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Читать книгу: «Der sechste Sinn», страница 2

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Zwei Rechtsgelehrte

Die Vorstellung, die die Allgemeinheit in der Regel mit einem Kriminalassessor verbindet, ist wohl folgende: ein dürrer, infolge seines geringen Gehaltes etwas schäbig aussehender älterer Herr, dessen Sprache bissig und spitz, dessen Augen kurzsichtig aber böse, dessen Wesen schroff und abweisend ist, und der überhaupt der Inbegriff alles Menschenfeindlichen und Unangenehmen ist. Die Vorstellung war in alten Tagen kaum ganz unberechtigt, aber es sind neue Zeiten gekommen, und die große internationale kriminalistische Bewegung hat das Kriminal- und Polizeigericht ganz umgewandelt. Humanität ist die Losung des Gerichtes, sein Ziel die Welt zu verbessern und zugleich die Bürger gegen die Verbrecher zu schützen, seine Mittel sind freundliche Behandlung und Entfaltung von Klugheit und Scharfsinn, unterstützt von internationalem Wissen; in Wirklichkeit fehlen den Assessoren des Gerichts nur die weißen Flügel, um für Gottes Engel eintreten zu können.

Jedenfalls gibt es Leute, die das meinen.

Und zugleich hat sich der Typus in Aussehen und Lebensweise geändert. Ein Kriminalassessor ist ein untadelig gekleideter Herr, der zur besten Gesellschaft der Stadt gehört, bei Premieren im Theater zu sehen ist, an dem geistigen Leben in dessen Zentrum teilnimmt und aus ehrlichem Willen danach strebt, ein hervorragender und repräsentativer Bürger in einer hochkultivierten Gesellschaft zu sein.

Jedenfalls gibt es einige, die das meinen.

Zu diesen gehörte Dr. juris Kriminalassessor Thomas Klem. Schlank, elegant, ein Jon Chamberlain mit Monokel und ultramodernem Anzug, ein gewandter Causeur, ein vortrefflicher Tennisspieler, ausgezeichneter Turner und Schwimmer. Dunkel, über Mittelgröße mit leicht gelichtetem Haar und 35 Jahr alt, ein Mann mit Sinn für das Schöne id est schöne Frauen, schöne Kunst, prächtige Landschaften und gute Pferde und für das Gute id est französische Küche, guten Wein und gute Zigarren sowie alles andere Gute.

Das wäre ungefähr das Signalement.

Sohn eines Obergerichtsprokurators, selbst von Geburt an zum Juristen bestimmt, Kandidat mit der ersten Note, ein paar Jahre im Justizministerium verbunden mit Tätigkeit bei einem Anwalt des höchsten Gerichtshofes, dann freiwilliger Protokollführer im Kriminalgericht, Dr. juris auf Grund einer Untersuchung über Straf- und Zurechnungsfähigkeit und schließlich mit 30 Jahren Assessor in dem vorhin erwähnten von flügellosen Engeln gebildeten Rechtskollegium.

Das wären die biographischen Daten.

Im übrigen Junggeselle aus Zwang von wegen Fehlens jeglichen Vermögens und ernstlich verliebt in Gutsbesitzer Busgaards älteste Tochter, die sanfte häusliche Martine Luthera, genannt Tine.

Diese Aufschlüsse mögen genügen.

Thomas Klem saß in seiner wohleingerichteten Junggesellenwohnung in der Störresöstraße und beschäftigte sich mit seinen Studien über moderne Kriminalogie, als es an der Tür klingelte und sein Hausfaktotum Fräulein Petersen ihm ein Telegramm folgenden Inhaltes überbrachte:

2500 Kronen aus Onkels Sekretär gestohlen; verstehe nichts. Komme sofort.        Tante Mus.

Thomas drehte sich nach seiner Hausdame herum und sagte diese wenigen Worte: »Fräulein Petersen, ich reise morgen nach Braendholt und bleibe bis nach Weihnachten fort.«

Fräulein Petersen sagte nichts, aber sie wurde blaßgrün im Gesicht. Fräulein Petersen wußte, daß Braendholt Tine bedeutete und daß Tine eine Annonce, die sie selbst bezahlen mußte von folgendem Inhalt bedeutete: Eine gebildete Dame, die gewohnt ist einem vornehmen Hause vorzustehen, sucht Stellung bei einem alleinstehenden Herrn, der usw. . . .

Fräulein Petersen wußte auch, daß dies unvermeidlich war, aber sie hoffte zäh, daß es sich recht lange hinaus ziehen möchte. Sie schloß Onkel Busgaard in ihre Gebete ein, obgleich sie diesen älteren Capulet nie gesehen hatte; sie flehte, daß er fest bleiben möchte in seinem Widerstand gegen das Glück ihres Romeo und ihr graute vor der Stunde, die kommen mußte.

Wir wollen uns nicht mit Fräulein Petersen beschäftigen; wir haben genug mit vielen andern zu tun; wir wollen nur notieren und begreifen, daß ein Weihnachten mit der Geliebten unter einem Dach verbracht eine Gefahr war, die nicht überschätzt werden konnte, mehr als das, daß es der Abschluß war mit solcher Gewißheit, wie menschliche Berechnungen sie überhaupt erreichen können.

Thomas Klem war froh wie ein Vöglein, das die Sonne bescheint; er dachte nicht an die 2500 Kronen, nicht an den Diebstahl, nicht an Onkel Busgaard und ganz und gar nicht an Fräulein Petersen. Er suchte um Urlaub nach, den er erhielt, und packte seinen Koffer. Und im übrigen dachte er an Tine, an Martine Luthera und dann noch einmal an Tine, seine Tine – unsre Tine – – –

»Der Zug hält nicht vor Roskilde!« Plautz! die Tür schlug zu, und Assessor Klem streckte die Beine von sich. Außer ihm war nur noch ein Reisender im Kupee und dieser saß versunken in das Studium einer Monatsschrift.

Es war ein Mann von ungefähr 55 Jahren, lang, mager mit einer großen graugesprenkelten Künstlermähne und einem eigentümlichen Gesicht, wie man es kennt von den Bildern der Herren Mendelssohn, Beethoven, Haydn, Liszt und anderer Herren aus dem Reiche der Töne, einem interessanten, etwas menschenfernen, aber trotzdem gütigen Gesicht, bartlos, markiert und außerordentlich anziehend.

Der Mann war Däne, denn die Zeitschrift war dänisch, und Thomas kam es vor, als kennte er das Gesicht. Die Zeitschrift war die »Wochenschrift für Rechtswesen«, von der anzunehmen war, daß nur Juristen sie lasen. Der Mann sah aus wie ein Kanzleibeamter von einem älteren Jahrgang, einem Jahrgang, der vor dem lag, welcher Kriminalassessoren zu Engeln machte.

Und Thomas kannte ihn, aber der Name – der Name!

Der andere kannte ihn ebenfalls. Sie betrachteten einander eine Weile, dann lächelte der ältere Herr und sagte freundlich: »Ich weiß, woran Sie denken, Assessor Klem!«

Thomas beugte sich vor und sah ein wenig betreten aus. Wenn der ältere Herr ihn kannte, so war es ein Fehler, daß er nicht wußte, wer es war, der ihm gegenüber saß.

Der ältere Herr fuhr fort: »Ich bin Kreisrichter Heiden aus dem Kreise Leire. Sie kennen mich nicht, aber ich kenne Sie – ganz Sevilla kennt Don Bartholo.«

Der Kreisrichter lachte.

»Aha,« sagte Thomas, »so reisen wir vermutlich nach derselben Station. Ich fahre nach Braendholt zu meinem Onkel, dem Gutsbesitzer Busgaard.«

In dem Augenblicke fiel es Thomas ein, daß es nicht ganz klug von ihm war, dies zu sagen. Denn Kreisrichter Heiden war die Obrigkeit des Ortes, der Gerichtsbeamte, dem es gesetzlich oblag, nach dem Urheber des Diebstahls zu forschen. Und wenn man jetzt nach ihm, Thomas, telegraphiert hatte, so mußte es sein, weil man zu der lokalen Obrigkeit nicht das richtige Vertrauen hatte. Das konnte diesem durchaus nicht angenehm sein, und es galt jetzt den Zweck der Reise zu verbergen.

Der Kreisrichter schien Thomas Gedanken zu erraten; er lächelte ihm freundlich zu.

»Ja, Herr Assessor,« sagte er, »wir werden sicher in den kommenden Tagen zusammentreffen. Ich erhielt gestern die Mitteilung von einem Diebstahl, der bei Ihrem Onkel in Braendholt begangen ist, einem bedeutenden Diebstahl von barem Geld, von 2500 Kronen. Ich reise nach Hause, um ungesäumt Untersuchungen anzustellen, und ich kann nur sagen, daß ich mich außerordentlich freue, mit Ihnen zusammen zu arbeiten. Also wenn Sie geglaubt haben, Sie würden hier draußen Ferien genießen, so müssen Sie Ihren Glauben ändern.«

Und der Kreisrichter lachte mit einem stillen glucksenden Lachen.

Das ist ein vernünftiger Mann, dachte Thomas. Die Gerichtsbeamten auf dem Lande haben auf Grund gewisser Naturverhältnisse, die man ohne nähere Erklärung begreifen wird, nicht mit den Richtern der Hauptstadt Schritt halten können. Es fehlen ihnen mit anderen Worten mehr als die Flügel, und es ist sehr gewöhnlich, daß so ein Handhaber der Gerechtigkeit vom Lande oder aus einer Kleinstadt mit unglaublichem Eifer darüber wacht, daß kein Fremder einen Einblick erhält, auf welche Weise er sein kleines abgegrenztes Arbeitsfeld verwaltet. Die höheren Instanzen sind seine Feinde, die er ertragen muß; er findet sich in sie, beugt sich vor ihnen, aber kritisiert sie scharf, wenn sie seine Urteile nicht bestätigen. Er ist nach Lage der Dinge ein kleiner Herr in seiner Welt, und diese Herrenstellung erfüllt ihn mit Selbstgefühl, steift ihm den Rücken, und läßt ihm sein Bäuchlein mit Würde unter der goldgestickten Weste tragen.

So war also Kreisrichter Heiden nicht.

Das muß einen Grund haben, dachte Thomas und mit dem den Menschen innewohnenden Hang selbst die angenehmsten Phänomene als Ausfluß dieser oder jener Schwäche zu erklären, spekulierte er darüber, was es sein könnte, was den Kreisrichter Heiden veranlaßt, statt sein Territorium zu verteidigen, seine Jagdgründe fremden Jägern zu öffnen, obendrein einem Sonntagsjäger aus dem im übrigen Lande mit zweifelhaftem Recht so wenig populären Kopenhagen.

Unterdessen saß Kreisrichter Heiden da und lächelte ihn mit einem eigentümlichen, ruhigen, harmonischen Lächeln an, wie es nur die Menschen haben, deren Reich in des Wortes schönster Bedeutung nicht von dieser Welt ist, ein Lächeln, das aufleuchtet im Gesicht stark religiöser Individuen, oder bei Leuten mit ausgesprochener musikalischer oder dichterischer Begabung.

Der Kreisrichter las Thomas' Gedanken: »Ich bin nicht ehrgeizig,« sagte er freundlich. »Das hatten Sie vielleicht angenommen?«

Er ist nicht dumm, dachte Thomas. Er hatte schon früher Richter aus ländlichen Distrikten getroffen und diese waren bis zum Rande mit Selbstvertrauen geladen gewesen, das seinen notwendigen Abfluß in Berichten über vortreffliche Leistungen in der Handhabung des Rechtes fand. Dieser hier war also von einem andern Typus, und dies sei ohne Bosheit mit dem Recht der Wahrheit gesagt, ein Gerichtsbeamter von einem »anderen« Typus als dem autorisierten, besitzt Möglichkeiten zum Guten.

So meinte wenigstens Thomas! Er lachte freundlich.

»Herr Kreisrichter,« sagte er, »ich bin Grossist in der Branche. Beim Kriminalgericht wird unser junger Ehrgeiz nur spärlich von dem mütterlichen Staat gelohnt, dafür, daß wir uns mit 10000 jährlichen Diebstählen von beweglichen Gegenständen im Durchschnittswert von 10 Öre beschäftigen, begangen von ein paar hundert hoffnungsvollen Typen vom Schlage Christian Westerbro, von denen die älteren Jahrgänge durch die staatliche Besserungsanstalt nicht gebessert werden können und die jüngeren Jahrgänge durch dieselben Anstalten unweigerlich verschlechtert werden. Bedenkliches Umgehen mit dem Gute des Nächsten hat für mich das Interesse der Neuheit verloren; man wird stumpf und erkennt seine Ohnmacht. Ich behandle allmählich alle Fälle geschäftsmäßig, wie einlaufende Briefe, die von der Polizei sortiert, vom Gericht eingetragen und von mir in meiner Geschäftszeit erledigt werden. Bisweilen vergesse ich ganz, daß meine Objekte auf zwei Beinen herumlaufen und auf kopenhagnerisch fluchen; ich leugne nicht, daß es mir konveniert, meine Objekte als Sachen zu betrachten.«

»Wie gesagt, ich bin in einem Engros-Geschäft angestellt und da lernt man mechanisch arbeiten.«

Der Kreisrichter nickte. »Ich verstehe Sie. Ich treibe ein Detailgeschäft; ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich nicht weiter energisch daran arbeite, das Geschäft zu erweitern, und da ich nur kurz dabei gewesen bin, es ist nur wenige Monate her, daß ich mein ruhiges Dasein im Kultusministerium mit meiner – nun ja – ebenso ruhigen Stellung in Leire vertauschte, so glaube ich, daß Sie, der Sie, wie Sie selber sagen, Grossist im Fach sind, mir hier helfen können, wo es sich um einen, das Gewöhnliche etwas übersteigenden Betrag handelt und wo ich eingreifen muß

Der Kreisrichter sah seinem Mitreisenden freundlich in die Augen. »Ich will ihnen nämlich eins sagen, Verehrtester, eine 20jährige Arbeit in einer königlich dänischen Kanzlei hat mich gelehrt, mich nie mit einer Arbeit anzustrengen, die ein anderer für mich ausführen kann.«

»Aha,« sagte Thomas.

Der andere fuhr fort: »Ihr Onkel hat selbstverständlich nach Ihnen geschickt, weil er meinem Können nicht traut. Machen Sie sich darüber keine Gedanken, lieber Assessor. Ich kann nicht verlangen, daß die Leute eine bessere Meinung von mir haben als ich selber. Ich räume den Platz – und das soll uns nicht entzweien.«

»Ich bin stolz, aber nicht hochmütig,« sagte Thomas. Entweder ist der Mann recht anständig, oder er ist ein Idiot, dachte er. Kreisrichter Heiden konnte seinem Aussehen nach das eine wie das andere sein.

Sie glitten an Vridslöselille vorüber. »Da liegt Brasen,« sagte der Kreisrichter mit wehmütigem Lächeln. »Der vierflügelige Stern erinnert mich immer an eine Kaffeemühle, wo viel dänische Jugend zu unnützem Sägemehl zermahlen wird. Traurig ist es und traurig bleibt es. Hier saust ein Zug nach dem andern vorbei und da sitzen sie drinnen und horchen. Die Tage gehen und die Nächte kommen, die Sonne scheint und der Wind heult. – Volk stirbt und Vieh stirbt, und die Mühle mahlt weiter Großes und Kleines, Taugliches und Untaugliches, das muß so sein und ist so und müßte doch anders sein, aber es ist hoffnungslos. Auf mich wirkt ein Gefängnis immer wie ein Kirchhof, wo Tote umgehen. Ich will Ihnen nämlich sagen, ich liebe die Menschen!«

Thomas sah auf, ein leichtes Staunen, eine höfliche Verwunderung stand auf seinem Gesicht geschrieben. Es war doch ein schnurriger Geselle, dieser Kreisrichter.

Der Kreisrichter lächelte wieder. »Ich schulde den Menschen das, was meinem Leben Inhalt gibt: Ich bin Musiker – leidenschaftlicher Violinspieler – und daher stehe ich in Schuld bei den verstorbenen Meistern. »Ich denke Musik – verstehn Sie –«

Thomas schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin absolut unmusikalisch. Ob man Töne auf den Därmen einer toten Katze hervorbringt, oder ob dasselbe Geschöpf Töne hervorbringt, wenn man es kräftig in den Schwanz kneift, ist für mich ganz derselbe Genuß.«

»Schade,« sagte der Kreisrichter – »schade! Es ist so wenig Reichtum unter den Menschenkindern, daß es traurig ist, wenn man sich auch nur etwas von dem Vorhandenen rauben läßt. Und Harmonie ist ein Reichtum – ein geistiger Reichtum.«

»Mag sein,« wandte Thomas ein, – »aber ich bin sehr unmoralischen Individuen im Musikerfach begegnet. Wahrhaftig die größten Musikgenies sind oft moralisch sehr wenig wertvolle Menschen gewesen. Das habe ich jedenfalls gelesen, und ich bin von vornherein geneigt, es zu glauben.«

»Ich will es nicht bestreiten,« sagte der Kreisrichter. »Die moralische Wertung ist eine eigene Sache, und es ist nur unter dem Gesichtswinkel der Selbsterhaltung, daß sich bestimmte Kategorien für gut und böse aufstellen lassen. Ich liebe die Musik und für mich ist Musik ein absolut Gutes. Tolstoi betrachtet die Musik als den breiten Weg zu den Pforten der Hölle, das heißt Ursache und Wirkung umkehren. Ein Diebsgeselle, der vortrefflich Haydn spielt, ist mir als Mensch mehr wert als einer der ›König Christian‹ falsch singt. Ich würde einen Wagner laufen lassen und wenn er einen Massenmord begangen hätte, das ist meine Schwäche.«

»Jeder hat seine,« erwiderte Thomas und zündete sich eine Zigarre an. Der gute Kreisrichter verlor sich ein bischen zu viel in allgemeine Betrachtungen, und Thomas war in hohem Grade ein Freund des Konkreten. Aber er war höflich und wenn ein Gespräch ihn nicht interessierte, ließ er den Betreffenden ruhig weitersprechen.

Der Kreisrichter schwieg indessen.

Thomas rauchte in Ruhe seine Zigarre.

»Haben Sie die gemeinsame Arbeit aufgegeben?« sagte er endlich mit einem leichten Lächeln. – »Ich kann Ihnen nicht versprechen, daß ich die Nachforschung nach Onkel Busgaards Dieb wegen Violine und Klavier aufschieben werde; das ist nun einmal nicht meine Arbeitsmethode, aber ich glaube doch, daß wir auch ohne Musik ein Resultat erreichen. Onkel ist ein leidenschaftlicher Musikant, und wenn die Herren das Orchestrale übernehmen wollen, so werde ich meinerseits den minder lyrischen Teil der Arbeit besorgen. Ist es Ihnen nicht so am liebsten, Herr Kreisrichter?«

Der Kreisrichter nickte. »Ich schulde Ihnen eine Erklärung, Herr Assessor,« sagte er, »und die sollen Sie haben, da die blinde Vorsehung uns nun einmal zusammengeführt hat. Ich lebe für meine Musik, aber ich muß eine Tretmühle für meinen Körper haben. Sie könnten mich dazu anstellen, die Buchstaben in der Berlingschen Abendzeitung zu zählen, wenn es nur etwas wäre, was täglich zu erledigen wäre. Ich muß eine Mühle treten, und nun bin ich in diese hineingeglitten. Ich trete meine Mühle; manche finden, ich tue es respektabel, andere meinen, es könnte besser sein. Ich selber trete nur, und wenn die Mühle steht, nehme ich meine Violine und spanne eine Brücke zwischen mir und dem Ewigen; auf der steigen meine Seele und meine Gedanken hinauf zu dem, was für mich der Sinn des Ganzen ist.

Das verstehen Sie nicht, weil Sie wohl nicht Künstler sind! Ich will nicht behaupten, daß ich es selber verstehe, doch so ist es, und so ist es gut und segensreich. – Ja, ich bin eine wunderliche Schnecke; aber ich werde nun einmal nicht mehr anders, und wäre ich nicht zufällig Kreisrichter in Leire, würde ich Sie wahrhaftig nicht mit meiner geistigen Einrichtung beschwert haben. Dazu bin ich nun genötigt. Ich trete meine Mühle und Sie werden erfahren, daß ich es ruhig und einigermaßen geschickt tue, aber wenn Sie forsch vorgehen wollen, wie es vermutlich Ihre Absicht ist, so ist es am besten, Sie wissen dies vorher, sonst gerate ich vielleicht mit den Zehen ins Rad und dann dreht sich die Mühle bekanntlich nicht.«

Dazu war nichts zu sagen, und als verständiger Mann, der Thomas war, sagte er auch nichts.

Die beiden erreichten Roskilde ohne ein einziges Wort über den Diebstahl auf Braendholt gewechselt zu haben. Und aus diesem Umstand hat der Leser wirklich Grund zu vermuten, daß die beiden Herren ihm noch Überraschungen bieten werden. – Was auch von ihnen erwartet wird.

Häusliche Szenen

Gutsbesitzer Busgaard meldete den Diebstahl schriftlich bei dem Gericht in Leire und unternahm sonst keine Schritte. Wohl wütete er zunächst gewaltig, aber da das Geld fort war und nicht wiederkam, wieviel er auch wütete, so beschloß er in muhammedanischer Art alle Verantwortung auf die Obrigkeit zu wälzen, in der sicheren Vertröstung, daß sie nichts ausrichten würde. Wir wollen mit ihm nicht ins Gericht gehen, wegen seines mangelnden Zutrauens. Das Telegramm an Thomas war hinter seinem Rücken abgesandt worden. Das war ein kluger Schritt, aber ein Schritt, der vorbereitet werden mußte. Und dieser Vorbereitung sollen wir nun beiwohnen.

Die Szene ist idyllisch. Mittwoch Morgen auf Braendholt um 9 Uhr. Die Familie, die wir also kennen, ist im Wohnzimmer versammelt und der Hausherr und Ingenieur Willumsen spielen eine Sonate. Die übrige Familie hört zu. Die Mädchen arbeiten in Speisekammer und Küche und draußen in Scheunen und Ställen wird gewirtschaftet. Arthur Franck ist noch nicht aufgestanden, er liegt unter dem steinharten Federbett des Waldhüters und schnarcht.

Wir lassen ihn liegen und werfen einen Blick in die Busgaardsche Wohnstube, wo die blanken Mahagonimöbel glänzen und die weißen Dielen um die Wette mit Gardinen und Sofadeckchen leuchten.

Wir beschreiben das Idyll:

Und während die starken braunen Finger des Ingenieurs über die weißen und schwarzen Tasten hinspielten, glitt Onkel Bus auf den Flügeln der Töne empor zu höheren Sphären, dort wo immer Musik gemacht wird.

Die Sonne schien auf den Schnee draußen und warf weiße Reflexe gegen das Fenster, wo Monny stand, träumend den Kopf gegen das kalte Glas gelehnt, während sie hinausspähte zwischen den Bäumen hindurch nach dem Waldhüterhaus drüben auf dem Hügel am Waldrande, wo der schiefe niedrige Schornstein Ringe gegen den blauen Himmel emporblies. Und die Sonnenstrahlen glitten über ihr braungelocktes Haupt, streiften Tines rote Wangen, wirrten sich aus den hellen aschblonden Locken heraus und blieben ruhig auf der weißen Haube von Tante Mus liegen, die am Ende des Tisches saß und die fleißigen Finger mit großen gelben Stricknadeln arbeiten ließ, während ihre lieben mütterlichen Augen auf Tyr und Tut ruhten, die sich unter dem Tisch mit freundschaftlichen Fußtritten bedachten.

Wie – hätte irgend ein Schriftsteller im indianischen Sommer das schöner machen können.

»Monny komm her und wende für Ingenieur Willumsen die Seiten um,« erklang Busgaards Stimme oben von den Sphären herab. Monny zögerte.

»Monny, Dein Vater rief,« ließ sich die milde Stimme der Mutter vernehmen.

Und Monny ging langsam durchs Zimmer, während das Cello mit seinen tiefsten, sanftesten Flötentönen lockte, und es unter Willumsens Händen pianissimo wie Silberglöckchen läutete.

Das Blatt wurde umgewendet und Monny ging finster und oppositionell zum Fenster und zu ihren Träumen zurück.

Das Cello flötete so wehmütig und die Glocken klangen so schelmisch – da knarrte plötzlich die Tür – und ging ganz langsam auf, während Onkel Bus Ruhe gebietend den Kopf schüttelte.

Es war Klemmesen.

Er brachte Neuigkeiten – und die trieben ihn vorwärts, aber die Abwehr seines Herrn lähmte seinen Schritt; er blieb stehen und drehte den Kopf, bald nach rechts, bald nach links, trat von einem Fuß auf den anderen, geriet dann unter die Macht des Cello und begann mit dem Kopf den Takt zu schlagen, während die Neuigkeit ihm auf den Lippen brannte.

Die Hausfrau beugte sich zu ihm.

»Was gibt's, Klemmesen?«

Da kam es heraus – leise flüsternd, tuschelnd aber fest und deutlich.

»Du guter Gott, Bus« – die Frau fuhr in die Höhe – »Klemmesen sagt, daß Sau Nr. 16 Ferkel bekommt und sie ebenso schnell auffrißt wie sie kommen . . .«

Ratsch – Die Musik brach ab, und Busgaard fuhr in die Höhe.

»Was sagst Du, Mutter? – Monny, Tine nimm das Instrument – da mag der Teufel Landmann sein.«

Das Violoncell fiel in Tines Schoß, Monny verwickelte sich mit den Füßen in Mutters Garnknäueln, und Tyr und Tut hüpften von ihren Stühlen. Aus der Idylle wurde ein Wirrwarr, der nur kinematographisch wiederzugeben ist.

»Warum zum Teufel« – »Bus,« tönte es ermahnend von den Lippen der Hausfrau.

»Warum sagten Sie das nicht gleich? – Sie Leithammel, Idiot, Oberjütländer . . .«

»Der Herr Gutsbesitzer spielten so herrlich,« sagte der Verwalter und legte den Kopf auf die Schulter.

Busgaard zog die Hosen hinauf und stampfte sich Zirkulation in die Beine: »Danke schön, aber wenn bei jedem Takt ein Saugferkel darauf geht, so wird es weiß Gott eine etwas zu teure Sonate. – Kommen Sie . . .«

Und Busgaard schnurrte herum wie ein Kreisel.

Tyr und Tut im Chor: »Ach Vater, dürfen wir mitkommen?«

Seid ihr verrückt, Jungens, erscholl Vaters Stimme; aber Tyr blieb dabei:

»Es ist so hübsch zu sehen, wenn eine Sau Ferkel kriegt. – Dürfen wir nicht, Mutter?« Und ehe die Frage beantwortet war, eilten Busgaard, Klemmesen und die beiden Knaben zur Tür hinaus nach den Gegenden wo es duftet, und wo eine Sau lebendige Junge bekam.

Tine lächelte und Monny wandte sich an den Ingenieur.

»Wollen Sie nicht mit hinaus und das ländliche Schauspiel betrachten, Herr Willumsen?«

Augenblicklich flog der Ball zurück: »Ja, wenn die Damen meinen –.«

Tines Lächeln löste sich in Lachen auf und Monny warf den Kopf in den Nacken. Frau Busgaard beschwichtigte freundlich. Es amüsierte sie, Monnys kleine Attacken auf den Ingenieur zu beobachten. Sie verstand sie nicht ganz, sie konnten das eine oder das andere bedeuten. Und daß sie Arthur Franck bedeuteten, wußte die zärtliche Mutter so nicht. Zärtliche Mütter wissen nicht alles, und brauchen vielleicht auch nicht alles zu wissen.

Willumsen hatte seine Ahnungen und war im Begriff, seine Vortruppen zu einem kleinen Vorstoß zu ordnen.

»Fräulein Monny,« sagte er äußerst freundlich, »machen Sie nicht einen kleinen Spaziergang bei dem herrlichen Wetter?«

Monny warf den Kopf zurück und sagte spitz: »Nein, danke.«

»Ich glaube, ich tue es,« sagte der Ingenieur darauf. »Ich bin nicht wie Sie, Fräulein Monny, die am liebsten lange Spaziergänge allein macht.«

»Geniert Sie das?« tönte es wie eine Aufforderung zum Kampf.

»Nur insofern, als ich Wert darauf legen würde, dabei zu sein,« erwiderte der Ingenieur und fügte hinzu: »sehr großen Wert.«

Monny sah ihn groß an: »danke, dann bleibe ich lieber zu Hause.«

Jetzt kam der erste scharfe Schuß: »Man sollte meinen, Sie gingen zum Stelldichein.«

Monny richtete sich empor, schritt durchs Zimmer, stemmte die Hände in die Seiten und blieb mitten vor ihrem Feinde stehen: »Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten, unverschämter Mensch!«

»Aber Monny!« erscholl es im Chor von Mutter und Schwester. Doch Monny ging stolz und hochaufgerichtet wie Carmen im ersten Akt durchs Zimmer und verschwand durch die Eßzimmertür.

Willumsen sah ihr lange nach, und sagte dann zu Tine gewandt: »Sie kann mich gewiß nicht recht leiden.«

Tine lachte. »Das scheint so.«

»Ist sie in einen anderen verliebt?« fragte Willumsen prüfend.

»Nicht daß ich wüßte,« antwortete Tine. »Glaubst Du wohl, Mutter?«

»Nein, da garantiere ich dafür,« sagte Frau Busgaard und legte das Strickzeug beiseite. »Machen Sie sich nichts daraus, Herr Ingenieur. Monny ist ein Kind. Sie ist ein wenig eigen. Sie meint es gut.«

Willumsen lächelte. »Mit mir meint sie es jedenfalls ehrlich. Und Ihr Mann ist vielleicht auch zu freundlich gegen mich.«

Frau Busgaard nickte. – »Wir nehmen das zweite Frühstück heute etwas zeitiger. Der Wagen ist nach der Stadt, meinen Neffen abzuholen. Ich habe ihm telegraphiert, er kommt mit dem Morgenzug.«

Tine fuhr mit einem Ruck in die Höhe.

»Thomas kommt?«

»Es sollte eine Überraschung sein,« sagte Frau Busgaard freundlich. »Freust Du Dich darüber, Tine?«

Tines ganze Person sprach – nur ihr Mund schwieg.

Frau Busgaard erklärte: »Sie müssen wissen, Herr Ingenieur, daß ich kein rechtes Zutrauen zu unserem neuen Kreisrichter habe. Er wird die Diebesgeschichte kaum allein aufklären können, und mein Neffe ist ein wahres Wunder in dieser Richtung. Darum habe ich ihn gebeten, zu kommen. Ich habe meinem Mann nichts davon gesagt. Er kann Thomas Art nicht recht leiden. Aber wenn mein Neffe erst hier ist, wird er sich, meine ich, schon darein finden. Das Wichtigste ist ja, daß wir den Dieb finden. Meinen Sie nicht auch?«

Willumsen verneigte sich »Selbstverständlich. Nichts ist so häßlich wie der Argwohn, der sich unwillkürlich auf die Leute im Hause richtet. Aber ich glaube doch, Sie tun dem Kreisrichter unrecht. Heiden ist ein stiller Mann, eine Künstlernatur, aber er ist kein dummer Mann, und sein Amt versieht er gut.«

»Man sagt, es sei in den wenigen Monaten, die er hier ist, mehr gestohlen worden, als in der ganzen Amtszeit des vorigen Kreisrichters,« sagte Tine mit Nachdruck.

Willumsen lachte. – »Sie sind nicht unparteiisch, Fräulein Tine.«

Tine wurde rot. – »Ich verbitte mir . . .«

Und auch sie verließ mit ziemlich festen Schritten das Zimmer. Frau Busgaard drehte ihre Haubenbänder umeinander.

»Sie haben doch keinen rechten Stein im Brett bei den Mädchen, Herr Ingenieur,« sagte sie gutmütig. »Na, Tine und Thomas ziehen an einem Strang, und ich habe ihn lieb. Er ist der einzige Sohn meines einzigen Bruders, und Sie werden ihn auch schätzen lernen. Er hat eine scharfe Zunge, aber das Herz sitzt auf dem rechten Fleck. Und das tut der Kopf übrigens auch. Sie sollen sehen, wir werden Vergnügen an Thomas haben.«

»Ich freue mich auf ihn,« sagte der Ingenieur höflich. Das tat er eigentlich nicht; er hatte das Gefühl, als sollte er sich zu den Alten halten, bei den Jungen waren seine Chancen vorläufig nur gering.

Jetzt stürzte Tyr herein, beinahe ehe er die Tür geöffnet hatte.

»Mutter, Mutter, das war ein Spaß. Sowie die Ferkel kamen, fraß die Sau sie auf – wie bei der Katze, die du mir vorige Weihnachten in Kopenhagen gekauft hattest. Die kleinen Tiere gingen einfach durch das große durch.«

Und Tyr glänzte vor Freude und schwitzte vor Vergnügen über den praktischen Beitrag zur Fortpflanzungslehre, dem er draußen im Schweinestall beigewohnt hatte.

Nach ihm kam Busgaard. Er schwitzte auch und trocknete sich den Schweiß mit seinem großen rotgeblümten Taschentuch von der Stirn.

Und dann fluchte er: »Dieser Satans Viehknecht, dieser Tölpel, der Kerl ist ein kompletter Esel! Ich werfe ihn hinaus, ohne Lohn, augenblicklich.«

»Das tust Du nicht,« sagte Frau Busgaard beruhigend.

»Du meinst, dann rennt er gleich zum Kreisrichter und bekommt Recht, wie?«

Und Busgaard schwitzte stärker und trocknete sich die Stirn eifriger.

Er fauchte ein paar Minuten und fiel dann über den abwesenden Kreisrichter Heiden in sehr unparlamentarischen Wendungen her, die mit der durch die Situation gegebenen Bemerkung endeten: »Und wenn der Knallidiot mir wenigstens meine Gelder wieder schaffen könnte! – Aber das kann er natürlich auch nicht –.«

Tante Mus benutzte kluger Gewohnheit gemäß die Gelegenheit; das war ihre Force, und darauf beruhte ein gut Teil ihrer stillen aber unzweifelhaften Macht.

»Bus,« warf sie leicht hin, »darum habe ich auch nach Thomas telegraphiert! Niels holt ihn mit dem Wagen von der Bahn.«

In alten Tagen betrachtete man Explosionen als etwas Unangenehmes und Abnormes; in unseren Tagen, wo nicht allein Gasmotoren, sondern alle Motoren, Petroleum- und Benzinmotoren durch eine ununterbrochene Reihe von Explosionen getrieben werden, die also eine Bedingung für den Betrieb von Automobilen und Luftschiffen sind, hat man sich an diese Erscheinungen gewöhnt. Ein moderner Leser wird sich also auch an Gutsbesitzer Busgaard gewöhnen können, dessen ganzes Leben eine fortgesetzte Reihe kräftiger Explosionen ist.

Bei dem Namen Thomas explodierte er gewaltig.

»Den Teufel hast Du –.«

»Pst, Bus, pst,« erwiderte Frau Busgaard beschwichtigend. – »Ja, das habe ich. Ich mag nicht, daß die Leute hier auf dem Hofe herumgehn und sich gegenseitig verdächtigen. Und von Thomas weiß ich, was Du auch von ihm sagen magst, auf Diebe versteht er sich. Und deshalb meine ich, wir sollen ihn zu dem brauchen, wozu er gut ist. Das ist meine Ansicht, und ich bin sicher, ich habe recht!«

Busgaard brummte – aber sie hatte recht. Das haben Frauen nicht immer. Aber wehe dem Ehemann, dessen Frau es so eingerichtet hat, daß sie meistens recht hat. Die Männer sind nun einmal geneigt einzuräumen, daß ihr Widerpart recht hat, und darum unterliegen sie. Frauen räumen das niemals ein. Und darum ist auch kein Auskommen mit ihnen. Wenn sie nicht sind wie Frau Busgaard, dann gnade Gott! Und sie sind nicht alle wie Frau Busgaard. Freuen wir uns, daß sie so ist. –

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06 декабря 2019
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Public Domain

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