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Читать книгу: «Sisi, Sex und Semmelknödel», страница 3

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Bei uns – oder: Wie ich den Staatsapparat (fast) zu Fall gebracht habe

Von zweierlei möchte ich Ihnen jetzt erzählen: Einmal noch, was es mit dem Begriff »bei uns« wirklich auf sich hat, und dann von einer sehr seltsamen Begegnung rund um das Wort Konvention. Ich möchte davon sprechen, wie ich es (ohne es zu wollen, ich schwöre!) mit einer einfachen, einfärbigen Plastikhülle (so schwarz wie mein arabisches Haar) geschafft habe, den österreichischen Staatsapparat hinterlistig zu täuschen und beinahe zu Fall zu bringen. So jedenfalls hat man es mir erklärt. Ganz streng und amtlich.

»Bei uns« und Konvention gehören für mich untrennbar zusammen. Allein schon, weil sie die gemeinsame Klammer einer kleinen Reise bilden, die mich zu meinem um drei Jahre älteren Bruder in die Türkei geführt hat. Das war ungefähr vor einem Jahr. Und weil wir dort, Alena, mein Bruder und ich, genau darüber diskutiert haben. Was das nun bedeutet, wenn er oder ich oder Alena sagen:

Bei uns.

Aber zuvor noch rasch etwas zur Konvention. Konvention ist, wie ich finde, ein schönes Wort. Und ein einfaches Wort noch dazu, weil nicht ursprünglich deutsch, sondern nur aus dem toten Lateinischen ins lebendige Deutsche hereingeholt.

Convenire bedeutet ja so viel wie: zusammenkommen, sich treffen, versammeln, aber auch übereinkommen im Sinne einer Abmachung. Laut Wörterbuch hat Konvention im Deutschen zwei Grundbedeutungen. Die eine ist dem selbst ernannten syrischen Gott, Bashar al-Assad, ziemlich sicher nicht bekannt. Oder doch bekannt und so verhasst, dass er sie gleich aus dem gesamten Schriftverkehr im Land hat streichen lassen. Aus Büchern. Aus den Zeitungen sowieso. Weg und für immer gelöscht. Geheimdienstleute, die er mit dem großen Löschangriff beauftragen kann, hätte er ja genug. Nein. Es heißt: Hat er ja genug.

Diese Grundbedeutung von Konvention nämlich: Abkommen, völkerrechtlicher Vertrag.

Die zweite Grundbedeutung – Regel des Umgangs, des sozialen Verhaltens, die für die Gesellschaft als Verhaltensnorm gilt – legen al-Assad und seine Folterknechte auf ihre ganz spezielle Art und Weise aus. So kann man auch eine nationale Identität schaffen.

In Österreich oder Deutschland (wenn man den einen oder anderen Wichtigtuer auf der Politikbühne mal außer Acht lässt) herrschen da zum Glück andere Zustände. Wo Konvention draufsteht, ist auch Konvention drinnen. Im Großen und Ganzen jedenfalls. Wie zum Beispiel auf oder in meinem Reisepass. Wobei Reisepass nicht die korrekte Bezeichnung ist. Das Dokument, mit dem ich aus Österreich aus- und wieder einreisen darf, weil ich hier nur vorübergehend Schutz genieße, nennt sich auch nicht Reisepass, sondern so:

Reiseausweis für Flüchtlinge. Umgangssprachlich: Konventionspass.

Bei Schutz taucht oft dieses Wort auf: subsidiär. Ich musste auch erst nachschlagen, was das bedeutet. Subsidiären Schutz haben nur Menschen, die kein Asyl bekommen und trotzdem nicht zurück in ihre alte Heimat geschickt werden dürfen. Weil ihnen Folter oder Tod drohen. Und so weiter. Subsidiärer Schutz wird in der Regel jedoch für maximal ein Jahr gewährt.

Im Sinne der Genfer Konvention bin ich Asylberechtigter. Auf fünf Jahre per Bescheid. Und doch ist der Schutz, den ich nach meiner Flucht aus dem Kriegsgebiet in Syrien hier in Österreich glücklicherweise in Anspruch nehmen darf, auf gewisse Weise subsidiär. Nicht im Sinne des Gesetzes. Mehr im Sinne des Wortes. Weil subsidiär bedeutet:

Behelfsmäßig, als Behelf dienend.

Behelfsmäßig, sagt Alena, kann manchmal auch einfach nur ein Pfusch sein.

»Pfusch?«, frage ich.

»Ja«, antwortet sie. »Etwas Provisorisches, das nicht allzu lange hält. Das kann ein Stück Klebeband sein, wo es besser wäre, zu schweißen. Oder der Status eines Menschen.«

Und Ruth sagt: »Nicht nur Kaffeehäuser oder die Oper … nein, auch der Pfusch hat in Österreich große Tradition.«

Aha. Darum ist auch mein Reiseausweis ein Behelf. Weil er provisorisch ist. Weil er nur für wenige Jahre gedacht ist. Weil er darauf ausgelegt ist, nach einer bestimmten Zeit den Geist aufzugeben. So wie nagelneue Waschmaschinen nach exakt sieben Jahren. Obwohl sie locker zwanzig halten könnten.

»Diese Art von Pfusch nennt man geplante Obsoleszenz«, sagt Ruth. »Dinge absichtlich schlechter herstellen, als sie sein müssten. Damit die Menschen bald wieder was Neues kaufen müssen.«

Mein Konventionspass ist also ein Behelf, den man manchmal auch Pfusch nennt. Nicht, dass der Pass sich deshalb gleich von selbst auflösen würde, wie zum Beispiel die geheimen Aufträge, die Agent 007 erhält. Nein. Er scheint auf den ersten Blick sogar sehr gut gemacht zu sein, ist also, rein technisch, sicherlich kein Pfusch. Der Ausweis hat alles, was so ein Dokument heutzutage braucht. Und ist bestimmt auch ziemlich fälschungssicher.

Das ist wichtig für diese Geschichte. Nichtsdestotrotz ist er weder ein richtiger Reisepass noch gar keiner. Er ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Er passt sozusagen perfekt zu mir. Oder perfekt zu meinem sogenannten Status im Staat.

Wir reisen nun zu meinem Bruder nach Istanbul. Vom Grazer Flughafen aus. Ein Direktflug. Wir gehen zum Schalter. Ich zeige meinen Pass. Wir gehen durch. Niemand stellt Fragen. Nichts geschieht. So weit, so wenig spannend. Mein Freund, der Journalist, würde jetzt seine Höflichkeit ablegen und sehr, sehr laut gähnen.

Ein paar Stunden später sind wir bei meinem Bruder in Istanbul. Sollten Sie kein Bild von einem totalen Araber haben, dann liefere ich Ihnen jetzt eines: Mein Bruder ist nämlich einer. Ein stolzer Großstadtmensch durch und durch. Ein Damaszener, wie er im Buche steht. Wenn er von zu Hause redet, gerät er ins Schwärmen. Er spricht dann von Damaskus, den herrlich duftenden Olivenbäumen, die alle Hänge säumen.

Mein Bruder macht es dann wie ich, als ich Alena kennenlernte und von Damaskus vorschwärmte. Damals noch mehr mit den Armen als mit der Zunge. Er spricht wie ich vom Dschabal Qãsiyūn, dem berühmten, mehr als tausend Meter hohen Berg, von dessen Gipfel die ganze Stadt zu überblicken ist. Er spricht von den Düften der Natur. Von den Lichtern der Nacht. Und so weiter. Er holt die verlorene Heimat in plastischen Bildern in seine Gegenwart. Und zwischendrin sagt er immer wieder:

Bei uns.

Weil Damaskus der Ort seines Herzens ist. Und es immer sein wird. Weil sein Herz, auch vier Jahre nach der Flucht, immer noch im Takt der alten Heimat schlägt. Sein Herz kennt keinen anderen Rhythmus als den damaszenischen. Darum herrscht, wenn mein Bruder »bei uns« sagt, nicht der geringste Zweifel, was er meint.

Das ist zugleich logisch und dann wieder unlogisch. Logisch, weil Menschen, die in der Türkei stranden, nicht einen einzigen Tag das Gefühl vermittelt wird, sie könnten dort eines Tages (und mag es noch so lange dauern) auch wirklich ankommen und sagen:

Bei uns.

Mein Bruder ist auch schon einige Jahre aus Syrien weg. Drei Jahre sind es nun. Während ich mich nach acht sehr harten Monaten in der Türkei mit erniedrigenden und krank machenden Jobs irgendwie über Wasser gehalten und jede Lira zusammengekratzt habe, um das Geld für das Schlepperboot aufzubringen und mich letzten Endes durch Europa bis nach Österreich durchzuschlagen, ist er geblieben. Heute unterrichtet er sogar in einer türkischen Schule Arabisch. Auf den ersten Blick könnte man meinen, er hat es geschafft. Er ist angekommen. Und ein halber Türke geworden. Wenigstens so viel.

Weit daneben.

In der Türkei (wie auch in Syrien) hat der Staat null Interesse daran, dass Menschen ankommen könnten. Darum gibt es auch keine Projekte, die das unterstützen würden. Länder wie Österreich und Deutschland gehen fast über vor Projekten, die versuchen, bedürftige Menschen vom Rande der Gesellschaft ein kleines Stück in Richtung Mitte zu holen.

Syrien, die Türkei und Co. sind in dieser Hinsicht leer wie die sprichwörtliche Wüste. Weil diese Staaten nichts übrig und schon gar kein Herz haben für die sozial Schwachen. Nicht für die sozial Schwachen, die dort zu Hause sind. Nicht für die sozial Schwachen, die dort gerne zu Hause wären.

Was bedeutet das?

Bedeutet das, als Syrer in der Türkei hast du, wenn überhaupt, nur eine Chance, wenn du dich zu hundert Prozent anpasst? Weil es sonst heißt: Dort ist der Ausgang (ein Modell, das manche Menschen hier in Europa auch gerne verwirklicht sehen würden).

Nein. Bedeutet es nicht. Weil davon, dass du als Syrer in der Türkei Herkunft und Identität in die Schublade legen und dort auf alle Tage verstauben lassen musst, keine Rede sein kann. Warum auch? Das ist ja gar nicht notwendig.

Araber und Türken haben ohnehin wahnsinnig viel gemeinsam. Allein schon, dass sie alle in dieselbe Moschee gehen und dort brave Moslems sind. Oder so tun, als wären sie brave Moslems. Wie hier die Taufscheinchristen auch. Da ist kein allzu großer Unterschied. Außer vielleicht, wenn ich an Das Fest des Huhnes denke, weil der Ersatzgott mit dem Namen Konsumrausch (oder Brathendl) einen Sieg nach dem anderen einfährt und die Gotteshäuser hier immer leerer werden und die Bierzelte immer voller.

Dann wäre da das Essen. Natürlich gibt es da Unterschiede. Allein wir Araber kennen so viele verschiedene Rezepte für Speisen, die es in der Türkei gibt, aber ganz anders zubereitet werden. In den Augen der Europäer sind sie jedoch ein und dasselbe. So ist das eben. Brathendl ist ja auch nicht gleich Brathendl. Ob mit Fülle im Popo oder ohne.

Dann wäre da die manchmal doch ziemlich problematische Stellung der Frau in der Gesellschaft. Viele Türken sind da um nichts besser als viele Araber. Oder sagen wir: manche. Weil auch hier vieles gerne falsch verstanden und überinterpretiert wird. Wir kommen noch dazu. Genauso verhält es sich bei tausend anderen Dingen auch. All das verbindet Türken und Araber.

Was sie trennt, ist die Politik.

Politisch erwünscht ist: Syrer und Co. sollen (wie ich damals in der Türkei) ohne den geringsten Schutz die gesundheitsschädlichen Jobs in den Fabriken machen. Bis sie Staublungen kriegen. Sie sollen im Gastgewerbe arbeiten und froh sein, wenn sie am Ende, mit zwei Monaten Verspätung, auch nur die Hälfte des vereinbarten Lohnes bekommen. Wenn sie den vielen Staub und das wenige Geld schlucken, sind sie brave Flüchtlinge.

Politisch nicht erwünscht ist, dass sie bleiben und anfangen, sich wohlzufühlen und Teil der Gesellschaft werden und diese Gesellschaft vielleicht auch noch kulturell und menschlich bereichern und (das ist ja das Allerletzte) auch noch mitreden wollen, nur weil sie Steuern zahlen. Nein. Politisch geduldet ist nur: ausquetschen lassen wie eine reife arabische Zitrusfrucht. Und dann, wenn du nicht mehr kannst und krank und lästig wirst, heißt es:

Auf Nimmerwiedersehen. Egal wohin. Hauptsache tschüss.

Österreich oder Deutschland sind da völlig anders. Al-hamdu li-Llāh. Hier ist es tatsächlich möglich, nicht nur zu kommen und zu bleiben, sondern beim Bleiben auch anzukommen. Hier wird auf die sozial Schwachen geachtet. Auf die hier Geborenen ebenso wie auf die, wie heißt es nochmal? … Auf die Zuagrastn.

Die Sache mit der Mindestsicherung.

Ja, das muss ich Ihnen noch rasch erzählen, ehe es weitergeht mit dem zweiten Teil der Reise nach Istanbul und mit der Konvention: die Sache mit der Mindestsicherung. In mehr als fünf Jahren habe ich zum Glück nur einmal, also für einen einzigen Monat, diese Unterstützung vom österreichischen Staat gebraucht.

Anderen Menschen ergeht es da nicht so gut. Es gibt neben vielen Einheimischen auch eine Menge Syrer und andere, die darauf angewiesen sind. Meine arabischen Landsleute haben jedoch einen eigenen Zugang. Den haben sie aber nicht extra gesucht oder sich fein ausgedacht, nein, ihr Zugang ist eine Art Naturempfinden für den Faktor Arbeit.

Das hat damit zu tun, dass es so etwas wie Mindestsicherung in arabischen Ländern nicht gibt. Folglich existiert auch das Wort Mindestsicherung in der arabischen Sprache nicht. Die Idee, die dahintersteckt, ebenso wenig. Dasselbe gilt für Begriffe wie Sozialhilfe oder Ähnliches. In Syrien ist es vielmehr so: Wer arbeitet, bekommt (hoffentlich) Geld dafür. Wer nicht arbeitet (warum auch immer), bekommt (ganz sicher) kein Geld. Auch wenn es ihm noch so schlecht geht. Auch wenn er auf der Straße lebt und hungert. Die Sozialhilfe aller Armen, aber auch die staatliche Altersversorgung heißt dort, und darauf werde ich später noch genauer eingehen, Familie.

Zwar gibt es schon so etwas wie eine Pension. Aber die bekommen nur Menschen, die für den Staat (also im Normalfall Geheimdienst oder Polizei) gearbeitet haben. Und auch dann reichen die paar Lira, die für einen Monat gedacht sind, gerade für die ersten drei, vier Tage. Der Vater meines Freundes Firas etwa, der mit mir hierher nach Österreich geflohen ist, zählt zu diesen syrischen Pensionsbeziehern. Er war jedoch (zu seiner Ehrenrettung) weder Geheimpolizist noch sonst irgendein Folterknecht. Selbst in Syrien gibt es Jobs beim Staat, die nichts mit Gewalt zu tun haben. Im Verhältnis allerdings nicht besonders viele.

Löhne im europäischen Sinn werden oft wochenweise ausbezahlt. Oder auch, wie hier, monatlich. Die Araber leben zwar in einer gänzlich anderen Kultur, aber deshalb nicht gleich hinter dem Mond. Also kennen sie natürlich auch das System, dass Geld an einem bestimmten Stichtag bei ihnen landet. Die Frage ist dabei allerdings, wie viel es das eine oder andere Mal ist. So etwas wie Kollektivverträge und Kollektivlöhne gibt es nicht. Schon gar nicht in der Privatwirtschaft. Du machst dir den Lohn mit dem Chef aus. Und hoffst, dass er den Betrag am Ende der Woche, am Ende des Monats auch noch kennt.

So läuft das. So habe ich es selbst jahrelang erlebt. Und dann spreche ich, hier in Österreich, eines Tages mit einem Freund aus der syrischen Community. Wir diskutieren über dies und das, über die Frauen und Beziehungen und so weiter. Und über das Geld. Und dann sagt er:

»Heute hat mich schon wieder mein Vater angerufen.«

»Ja und?«, frage ich. »Was wollte er?«

»Er hat mich gebeten, etwas Geld für meine kranke Mutter zu schicken. Und er wollte wissen, ob mein Gehalt schon gekommen ist.«

»Dein Gehalt?«, frage ich.

»Ja. Mein Gehalt.«

»Du bekommst kein Gehalt«, sage ich. »Du bekommst Mindestsicherung.«

»Sage ich doch. Mein Gehalt.«

Bis dahin habe ich gedacht, die syrische Seele in- und auswendig zu kennen. Was für ein Irrtum. Wobei der Gedanke dahinter nachvollziehbar und auch gar nicht in böser Absicht gefasst ist. Der syrische Mensch denkt einfach so, nämlich:

Was pünktlich daherkommt, regelmäßig und noch dazu in der immergleichen Höhe, kann in den Augen des gelernten Syrers gar nichts anderes sein als das:

Ein Gehalt.

Bloß, wofür?

Bei manchen meiner Freunde habe ich mir da schon den Mund eckig geredet.

»Fusselig«, sagt Alena. »Man redet ihn sich fusselig.«

Meinetwegen. Dann hängen mir eben Fusseln weg, und keine Ecken. Wieder und wieder habe ich seither versucht, manchen meiner Landsleute diesen einen Satz ins Gehirn zu hämmern. Auf Arabisch. Auf Deutsch. Diesen Satz:

»DIE … MIN … DEST … SI … CHE … RUNG … IST … KEIN … GE … HALT!!!!!«

»Aber natürlich ist es das. Was soll es denn sonst sein, Omar?«

Sie starren mich dann auf eine Weise an, dass ich verzweifeln könnte. Aus riesigen Augen. Wie das Kamel vorm großen Tor. Weil die Idee, für Nicht-Arbeit ständig Geld zu erhalten, für sie viel zu absurd ist.

Ja, und dann (das darf auch nicht verschwiegen werden) gibt es unter meinen Landsleuten auch jene, die sehr wohl begreifen, dass die Mindestsicherung kein Gehalt ist. Das haben sie wahrscheinlich sehr rasch begriffen oder schon immer gewusst. Das sind die, die es gerne auf die Spitze treiben.

Wie sie das machen?

Ganz einfach. Sie spielen die Karte mit der schrumpfenden österreichischen Bevölkerung aus. Sie sagen: »Die Österreicher brauchen uns sowieso. Sonst sterben sie aus.«

Ich muss dann immer laut lachen. Aber mehr vor Erstaunen. Weil sie damit meinen: Ich mache meine Frau schwanger, sie bekommt so viele Kinder wie möglich. Und Österreich ist vor dem Aussterben gerettet. Das muss dem Staat etwas wert sein. Darum bezahlt er den Syrern und anderen fürs Kindermachen ein Gehalt.

So ist es dann auch wieder nicht.

»Die gibt es bei uns auch«, sagt Alena. »Und die fallen nicht irgendwo vom Baum und kommen hierher. Die wachsen hier.«

Stimmt. Die Idee, Geld für keine Arbeit zu bekommen und ein gutes Gewissen dabei zu haben, ist nicht neu. Bloß nennen die Menschen hier es nicht Gehalt. Wenigstens nicht laut. Sie nennen es »hart verdienten Anspruch«. Da gibt es zum Beispiel solche, die sagen: »Ich habe meinen Krankenstand für dieses Jahr noch gar nicht aufgebraucht. Höchste Zeit, sonst verfällt er mir noch!«

Oder andere, die echten Sozialbetrug betreiben und auch noch ein gutes Gewissen dabei haben. Weil sie meinen, ein Recht darauf zu haben. Da fällt mir der Mann ein, für den ich früher mal hin und wieder gejobbt habe. Botentätigkeiten. Geringfügig angestellt.

Der Mann hat seinen Sohn als neuen Chef eingesetzt, ist offiziell in Pension gegangen – aber weiterhin der Chef. Das mit dem Sohn ist nur zum Schein. Damit er seine volle Pension erhält. Und zu mir hat er einmal gesagt: »Ich habe ein Recht darauf, das so zu machen.«

Hat er das wirklich?

Und Alena erzählt von einem Fall, den sie persönlich kennt. Aus einem Kindergarten. Mit einer so genannten echten Österreicherin. Sie habe angegeben, der Vater des Kindes wäre unbekannt. In so einem Fall springt für den fehlenden Vater Vater Staat ein und bezahlt die Alimente.

»In Wirklichkeit«, sagt Alena, »leben Vater, Mutter und Kind die längste Zeit zusammen. Von Anfang an.« Der Vater hat dann zwar keinerlei Rechte, die Väter sonst haben. Aber was soll‘s.

Auch dafür, denke ich bei mir, haben die Araber ein Sprichwort: Wenn die Moral kommt, ist das Essen schon lange verdaut.

»Nein«, sagt Ruth ungewohnt energisch: »Es heißt: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Und es stammt aus einem Theaterstück von Bertolt Brecht. Brecht. Ein deutscher Dramatiker. Deutsch, Omar, nicht arabisch.«

Egal. Fest steht: Den Verlust der Anständigkeit gibt es überall. Dafür müssen nicht erst ein paar Araber (für die ich mich wirklich schäme) daherkommen und ein System ausnutzen.

Aber, jetzt hätte ich darüber beinahe vergessen, was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte. Eigentlich. Das ist auch so ein Wort, das ich erst einmal in seiner ganzen Dimension kapieren muss. Weil eigentlich eigentlich bedeutet, dass du das genaue Gegenteil von dem sagen willst, was du eigentlich gesagt hast.

Mein Freund, der Journalist, hat dazu einmal gesagt: »Eigentlich impliziert eigentlich immer das Gegenteil dessen, was eigentlich gesagt werden soll.«

Danke.

Aber es stimmt schon. Ich habe es selbst oft genug erlebt. Gerne auch in Verbindung mit dem berühmten österreichischen ABER, das auch erst nach dem Beistrich einleitet, was jemand eigentlich hat sagen wollen. Egal, wie schön und nett und blumig der Teil vor dem Beistrich ist. Wie zum Beispiel diese Aussage, die ich während einer Ausländerdiskussion in einem Beisl zu hören bekam:

»Eigentlich habe ich das gar nicht so gemeint, Omar. Das mit den Ausländern und der ganzen Kriminalität und so. Du bist eigentlich gar nicht so gefährlich, wie man von euch Arabern immer sagt. Aber eigentlich, irgendwie, seid ihr es dann doch wieder.«

Häää?

Oder, etwas weniger komplex: Ich klopfe an die Scheibe eines Geschäftes in Graz, dessen Mitarbeiterin mir vor der Nase die Türe versperrt hat. Schlag 18 Uhr. In Syrien ist das allein deshalb kaum vorstellbar, weil die allermeisten Geschäfte sehr klein sind und fast ausnahmslos die Besitzer selbst drinnen stehen. Oder ein naher Verwandter. Oft genug bis spät in die Nacht.

Ich selbst habe das auch so gemacht, als ich noch Solaranlagen und so Zeugs verkauft habe. Oft saß ich bis drei Uhr in der Früh im Laden meines Chefs (er hatte wohl keine Verwandten, die das für ihn machen wollten). Ich saß dort, empfing bis spät in die Nacht Kundschaft. Oder auch nicht, weil eben nichts los war. Dann nutzte ich die Zeit, um Shisha zu rauchen und Gedichte zu schreiben.

Der Besitzer eines kleinen Ladens hält in Syrien in der Regel offen, solange er die Augen offenhalten kann. Und weil er sich auch zu später Stunde über ein Geschäft freut. Wie blöd müsste auch ein Ladenbesitzer sein, wenn er einem Kunden die Türe vor der Nase zusperrt und sich ein Geschäft entgehen lässt, nur weil der große Zeiger der Uhr fünf Sekunden vorher auf 12 gesprungen ist? Und wie wortreich wären die Flüche und Verwünschungen eines Onkels, der zum Beispiel den faulen Neffen überführt, wenn er zahlungswillige Menschen einfach so wieder nachhause schickt? Oder, schlimmer noch, zur Konkurrenz?

Wo allerdings angestellte Verkäuferinnen und Verkäufer den Schlüssel in die eine und andere Richtung drehen, und wo diese Menschen womöglich auch noch schlecht bezahlt werden, ticken die Uhren anders. Vor allem hier in Mitteleuropa.

Also: Die noch ziemlich junge Mitarbeiterin des Geschäfts (Babymoden) öffnet auf mein wildes Klopfen und weil ich die schönsten flehenden Augen mache, die ich zur Verfügung habe, noch mal (das allein ist schon erstaunlich), bloß um mit der einen Hand aufs Gelenk der anderen (das mit der Uhr und dem großen Zeiger) zu klopfen und zu sagen:

»Ich bin eigentlich schon weg.«

»Aber Sie sind doch noch da. Eigentlich. Können Sie nicht eine Ausna -?«

»Nein. Kann ich nicht. Wo kämen wir da hin? Eigentlich sehen Sie mich gar nicht mehr.«

Eigentlich. Dazu mit »kämen« ein kleiner, feiner Konjunktiv. Dann Türe wieder zu. Weil Ladenschluss heißt: Laden zu. Und Schluss.

Die Verkäuferin, lerne ich, hat damit in punkto korrekt und seltsam zugleich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wobei es in Wirklichkeit ja so heißt: Sie hat zwei Vögel mit einem Stein erschlagen. Alena würde jetzt sagen, dass die österreichische Variante im Vergleich zur arabischen viel humaner ist. Menschlicher, weil tierfreundlicher.

Mag sein. Darüber lässt sich (ließe sich) streiten. Aber Original ist eben Original.

Jetzt aber wirklich zurück zur eigentlichen Geschichte:

Wir verlassen Istanbul wieder, fliegen nach Österreich. Ich bin wehmütig, wie Sie sich denken können. Die Familie ist den Arabern heilig (auch wenn diese enge Bindung nicht immer nur ein großer Segen, sondern oft genug ein noch größerer Fluch sein kann). Meinen Bruder so lange nicht zu sehen, hat ihn für mich fast zu einem fremden Menschen gemacht. Und mein Nachdenken, was »bei uns« betrifft, hat die Sache nicht besser und den Abschied nicht leichter gemacht. Egal, worüber wir diskutiert haben – von Erdogan über Versicherungen bis hin zum Job – habe ich, wenn ich bei uns gesagt habe, Österreich gemeint.

Er jedoch immer nur Damaskus.

Während ich schon halber Österreicher bin, ist er nicht einen Hauch Türke geworden. Obwohl er inzwischen die türkische Staatsbürgerschaft besitzt. Darin hat er mir ziemlich viel voraus. Österreicher (auf dem Papier) bin ich noch nicht, und Syrer (auf dem Papier) nicht mehr. Ich besitze keinen syrischen Reisepass, und die Botschaft darf ich auch nicht betreten.

Andererseits – wer weiß, wofür es gut ist? Wer weiß, was sie mit einem wie mir machen würden? Ich sage nur: Jamal Kashoggi und die saudi-arabische Botschaft. Meine Lust, ein ähnliches Ende wie der Journalist zu nehmen und in meine Einzelteile zerlegt irgendwo zu verschwinden, ist nicht besonders groß.

So oder so muss ich dennoch hoffen, dass ich bleiben darf. Schon bedrückend. Was mich aber noch viel mehr bedrückt, ist, dass mein Bruder jetzt gar kein Zuhause mehr hat. Wenn jemand so ganz und gar nicht Fisch und nicht Fleisch ist, dann wohl er.

Hinzu kommt, dass ich ihn beleidigt habe. Weil er als der Ältere von uns beiden selbstverständlich die Rechnung für das Abendessen übernehmen wollte. Und ich, der Jüngere, mich heimlich (ich habe behauptet, die Herrentoilette aufsuchen zu wollen) zum Kellner geschlichen und bezahlt habe. Es waren ohnehin nur 200 türkische Lira für uns drei. Umgerechnet 24 Euro. Für uns kein wirklich großer Betrag. Für meinen Bruder jedoch ist das eine Menge Geld, die er sich vom Mund absparen muss.

All das hat mir das Herz eingeschnürt. Aber es hilft nichts. Alena und ich müssen zurück und ihn zurücklassen in seiner Welt, die ihm keine ist.

Was sein muss, muss sein, sagen die Araber.

Genau das hat ein Polizist Stunden später auf dem Grazer Flughafen anscheinend auch gedacht. Was sein muss, muss sein. Alena und ich betreten österreichisches Hoheitsgebiet, gehen zur Passkontrolle. Vor uns und hinter uns jede Menge Menschen.

»Kommen Sie mal auf die Seite«, sagt der Mann hinter der Glaswand und blickt mich finster an. Das Gefühl, aus einer Menge herausgefischt und zur Seite gestellt zu werden, löst instinktiv Schweißattacken in mir aus. In Syrien bedeutet das ausnahmslos nichts Gutes. Egal, ob du mit dem Auto zur Seite »gebeten« wirst oder auf der Straße.

Ich zucke zusammen, folge jedoch sofort. Ich spüre die Blicke der Menschen um mich. Was habe ich falsch gemacht? Habe ich überhaupt etwas falsch gemacht?

Der Polizist, der mich herausgefischt hat, war übrigens nicht der Mann direkt am Schalter. Sondern der Mann, der in der Kabine dicht hinter ihm gestanden ist und seinem Vordermann auf die Finger gesehen hat. Sein Chef, wie ich bald erfahre. Er hat seinem Untergebenen meinen Ausweis inzwischen aus der Hand genommen und begonnen, ihn ganz genau zu mustern. Er blättert vor, blättert zurück, dreht ihn nach allen Seiten, hält ihn auch gegen das Licht. Dann die Worte, die mein Herz wild pochen lassen:

»Kommen Sie mal auf die Seite.«

Was ich mir in diesem Augenblick in Gedanken so zusammengesponnen habe, ist Kopfkino der nicht unbedingt wünschenswerten Art. Damals waren wir ja noch in der Hochblüte der schwarz-blauen Regierung mit einem Innenminister Kickl. Ein Herr Kickl, der auf die Kraft der Abschreckung baut, der sich für Pressefotografen auf Pferde setzt, die Polizeipferde werden sollen (es aber letzten Endes nicht werden, weil sein Nachfolger das als Schnapsidee erkennt und die berittene Polizei abschafft, bevor sie angeschafft wird). Ein Herr Kickl auch, der auf die Meinung setzt, als Einziger im Land für alles die einzige Lösung zu haben.

Und: Ibiza war zu dieser Zeit noch ein echter Sehnsuchtsort sonnenhungriger Spanienliebhaber und keine Pilgerstätte für Regierungsnostalgiker. Oder jubelnde Linke. Je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet.

Tausend Dinge schießen mir also in dem Moment durch den Kopf. Wer weiß, vielleicht hat sich in den paar Tagen, wo Alena und ich in der Türkei waren, alles noch weiter verschärft? Vielleicht ist Syrien zum sicheren Land erklärt worden? Vielleicht hat Kickl persönlich den Befehl ausgegeben, jeden Syrer im Land in Abschiebehaft zu nehmen?

Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht.

Ich spüre den Schweiß auf meine Stirn treten. Ich spüre, wie ich nach Alenas Hand fasse und sie krampfhaft drücke. Ich stehe auf der Seite, während die Mitreisenden an mir vorüberziehen und einige mir so gewisse Blicke zuwerfen. So jedenfalls fühle ich es.

Dann kommt der Chef auf mich zu. In der Hand hält er ein Schreibbrett. Er beginnt, mir alle möglichen Fragen zu stellen. Was der Zweck der Reise war. Wie lange sie gedauert hat. Wen ich in der Türkei getroffen habe. Warum ich diese Person (meinen Bruder) dort getroffen habe. Warum nicht anderswo. Mit wem ich sonst Kontakt gehabt habe. Wie ich ausgereist bin aus Österreich vor ein paar Tagen. Natürlich auch, ob ich Geld bei mir gehabt habe bei der Ausreise. Wie viel ich jetzt mit habe. Und so weiter. Fragen über Fragen. Und dabei macht er sich ständig Notizen.

Was schreibt er da?

Das Prozedere hat ungefähr zehn Minuten gedauert. Für mich hat es sich angefühlt wie zehn Stunden. Dann blickt der Polizist plötzlich von seiner Schreibtafel auf, starrt mich emotionslos an und sagt: »Sie können gehen.«

Eine Sekunde später drückt er mir meinen Konventionspass in die Hand. Was war das?

Alena zieht mich schon am Ärmel, um möglichst schnell von hier zu verschwinden. Aber jetzt möchte ich es doch wissen. Natürlich mit aller gebotenen Höflichkeit, die man mir schon als kleines Kind für solche Situationen eingeimpft hat.

»Entschuldigen Sie vielmals«, sage ich. »Es tut mir leid, aber ich muss Sie was fragen.«

Der Oberpolizist mit den vielen kleinen Streifen auf den Schultern zieht die Augenbrauen hoch. »Ja?«

»Was … haben Sie dauernd aufgeschrieben, als Sie mir diese Fragen gestellt haben?«

Im selben Moment habe ich schon gedacht: Stell nicht so blöde Fragen, Omar. Du bist zwar nicht in Syrien, wo du allein dafür schon die erste Ohrfeige bekommen hättest. Im besten Fall. Aber du kennst doch das Zauberwort der österreichischen Beamten, das sie immer dann aus dem Sack holen, wenn sie nichts sagen wollen. Amtsgeheimnis.

Aber, ich habe mich so richtig getäuscht, denn auf einmal sagt der Polizist mit sehr tiefer, sehr strenger Stimme: »Sie haben das System getäuscht.«

»Was habe ich?«, rufe ich.

»Ja. Das haben Sie. Die Frage ist nur, ob Sie es in arglistiger Absicht getan haben oder unbewusst. Das lässt sich jetzt nicht mehr klären. Also können Sie gehen …

Schwamm drüber.«

»Ich verstehe nicht.«

Der Mann (um eineinhalb Köpfe größer als ich) sieht mich von oben herab an. Immer noch verzieht er keine Miene. »Also gut. Sie wollten es ja wissen. Sie sind im Besitz eines Konventionspasses, richtig?« Ich nicke stumm.

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