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Als der Roman 1851 erscheint, kehrt Melville noch einmal nach Nantucket zurück. Er trifft George Pollard, der auch bei seiner zweiten Reise als Kapitän Schiffbruch erlitten hat. Mit dem Walfänger „Two Brothers“ ist er nordwestlich von Hawaii im Sturm auf ein Korallenriff aufgelaufen, Schiff versenkt. Der Pechvogel Pollard gibt die Seefahrt auf und wird Nachtwächter auf Nantucket. Melville soll nach dem Gespräch mit dem Unglückskapitän gesagt haben: „Für die Nantucketer war er jetzt ein Niemand. Für mich bleibt er ein Mann, der mir imponiert hat wie kein anderer.“

Auch die Insel selbst erlebt einen dramatischen Niedergang. So rasant, wie Nantucket aufgestiegen ist zur Welthauptstadt des Walfangs, so schnell gerät es wieder in Vergessenheit. Schicksalhaft wirken verschiedene Faktoren gleichzeitig, die sich gegenseitig verstärken und nicht abwenden lassen. Erdöl läuft Tran den Rang ab als Schmiermittel und Brennstoff für Lampen. Die Wale sind bereits so weit dezimiert, dass die Jäger immer weiter und immer länger segeln müssen, um ihre Beute zu finden. Und dann bekommt New Bedford, der große Konkurrent auf dem Festland von Massachusetts, auch noch einen Eisenbahnanschluss – ein entscheidender Vorteil. Die Flotte der Walfänger zieht um, nicht zuletzt, weil die Gezeitenströme vor Nantucket eine Sandbarre angespült haben, die es für große Schiffe immer schwieriger macht, den Inselhafen anzulaufen. Dazu kommt eine Katastrophe, die den Exodus der Bevölkerung beschleunigt: Im Sommer 1846 verwüstet ein Großbrand den Ort, Tausende Fässer Tran und die Häuser alle aus Holz – Nantucket brennt wie Zunder. Die Menschen fliehen von der Insel, und viele kommen nicht mehr zurück.

Der Nantucketer, er allein lebt und strebt auf dem Meer; er allein, biblisch ausgedrückt, fährt mit Schiffen in großen Wassern und durchfurcht das Meer als seine eigene besondere Pflanzung rauf und runter. Da ist seine Heimat; da liegt sein Gewerbe.

Danach ist es, als ob die Zeit vorbeigeht an Nantucket. Amerika durchleidet einen verheerenden Bürgerkrieg. Die Insel bleibt nahezu unberührt. Amerika erlebt das goldene Zeitalter der Industrialisierung. Die Insel taucht auf den Landkarten der Investoren nie auf. Amerika kämpft in zwei Weltkriegen und wird Weltmacht. Die Insel versinkt in der Vergessenheit.

Bis der Tourismus sie wiederentdeckt. Nantucket ist immer noch ein unwirtlicher Außenposten im Atlantik, der auf den ersten Blick nicht viel mehr zu bieten hat als viel Wind, Strand und Dünen. Aber das moderne Amerika sehnt sich im ausgehenden 20. Jahrhundert nach Rückzugsorten, wo nicht alles dem großen Gewinnstreben untergeordnet ist, es wünscht sich – im Urlaub wenigstens – in Zeiten zurück, wo alles übersichtlicher war, einfacher, wie früher eben. Nantucket bietet eine Kulisse, die wie gemacht dafür ist, diesen Wunsch zu erfüllen. Aber die Bauvorschriften sind streng, es dürfen keine großen Hotels gebaut werden, keine schicken Seebrücken, keine Einkaufszentren. Die historische Substanz ist der Wert der Insel, man will nicht massenhaft Urlauber, sondern solche, die sich das Besondere leisten können. Schöne, alte Anwesen wechseln heute für zweistellige Millionenbeträge den Besitzer.

Gelegentlich scheint noch einmal auf, dass die Insel mehr ist als nur ein Schatzkästchen der Erinnerung. Dass Nantucket groß und bedeutend geworden ist, weil man sich sehr gut auf ein verdammt blutiges Geschäft versteht. 1997, am Tag vor Silvester, strandet ein junger Pottwalbulle bei Siasconset am östlichen Zipfel der Insel. Der Wal verendet, und Wissenschaftler führen eine Autopsie durch, um zu ergründen, woran der Riese gestorben ist. Die Insulaner aber holen sich aus dem Walfangmuseum die Werkzeuge, die man braucht, um so einen Riesen fachgerecht zu zerlegen – die Flensmesser, Piken und Speckgabeln. Dann machen sie sich ans Ausweiden des Kadavers, als hätten sie nie etwas anderes gemacht.

Gemeinsam mit der landfremden Möwe, die bei Sonnenuntergang ihre Schwingen einfaltet und inmitten der Wellen in den Schlaf gewogen wird; so macht bei Einbruch der Nacht der Nantucketer außer Sichtweite des Landes seine Segel fest und bettet sich zur Ruhe, während geradewegs unter seinem Kissen Herden von Walrossen und Walen sausen.

Romane, die auf Inseln spielen
IM LABOR DES LEBENS

Es ist kein Wunder, dass so viele Schriftsteller ihre Geschichten auf Inseln spielen lassen. Zum einen natürlich, weil sie Zufluchtsort oder Sehnsuchtsziel sind, Träumen eine Heimat geben. Wo sonst ist das Leben noch intakt, die Natur unberührt? Als Schauplatz begehrt sind Inseln vor allem aber als Versuchsgelände des menschlichen Verhaltens: Ihre Abgeschiedenheit, ihre Unerreichbarkeit sorgen dafür, dass es erst einmal keine Interventionen von außen gibt. Die handelnden Figuren, gerne Schiffbrüchige, also zufällig Gestrandete, werden hier auf die ultimative Probe gestellt. Ihre bewährten Verhaltensmuster funktionieren in dieser Ausnahmesituation nicht – wie kommen sie zurecht, wenn sie sich in einem unbekannten, nicht selten auch bedrohlichen Universum neu finden müssen? Das wollen wir lesen.


Daniel Defoe ROBINSON CRUSOE

Erschienen: 1719

Ort der Handlung: eine Insel im Mündungsgebiet des Orinoco

Der Roman muss am Anfang dieser Liste stehen, denn er gibt das Leitmotiv vor, dem so viele Schriftsteller gefolgt sind: Eingeschlossen auf einer Insel, ist der Schiffbrüchige ganz auf sich gestellt. Er hat nichts, wenn er es nicht selbst schafft. Kein Dach über dem Kopf, kein Essen, kein Trinken, keine Kleidung, keine Medikamente. Robinson Crusoe muss sich das alles selbst erarbeiten – und was er nicht kann, muss er sich beibringen. Versuchen, scheitern, erneut versuchen. Der Mensch ist, fernab der Zivilisation, in den Urzustand versetzt. Gibt es ein größeres Abenteuer?

Interessanterweise hatte sogar Daniel Defoe, Vorbild für so viele, ein Vorbild für seine Figur – den schottischen Seemann Alexander Selkirk. Dieser heuerte 1704 auf dem Schiff des legendären Piraten William Dampier an und wurde nach einem Streit mit seinem Kapitän auf der unbewohnten chilenischen Insel Más a Tierra ausgesetzt. Immerhin: Er darf ein Beil mitnehmen, eine Muskete und eine Bibel. Selkirk zimmert sich eine Hütte, jagt wilde Ziegen und Robben, und als ihm die Munition ausgeht, schmiedet er sich ein Messer aus den eisernen Ringen eines Fasses, das er am Strand findet. Erst vier Jahre später wird er gerettet. In einer seltsam ironischen Wendung der Geschichte wird die Insel später auf dem Namen Robinson Crusoe umgetauft. Aber auch der schottische Abenteurer bekommt im selben Archipel eine eigene Insel: Alejandro Selkirk. Der chilenische Staat unterhält auf dem abgelegenen Eiland jahrzehntelang eine Sträflingskolonie.



Robert Louis Stevenson DIE SCHATZINSEL

Erschienen: 1881

Ort der Handlung: eine fiktive Insel in der Karibik

Auch das ein Klassiker, der viele Dichter inspiriert hat: Der junge Engländer Jim Hawkins kommt auf abenteuerlichem Weg in den Besitz einer Karte, die offenbar zeigt, wo der Pirat Joshua Flint seinen legendären Schatz vergraben hat. Hawkins und zwei gute Freunde schiffen sich zu einer Suchexpedition auf der „Hispaniola“ ein. Sie wissen nicht, dass zur Crew auch Männer zählen, die schon unter Flint gefahren sind – unter anderem der einbeinige Schiffskoch Long John Silver. Die Piraten planen eine Meuterei. Sie wollen die anderen ermorden und selbst den Schatz heben. Auf der Insel kommt es zum Kampf.

Der Schotte Stevenson, der an Tuberkulose litt, schrieb den Roman während eines Kuraufenthalts in Davos. Die dramatische Schatzsuche auf der Tropeninsel entstand allein in seiner Fantasie – allerdings hatte er sich offenbar Kenntnis des Piratenwesens angelesen. Literaturwissenschaftler sind überzeugt, dass er ein Werk aus dem Jahr 1724 gründlich studiert hat: „Eine allgemeine Geschichte der Räubereien und Morde der berüchtigtsten Piraten“, geschrieben angeblich von einem Kapitän Charles Johnson. Nur hat es einen solchen Kapitän nie gegeben, und unter den Experten kursiert die These, dass sich hinter diesem Pseudonym der Robinson-Dichter Daniel Defoe verbirgt.



Jules Verne ZWEI JAHRE FERIEN

Erschienen: 1888

Ort der Handlung: Hanover Island, Patagonien

Als Belohnung für ihre Leistungen in der Schule bekommen 14 Jungs eine Reise rund um Neuseeland geschenkt. Doch kurz vor der Abfahrt brechen im Sturm die Festmacher, ihr Schoner treibt auf die offene See hinaus – ohne Kapitän und Crew. Nach zwei Wochen läuft der Segler vor einer einsamen Insel auf ein Riff. Die Kinder retten sich an Land, zu ihrem Glück können sie auch Proviant und Ausrüstung bergen. Sie richten sich in einer Höhle häuslich ein und bereiten sich auf die erste Überwinterung vor. Doch die Eintracht unter den Jungs hat bald ein Ende, es bilden sich verfeindete Lager, und der Konflikt wäre womöglich schlimm eskaliert, wenn nicht nach ihnen eine Bande Piraten auf der Insel gestrandet wäre. Sie haben soeben die Crew eines anderen Schiffs massakriert, bis auf zwei Gefangene. Es kommt zum Showdown zwischen Verbrechern und Kindern.

Es ist der klassische Versuchsaufbau im Insel-Labor: Die Protagonisten sind gezwungen, auf einem unbekannten, unbewohnten Eiland das eigene Überleben zu sichern – und die größte Gefahr sind gleich die Konflikte, die die Gestrandeten selbst mitbringen. Doch dann werden die Robinsone von außen auf eine noch härtere Probe gestellt. Der Konflikt, das ist die grausame Regel dieses Experiments der Leiden, muss ausgetragen werden, entziehen kann sich niemand. Auch ich als Leser nicht …



Erskine Childers RÄTSEL DER SANDBANK

Erschienen: 1903

Ort der Handlung: Ostfriesisches Wattenmeer

Der Engländer Carruthers wird von seinem ehemaligen Studienkollegen Davies zur Entenjagd in der Ostsee eingeladen. Ein Vorwand, denn Davies braucht die analytischen Fähigkeiten, die Carruthers bei seinem Job im britischen Außenministerium gelernt hat. In einem winzigen Segelboot erkunden die beiden Freunde das ostfriesische Wattenmeer, wo sie einem Geheimplan des deutschen Militärs auf die Schliche kommen.

„Das Rätsel der Sandbank“ ist der erste Spionageroman der Literaturgeschichte – vor allem aber eine wunderbare Segelabenteuergeschichte. Das wahre Leben des Iren Erskine Childers war allerdings noch dramatischer: Mit seiner Jacht „Asgard“, heute nationales Heiligtum in Irland, schmuggelt er im Unabhängigkeitskampf 900 Gewehre samt Munition für die Rebellen auf die Insel. In den Wirren des Bürgerkriegs wird er 1922 von einem Erschießungskommando hingerichtet.


William Golding HERR DER FLIEGEN

Erschienen: 1954

Ort der Handlung: eine unbewohnte, fiktive Insel in der Südsee

Es tobt der Atomkrieg. Eine Gruppe von Kindern, alles Jungs im Alter von sechs bis zwölf, wird mit dem Flugzeug evakuiert. Die Maschine stürzt auf einer unbewohnten Südseeinsel ab. Ein Paradies, das sich in kürzester Zeit in eine Hölle verwandelt: Ein Teil der Jungs, angeleitet von Ralph, versucht, die gelernte Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie arbeiten zusammen, bauen und bewachen ein Signalfeuer. Die anderen schließen sich Jack an, der lieber die wilden Schweine auf der Insel jagen will als Hütten bauen. Es kommt zum Konflikt zwischen Jägern und Nichtjägern, der schnell eskaliert. Ralph steht für Demokratie und Zivilisation, Jack für Aggression und eine Entwicklung zum Totalitarismus. Die Enge der Insel wirkt wie ein Katalysator des Kriegs zwischen den Systemen. Dass „unschuldige“ Kinder dabei zu Mördern werden, macht die Geschichte noch grauenvoller. Am Ende steht eine gnadenlose Jagd auf Ralph, es gibt Tote, die gesamte Insel wird in Brand gesetzt.


Enid Blyton FÜNF FREUNDE AUF DER FELSENINSEL

Erschienen: 1955

Ort der Handlung: das fiktive Kirren Island an der Küste von Dorset

Alle Bände der „Fünf Freunde“ von Enid Blyton genießen – blödes, aber in diesem Fall wahres Wort – Kult-Charakter. Als Buch, damals als Audiokassette, in der man mit dem Bleistift herumprokeln musste, oder in der Serienverfilmung. Band 6 spielt auf einer Felseninsel, auf der Onkel Quentin, der Superwissenschaftler, seine Experimente betreibt. Als er von einem Kollegen verraten wird, eilen die vier Kinder und Hund Timmy zur Rettung. Selbstverständlich durch einen Geheimgang, der unter dem Meer zur Insel führt. Nicht alles muss Sinn machen in den Abenteuern der fünf Freunde, aber es gab nichts Schöneres, um als Kind in eine Welt der Schmuggler, Geheimgänge, Felsen und Leuchttürme abzutauchen.


Max Frisch MONTAUK

Erschienen: 1975

Ort der Handlung: Long Island, Ostküste der USA

Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch hat nach seiner Lesereise durch die USA noch ein Wochenende Zeit bis zum Abflug. Er verbringt die Tage mit einer Angestellten seines Verlags, er nennt sie Lynn, in dem kleinen Ort Montauk auf Long Island. Die Insel selbst spielt kaum eine Rolle, aber sie liefert die ideale Kulisse für ein literarisches Experiment. Denn die kurze Affäre mit Lynn löst Erinnerungen aus, und Max Frisch beschließt, mit maximaler Aufrichtigkeit zu beschreiben, was ihm in diesen Tagen durch den Kopf ging: „Ich möchte erzählen können, ohne irgendetwas dabei zu erfinden.“ Die Reise auf die Insel wird ein Egotrip im wahrsten Sinn des Wortes – und Lynn Zeugin einer schonungslosen Lebensbeichte. Vor allem die Ex-Frauen Frischs sollen über die intimen Bekenntnisse von der fernen Atlantikinsel nicht gerade begeistert gewesen sein.



Hergé TIM & STRUPPI – DIE SCHWARZE INSEL

Erschienen: 1977

Ort der Handlung: Hebriden, Schottland

Ich habe Tim & Struppi geliebt und wollte deshalb schon als Kind Reporter werden. Mein liebster Band war: Die Schwarze Insel. Tim verfolgt in diesem Abenteuer eine Verbrecherbande quer durch Großbritannien bis auf die Äußeren Hebriden in Schottland. Trotz der Warnungen der Dorfbevölkerung wagt er sich auf die Schwarze Insel, auf der ein Ungeheuer sein Unwesen treiben soll. Noch viele Jahre später kommen Jugenderinnerungen hoch, wenn die Namen des Bösewichts Dr. Müller, von Loch Lomond Whisky oder den fiktiven Orten Eastdown und Kiltoch fallen. Atmosphärisch so dichte Geschichte, liebevoll gezeichnet und wundervoll erzählt.



Alfred van Cleef DIE VERIRRTE INSEL

Erschienen: 2002

Ort der Handlung: Amsterdam, südlicher Indischer Ozean

Seine Freundin Eva hat Schluss gemacht mit ihm, und für den Verlassenen wird es zur fixen Idee, dass er sein Glück nur wiederfinden kann, wenn er Einsamkeit nicht noch extremer erlebt. Er beugt sich über seinen Globus und sucht nach der abgelegensten Insel, die er finden kann. Er verwirft Bouvet, Tristan da Cunha, St. Helena. Und entscheidet sich für eine winzige Vulkanspitze ganz im Süden des Indischen Ozeans, ein winziges Eiland in französischem Besitz namens Amsterdam. Nirgendwo sonst, schreibt er, waren das Meer leerer, die Wellen höher, die Winde stürmischer. Nur: Wie hinkommen? Nur ein Postschiff, die „Marion Dufresne“, steuert regelmäßig die Insel an – mit Wissenschaftlern an Bord, geladenen Gästen sozusagen. Um es vorwegzunehmen: Er landet tatsächlich auf der Insel, sieht die seltensten Seevögel der Welt, besucht Pinguine und Robben und lässt sich täglich vom Wind umtosen. Aber der für mich schönste Teil des Buchs beschreibt die labyrinthischen Wege auf dem Weg zu seinem Ziel.


Isabelle Autissier HERZ AUF EIS

Erschienen: 2017

Ort der Handlung: verlassene Walfangstation auf fiktiver Insel im Südatlantik

Louise und Ludovic nehmen ein Sabbatjahr und segeln um die Welt. Im Südatlantik steuern sie eine Insel an, die früher Walfängern als Stützpunkt diente. Sie ankern draußen vor dem Hafen und setzen mit dem Beiboot über, um das Eiland zu erkunden. Ein Sturm kommt auf, und sie suchen in einer Ruine der alten Siedlung Zuflucht. Als sie am nächsten Morgen aufwachen, ist ihre Jacht weg. Abgetrieben, gesunken, egal. Die beiden haben nichts, keine Lebensmittel, keine warme Kleidung, keine Werkzeuge, keine Waffen. Es beginnt ein Kampf ums Überleben, der mit sinkenden Temperaturen immer härter wird. Wochenlang essen sie nichts als das Fleisch von Pinguinen, die sich leicht fangen und schlachten lassen. Ludovic wird krank, Louise versucht, sich allein zu einer Forschungsstation am anderen Ende der Insel durchzuschlagen, um Hilfe zu holen. Sie schafft es, so gerade eben.

Und das ist noch lange nicht das Ende dieser Geschichte, die ich in einer Nacht durchgelesen habe, ohne einmal abzusetzen. Weil das Szenario so realistisch ist: Zwei Zivilisationsmenschen suchen den besonderen Kick – aber sie wagen sich dabei zu weit vor. Niemand kann ihnen helfen, wenn sie es nicht selbst tun. Gänsehaut-Literatur, geschrieben von der französischen Weltumseglerin Isabelle Autissier.



DURSEY ISLAND


DER KNOPF
RICHTUNG INSEL

Ganz im Westen Irlands, wo Europa aufhört, liegt eine einsame, unwirtliche Insel namens Dursey Island. Der Felsbrocken im Atlantik war für die Bewohner wie ein Gefängnis, wenn raue See die Überfahrt mit dem Boot zum Festland unmöglich machte. Bis die Seilbahn gebaut wurde. Doch mit dem Gefährt kamen ungeahnte Veränderungen.

Die Insulaner hätten auch eine Brücke haben können, das stand durchaus zur Diskussion. Aber die wäre sehr viel teurer gewesen, und außerdem hätten die Fischer mit ihren Kuttern nicht mehr drunter durchfahren können. Also entschied man sich 1969, mit großem Mut für eine ungewöhnliche Lösung, eine Seilbahn zu bauen, die in 30 Metern Höhe über den Sund surrt und so den Schiffen nicht in die Quere kommt. Die Konstruktion ist einfach: Hüben und drüben ein Gittermast, zwei Trossen tragen die Gondel, ein Stahlseil zieht sie von Ost nach West.

Die Gondel selbst ist eine simple Stahlbox, hellblau lackiert, verziert mit diagonal verlaufenden Streifen in dunklerem Blau. Vier Leute passen auf den gegenüberliegenden Bänken gut rein, sechs, wenn sie unbedingt wollen, oben in der Box sind zwei Schlitze, um Licht hineinzulassen. Von Fenstern zu sprechen, wäre eindeutig übertrieben. Das Gefährt schwankt leicht, als ich mich hinsetze. Paddy Sheehan, der Seilbahn-Betreiber, schließt die Tür hinter mir. Auf seiner Schalttafel drückt er den Knopf „Richtung Insel“. Und dann schwebe ich los.

Dursey Island scheint so nah. Nicht mal vierhundert Meter ist die Meerenge breit, die Irlands Südwesten von der Insel trennt. Aber wenn ablaufende Tide und Wind aus West ihre Kräfte messen, wird der schmale Streifen Wasser unüberwindbar. Dann strudelt und gurgelt und brandet es, dass sich kein Fährmann mit seinem Kahn aufs Wasser traut. Die Wikinger, lese ich in meinem Buch über die Insel, haben drüben Sklaven untergebracht, bis sie genügend für eine Fuhre zusammenhatten, um sie nach Skandinavien oder Spanien zu verschiffen. Bewachen mussten sie ihre Gefangenen nicht, dafür sorgte der Sund.

So müssen sich auch die Menschen vorgekommen sein, die später auf der Insel siedelten. Wie Gefangene. Wenn Stürme vom Atlantik über die Insel heulten, sind sie oft wochenlang nicht von der Insel gekommen. Und das Leben dort war eh schon eine Zumutung, anders kann man das nicht sagen. Knapp sechs Kilometer lang ist das Eiland, an der breitesten Stelle einen Kilometer breit. Ein buckliger Felsen, der gerade genug Gras trägt, dass sich Schafe und Kühe satt fressen können. Und die Menschen? Üben sich in Genügsamkeit, improvisieren. Kerzen stellen sie aus Binsen her, die sie in Fischöl tunken. Als Arzneien müssen Zimbelkraut, Ampfer, Hagebutte und gekochter Efeu herhalten, gegen Warzen muss Kartoffelwasser helfen, Zahnschmerzen werden mit Salz oder Whiskey behandelt. Der Speiseplan ist übersichtlich: Kartoffeln, Sodabrot und Milch gibt es jeden Tag, manchmal Fleisch oder Fisch. Einziger Lieferant von Baumaterial: Strandgut, die Trümmer von Schiffen, die an den Riffen vor der irischen Westküste zerschellt waren.

Durch die Ritzen im Boden sieht man das schäumende Wasser im Sund. Siebeneinhalb Minuten dauert die Fahrt, und wenn der Wind es will, fängt die Gondel an zu tanzen. Was bei den Passagieren schon mal die Nerven flattern lässt.

Die Luftbrücke sollte das beschwerliche Leben auf der Insel erträglicher machen – und hätte eigentlich verhindern sollen, dass noch mehr Menschen wegziehen. Doch das Gegenteil war der Fall, sie hat den Wandel auf Dursey sogar noch beschleunigt. Früher fiel der Abschied von der Insel schwer, denn er war meist endgültig. Jetzt konnte man auf dem Festland wohnen und leben wie die Festländer: also Kinder in die Schule bringen, jederzeit einkaufen, zum Arzt gehen, in die Kirche oder zum Pub. Und nur zur Arbeit auf die Insel pendeln. Für die Insulaner war die neue Seilbahn wie eine Zeitmaschine, die sie nach Belieben zwischen gestern und heute reisen ließ.

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