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GESPANNTE GESICHTER

UND

DIE TRAUER IN DEN FINGERSPITZEN

PAUL DIVJAK

GESPANNTE GESICHTER

UND

DIE TRAUER IN DEN FINGERSPITZEN

Bemerkungen zu zwei Phänomenen

Mit freundlicher Unterstützung der MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien

Paul Divjak: Gespannte Gesichter und Die Trauer in den Fingerspitzen.

Bemerkungen zu zwei Phänomenen

Hollitzer Verlag, Wien, 2020

Coverbild: „Pine Trees“ von Hasegawa Tōhaku (1539 – 1610) Covergestaltung: Nikola Stevanović

Satz: Daniela Seiler

Hergestellt in der EU

Alle Rechte vorbehalten

© Hollitzer Verlag, 2020

www.hollitzer.at

ISBN 978-3-99012-857-2

INHALT

Gespannte Gesichter

Anmerkungen

~

Die Trauer in den Fingerspitzen

Widmung

Zitate

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Für Meg Ryan, Mickey Rourke und all die anderen

Gerade die Vielheit dessen, was das Gesicht offenbaren kann, macht es oft rätselhaft (…)

Georg Simmel

Pay your surgeon very well

To break the spell of aging

Celebrity skin, is this your chin?

Or is that war you’re waging?

Red Hot Chili Peppers („Californication“)

GESPANNTE GESICHTER

Intro

Am Anfang standen persönliche Irritation wie Faszination. Die mediale Verbreitung von schönheitsmodifizierten Stargesichtern begleitet uns, sie ist längst zum fixen Bestandteil in der Ökonomie der Aufmerksamkeit (Georg Franck) geworden. Die Gesichter der Celebrity-Kultur werfen im jähen Wechsel ihrer Erscheinung/​ihres Abbilds Fragen auf. Und doch finden wir uns in ihrer alltäglichen Rezeption zumeist mit lapidaren Zuschreibungen (den immer gleichen Phrasen) und offenkundigen, redundanten Interpretationen ab.

Die gespannten Gesichter der Medienprominenten werden immer zahlreicher. Mit der Generation der in den 1980er-Jahren bekannt gewordenen Entertainment-VertreterInnen ist eine ganze Star-Kohorte angetreten, um zu kollektiven Prototypen des Verwandlungs-Dispositivs zu werden.

Bei dem vorliegenden Text rückt ein tief in der Popkultur verankertes Phänomen in den Fokus: Die Transformation des mediatisierten Gesichts, das post-operative Gesicht des Stars als prototypische gesellschaftliche Schablone. Die Annäherung an die Operation Starface erfolgt dabei wie bei einem schönheitschirurgischen Eingriff: Bestandsaufnahme, Arbeit am Material und Präsentation des (nicht immer zur Gänze kontrollierbaren) Ergebnisses. Ein gewisses Restrisiko, was die beabsichtigten Resultate betrifft, bleibt bestehen; unkontrollierbare theoretische Wucherungen, ideelle Verwachsungen können und sollen nicht ausgeschlossen werden.

Kulturgeschichten

Zur Philosophie und Phänomenologie der Physiognomie (aus dem Griechischen: Natur/​Gestalt – Erkenntnis) ist viel geschrieben worden. Philosophische wie kunsthistorische Lesarten und Diskurse in Bezug auf das Gesicht waren immer schon an Machtdispositive geknüpft. Mit Fragen der Wahrnehmung, der Bildwerdung und der Erinnerung beschäftigt sich die westliche Welt seit den alten Griechen. Schon bei Aristoteles finden sich methodologische Auseinandersetzungen mit physiognomischem Wissen. (Er hat bereits auf die Gefahren der Täuschung und Irreführung unserer Wahrnehmung hingewiesen.)

Entwickelte beispielsweise Albrecht Dürer eine umfassende Proportionenlehre zur Darstellung unterschiedlicher Körpertypen in der Kunst und Paracelsus eine Art okkultes Mapping von Pflanzen, Tieren und Menschen, so widmete sich Alexander von Humboldt der Erschließung neuer Begrifflichkeiten hinsichtlich der Physiognomik. Georg-Friedrich Lichtenberg veröffentlichte Über Physiognomik; wider die Physiognomen (1777)1 und Arthur Schopenhauer Zur Physiognomik (1851).

Bereits Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die rassistisch geprägte Biometrie, im Rahmen derer Herkunft/​race, intellektuelle Fähigkeiten und Aussehen in Relation gesetzt wurden.

Publikationen zu Physiognomik waren auch Anfang des 20. Jahrhunderts populär und nicht ausschließlich von rassistischen Ideologien motiviert. (Vgl. u. a. Béla Balázs Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films). Wertkonservative Kulturkritik der Moderne und ideologisch-verbrämte Pseudowissenschaft prägten freilich die NS-Weltvorstellung hinsichtlich ihres Rassenwahns und der „Vermessung der Ethnien“.

Findet im zeitgenössischen US-akademischen Diskurs die Beschäftigung mit der sogenannten Makeover-Culture (Jones, 2006),2 dem konstituierenden „kosmetischen Blick“ (The Cosmetic Gaze, Wegenstein, 2012)3 oder den Oberflächen (von Haut und Fotografie), in die sich plastische Chirurgie einschreibt (Surface Imaginations, Hurst, 2015)4 in Form kulturkritischer wie (post-)feministischer Lesarten Beachtung, so erfolgt im deutschen Sprachraum die kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung beispielsweise mit der Prominenz des Gesichts, seiner Bedeutungsproduktion in der massenmedialen Verbreitung, dem Wandel seiner Repräsentation und seiner Virtualisierung (u. a. Löffler/​Scholz, 2004).5 Auch die Wirkung des Gesichts als Aufmerksamkeitsmaschine von mittelalterlichen Ikonenbildnissen über Renaissance-Porträts bis hin zu Werbeplakaten ist Gegenstand der historisch-essayistischen Analyse. (Groebner, 2015)6

Umfassende Kulturgeschichten der Darstellung des Gesichts haben etwa Daniel McNeill mit Das Gesicht. Eine Kulturgeschichte (2001) und Hans Belting mit Faces. Eine Geschichte des Gesichts (2013) vorgelegt. Kritiker attestieren Beltings Zugang kunst- und kulturgeschichtliche Präzision bei zunehmendem Kulturpessimismus. Von prähistorischen Masken bis zu den medial konstruierten Gesichtern in Fotografie, Film und Gegenwartskunst befasst er sich mit der Bildwerdung und dem „Scheitern am Leben des Gesichts und des Selbst“.7

Da, wo Belting mit Faces. Eine Geschichte des Gesichts einen Endpunkt markiert, indem er „Die Krise des Gesichts“ ausruft, soll dieser Essay unter anderem ansetzen.8

Die Idee ist, eine Rückbindung der Reflexion an Diskurse der Körperlichkeit sowie ein frei schwebendes, ebenso idiosynkratisches wie transdisziplinäres Mäandern und Verweben der Thematik in ein Geflecht aus literarischen, phänomenologisch-philosophischen, semiotischen, bild- und filmtheoretischen, kulturwissenschaftlichen, soziologischen und popkulturellen Ansätzen und Verweisen. Alles ist dabei potenzielles Denkmaterial, kann zur Annäherung an den Bedeutungsträger Stargesicht im Wandel dienen, dazu beitragen, dem Phänomen als Zeichen der Zeit, der Gestaltetheit von Gesichtsentwürfen – auch und gerade in ihren temporären, phasenorientierten Ausprägungen – näher zu kommen sowie Fragen von Subjekt-/​Identitätskonstruktionen aufzuwerfen.

Die Kulturwissenschaftlerin Claudia Schmölders, die den Diskurs hinsichtlich Gesicht und dessen kultureller Bildwerdung seit Jahrzehnten entscheidend mitgeprägt hat, stellt fest: „Der lebendige Körper, zu dem ein Gesicht gehört, ist aus diesen Diskursen weitgehend verschwunden – während doch gleichzeitig der lebendige Mensch in Gestalt flüchtender, verletzter, schreiender und sterbender Personen mit Namen, Stimme und Geschichte unser Interesse und unsere Fürsorge mehr denn je verlangt. Wohin also gehört der faziale Diskurs? Man muss darüber nachdenken, mehr denn je.“9

Was folgt, ist eine Bewegung hinein ins Spannungsfeld von Kult und drohendem Gesichtsverlust.

~

Everybody wanna be a star

It’s all about who they think you are

Donna Summer

Starfaces

Das Abbild des Starface/Stargesichts zirkuliert als Bedeutungsträgerteilchen im Medienrealitätsbeschleuniger. Es erscheint, erfährt seine maximale Ausdehnung in der Gegenwart und verschwindet wieder in den medialen Archiven, liegt auf den weltweiten Servern. Jederzeit abrufbereit. Das Starface durchläuft in der Medien(zeit)fenster-Konstruktion nach Götz Großklaus vier Phasen (wie im Übrigen alle anderen Daten/​Bilder auch): Aufzeichnung, Speicherung, Aktualisierung und Reaktualisierung. „Bilder können mehrfach aus dem Speicher auftauchen und wieder präsent sein (…) – sie können aber auch gänzlich dem Vergessen anheimfallen (…).“10

Und so wie sich der Symbolwert eines aus dem medialen Tiefenspeicher reaktualisierten Bildes verändert, verändert sich auch jener hinsichtlich der Repräsentation eines reformierten/​neumodellierten Gesichts.

Und wie die Daten in den Speicher absinken, sich der linearen Zeitabfolge verweigern und auf erneute Aufmerksamkeitsimpulse warten, so scheinen auch die Starfaces als Artefakte zunächst in einer Art Latenzstadium zu verharren, jener „leeren oder toten Zeit“, um darauf „abrupt, ganz und gar okkasionell und unvorhersehbar“ aus ihrem „Versteck der Zeit“ herauszutreten und mit ihrer aktualisierten Medienpräsenz zu erschüttern.11

Nicht so ist es, daß das Vergangene sein Licht auf das Gegenwärtige oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangene wirft, sondern Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt. Mit anderen Worten: Bild ist die Dialektik im Stillstand. Denn während die Beziehung der Gegenwart eine rein zeitliche, kontinuierliche ist, ist die des Gewesenen zum Jetzt dialektisch: ist nicht Verlauf, sondern Bild, sprunghaft.12 (Walter Benjamin)

Die Starfaces verdichten sich gegenwärtig zu jenen „Zeitgestalten“, die Großklaus noch als metaphorische Konstellationen hinsichtlich des Zeit-Flusses beschrieben hat: Per Mausklick nehmen sie heute Form an, als „jeweilige Aktualisierung im Zeitfenster der Medien“. Die dauerhafte Verfügbarkeit, der permanente Vergleich, zeigt den Unterschied zwischen Gewesenem und Gegenwärtigem, der einstigen und der aktuellen Repräsentation des mediatisierten Gesichts. Die Medienzeitfenster bleiben geöffnet, wir leben im „künstlichen Präsens abstandsloser Augenblicke“. Im „Zeitkonstrukt reiner Gegenwärtigkeit“ erfolgt die Verdichtung und Synchronisation der Zeichen, Daten und Bilder.13

Blitzlichthaft und sprunghaft erfolgen heute die Gesichtsentwicklungen: Die modulierten Stargesichter tragen ihrerseits zur Konstruktion von Zeitsprüngen bei, überall: falsche Anschlüsse. Und der letzte Rest von Stillstand findet sich nunmehr in der fazialen Muskulatur jener „Zeitgestalten“.

Ausdruck des Eindrucks

Das bildgewordene Gesicht der schönheitsbehandelten Promis vereint auf besondere Weise deleuzianisches Bewegungs-Bild UND Zeit-Bild in sich. Als Ensemble möglicher Schnitt- und Datenmengen fokussiert es gleichsam auf die Stilllegung des Bewegungs-Bilds, auf die Erzeugung eines Quasi-Standbilds: Als Affektbild ist es eine Großaufnahme, und als Großaufnahme ein Gesicht. Gleichzeitig stellt es als Zeit-Bild in der direkten Erkundung von Zeit eine offene Feldstudie, eine Intervention im „natürlichen“ Umfeld dar.

Im Ineinanderfallen, in der Überlagerung von aktuellem und virtuellem Bild kristallisiert sich im Gesicht die Erscheinung eines Möglichen. Diese verweist auf die Künstlichkeit seiner Gemachtheit in der Zeit und ist als Markenzeichen der Gegenwart gleichermaßen vergänglicher Imageträger und Narrationsträger sowie Ausdruck des Eindrucks, den eine Gesellschaft des Spektakels in ihm hinterlässt.

Wie beim Spektakel handelt es sich bei den Starfaces um „Pseudoereignisse, die sich in der spektakulären Dramatisierung drängen“. Und wie das Spektakel propagiert das Starface „als gegenwärtige gesellschaftliche Organisation der Lähmung der Geschichte und des Gedächtnisses, des Verzichtes auf die Geschichte, der sich auf der Grundlage der geschichtlichen Zeit aufbaut“ ein falsches „Bewußtsein von der Zeit“.14

Guy Debord hat in den 1960er-Jahren noch festgestellt: „Die Wirklichkeit der Zeit ist durch die Werbung für die Zeit ersetzt worden.“15 Heute ist die Konstruktion der Zeit durch die Werbung für die permanente Neuinszenierung (der Zeichen) der Zeit /die scheinbare Zeitlosigkeit ersetzt worden.

Die Stargesichter verschweigen jegliche Erfahrung in der Zeit. Und dies keineswegs, weil sie „etwa Folge eines Kompositionsfehlers“ wären. Vielmehr werden den modellierten Gesichtern bei der Rezeption, wie bei der Lektüre eines Textes, Bestimmtheiten zugeschrieben.

Lücken in der Wahrnehmung werden mit Gegenständlichem gefüllt – mit persönlichen Grundannahmen und Pauschalisierungen. So argumentieren und generieren wir unsere Vorstellung von Präsenzen in der Medienrealität.

Wir konkretisieren unscharfe Umrisse, gehen gewissermaßen über die Gesichter hinaus. Manches wird mit einem Mal scheinbar sichtbar, nimmt neue Züge an. Anderes wiederum bleibt freilich weiterhin – und bisweilen für immer – im Verborgenen.

Lesen wir das Stargesicht als Text(ur), könnten die klaffenden Leerstellen zwischen den Repräsentationsmomenten, jene Stellen, an denen das „Fehlen von etwas“ bemerkt wird, im Sinne Roman Ingardens Rezeptionsästhetik auch als „Unbestimmtheitsstellen“ bezeichnet werden.16

Diese entfalten ihre Wirkung erst durch wahrnehmungsspezifische Konkretisationsleistung, unsere sinnlich-produktive Imaginations- und Interpretationstätigkeit. Wie ein literarisches Werk lässt sich somit das Starface als ein „schematisches Gebilde“ verstehen, dessen „Schichten, und besonders die gegenständliche Schicht“ eine Reihe von ‚Unbestimmtheitsstellen‘ enthalten.

Als „schematische Gebilde“ sind die Starfaces Manifestationen von Wiederholung und Differenz, Trugbilder, die sich der Ordnung der Repräsentation verweigern, gegen die Simulation von Identität auflehnen und sich gleichzeitig ständig neu formieren/​neukonstruiert werden. Wiederholt wird mit Blick auf Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zur Stimulation des Realitätseffekts.

Und in der Erscheinung des Gegenwärtigen, des So-Seins, tritt der Unterschied zutage. Die Wiederholung führt die Differenz vor Augen, sie öffnet die Möglichkeiten für Verschiedenheit.

Bisweilen macht es den Anschein, als ob wir die Stars gar nicht mehr in einem neuen Film erleben müssten, spielt sich doch die wahre Action längst auf der Hautoberfläche ihrer faszinierend aufbereiteten Gesichter ab.

Allein das fotografische Abbild der Gesichter vermittelt ein weiteres Kapitel in der beim Boulevard beliebten Rubrik „Vorher/​Nachher“ und wartet mit potentiellen AnwärterInnen für die Rubrik „Best Plastic Surgery Fails“ auf.

Schauwert und Staunen zwischen Realität und Utopie: Die Veränderungen, die sich in die Mimik, ins nunmehr verunmöglichte Lachen, in die Unbeweglichkeit der Stirn und die Deformationen der Backen, Wangen, des Kinns sowie der künstlichen Haaraufbringung einschreiben, erzeugen das Modell eines von Positivität und Vitalität erfüllten Gesichts der Metamorphose. Und „die Besetzung des Körpers durch die Ökonomie des Zeichens lässt ihn endgültig verstummen“. Im Schweigen transportiert und perpetuiert das geschönte Gesicht das Modell eines natürlichen Gesichts, das „dem Subjekt die Fiktion einer segensreichen Kraft beschert, aber dessen Faszination in seiner perfekten Entsprechung zum Verlangen nach dem Code liegt, im Fetischismus des Signifikanten begründet ist“.17

Die faziale Fiktion ist somit als rückläufige Entfaltungsbewegung zu verstehen. Die postoperative Erstarrung der Gesichtszüge wird zum Disziplinierungsfetisch, die Vitalitäts-Maske zur Schablone der Kodierung von Expressivität.

Filmmaske, Special Effects (CGI), Postproduktion à la Photoshop und reale Eingriffe sind mittlerweile de facto ununterscheidbar geworden.

Das leibhaftige Spektakel tobt heute in den Gesichtern der Medienprominenz.

Die Zeit hat viele Gesichter, und jegliches Gesicht kämpft gegen die Zeit.

Die Wahrnehmung von Gesichtern, ihre Darstellung und ihre Interpretation hat sich im Wandel der Zeit freilich verändert. War der Faltenwurf bei der historischen Statue, ob Halbfigur oder Ganzkörperdarstellung, Ausdruck des naturalistisch-künstlerischen Nonplusultra, so sind heute das Herausmeißeln ebenmäßiger Züge, die Herstellung von glatten Projektionsflächen das Ideal in der Produktion des aktualisierten Mediengesichts.

Gesichter haben viele Facetten, und mediale Momentaufnahmen zeigen mögliche Manifestationen konkreter Gesichter.

Was das alternde Gesicht betrifft, so scheint gegenwärtig die Erstarrung oberstes Gebot, der Bewegung als Symptom des Wandels/​der Veränderung/​des Alters gilt es Einhalt zu gebieten.

Das plastisch-chirurgisch verschönerte Gesicht könnte im Sinne Thorstein Veblens und seiner „Theorie der feinen Leute“ als Ausdruck des „demonstrativen Konsums“ oder „Geltungskonsums“ gelesen werden, schreiben sich doch auch die Kosten für den Aufwand der Neugestaltung in die neuen Gesichtszüge ein.18

Es lässt sich somit als Statussymbol sehen, das Distinktionsmechanismen bedient, eines, das die Makellosigkeit der Haut betont und durch seine Versteinerung überdies mimisch soziale Distanz markiert.

Der Star, als „in Szene gesetzter Agent des Spektakels“19 präsentiert sein neues Gesicht mit Spannung; Reputation verpflichtet. Als ästhetisch aufpolierte Manifestation einer Investition kann es nunmehr sichtbar seine ornamentierte Pracht entfalten, gleichermaßen wie ein positiv besetzter, luxuriöser Gegenstand.

Im Zeitalter des Konsums schreibt sich allerdings auch in die Gesichter ein Ablaufdatum ein. Wie im Warenverkehr geht es auch bei der Gesichtskonstruktion und beim Verwandlungs-Dispositiv um das Bejahen des Prinzips der Zirkulation.

Die Visage aus der neuesten Kollektion ersetzt die verbrauchte. Das alte Gesicht wird als überkommene Vorlage des „Ich-Plakats“ (Valentin Groebner)20 ausgemustert, das aktualisierte Modell wird zum nunmehrigen visuellen Ich-Marker, zum aktualisierten identitären Aushängeschild.

Erving Goffman verweist darauf, dass die Vorstellung der individuellen „Einzigartigkeit“ sich als „positives Kennzeichen“, als „Identitätsaufhänger“ gleichermaßen durch das Bild von anderen Köpfen in unseren Köpfen wiederfindet. „Persönliche Identität“ habe stets mit der Annahme zu tun, dass das Individuum von allen anderen differenziert werden kann.21

Identität in Veränderung

Tatsächlich aber lässt sich Identität nur in der Veränderung erfahren. Denn: „Wir sind nur durch das, was nicht wir ist. Das bedeutet, daß die Definition eines identischen Innen gegen ein identitätsfeindliches Außen, die mit dem Primat des Festen über die Bewegung mitgesetzt ist, ebenfalls unhaltbar ist. (…) Das Feste ist freilich der Garant für, mindestens vorgebliche, Zurechenbarkeit.“22

Man schlüpft eher in ein Gesicht hinein, als dass man eines besitzt.23

(Deleuze/​Guattari)

Unter dem Gesichtspunkt der Identität, die sich an den Schnittstellen von Innen/​Außen, dem Eigenen/​dem Anderen entfaltet, stellen wir fest: So wie wir keinen Körper haben, sondern der Körper sind, haben wir auch kein Gesicht: Wir sind das Gesicht. Das Gesicht entfaltet sich wie Identität in der Dialektik.

Und die schönheitsspezifische Modulation des Gesichts verschafft die Illusion der Planbarkeit und der Kontrolle, sie erzählt von soziokulturellen Konventionen und unserer Vorstellung von Zeit /vom Konstrukt der Linearität und Bemessbarkeit von Zeit.

Im vom Eingriff gezeichneten Gesicht spiegelt sich eine Verdichtung, die davon erzählt, dass „die neue Gegenwart selbst nichts anderes als der Übergang eines Künftigen ins Gegenwärtige und des vormals Gegenwärtigen ins Vergangene“ (Maurice Merleau-Ponty) ist.24

Was uns bei der Betrachtung Starfaces entgegenströmt, ist die Monstrosität des Phänomens Zeit.

Im Onlinezeitalter ist die Adaption des Stargesichts längst zu einem kulturellen Effekt eines normativen Ausnahmezustands geworden. Es wird zu einem aufmerksamkeitsumkämpften Ort der Verdrängung der menschlichen Begrenztheit, in dem sich nicht mehr die ureigenen Emotionen, sondern die zahlreichen chirurgischen Interventionen abbilden.

Das Gesicht wird zur epischen epidermen Landschaft – und ist als solche auch „lesbar“. Es hat sich von seinem/​r Träger/​in verselbstständigt, wird zum ikonografischen Marker, zum 3D-Überraschungseffekt in der „facialen Gesellschaft“, in einer Kultur, „die ununterbrochen Gesichter produziert“ (Thomas Macho).25 Mise en Abyme.

Das Stargesicht hat sich als Teil des inszenierten Körperbilds verselbstständigt. Verweist es – neben seiner eigenen Gemachtheit – auf der einen Seite noch auf die Konstruiertheit von Geschlechterrollen, ist es auf der anderen Seite nicht mehr an ein natürliches Geschlecht gebunden. Die Transformation der Gesichter zielt gewissermaßen ab „auf die Überwindung des Todes und des Geschlechts“.26

Alles fürchtet ihr wie Sterbliche, alles wollt ihr aber haben wie Unsterbliche.27

(Seneca)

Das Lesen von Gesichtern ist Teil einer genetischen Disposition und einer kulturellen Interpretationsleistung. Die Fähigkeit zur unmissverständlichen Kommunikation als „Sender“ und empathischer „Empfänger“ verliert ein ästhetisiertes Gesicht bisweilen. Zur sprichwörtlichen Maske geworden, mit nachgerade regloser Augen-, Stirn- und Mundpartie, versagt nicht selten die Mimik. Und möglicherweise gesetzte feinmotorische Impulse werden nicht zu kommunikatorischen Zeichen; gelähmte Muskulatur und gestrafftes Gewebe blockieren faziale Bewegung.

Es scheint, als gälte die Suche in den Gesichtern der Stars der „Authentizität“, dem wahren Selbst, einer ganz und gar „unverwechselbaren Persönlichkeit“.28 Warum aber sollte ausgerechnet ein Mediengesicht von Wahrheit und Einzigartigkeit erzählen? Warum sollten gerade die VertreterInnen aus Film, Musik, Fernsehen, Mode, Politik und Co. nicht dem natürlichen Prozess des Alterns unterliegen, selbst beim Versuch, diesem etwas entgegenzuhalten? Dass sie dabei oftmals ziemlich alt aussehen, lässt sich nicht verleugnen. Im Zeitalter des Netzes und der omnipräsenten digitalen Bilder steht das prominente Gesicht heute mehr denn je im Fokus der Aufmerksamkeit und Kritik. Es repräsentiert ein Ideal in der Kultur der Attraktivität und ist gleichzeitig verkörpertes Versprechen,29 das vom Publikum pausenlos hinterfragt wird. Als getuntes Ideal ist das Starface Abbild und Vorbild eines gegenwärtigen Schönheitsideals, als solches unterliegt es dem Druck zur medialen Dauerperformanz.

With a face like that

Your’re the world’s most wanted

With a face like that

In a place like this

(Pet Shop Boys)

„Prominenz heißt, erreicht zu haben, dass einem alle Blicke folgen und folgen wollen. Der Wille zur Prominenz schließt also die konstitutive Zustimmung ein, sich verfolgen zu lassen“, weiß Thomas Macho.30 Dies bedeutet freilich, dass man gar nicht früh genug damit anfangen kann, Vorsorge zu treffen, auf dass es auch in Zukunft so bleiben möge. Es gilt rechtzeitig darauf zu schauen, dass man ein geeignetes Gesicht hat, eines, das sich medienöffentlich zeigen und wunschgemäß/​ordentlich vermarkten lässt.

Das Gesicht als Markenzeichen ist dem Wandel von sozialen Rollen, Geschlechter- und Körpernormen, kulturellen Vorlieben und Idealen, Moden, Trends und der Marktlogik – unterworfen. – Vor allem aber ist es eines: Es ist vergänglich.

Und unsere Gesichter, mein Herz, vergänglich wie Fotos.31

(John Berger)

Wie auch bei anderen technisch reproduzierten Bildern handelt es sich bei den Fotos der Stars um Artefakte, in die sich Spuren des Dagewesenseins (Roland Barthes) einschreiben. Ob nun das Dagewesene zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits modifiziert war oder es im Nachhinein noch einer zusätzlichen Manipulation unterzogen wurde: Was wir sehen, ist ein mögliches Bild, das wir uns von der Realität machen (können).

Qualitäten der Erscheinung

Vor uns nimmt die Inszenierungen eines menschlichen Gesichts Form an, ein Ausschnitt/​ein Abriss (ein Fragment), der vom einmal Gegenwärtigen erzählt, interpretative Möglichkeitsfelder öffnet und potenzielle Geschichten nahelegt.

Was sich vor unseren Augen entfaltet, sind Qualitäten der Erscheinung.

Der/​die Portraitierte wird zum Objekt unseres Blicks. Look/​Gaze. Wir vermeinen das Spezifische des Wahrgenommenen / des anderen Menschen (des Gesichts) zu erfassen. Pareidolia. Selbst in abstrakten Formen vermeinen wir Gesichter erkennen zu können. Ob oval, rund, quadratisch, herzförmig oder trapezförmig, alles da: Augen, Nase und Mund. Was sich auf unserer Retina abbildet, ist ein Gesicht.

Und weil der Mensch ein soziales Wesen ist, und weil innerhalb des Identen Verschiedenheit herrscht, können wir mittels der Merkmale, die auf das offensichtlich Wiedererkennbare zu verweisen scheinen – egal aus welchem Blickwinkel wir Gesichtspartien betrachten –, Rückschlüsse ziehen. Unsere Fähigkeiten zu erkennen, erinnern und wiederzuerkennen helfen uns dabei, Gesichter einzuordnen/​zu interpretieren.

Affektive Signalwirkung

Unsere Spiegelneuronen ermöglichen uns Imitation, Empathie und soziales Lernen. Neurowissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass das Betrachten von ausdrucksstarken Gesichtern nachweislich unsere Gesichtsmuskeln aktiviert.32

Muskelstimulation durch affektive Signalwirkungen. Ob unsere mimische Muskulatur gleichsam auch stellvertretend die Möglichkeiten unseres bewegungseingeschränkten – medial präsenten – Gegenübers übernehmen können, wäre eine in Bezug auf die Rezeption von Starfaces sich aufdrängende Frage.

Wir wissen, dass sich Emotionen in die Verhältnisse des Gesichts einschreiben (Lachfalten im Augenbereich, sogenannte Krähenfüße, Mundwinkel, die nach unten ziehen, oder die als Denkerstirn bekannten Falten auf dem Vorderkopf.)

Wir wissen auch, dass umgekehrt die Mimik auf die Gemütslage rückwirkt, dergestalt entstehen gleichermaßen Feedbackschleifen von Emotion und ihren gesichtsspezifischen Abdrücken.

Verwerfungen

Wir sehen das Gesicht, seine Texturen, seine Verwerfungen. Das Gesicht entfaltet reliefartige Strukturen, wird zur Landschaft, einem Geflecht aus Faltungen. Im Sinne von Leibniz/​Deleuze verläuft zwischen Seele und Körper: „die Falte“. Da zeigen sich Konturen der Materie, Gewebsschichten, Porenfelder. Zurechtgeschnittenes, Neugefrästes, frisch Gestaltetes und schon länger Bearbeitetes liegen als Projektionsfläche vor uns, laden dazu ein, persönliche Zugänge und Geschichten des Umgangs mit dem Alter, mit Idealen, der eigenen Vergangenheit, dem Selbst- und dem Fremdbild und ganz allgemein: dem Leben in der Bilderwelt zu imaginieren.

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