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Bop- und Blues-Bekenntnisse

Sideman bei Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Earl Bostic und Johnny Hodges (1945–1955)


Mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg war jeder Achtzehnjährige zum potentiellen Soldaten geworden. Zwar hatte Coltrane einen guten Job in der Campbell Soup Company und hoffte zunächst, weil die Firma auch Lebensmittel für das Militär produzierte, der Verpflichtung zur Armee zu entgehen. Doch am 6. August 1945 wurde er – nach erfolgreicher Musterung – eingezogen und leistete bis zum 11. August 1946 seinen Wehrdienst in der US Navy. Beim Militär praktizierte man damals noch rigide Rassentrennung: Schwarze durften bei der Marine allenfalls als Küchengehilfen oder als Stewards eingesetzt werden. Paradoxerweise wurde Coltrane eingezogen, als der Weltkrieg gerade zu Ende ging: Am Tag seines Eintritts in die Streitkräfte warfen die USA ihre erste Atombombe auf Hiroshima ab, um den Pazifikkrieg gegen Japan zu beenden. Zunächst durchlief John ein Ausbildungscamp im Staat New York. Nach einer kurzzeitigen Stationierung in Kalifornien trat er schließlich im Rang eines »Seaman Second Class« am 28. November seinen »Militärdienst außerhalb der kontinentalen Grenzen der Vereinigten Staaten« – wie es in seinen Papieren hieß – auf Oahu, Hawaii, an. Als seine Vorgesetzten entdeckten, dass es sich bei ihm um einen ambitionierten Musiker handelte, kommandierten sie ihn zu den »Melody Masters« ab, der damals einzigen rein schwarzen Marine-Band, die aber auf den Inseln bei Paraden, Preisverleihungen und Sportveranstaltungen ausschließlich vor weißem Publikum auftrat. Coltrane setzte in der Gruppe die Klarinette ebenso wie das Altsax ein. In einer Pressenotiz über ihr letztes Konzert hieß es, »die Band hat eine Menge dafür getan, auf Hawaii die Rassenschranken einzureißen. Liebhaber guter Swing-Musik sind nicht voreingenommen gegenüber denen, die sie spielen, und die Melody Masters boten feinen Swing.«

Inzwischen zum »Seemann 1. Klasse« befördert und zuletzt mit Aufgaben in der Küche befasst – in seinen Papieren finden sich komischerweise keinerlei Hinweise auf seine musikalischen Aktivitäten bei der Marine –, wurde Coltrane offiziell am 11. August 1946 ehrenvoll entlassen. Bevor er jedoch die Inseln verließ, nahm er am 13. Juli an einer privaten Plattenaufnahme teil: Während die Navy-Bigband vornehmlich Swing-Nummern in ihrem Repertoire hatte, konnte John jetzt in kleiner Besetzung endlich seiner neuen – durch Charlie Parker befeuerten – Bebop-Leidenschaft frönen. Bill Goldstein, Saxophon-Kollege aus einem weißen Marine-Orchester, vermittelte den Studio-Termin in der »Armed Forces Radio Station« am Samstag, den 13. Juli 1946. In nur einer Stunde spielte ein Quintett aus weißen und schwarzen Musikern (der Sänger Benny Thomas ist bei einigen Stücken ebenfalls mit von der Partie), das nie zuvor in der Öffentlichkeit aufgetreten war, eine Setlist von acht Titeln ein. Die informelle Session stand unter der Leitung des Schlagzeugers Joe Theimer, dessen Zimmer im YMCA-Gebäude zuvor als Proberaum gedient hatte. Theimer, der später unter dem Namen »Timer« eine Bigband leiten sollte, die 1953 unter anderem mit Charlie Parker Konzerte gab, war auf John nicht zuletzt wegen ihrer gemeinsamen Bebop-Faszination aufmerksam geworden. Im Begleitzettel der vier 78er-Plattenpressungen, die Theimer anschließend an die Bandmitglieder und an Goldstein verschickte, bezeichnet er »Coletrane« (sic) ausdrücklich als »Bird-Jünger«, der die Session maßgeblich inspiriert habe. Am Ende teilt er den anderen Band-Mitgliedern »Trane’s« Adresse mit – hier wird Coltrane zum ersten Mal mit seinem späteren berühmten Spitznamen aufgeführt.

Die Titel dieser ersten Plattenaufnahme von Coltrane (unter anderem »Sweet Miss«, »KoKo« und »Now’s the Time«) spiegeln ein extrem modernes Jazz-Repertoire – einige der Stücke waren erst seit einem Monat auf dem Markt, vier der acht Kompositionen mit Charlie Parker assoziiert: Der einzige bis heute offiziell veröffentlichte Titel dieser Session (auf dem Album The Last Giant) ist »Hot House«, eine Tadd-Dameron-Komposition, die von Parker und Gillespie ein Jahr zuvor eingespielt wurde. Sie glänzt durch eines der flüssigeren Coltrane-Soli auf dem Altsaxophon: Einige Licks kopieren Parkers melodische Wendungen oder paraphrasieren unverblümt seinen Stil. Dennoch fällt hier eine gewisse Ungeschicklichkeit in Johns Spiel auf: Sein Kopf scheint den Fingern manches Mal voraus zu sein. Er versucht sich an komplizierten Phrasen, die er aber technisch noch nicht vollends beherrscht. Auch Tranes Ton spiegelt noch eine gewisse Unsicherheit: Im Unterschied zum saftig-singenden Parker-Sound klingt Johns Altsaxophon eher dünn, rein und glatt, ohne Vibrato. Die Einzelnoten der kurzen Phrasen, die er während der Session spielt, werden manchmal verschluckt oder schlingern bedenklich in ihren Übergängen. Vor allem merkt man, dass Coltrane hier nur ein begrenztes Arsenal bestimmter Melodiefiguren zur Verfügung steht, die er deshalb auch oft wiederholt.

Zuallererst machen die Aufnahmen von 1946 jedoch deutlich, dass Coltranes Riesentalent keineswegs von Anfang an voll entwickelt war. Sein Genius brauchte Zeit, um zu reifen; wie alle anderen großen Musiker musste auch er einen Lernprozess durchlaufen. Gleichwohl wurde er auch in dieser Session als Instrumentalist von allen respektiert. Benny Golson erinnert sich: »In jenen Jahren wussten wir alle nicht, wohin wir uns entwickeln und was wir alles ausprobieren würden. Keiner war sich sicher, dass er Erfolg haben könnte. Vor allem ahnte absolut niemand, dass Coltrane einmal jene internationale Ikone werden würde, zu der er sich dann entwickelte. Niemand!«

Bei aller Unfertigkeit seiner Soli in den Aufnahmen von 1946 fällt auf, dass sie nur geringfügig ungeschickter klingen als z. B. vergleichbar frühe Einspielungen von Miles Davis. Der war übrigens von Coltranes Oahu-Stücken sehr angetan. In einem Brief an Bill Goldstein schrieb der Trompeter jener Session, Dex Culbertson, ein Davis-Protegé, dass er Miles die vier 78er-Platten vorgespielt habe und dass der von Tranes Spiel regelrecht begeistert gewesen sei. Coltrane habe es anschließend gar nicht glauben können, dass der Miles Davis ihn so gelobt habe. Dies ist übrigens – nach heutigem Stand der Forschung – das erste Mal gewesen, dass Miles etwas von John hörte.

Zurück in Philadelphia, nahm Coltrane seine Studien zunächst bei Mike Guerra wieder auf, bevor er an die Musikschule Granoff Studios in der Spruce Street 2118 – damals eines der renommiertesten Institute in den USA – wechselte. John schrieb sich für ein vierjähriges Studium ein, das er, wenn auch mit zahlreichen Unterbrechungen wegen seiner Tourneeverpflichtungen, erfolgreich zum Abschluss bringen sollte. Die amerikanische Regierung übernahm damals einen Teil der Ausbildungskosten (65 Dollar) für ehemalige GIs – vorausgesetzt, sie absolvierten mindestens 25 Wochenstunden in ihrem Studium. An der Akademie des russischen Violinisten Isadore Granoff war es vor allem der Gitarrenlehrer Dennis Sandole, der in seinem Kurs »Harmonielehre für Fortgeschrittene«, in dem exotische Skalen aus ethnischen Musiktraditionen ebenso analysiert wurden wie Kompositionen Igor Strawinskys, das Talent Coltranes nach Kräften förderte: »Er war unglaublich begabt, und er schaffte spielend das Doppelte des normalen Lernpensums.«

Doch wichtiger als alle Theorie wurde die Spielpraxis in den aufblühenden Bebop-Zirkeln von Philadelphia: Neben den Saxophon-Kollegen Benny Golson und Jimmy Heath sowie dessen Brüdern, dem Bassisten Percy Heath und dem Drummer Al ›Tootie‹ Heath, zählten die Pianisten Kenny Barron, Ray Bryant und Red Garland, die Trompeter Cal Massey und Johnny Coles sowie die Schlagzeuger ›Philly‹ Joe Jones und ›Specs‹ Wright zu den »Jungen Wilden« der Szene. In den folgenden beiden Jahrzehnten sollten noch Jazzgrößen wie der Trompeter Lee Morgan, der Saxophonist Archie Shepp, die Pianisten McCoy Tyner und Bobby Timmons, Jimmy Smith mit seiner Orgel oder Bassisten wie Jimmy Garrison und Reggie Workman die heimischen Bühnen Philadelphias befeuern. Die nach New York zweitgrößte Stadt der Ostküste, gelegen am Delaware River, entwickelte sich zu einem wahren Schmelztiegel innovativer Spielweisen.

Ob im »Downbeat«, im »Club 421« oder im »Earle Theatre« – hier durchmischten sich jede Nacht lateinamerikanische Musikstile, wie z. B. Merengue-Tänze, mit Bebop-Experimenten und Rhythm-’n’-Blues-Reminiszenzen – Stilgrenzen waren da, um überwunden zu werden. Einer der damals populärsten Tenorsaxophonisten Philadelphias, Vance Wilson, war ein Kristallisationspunkt der Szene und eine Art Job-Vermittler. Als er eines Nachmittags nach einem Friseurbesuch mit seinem Cadillac nach Hause fuhr, hörte er jemanden rufen: »Hey Vance, hast du einen Gig für mich?« Es war John Coltrane, der sich kurz mit Vance unterhielt und danach seinen Auftritt für die kommende Nacht in der Tasche hatte. Zusammen mit dem Freund Benny Golson verbündete er sich für eine Reihe von Konzerten mit dem Bassisten Gordon Ashford und dem Pianisten Ray Bryant. Ihr Repertoire bestand aus aktuellen Bebop-Titeln und Standards, zumeist bekannten Songs aus Broadway-Musicals.

Als seinen ersten wirklich »professionellen Job« bezeichnete Coltrane später die Tournee mit der Joe Webb Big Band aus Indianapolis. Die Blues-Sängerin ›Big Maybelle‹ – mit bürgerlichem Namen Mabel Louise Smith – war ebenso mit von der Partie wie der Trompeter Cal Massey, mit dem Trane sich auf Anhieb gut verstand und eine lebenslange Freundschaft entwickelte. In dieser Band entdeckte Trane, welche aufstachelnde Wucht in der erotisierenden Kraft von Rhythm ’n’ Blues steckte. Und noch eine andere Erfahrung sollte in seiner Karriere fortwirken: Viele Blues-Saxophonisten nutzten damals die Überblastechniken auf ihrem Horn für eine Kaskade von Schreien, die den Höhepunkt des jeweiligen Solos markierten. Die Intensität dieser kalkulierten tonalen Verzerrungen und die kathartische Wirkung des »honking« und »shouting« – unmittelbar aus der schwarzen Oralkultur abgeleitet – kehrten später als Ausdrucksmittel in der Free-Jazz-Bewegung wieder, der sich Coltrane in seinen letzten Jahren verbunden fühlte.

Ab Februar 1947 war er dann mit der King Kolax Big Band unterwegs, noch immer als erster Altsaxophonist der Bläser-Sektion. Das vierzehnköpfige Orchester hatte sich auf fetzige, zumeist instrumentale Tanzmusik spezialisiert. John bezeichnete diese Formation später als seine »wahre Schule«. Hier konnte er auch erstmals seine Bewunderung für Charlie Parker musikalisch einlösen. Nach Aussagen des King-Kolax-Band-Vokalisten Earl Freeman nahm Coltrane auf Birds Bitte am 19. Februar in Los Angeles an einer Jam-Session mit ihm teil. Am Ende jener Bigband-Tour hatte er jedenfalls Parkers selbstironisches Bekenntnis »Relaxin’ at Camarillo« im Repertoire, das dieser erst ein paar Wochen später auf Platte veröffentlichen sollte. Nach einem zehntägigen Gefängnisaufenthalt musste die Bebop-Ikone sechs Monate in der psychiatrischen Klinik Camarillo State Hospital verbringen, um sich von den Folgen eines Nervenzusammenbruchs zu erholen: Unter dem Einfluss von Alkohol und Heroin war er am 29. Juli 1946 in seinem Hotelzimmer eingeschlafen, während er eine Zigarette rauchte. Als das Hotelbett Feuer fing, lief Parker – nur mit Socken bekleidet – laut schreiend auf die Straße. Nach seiner Einweisung in die Nervenklinik schloss er sich gleich der dortigen Hospital-Band an und schrieb den schon erwähnen Bop-Klassiker.

Im Anschluss an sein viermonatiges Engagement bei King Kolax arbeitete Trane für den Rest des Jahres als sogenannter »Freelancer« in Philadelphia – er nahm wechselnde Angebote in verschiedenen Bands an. Am häufigsten in der Band des Saxophonisten, Komponisten und Dozenten Jimmy Heath. Etwas jünger als John, hatte der Ende 1946 seine eigene Bigband in ›Philly‹ gegründet, die zunächst im Wohnzimmer seiner Mutter probte. Für knapp eineinhalb Jahre wurde Coltrane Mitglied im Jimmy Heath Orchestra, zu dem bisweilen auch Cal Massey zählte. Am 7. Dezember 1947 sollte es zu einer denkwürdigen Performance kommen: Bei einem Benefizkonzert für ein schwer erkranktes Kind stieg Charlie Parker in das Heath Orchestra ein und spielte vor der Band eines seiner furiosen Soli. Ein bei dieser Gelegenheit entstandenes Foto zeigt John Coltrane, wie er mit offenem Mund Birds Höhenflüge auf dem Altsaxophon bestaunt und in seiner Trance nicht bemerkt, dass seine fast verglühte Zigarette kurz davor ist, ihm die Finger zu verbrennen. Ein paar Tage zuvor war Parkers Gruppe mit Miles Davis übrigens im Downbeat-Jazzclub aufgetreten, und Jimmy Heath nimmt für sich das Verdienst in Anspruch, Coltrane und Davis in dieser Nacht miteinander bekanntgemacht zu haben.

Was immer Bird und Diz gerade ausprobierten, die Bebop-Gemeinde diskutierte ihre Aktivitäten. Heath erinnert sich: »Als wir mitbekamen, dass Parker ständig Notenblätter von Igor Strawinsky mit sich herumtrug, vertieften Trane und ich uns gleich in die Feuervogel Suite und den Sacre du printemps.« Eine Zeitungsnotiz über die Heath-Band vom März 1948 verzeichnete eine sechzehnköpfige Besetzung mit »John Coaltrane (sic), lead alto«. Im Frühjahr 1948 gastierte auch Gillespie zwei Mal in Philadelphia – eine willkommene Gelegenheit für Coltrane, seinen Heros live zu erleben. Auch Lester ›Pres‹ Young gab sich im »Emerson’s« die Ehre: Die Philadelphia Tribune vom 19. Juni hob ausdrücklich hervor, dass sich auch ein gewisser »Johnnie Coltraine« (!) unter den Zuhörern befand.

Neben seiner sporadischen Mitwirkung im Quartett um den Trompeter Johnny Lynch war Trane Ende 1948 auch häufig in der Formation des Trompeters Howard McGhee zu hören. Mit ihr bot sich ihm endlich Gelegenheit, auch außerhalb von Philadelphia bekannt zu werden: Eine Woche lang spielte die Howard McGhee Bigband im schon damals legendären Apollo Theatre in Harlem, New York City. In einem Zeitungsartikel setzte sich die falsche Schreibweise von Johns Namen fort. Der Autor resümiert: »John (The Train) Coltrain erzählte mir, dass der Gig in New Yorks Apollo ein Riesending für ihn war.« Vor allem aber machte dieses Engagement ihm klar, dass Bebop inzwischen von der Black Community umstandslos akzeptiert, ja gefeiert wurde. Schon samstagnachmittags von 16 bis 19 Uhr hatten die Nachtclubs entlang der Columbia Avenue für Jam-Sessions geöffnet, und John wanderte zusammen mit Benny Golson zügig von Club zu Club, um bei möglichst vielen Sitzungen einzusteigen.

Trotz der vitalen Jazzszene in Philadelphia war das Leben dort für einen schwarzen Jazzmusiker kein Zuckerschlecken. Coltrane fühlte sich oft sehr allein, er zog sich dann noch mehr in sich zurück und probte stundenlang, um die Dämonen der Einsamkeit zu vertreiben. Ende 1948 war sein Alkoholkonsum heftig angestiegen, und wenn er – was wegen seiner Vorliebe für Süßigkeiten oft der Fall war – Zahnschmerzen bekam, trank er umso mehr, um sie zu betäuben. Zwei Päckchen Zigaretten am Tag waren ebenfalls die Regel. Ende 1948 machte er erstmals Bekanntschaft mit Heroin. In dieser Hinsicht hatte Charlie Parker mit seinem offenkundigen Drogenkonsum eine verheerende Wirkung auf junge Jazzmusiker. Seine öffentlichen Erklärungen, erst der Heroin-Konsum erlaube ihm sein brillantes Saxophonspiel, ermutigten damals beinahe jeden aufstrebenden Jazzer, es mit der Droge zumindest einmal zu probieren. Nicht selten führten solche vermeintlichen Einmal-Versuche zu schwerer Abhängigkeit, die, wie auch im Falle Parker, oft in einem Tod vor der Zeit endeten.

Coltrane – ein Getriebener, der in den Ansprüchen an sich selbst rücksichtslos war, aber oft genug in seinem Ehrgeiz frustriert wurde – fand in den Drogen willkommene Fluchthelfer aus seiner wachsenden Depression. Sein Arbeitgeber Jimmy Heath hat vermutet, dass erst der Heroin-Konsum Coltrane jene manische Intensität der Konzentration verliehen habe, die ihm tage- bzw. nächtelanges Üben auf seinem Horn ermöglichte. Die Phasen zwischen den Heroin-Kicks überbrückte er gewöhnlich durch Sauf-Exzesse. Natürlich litten in diesem teuflischen Kreislauf aus Alkohol und Rauschgift bald seine Gesundheit und Kreativität. Auch Heath war ab Sommer 1949 süchtig. Parker hatte ihn zuvor generös beschwichtigt: »Wenn du die Droge durch die Nase inhalierst, bleibst du ein Gentleman. Wenn du sie in deinen Arm injizierst, bist du ein Penner, den alle Welt verachtet.«

Coltrane hoffte ebenso wie Heath, er wäre als Junkie nicht erkennbar, der Drogenkonsum bleibe ausschließlich seine private Obsession. Und in der Tat, John verwandelte sich in seiner Sucht nie von Dr. Jekyll in Mr. Hyde. Er bettelte seine Kollegen nie um Geld an, ließ auch nie etwas mitgehen oder sich in kriminelle Machenschaften hineinziehen. Seine Selbstachtung und Selbstkontrolle funktionierten unvermindert. Und doch war ihm die desolate Situation bewusst: »Mann, ich gebe achtzig Dollar am Tag für die Droge aus, ich muss mich davon befreien«, vertraute er Ende ’49 hellsichtig seinem Kollegen aus der Heath Band, dem Pianisten James Forman, an. Obwohl Trane Gesetzeskonflikte vermeiden konnte, sollte die unheilige Mischung aus brillanter Begabung und einem latenten Hang zur Selbstzerstörung wie eine dunkel drohende Wolke über Coltranes weiterer Entwicklung, in privater wie künstlerischer Hinsicht, schweben.

Am Ende des Jahres 1948 vollzog sich eine entscheidende Wendung in Coltranes Leben: Nachdem er in der zweiten Novemberwoche während eines Gastspiels der Howard McGhee Band im Paradise Theatre in Detroit probeweise im Septett von Eddie ›Cleanhead‹ Vinson mitgespielt hatte, wurde er wenige Tage später, als die Vinson Band im Emmerson’s in Philadelphia gastierte, festes Mitglied in der renommierten Formation des Blues-Sängers und -Saxophonisten. Der Pianist Red Garland hatte Coltrane wohl für eine audition empfohlen, und als Trane seine Fähigkeiten auf dem Alto unter Beweis stellen wollte, sagte Vinson nur zu ihm: »Schnapp dir das Tenor, ich spiele die Altsaxophon-Soli selbst.« Als John zögerte, herrschte Eddie ihn an: »Nun mach schon, spiel etwas auf dem Tenorsaxophon!« Coltrane griff sich das Instrument des ebenfalls zum Vorspiel eingeladenen, aber für den Moment verschwundenen Louis Judge und beeindruckte alle Anwesenden mit ein paar flüssigen Phrasen im Stile von Dexter Gordon. Wo immer Judge gesteckt hatte – als er jemanden auf seinem Tenor spielen hörte, kam er herbeigeeilt und forderte Coltrane auf: »Gib mir sofort mein Horn zurück!« Doch er hatte bereits verloren, den Job als Tenorsaxophonist im Vinson-Septet bekam Trane.

Sein erster Auftritt mit der landesweit erfolgreichen Gruppe fand am 20. November in Charleston, Virginia, statt. Vinson – seinen Spitznamen ›Cleanhead‹ hatte er wegen seines kahl rasierten Schädels – war ein ausgebuffter Bandleader, der neben typischen Zwölftakt-Blues-Nummern auch mehr und mehr Bebop-Arrangements von Titeln wie seines Hits »Empty Bed Blues« oder der Parker-Klassiker »Scrapple from the Apple« und »Ornithology« in sein Programm übernahm. Vinson hatte mit seiner Truppe ganz Nordamerika von New York bis Vancouver bespielt: »Sie nannten mich ›Pfadfinder‹, weil ich als eine Art Vorhut auch in Kleinstädte musste, um das dortige Jazz-Interesse zu erkunden. Wenn unser Konzert dann gut besucht war, schickte man auch andere Bands in diese Orte.« Eine Paradenummer seiner Auftritte mit Coltrane soll ein Instrumententausch während eines laufenden Solos gewesen sein: Zunächst eröffnete Vinson mit einer Blues-Phrase, dann wechselten sie blitzschnell die Saxophone, und Coltrane wiederholte – bei diesem Gag benutzte er sein Alt – mit leichter Variation die Melodiefigur, die dann nach einem erneuten Tausch von Vinson weiterentwickelt wurde usw.

Während seiner Zeit mit dem großgewachsenen, schlanken Bop-Blues-Verfechter bis Mitte 1949 behielt John sein Drogenproblem geschickt unter Kontrolle. Leider endete sein Engagement bei Vinson im Chaos: Nach über die Maßen erfolgreichen Tourneen mit »America’s Greatest Blues Singer« quer durch die Staaten im Frühjahr 1949 – die Honorarbelege dieser Monate fügten den üblichen Verballhornungen der Schreibweise von Coltranes Namen weitere in Form von »Coltane«, »Coltone« oder »John W. Coltome« hinzu – platzte Anfang April eine lange geplante Plattenaufnahme der Band in New York. Nach einem Ausraster Vinsons, der ziemlich betrunken eine Stunde zu spät in das von seinem Manager Ben Bart gebuchte Studio kam und mit ihm gleich eine Schlägerei anfing, wurde die Recording-Session abgeblasen. Anschließend ließ sich die Selbstauflösung der Band nicht aufhalten: Nach dem Schlagzeuger Charlie Rice und dem Pianisten Red Garland quittierte auch John Coltrane nach einem Gig in Florida Anfang Juli seinen Dienst.

Inzwischen hatte er sich mit dem Tenorsaxophon angefreundet, das voluminöser und tonal flexibler als das Altsaxophon ist: »Ein größerer Hörraum eröffnete sich mir jetzt. Auf dem Alt war Bird für mich die unangefochtene Autorität gewesen, aber auf dem Tenor gab es für mich nicht die dominante Persönlichkeit. […] Der Grund, weshalb ich Lester Young schätzen lernte, lag in der betörenden Einfachheit seines Linienspiels begründet. Meine Phrasierung hat sich damals sehr an Lester orientiert.« Young war um 1950 eine Leitfigur nicht nur für Saxophonisten, sondern für fast alle aufstrebenden Jazzer. Wegen seines kreisrunden, flachen Huts (pork pie hat) auch ›Pork Pie‹ genannt, verkörperte er den ultimativen Hipster: Seine lässige Art zu sprechen, in oft verschlüsseltem Slang, mit dunkler Sonnenbrille und langen schweren Mänteln – Young war auch in modischer Hinsicht ein role model. Sein flacher, luftiger und vibratoloser Ton auf dem Tenor in Verbindung mit einer fließenden Phrasierung und leuchtenden Melodien – all das verschmolz optimal mit dem Instrumentalklang des Bläsersatzes in einer Bigband. Laut einer Aussage von Benny Goodman war Lester Young »die einzige Person, die jemals einen reinen Klang auf dem Tenor erreichte.« Selbst den hauchigen und bauchigen Ton eines Ben Webster oder den erdigen, bisweilen schwerblütigen Sound eines Coleman Hawkins fand Goodman zu hart und unnatürlich.

Bei der Suche nach seinem eigenen, unverwechselbaren Ton auf dem Tenor waren es vor allem die melodische Fülle und rhythmische Finesse von Youngs Spiel, die Coltrane begeisterten. Doch ebenso wichtig wie Young wurde Coleman Hawkins für die Entwicklung von Tranes Personalstil: »Als ich das erste Mal Hawk hörte, war ich von seinen Arpeggios und seiner Phrasierung fasziniert. Ich besorgte mir seine Aufnahme von ›Body and Soul‹ und hörte sie stundenlang, um herauszufinden, was er da genau machte. Wenn ich zunächst auch ein Gefolgsmann von Pres war, lernte ich Hawk mehr und mehr schätzen.« Der hatte 1939 seine berühmte Ballade »Body and Soul« in Des-Dur eingespielt, eine Tonart, die auf dem Tenor anspruchsvoll ist, aber natürlich klingt. Als John das herausgefunden hatte, wollte er nur noch in Des-Dur spielen, auch alle Blues- und Up-Tempo-Nummern.

Von Hawkins übernahm er nicht nur die Vorlieben für gebrochene Akkorde, einen vollen Sound und bodenständige Tempi, sondern auch das theoretische Interesse an harmonischen Progressionen. Dass Coleman ›Picasso‹ Hawkins 1949 bereits zwei komplexe, unbegleitete Saxophon-Soli eingespielt hatte, mag Trane zusätzlich beeindruckt haben. Daneben lassen sich Spurenelemente von Ben Websters fettem, weichem Sound, von Philadelphias Lokalmatador Jimmy Oliver und von Don Byas in seinem Spiel Anfang der Fünfziger nachweisen. Der Kumpel jener Jahre, Jimmy Heath, erinnert daran, das Coltrane auch die Soli von Dexter Gordon und Wardell Gray detailliert studiert hat. In einem Down Beat-Interview von 1961 bekräftigte John, dass er in Sonny Stitt damals nicht den allseits geschätzten Altsaxophonisten im Stile Parkers, sondern einen gänzlich eigenständigen Tenorspieler gehört habe: »Für mich klang er wie eine Synthese aus Dexter und Wardell. Und ich dachte mir nur: ›Das ist es! So willst du auch spielen können!‹«

Um das zu erreichen, übte er jetzt wie ein Besessener, mehr als je zuvor. Heath erlebte Trane im heißen Sommer von 1949, nur mit Boxershorts bekleidet, schweißgebadet, mit blutigem Mundstück, wie er in seinem Appartement ein manisches Trainingsprogramm absolvierte. Es gründete vor allem auf stundenlangen Wiederholungen von transkribierten Phrasen oder ganzen Soli, die er von den Schallplatten seiner Vorbilder abgehört hatte. Indem er Improvisationen von Parker, Gillespie, Young, Hawkins, Gordon oder Stitt in Notenschrift übertrug, konnte er die innere Logik ihrer Spielweise, die harmonischen Bezüge in den Akkordstrukturen im Detail analysieren. Was ihm musiktheoretisch noch fehlte, machte Trane mit rhythmischem Gespür und seltener Sicherheit im Timing wett.

Am 16. September 1949 wurde ein Traum von Trane wahr: Sein langjähriges Idol Dizzy Gillespie nahm ihn als Altsaxophonisten in seine Bigband auf. Der schwarze Trompeter zählte zu den Gründervätern des Bebop Anfang der vierziger Jahre in Minton’s Playhouse in Harlem, wo er in nächtelangen Jam-Sessions mit Parker, Thelonious Monk und Kenny Clarke nicht weniger als eine Jazz-Revolution aus der Taufe hob. Dizzys viel zitierter und oft missverstandener Ausspruch »I play for musicians only« sollte zuallererst den Kunst-Charakter des Bebop und darüber hinaus mit seinem elitären Impetus zugleich die selbstbewusste Außenseiterrolle dieses originär schwarzen Musikstils ironisch unterstreichen. »Vielleicht war Bird die Seele der Bebop-Bewegung, aber Dizzy war ihr Kopf, er gab ihr die Form und hielt alles zusammen«, bekräftigte später Miles Davis. Als durch und durch eigensinniger Künstler verabscheute Gillespie aber im Gegensatz zu den meisten Bebop-Musikern jede Form von Dope – seiner starken und verständnisvollen Ehefrau sei es gedankt. Dafür hatte er den hochenergetischen Bebop als seine Droge verinnerlicht: asymmetrische Melodielinien, rasende Rhythmen, mit Harmonien, die von Igor Strawinsky, Claude Debussy und Béla Bartók inspiriert waren.

Am 21. Oktober 1949 gastierte die Bigband im Earle Theatre von Philadelphia, und Tranes Jugendfreund Franklin Brower, inzwischen Journalist beim Philadelphia Afro-American, titelte in der Zeitung: »Dizzy’s Saxist Realizes Dream«. Dabei war es eine schwere Zeit für Bigbands. Nach den erfolgreichen Jahren der Swing-Ära nahm der ökonomische Druck auf die großen Jazzorchester jetzt zu – allenfalls die Count Basie Bigband brauchte sich finanziell keine Sorgen zu machen. Gillespie versuchte seine Formation zusammenzuhalten, indem er harmonisch komplexe Bebop-Nummern rhythmisch tanzbar machte. Neben diesem »Bop with a Beat« gehörten zahlreiche Rhythm-’n’-Blues-Nummern zum Repertoire. Dabei waren Gillespies eigene Afro-Latin-Stücke wie z. B. »A Night in Tunesia« oder »Manteca« nicht nur kommerziell erfolgreich, sondern – wie Coltrane mehrfach betont hat – auch musikalisch äußerst befriedigend.

Vor allem zeigte sich Gillespie gegenüber seinen Musikern als generöser Mentor, der bereitwillig sein ganzes Wissen an Schüler wie Coltrane und Heath weitergab. Als erster Mann im Altsaxophonsatz bekam Trane nur wenige Soli zugestanden, der Löwenanteil ging an den Tenoristen Paul Gonsalves, der von Count Basie kam und später mit dem Duke Ellington Orchestra berühmt werden sollte. In Gillespies Gruppe wurde Trane anfangs von seinen stilbewussten Kollegen als linkisches Landei wahrgenommen, das nicht selten barfuß auf die Bühne kam und schnell den Spitznamen ›Country John‹ weghatte – noch Lichtjahre entfernt von jenem kultisch verehrten Schamanen, zu dem er in den Sechzigern werden sollte.

Das siebzehnköpfige Gillespie-Orchester bereiste Ende 1949 auf einer langen Tournee den Osten der USA und gastierte an der Wilberforce University in Ohio ebenso wie in der New Yorker Carnegie Hall oder dem Apollo in Harlem. Leider finden sich auf den beiden Plattenaufnahmen, die die Gillespie-Bigband im November 1949 und im Januar 1950 einspielte, keinerlei Coltrane-Soli. Doch ein Highlight in Johns bisheriger Karriere ereignete sich im Februar: Bei einem Benefizkonzert im Birdland, New York, stand er zusammen mit Dizzy und Charlie Parker auf der Bühne – hier mit einem Tenorsaxophon an den Lippen, wie auf einem Foto zu sehen. Kürzlich wurden zudem bis dato verschollene Mitschnitte entdeckt, die am 1. März unter der Leitung des Sängers und Pianisten Billy Valentine in New York City zustande kamen. Es handelt sich hierbei um die ersten kommerziellen Aufnahmen von John als Tenorsaxophonist. Die Rhythmusgruppe um den Bassisten Ray Brown und den Drummer Charles ›Specs‹ Wright treibt Trane hier in Titeln wie »Ain’t Gonna Cry No More«, »I Want You to Love Me« oder »Beer Drinking Baby« in bluesbasierte Soli, die wohlüberlegt und technisch kontrolliert wirken. Gillespie sollte Coltranes Qualitäten auf dem Tenor erst entdecken, nachdem er am 20. Juni 1950 seine geliebte Bigband auflösen musste. Von seiner Frau und Beraterin Lorraine vor die Alternative gestellt: »entweder die Band oder ich!«, sah sich Gillespie aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten seiner Großformation gezwungen, dem Fortbestand seiner Ehe den Vorrang zu geben und sich fortan mit einem Sextett bzw. Septett zu begnügen. Privataufnahmen aus dem Club Silhouette in Chicago vom 6. Januar 1951 belegen, wie souverän sich Trane inzwischen durch einen Gassenhauer wie »A Night in Tunesia« bewegen konnte.

Während seiner ganzen Zeit bei Gillespie blieb Coltrane heroinabhängig. Zunächst konnten er, Heath und sechs andere Mitglieder der Bigband ihre Sucht notdürftig vor ihrem Chef verbergen. Doch die Dinge verschlimmerten sich: Während eines Engagements in Dayton, Ohio, stellten die Junkies fest, dass die Droge hier schwächer war; anstelle des bisherigen Schnupfens mussten sie jetzt Spritzen intravenös verwenden, um einen annähernd starken Kick zu erzielen. Coltrane hatte schon zuvor in Philadelphia die Nadel benutzt, aber für seinen Freund Jimmy Heath öffneten sich damit Höllenpforten: »Sieben Jahre Horror sollten mir bevorstehen.« Im Oktober 1950 kam es dann zur Krise: Coltrane fiel in seinem Hotelzimmer in tiefe Bewusstlosigkeit, und nur dank der Reanimationskünste von Heath kam er mit dem Leben davon. Zwar schaffte er es im Anschluss, sich eine Zeitlang vom Heroin fernzuhalten, doch dafür trank er umso mehr. Vor einem Konzert der Gruppe im Silhouette Club von Chicago im Dezember 1950 eskalierte die Situation: Gillespie feuerte Heath und ›Specs‹ Wright, nachdem er sie erwischt hatte, als sie sich gerade einen Schuss setzen wollten. Coltrane warf er wegen dessen exzessiver Sauferei gleich mit aus der Band. Doch der leistete Abbitte und kehrte reumütig zu Dizzy zurück, während Heath und Wright dafür zu stolz waren.

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