andere Fingerabdrücke auf den Flaschen als die der alten Bockmeyer, aber daran glaub ich nicht“, seufzte auch Sascha und beide verfielen in grüblerisches Schweigen. Da hinein platzte ausgerechnet ihre Chefin.

„Was ist denn mit euch los? Ihr seht ziemlich niedergeschlagen aus! Der Fall aus Ottenbach?“, fragte sie und setzte sich zu ihnen.

„Jap!“, sagte Joska und setzte seine Vorgesetzte schnell in Kenntnis der momentanen Lage. „Alle Familienmitglieder haben wir befragt und keiner will es gewesen sein und keiner weiß was. Wenn auf den Flaschen keine weiteren Fingerabdrücke drauf sind, weiß ich gerade auch nicht, wie wir da weiterkommen sollen!“, bekannte Joska und seufzte vernehmlich.

„Dann wartet doch erstmal dieses Ergebnis ab. Vielleicht ergibt sich daraus dann eine erste Spur. Falls nicht, solltet ihr mal in der Vergangenheit von Edith Bockmeyer nachforschen. Vielleicht findet ihr da ein Motiv für den Mord. Bevor wir nicht alles versucht haben, lege ich den Fall nicht als Selbstmord zu den Akten!“, bestimmte die Chefin und ließ ihre beiden jungen Kollegen wieder alleine.

„Nachforschungen in die Vergangenheit - das ist doch dein Metier, Sascha“, sagte Joska hoffnungsvoll, denn dazu hatte er überhaupt keine Lust. „Ich höre mich in der Gegenwart bei den Ottenbachern noch ein bisschen um. Mit irgendjemandem muss die Frau doch Kontakt gehabt haben!“

„Guter Plan, ich klemm mich gleich dahinter. Du fährst auch gleich nach Ottenbach?“

„Nein, ich gehe erst nochmal meine Fortbildungsunterlagen durch. Zur Mittagspause fahre ich dann nach Hause zu Noras Familie zum Essen und danach versuche ich was rauszufinden“, entschied Joska und ging nicht ganz so schwungvoll wie sonst in sein Büro. Eigentlich hatte er heute keinen Elan mehr zum Lernen, aber er musste! Die Prüfungen standen bald an und wegen des neuen Falls würde er noch weniger Zeit zum Büffeln haben. Seufzend setzte er sich an seinen Schreibtisch, jedoch nicht ohne sich vorher bei Lola einen Kaffee bestellt zu haben.

7

Die sechsundzwanzigjährige Messermacherin Nora Angerer hatte sich sehr gefreut, als ihre Mutter verkündet hatte, dass ihr Freund Joska heute mit ihnen zu Mittag essen würde. Delfina Angerer kochte jeden Mittag für die ganze Familie und so saßen sie nun zu sechst in der großen Küche des alten Wohnhauses von Noras Großeltern, in dem sich auch die Messerwerkstatt befand. Nach deren Tod war nun nur noch die Werkstatt in dem Einfamilienhaus, wohnen wollte darin momentan noch niemand. Nora und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Felix und seine kleine Tochter wohnten lieber noch bei ihren Eltern auf dem Hof, denn keiner von beiden hatte Lust, in dem Haus zu wohnen, in dem sich auch die Firma befand. Wer da wohnte, hatte auch die meiste Arbeit mit allem, da waren sie sich einig. Es war dann bestimmt schwer, Arbeit und Privates zu trennen. Man hatte aus Sicherheitsgründen eine stabile Tresortüre in einen der Kellerräume eingebaut, wo die wertvollsten Materialien und Messer gelagert wurden. Als das Haus noch bewohnt und ein Hund da war, hatten sich die Angerers noch sicher gefühlt. Aber jetzt stand das Haus nach Feierabend, nachts und an den Wochenenden leer und deshalb hatte man auch noch eine Alarmanlage installieren müssen. Leider hatte es in der letzten Zeit immer mal wieder Einbrüche im beschaulichen Ottenbach gegeben - die angebliche „Heile Welt“ bekam auch hier erste Risse.

„Da es sich im Dorf ja wahrscheinlich eh schon rumgesprochen hat, dass die Edith Bockmeyer gestorben ist, kann ich mit euch ja drüber reden“, fing Joska nach dem Essen an. „Ach ja, Delfina - dein Essen war wieder wunderbar, wie immer! Danke, dass ich so kurzfristig noch was abgekriegt hab!“, fügte er noch schnell hinzu, da er wusste, wie sehr sich seine Schwiegermutter in spe über ein Kompliment freute. Der inzwischen Dreißigjährige staunte immer wieder über die aus Portugal stammende Delfina. Mit ihren vierundfünfzig Jahren, ihren pechschwarzen langen, gewellten Haaren und ihren weiblichen Kurven war sie auch heute noch sehr attraktiv. Besonders auffallend waren ihre stahlblauen Augen mit den dichten Wimpern, ihr herzförmiger Mund und die leicht aufstrebende kleine Nase. Die letzten beiden Eigenschaften hatte sie an ihre Tochter weitergegeben, auch die Dichte der Haare, jedoch nicht ihre Farbe - Nora hatte lange, feuerrote Locken, wunderschöne, moosgrüne Augen und jede Menge Sommersprossen, die Joska besonders an ihr liebte.

„Danke dir, Joska! Ich freue mich doch immer, wenn du mal ein bisschen Zeit für uns hast! Wir wohnen zwar im selben Haus, aber wir sehen uns viel zu selten und wenn, dann nur kurz“, seufzte die rassige Mittfünfzigerin, die ihre portugiesischen Wurzeln nicht verleugnen konnte. Familie war für sie das Wichtigste und sie hielt mit ihrer mütterlichen Art alles zusammen.

„Das stimmt wohl, aber was will man machen?“, entgegnete Joska und schaute dennoch schuldbewusst drein. Nora ging darauf jedoch nicht ein, sie interessierte natürlich etwas ganz anderes.

„Warum ist der Fall Bockmeyer auf eurem Tisch gelandet?“

„Ach Noralein ...“, fing ihr Freund aufseufzend an, doch seine Freundin beantwortete sich ihre Frage gleich selbst:

„Das darfst du mir aus ermittlungstechnischen Gründen nicht sagen, ja ... ja ... ich weiß! Tut mir leid, dass ich überhaupt gefragt hab“, schnappte sie und war nicht sauer auf Joska, sondern auf sich selbst. Nach inzwischen vier Kriminalfällen, in die sie jedesMal irgendwie verwickelt gewesen war, sollte sie doch wissen, wie der Hase lief. Ihr Mundwerk war halt wie so oft mal wieder schneller gewesen als ihr Verstand. „Du weißt doch, wie das läuft Nora. Allerdings ist es im Fall Bockmeyer noch nicht erwiesen, ob es Mord oder Selbstmord war und genau das müssen wir jetzt herausfinden. Dafür werde ich mich hier im Ort umhören und da kann ich ja auch gleich mit euch anfangen, wenn ihr kurz Zeit dafür hättet?“, meinte Joska und schaute die Messermacher nacheinander an: Noras Vater, den Firmenchef Jakob Angerer, der inzwischen eigentlich schon in Rente gehen könnte, sein zehn Jahre jüngerer Bruder Tobias und Noras Bruder Felix, der mit seinen vierundzwanzig Jahren bereits Vater war. Seine kleine Tochter Malina war gerade in der Obhut seiner Freundin, die momentan Semesterferien hatte.

„Du kannst uns gerne während der Arbeit befragen, Joska. Wir müssen für die nächste Messe noch einiges fertigmachen und sollten gleich wieder an die Arbeit“, bestimmte das Familienoberhaupt und ohne zu murren begaben sich alle wieder in die Werkstatt, deren Räume direkt neben dem Wohnbereich waren. Die familiäre Atmosphäre gefiel den Kunden immer sehr gut, wurden die Gespräche und die Präsentationen der Messer doch im gemütlichen Wohnzimmer abgehalten.

„Also, dann legen wir mal mit der Befragung los!“, verkündete der junge Kommissar und setzte sich auf einen kleinen Hocker neben Noras Arbeitsplatz. „Kanntet ihr die Edith Bockmeyer?“

„Nein“, kam es einstimmig, was Joska sofort entmutigte. Dennoch fragte er weiter:

„Und den Rest der Bockmeyers?“

„Wer ist das denn alles? Ich kenne nur den Harald und den Hugo“, sagte Nora und nun keimte doch Hoffnung in ihrem Freund auf. Joska wollte natürlich nicht, dass seine Freundin schon wieder in einen seiner Fälle verwickelt wurde. Aber wenn sie Informationen darüber hatte, musste er sie sich zumindest anhören.

„Fangen wir mit Harald an. Den kennst du also - woher?“, fragte er in polizeilichem Interesse und versuchte zu verhindern, dass sich seine private, eifersüchtige Neugier allzu offensichtlich zeigte.

„Vom Gassigehen und den Hugo auch, der steht immer an der Bushaltestelle“, knurrte Nora beinahe, denn ihr war der argwöhnische Unterton natürlich nicht entgangen.

„Ach ja, der Harald hat ja auch einen Hund. Wo ist eigentlich dein Hasso?“, wollte Joska nun wissen, denn er hatte den großen Schäferhund heute noch gar nicht gesehen.

„Der liegt leidend in seinem Korb“, sagte Nora lächelnd, was Joska sehr verwirrte. Wie konnte sie lächeln, wenn es Hasso so schlecht ging? Nora musste seine Gedanken wohl gelesen haben, denn sie fügte immer noch grinsend hinzu: „Die Nachbarshündin ist läufig.“

„Oh je, der Arme! Jetzt frisst er wieder tagelang nix. Irgendwie isses schon Tierquälerei, wenn man die Hunde nicht kastriert. Wie würden wir Männer uns fühlen, wenn wir unsere Triebe nicht ausleben dürften?“, fragte Joska in die Runde der Herren, erwartete aber keine Antwort. „Zurück zu unserem Fall: Was weißt du über Harald und seine Familie, Nora?“

„Eigentlich nicht viel. Er hat mir nur letztens von seinen Tieren erzählt und dass es denen nicht gut geht. Seine Katze ist auch verschwunden. Über andere Themen haben wir nicht gesprochen. Wir reden immer nur über die Tiere, wenn wir uns zufällig beim Gassigehen begegnen“, konnte sich Nora nicht verkneifen, nochmals zu betonen.

„Schon gut Nora, ich glaube dir ja“, sagte Joska nun doch etwas genervt. „Die anderen Bockmeyers kennt ihr also nicht?“

„Nein, das heißt ... die Tochter ... Linda heißt sie, richtig?“, hakte Delfina nach und Joska nickte. „Die hab ich beim letzten Treffen der Landfrauen gesehen, glaub ich. Mit ihr gesprochen hab ich allerdings nicht. Ihre ganze Erscheinung hat mich irgendwie ... wie soll ich sagen? ... eingeschüchtert - das trifft es wohl am Besten“, sinnierte Delfina, die sich im Nachhinein auch nicht erklären konnte, warum das so war. Diese zwar deutlich jüngere Frau hatte ihr durch ihre Größe, ihre bäuerliche, etwas schmuddelige Kleidung und die stechend hellgrünen Augen sogar ein wenig Angst eingeflößt. Joska konnte das nachvollziehen, würde es aber hier nicht zugeben.

„Einen besonders liebreizenden Eindruck macht die Dame tatsächlich nicht, aber das soll ja nichts heißen, nicht wahr? Nach Äußerlichkeiten darf ich gar nichts bewerten - ich brauche Beweise und damit sieht es momentan sehr düster aus“, jammerte der junge Kommissar und raufte sich die Haare.

„Jetzt weißt du doch immerhin, dass sie bei den Landfrauen dabei ist. Quatsch doch mal mit denen“, schlug Nora vor und Joska schüttelte über sich selbst den Kopf - darauf hätte er ja auch selber kommen können.

„Natürlich spreche ich mit den Landfrauen. Wann ist das nächste Treffen der Ottenbacherinnen?“, fragte er an Delfina gewandt, die sogleich ihr Smartphone zu Rate zog.

„Du hast Glück, mein Lieber. Morgen ist der Kaffeenachmittag mit Vortrag im Gasthaus Buchs. Da werden zwar nur Frauen sein, aber da hast du wahrscheinlich den Großteil unserer Ortsgruppe beieinander. Allerdings weiß ich nicht, ob Linda auch da sein wird. Du kannst die anderen ja schlecht befragen, wenn sie danebensitzt“, stellte Delfina fest.

„Das werde ich dann wohl drauf ankommen lassen müssen. Falls sie doch da ist, merkt sie jedenfalls, dass wir in alle Richtungen recherchieren, und sollte sie doch etwas mit dem Tod ihrer Adoptivmutter zu tun haben, wird sie mein Erscheinen hoffentlich nervös machen“, sagte Joska und erhob sich von seinem Hocker. Er gab Nora einen flüchtigen Kuss und wollte sich gerade von den Messermachern verabschieden, als Felix noch etwas fragte.

„Ich hab vorhin in den Nachrichten gehört, dass die ersten Messen wegen dem Corona-Virus abgesagt werden. Ich kann mir vorstellen, dass das dann seine Kreise zieht und auch unsere in zwei Wochen gestrichen wird. Meint ihr nicht auch?“

„Bis jetzt gibt es noch nichts Offizielles, aber wenn ich ehrlich sein soll, hab ich mir bereits schon selbst darüber Gedanken gemacht und bin versucht, die Messe von uns aus abzusagen. Der Gedanke an diese ganzen Menschenmassen ist mir jetzt schon unangenehm“, sagte das Familienoberhaupt, worauf ihm alle zustimmen mussten. Wenn sich das Virus wirklich so schnell ausbreitete, war es sicher ein guter Weg, das mit allen Mitteln zu verlangsamen.

„Ich hab gestern auch schon auf allen möglichen Kanälen recherchiert und mir einige Talkrunden angeschaut. Leider gehen die Meinungen der Experten bei einigen Fakten ziemlich auseinander, was das Ganze nicht einfacher macht. In der Haut der Politiker möchte ich jetzt nicht stecken! Wem sollen sie glauben und welche Entscheidungen sind die richtigen?“, vermeldete Nora, die das ganze Ausmaß dieser Krise bisher noch nicht hatte wahrhaben wollen.

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Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
251 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783960147558
Издатель:
Правообладатель:
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