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1861–1872 DER VERLUST ALBERTS, DES PRINZGEMAHLS, UND ZEHN JAHRE TIEFER TRAUER

Der Tod Prinz Alberts, der im Dezember 1861 mit nur 42 Jahren starb, war ein tragischer Schicksalsschlag für Victoria. Bei einem Besuch in Cambridge, wo er dem fehlgeleiteten Edward, Prinz von Wales, die Leviten lesen wollte, erkrankte Albert, wie man lange meinte, an Typhus; vermutlich handelte es sich aber eher um Morbus Crohn. Von da an sah die Königin in Edward immer die indirekte Ursache für Alberts allzu frühen Tod. Dieser dritte Wendepunkt im Leben der Königin war ein Schicksalsschlag, von dem sie sich, wenn überhaupt, immer nur partiell erholte und nie so sehr, dass sie ihre schwarze Kleidung abgelegt und das entsprechende Umfeld verlassen hätte. Sie war zutiefst erschüttert; von der extrovertierten, lebensfrohen Königin war nichts mehr übrig.

Nachdem sämtliche Bemühungen, die Königin aus der Versenkung in ihre private Trauer ins Leben zurückzuholen, gescheitert waren, unternahm man einen anderen Versuch, sie wieder auf die Beine zu bringen, indem man ihren langjährigen Diener John Brown aus Balmoral, ihrem schottischen Rückzugsort, kommen liess, damit dieser bei Ausritten ihr Pony führte. Damit war noch nicht viel erreicht, doch es half, und mit der Zeit wurde Brown zu ihrem unverzichtbaren Kammerdiener, auf den sie sich stützte, um sich immer sicher zu fühlen. Es gibt keinen unumstösslichen Beweis für eine körperliche Beziehung. Auch in ihrem Tagebuch finden sich nur Ausdrücke ihrer Wertschätzung für ihn, wie etwa «mein Freund und loyalster Diener» oder «der aufrichtige Brown», und nicht mehr. Ihr ganzes Leben lang neigte die Königin dazu, lieber auf der Seite einfacher Menschen ohne Privilegien zu stehen, in deren Gesellschaft sie sich wohler fühlte als bei den oft arroganten Reichen und Mächtigen.

Anfang 1868 war es bereits einige Jahre her, dass Königin Victoria begonnen hatte, Pläne zu schmieden, zur Erinnerung an Albert in die Schweiz zu reisen und dort von der kräftigenden Luft der Berge zu profitieren. Doch die Hindernisse wurden immer grösser. Ein neuer Premierminister kam ins Amt und die parlamentarischen Auseinandersetzungen nahmen so sehr zu, dass Neuwahlen angesetzt wurden und der Sturz der Regierung wahrscheinlich wurde. Auch die öffentliche Kritik an ihrer zurückgezogenen Lebensweise ausserhalb Londons ebbte nicht ab. Trotz dieser massiven Stolpersteine gelang es ihr schliesslich, ihren Urlaub in der Schweiz anzutreten, wovon in den folgenden Kapiteln die Rede sein wird.

Und wie nicht anders zu erwarten, führte die anberaumte Wahl kurz nach ihrer Rückkehr dazu, dass sie sich gezwungen sah, das Rücktrittsgesuch des sympathischen Premierministers Benjamin Disraeli zugunsten William Gladstones anzunehmen. In seinen Audienzen mit der Königin dozierte Gladstone, als handle es sich um eine öffentliche Versammlung, doch sie musste ihn ertragen, da seine Partei immer wieder die Wahlen gewann. Die Abneigung dauerte bis zu seinem Tod 1898. Ihr einziger Trost war, dass Gladstones liberale Regierungen sich bei den Wahlen mit den Konservativen Disraelis abwechselten. Jahrzehntelang bestimmten diese beiden das politische Geschehen. Gladstone konnte mit seinen Reden bis zu 25 000 Menschen in seinen Bann ziehen und war 1894 im Alter von 84 noch immer Premierminister.

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 brachte das Deutsche Reich hervor, dessen Oberhaupt dann später Kaiser Wilhelm II. wurde. Als Sohn «Vickys», der ältesten Tochter Victorias, war Wilhelm ein Enkel der Königin. Doch trotz aller Bemühungen der Queen und Prinz Alberts, mit ihrer weitverzweigten Familie den Frieden in einem weitgehend von ihren Nachkommen regierten Europa zu bewahren, stand Wilhelm an der Spitze jenes Deutschland, das 1914 den Krieg begann. In jenen Jahren lag der Republikanismus in der Luft und führte, unter anderem, 1870 in Frankreich zum Sturz des Dritten Kaiserreichs. In Grossbritannien begannen die 1870er-Jahre damit, dass die Monarchie dank mehrerer Zufälle gewissermassen in letzter Minute gerettet wurde. Im August 1871 erkrankte die Königin an einer gefährlichen Infektion am Arm. Da forderte ein liberaler Abgeordneter das Parlament auf, Königin Victoria abzusetzen und die Republik auszurufen. Parallel hierzu erkrankte Victorias ältester Sohn, der Prinz von Wales, schwer an Typhus. Und kaum ging es ihm besser, da unternahm ein junger Mann den sechsten Anschlagsversuch auf das Leben der Queen. All dies zusammen führte zu einer Welle der Sympathie für die Monarchie und liess die republikanische Stimmung deutlich abflauen.

Von da an erfreute die Monarchie sich zunehmender Sympathie und Popularität. In der Operette «The Pirates of Penzance» von Gilbert und Sullivan, die 1879 am Silvesterabend Premiere feierte, gibt es eine Szene, in der nichts die Piraten dazu veranlassen kann, sich der Justiz auszuliefern, bis man sie auffordert: «In the name of the Queen, we charge you – yield!» («Im Namen der Königin: Wir fordern Sie auf – ergeben Sie sich!»). Sie singen: «We yield, we yield, with ready mien, for with all our faults we love our Queen» («Wir ergeben uns, wir ergeben uns, bereitwillig mit frohem Herzen, denn trotz all’ unserer Fehler lieben wir unsere Königin»).

1872–1887 POLITISCH BEDEUTSAMSTE JAHRE – ENGLAND AUF DEM GIPFEL SEINER MACHT

Dies war der Zeitraum, in dem die Königin in jeder Richtung besonders grosse politische Aktivitäten entfaltete. Im Parlament gab es heftige Debatten über die Autonomie der Iren. Ferner wurde das Wahlrecht, welches bis anhin nur gut situierten Bürgern vorbehalten war, zum ersten Mal allen Briten gewährt. Das Reich und seine Handelsrouten wurden erweitert. 1875 gelang es Disraeli für Grossbritannien, einen Hoheitsanspruch am Suezkanal zu erwerben. Typisch für ihn legte er der Königin den Vertrag mit überschwänglicher Geste metaphorisch zu Füssen und sagte: «Ist erledigt. Er gehört Ihnen, Ma’am.» Am 1. Mai 1876 wurde die Königin von Grossbritannien und Irland gleichzeitig zur Kaiserin von Indien ausgerufen. Indien war das Gravitationszentrum des mächtigen Britischen Reiches, das Grossbritannien zu einer Weltmacht werden liess.

Die Königliche Familie und ihre europäischen Beziehungen. Königin Victoria inmitten ihrer Kinder und deren Ehepartner, 1897. Druckgrafik nach einem Gemälde von K. Lotzmann.

1887–1901 THRONJUBILÄEN – GROSSMUTTER EUROPAS UND KAISERIN VON INDIEN

Das goldene Thronjubiläum 1887, das an den 50. Jahrestag der Herrschaft der Königin erinnerte, und das diamantene Thronjubiläum 1897, der 60. Jahrestag, wurden in der ganzen Welt mit grosser Begeisterung gefeiert. Dabei handelte es sich nicht nur um eine Loyalitätsbekundung, sondern um den Ausdruck echter Sympathie für die Person der Königin und des Stolzes (in einigen anderen Ländern, denen es an der Stabilität einer solchen Institution fehlte, sogar des Neides) auf das, wofür sie stand.

Damals war der Zenit des weltweiten Einflusses und der Macht Grossbritanniens erreicht. Die französische Zeitung Le Monde verglich das Britische Empire beeindruckt mit dem Alten Rom. Doch am Horizont des Reiches zogen bereits Wolken auf, und überdies begannen andere Länder, vor allem die USA, aufzuholen.

In diesen letzten Jahren wurde die Ruhe der Queen auch durch die Sorgen wegen des Burenkrieges in Südafrika erschüttert, wobei diese eher ihren loyalen Soldaten galt als der Frage nach der Berechtigung des Krieges: Sie unterstützte den Ausbau des Imperiums nicht, zog es aber vor, das einmal Erlangte zu behalten.

Ungeachtet all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit gab Königin Victoria schliesslich dem Jahrhundert, das mit ihr endete, ihren Namen. An ihrem Lebensende hatte sie ihr Glück in dem Wissen gefunden, dass ihr Volk sie liebte, wie ihre Jubiläen und ihre anderen öffentlichen Auftritte so deutlich zeigten.

Im Januar 1901 starb sie 81-jährig in Osborne. Nachdem sie selbst nach dem Tod ihres geliebten Albert so tief und lange getrauert hatte, verfügte sie nun, dass es bei ihrer eigenen Beisetzung kein Schwarz, sondern nur Weiss, Gold und Lila geben sollte.

Sie hatte jene schlichte Lebensweise erreicht, um die sie sich während vieler Jahrzehnte bemüht hatte. Sehr selten konnte sie diese geniessen – am ehesten aber in der Zeit, da sie es am dringendsten benötigte: in der Zeit ihrer tiefsten Trauer, als sie Sorgen aller Art plagten, nämlich während jener Wochen, die sie 1868 im Kreise der Familie verbrachte und sich an der Pracht und den Schönheiten der Schweiz erfreute.

Teil eins

Anhaltende Trostlosigkeit

Am 31. August 1868 sass Königin Victoria, nur oberflächlich getarnt als Gräfin von Kent, auf einer Schweizer Alpenwiese. Sie genoss dort während des Abstiegs von einer Bergtour ihren Nachmittagstee, nachdem ihre Begleiter Herausforderungen wie das Fehlen eines Teekessels und die schiere Unmöglichkeit, in dieser Gegend Wasser aufzutreiben, souverän überwunden hatten.3

So waren sie, die britischen Reisenden, so traten sie – mit ihren typischen Gewohnheiten – die friedliche Eroberung der Schweiz an. Überall im Land waren sie unterwegs, einige auf strapaziöse und abenteuerlustige Weise, andere gemächlicher. Nur wenige von ihnen aber werden einen ähnlichen Aufwand wie ihre Queen betrieben haben, um in die Schweiz zu entkommen. Für die Königin war dieser Urlaub der Gipfelpunkt mehrerer Jahre des Planens, des Hoffens und des Ränkespiels.

«Er beschützte mich. Er tröstete und ermutigte mich.» Königin Victoria mit Prinz Albert im Buckingham-Palast, 1854.

Sechs Jahre lang hatte Königin Victoria völlig zurückgezogen gelebt. 1868 war das siebte Jahr ihrer Trauer um Prinz Albert, den Prinzgemahl, dessen Tod 1861 ihrem Leben den leuchtenden Mittelpunkt geraubt hatte. Sie war 49 Jahre alt, nicht sehr gross und mittlerweile etwas rundlich geworden, ausserdem Mutter von neun Kindern und Herrscherin über ein Viertel der Weltbevölkerung. Es hiess, sie habe seit dem Verlust, der sie so tief erschüttert hatte, nicht mehr gelacht. Albert hatte weit mehr als nur die Bürde der Verantwortung mit ihr geteilt. Ohne seinen Ratschlag und Schutz fühlte sie sich verloren und unsicher. Sie war davon überzeugt, ihren Aufgaben als Königin alleine nicht gewachsen zu sein. Zwar versuchte sie, ihr Bestes zu geben, und kam ihren königlichen Pflichten nach, wann immer es die Situation erforderte. Doch sie fürchtete öffentliche Auftritte und empfand sie als qualvoll. Sie wirkte steif und unnahbar, obwohl sie ihrer Natur nach eigentlich das Gegenteil war.

«[…] ihr einfacher und starker Charakter bestand aus einigen grundsätzlichen Wesensmerkmalen. Von Natur aus besass sie nach Auffassung derjenigen, die die Kühnheit besitzen, verallgemeinernde Aussagen zu diesem Thema zu treffen, beinahe alle Eigenschaften einer typischen Frau: Sie war einfühlsam, gefühlsbetont, nicht intellektuell, parteiisch, detailverliebt, mehr an der konkreten als an der abstrakten Sicht der Dinge interessiert und von einer tiefen natürlichen Ehrfurcht vor dem Sicheren und Anständigen. Neben diesen klassischen Eigenschaften ihres Geschlechts besass die Königin auch diejenigen ihres Zeitalters … obwohl königlich, war sie nicht aristokratisch im britischen Sinne. Das gesunde, biedere deutsche Blut, das durch ihre Adern floss, hatte ihrem Geschmack eine alltägliche, ja bürgerliche Färbung verliehen. Allerdings war sie ungewöhnlich energisch. Ihre Freuden waren schwelgerischer als die einer durchschnittlichen jungen Frau, ihr Interesse am Detail unerschöpflich, ihr Eigensinn heftiger, ihre Unschuld frischer. Sie war, auch dies mochte eine auf Deutschland zurückgehende Veranlagung sein, mit einem ausserordentlich starken Temperament begabt, welches das Gewöhnliche an ihr in einem Ausmass steigerte, dass es zu etwas Aussergewöhnlichem wurde. Zu dieser verblüffenden Leidenschaftlichkeit des Gefühls kam eine verblüffende Leichtigkeit des Blicks hinzu.»4

David Cecils Charakterskizze steht in deutlichem Kontrast zur verbreiteten, allzu einseitigen Wahrnehmung Königin Victorias als Inbegriff des viktorianischen Geistes: unamused, prüde, sittsam. Seiner 1954 veröffentlichten Skizze gingen andere voraus – darunter die mehr als ein Vierteljahrhundert zuvor entstandene Darstellung Lytton Stracheys –, die ein differenzierteres Bild von Victorias Persönlichkeit zeichneten. Doch das Klischee der strengen, zurückgezogenen, in ernstes Schwarz gekleideten Frau ist so tief verwurzelt, dass es bis heute existiert. Es überlagert unsere Sicht auf die heitere und spontane Seite der Queen, die sich, nachdem sie aus ihrer tiefen Trauer einigermassen in den Alltag zurückfand, durchzusetzen wusste und ihr Selbstvertrauen als Monarchin aus eigener Kraft stärkte.

Königin Victorias Urlaub in der Schweiz im Jahr 1868 half ihr dabei, doch bis dahin war es noch ein langer Weg. Der Tod Prinz Alberts war für sie so niederschmetternd gewesen, dass sie Jahre benötigte, um sich von diesem Schock zu erholen. Den Rest ihres mehr oder weniger in Trauer verbrachten Lebens verwendete sie darauf, mit diesem Verlust zurechtzukommen. Erst in den 1870er-Jahren begann sie das Schicksal zu akzeptieren und wurde ausgeglichener. In den Jahren davor jedoch wurde der Umstand, dass sie auf ihrer Zurückgezogenheit beharrte, zu einem ernsthaften nationalen Problem, sodass zeitweise sogar die Möglichkeit ihrer Abdankung erwogen wurde.

Die Familie der Queen und ihr Hofstaat unternahmen alles, um sie zu unterstützen, allen voran ihr damals noch nicht offizieller Privatsekretär General Grey, dem sie 1863 (wie üblich in der dritten Person) schrieb:

«[…] sie kann nicht leugnen, dass er ihre wichtigste Stütze ist und dass sie sich, wenn er abwesend ist, stets besonders ängstlich fühlt. Im Augenblick macht sie sich keine Sorgen & ist ruhiger; doch ihr ständiger & immer stärker zunehmender Kummer, der zu einem schrecklich nervösen Temperament noch hinzukommt (& das ihr teurer Gatte nur zu gut kannte & der allzu häufig unter ihren Ängsten leiden musste, welche er aber natürlicherweise beschwichtigen konnte, da sie ihm zu jeder Tages- & Nachtzeit alles anvertrauen konnte), hindert sie, irgendetwas gelassen aufzunehmen.»5

Dass die Queen General Grey ins Vertrauen zog und mit ihm über ihre Reisepläne sprach, überrascht nicht angesichts ihrer fortwährenden Sehnsucht nach einer Vaterfigur und einer männlichen Schulter, an die sie sich anlehnen konnte. So erzählte sie Grey etwa von ihrer Absicht, 1863 drei Wochen in Coburg zu verbringen, dem Familiensitz Prinz Alberts in Deutschland (im damaligen Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha), einem Ort, dem sie sich sehr verbunden fühlte. Sich dorthin zu begeben, sei ihr ein Bedürfnis, schrieb sie an General Grey,

«[…] da sie es fast als Pflicht empfindet, etwas für ihre erbärmliche Gesundheit & Nerven zu tun, damit ihre Depression & Erschöpfung nicht noch weiter zunehmen.

Weiss Gott, dass sie, ginge es nur nach ihrem eigenen Willen, nichts für ihre Gesundheit täte, da es ihr einziger Wunsch ist, dass ihr Leben bald enden möge. Aber sie spürt, dass sie, wenn sie denn weitermachen muss, ab und zu einen kompletten Tapetenwechsel vornehmen muss (falls sie dies nicht an der Ausübung ihrer Pflichten hindert & sie hofft, dass es dies nicht tut). Folglich muss sie im Frühjahr für zwei oder drei Wochen nach Balmoral & im Sommer für 3 Wochen nach Coburg (nur nach Coburg) gehen, einmal abgesehen von einem Besuch bei ihrem lieben Onkel in Brüssel, der eine Pflicht & absolut notwendig ist.

Ihr Geliebter Engel würde nichts dagegen einzuwenden haben, dass sie diesen zusätzlichen Ortswechsel vornimmt, wenn man ihn fragen würde & er sähe, wie schwach & angst- und gramgebeugt sie ist – und dass das immer weiter zunimmt.»6

Das Umfeld der Königin wusste nur zu gut, was der eigentliche Grund der Probleme war. In diesem Sommer schrieb Grey aus Coburg an Sir Charles Phipps, einen zuverlässigen Hofbeamten und Hüter der königlichen Privatschatulle:

«Ich hatte in der Zwischenzeit ein langes Gespräch mit Prinzessin Alice [Königin Victorias zweiter Tochter, der späteren Grossherzogin von Hessen-Darmstadt]. Sie sagt, es gehe der Königin sehr gut. Sie habe das 18 Teilnehmer zählende Mittagessen für den österreichischen Kaiser hervorragend bewältigt, viel gesprochen & sei auch noch zum Fenster gelaufen, um ihn wegfahren zu sehen. Prinzessin Alice sagt auch, die Königin habe ihr anvertraut, sie habe Angst, es könnte ihr zu gut gehen, als ob das ein Verbrechen sei & dass sie befürchte, es könne anfangen, ihr Spass zu machen, auf ihrem schottischen Pony zu reiten usw. usf. Sie ist so liebenswürdig & anrührend in ihrer Art, dass es einem schwerfällt, sie zu etwas zu drängen, das sie nicht mag. Doch nach dem nächsten Jahrestag müssen wir alle, ganz behutsam, versuchen, sie dazu zu veranlassen, wieder ihre alten Gewohnheiten aufzunehmen.»7

«… dieses Gefühl anhaltender Trostlosigkeit», Königin Victoria an Kronprinzessin Victoria, 3. September 1867.

Doch das war leichter gesagt als getan und sollte noch eine ganze Weile dauern. Zwar unternahm die Königin vereinzelt Reisen, doch einige Jahre lang wagte sie sich nicht über die ihr vertrauten und sie beruhigenden eigenen Residenzen und die ihrer nächsten Familie im Ausland hinaus. Eine davon war das Sommerhaus Rosenau bei Coburg, in dem Prinz Albert zur Welt gekommen war. Aber so friedlich dieses Haus auch sein mochte – es befanden sich immer viele Leute dort. Als Königin Victoria sich im August 1865 auf der Suche nach Frieden und Ruhe dort aufhielt, kam ihr eine Idee, die sie nicht mehr losliess und die sie drei Jahre später in die Tat umsetzen sollte.

Sie hielt diese sofort in einer kurzen Notiz für General Grey fest:

«28. August 1865. Die Königin hat das Gefühl, dass sie eines Tages versuchen muss, 4 Wochen an einem völlig ruhigen Fleck in der Schweiz zu verbringen, wo sie alle Besucher abweisen und völlige Ruhe haben kann. Während der ersten Woche hier spürte sie den Vorzug der Ruhe, doch seit letztem Dienstag gab es keine einzige Unterbrechung mehr. Seit Montag wurde sie von der Zahl der Besucher und Verwandten völlig überwältigt, sodass sie es bedauert, nicht 3 oder 4 Tage länger hier zu bleiben, um sich vor Antritt der Reise zu erholen. Im Ernst meint sie, dass sie, falls sie im nächsten Jahr noch leben sollte (und, ach!, sie muss weiterleben), versuchen muss, völlige Ruhe zu finden, denn sie spürt, dass sie mit ihren Nerven und Kräften allmählich am Ende ist. Sie hat mit Kanné gesprochen [dem Direktor für Reisen auf dem Kontinent] und auch mit Major Elphinstone [dem Erzieher ihres Sohnes, Prinz Arthur], doch sie wünschte, dass auch der General mit ihnen spricht, denn die Königin möchte, dass man einen ganz friedlichen Fleck in einem schönen Teil der Schweiz findet, den sie ohne eine allzu lange Reise erreichen kann. Sie möchte nicht in der Schweiz herumreisen oder sehr ermüdende Dinge sehen, denn ihre Kraft und ihre Nerven würden das nicht aushalten. Sie würde mit einer kleinen Gesellschaft reisen, keine Pferde mitnehmen, aber vielleicht 2 Ponys, um selbst zu reiten, und sie möchte auf möglichst zurückgezogene Weise wohnen. General Grey wird das begreifen, da er ihre Streifzüge durch die Highlands kennt, doch sie fürchtet, dass dies bei Kanné eher nicht der Fall sein wird. Er wird dann der Meinung sein, dass die Königin in Darmstadt übernachten müsse, und dann noch zweimal, mit einem Ruhetag dazwischen! … Die Königin verspürt ein wirkliches Verlangen, es auszuprobieren.»8

Dieses Verlangen hielt an und wurde immer stärker. Die Königin fand zusehends Gefallen an der Idee und fing an, General Grey mit einer Fülle in rascher Folge verfasster Notizen zu bombardieren. In den ersten beiden Notizen vom darauffolgenden Tag teilte sie ihm mit, sie habe während einer Ausfahrt mit dem Vorreiter Trapp gesprochen und dieser habe ihr gegenüber ein Haus namens «Riss» in Tirol in Österreich erwähnt, das sich eignen könnte.

«Es gibt dort ringsherum die grossartigste Alpenlandschaft und völlige Einsamkeit. Die Königin würde die Schweiz bevorzugen, da der Prinz das Land kannte und sie lieber nichts sehen möchte, was er nicht gesehen hat. Da aber andererseits völlige Ruhe und Einsamkeit der Hauptzweck der Reise sind, liesse sich dieser am besten im ‹Riss› erreichen. Ein Teil des Gefolges würde in der nächstgelegenen Stadt bleiben.»9

Später am selben Tag kam ihr noch ein Gedanke, und sie schrieb an Grey, sie wünsche, dass er

«[…] sich nicht davon abschrecken lassen soll, wenn er hört, wie klein die Unterkunft, wie gross die Entfernung zur Stadt und wie schwierig es sei, im ‹Riss› Lebensmittel zu beschaffen.

Die Königin könnte und würde mit den schlichtesten Speisen und Lebensmitteln vorliebnehmen. Sie würde ihre Mahlzeiten (ausser vielleicht das Frühstück und das Mittagessen) mit ihrem ganz kleinen Gefolge einnehmen. Ausser ihren Kindern würde sie lediglich einen Kammerherrn und 1 Hofdame & einen Arzt- & ganz wenige Diener mitnehmen. Kurzum, sie würde sich mit dem Nötigsten begnügen und nur diejenigen Diener mitnehmen, die wirklich unerlässlich sind. Die Königin hat Berechnungen angestellt & ob wir in einer Nacht und einem Tag von hier dorthin fahren können. … Die Königin meint, wir könnten es leicht schaffen, von Antwerpen ohne Unterbrechung hierherzukommen. Wir sind ja bewusst langsam in Antwerpen und Darmstadt losgefahren & sind sehr spät aufgebrochen. Wenn wir 3 oder 4 Stunden früher aufbrechen & hier 2 Stunden später ankommen & ein bisschen schneller fahren, können wir das leicht schaffen.»10

Nun sollte es also Österreich sein.

Oder vielleicht doch die Schweiz? «Wegen der Länge der Reise», schrieb sie am nächsten Tag an Grey, «wäre es, falls die Königin in die Schweiz ginge, notwendig, dort 4 Wochen zu verbringen, sonst könnte sie die Reise nicht antreten.»11 Zwei Tage später sah es wieder nach Österreich aus, wie sie Grey schrieb, wenngleich es sich diesmal um ein anderes Haus handelte – «[…] ein reizender Ort … als Reiseziel der Königin, der sämtliche Vorzüge & keinen der Nachteile des Riss’ besitzt».12

Und so ging es weiter. Tatsächlich aber sollte Königin Victoria im Jahr 1866 überhaupt nicht ins Ausland reisen, da Preussen und Österreich Krieg miteinander führten, und auch im folgenden Jahr kam die Reise nicht zustande. Doch schon im Sommer 1867 begann die Queen sich wieder intensiv mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen und Pläne zu schmieden, 1868 einige Wochen in tiefer Abgeschiedenheit in der Schweiz zu verbringen. Prince Albert war 1837 vor ihrer Hochzeit durch die Schweiz gereist und hatte ihr begeisterte Berichte und Erinnerungen von dort geschickt, die ihr viel bedeuteten.13 Und 1864 war ihr dritter Sohn, Prinz Arthur, auf den Spuren seines Vaters durch die Schweiz gereist. Ein gut vorbereiteter Urlaub in diesem Land würde ihr die ersehnte Erholung und Zurückgezogenheit verschaffen und sie gleichzeitig auf indirekte Weise wieder mit ihrem geliebten Mann vereinen.

Der 14-jährige Prinz Arthur auf seiner Reise durch die Schweiz 1864 mit dem Reiseführer Antoine Hoffmann (rechts, mit Seil).

Doch dieser mächtige Drang, sich von allem zu entfernen, in die Einsamkeit einzutauchen und dieselbe reine Alpenluft zu atmen, die Albert geatmet hatte, stand in direktem Widerspruch zu einer nicht minder fordernden Erwartung. Diese ging von ihren Untertanen in Grossbritannien aus, die mehr von ihr sehen wollten, nicht weniger.

Ihre Hofbeamten hatten schon mehrere Jahre zuvor bemerkt, dass sich da etwas zusammenbraute. So hatte Viscount Torrington, ein Kammerherr der Queen, General Grey bereits 1863 auf diesen Sachverhalt hingewiesen:

«[…] von aussen geht, beinahe von den höchsten Persönlichkeiten im Lande bis hinunter zum kleinsten Gassenjungen in London, ein erheblicher Druck aus, die Königin einmal mehr dazu zu bewegen, nach London zu kommen. Die Öffentlichkeit akzeptiert niemanden als Ersatz, und es bestünde erhebliche Gefahr, wenn sich die Leute nicht mehr darum kümmern oder kein Interesse mehr daran haben sollten, ob die Königin unter ihnen weilt. Die Leute sollen sich nicht an die Abwesenheit Ihrer Majestät gewöhnen. Ohne die äusserlichen und sichtbaren Zeichen wird die unwissende Masse das Königtum für wertlos halten. Es gibt keinen Händler in London, der glaubt, keinen Schaden dadurch zu nehmen, dass die Königin nicht nach London kommt.»14

Queen Victoria hingegen versuchte mit aller Kraft, ihren Untertanen diese äusseren und sichtbaren Zeichen des Königtums vorzuenthalten. Sie war gekränkt, weil nicht gewürdigt wurde, dass sie trotz ihres Witwenstandes Haltung bewahrte und sich gewissenhaft den zwar weniger sichtbaren, aber beschwerlichen Schreibarbeiten und Gesprächen mit Ministern widmete, zu denen sie aufgrund ihrer verfassungsmässigen Stellung verpflichtet war. Sowohl vorsichtig formulierte und konstruktiv gemeinte Kritik an ihrer Weigerung, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, als auch sanfte Überredungsversuche, nach mehreren Jahren der Trauer allmählich wieder öffentlich in Erscheinung zu treten, erregten das scharfe Missfallen der Königin. Besonders allergisch reagierte sie auf derartige Ansichten von der Presse. In einem Memorandum schrieb sie an Grey:

«Sie ist schockiert über die Leute, die sie wie eine gefühllose Maschine behandeln und die es wagen, sie mit dem Prinzen zu vergleichen! Er war ein Mann und hatte ein glückliches Zuhause. Sie ist eine arme schwache Frau, gramgebeugt, angsterfüllt und von Natur aus schrecklich nervös! Doch sie wird diese Zeitungsvulgaritäten nicht beachten … und immer das tun, wozu sie in der Lage ist und was sie für richtig und angemessen hält. Sie wäre dankbar, wenn ihr der General mitteilen würde, wenn solche Artikel in der Zeitung stehen, da sie sie dann nicht lesen wird.»15

Aber sie las sie natürlich trotzdem. Bereits am nächsten Tag schickte sie Grey eine weitere Notiz:

«Obwohl die Königin General Grey versprach, die törichten, gefühllosen Artikel in den Zeitungen nicht zu lesen oder zu beachten, kann sie der Versuchung nicht widerstehen, ihm diesen Artikel aus der Zeitung John Bull zu schicken, da es sie ziemlich amüsiert, dass ihr Königin Emma von Honolulu als Beispiel vorgehalten wird! Man scheint dort zu vergessen (und das ist immer besonders erstaunlich), dass die Königin noch ein paar andere Pflichten zu erfüllen hat als Königin Emma!! Bitte geben Sie mir die Zeitung zurück.»16

Besonders graute der Königin davor, das Parlament eröffnen zu müssen. Ihr Anfang 1866 verfasster Brief an Lord Russell, den damaligen Premierminister, ist ein kleines Meisterwerk, sie verbindet darin ihr Engagement als Monarchin mit einem leidenschaftlichen Gnadengesuch:

«Um die Königin in die Lage zu versetzen, das durchzustehen, was sie nur mit einer Hinrichtung vergleichen kann, ist es äusserst wichtig, den Gedanken daran so weit wie möglich von ihr fernzuhalten. Daher würde es ihr definitiv Schaden zufügen, wenn sie sich nach Windsor begeben müsste, um dort zwei volle Tage auf diese schreckliche Tortur zu warten. Die Königin hat dieses qualvolle Thema bis jetzt Lord Russell gegenüber niemals erwähnt, doch sie wünscht nun ein für alle Mal ihre diesbezüglichen Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

Dessen ungeachtet möchte sie ihren Beobachtungen die Bemerkung vorausschicken, dass sie Lord Russell und seine Kollegen von jeglichem Versuch entlastet, ihr jemals das aufzubürden, was für sie eine derart qualvolle Anstrengung ist. Die Königin muss sagen, dass sie auf sehr bittere Weise das mangelnde Mitgefühl derjenigen spürt, die von der Königin verlangen, dass sie das Parlament eröffnen soll. Sie hat volles Verständnis dafür, dass die Öffentlichkeit sie sehen möchte, und sie möchte das auch nicht verhindern – ganz im Gegenteil. Doch warum sollte dieser Wunsch so unvernünftiger und gefühlloser Natur sein, dass man sich danach sehnt, Zeuge des Schauspiels einer armen Witwe zu werden, die, an einem gebrochenen Herzen leidend, nervös und eingeschüchtert, in tiefe Trauer gekleidet und allein, feierlich ausgestellt wird? Dass sie, die es gewohnt war, von ihrem Ehemann gestützt zu werden, nun derart angestarrt werden soll, ohne jegliches Zartgefühl, das ist etwas, das sie nicht verstehen kann und das sie ihrem schlimmsten Feind nicht wünscht.

Sie wird es diesmal tun, wie sie versprochen hat, doch sie gibt zu, dass ihr die Gefühllosigkeit derjenigen zuwider ist, die dies lauthals von ihr gefordert haben. Von dem Leiden, das ihr dies in ihrem jetzigen nervösen Zustand verursacht, kann sie keine Vorstellung vermitteln, doch sie gibt zu, dass sie kaum weiss, wie sie dies durchstehen wird.»17

Sie schaffte es – so gerade eben.

«Grosse Menschenmenge draussen, deshalb wurde ich von einer Eskorte begleitet (erstmals seit meinem grossen Schicksalsschlag). Nach dem Mittagessen, das ich kaum anrühren konnte, angekleidet. Trug mein übliches Abendkleid, habe mich nur mit Grauwerk verbrämt, und mein Häubchen mit einem langen fliessenden Tüllschleier, ein kleines Diamanten- & Saphirdiadem relativ weit hinten und Diamanten, die die Vorderseite meines Häubchens säumen.

Es war ein furchtbarer Moment für mich, als ich alleine in die Kutsche stieg und die Kapelle spielte; auch als die Menge jubelte und ich grosse Mühe hatte, meine Tränen zu unterdrücken. Aber unsere beiden lieben warmherzigen Mädchen [Prinzessin Helena und Louise, die der Königin in der Kutsche gegenübersassen] waren eine wahre Hilfe & Unterstützung für mich, und sie verstanden ganz genau, was ich durchmachte. Die Menge war höchst enthusiastisch, & die Leute schienen mich mit Sympathie anzusehen. Trotz eines sehr starken Windes hatten wir beide Fenster geöffnet.

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