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Kaufhaus Leiner, Historische Treppenanlage, 2020


Life Ball, Eröffnung 2019, Foto: Peter Payer

DIE STADT ALS EVENT

Das Ende des Life Balls hat es einmal mehr deutlich gemacht: Die Eventisierung des öffentlichen Raumes ist längst auch in Wien zur Selbstverständlichkeit geworden, zu einem bedeutsamen kulturellen und wohl auch wirtschaftlichen Faktor. Läuft ein derart renommierter Fixstarter im jährlichen urbanen Veranstaltungskalender aus, wie der seit mehr als einem Vierteljahrhundert bestehende Megaevent zugunsten der Aids-Hilfe, wird dies von vielen als unwiederbringlicher Verlust erlebt. Zumal die TV-Ausstrahlung dieses außergewöhnlichen Ereignisses, das sich von Beginn an als bunt, exaltiert und vor allem auch politisch verstand, weit über die österreichische Hauptstadt hinausreichte und man damit letztlich weltweite Aufmerksamkeit genoss. Eine zweifellos beachtenswerte Leistung in unserer zunehmend kompetitiven und markenorientierten Zeit. Wien war mit dem Life Ball auf der internationalen Landkarte präsent, er passte perfekt zum Image der Kulturmetropole an der Donau und veranschaulichte so ganz nebenbei, wie sehr sich die Stadt und das Lebensgefühl in ihr in den letzten Jahrzehnten verändert hatten. Alt und neu in perfekter Symbiose.

Dass die Straßen und Plätze der Metropolen zu Schauplätzen von Großveranstaltungen werden, ist natürlich nicht neu. Allein die Anlässe und Häufigkeiten der Ereignisse und damit zusammenhängend das Verständnis von Urbanität haben sich grundlegend gewandelt. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich die westlichen Großstädte teils in rasendem Tempo herauszubilden begannen, kam dem öffentlichen Spektakel eine immer größere Bedeutung zu. Die Kulturwissenschaftlerin Regina Bittner bringt hier den Begriff der »urbanen Paradiese« ein, die sich in den verschiedensten Ausprägungen manifestierten, von High-Tech-Vergnügungsparks und modernen Warenhäusern bis hin zu groß inszenierten Festen und Weltausstellungen. Schon damals ging es angesichts steigender Städtekonkurrenz um Repräsentation und die Suche nach klarer Unterscheidbarkeit, gepaart mit dem Faszinosum von Differenz und Vielfalt, des Aufeinanderprallens von Vertrautem und Fremdem. Der deutsche Architekt August Endell proklamierte in seinem berühmten, 1908 erschienenen Buch eine Lobeshymne auf ebendiese »Schönheit der großen Stadt«: »Unsere Städte leben, sie umgeben uns mit der ganzen Macht der Gegenwart, des Daseins, des Heuteseins. Und gegen ihre bunte Unendlichkeit ist alle Überlieferung, sind auch die kostbarsten Trümmer tot, gespenstig und arm. Unsere Städte sind uns so unerschöpflich wie das Leben selbst.«

Sängerbundfest am Praterstern, Ansichtskarte, 1928

Der im modernen Städtebau neu konzipierte öffentliche Raum rezipierte dieses Bestreben nach umfassender Selbstdarstellung, indem er in den imperialen Zentren breite Boulevards und großzügig angelegte Plätze vorsah. Sie dienten in der Folge als repräsentative Kulisse für jene Großveranstaltungen, die zumeist zu Ehren von Herrschenden abgehalten wurden. Kaiserliche Geburtstage, Hochzeiten und Thronjubiläen fungierten als Anlässe für prächtige Umzüge und Massenspektakel. In Wien war das etwa der opulente Makart-Festzug im Jahr 1879 anlässlich des 25. Hochzeitstags des Kaiserpaares Franz Joseph und Elisabeth oder die Jahre 1898, 1900 und 1908, in denen – ebenfalls für Kaiser Franz Joseph – groß angelegte Events abgehalten wurden, die sich über die festlich geschmückte Ringstraße und weite Bereiche der Innenstadt erstreckten. Spektakuläre Einzelereignisse, die Hunderttausende Menschen in ihren Bann zogen, wurden schon damals geschickt vermarktet und prägten sich tief in das kollektive Gedächtnis der Stadt ein.

Lichterlfest am Donaukanal, Plakat, 1983

In der republikanischen Stadt der Zwischenkriegszeit verstärkte sich die Politisierung des öffentlichen Raumes. Aufmärsche der sich formierenden Massenparteien, aber auch Demonstrationen und teils gewaltsame Auseinandersetzungen gehörten im »Roten Wien« zum Alltag. Jährliche Höhepunkte waren die Maikundgebungen von Arbeiterschaft und Sozialdemokratie, die die Ringstraße und den Prater propagandawirksam in Besitz nahmen. Hinzu kamen groß inszenierte Sport- und Kulturevents wie der Schwimm- und Ruderwettbewerb »Quer durch Wien«, dem am Donaukanal Hunderttausende Zuschauer beiwohnten, das Sängerbundfest 1928 oder der im Juni 1929 abgehaltene Gewerbefestzug.

Die Ringstraße und vor allem der Heldenplatz blieben bekanntermaßen auch die wichtigsten politischen Bühnen im austrofaschistischen Ständestaat und in der NS-Zeit, ehe sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges und erfolgreichem Wiederaufbau allmählich eine deutlich entpolitisierte, mehr konsum- und freizeitorientierte Nutzung des Stadtraumes abzeichnete. Allerdings zunächst noch mit starker Stimulanz durch die politischen Parteien. Als Nachkriegspionier gilt das von der KPÖ initiierte Volksstimmefest, das 1946 erstmals im Praterstadion stattfand und seither auf der Jesuitenwiese im Prater abgehalten wird. Die SPÖ reaktivierte ihre Maikundgebungen und die Wiener Festwochen starteten ab 1951 erneut mit einem umfangreichen, mehrwöchentlichen Kulturprogramm. Im Jahr 1975 wurde der Christkindlmarkt auf den Rathausplatz verlegt, wo er sich rasch als beliebter Winterevent etablierte. Die ÖVP wiederum konnte erst Jahrzehnte später mit Erhard Busek und seinen »Bunten Vögeln« veranstaltungsmäßige Akzente setzen. Sie begründete 1978 das Wiener Stadtfest, dessen Darbietungen in der Innenstadt sogleich großen Anklang fanden, sowie ab 1983 ein Lichterlfest am Donaukanal, das heutige Donaukanaltreiben.

Kaum mehr vorstellbar ist aus heutiger Sicht, wie leer und »unbespielt« der Wiener Stadtraum noch um 1980 herum war. Wien galt als »Shrinking City«, die Einwohnerzahl der am Rand des Eisernen Vorhangs gelegenen Stadt sank kontinuierlich, kulturelle Impulse und Belebungen wurden dringend gebraucht. Das 1984 ins Leben gerufene Donauinselfest sollte in diese Richtung wirken und ein deutliches Signal an die Jugend sein, ebenso der im selben Jahr erstmals abgehaltene Vienna City Marathon. Doch erst die überwundene politische Teilung des Kontinents schuf ab 1989 jene Voraussetzung, die Wien erneut eine aufstrebende Entwicklung im Herzen Europas ermöglichte.

Der folgende Trend zur Reurbanisierung und die Herausbildung der postmodernen »Erlebnisgesellschaft« (Gerhard Schulze) leiteten sodann eine nachhaltige Festivalisierung des öffentlichen Raumes ein. Wien begann sich als weltoffene Stadt zu positionieren: Silvesterpfad (1990/91), Filmfestival am Rathausplatz (1991), Life Ball (1993) oder Regenbogenparade (1996) etablierten sich als publicityträchtige Massenevents, zahlreiche weitere folgten. Längst sind die traditionellen Veranstaltungszonen verlassen, werden auch Parks wie der Augarten und der Stadtpark miteinbezogen und weit entfernte Areale wie Schönbrunn oder Wienerwald eventisiert.

Wie andere westliche Städte ist auch Wien, so die Urbanistin Anette Baldauf in ihrer Analyse zu den Wechselwirkungen von Stadtentwicklung und Unterhaltungskultur, zu einer »Entertainment City« geworden: »Auf ihren Bühnen werden groß angelegte Shows inszeniert, das Städtische auf hyperbolische Weise aufgeblasen und Urbanität in ihrem Exzess ausgestellt. Alles Inszenierungen, die Superlative einfordern – die Stadt ist lauter, größer, MEHR.«

Der öffentliche Raum fungiert als Kulisse, als begehrter Hintergrund für Public Viewings und als Erlebnisraum für »Ausstellungen« im weitesten Sinn, mit dem erwünschten Nebeneffekt, dass das Gesamtimage der Stadt stets als »Product-Placement« mitpräsentiert wird. Die Dichte der Events ist mittlerweile auch in Wien gewaltig. Kaum ein Wochenende ist noch frei von Großveranstaltungen. Am deutlichsten zeigt sich dies am Rathausplatz, der in seiner städtebaulichen Konfiguration, frei von Veranstaltungsmobiliar, nur mehr an wenigen Tagen im Jahr erlebbar ist. Der zentrale Bereich vor dem Rathaus, ehemals Inbegriff von Bürgersinn und Bürgerstolz, ist zu einem kommerziell vermarkteten Areal geworden, zur beliebtesten Open-Air-Zone Wiens. Raum, so haben wir hier längst gelernt, ist knappes und demzufolge kostbarstes Gut in der Stadt, und gerade deswegen nicht frei von wirtschaftlichen und politischen Verwertungsinteressen. So stellt sich immer öfter die Frage, wem er denn eigentlich gehört und wer darauf Zugriff hat.

Christkindlmarkt, Ansichtskarte, 1990er-Jahre

Die Ansprüche steigen, der Kampf um die letzten noch freien Flächen hat voll eingesetzt. »Platz da!«, titelte die deutsche Wochenzeitschrift »Die Zeit« und brachte damit die europaweit gestiegenen urbanen Konkurrenzverhältnisse auf den Punkt. Auch in Wien erhöhen die globalen Trends zur Verdichtung, Touristifizierung und Digitalisierung den Druck auf den öffentlichen Raum. Gleichzeitig steht die »Stadt als Event« vor sich auflösenden traditionellen Machtverhältnissen. Oder, um beim Bild von der Stadt als Ausstellung zu bleiben: Wir bewegen uns weg von einer Dauerausstellung hin zu temporären Ausstellungen, die – rasch wechselnd und interaktiv – unter Beteiligung der verschiedensten Akteure gestaltet werden wollen. Was allerdings nicht heißen soll, dass man gut daran tut, bisher bewährte Konstanten über Bord zu werfen. Denn immerhin erzielte etwa der imageträchtige Life Ball allein in den letzten zehn Jahren eine Bruttowertschöpfung von mehr als 100 Millionen Euro für die Stadt. Weshalb auch Bürgermeister Michael Ludwig sehr für seine Fortsetzung plädierte – vergeblich, wie sich zeigen sollte.


Illumination zum 70. Geburtstag von Kaiser Franz Joseph, Foto: Ch. Scolik, 1900

TAUSEND LAMPEN FÜR FRANZ JOSEPH

Anstehende Wahlen machen es einmal mehr deutlich: Politische Botschaften in der Masse zu verbreiten ist heute einfacher denn je. Ein Klick genügt und die elektronischen Medien bringen die gewünschten Informationen in vieltausendfacher Weise direkt zum Empfänger. Nur selten ist uns bewusst, wie schwer es früher war, wirklich große Reichweite zu erzielen. Ein Medium spielte dabei seit jeher eine zentrale Rolle: das Licht. Klug eingesetzt und im richtigen Kontext angewandt, entfaltet es eine Suggestivkraft von enormer massenpsychologischer Wirkung.

Denn Dunkelheit, so wussten bereits die Herrschenden früher Zeiten, ist die ideale Kulisse für Propaganda. Visuelle Ablenkung gibt es keine, und die Aufmerksamkeit kann mithilfe des Lichts genau gelenkt werden. Sichtkontakt garantiert! Im Folgenden eine Erinnerung an die durchaus opulenten Anfänge urbaner Lichtpolitik in Wien.

Spektakuläre Lichtevents prägten bereits das ausgehende 19. Jahrhundert. Die gründerzeitliche Stadt entwickelte sich rasant zur Riesenmetropole, elektrische Beleuchtung löste allmählich das Gaslicht ab – und das habsburgische Kaiserhaus inszenierte sich effektvoll vor Massenpublikum: Erstmals im großen Stil im Zuge der Vermählung von Kronprinz Rudolf mit Prinzessin Stephanie im Mai 1881. Die Wiener Gasgesellschaft hatte dazu einen riesigen Triumphbogen am Kärntner Ring errichten lassen, eine aufsehenerregende Lichtinstallation, die sogleich Zehntausende Besucher anlockte.

Absolute Höhepunkte stellten sodann jene drei Stadt-Illuminationen dar, die für Kaiser Franz Joseph – nunmehr bereits mit elektrisch erzeugtem Licht – abgehalten wurden: im Jahr 1900 anlässlich seines 70. Geburtstages sowie in den Jahren 1898 und 1908 zu Ehren seines 50. bzw. 60. Regierungsjubiläums. Jedes Mal fand ein glorioser Triumphzug statt; entlang der Strecke wurden zahlreiche Gebäude mit aufwändigen Lichteffekten, der Kaiserkrone und dem Wahlspruch seiner Majestät »Viribus Unitis« versehen.

Volkstheater mit Fesselballon zum 70. Geburtstag von Kaiser Franz Joseph, 1900

Über die nächtliche Kaiserhuldigung des Jahres 1900 hieß es beispielsweise in der Zeitschrift »Wiener Bilder«, dass sie alle bisherigen Veranstaltungen dieser Art bei Weitem übertroffen habe. Gegenüber dem Burgtor war ein beleuchteter Obelisk aufgestellt worden, in der Innenstadt erstrahlte die Fassade des renommierten Geschäftshauses Haas & Söhne – und dann die absoluten Highlights: »Unter den Illuminationsobjecten ragte das Wiener Rathaus, das einem Märchenpalaste glich, in erster Reihe hervor; tausende von Glühlampen erglänzten auf dem Gebäude, das traumhaft schön aus dem dunklen Hintergrunde hervorleuchtete. Ueber dem Maria Theresia-Denkmale schwebte ein mächtiger Fesselballon, an dessen Gondel in weithin leuchtender Schrift die Zahl 70 hing, und von vier Seiten warfen gigantische Reflectoren ihr magisch weißes Licht auf das Wahrzeichen Wiens, den Stefansthurm. In prächtigen Farben erglänzte der Hochstrahlbrunnen auf dem Schwarzenbergplatze, dessen Gebäude in herrlichster Illumination erstrahlten. Recht originell war das Palais des Erzherzogs Eugen mit dem aus elektrischen Glühlichtern gebildeten Kreuze des deutschen Ritterordens geziert, und das Gebäude der Bodencredit-Anstalt in der Teinfaltstraße war gleichfalls ungemein effectvoll decorirt. Von den an der Donau gelegenen Schuckert-Werken aus wurden die derzeit in dem Strome ankernde Donauflottille sowie der Kahlenberg und Leopoldsberg mit riesigen Scheinwerfern beleuchtet.«

Es war die lichtmäßige Inbesitznahme der ganzen Stadt, die Massen an Besuchern anzog und eine regelrechte Lichteuphorie auslöste. Unmittelbar danach wurden bereits die ersten Erinnerungsbilder propagandistisch verbreitet und Ansichtskarten mit Nachtmotiven zum Verkauf angeboten. Die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien hatte sich – wie nie zuvor – als strahlende Metropole des Lichts positioniert.

»Kein Fest mehr ohne Lichtfreude.« Dieses Motto sollte dann auch bei politischen Veranstaltungen der Zwischenkriegszeit zur Selbstverständlichkeit werden. Schon die Feier zur Eröffnung des für die Wiener Stromversorgung wichtigen Kraftwerks in Opponitz am 1. Jänner 1925 wurde von einer aufwändigen Lichtinszenierung begleitet. Diese verstand sich als politisches Statement für die wachsende Kraft der Sozialdemokratie und die Potenz einer Stadt, die eben erst zu einem eigenen Bundesland erhoben worden war. Im Zentrum des Spektakels stand die politische Machtzentrale, das Rathaus, welches an diesem Abend gleich zweimal (zwischen 17 und 18 Uhr sowie zwischen 20 und 21 Uhr) im Lichterglanz erstrahlte. Schon am Nachmittag setzte, so die »Neue Freie Presse«, eine »Völkerwanderung« Richtung Rathausplatz ein, ehe die eigentliche Lichtshow begann: »Da zerreißt der Lichtkegel eines auf dem Rathausplatze aufgestellten Scheinwerfers die Finsternis, taucht die Turmspitze und den eisernen Rathausmann in silberweißes Licht. Gleich darauf flammen auf dem Turm blendendweiße Lampen auf, das Dach strahlt in einem Lichtermeer, mit feurigen Zungen greift das Licht nach immer neuen Loggien und Pfeilern des gotischen Palastes, sie aus dem Dunkel reißend. Und jetzt ist die ganze Fassade des Rathauses mit allen Türmchen, Arkaden und dem reichgegliederten Zierrat von Lichtern übersät, die wie Edelsteine funkeln. Auch von den beiden Ecktürmchen des Rathauses senden zwei Schweinwerfer Lichtbrücken zur Turmspitze hinauf, und der Himmel strahlt im Widerschein des funkelnden Palastes.«

Die politisch der Stadtregierung nahestehende »Arbeiter-Zeitung« berichtete noch euphorischer und sprach von »Lichtzauber« und »Märchenpracht« und einem »Feenschloß«, das »zauberhaft und unwirklich wie ein Traumgebilde« schien. 3.000 Lampen waren aufgeboten worden, um das Rathaus derart schillernd zu inszenieren. Eigens hergestellte Werbefotos dokumentierten das neue Selbstbewusstsein des »Roten Wien«. Deutlich geht aus solchen Schilderungen der Reiz des Neuen und noch nie Gesehenen hervor. Erstmals waren Effekte in dieser Größenordnung technisch möglich und wirkten auf viele wohl deshalb geradezu überwältigend.

Drei Jahre später, im November 1928, konnte die Wiener Bevölkerung ein noch aufwändigeres Lichtereignis bestaunen. Bei den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Gründung der Republik Deutsch-Österreich erstrahlten der Stephansdom, das Rathaus und das Parlament in festlicher Beleuchtung. Gleichberechtigt wurde das religiöse Zentrum neben die beiden wichtigsten demokratischen Institutionen gestellt, womit man jene Eckpfeiler markierte, auf denen das politische System ideologisch ruhte. Mehrere Großscheinwerfer sowie Tausende Glühlampen ließen die Lichtinszenierung zum emotionalen Höhepunkt des Jubiläumsaktes werden. Erneut wurde das Ereignis auf unzähligen Festkarten abgebildet, wodurch es, neben der Enthüllung des Republikdenkmals auf der Ringstraße, zum bekanntesten Erinnerungsbild an diesen Gedenktag wurde.

Wie zuvor schon für den Kaiser, war die Nacht auch für die Massenparteien zur begehrten Bühne geworden. Wobei die den Modernisierungsbestrebungen aufgeschlossenere Sozialdemokratie rasch neue Techniken übernahm. So verwendete sie schon im Wahlkampf in den 1920er-Jahren Leuchtreklamen, die in großen Lettern verkündeten: »Wir bauen weiter und wählen sozialdemokratisch«. Und auch der sozialdemokratische Kandidat des Bundespräsidentschaftswahlkampfes 1931 wurde nachts völlig neu, als überdimensionales, aus unzähligen Lichtpunkten zusammengesetztes Porträt präsentiert, mit der darunterstehenden Aufforderung: »Wählet am 18. Okt. Dr. Karl Renner«. Die elektrifizierte Großstadt der Moderne hatte ihre adäquate Lichtpolitik gefunden.

Umgekehrt nutzten auch die Christlichsoziale Partei bzw. die Vaterländische Front die Möglichkeiten zur nächtlichen Selbstdarstellung. Als man im September 1933 den »Deutschen Katholikentag« beging, ein politisches und mediales Großereignis, bei dem Engelbert Dollfuß seine berühmte Rede am Trabrennplatz hielt, erstrahlte der Stephansdom als festlich beleuchteter Mittelpunkt der Stadt. Ein Jahr später, nach der Ermordung von Dollfuß, war der Trabrennplatz selbst Schauplatz einer gewaltigen Lichtmanifestation: Zum Gedenken an den Kanzler wurde ein Riesenfeuerwerk entzündet und sein Porträt mitsamt Kruckenkreuz und der Parole »JA ES WILL« in die Nacht gezeichnet. Die Bevölkerung selbst wurde aufgefordert, Kerzen in die Fenster zu stellen und in den Bergen Höhenfeuer zu entzünden.

Festbeleuchtung des Rathauses, 1928

Im Unterschied zur Sozialdemokratie setzte das konservative Lager in seinen Lichtinszenierungen weit mehr auf die Magie des offenen Feuers als auf High-Tech-Performance. Dies zeigte sich besonders deutlich bei der Einweihung des »Österreichischen Heldendenkmals« im September 1934, der ersten großen Selbstdarstellung des austrofaschistischen Ständestaates. Die im Äußeren Burgtor errichtete Gedenkstätte zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkriegs wurde mit einem sorgfältig inszenierten Lichtfest eröffnet: Zu beiden Seiten des Denkmals brannten »ewige Feuer«, die Fassade der Neuen Burg erstrahlte in Festbeleuchtung, die angrenzenden Reiterstandbilder von Erzherzog Karl und Prinz Eugen wurden im Lauf des Abends gleich zweimal mit bengalischen Feuern illuminiert.

Einweihung des Österreichischen Heldendenkmals am Heldenplatz, 1934

Auch die im Jahr 1938 an die Macht gekommene nationalsozialistische Stadtregierung setzte massiv auf die propagandistische Kraft des Lichts. Zwar gab es in Wien keine Großinszenierungen wie in Berlin oder Nürnberg, wo Tausende Scheinwerfer zum Einsatz kamen und gewaltige »Lichtdome« in den Himmel projiziert wurden, ausgeklügelte Lichtdramaturgien fehlten aber keineswegs. Vor allem die Volksabstimmung am 10. April, die bis dahin wohl größte Propagandaschlacht in Österreich, später auch der 1. Mai sowie Hitlers Geburtstag boten Anlass für spezielle Nachtfeiern. Gebäude wurden mit Lichtbändern, zum Teil auch mit überdimensionalen Hakenkreuzen und Bannern geschmückt, die die Parole »Ein Volk. Ein Reich. Ein Führer« in die Nacht schrien. Und man verteilte Bildpostkarten, die das Hakenkreuz in Form einer aufgehenden Sonne vor bekannten Wiener Sehenswürdigkeiten zeigten, die damit in »neuem Licht« erstrahlten. Die politische Instrumentalisierung des Lichts erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt.

Realiter sollte die Stadt jedoch eher finsterer denn heller werden. Denn mit Fortdauer des Krieges und den zunehmenden Luftangriffen der Alliierten wurden strenge Verdunkelungsmaßnahmen angeordnet. Auf der Straße kamen kleine Petroleumlampen anstelle der bisherigen Beleuchtungskörper zum Einsatz, und immer öfter konnte man auf Plakaten die Warnung lesen: »Der Feind sieht dein Licht!«

Parlament, nationalsozialistische Propagandakarte, 1938

Aufmerksamkeit mithilfe des Lichts zu erzeugen war zu einer tödlichen Gefahr geworden. Der Krieg hatte die gewohnten Wahrnehmungsmuster ins Gegenteil pervertiert. Es galt umzulernen. Erst in der Nachkriegszeit durfte man sich wieder öffentlich an der Kraft des Lichts erfreuen.

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