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Anna schüttelte den Kopf. „Hast du schon einmal überlegt, wohin dich diese irrationale Liebe das letzte Mal gebracht hat?“

„Das ist etwas anderes. Napoleone ist nicht Stefan und ich bin nicht mehr die Frau, die ich vor fünf Jahren war.“

Anna schnaubte resigniert. Marie war einfach nicht zu helfen. „Ich werde das nie verstehen. Was geschah noch?“

„Es war ja praktisch unsere Hochzeitsnacht und ...“ Marie stockte und blickte verlegen zu Boden.

„Sex?“ Es kostete Anna große Mühe, ernst zu bleiben.

Marie nickte, puterrot im Gesicht.

„War er wenigstens gut?“

Wieder ein Nicken.

„Und dann?“

„Nicht mehr viel. Wir blieben den ganzen Tag und die Nacht in der Hütte.“

Als die Welt zurückkam, lag ich allein auf dem provisorischen Bett. Verwirrt sah ich mich um und hörte schließlich eine Feder über Papier kratzen. Draußen herrschte dunkle Nacht. Napoleone saß am Tisch und schrieb. Schweren Herzens registrierte ich, dass es Zeit war zu gehen. Also stand ich auf und begann, mich anzuziehen. Er hatte zu schreiben aufgehört und beobachtete mich unter gesenkten Lidern. Seufzend lief ich zu ihm und legte von hinten meine Arme um seinen Hals. „Schläfst du eigentlich nie?“

„Selten mehr als drei oder vier Stunden“, kam seine zärtliche Antwort.

Das hatte ich gelesen. Nur so schaffte er später sein hohes Arbeitspensum.

„Ich muss jetzt gehen, Napoleone.“ Er drehte den Kopf, um mich innig zu küssen. Als er seine Lippen von meinen löste, saß ich auf seinem Schoß. „Ich werde dich nicht gehen lassen“, murmelte er.

Widerwillig befreite ich mich aus seiner Umarmung und brachte möglichst viel Abstand zwischen uns. „Ich muss wirklich gehen. Mach es mir nicht noch schwerer.“

„Marie, ich ...“

Die Qual in seiner Stimme brach mir das Herz. „Du hast es versprochen, Napoleone. Keine Fragen.“

Seine Hände ballten sich zu Fäusten und einen Moment lang rechnete ich mit einem Wutausbruch. Doch er bekam sich unter Kontrolle und trat zu mir heran. Mit der Hand wischte er eine Strähne aus meinem Gesicht. „Damit du mich nicht so schnell vergisst.“

Der Kuss, der den Worten folgte, brachte mich an die Grenzen meiner Beherrschung. Als ich fast schon bereit war, seinem Drängen nachzugeben, löste er sich von mir und setzte seine Arbeit am Schreibtisch fort - ohne sich noch einmal umzusehen.

„Ich kann es nicht glauben. Du liebst einen untreuen, größenwahnsinnigen, egozentrischen Massenmörder?“ Annas Stimme überschlug sich.

„Das ist er doch gar nicht. Er verabscheut Gewalt.“

„Gerade du solltest wissen, dass das nicht stimmt. Du weißt, was alles passieren wird. Was er tun wird.“

„Ich weigere mich, das zu glauben.“ Mit verschränkten Armen und angezogenen Knien blickte Marie ihrer Cousine trotzig entgegen.

„Ach ja? Er wird Kriege führen, jedes Maß verlieren und Dutzende von Frauen haben. Du wirst eine von Vielen sein. Sieh der Wahrheit ins Gesicht, Marie. Napoléon Bonaparte ist ein notorischer Fremdgänger, der die Weltherrschaft anstrebt und dem dazu jedes Mittel recht ist!“

„Er wollte nie die Weltherrschaft. Europa, er wollte Europa.“

Anna lachte. „Ja, sicher. Europa. Hörst du dir zu?“ Sie ging zu Marie und setzte sich neben sie. „Ich will nur nicht, dass du dich da emotional in etwas reinsteigerst. Das ist nicht echt! Und gegen Napoléon war Stefan ein Heiliger!“

Marie schüttelte den Kopf. „Du kannst mich nicht umstimmen. Ich weiß, dass alles stimmt, was du sagst. Aber ich liebe ihn und niemand kann mir das wegnehmen.“ Sie stand auf und verließ das Zimmer.

9. - 11. November

Auch, wenn Marie es ungern zugeben wollte, hatten Annas Worte sie nachdenklich gestimmt. Sie verbrachte den ganzen Tag damit, in ihren Büchern nach Antworten zu suchen, und stellte sich immer wieder dieselbe Frage: Will ich, dass das weitergeht?

Zu einem Ergebnis kam sie nicht und legte sich am Abend mit dem Gedanken schlafen, dass ihre Träume sie sicher klarer sehen lassen würden.

Doch es wurde eine traumlose Nacht. Marie hörte in sich hinein und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie eigentlich froh darüber war. Das gab ihr Zeit zum Nachdenken. Denn mit einem hatte Anna recht: Das letzte Mal, als sie sich Hals über Kopf in eine Beziehung gestürzt hatte, war eindeutig eine Katastrophe gewesen. Sie hatte alle negativen Aspekte einfach beiseite geschoben, und sich am Ende selbst verloren. Das sollte ihr nicht noch einmal passieren.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie tat ja gerade so, als ob Napoleone echt wäre. Das waren Träume und nicht das echte Leben. Im echten Leben standen heute Ämtergänge auf dem Plan. Sie musste sich und ihr Auto ummelden und ihre Unterlagen bei der neuen Schule abgeben. Das hatte sie schon viel zu lange vor sich hergeschoben.

Heute Abend würden ihre Gefühle sicherlich klarer sein.

Waren sie nicht. Marie wusste nur, dass sie Napoleone vermisste. Sie hatte den ganzen Tag an ihn denken müssen und sich zu ihm zurückgewünscht.

Anna empfing sie gespannt, als sie endlich wieder zu Hause ankam. „Und, was ist diese Nacht passiert?“

„Nichts.“ Marie hängte ihre Jacke an die Garderobe, schlenderte ins Wohnzimmer und ließ sich in den Sessel fallen.

Mit gerunzelter Stirn setzte sich Anna zu ihr. „Wie, nichts?“

„Ich habe nicht geträumt.“

„Finden wir das jetzt gut oder schlecht?“

Marie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Gut, weil es mir Zeit zum Nachdenken gibt. Schlecht, weil ich ihn vermisse.“

„Du weißt schon, dass es nur Träume sind und es gut sein könnte, dass du nie wieder von ihm träumst?“, fragte Anna vorsichtig.

„Das weiß ich. Aber das will ich nicht glauben. Ich gebe mir noch eine Nacht. Ich meine, wenn das Träume sind, sollte das genug Zeit sein, um mich aus ihrem Bann zu befreien, oder?“

„Ich verstehe nicht?“

Marie zog die Knie an und stützte ihr Kinn darauf ab. „Du hast das doch bestimmt schon erlebt, dass ein Film oder ein Buch dich so sehr gefesselt hat, dass diese Welt für einen Moment realer war als das echte Leben.“

„Ein- oder zweimal, ja.“

„So fühlt sich das hier an. Dieses Gefühl vergeht, wenn die Realität Einzug hält. Ich gehe davon aus, dass diese Anziehungskraft morgen verschwunden sein wird.“

„Ist sie schon schwächer geworden?“

„Ein wenig.“

Dass Marie log, hörte Anna an ihrem Tonfall. Und, dass sie ihr bei ihren Worten nicht in die Augen sah, überzeugte sie völlig. Aber Marie würde das nie zugeben. Marie wollte Normalität, die sollte sie bekommen. „Lass uns in Kino gehen. Das lenkt dich sicher ab.“

Nach einer weiteren traumlosen Nacht erwachte Marie mit der Gewissheit, dass sie Napoleone wiedersehen musste. Um jeden Preis. Diese Träume waren einfach zu schön. Und das Gefühl, von dem sie Anna erzählt hatte, ließ nicht nach. Das Gegenteil traf zu. Es wurde immer schlimmer. Mit jedem Tag, der verging, glaubte sie, mehr in einer Scheinwelt zu leben. Die Realität verblasste gegenüber den Erlebnissen in der Traumwelt.

Diese Geschichte musste zu einem Ende gebracht werden. Wo dieses Ende lag und wie es aussehen mochte, war ihr nicht klar. Das machte auch nichts. Es würde gut werden.

Mit diesen Gedanken betrat Marie das Wohnzimmer. Noch bevor sie etwas sagen konnte, begann Anna zu sprechen: „Marie, ...“

„Ich will zurück zu ihm!“, platzte Marie dazwischen. „Ich halte das nicht mehr aus. Ich denke nur an ihn, an seine Hände, seine Küsse, seine Worte.“ Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Und wenn ich verrückt bin, dann will ich das ausleben. Das ist tausendmal besser als das echte Leben. Die letzten Monate waren so beschissen, ich habe ein wenig Glück verdient.“ Sie schlug mit der Faust in die Luft. „Ich liebe Napoleone und ich will ihn wiedersehen!“

„Mit allen Konsequenzen?“

„Was sollen das für Konsequenzen sein? Ich tu doch niemandem was. Ich träume!“

„Das meine ich nicht. Ich meine die Konsequenzen für dich.“

„Für mich?“

„Ja, für dich. Machst du dir keine Sorgen über deine Zurechnungsfähigkeit?“

„Über meine ...“ Langsam sank sie auf das Sofa und starrte an Anna vorbei. „Du hältst mich für verrückt.“ Das hatte sie nicht erwartet. Sie hatte gewusst, dass Anna der ganzen Sache skeptisch gegenüber stand, aber die ganze Zeit angenommen, sie sei auf ihrer Seite.

„Ich halte dich nicht für verrückt!“ Anna fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ein wenig verwirrt im Moment, nicht verrückt.“

„Verwirrt! Ich muss hier weg.“ Mit diesen Worten stand Marie auf und stürmte in ihr Zimmer. Mit schnellen Griffen sammelte sie Handtasche und Jacke ein und verließ die Wohnung.

Am nächsten Morgen fand Anna mehrere Seiten mit Maries Handschrift vor ihrer Zimmertür liegen. Mit gerunzelter Stirn nahm sie die Aufzeichnungen und fing an zu lesen.

11. November (29. / 30. Mai 1793)

Flucht

Wieder ein Strand. Aber hinter mir erstreckte sich keine Stadt, sondern ein gedrungener Turm und Gestrüpp. Vor mir lag das Meer. Diesmal war es nicht ruhig, sondern aufgewühlt. In der Ferne erkannte ich eine Inselgruppe, die eigentümlich rot schimmerte. Die Blutinseln, fuhr es mir durch den Kopf. Die hatte Napoleone mir zeigen wollen. In der untergehenden Sonne sahen sie tatsächlich aus, wie mit Blut getränkt. Und obwohl der Anblick mich bezauberte, lief mir ein Schauer über den Rücken.

Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich fröstelte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Mit zusammengekniffenen Augen blickte ich aufs Meer hinaus. Die Wellen brachen einige Meter vor dem Ufer und spritzten Gischt in alle Richtungen.

Und dann sah ich es. Arme ragten aus dem Wasser, ein Gesicht, das sofort wieder in den Wellen verschwand, ein leises Wimmern. Ohne nachzudenken, rannte ich auf die Gestalt im Wasser zu. Das Meer umspielte meine Knöchel, meine Waden und ich kam immer langsamer voran. Diese vermaledeiten Röcke saugten sich mit Wasser voll und hingen wie Blei von meinen Hüften. Inzwischen erkannte ich, dass ein Mädchen mit den Wellen rang. In dieser Kleidung ein aussichtsloser Kampf.

Die Augen immer auf das Kind gerichtet, öffnete ich zwei, der insgesamt drei Röcke, die ich trug. Mühsam streifte ich sie ab. Sobald sie mit den Wellen davon schwammen, gelang es mir endlich, mich schneller zu bewegen. Das Mädchen hatte mich bemerkt und versuchte, auf mich zuzuwaten.

Noch ein paar Schritte, sie streckte mir ihre Arme entgegen und ich griff danach. Mit einem Ruck zog ich sie zu mir heran. Am ganzen Leib zitternd, drückte sie sich an mich. Ihr Kopf lag an meiner Schulter. Sie musste älter sein, als ich zunächst angenommen hatte. Ich schätzte sie auf vierzehn. Entsprechend schnell erholte sie sich und das Beben ihres Körpers ließ nach. Sie war voll bekleidet und die Wellen zerrten mit aller Kraft an ihr. Selbst zu zweit gerieten wir mehr als einmal ins Straucheln.

„Kannst du mich verstehen?“

Sie blickte mich mit großen Augen an und nickte.

„Wir müssen ans Ufer zurück! Halte dich an mir fest und stemme dich gegen die Wellen. Kannst du das?“

Wieder ein Nicken. Mit vereinten Kräften gelang es uns, den Strand zu erreichen und wir sanken erschöpft in den Sand.

Nach Atem ringend, lag ich mit geschlossenen Augen da und hörte auf meinen ruhiger werdenden Herzschlag. Sie brach das Schweigen: „Madame Seurat? Seid Ihr das?“

„Das bin ich.“ Sie kannte mich? „Und du?“

„Ich bin Paola Buonaparte. Erinnert Ihr Euch nicht?“

Das sollte die kleine Paoletta sein?

„Wo ist Napoleone? Ist er bei Euch?“ Sie blickte mich aus erwartungsvollen Augen an. Als ich den Kopf schüttelte, verfinsterte sich ihre Miene und sie ließ die Schultern hängen.

„Ist er nicht hier? Ich dachte ...“ Den Satz brachte ich besser nicht zu Ende. Ich hatte sagen wollen: 'Ich dachte, deshalb sei ich hier.'

„Warum bist du so weit weg von zu Hause, Paoletta?“

Sie legte den Kopf schief und blickte mich misstrauisch an. „Mama sagt, wir haben kein zu Hause mehr.“

„Aber wie ...?“

„Mama sagt, Napoleone käme uns holen. Mit dem Schiff. Ich bin ins Meer hinausgewatet, um besser sehen zu können, ob er kommt.“ Ihr Blick senkte sich. „Danke für meine Rettung. Aber er ist nicht da.“

„Wo ist er?“

„Er beschießt die Festung. Und wenn das nicht funktioniert, gehen wir nach Frankreich.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ich denke, Mama wird das besser erklären können. Kommt!“ Sie nahm meine Hand und lief auf den Turm zu. „Ich glaube nicht, dass sie sich freuen wird, Euch zu sehen. Sie und Napoleone haben wegen Euch gestritten.“

„Wegen mir?“

„Oh ja, sie streiten jedes Mal wegen Euch, wenn er wieder auf Korsika ist.“

Jedes Mal? Wenn ich die bruchstückhaften Informationen, die ich hatte, zusammensetze, ergab sich ein relativ schlüssiges Bild, wo und wann ich mich befand – und es gefiel mir überhaupt nicht.

„Äh, Paoletta?“ Ich räusperte mich verlegen. „Wie lange ist es her, dass ich Napoleone auf Korsika besucht habe?“

Sie kniff die Augen zusammen und ähnelte ihrer Mutter und ihrem Bruder auf erschreckende Weise. „Beinahe drei Jahre. Warum ...“

Drei Jahre! Ich schlug die Hand vor den Mund. Verdammt! Aber eigentlich bestätigte das nur, was ich eh schon gewusst hatte. Der Turm war der Genueserturm Capitellu. Dort hatte Napoleones Familie auf ihn gewartet, als man sie aus Korsika vertrieb. Sie hatten sich einige Tage dort versteckt, bis er sie mit einem Schiff der französischen Kriegsflotte abholen kam.

Drei Jahre! Ja, da würde Signora Buonaparte nicht gut auf mich zu sprechen sein. Und Napoleone erst! Ich heiratete ihn und verschwand für drei Jahre.

„Alles in Ordnung, Mademoiselle?“

„Ja, natürlich. Ihr seid vertrieben worden?“

„Ja! Wir sind nachts aus dem Haus geflohen und nach Milelli gegangen. Aber dort haben sie uns gefunden. Also haben Matteo und Costa uns hierher gebracht. Napoleone hat sie geholt, um uns den Weg zu zeigen. Jetzt sind wir hier und müssen leise sein und dürfen nicht raus und langweilen uns ganz entsetzlich.“

Wir waren am Turm angekommen und Paoletta führte mich in einen feuchten, modrigen Raum. Durch die schmalen Schlitze der Schießschächte fiel wenig Licht und mir blieb verborgen, wieviele Menschen sich hier befanden.

„Paoletta“, hörte ich die scharfe Stimme ihrer Mutter. Den Rest verstand ich nicht. Paoletta antwortete und deutete auf mich. Meine Augen hatten sich an das Dämmerlicht gewöhnt und Letitia Buonaparte kam mit ausdruckslosem Gesicht auf mich zu. „Gebt mir einen einzigen Grund, warum ich Euch nicht auf schnellstem Wege aus diesem Turm befördern sollte!“

Ich schluckte und fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Ihre Worte kamen mir in den Sinn: Wenn ich Napoleone verletze, würde ich mir wünschen, nie geboren worden zu sein. Nun, dank ihres Blicks war es fast so weit.

Aber es musste einen Grund geben, warum ich hier war! Was sollte es für einen Sinn haben, wenn sie mich jetzt hinauswarf?

Paoletta kam mir zur Hilfe: „Sie hat mir das Leben gerettet, Mama! Ich wollte sehen, ob Napoleone kommt und ...“ In lebhaften Worten, erzählte sie, was passiert war. Selbst in dem dämmrigen Licht sah ich, wie Signora Buonaparte erbleichte.

„Dann stehe ich in Eurer Schuld“, sagte sie in einem Tonfall, der die Hölle hätte gefrieren lassen. „Ihr dürft bleiben.“ Sie wandte sich ab und begann, auf ihre Tochter einzureden.

Dankbar, dass sie ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwandte, ließ ich mich auf dem Boden sinken. Die Rettungsaktion im Wasser hatte mich mehr angestrengt, als ich mir eingestehen wollte. Ich war immer noch klitschnass und das feuchte Klima im Raum ließ mich zittern.

„Bitte, Madame, nehmt die Decke, bevor Ihr Euch den Tod holt.“ Die Stimme hatte ich schon einmal gehört. Sanfte Hände legten etwas Warmes um meine Schultern und ein Mann trat in mein Blickfeld: Es war Napoleones Onkel, Joséph Fesch.

„Ich möchte mich auch im Namen meiner Schwester bei Euch bedanken. Paoletta war schon immer sehr ungestüm und nie eine gute Schwimmerin. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn Ihr nicht zur rechten Zeit vor Ort gewesen wäret.“

Mit einem wohligen Seufzer zog ich die Decke enger um meine Schultern. „Das war doch selbstverständlich. Ich bin froh, dass ich helfen konnte.“

„Meine Schwester hat schwere Zeiten hinter sich. Sie hat alles verloren und jetzt bangt sie um ihren Sohn. Ihr wisst nichts über Napoleones verbleib?“

„Nein. Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, ihn hier zu treffen.“

„Er ist nicht hier. Noch nicht.“ Letitzia Buonaparte. Sie trat zu uns heran und reichte mir etwas Brot, Käse und einen Weinschlauch. „Er hat gesagt, er würde uns holen.“ Da gab es keinen Widerspruch. Sie glaubte an ihren Sohn und duldete nicht, dass man etwas anderes dachte.

Konnte ich es wagen zu fragen, was zu dem Aufenthalt hier geführt hatte? Meine Erinnerungen waren etwas lückenhaft.

„Was ist passiert? Paoletta sagt, man habe Euch aus Ajaccio vertrieben.“

Die Mienen der Geschwister versteinerten. „Das ist richtig“, antwortete Letitia. „Napoleone und Luciano haben sich mit Paoli überworfen. Paoli handelte gegen die Interessen Frankreichs und das konnten meine Söhne nicht akzeptieren.“

Fesch nickte mit traurigen Augen. „Dann hat sich alles verselbständigt. Paoli wurde inhaftiert und Luciano hat in einem öffentlichen Brief die Familie Buonaparte dafür verantwortlich gemacht. Das führte zu Unruhen und schließlich ...“ Er brach ab und blickte sich im Turm um. „Die Familie Buonaparte wird Korsika so schnell nicht wiedersehen.“

Signora Buonaparte seufzte schwer. Aus einem Impuls heraus griff ich nach ihrer Hand und drückte sie. Ich konnte mir nicht auch nur annähernd vorstellen, wie es in ihr aussah. Aber ich wusste, dass sie recht hatte. Sie würde nie wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Kanonendonner lösten uns aus unserer Erstarrung. „Hoffentlich ist das endlich Napoleone!“ Wir erhoben uns und rannten nach draußen. Am Horizont erkannte ich tatsächlich die Umrisse eines Schiffs. Ein Beiboot ruderte bereits aufs Ufer zu.

„Ich wusste, dass er kommt!“ Letitia ergriff kurz meine Hand, drückte sie und wandte sich an ihre Kinder. Sie gab Anweisungen und alle rannten in den Turm. Kurz darauf kamen sie mit ihren gepackten Bündeln wieder hinaus und blickten erwartungsvoll dem Boot entgegen.

Das war inzwischen so nah herangekommen, dass ich die Menschen darauf erkannte. Napoleone stand am Bug. Sein Blick streifte jeden Einzelnen und ich meinte, ihn einen Moment länger auf mir verharren zu spüren.

Er sprang ins Wasser und watete auf uns zu. Seine Geschwister rannten ihm entgegen und umarmten ihn. Als er sie alle ausgiebig begrüßt hatte, wandte er sich seiner Mutter zu. Der herzlichen Umarmung folgte eine kurze Diskussion, der ich nicht folgen konnte. Schließlich ließ er sie los und nahm seine Schwester Anunziata auf den Arm. Fesch nahm Giralomo und gemeinsam bahnten sie sich ihren Weg durchs Wasser. Auf gleiche Weise folgten Paoletta und Luigi. Danach trug Napoleone Maria Anna ins Boot und kam zurück. Mich hatte er immer noch keines Blickes gewürdigt, geschweige denn mit mir geredet. Deutlich wurde mir mein unpassender Aufzug bewusst. Ich musste aussehen wie eine nasse Katze und trug nur einen Unterrock.

Napoleone kam uns entgegen, um Letitia hochzuheben, doch sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Sie zuerst“, sagte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Sie hatte Französisch gesprochen.

Napoleones Miene versteinerte. Seine Antwort verstand ich nicht, aber er lehnte offensichtlich ab.

„Dann bleibe ich auch!“ Letitia blickte ihrem Sohn in die Augen und er starrte zurück.

Mein Magen zog sich zusammen und ich begann leicht zu zittern. Letitia hatte sich für mich eingesetzt, das erfüllte mich mit Überraschung und einem gewissen Stolz. Der wurde schnell von einem stärkeren Gefühl überlagert: Napoleone wollte mich nicht mehr. Das hatte er mehr als deutlich gemacht. Eine kalte Hand griff nach meinem Herzen und drückte zu.

Ich riskierte einen Blick auf ihn und wünschte gleich, ich hätte es nicht getan. Das Glitzern seiner Augen im sonst unbewegten Gesicht machte mir Angst.

„Wenn sie es bis zum Boot schafft, während ich dich hinbringe, kann sie mitkommen.“ Ohne ein weiteres Wort nahm er seine Mutter auf die Arme und trat in die Wellen hinaus.

Nun gut, wieder ins Meer. Der Stoff des Unterrocks schlug schwer gegen meine Beine, aber ich hielt mit Napoleone Schritt. Am Boot angekommen, hob Napoleone seine Mutter hinein und kletterte hinterher. Er zog sich nach oben und schwang die Beine über die Reling. Ich versuchte, es ihm nachzumachen. Versuchte trifft es, denn das Gewicht des Rocks zog mich nach unten. Beim dritten Anlauf gelang es mir, und ich ließ mich keuchend auf den Boden sinken.

Napoleone ignorierte mich. Von der Fahrt kann ich nicht viel berichten, da ich die meiste Zeit damit verbrachte, wieder zu Atem zu kommen. Als wir beim Schiff ankamen, stellte sich die nächste Herausforderung. Außer einer Strickleiter gab es keine Möglichkeit, es zu erreichen. Eigentlich sollte das kein Problem darstellen. Wenn mein Rock trocken und nicht drei Zentner schwer gewesen wäre. Wie sollte ich diese Leiter erklimmen? Napoleone schien es egal zu sein und auch keiner der Matrosen kümmerte sich um mich. Letitia verschwand aus meinem Blickfeld und mir blieb nichts andere übrig, als mir selbst zu helfen. Mit einem Seufzer schlang ich den Rock zwischen den Beinen hindurch und stopfte ihn oben in den Bund. So hatte ich zumindest die Beine frei und wurde nicht mehr von dem Gewicht nach unten gezogen. Ich konzentrierte mich immer nur darauf, den nächsten Schritt zu tun und mich nach oben zu ziehen. Endlich griff eine behandschuhte Hand nach meiner und half mir über die letzte Strecke nach oben. Kraftlos sank ich auf den Boden. Ein merkwürdiges Kribbeln hatte meinen Körper ergriffen. Ich schloss die Augen und spürte, wie meine Kräfte zurückkehrten.

„Geht es Euch gut? Kann ich etwas tun?“ Die Stimme drang von weit weg an mein Ohr. Sie kam mir vage bekannt vor und ich öffnete die Augen wieder. Vor mir sah ich das Gesicht Tristan Berières. Seine bernsteinfarbenen Augen ruhten besorgt auf mir.

„Nein.“ Ich versuchte zu lächeln. „Habt Ihr mir geholfen? Danke!“

„Ihr solltet die nehmen.“ Er zog seine Jacke aus und legte sie mir über die Beine. Natürlich. Das geringste bisschen Haut war unschicklich. Wie hatte ich das nur vergessen können? Ziemlich unwirsch schob ich die Jacke beiseite, löste den Stoff aus meinem Rockbund und legte ihn so, wie er gehörte. Die Kälte traf mich wie ein Schlag und ließ mich zittern.

Tristan Berière erhob sich. „Kommt mit. Ihr müsst aus den nassen Sachen heraus.“

Er brachte mich ins Innere des Schiffes und öffnete eine schmale Tür. „Einen Moment, bitte.“

Ich erhaschte einen Blick in die winzige Kabine. An der einen Wand hing eine Hängematte. Darunter stand eine grobe Holzkiste und an der anderen Wand ein Tisch und ein Hocker. Zwischen der Truhe und dem Tisch konnte man gerade so hindurchgehen. Mit wenigen Handgriffen öffnete er die Truhe und zog etwas heraus. Verlegen sagte er: „Ich habe leider nichts anderes, aber es ist trocken.“ In der Hand hielt er eine einfache, helle Leinenhose und ein Hemd. Dankbar lächelte ich ihn an.

„Das ist sehr freundlich.“ Ich nahm die Sachen und er verließ die Kajüte, bevor ich eintrat. Sie passten mehr oder weniger. Glücklicherweise befand sich an der Hose eine Kordel, mit der ich sie auf Taille brachte. Die Beine musste ich mehrmals umschlagen und an den Hüften saß sie stramm. Doch das verdeckte das weite Hemd, das ich lose hinabfallen ließ. So musste es gehen.

Ich streckte den Kopf aus der Kabine, doch der Flur war menschenleer. Kein Berière weit und breit.

Auch gut. Was sollte ich tun? An Deck gehen? Hier warten? Napoleone suchen? Besser nicht. Nach Letitia Ausschau halten? Vielleicht konnte sie Napoleoe beruhigen.

In diesem Moment kam Monsieur Berière um die Ecke. „Ah, Ihr seid fertig.“ Sein Blick glitt über mich und verharrte auf meinen Hüften.

Nach dem kurzen Aufflackern in seinen Augen zu urteilen, verdeckte das Hemd weniger, als ich gedacht hatte.

„Äh“, er räusperte sich verlegen, „Buonaparte möchte Euch sehen.“

„Sicher? Er hat deutlich gemacht, dass er mit mir nichts zu tun haben möchte.“

„Nein, das habt Ihr falsch verstanden.“ Geistesabwesend fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Ihr müsst zugeben, dass drei Jahre eine lange Zeit sind. Er ist verärgert.“

Ich nickte. Verärgert. Und nach allem, was ich wusste, war das ein Zustand, den man bei Napoléon Bonaparte nicht gerne erleben wollte. Aber ich musste wenigstens mit ihm reden. Ihm erklären, dass ... Was? Egal! Mir würde schon etwas einfallen.

„Bringt mich bitte zu ihm.“ Meine Lippen zitterten, als ich zu lächeln versuchte.

„Dürfte ich etwas sagen?“ Seine Augen ruhten auf mir und musterten mich mit großem Interesse.

„Nur zu!“ Nervös fuhr ich mir mit der Zungenspitze über die Lippen und verschränkte meine leicht zitternden Hände. Ich hatte wohl größere Angst vor Napoleone, als ich zugeben wollte.

„Ihr wart lange weg und ich wollte wissen, ob ihr diesmal bei ihm bleibt. Wenn nicht, will ich vorbereitet sein.“

„Wie meint Ihr das?“

„Er liebt Euch, Madame. Ich weiß nicht wieso und ich finde, dass er viele Gründe hat Euch nie wieder sehen zu wollen. Meiner Meinung nach hätte er Euch am Strand lassen und keinen weiteren Gedanken an Euch verschwenden sollen.“

Aua. Ich brauchte mehrere Atemzüge, um meinen rebellierenden Magen wieder unter Kontrolle zu bringen. „Aber Ihr habt mir geholfen. Er ignoriert mich. Warum?“

„Ginge es nach mir, hättet Ihr dieses Schiff nie betreten. Aber er hat euch mitgebracht, also sollte er sich angemessen um Euch kümmern. Ihr habt meine Frage nicht beantwortet: Werdet Ihr wieder gehen?“

Mit ausdruckslosem Gesicht blickte er mich an.

„Ja“, flüsterte ich. „Ich werde wieder gehen.“

Er nickte. „Dann solltet Ihr ihn nicht warten lassen. Er wird jede Minute genießen wollen.“ Der Tonfall, in dem er das sagte, gefiel mir nicht.

Tristan Berière brachte mich zu einer anderen Tür, die genauso aussah wie die zu seiner Kabine und klopfte. Ohne auf Antwort zu warten, öffnete er sie und schob mich hinein.

Der Raum glich dem, aus dem ich gerade kam. Napoleone stand am anderen Ende und heftete seinen kalten Augen auf mich.

„Was willst du hier?“ Die Frage war nicht mehr, als ein leises, kaltes Zischen.

„Dich sehen“, antwortete ich, ohne das Zittern aus meiner Stimme fernhalten zu können. Ich versuchte zu schlucken, doch mein ausgetrockneter Mund machte es unmöglich. Was würde jetzt passieren?

Ich hörte, wie die Tür schloss - und die Hölle brach los.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Dich bei meiner Familie anzubiedern! Hattest du nicht einmal den Mut, mir gegenüber zu treten?“ Die ersten Sätze sprach er beherrscht, doch es dauerte nicht lange, bis er laut schrie. Ich vermag nicht zu wiederholen, was er mir alles an den Kopf warf. Immer wieder fiel er ins Korsische - aber sein Tonfall ließ keinen Zweifel aufkommen.

Die enge Kabine hinderte ihn am Umherlaufen und so fegte er mit ausladenden Bewegungen die wenigen Dinge zu Boden, die nicht festgeschraubt waren. Als nichts mehr zum Hinunterschmeißen da war, schlug er mit der Hand gegen die Wand. Dabei schrie er ohne Unterbrechung.

Das war also einer der berüchtigten Wutausbrüche Napoléon Bonapartes. Ich hatte davon gelesen. Er neigte zu solchen Ausbrüchen und inszenierte sie später sogar absichtlich. Allerdings hätte ich gut durchs Leben kommen können, ohne das gesehen zu haben – besonders ohne das Ziel eines solchen Ausbruchs zu sein. Nach allem, was ich wusste, blieb man am besten ruhig. Einfach warten, bis es vorbei war. So hatten es Joséphine und Talleyrand gemacht. Nicht, dass ich eine Chance gehabt hätte, auch nur ein Wort zu sagen.

Dass ein Mensch so wütend werden konnte! Einige seiner Vorwürfe verstand ich trotz dieses Mischmaschs aus Französisch und Italienisch.

Ich hätte ihn ausgenutzt.

Mit ihm gespielt.

Seine Gefühle missbraucht.

Natürlich dachte er so. Hätte ich auch an seiner Stelle. Wie gerne würde ich ihm sagen, dass ich träumte und keinen Einfluss auf meine Reisen hatte.

„Das verstehe ich nicht.“ Mit den Aufzeichnungen in der Hand betrat Anna Maries Zimmer.

„Was verstehst du nicht?“ Sie blickte von Napoléons Memoiren auf, in denen sie gerade gelesen hatte.

„Warum du ihm nicht sagen kannst, dass du in deinen Träumen zu ihm kommst.“

„Wie würde das denn aussehen? Was würdest du denken, wenn das jemand zu dir sagt?“

„Das ist etwas anderes. Du besuchst ihn wirklich in deinen Träumen. Ich meine, das ist ein Traum. Warum solltest du das nicht erwähnen dürfen?“

Marie runzelte die Stirn. „Weil es sich nicht richtig anfühlt. Wenn ich dort bin, IST das real! Ich kann dort nicht anfangen, von Träumen zu reden!“

Anna schnaubte, zuckte dann aber mit den Schultern. „Verstehen muss ich das nicht!“ Seufzend ließ sie sich neben Marie aufs Bett fallen und las:

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