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Geheime Kräfte

Alex’ Oma, Sarah von Trendel, Kunstmalerin, Biologin und Heilkräuter-Expertin, stand am nächsten Morgen vor ihrer Staffelei und betrachtete den Fingerhut, den sie aus ihrem Garten in Öl auf die Leinwand gezaubert hatte. Leuchtend rosafarben, glockenförmig, nahezu kerzengerade, verführerisch und ...doch so gefährlich“, murmelte sie und tupfte eine Winzigkeit von Schwarz auf die fast unscheinbar ausgezogene Unterlippe einiger Blütenkronen, als wollte sie neben dem strahlendblühenden Leben die erhöhte Todesgefahr andeuten.

„Ein Fingerhut voll Gift kann töten“, sinnierte sie, „er kann auch heilen. Nur wenige kennen die heilende Kraft unserer Pflanzen. Es ist schade, dass wir unser Wissen kaum weitergeben können, weil es die jungen Leute nicht wirklich interessiert.“

Sie trat an ihr großes, bis zum Boden reichendes Atelierfenster und öffnete beide Fensterflügel. Sie zog die frisch-duftende Morgenluft tief in ihre Lungen.

Ein Kuckucks-Pärchen begrüßte sie abwechselnd mit seinem weit hörbaren Morgengruß, während ein Buntspecht wie ein ratternder Dampfhammer tiefe Löcher in die Borke einer uralten Kiefer rammte.

Sie dachte an ihren Vertrauten Johannes, einen alten, weisen Gelehrten, der ihr unendlich viel Trost nach dem Tod ihres Mannes gegeben hatte.

Er wurde zwei Jahre später unheilbar krank und flehte sie an, seinem Leiden ein Ende zu setzen. Er könnte die Schmerzen trotz starker Medikamente kaum ertragen und wollte seiner Umwelt auf keinen Fall zur Last fallen, denn er hasste es, keine Kontrolle mehr über seinen Verstand und seinen Körper zu haben. „Wenn ich nicht mehr kann, nicht mehr will, dann gibst du mir die Tropfen, Tränen des Fingerhutes, schwörst du es?“

War es richtig oder falsch, ihm geholfen zu haben? Wiegt der Wunsch eines Todkranken nicht mehr als das von Menschen gemachte Gesetz, seufzte sie voll innerer Zerrissenheit. Darf ein Mensch als Prophet die nahe, unabwendbare Endlichkeit eines Menschen vorhersagen und in das Schicksal eingreifen?

Wer richtet darüber, wenn man dem Todgeweihten hilft, den erlösenden Trunk selbst zu nehmen, wenn er bei Verstand ist und wirklich weiß, was er tut?

Sie straffte ihren Körper, schaute der aufgehenden Morgensonne entgegen und rief: „Und wenn mich alle Welt verurteilt, ich musste meinem Herzen folgen!“

Als sie die Fensterflügel schloss, wollte sie gleichsam dieses sie quälende Kapitel in ihrem Leben schließen. Eine dunkle Ahnung warnte sie, dass irgendetwas geschehen würde. Die Ungewissheit machte sie unruhig, da man damals über den Tod ihres Mannes und später über die Sterbehilfe gemunkelt hatte, ihr jedoch nichts hatte nachweisen können.

Das Telefonläuten unterbrach Sarahs Gedanken. Es war ihr unangenehm, so früh morgens, fast mitten in der Nacht, gestört zu werden. Als ob sie es geahnt hätte, drückte sie mürrisch den grünen Knopf ihres Handys und meldete sich, nicht gerade freundlich:

„Von Trendel, wer stört mich so rücksichtslos?“

„Ich, weißt du! Kein Name am Telefon!“

„Ich wusste doch, dass mir der Tag vergällt wird. Was willst du von mir?“

„Ich brauche neues Gift, es muss Halluz erzeugen, Krämpfe auslösen und aggressiv machen. In einer Stunde hole ich das Fläschchen, also beeil’ dich, inschallah!“

„Du bekommst nichts mehr von mir! Ich ahne, wofür du die Droge brauchst. Ich will mich nicht mitschuldig machen!“

„Was geht’s dich an? Wenn du unseren Deal nicht einhältst, wirst du sehen, was du davon hast. Die Bullen und Heidjer werden sich freuen!“

Nach einem kurzen Schweigen zischte sie ins Telefon:

„Ist gut, das ist das letzte Mal. Komm’ gegen acht Uhr an die Hintertür, klar?!“ Sie knallte das Handy wütend gegen die Staffelei. Es prallte ab, das Gehäuse zerlegte sich in zwei Teile, der Akku flog durch den Raum.

„Verflucht sei er“, schimpfte sie, „seit ich mich ihm verweigere, erpresst er mich!“

Ich muss ja zugeben, erinnerte sie sich wehmütig, dass es die ersten Monate schön war, weil ich lange keinen Mann mehr gehabt hatte, so wild und ausdauernd! Als er mir aber im Suffkopf seine Geheimnisse ins Ohr lallte, war sofort Schluss. Dann seine Erpresser-Tour! Wenn ich ihn verrate, würde er mich töten! Und ich konnte nicht zur Polizei gehen, nichts beweisen! Dann warf er mir meine Sterbehilfe vor, die strafbar gewesen wäre und den Tod meines Mannes, den ich herbeigeführt hätte. „Sind nur Gerüchte“, hatte er hintertrieben erklärt, „die haben dich bereits von deiner Trendelburg vertrieben. Die Heidjer fahren auch auf Gerüchte ab, wenn es um Kräuterhexen geht!“ Neider hatte ich bereits und an Gerüchten bleibt immer etwas hängen. Mein Ruf als Heilpraktikerin wäre zerstört! „Wenn du mir die Tinkturen herstellst, lasse ich dich in Ruhe, inschallah!“

„Grossek ist doch total verrückt“, murmelte Sarah zornig, „ich will es jetzt wissen, wofür er diese Tropfen verwendet. Womöglich mache ich mich mitschuldig. Das muss ein Ende haben. Heute bekommt er sie zum letzten Mal, mit einer total anderen Wirkung. Diese Tropfen können überhaupt nichts anrichten!“

Wütend stampfte Sarah in ihre Kräuterküche. Widerwillig entnahm sie einer kleinen Holzkiste eine Handvoll getrockneter Fruchtkörper des Spitzkegeligen Kahlkopfes, kippte die Masse in einen Glaskolben, fügte fünf Milliliter destillierten Wasser hinzu, erwärmte den Kolben über einem Bunsenbrenner auf etwa sechzig Grad, während sie mit einem Glasröhrchen die Masse verrührte.

„Bei einer geringeren Dosierung an Psilocybin von 0,5 % der Trockenmasse und diesem Kraut gibt’s keine Halluzinationen, dafür werden die Sehstärke und das Aggressionspotential um ein Vielfaches erhöht. Nach etwa fünf Stunden lässt die Wirkung nach. Ohne Nebenwirkungen, macht auch nicht abhängig!“, rezitierte sie leise die Gebrauchsanweisung aus ihrem Rezeptbüchlein.

Der wird sich wundern! Jetzt reicht’s, dachte sie weiter. Warum lasse ich mich eigentlich immer auf diese Schweinerei ein? „Das ist das letzte Mal, irgendetwas muss passieren mit diesem Saukerl!“, schnaufte Sarah von Trendel entschlossen und goss die hellbraune, dünnflüssige Tinktur in ein kleines Fläschchen, drückte einen Korken in den schmalen Flaschenhals, ließ heißes Wachs auf den Korken tropfen, malte drei xxx auf das Etikett und verließ ihre „Hexenküche“, nicht, ohne die Tür fest zu verschließen.

Als sie gerade das Fläschchen im Küchenschrank mit einem ohnmächtig-rebellischen Seufzer versteckt hatte, stürmten Alex und Afra lautstark in die Küche. Alex begrüßte seine Oma mit einer liebevollen Umarmung und einem Küsschen auf die von Falten durchzogene Wange. Afra kroch unter den Küchentisch, schnappte sich ihr blaues Näpfchen und baute sich vor ihnen auf mit dem flehenden Blick, doch endlich ihr Fresschen zu bekommen.

Sie waren nicht ganz fertig mit dem Frühstück, als Alex’ Smartphone vibrierte. Am anderen Ende hörte er Marcs angenehme Stimme.

Alex rief aufgeregt ins Smartphone: „Marc, warte mal, ich frage meine Oma!“

„Omi. Marc ist am Telefon. Er und Kati wollen meine neue Hütte sehen, dürfen sie heute Abend bei uns mitessen?“

„Natürlich!“

Alex beschrieb Marc den Weg ins Junkernholz von Hankensbüttel aus. Sie beendeten das Gespräch, weil Marc zur Schule gehen musste, es war bereits kurz nach sieben Uhr.

Da Marc und Kati Unterricht hatten, die Sommerferien in Niedersachsen begannen 14 Tage später als in Nordrhein-Westfalen, konnten sie beide erst gegen 14.00 Uhr an diesem Freitagnachmittag losfahren. Sie wollten sich auf der IseBrücke gegen 14.30 Uhr treffen.

„Kati, deine neue Freundin?“, fragte Oma vorsichtig lächelnd, „Du weißt, ich bin total neugierig und will wissen, wie dein Liebesleben aussieht!“

„Ach, Oma, die ist ja sehr süß, wer weiß, ob sie mich überhaupt cool findet!“

Sarah schaute ihrem Enkel aufmunternd ins Gesicht und bemerkte trocken, dass er bis auf die schwarz-kurze Lockenpracht und die dunklen Augen genauso aussähe wie sein Vater, sich also wirklich nicht zu verstecken brauchte.

„Hat Papa eigentlich angerufen, wo er gerade steckt und wann er zu uns kommt“, fragte Alex.

„Du, er hatte im Krankenhaus länger zu tun. Heute Abend kommt er, früher als sonst!“

„Oh, schön. Übrigens: Marc und Kati fahren mit ihren Rädern den Betzhorner Damm entlang. Auf der Ise-Brücke treffen wir uns, den Weg von dort zu uns finden sie nicht allein!“

Nach dem Frühstück räumte Alex das Geschirr in die Spülmaschine, die Marmelade, den Aufschnitt und den Käse in den Kühlschrank. Afra hoffte, dass ein Stück des Aufschnitts in ihrem Fang landen würde, was auch tatsächlich, oh Wunder, geschah! Dann schnappte sich Alex die Angel und das dazugehörende Angelzeug.

„Oma, wir gehen jetzt angeln. Morgens beißen die Fische gut! Wenn Marc und Kati nachher da sind, können wir die Fische räuchern oder grillen. Zu Mittag sind wir jedenfalls pünktlich wieder zurück. Tschüss, Omi!“

Und sie machten sich auf zur Ise. Es war kurz vor acht Uhr, der Beginn eines seltsam warmen Sommertages.

Sarah von Trendel empfing kurz nach acht Uhr ihren ungebetenen, verhassten Erpresser.

Kämpferisch eingestellt, öffnete sie auf das Läuten der Hausglocke hin die hintere Eingangstür zur Küche. Diesen Nebeneingang, geschützt von üppigem Weinlaub, umrahmt von jungen Edeltannen und einem mit gelben Rosen berankten Halbbogen, nutzten diejenigen, die nicht unbedingt bei Frau von Trendel gesehen werden wollten. Zeitgenossen etwa, die Schlechtes im Schilde führten oder chronisch Kranke, die auf dem Kriegsfuß mit den herkömmlichen Medikamenten standen und mehr der Wirkung der Heilkräuter vertrauten. Außerdem sah der Hausarzt es nicht gern, wenn ihm jemand ins Handwerk pfuschte oder man mehr Vertrauen auf das Wissen der Kräuterhexe gab als auf das Können des studierten Arztes. Und so etwas erfuhr der Arzt sofort. Irgendwie gab es überall Augen und Ohren.

Grossek stand vor ihr im Türrahmen, schlitzäugig, um ihre Stimmung zu erkennen, streckte die Hand aus und flüsterte: „Was ist? Hast du’s?“

Sie gab ihm das kleine, mit Wachs versiegelte Fläschchen und schob ihn ohne Kommentar und Gruß hinaus. Sie wollte nichts wissen, nichts damit zu tun haben. Sie ärgerte sich maßlos und überlegte wieder einmal, wie sie sich aus dieser Situation heraus winden könnte.

„Eigentlich müsste ich dich vergiften“, giftete sie hinter ihm her, „dann hätte ich endlich Ruhe!“

Zornig und angeekelt zugleich setzte sich Frau von Trendel an ihren Sekretär und schrieb auf einen Briefbogen: Geheimnisse

Sarah von Trendel las das Geschriebene aufmerksam durch, faltete das Schreiben und steckte es in einen Umschlag mit dem Vermerk: „Zu öffnen nach meinem Ableben!“

Den Umschlag legte sie in eine kleine Kassette und schloss diese in ihrem Tresor im Kaminzimmer ein.

Dann ging sie in die Küche, um das Mittagessen zuzubereiten. Es sollte nur eine Kleinigkeit geben, weil die Hauptmahlzeit gegen Abend geplant war. Sie freute sich auf das Wiedersehen mit ihrem Sohn Rudolph und war gespannt, welchen Eindruck Alex’ Freundin Kati und sein Freund Marc auf sie machen würden.

Alex brachte seinen Fang gegen Mittag in den Schuppen neben dem ehemaligen Forsthaus, in dem seine Oma seit zehn Jahren wohnte. Er schuppte die Bachforellen und entnahm ihnen die Innereien. Dann legte er seine Beute in den alten Kühlschrank, in dem er Maden und Regenwürmer zum Angeln und auch die Fische kühl lagern konnte. Afra hatte ihn interessiert bei dieser Arbeit zugesehen, wachsam, ob nicht etwas für sie zum Naschen abfallen würde.

„Davon bekommst du nichts, Afra, du pupst dann immer so, und das stinkt tierisch!“ Beleidigt zog Afra das Stummelschwänzchen ein und trottete mit abgeknickten Ohren in Richtung Forsthaus. Alex folgte ihr und schmunzelte: „Sie muss immer von allem etwas abbekommen, natürlich nur aus rein psychologischen Gründen, um deutlich zu machen, dass sie dazu gehört, nicht etwa, weil sie zu verfressen ist!“

Nachdem die kross gebratenen Bratkartoffeln samt Spiegeleier von Oma und Alex, der Rest von Afra, in Windeseile verspeist worden waren, räumte Alex das Geschirr in die Spülmaschine. Der Stapel gelesener Tageszeitungen und Illustrierten türmte sich auf der Eckbank. „Bring sie in die Papiertonne“, bat Oma Sarah, „dein Paps bringt sie oft am Wochenende mit, damit er weiß, was in der Welt los ist. Hier hat er Zeit zum Lesen.“

Sein Blick fiel auf die knallige Überschrift: „Gnadenlose Brutalität“. Er las den Artikel und musste sofort an seine Kati denken.

„Oma, hast du das gelesen? So eine Terrorgruppe hat zweihundert christliche Mädchen in Katis Alter in Nigeria verschleppt, so richtig gekidnappt. Das ist ja unglaublich. Die Mädchen werden als Sklavinnen verkauft, vergewaltigt und gezwungen, zum Islam überzutreten. Ich fasse es nicht! Dieser Scheißanführer will einen islamischen Staat und die Scharia einführen. Was ist eine Scharia?“

„Das ist eine gute Frage, Alex. Eigentlich ist sie ein aus dem Koran abgeleiteter Leitfaden, nachdem sich gläubige Muslime zu richten haben, in moralischer, rechtlicher und kultischer Hinsicht.“

„Ist das gut? So ähnlich wie unsere Bibel?“

„Naja. Jesus predigte die Liebe untereinander. Er vertrieb die Händler aus dem Tempel, denen der Gewinn wichtiger war als die Barmherzigkeit. Er verzieh den Sündern, starb sogar für sie, für uns. Und wie reagierten die Christen tatsächlich? Früher haben sie Menschen, die anders waren als normal, als Hexen verbrannt oder Gelehrte verbannt, wenn sie etwas behauptet haben, was nicht der Lehrmeinung der Kirche entsprach.“

„Nenn’ mal ein Beispiel.“

„Galileo Galilei zum Beispiel. Er behauptete, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Während die Kirche lehrte, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums sei!“

„Und, was haben sie mit ihm gemacht?“

„Er wurde vom päpstlichen Gericht als Ketzer verurteilt, musste seinen Überlegungen abschwören und kam ins Gefängnis. Er soll gemurmelt haben: >Und die Erde bewegt sich doch!<“

„Von den Kreuzzügen damals habe ich auch gehört. Das war auch nicht christlich, andere Religionen zu vernichten!“

„Daraus und aus anderen Fehlern hat die Kirche gelernt, heutzutage nimmt sie die Menschenrechte ernst.“

„Sicher? Ich weiß’ nur von Papa, dass einer Ärztin gekündigt worden ist, weil sie als Geschiedene wieder geheiratet hat. Was hat das mit Christlichkeit zu tun? Warum drehen so viele der Kirche den Rücken? Sogar Frauen werden doch wie zweite Wahl behandelt! Oder hast du schon eine Pfarrerin oder Bischöfin erlebt, wie bei den Evangelischen? Die übrigens auch nicht so richtig anerkannt werden!“

Oma Sarah hüstelte verlegen und konterte: „In jeder Religion gibt es Ungereimtes, Blödsinniges. Wir Menschen machen oft Fehler, zweifeln, straucheln. Jesus vergibt uns Sündern, steht in der Bibel. Im Islam verzeiht Allah auch den Sündern, aber nur denjenigen, die zu den Gläubigen gehören. Hier wird unterschieden: Es gibt Gläubige und Ungläubige. Die Ungläubigen sind Feinde Allahs und sollen vernichtet werden. Steht im Koran, wird aber oft verniedlicht.“

„Mein Freund Marc hat mir auch von Mitschülern erzählt, die auf den Koran schwören. Sie wollen einen eigenen Gebetsraum am Gymnasium haben. Sie meckern Mädchen an, wenn sie zu freizügig rumlaufen. Zwei tragen jetzt ein Kopftuch und eine hat angedroht, mit einer Burka zu erscheinen!“

„Weißt du, Alex, wie Frauen behandelt werden, besonders christliche, also ungläubige?“

Alex wunderte sich, weil seine Oma sich noch nie so engagiert mit ihm unterhalten hatte.

„Die hochschwangere Christin Mariam Ishag sollte gehängt werden, wegen Gotteslästerung, da sie als Christin einen Übertritt zum Islam ablehnte“, fuhr Sarah von Trendel erregt fort. „Sie sollte vor ihrer Hinrichtung noch hundert Peitschenhiebe erhalten! Wäre das Urteil vollstreckt worden, hätte der Staat Sudan das Sorgerecht für ihre beiden Kinder erhalten, da ihr Ehemann als Christ keine Rechte an seinen Kindern habe. Auch ihr 20 Monate alter Sohn lebte mit Ishag in der Zelle. Ende Mai hatte sie, angekettet an den Beinen, ihre Tochter Maya geboren. Ein weltweiter Proteststurm über Amnesty International hatte erreicht, dass sie vor paar Wochen am 23. Juni von einem Berufungsgericht freigesprochen wurde. Sie soll bald nach Rom fliegen und von Papst Franziskus empfangen werden. Hoffentlich klappt das!“ Sie wischte sich zornig Tränen von ihrer Wange. Alex schwieg betroffen.

„Frauen sind halb so viel wert wie ein Mann! Sie müssen verschleiert rumlaufen, damit Männer sich nicht an ihrem Äußeren erregen können. Ich habe gelesen, dass alle Mädchen und Frauen zwischen elf und 46 Jahren beschnitten werden müssen! Ist das nicht zum Kotzen – Beschneidung in unserer heutigen Zeit? Ich könnte dir noch mehr über die Scharia erzählen, aber …?“

Beschneidung, dachte Alex. Was wird da gemacht? Es muss jedenfalls unmenschlich sein, wenn Oma so entsetzt ist.

„Über all das habe ich mir bislang keinen Kopf gemacht, Oma. Das schockt total. Ich werde mich schlau machen, gemeinsam mit Kati!“

Sichtlich verunsichert stieg Alex in seine dreiviertellange Tarnhose, sein Khaki-Hemd und seine Sandalen. Er schnallte den Gürtel mit seinem Puma-Messer um, legte Afra die Halsung an und verabschiedete sich von seiner Oma.

Mit den Rädern über den Kanal wird schwierig, dachte Alex, aber, was macht man nicht alles. Dann paddeln wir eben zwei Mal hin und her.

Wie wird sie wohl aussehen? Was wird sie anhaben? Hot Pants? Rock? Weites T-Shirt? Sein per SMS angekündigtes Versprechen fiel ihm siedend heiß ein und machte ihn total nervös. Ich werde sie nie verletzen oder ihrer Würde berauben!

Alex stand unter Strom, sein Puls nahm Fahrt auf.

Afra fixierte ihn mit schrägem Kopf und knabberte zustimmend an seinem Handgelenk.

Gnadenloser Überfall

Marc und Kati radelten an der Emmer-Mühle vorbei durch den langgezogenen Ort Emmen. Kurz vor dem Elbe-Seite-Kanal und der Ortschaft Wunderbüttel bogen sie rechts ab und fuhren den Betzhorner Damm entlang. Auf halber Strecke wollten sie links zur alten Ise-Brücke abbiegen.

Laut hupend überholte sie ein schwarzer Geländewagen, der Fahrer stieg kurz vor ihnen in die Bremsen, stoppte, sprang aus dem Pickup heraus und herrschte sie an: „Habt ihr das Schild nicht gesehen? Verboten für PKWs und Radfahrer! Wild braucht Ruhe!“

„Wir wollen zur alten Ise-Brücke, haben uns mit Alex verabredet, der bei Frau von Trendel im Junkernholz wohnt, er hat bereits Ferien!“, erklärte Kati treuherzig dem Fahrer und blickte ihn bittend an.

Grosseks Gesicht erhellte sich, als er die schlanken, sportlichen, leicht angebräunten Beine sah. Sein lüsterner Blick glitt über die kurze, enganliegende dunkelblaue Shorts, wanderte über ihren flachen Bauch zu ihren apfelgroßen Brüsten, die das weiße T-Shirt verdeckte.

„Dann seid ihr ja Anlieger“, grinste er tiefgründig, „aber nicht die Straße verlassen! Jetzt fahrt los, inschallah!“

Eingeschüchtert, auch erleichtert, schwangen sich die beiden auf ihre Räder und traten in die Pedalen. Kati nestelte ihr Smartphone aus der Hosentasche und machte blitzschnell Fotos von diesem schwarzen Geländewagen. Den Fahrer bekam sie nicht mehr aufs Bild, dafür das ziemlich verschmutzte Kennzeichen: <GF-TG OO9>. Sie wollten gerade am Pickup vorbeifahren, als Grossek Gas gab und mit quietschenden Reifen vor ihnen davon raste. Nach einer Kurve sahen sie ihn nicht mehr und atmeten befreit auf.

Marc fuhr schneller, irgendetwas trieb ihn an. Kati hatte es nicht so eilig. Sie war etwa fünfzig Meter hinter ihm und bewunderte während der Fahrt den am Wegrand wachsenden, sonnenüberfluteten Kopfginster. Seine roten Tupfen auf grellgelben Blütenblättern lockten Hummeln und sogar Bienen an. Schmetterlinge hatte sie im Bauch. Seine leidenschaftlichen Küsse! Die vielen intimen SMS in den vergangenen Wochen! Sogar Papa findet ihn cool und klug, jubelte ihr Innerstes. Seine eindeutige Aufforderung! Ein eigenartig-angenehmes Gefühl durchströmte ihren Körper.

Verwirrt lächelnd betrachtete sie verträumt einen von Blüte zu Blüte taumelnden Zitronenfalter. Alles sah so friedlich aus – und die flimmernde Luft über dem Asphalt und die tanzenden Mücken und das Gurren der Hohltauben aus den hohen Kiefern und dieser Schmetterling …

Diese Stimmung musste sie unbedingt mit ihrem Smartphone festhalten: Sie stieg vom Rad; die Video-Aufnahme lief … Plötzlich ein lauter, harter, durchdringender Knall. Kati zuckte vor Schreck zusammen, ihr Smartphone fiel ins Gras, sie hörte den entsetzlichen Aufschrei ihres Bruders. Sie sah, wie er vom Fahrrad stürzte, sich dabei an den Kopf fasste und kopfüber in den Graben rutschte.

Sie raste mit aller Kraft zur Unfallstelle, sprang von ihrem Fahrrad und rannte an Marcs Rad vorbei zum Graben. Sie packte seinen rechten Fuß und zog mit übermenschlicher Kraft den leblosscheinenden Körper aus dem Wasser.

Sie sah seinen Kopf, sie sah, dass er atmete und wollte ihn gerade wachschreien, als ein stinkender Lappen auf ihre Nase und ihren Mund gepresst wurde. Sie versuchte blitzschnell in die atemraubende Hand zu beißen. Eine Männerstimme fluchte in einer fremden Sprache und drückte das mit Ether getränkte Tuch fester auf ihre Nase. Sie traute sich nicht, tief einzuatmen. Sie trat und schlug um sich. Ihre Kräfte ließen nach. Sie schrie laut auf, ihre Stimme brach. Sie verlor die Besinnung.

„Ist prima das Zeug“, grinste Grossek. „Tolles Ding, junges Biest, nicht für mich, schade, genau richtig für Abdul, inschallah!“ Er rollte das Mädchen in eine alte Decke und schulterte die Flinte, aus der er das Gummi-Geschoß auf Marc abgefeuert hatte. Mit versteinerter Miene betrachtete er ihn. Entschlossen schleppte er seine Beute zu dem im Unterholz versteckten Pickup. Unsanft rollte er das Mädchen auf den hinteren Sitz und warf seinen dünnen Lodenmantel zur Tarnung darüber. Er fuhr langsam, um kein Aufsehen zu erregen, den Betzhorner Damm entlang in Richtung Wahrenholz. Auf Schleichwegen erreichte er einen aktiv genutzten Truppenübungsplatz in der Nähe von Ehra-Lessin.

Theo Grossek grüßte den wachhabenden Gefreiten und rief ihm aus dem Fahrer-Fenster zu, Leutnant Emmerich aufsuchen zu wollen. Da der Gefreite den Jagdaufseher bereits kannte, öffnete er die Schranke und ließ ihn ohne Kontrolle passieren.

Leutnant Karl Emmerich, ausgezeichneter Transporthubschrauber-Pilot, ledig, trinkfest, geldgeil, stutzte, als er den Geländewagen im Kasernenhof vorfahren sah. Ich bin nicht mit ihm verabredet, überlegte er, folglich musste etwas Wichtiges vorgefallen sein.

Er verschloss schnell seine Stubentür und beeilte sich, Grossek vor dem Eingang zur Kaserne abzufangen, um Privates und Berufliches von ihm fernhalten zu können. Je weniger er über mich weiß, desto besser!

Grossek stand wie festgewachsen an seinem Pickup, sah Emmerich kommen und forderte ihn mit einer herrischen Armbewegung auf, einzusteigen.

„Was ist los?“ Emmerich schlug die Wagentür zu.

„Da“, Grossek zeigte nach hinten. „Geiles, junges Biest für Scheich Abdul. Ab mit ihr zu den anderen!“

Karl Emmerich war der einzige, der einen Schlüssel zum Hangar II hatte. Dort war er während der Dienstzeit damit beschäftigt, die Kanzel seines Transporthubschraubers, den Rumpf, den Rotor, die Ausgleichsschraube und alles andere instand und jederzeit einsatzbereit zu halten. Emmerich war als geschickter Pilot bekannt, der sein Baby, wie er den Hubschrauber nannte, nach jedem Einsatz gründlich wartete und liebevoll betätschelte.

„Okay, geht klar. Und was ist mit den anderen? Wann soll ich sie wegfliegen? Langsam wird’s zu gefährlich.“

„Du kriegst Bescheid!“

Grossek fuhr quer über den Übungsplatz, vorbei an Panzern, die im Mittelpunkt einer Gefechtsausbildung standen und mit Übungs-Munition auf einen Unterstand vermeintlicher Isis-Terroristen schossen; vorbei an einem Trupp Soldaten, die für internationale „Vieerdaags“-Märsche trainierten. Nach sieben Minuten bremste Grossek vor dem Hangar II.

Kein Mensch war zu sehen.

Emmerich schloss die eiserne Seitentür neben dem großen Rolltor auf und öffnete die Tür. Die beiden Männer trugen das Mädchen, ihren Kopf hatte Grossek in ein Tuch gehüllt, in den hinteren Teil des Hangars am Hubschrauber vorbei. Emmerich schob eine Tonne mit Altöl zur Seite, zog eine Falltür hoch, hakte sie fest. Sie wankten die eiserne Treppe mit ihrer Beute hinab. Grossek knipste das Licht an; eine verstaubte Glühbirne warf ein mattes Licht durch den Raum.

Auf dreckigen, mit Stroh gefüllten Jutesäcken, lagen nebeneinander vier mit Decken notdürftig bedeckte Mädchenkörper. Sie alle schienen zu schlafen.

Sie legten ihre Beute auf einen freien Jutesack. Grossek überprüfte Puls und Atmung. „Bald Narkose weg“, erklärte er unerbittlich grinsend, „jetzt braucht sie meine besondere Medizin, die wird ihr gut tun, inschallah!“

Grossek entkorkte mit seinem Taschenmesser das kleine, mit Wachs verschlossene Fläschchen. Er kramte eine Spritze aus seiner Jackentasche, steckte eine dickere Hohlnadel auf und zog fünf Milliliter der hellbraunen Flüssigkeit auf. Er packte ihren rechten Arm, klemmte den Oberarm mit einem Knebel ab, klopfte suchend auf eine Vene, stach zu und jagte erbarmungslos die Tinktur hinein. „Wenn sie aufwacht wird sie Hallus haben und Krämpfe und Kopfschmerzen, inschallah!“, knurrte er und verhüllte ihren Kopf mit einem dunklen Tuch. „So laufen brave Weiber im Orient rum, merk dir das für deine Zukunft!“

Emmerich blieb in der Nähe der Treppe stehen. Mit diesem Kidnapping wollte er eigentlich nichts zu tun haben. Andererseits lockte das große Geld.

Auf einmal bewegte sich eine der Frauen, schlug benommen ihre Augen auf. Sie versuchte, den Druck der Decke zu sprengen und schrie voller Wut und Verzweiflung: „Hilfe. Wo bin ich? Ist da jemand?“ „Halt’s Maul, blonde Schlampe“, befahl wutentbrannt eine tiefe, männliche Stimme. Es dämmerte ihr, dass irgendetwas nicht stimmen konnte. Eine Eiseskälte durchzog ihren Körper, als ihr klar wurde, dass sie diese widerliche Stimme ihrem Freund zuordnen musste.

Sie blickte sich vorsichtig um und sah vier andere Frauenkörper neben sich liegen, die alle zu schlafen schienen. Nur ein Kopf war mit einem dunklen Tuch verhüllt. Ein anderer Mann lehnte an einer Treppe. Ihr Freund Grossek kam auf sie zu, ein Gestell hinter sich herziehend. Blitzschnell begriff sie die Situation. Todesangst krampfte ihren Brustkorb zusammen. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Kommunikation oder Schreien ist das Wichtigste bei einem Angriff, hatte man ihr im Selbstverteidigungskurs eingebläut.

Sie wandte sich an ihn mit einem forsch-aggressiven Unterton, der ihre Verzweiflung und Angst überspielen sollte: „Was machst du mit mir? Ich denke, du liebst mich, Theo. Wenn du mich und die anderen jetzt frei lässt, ist nichts passiert, gar nichts! Wir finden eine Lösung!“

„Schnauze! Halt einfach deine Schnauze! Geile Luxusweiber bringen Kohle, besonders, wenn sie Jungfrauen sind!“, giftete Grossek teuflisch grinsend und stellte einen wasserundurchlässigen Feuerkorb einen Meter vor ihr ab. Er kippte eine rotbraune Flüssigkeit hinein, eine gefährliche Mixtur aus dem Blut eines Wassermolches, einer Giftschlange, einer Giftspinne und eines geheimen China-Pulvers.

Lenas Augen weiteten sich vor Angst. Ihre Atmung stockte. Sie sah, wie Grossek ein Stück Papier aus seiner Jackentasche angelte, es zu einer Tüte zusammendrehte und in die Tinktur tauchte. Das Papier saugte die Flüssigkeit auf. Er holte Streichhölzer aus der Hosentasche und forderte Emmerich auf, den Raum zu verlassen. Er warf drei brennende Hölzer auf das vollgesogene Papier. Dann drehte er ihr, teuflisch lachend, den Rücken zu und verschwand eilig aus dem Raum, knallte die Fall-Tür zu und schob das Ölfass darüber.

Er hatte bei dieser überhasteten Aktion übersehen, dass Katis Kopf mit einem Tuch fast luftdicht verhüllt war.

Das Papier samt Tinktur verbrannte. Der Rauch hüllte Lena ein. Sie verlor das Bewusstsein.

„Sie sehen toll aus, wenn sie schlafen“, murmelte Grossek, als er eine halbe Stunde später mit einer Stoffmaske über Nase und Mund prüfte, ob alle Mädchen und Frauen ruhig gestellt wären. „Hoffentlich war die Dosis nicht zu stark. Tote Weiber bringen keine Kohle! Schlaft schön, ihr Goldengel. Eure Zukunft wird rosig sein, wenn ihr euch nicht anstellt und konvertiert! Der Islam braucht gefügige Weiber, die ihrem Herrn ergeben sind und gehorsam und allzeit bereit. Allah wird euch reichlich belohnen, inschallah!“

„Eigentlich bist du ganz schön dämlich“, meckerte Emmerich, als sie im Pickup saßen und zur Kaserne zurückfuhren.

„Du besorgst Scheich Abdul junge, blonde Mädchen, möglichst Jungfrauen, und wenn die nicht schön genug aussehen oder entjungfert sind, zahlt er nicht Zehntausend Dollar, sondern nur die Hälfte!“

„Dafür habe ich die Erfahreneren auch für mich, das kriegt der Scheich nicht mit. Aber: Recht hast du, was sollte ich tun?“

„Du musst mehr verlangen. Gute Arbeit muss gut bezahlt werden. Ich will auch einen höheren Anteil. Das Geschäft wird immer gefährlicher, es muss sich wenigstens lohnen. Also stell’ deine Forderungen, mindestens dreißigtausend Dollar pro Stute, sonst läuft nichts mehr!“

„Verstanden. Ich werde auf’n Putz hauen“.

Grossek war ein Mann der Tat. Seine Gier und sein unerbittlicher Hass trieben ihn an, das zu bekommen, was er wollte. Er rief Scheich Abduls Nummer an und hatte seinen russischen Freund und Unterhändler Romanowitsch am Smartphone.

„Hier Grossek. Hallo Romano. Sag’ deinem Chef, dass ich fünf Weiber für ihn und seine Freunde habe: Vier bildschöne Jungfrauen, eine etwas ältere, aber erfahren! Und einen jungen, kräftigen Baumfalken! Die kosten mehr, viel mehr. Für die Weiber will ich vier mal dreißig Tausend Dollar haben, einmal fünfzehn Tausend und für den Greifvogel zehn Tausend. Also insgesamt hundertfünfundvierzig Tausend! Wann könnt ihr sie abholen? Es wird Zeit, länger können wir sie nicht mehr verstecken!“

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22 декабря 2023
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ISBN:
9783957446657
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