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Читать книгу: «Der scharlachrote Buchstabe», страница 16

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Kapitel 23
Die Offenbarung des scharlachroten Buchstabens

Die beredte Stimme, auf welcher die Seelen der lauschenden Gemeinde himmelwärts getragen worden waren wie auf den schwellenden Wogen der See, verstummte endlich. Es trat eine tiefe Stille ein, wie sie den Aussprüchen von Orakeln folgen sollte; dann kam ein Murmeln und halbersticktes Geräusch, als ob die von dem mächtigen Zauber, welcher sie in die Region des Geistes eines andern getragen, erlösten Zuhörer mit noch auf ihnen lastender Bewunderung und Ehrfurcht in sichzurückkehrten. Einen Augenblick darauf begann die Menge aus den Kirchentüren zu strömen. Jetzt, wo die Predigt zu Ende war, bedurften sie eines andern zur Beförderung des groben irdischen Lebens, in welches sie zurücksanken, passenderen Atems als der Atmosphäre, welche der Prediger in Flammenworte verwandelt und mit seinen reichen Gedanken erfüllt hatte.

Sobald sie im Freien ankamen, machte sich ihr Entzücken in Worten Luft. Beifall für den Prediger war das Geräusch der Straße und des Marktplatzes, von einem Ende zum andern. Seine Zuhörer ruhten nicht eher, als bis jeder dem andern erzählt hatte, was der eine besser wußte als der andere. Ihrem vereinten Zeugnis zufolge hatte nie ein Mensch in so weisem, so hohem und so frommem Geiste gesprochen wie der, welcher an diesem Tage geredet; und die himmlische Eingebung hatte nie offenbarer durch sterbliche Lippen gehaucht als durch die seinen. Man hatte sehen können, wie ihr Einfluß sich sozusagen auf ihn niederließ und sich seiner bemächtigte und ihn beständig über die geschriebene Predigt erhob, die vor ihm lag, und ihn mit Ideen erfüllte, die für ihn ebenso wunderbar gewesen sein mußten wie für seine Gemeinde. Sein Gegenstand, so erschien es, war das Verhältnis zwischen der Gottheit und den menschlichen Gemeinschaften mit besonderer Beziehung auf das Neu-England gewesen, welches sie hier in der Wildnis gründeten. Als er sich dem Ende näherte, war ein prophetischer Geist auf ihn herabgestiegen und hatte ihn so mächtig wie einst die alten Propheten von Israel zu seinen Zwecken gezwungen, nur mit dem Unterschiede, daß die jüdischen Seher Strafen Gottes und Verderben für ihr Vaterland verkündet hatten, während es seine Sendung gewesen war, für das neu zusammengetretene Volk des Herrn eine hohe herrliche Bestimmung zu weissagen. Bei alledem war aber doch die ganze Predigt von einem traurigen Unterton des Leidens durchzogen worden, welcher nicht anders als der natürliche Schmerz eines seinem Ende Nahen ausgelegt werden konnte. Ja, ihr Prediger, den sie so sehr liebten und der sie alle so lieb hatte, daß er nicht ohne einen Seufzer himmelwärts gehen konnte, er hatte eine Ahnung seines frühzeitigen Todes und wollte sie bald in Tränen zurücklassen! Diese Idee von seinem kurzen Verweilen auf Erden gab der Wirkung, welche der Prediger hervorgebracht hatte, den besonderen Nachdruck; es war, als ob ein Engel auf seinem Fluge zum Himmel hin einen Augenblick seine leuchtenden Flügel über dem Volke geschüttelt und – zugleich ein Schatten und ein Glanz – einen Regen voll goldener Wahrheiten auf es herabgesendet habe.

So war bei Dimmesdale – wie bei den meisten Menschen in ihren verschiedenen Wirkungskreisen, obwohl sie es selten eher erkennen, als bis sie es weit hinter sich sehen – eine glänzendere und triumphreichere Lebensepoche eingetreten als irgendeine frühere oder irgendeine später mögliche. Er stand in diesem Augenblicke auf der stolzesten Höhe, zu welcher die Gaben des Verstandes, eine umfassende Gelehrsamkeit, hervorragende Beredsamkeit und ein Ruf der makellosesten Frömmigkeit in den ersten Tagen von Neu-England erheben konnten, wo die Eigenschaft eines Geistlichen an sich schon hohe Auszeichnung verlieh. Dies war die Stellung, die der Prediger einnahm, als er am Schlüsse seiner Wahlpredigt das Haupt auf die Kissen der Kanzel niederbeugte. Unterdessen stand Esther neben dem Gerüste des Prangers, und auf ihrer Brust brannte der scharlachne Buchstabe immer noch.

Von neuem hörte man das Schmettern der Musik und den gemessenen Tritt der aus der Kirchtür kommenden militärischen Eskorte. Der Zug sollte von hier nach dem Stadthause gehen und dort ein Bankett die Feierlichkeiten des Tages beschließen.

Zum zweiten Male sah man also den Zug der ehrwürdigen und majestätischen Väter durch eine breite Gasse des Volkes schreiten, das sich auf beiden Seiten ehrerbietig zurückzog, als der Gouverneur und die Magistratspersonen, die Alten und Weisen, die frommen Priester und alle, die auf Auszeichnung und Berühmtheit Anspruch machten, sich ihm näherten. Als sie sämtlich auf den Marktplatz gelangt waren, wurden sie von einem lauten Ruf begrüßt. Dieses mochte zwar durch den kindlichen Gehorsam und die Zuneigung, welche jene Zeiten ihren Herrschern zuteil werden ließen, verstärkt werden, aber man fühlte, daß es ein unwiderstehlicher Ausbruch des Enthusiasmus war, welchen die noch in den Ohren der Gemeinde widerhallende hohe Beredsamkeit bei ihr entzündet hatte. Ein jeder fühlte den Antrieb in sich selbst und teilte ihn in demselben Atemzuge seinem Nachbarn mit. Innerhalb der Kirche war er nur mit Mühe zurückgehalten worden, unter freiem Himmel donnerte er zum Zenit empor. Es waren Menschen und gleichgestimmtes, hochgespanntes Gefühl genug vorhanden, um den Ton hervorzubringen, welcher eindrucksvoller ist als die Orgelklänge des Sturmwindes oder der Donner oder das Brausen der See – das mächtige Anschwellen vieler Stimmen, welche durch den allgemeinen Impuls, der aus den vielen ebenfalls nur ein einziges hochklopfendes Herz macht, zu einem einzigen Rufe verschmilzt. Nie noch hatte sich auf dem Boden von Neu-England ein solcher Ruf erhoben. Noch nie hatte auf dem Boden von Neu-England ein Mann gestanden, der von seinen sterblichen Brüdern so geehrt worden wäre wie der Prediger.

Und wie war es mit ihm? Strahlte um sein Gesicht nicht ein Heiligenschein? Betraten seine Füße wirklich den Staub der Erde, da er vom Geiste hinweggerissen und von verehrenden Bewunderern so verherrlicht wurde?

Wie die Reihen der Militärs und der Zivilbeamten vorwärts rückten, wendeten sich aller Augen dem Punkte zu, wo man den Geistlichen unter ihnen herankommen sah. Der Lärm verklang zu einem Murmeln, als ihn ein Teil der Menge nach dem andern erblickte. Wie schwach und bleich er mitten in seinem Triumph aussah! Die Energie oder vielmehr die Begeisterung, welche ihn aufrecht erhalten hatte, bis er die heilige Botschaft, die ihre eigene Kraft vom Himmel herabbrachte, verkündet,war ihm jetzt, wo sie ihr Amt so getreulich geübt, entzogen worden. Die Glut, die sie soeben erst noch auf seiner Wange gesehen, war erloschen wie eine hoffnungslos unter die verglimmende Asche herabsinkende Flamme. Sein totenbleiches Gesicht schien kaum das Antlitz eines lebenden Menschen zu sein. Es war kaum ein belebter Mensch, der so kraftlos auf seinem Pfade dahinschwankte, aber doch nur schwankte und nicht fiel.

Einer von seinen geistlichen Brüdern, es war der ehrwürdige John Wilson, bemerkte den Zustand, in welchen Dimmesdale von der zurückweichenden Welle der geistigen Spannung und Erregbarkeit versetzt wurde, und trat hastig auf ihn zu, um ihn zu stützen. Der Prediger wies bebend, aber entschieden den Arm des alten Mannes zurück. Er schritt vorwärts, wenn man die Bewegung so nennen konnte, welche eher den schwankenden Versuchen eines Kindes glich, welches die Arme seiner Mutter ausgestreckt sieht, um es vorwärts zu locken. Und jetzt war er während seiner letzten Schritte fast unmerklich dem ihm wohlbekannten, wettergebräunten Gerüste gegenüber angekommen, wo vor langen Jahren, welche ein so trauriger, trüber Zeitraum mit dem heutigen Tage verband, Esther Prynne schmachvoll den Blicken der Welt ausgesetzt worden war. Dort stand Esther mit Perlchen an der Hand. Und auf ihrer Brust glühte der Scharlachbuchstabe. Der Geistliche blieb hier stehen, wiewohl die Musik immer noch den jubelnden Triumphmarsch spielte, nach welchem sich der Zug bewegte. Er rief ihn vorwärts, vorwärts zum Feste – aber hier blieb er stehen.

Bellingham hatte ihn während der letzten Augenblicke mit besorgten Blicken betrachtet. Er verließ jetzt seinen eigenen Platz in dem Zuge und kam auf ihn zu, um ihn zu stützen, da er nach des Predigers Aussehen glaubte, daß dieser sonst unvermeidlich fallen müsse. In dessen Ausdruck lag aber etwas, das den Gouverneur zurückhielt, obgleich er sonst ein Mann war, der den unbestimmten, aus einem Geiste in den andern übergehenden Kundgebungen nicht leicht gehorchte. Die Menge schaute ihm unterdessen mit Ehrfurcht und Verwunderung zu. Diese irdische Schwäche war in ihren Augen nur eine andere Phase der himmlischen Stärke des Geistlichen, und sie würden es bei einem so frommen Manne für kein zu hohes Wunder gehalten haben, wenn er sich vor ihren Augen erhoben hätte, undeutlicher und glänzender werdend, um endlich im Lichte des Himmels aufzugehen.

Er wendete sich zu dem Gerüste und streckte seine beiden Arme aus.

»Esther«, sagte er, »komm hierher! Komm, meine kleine Perle!«

Es war ein gespenstischer Blick, mit welchem er sie betrachtete, aber in ihm lag zugleich etwas Zärtliches und seltsam Triumphierendes. Das Kind flog mit der vogelartigen Bewegung, welche eine von seinen Eigentümlichkeiten war, auf ihn zu und schlang die Arme um seine Knie. Esther Prynne näherte sich ebenfalls, langsam, wie von einem unvermeidlichen Schicksal getrieben und gegen ihren stärksten Willen – blieb aber stehen, ehe sie ihn erreichte. In diesem Augenblicke drängte sich der alte Roger Chillingworth durch die Menge, so finster, verstört und böse war sein Blick, daß man hätte glauben können, er sei aus der Erde aufgestiegen, um sein Opfer von dem, was es im Sinne hatte, zurückzuhalten. Wie dem auch sein möge, der alte Mann stürzte herbei und erfaßte den Prediger am Arme.

»Wahnsinniger! Was wollt Ihr tun?« flüsterte er. »Weist jenes Weib zurück! Stoßt das Kind von Euch. Es wird noch alles gut werden – wollt Ihr Euren Ruf schwärzen und in Unehre untergehen? Noch kann ich Euch retten! Wollt Ihr Schmach über Euren geweihten Stand bringen?«

»Versucher, mir scheint, du kommst zu spät«, sagte leise der Prediger, indem er seinem Blicke furchtsam, aber fest begegnete. »Mit Gottes Hilfe werde ich dir jetzt entgehen! Deine Macht ist nicht mehr, was sie war.«

Von neuem streckte er seine Hand gegen das Weib mit dem Scharlachbuchstaben aus.

»Esther Prynne!« rief er mit durchdringendem Ernst, »im Namen dessen, der so furchtbar und so gnädig ist, der mir in diesem letzten Augenblicke die Kraft verleiht, das zu tun, wovor ich mich zu meiner schweren Sünde und tiefen Qual vor sieben Jahren zurückhielt, komm jetzt hierher und umschlinge mich mit deiner Kraft! Mit deiner Kraft, Esther! Aber lasse sie von dem Willen lenken, welchen uns Gott verliehen hat. Dieser unglückliche, schwer gekränkte alte Mann widerstrebt mit aller seiner Macht, mit aller seiner eigenen und des Erbfeindes Macht. Komm, Esther, komm! Hilf mir jenes Gerüst ersteigen.«

Die Menge war in höchster Aufregung. Die zunächst um den Geistlichen stehenden Männern von Rang und Würden waren so überrascht und über die Bedeutung dessen, was sie sahen, so verblüfft und ebenso unfähig, die Erklärung, welche sich ihnen zunächst bot, anzunehmen, wie sich irgendeine andere vorzustellen, daß sie schweigende und untätige Zuschauer des Gerichts blieben, das die Vorsehung zu üben im Begriff schien. Sie sahen, wie sich der Geistliche, auf Esthers Schultern gelehnt und von ihrem um ihn geschlungenen Arm gestützt, dem Gerüst näherte und dessen Stufen erstieg, während die kleine Hand des in Sünden geborenen Kindes immer noch von der seinen umschlossen wurde. Ihnen folgte der alte Roger Chillingworth, als mit dem Drama von Sünde und Pein eng verbunden und deshalb vollkommen berechtigt, bei der letzten Szene gegenwärtig zu sein.

»Wenn du die ganze Erde durchsucht hättest«, sagte er mit einem düstern Blick auf den Geistlichen, »so würde kein Ort so geheim, keiner so hoch oder niedrig gewesen sein, wo du mir hättest entrinnen können – keiner außer diesem Gerüste!«

»Dank sei Ihm, der mich hierher geleitet hat!« antwortete der Prediger.

Und doch bebte er und wendete sich mit einem Ausdruck des Zweifels und der Besorgnis in seinen Augen, der trotz des schwachen Lächelns auf seinen Lippen um nichts weniger deutlich zu erkennen war, zu Esther.

»Ist dies nicht besser?« flüsterte er, »als das, wovon wir im Walde träumten?«

»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht!« antwortete sie hastig. »Besser! Ja, wenn wir beide sterben und Perlchen mit uns.«

»Für dich und Perle möge es gehen, wie Gott es will!« sagte der Prediger, »nur Gott ist gnädig. Laß mich jetzt dem Willen gehorchen, den er meinen Augen deutlich gemacht hat. Ja, Esther, ich bin ein Sterbender, laß mich also eilen, meine Schande auf mich zu nehmen.«

Halb auf Esther gestützt und eine Hand Perlchens in der seinen haltend, wendete sich Dimmesdale zu den würdevollen, ehrwürdigen Herrschern, zu den frommen Predigern, die seine Amtsbrüder waren, zu dem Volke, dessen großes Herz erschüttert war und von tränenvollem Mitgefühl überströmte, denn es wußte, daß ihm eine in das tiefste Leben schneidende Sache jetzt offenbar werden sollte, die, wenn auch voller Sünde, doch zugleich voller Qual und Reue war. Die erst wenig über ihre Mittagshöhe hinausgekommene Sonne beschien den Geistlichen und beleuchtete seine Gestalt, wie er so von der ganzen Erde gesondert dastand, um sich vor den Gerichtsschranken der ewigen Gerechtigkeit schuldig zu bekennen.

»Volk von Neu-England!« rief er mit einer Stimme, die sich laut, feierlich und majestätisch hob, aber immer von einem Beben erfüllt und zuweilen von einem Schrei durchzuckt wurde, welcher sich aus einer unergründlichen Tiefe der Reue und des Schmerzes emporrang – »Ihr, die ihr mich geliebt, ihr, die ihr mich für einen Heiligen gehalten habt – seht mich hier als den einzigen Sünder der Welt. Endlich! Endlich stehe ich an dem Orte, wo ich vor sieben Jahren hätte stehen sollen. Hier mit diesem Weibe, dessen Arm mich mehr als die geringe Kraft, womit ich mich hierher geschleppt habe, in diesem furchtbaren Augenblick verhindert, nieder auf mein Angesicht zu stürzen! Seht den scharlachroten Buchstaben, den Esther trägt! Ihr habt alle bei seinem Anblick geschaudert! Überall, wohin sie gegangen ist, überall, wo sie, die so schwer Belastete, gehofft haben mag, Ruhe zu finden, hat er sie mit einem falben Lichte der Furcht und des Abscheus umgeben, aber in eurer Mitte stand einer, vor dessen Brandmal der Sünde und Schmach ihr nicht zurückgeschreckt seid!«

Es schien in diesem Augenblicke, als ob der Geistliche den Rest seines Geheimnisses unenthüllt lassen müsse; aber er kämpfte die körperliche Schwäche und mehr noch die Mutlosigkeit nieder, welche mit ihm um die Oberhand rang, wies allen Beistand von sich und trat leidenschaftlich um einen Schritt vor das Weib und das Kind.

»Er trug das Zeichen!« fuhr er mit einer wilden Glut fort, so entschlossen war er, alles auszusprechen, »Gottes Auge erblickte es! Die Engel deuteten ständig darauf. Dem Teufel war es wohl bekannt, und er reizte es beständig mit der Berührung seines glühenden Fingers. Aber er verbarg es schlau vor den Menschen und ging unter euch mit der Miene eines Engels umher, welcher trauerte, weil er so rein in einer sündigen Welt dastand und betrübt war, weil er seine himmlischen Verwandten vermißte. Nun in seiner Todesstunde steht er vor euch. Er fordert euch auf, Esthers Scharlachbuchstaben nochmals anzublicken! Er sagt euch, daß dieser mit seinem ganzen geheimnisvollen Schrecken nur der Schatten von dem ist, was er auf seiner eigenen Brust trägt und selbst dieses, sein eignes rotes Brandmal, nicht mehr als das schwache Abbild desjenigen vorstellt, welches das Innerste seiner Seele versengt hat! Wenn unter euch einer stehen sollte, der bezweifelte, daß Gott die Sünder richtet, so seht, seht einen furchtbaren Zeugen davon!«

Mit einer krampfhaften Bewegung riß er sich die Priesterkrause von der Brust: Da war es offenbar! Es wäre jedoch ehrfurchtslos, die Offenbarung zu beschreiben. Auf einen Moment waren die Blicke der entsetzten Menge auf das grausige Wunder gerichtet, während der Geistliche, mit einer Röte des Triumphs auf seinem Gesicht, wie ein Held, der in der Krisis des schneidendsten Schmerzes einen Sieg errungen, dastand. Dann sank er nieder auf das Gerüst. Esther richtete ihn etwas auf und lehnte seinen Kopf an ihren Busen. Der alte Roger Chillingworth kniete mit einem stumpfen, ausdruckslosen Gesicht, aus welchem alles Leben entwichen schien, neben ihm nieder.

»Du bist mir entronnen«, sagte er immer wieder. »Du bist mir entronnen!«

»Möge Gott dir verzeihen!« rief der Prediger, »auch du hast schwer gesündigt.«

Er wandte seine matter werdenden Augen von dem Greise ab und heftete sie auf das Weib und das Kind.

»Mein Perlchen«, sagte er schwach, und auf sein Gesicht trat ein süßes, mildes Lächeln, wie wenn sein Geist in tiefe Ruhe sänke, ja jetzt, seit die Last von ihm genommen war, schien es fast, als ob er mit dem Kinde scherzen wolle – »mein liebes Perlchen, willst du mich jetzt küssen? Dort in dem Walde wolltest du es nicht! Jetzt aber wirst du es tun.«

Perle küßte seine Lippen. Der Zauber war gebrochen. Der große Schmerz, an welchem das wilde Kind teilnahm, hatte alle seine Sympathien entwickelt, und seine auf die Wangen des Vaters herabrinnenden Tränen waren das Pfand, daß es unter menschlichen Freuden und Kümmernissen aufwachsen werde, nicht, um ewig mit der Welt zu kämpfen, sondern um darin ein Weib zu werden. Auch für ihre Mutter war Perlens Bestimmung, einer Botin der Pein, vollkommen erfüllt.

»Esther«, sagte der Geistliche, »leb wohl!«

»Sollen wir einander nicht mehr treffen?« flüsterte sie mit dicht zu dem seinen herabgebeugtem Gesicht: »Sollen wir unser unsterbliches Leben nicht zusammen zubringen? Wahrlich! Wir haben einander durch unser Leid losgekauft. Du blickst mit deinen hellen sterbenden Augen tief in die Ewigkeit, so sage mir, was du siehst.«

»Still, Esther, still!« antwortete er mit bebender, feierlicher Stimme. »Laß das Gesetz, das wir gebrochen – die Sünde, die sich hier so schauervoll offenbart hat, laß diese allein in deinem Gedanken sein. Ich fürchte – ich fürchte, daß es, als wir unsern Gott vergaßen, – als wir gegenseitig die Achtung für unsere Seelen verletzten –, daß es von da an vergeblich war zu hoffen, jenseits wieder zum ewigen fleckenlosen Verein zusammenzukommen. Gott weiß es, und er ist gnädig. Er hat seine Gnade vor allen bei meinen Leiden bewiesen. Er hat mir diese brennende Qual auf meine Brust gelegt. Er hat jenen finstern, entsetzlichen alten Mann gesandt, um das Folterwerkzeug stets in Glut zu erhalten. Er hat mich hierher geführt, um vor dem Volke diesen Tod triumphierender Schmach zu sterben. Wenn einer von diesen Schmerzen gemangelt hätte, so wäre ich auf ewig verloren gewesen! Gepriesen sei Sein Name. Sein Wille geschehe! Leb wohl!«

Dieses Wort war das letzte, das der Priester sprach. Seine Seele wich von ihm. Die bis dahin schweigende Menge brach in eine seltsame, tiefe Äußerung der Ehrfurcht und der Verwunderung aus, ein Gemurmel, das dumpf dem entwichenen Geist nachhallte.

Kapitel 24
Schluß

Nach vielen Tagen, als das Volk Zeit genug gehabt hatte, seine Gedanken in bezug auf die erlebte Szene zu ordnen, war mehr als ein Bericht über das, was man auf der Prangerbühne wahrgenommen, im Umlauf.

Die meisten Zuschauer behaupteten, daß sie auf der Brust des unglücklichen Priesters einen scharlachroten Buchstaben in das Fleisch eingeprägt gesehen hätten, der dem von Esther Prynne vollkommen gleich gewesen. Über dessen Entstehung gab es verschiedenartige Erklärungen, die alle nur Vermutung sein konnten. Die einen behaupteten, daß Dimmesdale an dem Tage, da Esther Prynne zuerst ihr Schandzeichen trug, dadurch daß er sich eine furchtbare Folter auferlegt, eine später auf so mancherlei nutzlose Weise fortgesetzte Büßung begonnen habe. Andere behaupteten, daß das Stigma nicht eher entstanden sei als zu der Zeit, da es der alte Roger Chillingworth, der ein mächtiger Zauberer gewesen, durch Magie und giftige Tränke zum Vorschein gebracht habe. Noch andere und dies waren diejenigen, welche die eigentümliche Empfindungsreizbarkeit des Priesters und die wunderbare Wirkung, welche sein Geist auf den Körper übte, am besten beurteilen konnten – flüsterten ihren Glauben, daß das entsetzliche Symbol die Wirkung des stets tätigen Zahnes der Reue gewesen sei, welcher von dem Herzen nach außen genagt und endlich das schwere Gericht des Himmels durch die sichtbare Gegenwart des Buchstabens kundgegeben habe. Der Leser mag wählen.

Wir haben alles Licht, welches wir selbst bei all diesen Theorien erlangen konnten, auf das Zeichen geworfen und möchten gern, nachdem es sein Amt verrichtet hat, seinen tiefen Eindruck aus unserm Gehirn verwischen, wo er durch langes Nachdenken darüber mit einer höchst unerfreulichen Deutlichkeit eingeprägt worden ist.

Es ist jedoch sonderbar, daß gewisse Personen, welche der ganzen Szene beigewohnt hatten und behaupteten, daß sie ihre Augen kein einziges Mal von dem ehrwürdigen Herrn Dimmesdale abgewendet hätten, bestimmt behaupteten, daß seine Brust ebenso rein wie die eines neugeborenen Kindes gewesen sei. Ihrem Berichte nach hatte er auch durch seine letzten Worte nicht die mindeste Verbindung mit dem Vergehen, für welches Esther Prynne so lange den Scharlachbuchstaben getragen, eingestanden oder auch nur im entferntesten angedeutet. Diesen höchst respektablen Zeugen zufolge hatte der Prediger, im Bewußtsein seines nahen Todes und des Umstandes, daß ihn die Verehrung der Menge bereits unter die Heiligen und Engel versetzt, durch das Aushauchen seines letzten Atemzuges in den Armen jenes gefallenen Weibes der Welt gegenüber ausdrücken wollen, wie nichtig auch die ausgesuchteste Rechtschaffenheit des Menschen sei. Nachdem er seine Lebenskraft in Anstrengungen für das geistige Wohl der Menschheit erschöpft, habe er die Art seines Todes zu einer Parabel gemacht, um seinen Bewunderern die mächtige, aber traurige Lehre einzuprägen, daß wir in den Augen Gottes allzumal Sünder sind. Sie habe sie lehren sollen, daß selbst der frömmste unter uns sich nur so weit über seine Nebenmenschen erhoben habe, daß er deutlicher die ewige Gnade, welche auf uns herabblickt, zu erkennen und unbedingter das Phantom menschlichen Verdienstes, welches ehrgeizig nach oben blicken will, zu verwerfen vermöchte. Ohne eine so wichtige Wahrheit bestreiten zu wollen, müssen wir doch die Erlaubnis in Anspruch nehmen, diese Lesart der Geschichte des Herrn Dimmesdale als nichts als das Beispiel der hartnäckigen Treue zu betrachten, womit die Freunde eines Mannes – und besonders eines Geistlichen zuweilen seinen Ruf vertreten, wenn selbst so klare Beweise wie der Mittagssonnenschein auf dem Scharlachbuchstaben feststellen, daß er ein falsches und sündiges Geschöpf des Staubes ist.

Die Autorität, welcher wir hauptsächlich gefolgt sind – ein altes, nach dem mündlichen Zeugnisse von Individuen, die teilweise Esther Prynne gekannt, teils ihre Geschichte von gleichzeitigen Zeugen gehört hatten, aufgesetztes Manuskript – bestätigt die Ansicht, welcher wir auf den vorhergehenden Blättern gefolgt sind, vollkommen. Unter einer Menge von Moralen, die sich uns aus der unglücklichen Erfahrung des armen Geistlichen aufdrängen, wollen wir nur diese in Worte kleiden: Seid wahr! Seid wahr! Seid wahr! Zeigt der Welt, wenn auch nicht euern schlimmsten, doch irgendeinen Zug, aus welchem sich der schlimmste schließen läßt!

Nichts war merkwürdiger als die Veränderung, welche fast unmittelbar nach Herrn Dimmesdales Tod in dem Äußern und Benehmen des unter dem Namen Roger Chillingworth bekannten alten Mannes eintrat. Alle seine Stärke und Energie, alle seine körperliche und geistige Kraft schien ihn plötzlich zu verlassen, so daß er geradezu verwelkte, verschrumpfte und fast aus den Augen der Menschen verschwand wie eine mit der Wurzel ausgerissene, an der Sonne liegende Pflanze. Der Unglückliche hatte in der Verfolgung und systematischen Ausübung der Rache sein Lebensprinzip gesucht, und als durch seinen vollkommensten Triumph dieses böse Prinzip alles Material zu seiner Unterstützung verloren, als es für ihn auf Erden kein Teufelswerk mehr zu tun gab, blieb dem entmenschlichten Sterblichen nichts weiter übrig, als sich dahin zu begeben, wo ihm sein Herr und Meister Arbeit genug verschaffen und seinen Lohn gehörig zahlen würde. Gegen alle diese schattenhaften Wesen, die so lange unsere nahestehenden Bekannten gewesen sind, gegen Roger Chillingworth sowohl wie gegen seine Genossen, möchten wir gern Gnade beweisen. Es ist ein merkwürdiger Gegenstand für die Beobachtung und Forschung, ob nicht Haß und Liebe im Grunde das gleiche sind. Beide setzen in ihrer äußersten Entwicklung einen hohen Grad von Vertraulichkeit und Herzenskenntnis voraus, beide machen ein Individuum, was die Nahrung seiner Neigungen und seines geistigen Lebens anlangt, von einem andern abhängig, und wenn der leidenschaftlich Liebende oder nicht weniger leidenschaftlich Hassende den Gegenstand seiner Empfindungen verliert, so bleibt er gleich verödet und einsam zurück. Philosophisch betrachtet, scheinen die beiden Leidenschaften daher einander wesentlich gleich zu sein, außer daß man die eine im himmlischen Strahlenglanze, die andere aber in düsterer und greller Glut erblickt. In der Geisterwelt haben vielleicht der alte Arzt und der Priester, jene gegenseitigen Opfer, unerwartet ihren irdischen Vorrat an Haß und Widerwillen in goldene Liebe verwandelt gefunden.

Wir verlassen jedoch diesen Gegenstand, da wir dem Leser eine Geschäftssache mitzuteilen haben. Nach dem Ableben des alten Roger Chillingworth, welches kaum ein Jahr nach dem des Geistlichen stattfand, zeigte es sich, daß er durch sein Testament, zu dessen Vollstrecker er den Gouverneur Bellingham und den ehrwürdigen Herrn Wilson ernannt, der kleinen Perle, Esther Prynnes Tochter, ein bedeutendes Vermögen sowohl in Amerika wie in England hinterlassen hatte.

Perle, das Elfenkind, der Dämonensprößling, wie sie manche Leute bis zu jener Epoche noch hartnäckig nannten, wurde also die reichste Erbin ihrer Zeit in der Neuen Welt. Nicht unwahrscheinlich brachte dieser Umstand eine wesentliche Veränderung in der öffentlichen Meinung hervor, und wenn Mutter und Kind in Amerika geblieben wären, so hätte Perlchen, zu einem heiratsfähigen Alter gelangt, ihr Blut mit dem eines Sprößlings des frömmsten Puritaners vermischen können. Nicht lange nach dem Tode des Arztes verschwand jedoch die Trägerin des Scharlachbuchstabens und Perle mit ihr. Viele Jahre hindurch fand zwar mitunter ein unbestimmtes Gerücht, wie ein an den Strand geworfenes formloses Stück Treibholz mit den Anfangsbuchstaben eines Namens darauf, seinen Weg über das Meer, doch erhielt man keine Nachrichten von unbezweifelter Gewißheit über sie. Die Geschichte von dem Scharlachbuchstaben wurde zu einer Legende. Ihr Zauber war jedoch immer noch kräftig und umgab das Gerüst, wo der arme Prediger gestorben war, sowie die Hütte am Strande, wo Esther gelebt hatte, mit seinen Schrecken. In der Nähe dieser Hütte waren eines Nachmittags Kinder beim Spielen, als sie plötzlich ein hochgewachsenes Weib in einem grauen Gewande auf die Hüttentür zukommen sahen. Sie war seit den verflossenen Jahren nicht geöffnet worden, aber die Fremde schloß sie entweder auf, oder das morsche Holz und verrostete Eisen wichen ihrer Hand, oder sie glitt wie ein Schatten durch diese sich ihr entgegenstellenden Hindernisse und trat auf alle Fälle ein.

Auf der Schwelle blieb sie stehen, wendete sich halb um, denn vielleicht war doch der Gedanke, ganz allein und so verändert den Schauplatz eines an heißen Empfindungen so reichen früheren Lebens zu betreten, trauriger und bedrückender, als selbst sie ihn zu ertragen vermochte. Ihr Zaudern dauerte aber nur einen Augenblick, wiewohl es lange genug anhielt, um einen Scharlachbuchstaben auf ihrer Brust erkennen zu lassen.

Esther Prynne war also zurückgekehrt und hatte ihr so lange abgelegtes Schandzeichen wieder aufgenommen. Wo war aber Perlchen? Wenn sie noch lebte, so mußte sie sich jetzt in voller Frauenblüte befinden. Niemand wußte oder erfuhr je mit voller Gewißheit, ob das Elfenkind so frühzeitig in ein jungfräuliches Grab gesunken oder ob seine wilde, reiche Natur gemildert und gezügelt und sanften Frauenglückes fähig geworden sei. Esthers übriges Lebens hindurch kamen jedoch häufig Zeichen vor, daß die Einsiedlerin mit dem Scharlachbuchstaben ein Gegenstand der Liebe und Teilnahme für einen Bewohner eines andern Landes war. Es liefen Briefe mit Wappensiegeln, wiewohl von der englischen Heraldik unbekannten Prägungen, für sie ein. In der Hütte befanden sich Gegenstände des Behagens und des Luxus, deren sich Esther zwar nie bediente, die aber nur Reichtum erkauft und Liebe für sie ersonnen haben konnten. Außerdem erblickte man Kleinigkeiten, Zieraten, schöne Zeichen beständiger Erinnerung, die von zarten Fingern nach der Eingebung eines liebenden Herzens gearbeitet worden sein mußten, und einmal sah man Esther ein Kinderkleidchen mit so verschwenderischem Reichtum an goldener Phantasie sticken, daß es einen öffentlichen Auflauf erregt hätte, wenn dem düster gekleideten Neu-Engländer ein in solche Gewänder gehülltes Kind gezeigt worden wäre.

Kurz, die Klatschmäuler jener Zeit glaubten – und der Zolldirektor Pue, der ein Jahrhundert später seine Nachforschungen anstellte, glaubte – und einer von seinen neuerlichen Amtsnachfolgern glaubt getreulich –, daß Perle nicht nur lebte, sondern verheiratet und glücklich war und auch ihre traurige und einsame Mutter mit Freuden an ihrem Herd aufgenommen hätte.

Für Esther Prynne gab es in Neu-England aber ein wirklicheres Leben als in der unbekannten Gegend, wo Perle eine neue Heimat gefunden hatte. Hier war der Schauplatz ihrer Sünde und der ihres Schmerzes, und hier sollte noch der ihrer Buße sein. Sie war deshalb zurückgekehrt und hatte freiwillig, denn selbst der strengste Richter jener strengen Zeit würde sie nicht dazu gezwungen haben, wieder das Symbol angelegt, von welchem wir eine so trübe Geschichte erzählt haben. Von da an verließ es ihren Busen nie wieder. Aber im Verlauf der mühseligen, gedankenvollen und ihren Nebenmenschen geweihten Jahre, aus welchen Esthers späteres Leben bestand, hörte der scharlachrote Buchstabe auf, ein Brandmal zu sein, welches die Verachtung und Erbitterung der Welt erregte, und wurde das Zeichen von etwas Beklagenswertem und mit Beben sowohl wie mit Ehrerbietung zu Betrachtendem. Und da Esther Prynne keine selbstsüchtigen Zwecke verfolgte und in keiner Weise ihrem eigenen Nutzen und Vergnügen lebte, trug man ihr alle Kümmernisse und Verlegenheiten zu und bat sie als eine Person, die selbst schwere Prüfungen erlebt hatte, um ihren Rat. Besonders Frauen kamen in den beständig wiederkehrenden Prüfungen verwundeter, verschwendeter, gekränkter, übel angelegter oder irrender und sündiger Liebe oder mit der traurigen Bürde eines unvergebenen, weil ungeschätzten und ungesuchten Herzens in Esthers Hütte und fragten, weshalb sie so elend seien, und welches Mittel es dagegen gäbe. Esther unterstützte sie mit Trost und Rat, so gut sie konnte. Sie versicherte sie ihres festen Glaubens, daß zu einer schöneren Zeit, wenn die Welt dafür reif geworden sei, und nach des Himmels eigenem Ratschluß eine neue Wahrheit offenbart werden würde, um das ganze Verhältnis zwischen Mann und Weib auf einer sichereren Grundlage gegenseitigen Glückes zu errichten. In der früheren Zeit ihres Lebens hatte Esther sich irrigerweise vorgestellt, daß sie selbst die bestimmte Prophetin sein könnte, aber längst schon die Unmöglichkeit anerkannt, daß irgendeine Sendung göttlicher, geheimnisvoller Wahrheit einem von Sünde befleckten, von Schande niedergebeugten oder selbst nur mit einem lebenslangen Schmerze belasteten Weibe anvertraut werde. Allerdings muß der Engel und Apostel der nächsten Offenbarung ein Weib sein, aber ein hohes, reines und schönes und ein nicht durch Schmerz und Kummer, sondern durch die ätherische Vermittlung der Freude weises Weib, das durch die beste Probe beweisen würde, wie uns eine geweihte Liebe glücklich macht –: die eines darin erfolgreichen Lebens.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
280 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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