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4

Es war dunkel geworden. Laura saß immer noch an ihrem Schreibtisch. Das grelle Licht des Monitors, die einzige Lichtquelle im Raum, schmerzte in ihren Augen. Sie knipste die Leselampe an und stützte den Kopf auf die Hände. Vor ihr stapelte sich ein Berg mit Rechnungen. Notar, Handelsregister, IHK, Kaution, Miete, Strom, Einrichtung, und, und, und.

Laura atmete tief durch, streckte ihren Rücken und sortierte die bearbeiteten Papiere auf einen separaten Haufen. Ein sachtes Klopfen an der Fenstertür ließ sie aufschrecken. Als sie das Gesicht ihrer lächelnden Freundin erkannte, riss sie erfreut die Tür auf.

„Bärbel.“

„Wusste ich doch, dass du noch fleißig bist. Aber du solltest es am ersten Tag nicht übertreiben. Komm, ich habe Sekt mitgebracht, wir stoßen auf deine Karriere und dein neues Leben an.“

Barbara zog eine Flasche aus ihrer großen Schultertasche und trat in Lauras Büro.

„Schön, dass du mich besuchen kommst. Setz dich, ich hole uns zwei Gläser.“

Als Laura ins Büro zurückkam, sah sie, dass ihre Freundin sich umsah und sie dann kritisch musterte.

„Was hast du mit deinen Haaren gemacht? Selbstkasteiung? Oder hast du eine Wette verloren?“

„Das ist praktischer.“ Laura presste die Lippen aufeinander.

„Praktischer? Wenn du meinst. Aber es geht dir gut, oder? Das Thema Hendrik ist endgültig abgeschlossen?“

„Klar. Sag mir lieber, wie du mein neues Reich findest?“

Barbara schaute Laura einen Augenblick prüfend an, dann entschloss sie sich, auf den Themenwechsel einzugehen.

„Sehr schön. Noch ein bisschen kahl, aber das ändert sich sicher bald. Mir gefällt der Schreibtisch. Sehr modern.“

„Vielen Dank. Ja, es ist noch viel zu tun. Aber ich muss jetzt erst mal Geld verdienen, sonst sind die Rücklagen schnell aufgezehrt. Heute ist es gut gelaufen. Ich habe den ersten Auftrag bekommen und einen Mitarbeiter gefunden.“

Die beiden nippten an ihrem Sekt, sie hatten die Sandalen abgestreift und die nackten Füße auf den Tisch gelegt. Eine angenehme Brise wehte durch die Terrassentür herein.

„Worum geht es in deinem Fall? Mord und Totschlag?“

„Natürlich nicht. Solche Aufträge nehme ich nicht an. Aber ich kann dir keine Details erzählen. Wenn ich in den Ruf komme, über meine Fälle zu reden, kann ich den Laden gleich wieder dichtmachen.“

„Ist klar. Obwohl, neugierig bin ich schon.“

„Das verstehe ich. Übrigens, hast du von dem toten Mädchen im Dornheckensee gelesen?“

„Ja, schrecklich. Ob sie aus Bonn stammt?“

„Wohl kaum, sonst hätte man sie doch längst identifiziert.“

„Wer weiß? Es gibt viele Illegale in der Stadt, die im Verborgenen leben. Wer ihr das wohl angetan hat?“

Laura zuckte die Schultern. „Ein Perverser. Sie werden ihn hoffentlich bald finden. Es ist ein unangenehmer Gedanke, ihn auf freiem Fuß zu wissen.“

„Das arme Mädchen.“ Barbara senkte den Kopf und fuhr mit dem Finger über den Rand des Glases. „Keinen interessiert es, wer sie war. Alles, was man von ihr in Erinnerung behalten wird, ist, was ihr Mörder ihr angetan hat.“

„Ja, Liebende werden durch den Tod getrennt, Opfer und Täter auf ewig miteinander verbunden. Das ist perfide.“

„Etwas pathetisch formuliert, aber leider richtig.“

Laura nickte und starrte nachdenklich auf ihr Glas. Schweigen breitete sich aus und lastete schwer wie eine Decke. Auf der Straße lachten ein paar Jugendliche, das brach den Bann.

„Jetzt lass uns nicht trübsinnig werden. Heute ist dein großer Tag, den sollten wir feiern. Erzähl mir von deinem Detektiv. Wie sieht er aus? Was für ein Typ ist er? Sag bitte nicht, dass du einen Rentner mit Bierbauch eingestellt hast.“

„Beworben haben sich jedenfalls genug. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, jemand Vernünftiges zu finden. Zum Glück hat sich Marek gemeldet. Seine Pensionierung ist noch in weiter Ferne. Allerdings scheint er eher ein Einzelgänger zu sein, der gerne seine eigenen Entscheidungen trifft.“

„Also ganz anders als du.“ Aus Barbaras Worten war die Ironie nicht zu überhören.

„Du hast ja recht.“ Laura lachte. „Ich bin auch nicht der geborene Teamworker. Aber wenn der Laden laufen soll, müssen wir zusammenarbeiten. Ich bin gespannt, ob es funktioniert.“

„Du machst dir zu viele Gedanken. Entspann dich, es wird schon klappen. Und wenn nicht, suchst du dir einfach einen anderen Detektiv. Sieht er gut aus? Wäre doch schön, wenn du mal wieder auf andere Gedanken kämest.“

„Was redest du da? Er ist sympathisch, aber irgendwelche emotionalen Geschichten sind das Letzte, woran ich zurzeit denke. Ich möchte die Agentur ans Laufen bringen. Alles andere ist sekundär.“ Sie holte tief Luft und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Außerdem glaube ich nicht, dass er der Typ für eine feste Beziehung ist.“

Barbara lachte laut auf. „Dann passt ihr gut zusammen. Du willst ja seit dem Desaster mit Hendrik auch keine feste Bindung mehr. Ich freue mich schon darauf, ihn kennenzulernen. So, meine Liebe, ich muss los.“

Sie sprang auf, schlüpfte in ihre Sandalen und schwang sich die reich verzierte Tasche über die Schulter. An der Verandatür drehte sie sich um.

„Ich kenne jemanden, der dich bei dem organisatorischen Kram unterstützen könnte. Eine junge Frau, eher der ungewöhnliche Typ, mit vielen nützlichen Fähigkeiten. Du kannst sie dir ja mal anschauen. Ich schicke sie dir morgen vorbei. Und lass deine Haare wieder wachsen.“

5

Marek verfolgte Koscewskij seit Stunden.

Nach dem Wutausbruch vor der Villa in Bad Honnef hatte Koscewskij sich in sein Auto gesetzt und war kreuz und quer durch die Gegend gefahren. Marek hatte den Eindruck, dass er sich erst klar werden musste, was er als Nächstes tun sollte. Schließlich fuhr er auf die Autobahn Richtung Köln und dreißig Minuten später stellte er sein Fahrzeug in der Parkgarage unter dem Dom ab.

Marek folgte ihm in die zwielichtigen Gässchen des Viertels hinter dem Hauptbahnhof. Eine Spelunke reihte sich an die andere, in dunklen Ecken wurden Drogen verkauft und Prostituierte boten ihre Dienste an. Koscewskij steuerte eine Kneipe an, schaute kurz in den Gastraum und setzte dann seinen Weg fort zur nächsten Schenke. Marek überlegte, ob er den Besitzer der Hochsicherheits-Villa suchte. Allerdings war es schwer vorstellbar, dass die Gestalten, die sich hier herumtrieben, solche Häuser besaßen.

Inzwischen waren sie bis zum finsteren Herz des Viertels vorgedrungen. Marek hatte Gerüchte gehört, dass dieser Ortsteil fest in krimineller Hand war und dass sogar die Polizei einen Bogen darum machte. Koscewskij schien das nicht zu stören. Ohne zu zögern, öffnete er die Tür der berüchtigtsten Kneipe der Stadt. Und dieses Mal kam er auch nicht gleich wieder heraus.

Marek seufzte, dann stürzte er sich in die Nacht.

IV. Polen, Ende April 1940

Es war sein Geburtstag. Er war dreizehn geworden, aber er fühlte sich schon lange wie ein Erwachsener. Von seinem Vater und von den Brüdern, die in den Krieg gezogen waren, hatten sie seit letztem September nichts mehr gehört. Er vermied es, darüber nachzudenken. Solange sie fort waren, kümmerte er sich um die Familie.

Es war das erste Mal, dass es an seinem Geburtstag keinen Kuchen gab. Seit die Deutschen einmarschiert waren, war es schwer, an Butter, Zucker oder Eier zu kommen. Mutter hatte deswegen geweint. Das war ihm peinlich gewesen. Er brauchte keinen Kuchen. Jetzt war Krieg, da musste man auf vieles verzichten.

Die Deutschen sind Bestien, sagte seine Mutter immer.

Es gab furchtbare Geschichten, die nur hinter vorgehaltener Hand erzählt wurden. Von Erschießungen im Wald und von Leuten, die zum Arbeiten nach Deutschland verschleppt wurden. Jeder ab vierzehn Jahre war verpflichtet, sich zur Arbeit zu melden. Doch seit es die Gerüchte gab, wie die Menschen behandelt wurden, ging die Angst um. Viele versuchten, unterzutauchen. Militärtrupps zogen durch die Straßen und jeder, der halbwegs arbeitsfähig aussah, wurde aufgegriffen und mitgenommen. Eigentlich glaubte er das alles nicht, es war einfach zu schrecklich, um wahr zu sein. Trotzdem ging er den Deutschen aus dem Weg. Ab und zu sah er sie in ihren Militärautos vorbeifahren, in schneidigen Uniformen und mit geradeaus gerichtetem Blick, viele mit den kleinen Schnurrbärten unter der Nase. Sie sahen aus wie echte Sieger, insgeheim wünschte er sich sogar manchmal, zu ihnen zu gehören.

Es war ein sonniger Tag und er war mit seiner Schwester Zula unterwegs. Sie hatte sich nicht abwimmeln lassen, an seinem Geburtstag hatte sie ihn unbedingt begleiten wollen. Obwohl sie Zwillinge waren, hatten sie an verschiedenen Tagen Geburtstag. Er war eine Viertelstunde vor Mitternacht geboren worden, sie eine halbe Stunde später am nächsten Tag. Der Frühling hatte die Landschaft mit zartem Grün überzogen, es wehte ein laues Lüftchen und endlich war es nicht mehr so kalt. Er hatte seine Wollstrümpfe heruntergerollt und fühlte die Sonne warm auf den nackten Beinen. Krieg, Angst und Hunger schienen weit weg zu sein.

Sie wanderten über die Wiese zum Waldrand und achteten darauf, dass sie von der Straße aus nicht gesehen werden konnten. Es war seine Idee gewesen, in den Wald zu gehen, um nach Kräutern zu suchen. Wenn es schon keinen Kuchen gab, sollte ihm seine Mutter wenigstens am Abend eine leckere Suppe zubereiten. Er war fest entschlossen, erst dann den Heimweg wieder anzutreten, wenn sie ihre Beutel gefüllt hatten. Zula hatte seine Hand genommen und je tiefer sie in den Wald vordrangen, umso ängstlicher drückte sie sie.

Plötzlich sahen sie das Reh.

Es stand ruhig auf einer Lichtung und schien sie nicht bemerkt zu haben. Aufgeregt hatte er Zula ein Zeichen gemacht, dass sie nur ja keinen Laut von sich gab. Fleisch hatten sie schon lange nicht mehr gegessen. Natürlich war es verboten, Tiere zu jagen. Das war den Deutschen vorbehalten. Aber der Hunger brachte die Menschen dazu, die Regeln zu missachten und zu wildern, auch wenn sie damit ihr Leben riskierten. Im Wald und in der Umgebung des Dorfes gab es deshalb kaum noch Wildtiere. Auch keine Hunde und Katzen. Aufgeregt stellte er sich vor, was seine Mutter sagen würde, wenn er einen solchen Braten mit nach Hause brächte. Sie würden genug zu essen haben für die nächsten Wochen. Aber wie konnte er das Reh fangen?

Das Verhängnis kam ohne Vorwarnung.

Später hatte er immer wieder darüber nachgedacht, ob etwas zu hören oder zu sehen gewesen war, was sie beide hätte warnen können. Aber er war zu sehr auf das Reh fixiert gewesen. Plötzlich hatte sich eine Hand in seine Schulter gekrallt. Eine Hand, die viel zu hart zugriff und die nicht mehr losließ. Sie waren wie erstarrt gewesen. Voller Panik hatten sie aufgeblickt und in eine rotbackige Fratze mit bösartigem Grinsen gesehen.

Der Rest war in seiner Erinnerung zu einem beängstigenden Chaos zusammengeschmolzen. Dunkel erinnerte er sich an den Transporter, in dem sich angstvoll schweigende Menschen gedrängt hatten. Seine Schwester war von ihm getrennt worden, er hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Dann stand er vor einem Schreibtisch mit spiegelblanker Oberfläche, dahinter ein dicker Offizier in Uniform, der in einem Register blätterte. Dessen Worte hatte er nicht verstanden, aber neben ihm hatte ein dünner Mann mit ausgefranstem Schnurrbart und schlechten Zähnen gesessen. Den hatte er verstanden.

„Du wolltest wohl wildern? Das ist ein schlimmes Verbrechen. Aber jetzt gehst du arbeiten. Bist schon groß genug. Wir schicken dich nach Deutschland.“

Er hatte verzweifelt gerufen, dass er noch zu jung war, erst dreizehn, keine vierzehn, aber als Antwort kam nur: „Bist groß genug.“

Immer wieder hatte er nach seiner Mutter gefragt, er müsse doch seine Sachen holen, sich verabschieden, sie mache sich doch Sorgen. Aber der Dünne hatte nur gelacht.

„Wir kümmern uns um alles.“

Als Nächstes erlebte er qualvolle Enge und wildes Gedränge, zuerst in einem umzäunten Hof, der in der Nacht taghell erleuchtet war, dann in einem stinkenden Viehwaggon. Hunger, Durst, Erschöpfung und Angst, Angst, Angst!

Irgendwann stand er in einer sternenklaren, kalten Nacht auf einem Bahnsteig in Deutschland, zusammen mit müden, eingeschüchterten Gestalten, umringt von schreienden Männern in Uniformen.

Als er auf die Jacke sah, die sie ihm gegeben hatten, leuchtete ihm ein lilafarbenes P auf einer gelben Raute entgegen.

V. Bad Godesberg, Dienstag, 5. August 2014
1

Laura saß seit einer halben Stunde am Computer und suchte nach Informationen über Koscewskij. Mehrfach war sie auf den Hinweis gestoßen, dass im Register des Heimatkundemuseums Unterlagen zu dem Namen zu finden seien. Dazu musste sie jedoch vor Ort recherchieren, da die Daten noch nicht digitalisiert waren. Laura machte sich eine Notiz.

Ob Marek etwas herausgefunden hatte? Nachdem Barbara gestern Abend gegangen war, hatte er kurz angerufen. Er war mitten in der Verfolgung von Koscewskij gewesen und hatte nicht viel sagen können. Seitdem hatte er sich nicht mehr gemeldet und Laura fragte sich, wann er wohl auftauchen würde.

Als es an der Tür klingelte, sprang sie auf, lief in den Vorraum und riss erwartungsvoll die Tür auf. Doch vor ihr stand nicht Marek, sondern eine junge Frau mit langen Haaren und dunklen Augen. Wie die meisten Mädchen heutzutage trug sie enge Jeans, T-Shirt und eine Hoody-Jacke.

Laura lächelte fragend. „Ja bitte?“

Das Mädchen sah sie prüfend an und sagte mit heiserer Stimme: „Guten Morgen. Barbara schickt mich. Sie meinte, ich könnte bei Ihnen ein Praktikum machen.“

Laura riss erstaunt die Augen auf, dann schaute sie sich das Mädchen genauer an. „Wie nett, dass Sie so früh vorbeikommen. Ich suche tatsächlich jemanden, der mich unterstützt. Aber vorher sollten wir uns unterhalten. Kommen Sie herein.“

Sie vertraute Barbaras Menschenkenntnis, doch sie wollte dem Mädchen selbst auf den Zahn fühlen. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war eine Praktikantin, die sie nur von der Arbeit abhielt.

„Mein Name ist Gilda Lambi, ich bin zwanzig Jahre alt.“

„Freut mich. Laura Peters, mir gehört die Detektei. Erzählen Sie mir etwas über sich. Welche Ausbildung haben Sie? Wo haben Sie bisher gearbeitet?“

„Gern.“ Die Stimme irritierte Laura, sie wollte so gar nicht zu dem anmutigen Wesen passen. „Ich habe meinen Realschulabschluss vor drei Jahren gemacht und danach meinen Eltern ein Jahr lang im Restaurant geholfen. Mit achtzehn bin ich von zu Hause ausgezogen und habe gejobbt als Verkäuferin, im Barservice, alles Mögliche. Letztes Jahr bin ich dann nach Ibiza gegangen und habe dort in den Strandklubs als Zumba-Trainerin gearbeitet. Das war nicht schlecht. Auch von der Kohle her. Aber mein Vater ist vor einem halben Jahr sehr krank geworden, deshalb bin ich nach Deutschland zurückgekommen. Ich wohne jetzt wieder bei meinen Eltern, gleich hier um die Ecke. Es wäre echt praktisch, wenn ich den Job bekäme.“

Laura war einen Augenblick sprachlos. Das war wohl eher das Gegenteil eines lückenlosen, geradlinigen Lebenslaufs. Konnte sie so ein Mädchen hier arbeiten lassen? Wer weiß, ob sie überhaupt regelmäßig kommen würde. Womöglich ließ sie noch etwas mitgehen. Laura hatte wenig Lust, ständig ihre Handtasche wegschließen zu müssen, nur weil sie Barbara einen Gefallen tun wollte. „Können Sie mit Computern umgehen?“

„Natürlich. Am Computer kann ich fast alles. Was Sie wollen. Auch hacken.“ Gilda sah Laura mit ihren großen Kinderaugen an, als könne sie kein Wässerchen trüben.

„Das wird wohl kaum nötig sein“, entgegnete Laura hastig. „Wir halten uns hier an die Gesetze. Haben Sie ihre Unterlagen dabei? Ich meine Zeugnisse und Lebenslauf?“

Gilda schüttelte den Kopf „Nein, die habe ich bisher nie gebraucht. Mein Zeugnis von der Realschule könnte ich Ihnen kopieren. Da steht aber nicht viel drin, meine Noten waren nicht sonderlich gut. Barbara meinte, das wäre ok für Sie, Sie wären da nicht so formal.“

Laura schluckte. Was war bloß mit Barbara los? Sie war doch sonst immer so vorsichtig, alles musste sie x-mal prüfen, immer musste alles korrekt sein. Und jetzt schickte sie ihr diese Streunerin und erwartete, dass sie ihr einen Job gab.

In diesem Augenblick klopfte es laut an der Tür und schon stand Marek mitten im Büro. Er trug dieselben Sachen wie gestern, Militärjacke und Jeans, war aber frisch rasiert. Also war er nicht nur die ganze Nacht hinter Koscewskij hergejagt, sondern hatte es auch irgendwann nach Hause geschafft.

„Komm doch herein“, sagte Laura trocken.

Marek zwinkerte ihr zu, er hatte den Wink verstanden. „Guten Morgen, die Damen. Störe ich?“

„Nein, bleib ruhig, dann kann ich euch gleich miteinander bekanntmachen. Das ist Gilda Lambi. Sie interessiert sich für eine Stelle bei uns. Gilda, das ist Marek Liebermann, er ist unser zweiter Detektiv.“

Die beiden musterten sich kurz, Marek zeigte dabei freundliches Interesse, das Mädchen scheue Zurückhaltung.

„Freut mich. Willkommen bei uns.“ Marek streckte ihr die Hand zur Begrüßung hin, zuckte aber zusammen, als sie mit ihrer rauen Stimme antwortete.

„Danke. Super, dass ich hier mitarbeiten kann. Ich stelle es mir unheimlich spannend vor.“

Laura, die das Kennenlernen der beiden amüsiert beobachtet hatte, schreckte auf. Sie hatte sich doch noch gar nicht entschieden. Aber Marek hatte viel Erfahrung in der Branche und bestimmt einen guten Blick für Menschen. Sie entschloss sich, seinem Urteil zu vertrauen.

„Also schön, Gilda. Wir fangen probeweise an, um zu sehen, wie es klappt. Dein Arbeitsplatz ist im Vorraum. Wenn du möchtest, kannst du heute anfangen.“

„Toll.“ Gilda freute sich sichtlich. „Ich muss allerdings vorher noch ein paar Sachen erledigen. Am besten düse ich gleich los, umso schneller bin ich zurück.“

Laura und Marek lachten über ihren Eifer und winkten ihr zum Abschied hinterher.

Laura drehte sich zu Marek um und sah ihn mit gespielter Strenge an. „Du warst etwas voreilig. Ich hatte mich noch gar nicht entschieden, sie einzustellen.“

Marek zuckte mit den Schultern. „Wirklich? Ich hatte den Eindruck, ihr wäret euch schon einig gewesen. Sie ist eine gute Wahl, sieht hübsch aus, das wird den Klienten gefallen. Dumm ist sie auch nicht und mit der Stimme wird sie sich überall durchsetzen.“

Laura lachte. „Ja, ihre Stimme ist bemerkenswert. Mit den Rehaugen sieht sie aus wie ein Engelchen, aber wenn sie den Mund aufmacht, ist der Eindruck wie weggeblasen. Probieren wir es mit ihr. Doch jetzt zu unserem Fall, hast du gestern etwas herausfinden können?“

Marek nickte. „Augenblick, ich hole mir schnell einen Kaffee, ich hatte noch kein Frühstück. Dann erzähle ich dir alles. Möchtest du auch einen?“

„Gute Idee, gerne.“

Kurz darauf saßen die beiden mit ihren dampfenden Tassen in Lauras Büro, Laura hinter dem Schreibtisch, Marek in einem Sessel davor.

„Vor welchem Haus hat Koscewskij randaliert? Hast du die Adresse?“

„Natürlich.“ Marek zog einen zerknitterten Zettel aus der Tasche, den er lässig auf den Tisch warf.

„Merkwürdig, dass niemand reagiert hat, obwohl er vor dem Tor herumbrüllte. Vielleicht war wirklich keiner zu Hause.“

„Doch, ich bin mir sicher, dass jemand da war. Vielleicht nicht die Besitzer der Villa, aber die Security-Typen waren auf dem Posten. Ich habe gesehen, wie sich die Kameras über dem Tor bewegt haben, die wurden manuell von drinnen gesteuert.“

„Warte, ich schaue im Computer nach, wer da wohnt.“ Laura tippte die Angaben von Mareks Zettel ein. „Wilhelm Hammerstein zu Wartenberg. Was für ein Name. Ich glaube, den habe ich schon mal gehört.“ Laura spielte nachdenklich mit ihrem Kuli herum. „Sagt dir der Name etwas?“

Marek schüttelte den Kopf.

„Macht nichts. Ich werde das recherchieren. Oder Barbara fragen. Die kennt Gott und die Welt.“

„Barbara?“ Marek hob fragend eine Augenbraue.

Laura lächelte leicht verlegen. „Meine Freundin. Sie hat uns Gilda geschickt. Ich weiß, wir sollten private Kontakte nicht in unsere Arbeit hineinziehen. Das bringt nur Ärger.“

„Das sehe ich anders. Informationen sind unser Geschäft. Es ist egal, woher sie kommen. Beziehungen hat man oder man hat sie nicht. Aber wenn man sie hat, sollte man sie auch nutzen.“

„Ok, ich rede mit ihr. Doch zurück zum gestrigen Abend, was hat Koscewskij im Bahnhofsviertel gesucht? Drogen?“

Marek zuckte die Schultern. „Das glaube ich nicht, die gab es da an jeder Straßenecke. Ich bin ihm kreuz und quer durch die miesesten Kneipen gefolgt. Meiner Meinung nach hat er nach einer Person Ausschau gehalten.“

Laura nippte an ihrem Kaffee, Marek betrachtete sie abwartend.

„Eigentlich kann es uns egal sein, warum er in Köln war. Wir müssen herausfinden, womit Koscewskij sein Geld verdient. Seine Geliebte haben wir auch noch nicht gefunden. Könntest du ihn weiter beschatten? Ich werde mich um die Internet-Recherchen kümmern, zum Beispiel möchte ich mehr über diesen Karl Wilhelm Von-und-Zu erfahren, vielleicht arbeitet Koscewskij für ihn.“

Marek deutete ironisch einen militärischen Gruß an. „Zu Befehl, Chefin. Ich melde mich von unterwegs.“

Laura lachte und scheuchte ihn mit einer Handbewegung aus ihrem Büro.

***

Wilhelm Hammerstein zu Wartenberg war ein bekannter Mann, die Suche im Internet ergab unzählige Fundstellen. Laura klickte zuerst durch die Bilder. Hammerstein war ein älteres Semester, immer noch attraktiv, mit scharf geschnittener Nase und kantigem Kinn. Er schien häufig Wohltätigkeitsveranstaltungen zu besuchen und dabei meistens im Mittelpunkt zu stehen. Jetzt wusste sie auch wieder, woher sie den Namen kannte. Die örtliche Tageszeitung berichtete gerne und regelmäßig über ihn. Dann schaute sie sich die Liste der Artikel an. Es waren vor allem Gesellschaftsnachrichten, die sie vorerst nicht interessierten. Dann fand sie einen Bericht über Hammerstein und seine Familie, der vor fünf Jahren erschienen war. Überrascht stellte Laura fest, dass er bereits 87 Jahre alt war.

Das hätte sie beim Betrachten der Fotos nicht gedacht, er wirkte so durchtrainiert und fit.

Überschwänglich lobte der Bericht Hammersteins Verdienste für das Allgemeinwohl. Er hatte Spenden in nennenswerter Höhe für alle möglichen Projekte aufgetrieben und eine beträchtliche Summe aus der eigenen Tasche für das Heimatkundemuseum gestiftet. Als Erbe einer erfolgreichen Unternehmerfamilie, die im 19. Jahrhundert die Wartenberg Gruppe gegründet hatte, konnte er sich das leisten. Die Tochterfirmen der Wartenberg Holding hatten Steinabbau und Metallverarbeitung betrieben und vielen Menschen in der Bonner Region Arbeit und eine Lebensgrundlage gegeben. Wilhelm Hammerstein Wartenberg hatte sich vor fünfzehn Jahren aus dem Wirtschaftsleben zurückgezogen, daraufhin war die Unternehmensgruppe umorganisiert worden. Er hielt zwar Anteile an den Firmen, persönlich widmete er sich aber nur noch gesellschaftlichen Aktivitäten und Projekten.

In einem Artikel, der als Homestory aufgezogen war, las Laura, dass Hammerstein viele Schicksalsschläge hatte hinnehmen müssen. Die Schwester, an der er sehr gehangen hatte, war früh ums Leben gekommen, seine Eltern wenige Jahre darauf gestorben. Er hatte spät geheiratet, mit über fünfzig. Seine Ehefrau war von zarter Konstitution gewesen und kurz nach der Geburt des einzigen Sohnes war er bereits zum Witwer geworden. Geheiratet hatte er nicht wieder. Der schwärmerisch-schmalzige Ton, in dem der Beitrag geschrieben war, ging Laura zunehmend auf die Nerven.

Am Ende des Textes gab es ein Foto von der Familie. Laura zoomte das Bild näher, um Hammersteins Frau zu betrachten. Sie war sehr schmal und das schlichte, teuer aussehende Kleid hing an ihr wie ein trauriges Fähnchen. Ein Lächeln hatte sie kaum zustande gebracht. Hammerstein wirkte neben ihr geradezu aggressiv männlich. Mit leichtem Widerwillen betrachtete Laura die Gutsherrenpose mit herrisch vorgeschobenem Kinn und in die Hüfte gestütztem Arm. Den anderen Arm hatte er besitzergreifend um seine zarte Frau gelegt, die unter dem Gewicht fast zusammenzubrechen schien. Vor den beiden stand ein Junge von zehn oder zwölf Jahren, unverkennbar der Sohn.

Von wegen ‚die Frau ist kurz nach der Geburt des Sohnes gestorben', dafür ist der Junge aber ziemlich groß.

Es ärgerte Laura, wenn ein Journalist einfach alles niederschrieb, was ihm erzählt wurde, ohne nachzuprüfen, ob es plausibel war. Sie sah nach: Eine Frau hatte den Artikel geschrieben. Vermutlich hatte sie Hammerstein angeschwärmt und sich bei ihm beliebt machen wollen. Warum ließen sich manche Frauen nur so leicht ausnutzen? Aber sie war ja nicht besser gewesen. Was hatte sie für Purzelbäume veranstaltet, nur um Hendrik zu gefallen. Scham brandete in ihr auf.

Bloß nicht daran denken, sonst war der Tag gelaufen.

399
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9783738046922
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