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6.4.5 Folgen eines Formmangels
6.4.5.1 Nichtigkeit
Wo das Gesetz derartige Formvorschriften aufstellt, ist ein unter Missachtung der Form vorgenommenes Rechtsgeschäft („Formmangel“) nichtig (§ 125 Satz 1 BGB).
Da das Formerfordernis stets das ganze Rechtsgeschäft betrifft, ist regelmäßig auch das ganze Vertragswerk nichtig, wenn die Form auch nur teilweise nicht beachtet worden ist. Die Nichtigkeit umfasst dann leider auch den formwirksam abgeschlossenen Teil: Teilnichtigkeit führt im Zweifel zur Gesamtnichtigkeit (§§ 125, 139 BGB).
Beinhaltet ein grundsätzlich formlos abzuschließender umfassender Gesellschaftsvertrag (§ 705 BGB) neben anderen Regelungen die Verpflichtung eines Gesellschafters, ein Grundstück in die Gesellschaft einzubringen, und sei es auch nur als Nebenpunkt, so unterliegen auch sämtliche anderen Vertragsteile, also der ganze komplexe Vertrag, der Formbestimmung des § 311b Abs. 1 BGB. Wird daher nur die Grundstückseinlagenverpflichtung notariell beurkundet, der restliche Gesellschaftsvertrag aber nicht, so führt dies zur Gesamtnichtigkeit des kompletten Gesellschaftsvertrags!
6.4.5.2 Heilung von Formmängeln
In wenigen gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen können Formmängel geheilt werden, etwa wenn das an sich nichtige schuldrechtliche Rechtsgeschäft gleichwohl sachenrechtlich erfüllt worden ist.
So wird ein formfehlerhafter Grundstückskaufvertrag nachträglich wieder wirksam, wenn die Auflassung (Einigung über den Eigentumswechsel, §§ 873, 925 BGB) und die Eintragung des neuen Eigentümers in das Grundbuch erfolgt sind (§ 311b Abs. 1 Satz 2 BGB).
A verkauft B sein Grundstück Parzelle 4711 zum Preis von 200.000,– €. Sie schließen darüber einen schriftlichen Kaufvertrag. Dieser Vertrag ist nach § 125 BGB nichtig.
A und B gehen dann auch noch zum Notar. Um Notargebühren und Grunderwerbsteuer zu „sparen“, lassen sie dort einen Kaufvertrag über (nur) 100.000,– € beurkunden, obwohl sie sich weiterhin einig sind, dass der Kaufpreis 200.000,– € betragen soll. Auch dieser formwirksame Vertrag ist nichtig, weil er von den Beteiligten (so) nicht gewollt war (§ 117 BGB: Scheingeschäft).
Kommt es dann trotz der nichtigen Verträge zur Auflassung und Eintragung des Käufers B als neuem Eigentümer im Grundbuch, so wird dadurch der ursprüngliche formfehlerhafte (schriftliche) Kaufvertrag über 200.000,– € geheilt. B ist Eigentümer geworden und zur Zahlung des Kaufpreises von 200.000,– € verpflichtet (§ 311 b Abs. 1 Satz 2 BGB). In einem darüber geführten Rechtsstreit müssten allerdings diese Hintergründe zur Sprache gebracht und notfalls bewiesen werden.
Gleiches gilt für das nicht notariell beurkundete, aber dennoch vollzogene Schenkungsversprechen (§ 518 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB „Bewirkung der versprochenen Leistung“) oder den ungeachtet des Schriftformgebots formlos abgeschlossenen Verbraucherdarlehensvertrag, wenn das Darlehen ausbezahlt worden ist (§§ 492 Abs. 1, 494 Abs. 2 BGB). Der ursprüngliche Formmangel ist geheilt.
Bei einer unter Verletzung des Schriftformgebots nach § 766 BGB mündlich übernommenen Bürgschaftsverpflichtung wird die Bürgschaftserklärung wieder wirksam, wenn der Bürge – ohne es zu müssen – die Hauptverbindlichkeit beglichen hat (§ 766 Satz 3 BGB).
A braucht 10.000,– €. C ist bereit, das Geld als Darlehen zu geben, wenn A einen Bürgen bringt. Daraufhin erklärt B dem C mündlich, er bürge für A. Die Bürgschaft ist unwirksam, da nach § 766 Satz 1 BGB Schriftform vorgeschrieben ist. C kann B nicht in Anspruch nehmen, wenn A zahlungsunfähig wird. Wenn jedoch B trotz unwirksamer Bürgschaftsübernahme den von A geschuldeten Betrag an C bezahlt, wird der Bürgschaftsvertrag rückwirkend geheilt (§ 766 Satz 3 BGB). B könnte danach das Geld von C nicht wieder zurückverlangen mit der Begründung, die Bürgschaftsübernahme sei unwirksam gewesen.
6.4.6 Vereinbarte Form
Über die gesetzlich angeordneten Formvorschriften hinaus ist es den Parteien eines Rechtsgeschäfts freigestellt, auch in anderen Fällen die Einhaltung einer besonderen Form zu vereinbaren. Dies geschieht meist bei Verträgen, bei denen es um größere Werte oder wichtige Angelegenheiten geht.
Kaufverträge über größere Einrichtungsgegenstände (Möbel, Kunstgegenstände), Kauf eines neuen oder gebrauchten Pkws, Wohnungsmietverträge, Darlehens-, Gesellschafts-, Versicherungsverträge, Architekten-, Bauwerkverträge.
Auch für die vereinbarte Form bestimmt das Gesetz, dass ein Vertrag unwirksam ist, solange er nicht formgerecht abgeschlossen ist (§§ 125 Satz 2, 154 Abs. 2 BGB).
Allerdings können die Parteien von ihrer Formabsprache jederzeit – sogar konkludent – wieder Abstand nehmen und in beiderseitigem Einverständnis mündliche Vereinbarungen dann doch gelten lassen.
6.5 Verstoß gegen die guten Sitten
Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig (§ 138 BGB).
Durch diese Bestimmung soll Geschäften, die von der allgemeinen Moralanschauung missbilligt werden, rechtlicher Schutz versagt und verhindert werden, dass allzu „clevere“ Geschäftspartner in unanständiger Weise den Grundsatz der Vertragsfreiheit im Übermaß zu ihrem Vorteil missbrauchen.
Allerdings ist der Begriff der „guten Sitten“ nicht leicht zu fassen. Nach der Rechtsprechung ist als sittenwidrig anzusehen, was „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt“. Die sich daraus ergebenden Anforderungen unterliegen dem Wandel der Zeit. Es gibt viele Beispiele aus der Rechtsprechung, in denen in früherer Zeit strengere Maßstäbe angelegt worden sind als heute.
Noch im Jahr 1972 wurde von einem deutschen Amtsgericht der Beherbergungsvertrag über ein Hotelzimmer für ein unverheiratetes Paar als sittenwidrig angesehen. Der Hotelier durfte ohne Schadensersatzfolge dem Paar bei Ankunft die Unterbringung verweigern.
Hauptanwendungsgebiete der Sittenwidrigkeit sind in hohem Maße unethische, unanständige Geschäfte (§ 138 Abs. 1 BGB), aber auch das Aufzwingen unangemessener Vertragsbedingungen durch missbräuchliche Ausnützung von Monopol- oder Machtstellungen und das Verlangen übermäßiger Gegenleistung unter Ausbeutung von Not oder Unerfahrenheit des anderen (Wucher, § 138 Abs. 2 BGB).
§ 138 Abs.1 BGB: Verträge über Religionswechsel oder Nichteingehung einer Ehe, Versprechen einer Entlohnung für geschlechtliche Hingabe oder einer „Abfindung“ für den Fall des Scheiterns einer nicht ehelichen Verbindung.
§ 138 Abs. 2 BGB: Überhöhte Mietpreise für Massenquartiere gegenüber Gastarbeitern, Wucherzinsen für ein dringend benötigtes Darlehen, Vertrag über EDV-Programmierer-Lehrgang mit einer dafür offensichtlich völlig ungeeigneten Person.
Bei Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts infolge Wuchers sind einerseits die Vermögensvorteile zu betrachten, die sich jemand als Gegenleistung für seine Leistung versprechen lässt (objektives Kriterium): Stehen sie in einem „auffälligen Missverhältnis“ zu dieser Leistung, so deutet dies auf Sittenwidrigkeit hin. Allerdings ist nicht schon jeder besonders hohe Preis für eine Leistung sittenwidrig. In der freien Marktwirtschaft darf „genommen“ werden, was der Markt hergibt. Daher orientieren sich die Gerichte etwa bei einem Grundstücksgeschäft an den Verkehrspreisen und bejahen ein auffälliges Missverhältnis erst, wenn der Verkehrswert um annähernd 100 % überschritten wird.
Andererseits ist die konkrete Situation des „Opfers“ relevant. Nach § 138 Abs. 2 BGB führt ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nur dann zur Sittenwidrigkeit, wenn der eine Geschäftspartner die Zwangslage, die Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche des anderen zu seinem Vorteil ausnutzt (subjektives Kriterium). Allerdings gilt: Je krasser das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist, desto mehr wird die Ausnutzung einer Schwächesituation des Geschäftspartners indiziert und bedarf diese umso weniger einen gesonderten Feststellung.
Ein Immobilienkäufer für eine Dreizimmerwohnung ist nur bereit, einen exorbitanten, etwa 90 % über dem Verkehrswert liegenden Kaufpreis einer ihm angebotenen Wohnung am Rande eines Gewerbegebietes zu akzeptieren, weil der Wohnungsmarkt im Übrigen leer gefegt war, er jedoch mit seiner Familie seit Monaten im Hotel lebte, seine Möbel kostenpflichtig eingelagert waren und er diesen Zustand aus finanziellen Gründen dringend beenden musste (Wohnungsnot, Zwangslage), was dem Verkäufer bekannt war. Das Einverständnis des Käufers in den – verglichen mit dem Verkehrswert – krass überhöhten Preis indiziert das Bestehen einer persönlichen Zwangslage. Der Grundstückskaufvertrag ist – trotz notarieller Beurkundung – sittenwidrig und nichtig.
6.6 Gesetzesverstoß
Ein Rechtsgeschäft ist nichtig, wenn es gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (§ 134 BGB). Wann ein Vertrag gesetzlich untersagt ist, ist dem Sinn und Zweck des jeweiligen Verbotsgesetzes zu entnehmen.
> Schwarzarbeit: Als „Schwarzarbeit“ gelten Dienst- oder Werkleistungen, bei denen bestehende sozialversicherungsrechtliche Meldepflichten oder steuerrechtliche Pflichten nicht erfüllt werden. Nach dem „Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung“ (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG) ist Schwarzarbeit verboten. Das Gesetz betrifft sowohl Leistungserbringer wie Leistungsempfänger.
Nicht unter den Begriff Schwarzarbeit fallen Leistungen von Angehörigen, Gefälligkeitsdienste oder Tätigkeiten, die im Wege der Nachbarschaftshilfe erbracht werden. Ausgenommen vom Begriff der Schwarzarbeit sind ferner Leistungen, die nicht nachhaltig auf Gewinn gerichtet sind, insbesondere solche, die gegen geringes Entgelt erbracht werden (vgl. § 1 Abs. 3 SchwarzArbG).
Die Nichtigkeit solcher verbotener Schwarzarbeitsverträge nach § 134 BGB hat zur Folge, dass weder für den Auftraggeber noch für den Schwarzarbeiter Ansprüche entstehen: Der Auftraggeber hat gegen den Schwarzarbeiter weder einen Anspruch, dass er die Arbeiten durchführt, noch hat er hinsichtlich der ausgeführten Arbeiten irgendwelche Gewährleistungsansprüche, wenn sie mangelhaft sind. Ebenso wenig hat aber auch der Schwarzarbeiter Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung. Der Auftraggeber muss ihm lediglich den Wert ersetzen, den ihm die Leistungen des Schwarzarbeiters tatsächlich gebracht haben (vgl. §§ 812, 818 Abs. 2 BGB). Dabei sind vom vereinbarten Entgelt schon deshalb erhebliche Abschläge zu machen, weil ja keine Gewährleistungsansprüche gegeben sind.
> Rechtsberatungsverträge mit dafür nicht zugelassenen Personen sind durch das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verboten und daher nach § 134 BGB nichtig. Das ist auch sachlich geboten, weil Rechtsberatung ein höchst riskantes Unterfangen mit sehr großen Risiken ist, die nur bei registrierten bzw. zugelassenen Beratern (z. B. Inkassounternehmen, Rechtsanwälte, vgl. § 3 BRAO) auch versicherungsmäßig abgedeckt sind. Gelegentlich geraten leicht auch Steuerberater in die Gefahr, gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz zu verstoßen, wenn sie über ihre eigentlichen Steuerberateraufgaben hinaus auch in anderen Rechtsbereichen um Rat angegangen werden und dann auf anderen Gebieten Rechtsberatertätigkeit ausüben.
> Sachhehlerei: Die Gesetzesbestimmung, die den Erwerb von Diebesgut unter Strafe stellt (§ 259 StGB), verbietet damit zugleich den Abschluss von Verträgen über Hehlerware und macht sie über § 134 BGB nichtig.
> Geheimnisverrat: Nichtig ist auch der Kaufvertrag über eine Steuerberaterpraxis samt Aktenbestand, wenn die bisherigen Mandanten der Weitergabe ihrer Steuerunterlagen nicht ausdrücklich zugestimmt haben. Denn die Weitergabe von Steuergeheimnissen ist gesetzlich verboten und sogar strafbar (Geheimnisverrat, § 203 StGB), der Vertrag somit nach § 134 BGB nichtig. Gleiches gilt entsprechend auch für die Veräußerung einer Anwaltskanzlei oder Arztpraxis.
Nicht nach § 134 BGB, sondern aufgrund ausdrücklicher spezialgesetzlicher Normen sind weiterhin einzelne besondere Absprachen in Verträgen verboten:
> Zinseszinsvereinbarungen unter Privatleuten (§ 248 Abs. 1 BGB); nur Banken und Sparkassen dürfen mit ihren Kunden im Voraus vereinbaren, dass fällige Zinsen wieder Zinsen tragen sollen (§ 248 Abs. 2 BGB).
> Verfallklausel bei Pfandrechtsbestellung (§ 1229 BGB). Es darf nicht von vornherein vereinbart werden, dass für den Fall, dass der Schuldner eine durch ein Pfand gesicherten Forderung nicht begleicht, das Eigentum an der Pfandsache sogleich dem Gläubiger zufallen soll (anstelle der sonst gesetzlich vorgesehenen öffentlichen Pfandversteigerung, §§ 1233 ff. BGB).
6.7 Anfechtung von Rechtsgeschäften
6.7.1 Allgemeine Anfechtungsvoraussetzungen
Die bisher dargestellten Nichtigkeitsgründe haben unmittelbar und automatisch die Unwirksamkeit des von der Fehlerhaftigkeit betroffenen Rechtsgeschäfts zur Folge. In den Fällen der Anfechtbarkeit bleibt es dagegen einer einzelnen am Rechtsgeschäft beteiligten Person überlassen, durch entsprechende Anfechtungserklärung (§ 143 Abs. 1 BGB) innerhalb der vorgesehenen Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB) die Wirksamkeit der abgegebenen Erklärung zu beseitigen und deren anfängliche Nichtigkeit herbeizuführen (§ 142 Abs. 1 BGB). Unterbleibt die Anfechtung, so behält das Rechtsgeschäft seine Gültigkeit.
„Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen“ (§ 142 Abs. 1 BGB).
Anfechtbar ist ein Rechtsgeschäft jedoch nur, wenn ein gesetzlich zugelassener Anfechtungsgrund vorliegt, etwa wenn bei der Willensbildung bestimmte schwerwiegende Fehler vorgekommen sind (Irrtum, §§ 119, 120 BGB) oder wenn dabei eine unlautere Beeinflussung stattgefunden hat (arglistige Täuschung, Drohung, § 123 BGB).
6.7.2 Anfechtung wegen Irrtums (§§ 119, 120 BGB)
6.7.2.1 Irrtumsarten
Irrtum bedeutet, dass die abgegebene Erklärung nicht mit dem übereinstimmt, was der Erklärende eigentlich wollte. Ein solches Auseinanderfallen von Wille und Erklärung kann auf mehrfache Weise geschehen. Das BGB nennt die relevanten Irrtumsarten, weitere berechtigen nicht zur Anfechtung.
> Erklärungsirrtum: Ein Irrtum bei der Erklärung liegt vor, wenn dem Erklärenden bei der Erklärungshandlung ein Fehler unterläuft (§ 119 Abs. 1 2. Alt. BGB „… eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollte“). Dazu gehören die Fälle des Verschreibens oder Vertippens bei der Abfassung schriftlicher Erklärungen, aber auch die Falschübermittlung durch einen Boten (§ 120 BGB).
Die Sekretärin setzt infolge Unachtsamkeit einen falschen Preis in das Angebotsschreiben ein, das dann der überlastete Chef ohne weitere Überprüfung unterzeichnet. Der mit der Überbringung eines mündlichen Angebots beauftragte Bote verwechselt den Preis und nennt dem Empfänger die falsche Zahl.
> Inhaltsirrtum: Ein Irrtum über den Inhalt bedeutet, dass Wille und geäußerte Erklärung zwar ihrem Wortlaut nach übereinstimmen, der Erklärende aber die Bedeutung seiner Äußerung falsch versteht (§ 119 Abs. 1 1. Alt. BGB: „… über deren Inhalt im Irrtum war“).
Der gesundheitsbewusste K bestellt aufgrund einer Zeitungsannonce 20 Flaschen „Stettener Brotwasser“ und glaubt, damit ein spezielles Mineralwasser gekauft zu haben. Erst bei Lieferung bemerkt er, dass es sich dabei um eine württembergische Weinsorte handelt.
Die für Materialbeschaffung zuständige Konrektorin einer Realschule unterschreibt eine Bestellung über „25 gros Rollen Toilettenpapier“, ohne zu wissen, dass „gros“ ein heute nicht mehr allgemein gebräuchliches Mengenmaß (gros = handelsübliche Bezeichnung für 12 x 12) ist, der Einkauf also 25 x 12 x 12 = 3.600 Rollen Toilettenpapier betrifft.
> Eigenschaftsirrtum: Ein Irrtum über Eigenschaften – als gesetzlich geregelter Unterfall eines Inhaltsirrtums – muss sich auf verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person oder Sache beziehen (§ 119 Abs. 2 BGB).
A schließt mit B einen Gesellschaftsvertrag zum gemeinsamen Betrieb eines Malergeschäfts, ohne zu wissen, dass B vor nicht langer Zeit mit seinem früheren Geschäft wegen Unfähigkeit gescheitert war und der Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen worden ist.
> Motivirrtum: Ein Anfechtungsrecht ist hingegen gesetzlich nicht vorgesehen, wenn ein bloßer Irrtum im Beweggrund vorliegt, der Erklärende also fälschlicherweise von irgendwelchen Umständen ausgeht, die für seinen Entschluss zu dem fraglichen Geschäft von Bedeutung waren, und nun das Geschäft rückgängig machen will (z. B. „Kaufreue“). Hier liegt der Fehler bei der Willensbildung und nicht in der Willenserklärung: Wille und Erklärung stimmen ja überein.
A mietet ein Hotelzimmer in den Bergen mit dem Vorhaben, dort den Wintersport auszuüben. Er kann den Beherbergungsvertrag nicht wegen Irrtums anfechten, wenn er bei seiner Ankunft keinen Schnee vorfindet. Gleiches gilt für den Kauf eines Hochzeitsgeschenks für den Freund, ohne zu wissen, dass die Verlobung bereits wieder aufgelöst worden ist.
> Kalkulationsirrtum: Als ein Spezialfall des Motivirrtums wird der Kalkulationsirrtum angesehen, der ebenfalls grundsätzlich nicht zur Anfechtung wegen Irrtums berechtigt. Er kann dadurch entstehen, dass infolge fehlerhafter Addition von Einzelposten ein falscher Endbetrag im Angebot genannt wird, auch hier liegt der Fehler beim Vorgang der Willensbildung.
Weist allerdings das Angebot auch die Berechnungsgrundlagen aus (Angaben der Einzelposten und des Aufmaßes, sog. „offener“ Kalkulationsirrtum), sodass der Rechenvorgang nachvollziehbar und die falsche Addition erkennbar ist, dann gilt die rechnerisch korrekte Summe der Einzelposten als angeboten. Der Rechenfehler ist dann unbeachtlich, ohne dass es einer Anfechtung bedarf. Es ist vielmehr im Wege der Auslegung der wirkliche Wille des Anbieters zu ermitteln (vgl. § 133 BGB).
Eine Irrtumsanfechtung kommt auch nicht infrage, wenn dem Verkäufer ein Fehler bei der Preisermittlung unterlaufen ist.
Reifenhändler bietet vier Reifen für zusammen 300,– € an, was der Käufer akzeptiert. Nach erfolgter Montage bemerkt der Händler, dass er dem Kunden versehentlich seinen Einkaufspreis genannt hatte. Er kann nicht anfechten: Bei der Abgabe des Angebots hatten ja der Wille (300,– €) und die Erklärung (300,– €) übereingestimmt.
6.7.2.2 Anfechtungserklärung und Wirkung
Soweit ein zur Anfechtung berechtigender Anfechtungsgrund gegeben ist, kann der Erklärende seine Erklärung anfechten (sog. Anfechtungserklärung, § 143 BGB). Dazu ist nicht zwingend der Ausdruck „Anfechtung“ zu verwenden, es genügt, wenn – konkludent – zum Ausdruck kommt, dass sich der Anfechtenden von seiner Willenserklärung distanzieren will und sich an das Geschäft nicht gebunden fühlt. Durch die Anfechtung kann er das Geschäft rückwirkend auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bzw. der Abgabe der Willenserklärung („ex tunc“) annullieren (§ 142 BGB). Dies gilt auch dann, wenn der Irrtum verschuldet ist. Allerdings muss das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes dargelegt und notfalls bewiesen werden, wenn der Gegner den Irrtum bestreitet.
6.7.2.3 Anfechtungsfrist
Die Anfechtung muss unverzüglich nach Entdeckung des Irrtums erfolgen, andernfalls geht das Anfechtungsrecht verloren (§ 121 BGB). Im Zweifel muss der Anfechtende den Zeitpunkt der Irrtumsentdeckung plausibel darlegen und notfalls beweisen.
6.7.2.4 Schadensersatz
Erklärt der Vertragspartner, der sich geirrt hat, wirksam die Anfechtung, so kann der andere Vertragsteil Ersatz derjenigen Aufwendungen als Schadensersatz verlangen, die ihm dadurch entstanden sind, dass er auf die Wirksamkeit der Erklärung vertraut hat (§ 122 Abs.1 BGB). Er ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er sich nicht auf den Vertragsabschluss verlassen hätte (sog. „Vertrauensschaden“ oder „negatives Interesse“).
Transportkosten, wenn der Irrtum erst nach Anlieferung der Ware entdeckt worden ist; Portokosten für die Übersendung der Annahmeerklärung; Fahrtkosten anlässlich des Vertragsabschlusses.
Einen entgangenen Gewinn aus dem Geschäft kann er aber nicht verlangen (sog. „Erfüllungsschaden“ oder „positives Interesse“). Soweit der Vertragspartner den Anfechtungsgrund kannte oder infolge Fahrlässigkeit nicht kannte, also kennen musste, entfällt ein Schadensersatzanspruch (§ 122 Abs.2 BGB).
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