Читать книгу: «Reportagen 1+2», страница 11

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Auch damals, als er der kp nahestand, hatte er mehr Distanz zum Stalinismus, als ihm die bürgerlichen salauds zutrauten.

Er hat die literarischen Kategorien durcheinandergebracht genau wie die politischen und die bürgerliche Kultur, welche ihm an der Ecole Normale Supérieure eingetränkt wurde, verhöhnt und zugleich weiterentwickelt. Nur Gedichte hat er nicht gemacht, sonst alles beherrscht, oder besser gesagt, alle Formen haben ihn beherrscht: Roman, Drama, Essay, Traktat, Pamphlet, Reportage. 1945 schrieb er als Redaktor der Zeitschrift «Les Temps Modernes»:

«Es scheint uns, dass die Reportage eine literarische Form ist und dass sie eine der wichtigsten werden kann. Die Fähigkeit, intuitiv und schnell die Wirklichkeit zu entschlüsseln, mit Geschick das Wichtigste herauszuarbeiten, um dem Leser ein synthetisches Gesamtbild zu vermitteln, das sofort zu entziffern ist – das sind die wichtigsten Reportereigenschaften, die wir bei allen unsern Mitarbeitern voraussetzen.»

Seine Autobiographie («Les Mots») war zugleich Roman, literarische Psychoanalyse, private Zeitgeschichte, Seelenreportage. «L'être et la néant» ist Philosophie und zugleich ein Pamphlet dagegen. Seine Flaubert-Biographie ist nirgendwo einzuordnen: innerer Monolog, Fortsetzung von Flauberts Werk, Weiterführung der eigenen Biographie. Man hat den Literaten allgemein bewundert, von Raymond Aron bis zu François Bondy verbeugt sich alles vor ihm – wenn er nur das Politisieren gelassen hätte, der begabte Poulou*. * «Poulou» wurde das Bürgersöhnchen Sartre in seiner Familie genannt, das schrieb er in «Les Mots». Man macht einen Trennungsstrich zwischen dem literarischen Sartre und dem politischen Sartre, um ihn jetzt, da er nicht mehr ausrufen kann, ungestört zu konsumieren. «Wenn ich ein verhungerndes Kind sehe, so wiegt ein Roman von mir nicht mehr schwer», hat er gesagt.

Die Beerdigung sei strub und schön gewesen. Kein Ordnungsdienst für die ca. 20'000 Leute des Trauerumzugs. Keine offiziellen Delegationen, keine Hierarchie im Umzug, hier und dort ein paar Prominente verstreut, die haben nicht gestört. Grabsteine wurden umgeworfen im Gedränge, und einer ist auf den Sarg des Philosophen hinuntergefallen, als dieser schon im Loch die vermeintlich ewige Ruhe gefunden hatte.

Sartre 1958, im Vorwort zu «Le traître» von André Gorz:

«Wir lieben es, zwischen den Gräbern der Literatur spazierenzugehen, auf diesem stillen Friedhof die Grabschriften zu entziffern und für einen Augenblick unvergängliche Gehalte ins Leben zurückzurufen: beruhigend wirkt, dass diese Sätze gelebt haben; ihr Sinn ist für immer festgelegt, sie werden das kurze Fortleben, das wir ihnen einzuräumen geruhen, nicht dazu benutzen, sich unvermutet in Marsch zu setzen und uns in eine unbekannte Zukunft zu entführen. Was die Romanciers betrifft, die noch nicht so glücklich sind, im Sarg zu liegen, so stellen sie sich tot: sie holen die Wörter aus ihrem Fischteich, töten sie, schlitzen sie auf, weiden sie aus, bereiten sie zu und werden sie uns blau, auf Müllerinnenart oder gegrillt, servieren.»

Joy Joint Joyce Choice Rejoice

Für Fritz Senn, der vom Verleger Daniel Keel mir nichts, dir nichts, Joyce nichts entlassen wurde.

Der zärtliche Wortaufschlitzer kultivierte Syntaxmörder geile Sprachbock irische Adjektivsäufer wäre heute vielleicht ein Jahrhundert alt geworden, am 2. Februar, wenn er nicht so viel getrunken hätte. Wie habt Ihr die Wörter am liebsten? Saignant, à point, à poil, well done? Mit Weihwasser abgeschmeckt if you please. Ein Katholenbock war er auf jeden Fall, der liebe Jubilar, und ein Apostat, und ein Pionier natürlich. Dieser ewige Eroberungstrieb bei den Iren. Irische Missionare wie Gallus, der nimmt einen Urwald im Osten der Schweiz in Besitz, rodet und schneidet, brennt und leidet; später Joyce, der unterwühlt das ganze Territorium der Sprache, nimmt es unterirdisch in Besitz. Rejoice! Der rodet nicht, im Gegenteil, lässt altneue Wörter unbekannte totgeglaubte Schling-Schluck-Schlickpflanzen wuchern und treiben, Wucher treiben mit seinem Sprachtalent.

Polizigschtunt, Sechsaloitn, it is Polizigschtunt. Daran merkt der gebildete Zuricker, dass der liebe Verstorbene auch einmal in Zurick gelebt hat, wo er prompt gestorben ist, wo er auch liegt, unter einer Statue dass Gott erbarm, auf dem Friedhof Fluntern gleich hinter den Tieren des Zoologischen Gartens, und ein Schiess-Stand war dort auch in der Nähe damals als er versenkt wurde, kein Zweifel, dachte er, ich liege in schweizerischem Boden, aber unterdessen ist dieser Stand ersetzt worden durch eine Sportanlage, und das sieht auch noch nach Schweiz aus. Die Statue auf dem Grab ist wirklich die Höhe. Hier hat einer gründlich gearbeitet, bis sie so schlecht war. Nach dem ersten Entwurf dachte der Bildhauer: Das langt noch nicht, es muss noch blöder werden; hat neu modelliert, fand die zweite Version immer noch nicht schlecht genug, und erst beim dritten Anlauf ist ihm der Dreck vollkommen gelungen, und jetzt sitzt die Statue, welche Joyce darstellen soll, mit verrenktem Bein auf dem Grab von Joyce und drückt auf das Grab und denkt wie der Denker von Rodin und wird länger dauern als das Skelett darunter. Ist übrigens ein vornehmer Friedhof Gottesacker Leichenzwacker (Züribärg), und die Bewohner der umliegenden Gräber sehen nicht so aus, als ob sie den rüpelhaften obszönen unflätigen blasphemischen versoffenen Irländer gelesen oder gar geschätzt hätten, die Leichen vertreiben sich hier oben die Zeit doch eher mit Daphne du Maurier oder Sandra Paretti oder im Extremfall mit Emily Dickinson, Dünndruckausgabe. Zwei Tage bevor er starb, erhielt Joyce eine Bluttransfusion, das Blut wurde zwei Neuenburger Soldaten entnommen, die gerade in der Nähe waren (1941, Aktivdienst). Darob war der sterbende Weissweintrinker sehr glücklich: «Ich habe den Neuenburger immer sehr gern gehabt», sagte er (mit letzter Kraft).

Und seither ist er bekanntlich ein Klassiker geworden ein Kulturgegenstand ein Kultgegenstand ein Heiliger eine ewige Fundgrube ein Nonplusultra des Jahrhunderts ein Sprachsteinbruch ein kanonisierter Sprachrevolutionär Sprachterrorist bei dem sich alle ihre Munition holen von Michel Butor bis Philippe Sollers in Tokyo Paris New York Manila Zurick hat er die Wortarsenale gefüllt und aus allen anglistischen Seminarien und Kolloquien und Symposien schallt es unablässig: Heilig Heilig Heilig heilig ist der Herr Zebaoth Joyce, und ganze Bataillone von Joycianer/innen knübeln kitzeln kützeln knipsen kirren kosen kürschen seine Sätze und treten, bis zum Halszäpfchen mit Bierernst gefüllt, statt mit einem guten Schluck Whisky, in sein Werk hinein wie in ein Hochamt in eine Heilige Messe Sprachmesse Sinnmesse Wortmesse Wortmustermesse, und lutschen am Messbrocken Kotzbrocken und nehmen den Anfang des Romans ULYSSES ganz wörtlich und lassen sich religiös messmässig heiligmässig überhauchen, denn da steht ja am Anfang wirklich INTROIBO AD ALTARE DEI, und so fing bekanntlich die katholische Messe an zu Zeiten des Jesuitenschülers Joyce und genau mit einer solchen religieusen Haltung (aber Joyce hat vielleicht eine schwarze Messe gemeint? Und hat es lustig haben wollen?) und dem Weihwasser der Linguistik in der semantischen Feldflasche treten die Joycegloybigen in sein Wärk Wurk work in progress und merken und merksen und murksen sich eins, und melken alle Wörter und alle sind heilig holy genial holy smokes sinnvoll vieldeutig mehrdeutig semantisch vermessbar umkehrbar spitzkehrig innovatorisch ikonoklastisch inkantatorisch superlatorisch superfetatorisch und eine schwache Stunde hat der Meister nie gehabt, no Sir, einmal Genie immer Genie. Und natürlich verstehen wir das meiste nicht, aber das macht nichts, wir lassen uns wiegen (wie auf schwankem Kahne der See). Zum Beispiel «Finnegans Wake» verstehen wir natürlich nicht, Ezra Pound hat es auch nicht mehr verstanden und war doch sonst ziemlich gebildet und sehr von Joyce eingenommen – aber indem wir behaupten, «Finnegans Wake» sei ein geniales Buch, beweisen wir, dass wir noch besser dran sind als der hochgebildete Ezra Pound. Das Buch ist von Joyce, es muss demnach genial sein.

«Finnegans Wake» tönt im Durchschnitt so:

not yet, though venissoon after, had a kidscad buttended a bland old isaac: not yet, though all's fair in vanessy, were sosie sesthers wroth with twone nathandhoe. Rot a peck of pa's malt had Jhem or Shen brewed by arclight and rory end to the regginbrow was to be seen ringsome on the aquaface.

Da hat einer den Wörtern den Hals umgedreht, die Beine ausgerissen, die Silben wie Schmetterlinge aufgespiesst getrocknet numeriert neu montiert, es ist schön, wenn auch kurlig, aber darum schön, das merkt man schon nach einer anderthalbstündigen Beschäftigung mit diesen paar Linien, holy smokes. Am besten aber lässt man sie zwei Tage marinieren, kaut dann einen Nachmittag auf ihnen herum, klaubt die Wortgräte zwischen den Zähnen hervor, schmatzt schmatterlapapp das Wortfleisch herunter, fährt mit der Zunge Zounge tongue zweimal über das Gaumensegel und gürgeltgargelt mit Klosterfrauwhiskygeist. VENI CRATOR SPIRITUS, Komm heiliger Geist kehr bei uns ein besuch das Herz der Gläubigen Dein, und fick uns in das linke Bein.

«Ulysses» übrigens ist viel einfacher als «Finnegans Wake». Verglichen mit «Finnegans Wake», ist «Ulysses» so einfach zu lesen wie ein Buch von Siegfried Lenz. «Ulysses», der grosse Klassiker, ein Tag im Leben des Leopold Bloom, Inseratenacquisiteur in Dublin, die Odyssee des Alltags. Verschiedene Körperfunktionen sind genau beschrieben, man muss sie also nicht mehr beschreiben, Fäkalien kommen vor, schon ganz am Anfang wird der Darm auf eine sehr zufriedenstellende, fast lustvolle Weise entleert, nachher wird am Strand, angesichts eines in die Höhe gerutschten Rocks, und begleitet vom Feuerwerk einer Kilbi, gewixt und gespritzt, schlussendlich eine Menstruation im Detail beschrieben. Gemessen am ganzen Tagesablauf, nehmen die sogenannten Obszönitäten nicht viel Platz ein, sind eingebettet in andere Alltäglichkeiten: Essen, Reisen (durch Dublin), Reden, Denken, acquirieren; so ein Tag, so wunderschön wie heute.

Wie wurde der grosse Klassiker behandelt, als er noch ein Manuskript war?

Sind die Anglisten und die Plüsch- und Bildungsbürger in ein Juhui ausgebrochen, so wie heute, wenn sie seinen Namen hören?

Und hat die Klassik ihren Mann ernährt?

Der Mann musste mit seinem klassisch irischen Dick-, Queer-, Sperr-, Brummschädel auf wüsteste Art durch alle Mauern stieren und hat den pingeligen Blättern, die ihn heute derart über den grünen Klee loben (oder sagen wir: den Vorfahren jener Blätter, dem erz- und arschbürgerlichen Kulturbetrieb), gar nicht gefallen wollen; und zu fressen und zu wohnen hatte er auch nichts sein Leben lang. Noch in Zürich, am Ende seines Lebens, wollte die Polizei ihn ausweisen: nicht aus politischen Gründen, sondern weil er der Allgemeinheit zur Last hätte fallen können (kein nachgewiesenes Minimaleinkommen). Das war zu einer Zeit, als er auf der ganzen Welt schon weidlich berühmt war und sogar gelesen wurde, wirklich, nicht nur in Fachkreisen. Früher, in Paris, hat er sich durchgehungert, ständiger Wohnungswechsel, nicht genannt sein wollende Wohltäter haben ihm zeitweise unter die Arme gegriffen (in Zürich: Carola Giedion-Welcker). Er lebte in Paris so bescheiden und lebte so genial, dass das Honorar für einen einzigen Joyce-Jubiläums-Artikel (NZZ, 1982) ihn ein ganzes Jahr ernährt hätte, schätzungsweise. Auch hatte er kein anständiges Stipendium von der englischen Regierung* * Während des 1. Weltkrieges hat Joyce zwar einmal 100 Pfund bekommen (privy purse). Damals war sein Ruf als Nestbeschmutzer noch nicht gefestigt., das gerade nicht, denn sein Englisch war ein Aufstand des katholisch-revolutionär-irischen Englisch gegen das klassisch-puritanisch-imperialistisch-viktorianische Englisch, eine Subversion im Sprachleib, eine Ratte in den innersten Gedanken-Innereien des Imperiums. Ein Guerillakrieg gegen die klirrende Sprache (sie klirrt immer noch unwidersprochen, auch in unsern Köpfen), die keinen Widerspruch duldet. Die Wörter seziert, auf ihre lateinischen, griechischen, keltischen Komponenten zurückgeführt, die ganze Sprachgeschichte hinauf und hinunter geklettert, dann die Rutschbahn in den Slang, neue Brocken aus allen europäischen Sprachen dazugemixt, die Sätze in die Sätze gebracht, in einen neuen Rhythmus, die müde Sprache das Tanzen gelehrt – und die ganze Bouillabaisse mit einem satanischen Kichern serviert. Von einem seiner Bücher hat er innerhalb des ersten Jahres nach Erscheinen 16 (sechzehn) Exemplare verkauft. Von einem andern 0 (null).

Seine Frau, mit der er recht glöcklich gewesen sein soll, nachdem sie sich geheurattet hatten, und sie mit ihm soll auch glicklich gewesen sein, sagte ihm also eines Tages seine Frau: Joyce, ich möchte Dir was sacken, aber werde nicht onglöcklich deswegen ond uuläädig.

Nur zu und phuetigott, meine lippe Anna Livia Plurabelle, sagte James, im vierten Stock der Rue du-chat-qui-pêche, Paris 6e, die letzten fünf Gramm Butter des Monats September mit dem Buttermesser zerkleinernd, während der Kanorenvugel songte u. der Kanunenoffen brunnte. Sagen möchte ich, hätte ich gemocht, wollte ich Dir sagen Joyce: Schreib einmal ein nice book, das würden die Leute koofen.

Lateinisch hat er gut gekonnt, griechisch auch, soll er wirklich auch gekonnt haben, frz., dt., i. auch, war Sprachlehrer in der Berlitz-School in Triest. Die Odyssee (Nr. 1, Homer) hat er sehr gut gekannt. Wer kennt sie noch? Das liest doch kaum mehr einer von uns. Liturgisches Lateinisch, das ging ihm leicht von der Hand, wie jedem gut imprägnierten Katholiken, sass tief, gurgelte aus den Tiefen herauf bei jeder unpassenden Gelegenheit. Dann Volkslieder und Schlager, alles was sich reimt und frisst, Hüt Dich schöns Blümelein James pflückt alles Joyce frisst alles botanisiert brutalisiert die seltensten Wörter. Zärtlicher Brutalnik, frisst unter dem Hag hindurch. Schnapp!

Bildung ist kein Nachteil, wenn sie Spass macht. Er fand das lustig. Wieder einmal Ulysses lesen (Homer) parallel zu Ulysses (Joyce). Bildung wird erst frech, wenn sie mit neuer Beobachtung verknüpft ist. Steht dann auf, rebelliert. Der Spaziergänger in den Literaturen, der Spaziergänger in Dublin. Lesen, auslesen, verlesen. Lasst freundlich Bild um Bild herein, fotografiert Dublin mit seiner Netzhaut. Dann die Alchimie im Kopf, Wortmixturen. Und jetzt wir, mit dem fertigen Produkt: wieder auf die Strasse, Zurick, Paris durch seine/unsere Augen sehen, mit seinen Bildern spielen, vielleicht ein bisschen sprayen, weiter subversieren. Work in progress. Neue chemische Wortverbindungen. Komm herunter Buck Mulligan Du grässlicher Jesuit und erzähl aus der Jesuitenschule.

Die ersten Lämpen kamen schon früh. 1906 hat er seinen Novellenband DUBLINERS zum erstenmal einem Verleger angeboten. Die Verleger hatten immer so Angst, weil die Drucker Angst hatten, ihre Druckereien könnten wegen des Drucks obszöner Worte gemassregelt werden. 1912 die erste Auflage: sofort eingestampft und verbrannt. 1917 schreibt Joyce: «Zehn Jahre meines Lebens sind hingegangen mit Korrespondenzen und Prozeduren wegen meines Novellenbandes DUBLINERS, welcher von vierzig Verlegern abgelehnt worden ist. Dreimal wurde der Text gesetzt, aber nicht gedruckt, einmal verbrannt. Ich habe mit 110 Zeitungen korrespondiert, sieben Advokaten, drei Aktien-Gesellschaften. Schliesslich wurde das Buch 1914 Wort für Wort so gesetzt, wie ich es im Jahre 1904 geschrieben hatte.» Die Mauer hatte nachgegeben, nachdem der irische Setzgrind Queergrind strangehead genügend lang auf sie eingeschlagen hatte: mit seinem Grind.

Er war überzeugt davon, dass er ein Genie war. Das ist kein Nachteil, wenn man wirklich ein Genie ist. Sonst ist es genierlich.

Bei der Publikation des ULYSSES stand ihm Ezra Pound bei, der kultivierte. Das Buch kam zuerst tranchenweise in einer amerikanischen Revue heraus; damit diese nicht verboten wurde (einen Buch-Verleger fand Joyce vorerst nicht), schlug Ezra Pound vor, die allerkrassesten, fettesten, schlifrigsten Stellen zu streichen: «Ich bin nicht sicher, ob das Wort URIN schon auf der ersten Seite notwendig ist. Die Präsenz der Exkremente hindert die Leser daran, Qualitäten, die anderswo zu finden sind, wahrzunehmen. Ich habe etwa zwanzig Linien gestrichen.»

Joyce war sauer. Streicht man im Leben vielleicht den morgendlichen Stuhlgang auch, weil wegen des Stuhlgangs anderweitig vorhandene Qualitäten von den Mitmenschen übersehen werden können? Scheisst der durchschnittliche Irländer am Morgen, oder scheisst er nicht? Also scheisst er auch am Anfang des Buches. Aber Joyce gab nach, Pound war ein Freund und meinte es gut mit ihm. Ohne Pound hätte er kein Brot gehabt.

Beim Kapitel «Die Sirenen» merkte Ezra Pound an: «Man kann auch mit weniger Emphase und weniger Details furzen … Einverstanden mit dem Furz an und für sich, aber nicht mit dem Furz als Kapitelschluss … so kann man eine Fuge nicht beenden.» Joyce hatte ihm nämlich erklärt, dass dieses Kapitel wie eine Fuge aufgebaut sei. «Der allgemeine Eindruck eines Buches hängt von der Idee ab, die sich der Leser von der geistigen Gesundheit des Autors macht», schrieb Pound. «Überscharfe Introspektion – warum nicht. Aber diese Arsch-und-Kloaken-Besessenheit! Muss das sein? Jede Obsession, jeder Tick muss sorgfältig analysiert werden vor der Niederschrift.»

Kontrolliert war das alles allerdings schon, und wie. Frech und kontrolliert, wild und diszipliniert, aggressiv und kultiviert, gedacht und gefühlt, gespornt und gezügelt. Das Kapitel «Nausicaa» reicht dann für eine Klage. Der New Yorker Repräsentant der «Gesellschaft für die Unterdrückung des Lasters» reicht Klage ein, der Text sei «obszön (kam nicht schon im Kapitel ‹Zyklop› eine Erektion vor?), ausschweifend, lasziv, schweinisch, unzüchtig, abstossend, und zwar so sehr, dass man die entsprechenden Stellen gar nicht zitieren kann.» Respektable Dichter verteidigen die wüsten Stellen; unter anderem mit dem Argument, sie seien zu philosophisch und zu schwer verständlich, um Schaden anzurichten (solang die Literaten unter sich bleiben …). Es setzt eine Busse von hundert Dollars ab und eine Verfügung, welche die weitere Publikation von ULYSSES in der literarischen Revue untersagt.

1922 kommt endlich das Buch heraus, dank Sylvia Beach, der mutigen Buchhändlerin von «Shakespeare and Company» in Paris. Exemplare, die in den USA erwischt werden, kommen auf den Scheiterhaufen (auch heute werden in einigen Bundesstaaten wieder Bibliotheken gesäubert). Der marxistischen Kritik gefällt das Buch gar nicht, in Moskau hat es keine Chance. Hingegen ist T.S. Eliot begeistert, und Pound findet seine eigenen Zensurschnitte jetzt überflüssig. Joyce wird schnell berühmt. Geld hat er deswegen nicht, auch keine besseren Wohnungen. Es ist ein Buch für Kenner. Das nächste wird noch schwieriger werden. Und die Reaktionen sind immer noch gemischt. Ein englischer Kollege schreibt ihm im Jahre 1928: «Ihre Bildung ist katholisch, irisch, revolutionär, meine ist wissenschaftlich, konstruktiv und, so glaube ich, englisch. Ihr Gefühlsleben ist von monströsen Widersprüchen beherrscht: Sie glauben an die Keuschheit, an die Reinheit, an einen persönlichen Gott, und deshalb verbringen sie ihre Zeit damit, sehr laut vom Arsch, vom Scheissdreck und von der Hölle zu reden.»

Und wenn er wiederkäme und ein neues Manuskript irgendeiner Wochenendbeilage irgendeiner dieser deutschsprachigen Zeitungen anböte, die ihn heute so wahnsinnig gut finden.

Auskünfte von Karola & Ernst Bloch betr. ihre Asylanten-Zeit in der Schweiz, nebst ein paar anderen Erwägungen

NM: Im Kleinbürgertum stecken christliche Rückstände, christliche Traditionen sind dort noch am ehesten verwurzelt. Wenn man diese einmal anders aktivieren könnte, nicht wie die Christdemokraten es tun, in einem konservativen bis reaktionären Sinn, sondern indem man an die revolutionäre Tradition des Christentums anknüpft, wie der aufständische Wiedertäufer Thomas Münzer …

Ernst Bloch: Da haben Sie ja ein Vorbild in der Schweiz. Meiner Ansicht nach ist die Schweiz das kleinbürgerlichste Land Europas. Wo sind denn in diesem kleinbürgerlichen Land mit einer guten Tradition, ich denke an Wilhelm Tell, heute die Ansätze? Die gab es einmal zur Zeit von Gottfried Keller, das ist jetzt alles weg. Noch bis in den Ersten Weltkrieg gingen sie hinein, die echten demokratischen Ansätze in der Schweiz. Das Antipreussische war tief demokratisch, die Abneigung gegen das Organisieren und so weiter. Die Abneigung gegen die «Schwaben» war weniger erfreulich. Aber etwas echt Demokratisches war drin. Und was wurde draus gemacht? Die Schweiz hat kapituliert vor Amerika, nicht vor dem Amerika Wilsons, sondern vor jenem, das nachher kam. Und unerträglich ist das Pharisäertum und die Selbstgerechtigkeit dieses schweizerischen Kleinbürgertums. Die haben's nötig!

Kein Land ist von seiner Tradition, von dem Gesetz, unter dem es angetreten ist, so abgefallen wie die Schweiz. Ich liebte damals die Schweiz, die ich während des Ersten Weltkriegs kannte. Da hat Süddeutschland einmal einen Kopf gehabt! Wie viele prachtvolle Fürsprechs habe ich damals kennengelernt, die wollten mich zum Ehrenbürger von Interlaken machen, damit ich nicht ausgewiesen würde. Auf diese Weise kann man innerhalb von fünf Minuten schweizerischer Staatsbürger werden. An dem Morgen, als das beschlossen wurde, kam ich ins Restaurant «Chrütz» oder ins «Fédéral», da war gerade die Revolution in Bayern ausgebrochen, da hat mich ein Berner Fürsprech umarmt und geküsst. Ich fragte: Und wie steht's nun mit dem Ehrenbürger von Interlaken? Wo jetzt endlich die deutsche Revolution ausgebrochen ist, da kann sich die Schweiz ausweiten zu einer Welt-Schweiz. Darauf meinte der Fürsprech Allenbach: Also hör, Ernst, jetzt müssen wir dir erst recht die schweizerische Staatsbürgerschaft verleihen, was du gesprochen hast, sagtest du als än rächte Schwiizer. Gut, darauf haben wir gelacht und wieder ein bisschen Roten getrunken. Und da hab' ich noch eins hinzugefügt: Konstanz geb' ich nicht her, das kommt mir nicht zum Kanton Thurgau! Also gut, da hab' ich die herrlichsten Freunde gehabt, war wie 'ne nachgeholte Pennälerzeit. Schulkameraden. Wir wurden alle jung durch die Ereignisse. Und ist keine Spur von Spiessertum gewesen. Und haben mir Geld gegeben, damit ich leben konnte. Das war damals noch der Citoyen, der in der Schweiz den Ton angab.* * Blochs erster Schweizer Aufenthalt dauerte vom Mai 1917 bis zum Januar 1919, als er, mit Wohnsitz in Bern und später Interlaken, eine Studie über pazifistische Ideologien in der Schweiz anfertigte und ca. 100 Artikel, z.T. unter Pseudonym, für die «Freie Zeitung» schrieb. Die Emigranten galten in Deutschland als Landesverräter, ihre Produkte konnten nur getarnt ins Reich geschmuggelt werden, so z.B. unter dem Titel «Winterkurorte in der Schweiz». Dieses erste Schweizer Exil hatte Bloch halbwegs aus freien Stücken gewählt, er war nicht aus Deutschland verbannt, konnte aber in der Schweiz mit Zeitungsartikeln Geld verdienen, die er in Deutschland nicht hätte schreiben können. Das zweite Mal kam Bloch, gefolgt von seiner zukünftigen Ehefrau Karola Piotrkowska, als politisch Verfolgter in die Schweiz, am 6. März 1933. Die beiden lebten zuerst in Küsnacht, dann in Zollikon (in der Wohnung des Schriftstellers Hans Mühlestein), hin und wieder auch im Tessin. Sie «verhalten sich insgesamt so, dass die Schweizer Behörden, ängstlich auf Wohlverhalten gegenüber Nazi-Deutschland bedacht, mit immer grösserem Unbehagen reagieren. (…) Im Sommer 1934 kommt die Ausweisungs-Verfügung der Berner Fremdenpolizei – ohne Begründung.» (Peter Zudeick, Ernst Bloch, Elster-Verlag 1987) Am 15. September müssen sie die Schweiz verlassen: Karola fährt zu ihren Eltern nach Lodz, Ernst vorläufig an den Comersee. Sie können von Glück reden, dass sie nicht direkt den Nazi-Behörden ausgeliefert werden. Auskünfte von Karola & Ernst Bloch

NM: Wann hat der Petitbourgeois überhandgenommen, dieses verkrustete Kleinbürgertum?

Ernst Bloch: Wer jetzt dorthin fährt, der kennt die Schweiz nicht wieder. Ich möchte auch gar nicht mehr nach Interlaken fahren, so gerne ich die Enkel und Kinder meiner Freunde auch treffen möchte. Ich habe so gerne in der Schweiz gelebt. Und habe solche Dankbarkeit für sie gehabt. Und der gute Ton der Gespräche damals! Und aufrecht gehende Leute, auch wenn's nicht alle gemacht haben. Corruptio optimi pessima. Von Deutschland hat man nicht viel erwartet, aber dass die Schweiz so verspiessert … Das war auch die Zeit, als Liebknecht, Rosa Luxemburg und Lenin in der Schweiz Unterkunft gefunden haben, während später, in den dreissiger Jahren, hat man Juden und Kommunisten an der Grenze zurückgeschickt. Und wir wurden ausgewiesen.

Karola Bloch: Dass wir im Gefängnis waren in der Schweiz, das wissen Sie? Das war 1933. Sommer '33. Wir waren in Ascona im Urlaub. Und wie wir dann wieder nach Zürich zurückreisen wollten, wo ich studiert habe an der ETH, übrigens bei einem echten Faschisten, einem Professor Weiss …

Ernst Bloch: Auch der Hausbesitzer, wo wir wohnten, war ein Fröntler, Oeser oder so ähnlich hat er geheissen. Die Freunde haben uns immer so erstaunt angeschaut, wenn wir sagten, wir wohnten im Hause von Oeser, bis wir dann herausgefunden haben, dass er ein Fröntler war.

Karola Bloch: … und als wir wegreisen wollten, kommt plötzlich ein Mann auf uns zu, klappt das Mantelrevers so zurück und sagt: Polizei, sie sind verhaftet, bitte machen sie keinen Widerstand. Das war auf dem Bahnsteig. Ich hab' gesagt: Ja, und was ist mit unserem Gepäck, das Gepäck kommt doch aus dem Hotel, kümmern Sie sich darum, dass alles erledigt wird! Und wir kamen also zum Verhör, getrennt, und er fragte mich: Wieviel Sprachen sprechen Sie eigentlich? Und ich habe gesagt: Oh, ich spreche eine ganze Menge, ich bin Polin, und bei uns lernt man also viele Sprachen. Jaja, Sie müssen schon viele Sprachen können, meinte er. Müssen muss ich gar nix, hab' ich gesagt. Weil ich nicht so gut Italienisch konnte, wollte ich französisch mit ihm weiterreden. Ach, Sie können glänzend Italienisch, sagte er und fuhr auf italienisch weiter. Und an irgendeinem Punkt hat er mir dann gesagt: Also machen Sie mir nix vor, Sie sind selbstverständlich eine Komintern-Agentin. Es stellte sich dann heraus, dass die Polizei Briefe beschlagnahmt hatte, welche politisch aktive Freunde an mich geschrieben hatten.

Dann sassen wir im Gefängnis, eine Nacht in Locarno und eine Nacht in Bellinzona, und dann hat man uns freigelassen, und ich stand unter Polizeiaufsicht in Zürich. Und nur dadurch, dass Mühlestein und andere prominente Schweizer sich für uns eingesetzt haben, sind wir nicht sofort ausgewiesen worden, sonst hätte ich mein Diplom nicht machen können. Aber kaum war das Diplom da, haben sie uns beide ausgewiesen. Eigentlich dürften wir auch jetzt nicht in die Schweiz einreisen.

Ernst Bloch: Der Wortlaut der Ausweisung hiess so: «Weil die Voraussetzungen, die früher zur Erteilung einer Duldung innerhalb der schweizerischen Grenzen geführt haben, nicht mehr vorzuliegen scheinen.» «Scheinen» dazu noch. Die zur Erteilung einer Duldung! Eine Unverschämtheit ist schon das Wort Duldung.

Karola Bloch: Aber ich bin sehr froh, dass ich mal im Gefängnis war. Da waren Wanzen in dieser Zelle. Ich konnte gar nicht schlafen. Und das Essen war abscheulich. Ich habe natürlich diese Situation ausgenutzt als politisch aktiver Mensch, um zu schimpfen gegen die schweizerischen Gefängnisse. Dem Mann, der da jeweils zu mir kam und mir etwas zu trinken brachte, abscheuliche Brühe, Wasser, in dem so paar Nudeln schwammen, eine Schande!, habe ich dem gesagt, und die Wanzen! Schämen Sie sich, in der Schweiz, die so Anspruch hat, hygienisch zu sein, dass Sie Wanzen haben in der Zelle, das gibt's doch gar nicht mehr. Also ich schimpfte wie ein Rohrspatz. Und mein Mann war irgendwie viel klüger als ich, vielleicht dadurch auch, dass er mehr so Krimis gelesen hat und mehr wusste, wie man sich in einem Gefängnis benimmt – obwohl – ich hab' ja die politische Literatur gekannt –, und er hat gesagt: Ich bin ja nur ein Untersuchungshäftling, da kann ich ja noch etwas verlangen, und da hat er zu diesem Gefängniswärter gesagt: Nehmen Sie doch vom Geld, das ich hinterlegen musste, und bringen Sie mir Schinken und Weissbrot und Chianti und so weiter und dasselbe für die Dame. Wir waren damals noch nicht verheiratet, wir haben sogar gedacht, dass man uns wegen Zuwiderhandelns gegen den Konkubinatsparagraphen verhaftet hatte. Und der bringt mir tatsächlich alles und sagt: Der Herr da schickt es Ihnen.

Ernst Bloch: Hab' den Wärter auch zum Essen eingeladen. Und er hat akzeptiert. Wir kamen ins Gespräch, er sagte: Sie sind also Sozialist, socialista, oh.

Karola Bloch: Sie haben meinem Mann den Gürtel abgenommen, damit er sich nicht aufhängt, und die Brille …

Ernst Bloch: … damit ich mir nicht mit dem Glas die Pulsadern öffne.

Karola Bloch: Damals, als die Linken so streng beaufsichtigt wurden, konnten sich die Faschisten in der Schweiz völlig frei bewegen. Damals wohnten wir in Küsnacht, glaube ich. Wir hatten eine kleine Wohnung, die ich unter meinem Mädchennamen gemietet habe. Und ein Zürcher Polizist kommt also einen Tag nachdem wir zurückgekehrt sind aus dem Tessiner Gefängnis, läutet an der Tür und sagt: Sind Sie Fräulein P.? Also ich muss ein Protokoll mit Ihnen aufnehmen. Name, Vorname, Geburtsjahr usw. – «Sie wohnen doch hier mit einem Herrn Doktor Bloch, haben Sie ein Verhältnis mit Doktor Bloch?» Hab' ich gesagt: Nein. Und ich sah, wie er ins Protokoll schrieb: «Hat kein Verhältnis mit Doktor Bloch.» Wieso wohnen Sie denn zusammen? Wissen Sie, antwortete ich, Herrn Doktor Bloch habe ich als Untermieter genommen. Das schrieb er wieder genau ins Protokoll. Dieser Polizist war aber ein Sozialdemokrat und ein sehr netter Mann. Der ist dann immer wieder zu mir gekommen, aber nicht, um mich zu kontrollieren, sondern um mich zu informieren, was in der Stadt vor sich geht. Da sagt er zum Beispiel: Fräulein Petrowska, gehen Sie heute nicht ins Café «Odeon», da gibt's heute eine Razzia. Nun waren viele meiner Freunde ohne Papiere, nicht wahr, als Flüchtlinge, es wimmelte von Emigranten – und ich natürlich sofort zu meinen Freunden und sage: Kinder, geht heute um Gottes willen nicht ins «Odeon», da gibt's eine Razzia. So war ich für die also eine herrliche Quelle, durch meinen Polizisten wusste ich alles.

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9783038551591
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