Читать книгу: «SchattenHaut & SchattenWolf», страница 8

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Unter dem Griff

Es war Seppi, der ihn schon früh am Morgen zu Hause anrief.

„Du, Hetzer, hör mal, dein Topf hat mir keine Ruhe gelassen. Ich konnte sowieso nicht schlafen. Da hab ich ihn mir mal vorgenommen.“

„Ja und?“

„Nix!“

„Wie, nix?“

„Ganz normales, vergammeltes Schweinegulasch mit ein paar Maden drin. In unterschiedlichen Lebensstadien. Es ist also schon länger her, dass das gekocht wurde. Der Topf ist nichts Besonderes. Billige Supermarktware. Da kommen wir nicht weiter. Aber eine Sache hab ich noch.“

„Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Seppi. Das ist anstrengend. Das hast du schon immer so gemacht.“

„Macht ja auch Spaß. Also: Ich habe noch ein klein wenig DNA gefunden. Menschliche DNA.“

„Könnte die auch von mir sein?“

„Könnte schon, weil es männliche ist. Aber ist es nicht. Ich meine, deine ist es nicht. Die war natürlich auch vorhanden, aber ich habe unter dem Griff noch eine weitere gefunden und die könnte von diesem miserablen Koch stammen.“

„Sehr interessant. Aber jetzt sag mir mal, woher du weißt, dass das meine DNA ist, die da auch an dem Topf war.“

„Deine Nachbarin war so freundlich, mir deine Bürste zu bringen, zwecks Abgleich. Da waren übrigens auch weibliche Haare drin. Aber das geht mich ja nix an, wer deine Bürste so benutzt. Von einem anderen Mann habe ich jedenfalls keine Haare gefunden. Das spricht für die Dame oder dafür, dass du nicht homosexuell veranlagt bist.“

„Deine Schlussfolgerungen bezüglich meines Privatlebens sind sehr aufschlussreich. Mich interessiert aber mehr diese unbekannte, männliche DNA. Kannst du mir mehr sagen?“

„Ich kann dir noch sagen, dass es eher kein Schwarzer ist und dass es eher auch kein kaukasisch- oder asiatischstämmiger Mann ist. Das war es dann aber auch schon. Zu Haar- und Augenfarbe kann ich dir nichts sagen. Es gibt bestimmte ethnische Marker, die bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen vermehrt auftreten. Die habe ich hier aber nicht gefunden. Behinderungen aufgrund von Chromosomenveränderungen liegen auch nicht vor.“

„Dann suchen wir also eher einen gesunden Europäer? Na, davon gibt es ja nicht so viele.“ Hetzer war enttäuscht. Er hatte sich mehr erhofft. „Und der Abgleich mit der Kartei hat auch nichts ergeben?“

„Nein, unser Unbekannter ist ein unbescholtenes Blatt.“

„Danke dir, Seppi, dass du dir die Zeit genommen hast. Darf ich dich bitten, dass du die DNA noch aufhebst? Ich habe noch etwas damit vor. Ich möchte sehen, ob Mica an der Leiche welche findet und sie dann vergleichen.“

„Kein Problem, ist eh gespeichert. Bis dann, Hetzer, mach’s gut und viel Glück bei der Suche.“

Stille Wasser

Die Staatsanwältin Frau Dr. Kukla und Kriminalhauptkommissar Mensching erwarteten sie schon, als das Team Hetzer/Kruse eintraf.

„Wir erwarten umgehend Ihren Bericht, meine Herren. Jetzt sofort mündlich und heute noch schriftlich. Gegen 12 Uhr haben wir eine Pressekonferenz anberaumt. Halten Sie sich bitte zur Verfügung.“

„Wir müssen ermitteln!“, entfuhr es Kruse. Der Blick von Frau Dr. Kukla traf ihn wie ein Messer.

„Wenn Sie schon vorher intensiver und gewissenhafter ermittelt hätten, wären wir heute vielleicht nicht an diesem Punkt, an dem wir jetzt stehen. Nämlich wie wir der Presse erklären sollen, dass wir es nicht verhindert haben, dass Benno Kuhlmann umgebracht worden ist. Obwohl er so viele Tage verschwunden war.“

„Hatte ich Ihnen nicht ausdrücklich aufgetragen, dass dieser Fall oberste Priorität hat?“, bemerkte Mensching spitz.

„Und was haben Sie getan? Einen Pfarrer und eine Haushälterin in Hameln befragt ...“.

„Moment“, sagte Hetzer bestimmt, „wir wollen doch bei der Realität bleiben. Es ist schon richtig, dass wir auch im Mordfall von Pfarrer Fraas ermittelt haben, aber wir sind durchaus zweigleisig gefahren und haben alles darangesetzt, Bennos Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Es gab aber überhaupt keine Spuren – bis auf einen mysteriösen Unbekannten, der sich in der Nacht einfach aufgelöst hat.“

„Bleiben wir doch bitte bei den Realitäten!“

„So war es aber. Wir hatten einfach keine Anhaltspunkte. Suchen Sie mal in einer Kneipe nach DNA. Sie können sich aber beruhigen, Chef. Es ist nämlich egal, ob wir erst da oder da oder gleichzeitig ermittelt haben.“

„Wieso?“

„Da bin ich aber mal gespannt!“ Frau Dr. Kukla setzte sich auf die Tischkante und schlug die Beine übereinander.

„Das ist ganz einfach. Ich habe eine Vermutung.“

„Dann schießen Sie mal los.“

„Ich denke, dass die beiden Fälle zusammengehören könnten.“

„Wieso das?“

„Weil die beiden Toten etwas gemeinsam haben. Sie sind beide kastriert. Komplett. Bei Pfarrer Fraas und bei Benno Kuhlmann fehlen das männliche Glied und die Hoden. Es gibt einen Unterschied. Bei Fraas sind die Genitalien kurz vor seinem Tod einfach abgeschnitten worden. Bei Kuhlmann hat sich der Mörder die Mühe gemacht, ihn zu operieren und kurzzeitig leben zu lassen. Dennoch könnte es derselbe Täter sein. Nach der Obduktion wissen wir mehr.“

„Ich habe schon mit Frau Dr. von der Weiden gesprochen, Hetzer. Sie beeilt sich und gibt uns sofort Bescheid. Das wäre natürlich ein Ding. Dann hätten wir es vielleicht mit demselben Mörder zu tun. Das hieße dann auch, dass es möglich wäre, dass wir mit weiteren Verbrechen rechnen müssen. Bitte untersuchen Sie, ob es weitere Vermisstenfälle in Hameln oder Rinteln und Umgebung gibt.“

„Jenseits des Berges auch?“

„Sie meinen Kleinenbremen, Bückeburg und so weiter? Das wird wohl nicht nötig sein. Aber von mir aus. Sie tun doch sowieso, was Sie nicht lassen können, oder?“

Hetzer ließ die Aussage von Frau Dr. Kukla unkommentiert und nahm sich vor, seinen Kollegen Schütte vom LKA anzurufen. Er konnte im ViCLAS-System prüfen, ob irgendwo Taten mit einer ähnlichen Vorgehensweise verübt worden waren. Das Analysesystem zum Verknüpfen von Gewalttaten wurde bereits seit zehn Jahren in Deutschland eingesetzt.

„Wären Sie denn so freundlich, uns eben noch die Situation in der Eulenburg zu beschreiben, damit wir uns nachher nicht blamieren, Kruse.“ Mensching sprach mit lauerndem Unterton.

„Benno Kuhlmann ist auf dem Dachboden der Eulenburg von einer jungen Ärztin gefunden worden. Er hing kopfüber an einem Deckenbalken. Nackt. Um die Füße eine Metallkette. Der Tod erfolgte wahrscheinlich am Fundort nach einem gezielten Stich in den Hals. Es fand sich eine große Blutlache unter dem Toten und zahlreiche Spritzer ringsum. Frische Narben im Bereich des vorderen Halses und im Genitalbereich. Dort war das gesamte Gemächt entfernt worden. Die Körperoberfläche war leicht rußig überzogen. Es fehlten die Haare. Wir vermuten, dass sie abgeflammt worden sind. Die Verwesung hatte schon eingesetzt. Er war von Maden bevölkert.“

„Vielen Dank für die detaillierte Schilderung. Dann können wir doch davon ausgehen, dass der Täter in jedem Fall ein Mann gewesen sein muss. Es gehört schon einige Kraft dazu, einen so großen Körper wie den von Kuhlmann kopfüber an einen Dachbalken zu hängen.“

Hetzer überlegte.

„Ja, das ist wohl wahrscheinlich, obwohl es auch starke Frauen gibt. Wenn es sich wirklich um einen Serientäter handelt, spräche das auch für einen Mann. Es gibt nur sehr wenig Frauen, die Mordserien verübt haben.“

„Diese Kastrationen – falls die Fälle zusammenhängen – sprechen doch für ein Beziehungsdelikt oder einen Racheakt nach Missbrauch. Vielleicht sollten Sie da, besonders bei dem Geistlichen, genauer nachhaken. In der nahen Vergangenheit sind so viele Fälle aufgedeckt worden. Möglicherweise wehrt sich hier ein Opfer auf eine andere Art.“

„Es könnte sich auch um sexuellen Sadismus handeln. Wir müssen in jede Richtung weiterermitteln. Wichtig ist jetzt erst einmal das Ergebnis der Obduktion. Daraus werden sich Hinweise für unser weiteres Vorgehen ergeben. Bitte entschuldigen Sie uns jetzt. Wir müssen noch einen schriftlichen Bericht anfertigen.“

Kruse und Hetzer zogen sich in ihr Büro zurück.

„Diese olle Mistzicke!“

„Meinst du etwa die Frau Staatsanwältin, Peter?“

„Nie im Leben, wie kommst du denn darauf?“

Hetzer grinste und begann seinen Bericht zu tippen.

Bennos Vermächtnis

Das Schreiben ging ihnen schwer von der Hand. Sie waren viel zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt. Auf einmal waren die Fälle vielleicht nur noch einer und viel komplexer, als sie vermutet hatten. Das wirkte sich bereits auf ihren Bericht aus. Noch bevor sie konkret wussten, dass Fraas und Kuhlmann demselben Mörder in die Augen geschaut hatten, konnten sie beides nur noch schwer gedanklich trennen. In ihr Schweigen hinein klingelte das Telefon.

„Hallo Wolf, ich bin es, Mica. Alles klar bei euch? Ich dachte, ich rufe euch zuerst an, bevor ich die Chefetage informiere.“

„Das ist aber nett von dir, Mica. Du zeigst ja direkt menschliche Züge.“

„Jetzt hast du aber angefangen, Hetzer!“, schmunzelte Mica empört durchs Telefon. „Aber Schwamm drüber. Apropos Schwamm. Er schwamm in Maden. Benno, meine ich.“

„Das haben wir schon vor Ort gesehen. Da erzählst du uns nun nichts Neues.“

„Nun wartet doch mal. Ich will euch doch etwas über die Maden erzählen.“

Hetzer stöhnte: „Muss das sein?“

„Wenn ihr wissen wollt, wie lange er tot ist, schon.“

„Na gut, dann raus mit der Horrorstory.“

„Ist gar nicht so schlimm. Ich will euch etwas über das Nahrungsverhalten der Maden erzählen. In diesem Fall über die Spezies Calliphora vomitoria, auch Schmeißfliege genannt. Diese Tierchen bevölkerten nämlich überwiegend unseren lieben Benno. Als ich ihn mir angeschaut habe, hatten die Maden eine Größe von circa 13 mm. Das vordere Drittel ihres Darms war mit Nahrung gefüllt. Bei einer mittleren Temperatur von durchschnittlich 15 °C und nicht zu dunklen Lichtverhältnissen bedeutet das, dass Benno ca. acht Tage tot war, als Nadja ihn fand. Er starb also ungefähr vor einer Woche. Genauer möchte ich mich nicht festlegen.“

„So, und das kannst du anhand dieser Viecher erkennen?“

„Exakt!“

„Erzähl uns mehr. Was hast du sonst noch gefunden?“

„Wie schon gesagt, ist Benno ziemlich fachgerecht kastriert worden. Man kann zwar sagen, dass derjenige diese Operation wohl noch nie oder nicht oft durchgeführt hat, aber er wusste, was er tat oder tun musste. Das Resultat ist eine wirklich zufriedenstellende Genitalplastik. Mit einem kleinen Fehler im Bereich des Blasenausgangs. Aber wenn er noch ein bisschen üben würde, tja, dann könnte man ihn einstellen.“

„Du bist pervers, Mica, echt!“

„Nun stell dich mal nicht so an, Wölfchen. Ach, noch etwas, und da wird die Sache interessant. Wenn man sich bei den Kastrationen von Fraas und Kuhlmann noch unsicher war, ob sie aufgrund der Vorgehensweise von ein und demselben Täter gemacht worden sind, dann hilft einem ein weiteres, klitzekleines Detail weiter. Benno Kuhlmann war wie Fraas seines Schildknorpels, also seines Adamsapfels, beraubt worden. Was sagt ihr nun? Ich hatte das wegen der Narbe schon vermutet, aber nun ist es sicher. Also: Zwei Entmannungen und zwei Entäpfelungen, wenn auch unterschiedlich ausgeführt.“

„Gibt es weitere Gemeinsamkeiten?“

„Also eine Sache ist komisch. Obwohl ja nun Kuhlmann längere Zeit in der Gewalt des Täters gewesen sein muss, habe ich keine DNA von ihm gefunden. Das bedeutet, dass er absolut sorgfältig gearbeitet haben muss. In Schutzkleidung gewissermaßen. Das Abflammen des Körpers am Tatort hat natürlich auch noch alles Mögliche zerstört, falls etwas da gewesen ist. Nadja hatte mich da übrigens auf eine gute Idee gebracht. Sie sagte, er sei abgeflammt worden wie ein Schwein. Das ist wohl früher bei Hausschlachtungen auch so gemacht worden. Damit gäbe es eventuell eineweitere Übereinstimmung in gewisser Weise. Ratet mal!“

„Och Mica, komm, das führt doch zu nix. Sag uns, was du weißt.“

„Also, das ist nur so eine Überlegung von mir. Muss absolut nichts zu sagen haben, aber im Prinzip hat mich deine Ratte – du weißt schon, die nicht ersäufte – darauf gebracht.“

„Ah ja, wieso?“

„Guck mal. Der Pfarrer ist – und das ausgerechnet in der Rattenfängerstadt Hameln – wie eine Ratte ersäuft worden. Habt ihr mal etwas über seinen Charakter recherchiert? Und Bennochen ist wie ein Schwein abgestochen worden. Man hat ihn wie eins ausbluten lassen und seine ,Borsten’ abgefackelt. Na, klingelt da was? Der eine war eine miese Ratte und der andere ein fieses Schwein. Das soll bei Klerus und Politik schon mal vorkommen.“

„Mensch Mica, ich glaube, da hast du wirklich eine gute Idee! Er bringt sie um wie die Tiere, die sie waren. Das ist noch ein Schritt weiter. Er zeichnet ihre Charaktere in seinem Mordbild. Aber warum kastriert er sie? Und warum so unterschiedlich?“

„Also, den ganzen Fall kann ich jetzt auch nicht für euch lösen. Ein bisschen müsst ihr schon selber machen. Bennos Blasenschließmuskel war übrigens ein bisschen zu Schaden gekommen. Ich glaube, er konnte das Wasser nicht mehr halten. Er hätte einen Katheter gebraucht in Zukunft oder Windeln. Aber das ist ihm ja erspart geblieben.“ Mica lachte.

„Du hast wirklich einen komischen Humor. Aber in deinem Fachgebiet bist du ein Ass! Hut ab, Mica!“

„Gibt es sonst noch etwas zu berichten?“

„Außer ein paar Hämorrhoiden und Marisken nichts Besonderes. Wobei letztere darauf hindeuten könnten, dass er gerne heftigen Analverkehr hatte.“

„Was bitte sind Marisken?“

„Das sind kleinere Vernarbungen am Schließmuskel. In diesem Fall infolge von Rissen. Die können auf unterschiedliche Art entstehen.“

„Bitte erspar uns jetzt die Einzelheiten“, rief Kruse, der das Gespräch mitgehört hatte. „Mir ist auch so schon schlecht.“

„Hast du bei dem Pfarrer auch so etwas gefunden?“

„Schon, aber das kann auch von Analthrombosen kommen. Wie gesagt: Es gibt unterschiedliche Ursachen. Das beweist nichts. Ich denke, im Laufe seines Lebens hat fast jeder solche Vernarbungen an dieser Stelle.“

„Danke Mica, dass du uns vorab informiert hast. Und danke, dass du so mitdenkst. Du hast uns wirklich sehr geholfen. Ich denke, da ist was dran an deiner Theorie mit dem Charakter der Opfer. Charakterliche Mängel auf Tiere projiziert. Da hat er das Schwein und die Ratte einfach umgebracht. Das erklärt auch, warum ich Schweinefleisch im Topf hatte.“

„Wie bitte? Was haben die Morde jetzt mit deinen Kochkünsten oder Essensgewohnheiten zu tun?“

Hetzer hatte sich verplappert. Eigentlich hatte er nicht gewollt, dass Mica seine Aktion mit dem Topf mitbekam.

„Weißt du noch – die Ratte, Mica?“

„Klar, wie sollte ich das vergessen? Das war ein Spaß ...“

„Was du noch nicht weißt, ist, dass ich nach dem Mord an Benno einen Topf mit lebendem Schweinegulasch vor der Tür hatte. Es wimmelte vor Maden in ihm. Nach der Geschichte mit der Ratte wollte ich mich nicht ein zweites Mal vor dir lächerlich machen. Da habe ich Seppi gebeten, den Topf samt Inhalt zu untersuchen und siehe da: Er hat die DNA eines Unbekannten unter dem Topfgriff gefunden, also da, wo der Griff am Topf befestigt ist.“

Mica prustete los. Sie konnte sich nur schwer wieder beruhigen.

„Mensch Hetzer, was bist du für ein Feigling! Glaubst du, ich hätte dir den Kopf abgerissen oder dich gezwungen, das Gulasch zu essen oder was? Du hättest doch ruhig zu mir kommen können. Nur weil ich manchmal etwas sarkastisch bin, heißt das noch lange nicht, dass ich dich nicht ernst nehme. Ok, ich fand deine Rattenreaktion ein bisschen überzogen, aber angesichts der Lage könnte da trotzdem etwas dran sein. Das war aber damals noch nicht zu erwarten. Hinsichtlich deiner DNA muss ich dich allerdings enttäuschen. Sie könnte von jedem in der Produktionskette oder aus dem Verkauf stammen. Es ist nicht gesagt, dass sie vom Täter ist. Habt ihr sie isoliert und gespeichert?“

„Ja, haben wir. Nur nützt das ja leider nichts, weil du an Benno keine DNA zum Vergleichen gefunden hast. So ein Mist.“

„Stimmt, das ist schade. Aber das wäre auch zu einfach. Wenn ich der Mörder wäre, und ich sage mal, ich wäre vielleicht auch ein intelligenter Mörder, dann würde ich natürlich zusehen, dass ich keine Spuren hinterlasse. Wenn ich also überlege, dass der Täter bisher außerordentlich vorsichtig agiert hat und dass er – falls es derselbe ist – beim Kastrieren sehr schnell dazugelernt hat, muss man davon ausgehen, dass er uns mental nicht unterlegen ist. Darüber hinaus muss er Benno entweder in Narkose gelegt oder hypnotisiert haben. Alkohol oder Tabletten wären noch eine Möglichkeit oder ein K.-o.-Schlag, um eine Operation überhaupt durchführen zu können. Da hätte ich aber bei der Obduktion Spuren der Medikamente oder der Verletzungen gefunden. Auf jeden Fall es ist ganz klar ersichtlich, dass Benno die OP überlebt hat und dass die Wunden verheilt sind. Wenigstens bis er starb ...“

„Ich denke, da hast du recht, Mica. Wir haben es hier mit einem äußerst intelligenten Täter zu tun. Und das wird uns noch zu schaffen machen.“

„Na gut, Jungs, dann werde ich mal die Chefetage anrufen und Frau Dr. Klugscheißer informieren.“ Mica kicherte. „Mensching natürlich auch. Bis später dann.“

Übers Wasser wandern

Wolf Hetzer hatte nach der Pressekonferenz ein komisches Gefühl. Sie hatten nur wenige Fakten weitergegeben. Gerade so viel, wie gesagt werden musste. Die Ermittlungen durften nicht gefährdet werden.

Während er Mensching zugehört hatte, war dieses Gefühl immer stärker geworden. Er fühlte sich, als ob ihm der Täter über die Schulter schaute und sich amüsierte. Es war, als spüre er dessen Existenz. Etwas war in seinem Bewusstsein, doch er konnte es nicht greifen. Ein Wissen, das sich nicht abrufen ließ wie bei einem Trauma oder einer Amnesie. Vielleicht auch etwas, das er selbst ausblendete?

Er wusste es nicht.

Und da war noch etwas. Man konnte es nicht direkt Angst nennen, aber er fühlte sich auf eine subtile Art bedroht. Ein Unbekannter war in sein Leben eingedrungen. Der Feind blieb im Schatten. War schlecht einzuschätzen, aber nicht zu unterschätzen. Die Ermittlungen hatten gezeigt, dass er es sehr wohl verstand, sich unangreifbar zu machen.

Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Herr Hetzer, hätten Sie wohl die Güte, mich zu informieren, wie Sie und Ihr Kollege Kruse nun weiter vorgehen wollen? Sie haben nichts, aber auch gar nichts in der Hand.“

Hetzer sparte sich die passende Erwiderung.

„Kruse und ich werden jetzt nach Hameln fahren und die Haushälterin des Pfarrers wegen seiner sexuellen Vorlieben befragen. Anschließend bitten wir Pfarrer Martin noch um ein paar Informationen. Vielleicht hat es Gerüchte über Missbrauchsfälle gegeben oder ähnliches.“

„Wie Sie an diesem ersten Mord kleben, Hetzer. Ich verstehe das nicht. Aber meinetwegen, jetzt, wo die Vermutung naheliegt, dass es eine Verbindung zwischen Kuhlmann und Fraas geben könnte, fragen Sie von mir aus zunächst dort nach.“

„Geben könnte ist gut“, murmelte Kruse.

„Wie sagten Sie? Ich habe Sie nicht verstanden.“

„Ich sagte, dass es mehr als eine Vermutung ist, wenn beiden – zwar auf unterschiedliche Art, aber das ist doch sekundär – die kompletten Genitalien und der Adamsapfel entfernt worden sind.“

„Meinen Sie! Es könnte immerhin auch Zufall sein oder ein Nachahmungstäter, falls etwas durchgesickert ist. Es gibt auch eindeutige Unterschiede zwischen beiden Opfern.“

Hetzer hatte keine Lust auf diese Diskussionen. Sie brachten nichts.

„Na komm, Peter, lass uns losfahren. Wenn wir noch alles erledigen wollen, was wir uns vorgenommen haben, kostet das Zeit. Entschuldigen Sie uns bitte, Herr Mensching.“

Als die beiden draußen waren, atmeten sie auf.

„Puh, immer dasselbe Theater: Kuhlmann, Kuhlmann, Kuhlmann ...“

„Glaub mir, Peter, der kriegt Druck von oben. Der kann gar nicht anders. Ich bin froh, dass wenigstens die Kukla schon weg war. Die nervt mich viel mehr.“

„Da hast du natürlich recht!“, lachte Peter.

„Diese olle Zimtzicke.“

Es war schon kurz vor drei, als sie das Ortsschild von Hameln passierten. Es regnete in Strömen. Selbst auf stärkster Stufe konnten die Scheibenwischer das Wasser kaum in Schach halten.

„Widerlich, einfach widerlich und wir haben natürlich keinen Schirm dabei.“

„Wie sähe das auch aus? Stehen wir beide unter dem Schirm an der Tür wie die Zeugen Jehovas.“

„Du kommst vielleicht auf Gedanken. Ist eher unwahrscheinlich an der Haustür eines katholischen Geistlichen.“

„Siehst du, und darum nehmen wir auch keinen Schirm.“

„Ähh, tolle Logik.“ Peter schüttelte sich und suchte unter dem Vordach Schutz. Sie konnten hören, wie es innen klingelte. Doch nichts geschah. Gerade, als sie nach einem weiteren Klingelversuch aufgeben wollten, hörten sie Schritte auf der Treppe. Etwas verschlafen öffnete Pfarrer Fraas‘ Haushälterin.

„Ah, die Herrn Inspektoren, entschuldigens schon, aber ich hatt mich a bisserl hi’glegt. Bin ja net mehr die Jüngste. Kommens nur rein. Des is ja a grauslig’s Wetter. Da dät ma ja kein Hund vor die Tür nausjag’n wolln.“

„Vielen Dank.“

„Dätn’s a paar Platzerl mög’n? Und an Kaffee?”

„Ja, sehr gerne, Frau Brüderl.“

„Dann geh i geschwind. A Momenterl Geduld, bittschön!“

Peter Kruse hatte es sich im Sessel bequem gemacht. Er streckte die Füße aus und fühlte sich wohl. Die Kekse kannte er schon. Er befand sich also in freudiger Erwartung. Hetzer saß eher nachdenklich da. Er überlegte, wie er der alten Dame diese delikaten Fragen am besten servieren konnte.

„So meine Herrn, greifen’s ruhig zua!“ Mit diesen Worten stellte Fraas’ Haushälterin eine Kanne Kaffee und Plätzchen auf den Wohnzimmertisch. „Die sann selbst g’macht. Ist vielleicht noch a bisserl früh, aber die Weihnachtszeit is immer so kurz. Der Herr Pfarrer hot a immer so gern welche mög’n, wenn’s draußen koalt woar. Gott hab ihn selig.“

„Sie haben ihn sehr gern gemocht, Frau Brüderl?“

„Jo freili, er is so a guader Mensch g’wen.“ Sie verfiel wieder zunehmend mehr in ihren Dialekt, wenn sie von Fraas sprach. „I hob’n jo so long scho kennt. Des woarn leicht fuff’zg Joahr.“

„In dieser Zeit wächst man ganz schön zusammen. Fast wie ein altes Ehepaar. Ist es aus diesem Grund zu Komplikationen gekommen?“

„Na, wieso? Woas für Komplikationen meinen’s denn? Ob mir uns oft g’stritten ham oder ob ich’s ihm immer recht g’macht hab?“

„Ich dachte eher daran, ob Sie eventuell aneinander Gefallen gefunden hätten. Vielleicht über das erlaubte Maß hinaus. Ob da Gefühle im Spiel waren und ob Sie im Geheimen ein Paar waren.“

Heide Brüderl guckte verdutzt. Dann lachte sie.

„Ah, so ham Sie des g’moint. Es hot amol a Zeit geb’n, da hätt i gern dem Pfarrer sei Frau sein mög’n. Do woar i jung und a weng hitzköpfig, verstehen’s scho. Jesses, i hob’s direkt drau o’glegt, dass er mi sicht, so im Sommer, mit nur an leichten Kleid oder i hob mi am Fenster umzog’n. Rundum verwöhnt hob i ’n. Es hot ihm bestimmt an goar nix g’fehlt. Nur g’sehn hot er mi nia. So oft i des versucht hob, um ihn rum zum scharwenzeln. Immer freindlich is er g’wen un immer nett. Nur wia a Bruader, net wie a Mo. Irgendwann hob i mir denkt, das er ehm so sehr an sei’m Glaub’n hängt und nur die Jungfrau Maria liabt. Und woas soll i da moachen? Des is a Konkurrenz, geg’n die koa Macht der Welt woas nützen dat. Und um Himmels wuill’n, des hätt i a nia und nimmer probiert. Es is mir nix übrig blie’m. I hob mi in mei Schicksal eini g’fügt, bin bescheiden blieb’n und hob ihm oalles zurecht g’macht. Später hob i mir dann denkt, dass des goar net so schlecht woar, woas der Herrgott da füa mi entschied’n hoat. A ehrbares, saub’res Leh’m als Magd, um ihm zu dienen. Und i hot mei Rua, wenn i des wollt. Der Ohmd und d’Nacht hoam nur mia g’hert.“

„Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist Pfarrer Fraas auf Ihr Werben nicht eingegangen. Hatten Sie das Gefühl, er hätte mal an anderen Frauen Interesse gehabt?“

„Na, goanz g’wiss net. Nur an der Heilig’n Jungfrau. Des wär mir aufg’foin. Des können’s mir glau’m.“

„Wäre es auch möglich“, Hetzer zögerte bei dieser Frage etwas, „dass Pfarrer Fraas mehr dem eigenen Geschlecht zugeneigt war?“

Heide Brüderl zuckte zusammen. „Wia moanen’s na des?“

„Wie ich es gesagt habe. Ich wollte wissen, ob der Herr Pfarrer homosexuelle Neigungen hatte.“

Sie schüttelte sich, als hätte sie in Hetzers Madentopf geschaut. „Net, des i wüst. So an Schweinkram. Naa, des hätt der Pfarrer seelig nia dua. Pfui Spinne.“

„Es hat auch niemals ein Gerücht oder etwas dergleichen gegeben? Vielleicht aus der Gemeinde? Ungereimtheiten oder Gespräche, die Sie sich nicht erklären konnten?“

Heide Brüderl zitterte leicht. „I woas von nix und über an Tod’n sollt ma a net schlecht red’n, selbst wenn doa woas g’wen wär.“

Wolf Hetzer hatte das Gefühl, dass sie nicht die Wahrheit sagte, wollte es aber jetzt auf sich beruhen lassen. Die Seniorin hätte nichts Schlechtes über ihren Pfarrer gesagt, mit dem sie – wie auch immer – so viele Jahre unter einem Dach gelebt hatte. Hetzer würde bei seinem Nachfolger in der Gemeinde weiterbohren. Vielleicht wusste der etwas oder es stand irgendetwas Verwertbares in den kirchlichen Aufzeichnungen.

„Das erwarten wir auch gar nicht von Ihnen“, sagte er zu Fraas‘ Haushälterin. „Sagen Sie, wie war denn der Pfarrer so als Mensch? War er streng oder eher weich? Hatte er Verständnis für die Sünden seiner Schäfchen?“

„Des is schwer zum soag’n. Er woar fei a sehr guader Mensch, oaber er hoat die schwarzen Schafer’l scho a ins G’wissen g’red. Grad recht is er g’wen. Net zu hart und net zu weich. In die letzten Joahr is er a weng milder woarn. Un ruhiger a. Es woar a schene Zeit und jetzad muss i mir a neue Bleibe suachen, auf meine oiden Doag.“

„Ach, das tut uns aber leid. Wir dachten nicht, dass sich etwas für Sie verändern würde. Sagen Sie, hatte Pfarrer Fraas einen Computer?“

„An richtig großen net, nur so a kloan’s Ding zum Auf- und Zuaklapp’n.“

„Ah, ein Laptop also. Dürften wir das mal sehen?“

„Jo mei, warum net. Bitte kommen’s mit nunter in sei Wohnung. Er hoat des Ding imma am Schreibtisch liagn.“

Frau Brüderl hielt sich gut am Handlauf der Treppe fest. Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht, wenn sie woanders hinzog, dachte Wolf bei sich. Das Treppensteigen machte ihr sichtlich Mühe. Peter, der sich nur ungern aus dem Sessel gequält hatte, weil er die Kekse verlassen musste, hatte sich während der Befragung Stichpunkte notiert. Er ging jetzt hinter der alten Dame die Treppe hinab, während Hetzer fragte, ob der Pfarrer denn auch Kinder und Jugendliche betreut hätte. Er sah eben noch, wie sie ins Wanken geriet, konnte aber nicht eingreifen. Im letzten Moment bemerkte Wolf, vor allem durch Peters Aufschrei, dass etwas nicht in Ordnung war, und drehte sich um. Nur mit großer Mühe konnte er Heides Sturz abfangen. Mit dem einen Arm packte er sie. Leider etwas unsanft, sodass sie stöhnte. Mit der anderen Hand hielt er sich am Geländer fest, sonst wären sie beide zu Fall gekommen. Heide Brüderl war noch nicht wieder ganz bei sich. Inzwischen hatte ihr Peter jedoch von hinten unter die Arme gegriffen. Gemeinsam trugen sie die alte Dame nach unten, nahmen Fraas’ Schlüssel aus der Tasche ihres Kittels und legten sie auf dessen Sofa. Wolf Hetzer rief Notarzt und Krankenwagen, während Peter ihr die Beine erhöht bettete und sie langsam wieder zu sich kam.

„Jo mei, wo bin denn i? Beim Herrn Pfarrer selig? Ach, meine Herrn, mir is a bisserl schwindelig worn. Jetzad hoab i Eahna a noch Scherereien g’moacht.“

„Das ist nicht so schlimm, Frau Brüderl, der Arzt wird gleich hier sein. Ich glaube, wir haben Sie zu sehr beansprucht.“

„Seit dem Herrn Pfarrer sein Tod bin i net mehr die Oide. Des hoat mit Eahna nix zum dua.“

„Frau Brüderl, Sie sind doch sicher einverstanden, wenn wir den Laptop von Pfarrer Fraas mitnehmen. Vielleicht finden sich dort Hinweise auf das Verbrechen, das an ihm verübt worden ist. Wir würden uns auch gerne noch ein wenig in der Wohnung umschauen.“

„Machens nur, woas sie moana. Und nehmens des Ding nur, meine Herrn Inspektoren. Er koa eh nix mehr damit oafoanga.“

Es dauerte nicht lange, bis Notarzt und Rettungswagen in der Fontanestraße hielten und sich um Heide Brüderl kümmerten. Sie rief ihnen noch ein „Vergelt’s Gott!“ nach, bevor sich die Türen des Krankenwagens schlossen. Immerhin regnete es jetzt nicht mehr. Hetzer dachte, dass er etwas gesagt haben musste, das sie umgehauen hatte.

„Du, Peter, vielleicht ist da was dran, an der Homosexualität. Wenn so gar keine Frauengeschichten bekannt sind.“

„Ich glaube ja eher, dass wir uns auch auf seine Kontakte zu minderjährigen Schutzbefohlenen konzentrieren sollten. Immerhin leitete er in der Gemeinde St. Elisabeth in der Arndtstraße die Verwaltungsstelle für die katholische Jugend.“

„Denkst du an Missbrauch, Peter? Das müsste dann ja wahrscheinlich etliche Jahre zurückliegen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es in der nahen Vergangenheit für ihn möglich war, sich Kindern oder Jugendlichen so einfach zu nähern.“

„Das vermutlich nicht. Er müsste ungefähr zehn bis fünfzehn Jahre außer Dienst sein. Mögliche Opfer wären dann jetzt zwischen zwanzig und – je nach Zeitraum – vierzig oder mehr Jahre alt.“

„Wie willst du das jetzt noch herausfinden? Du glaubst doch nicht, dass die Kirche brisante Dokumente oder Protokolle aufbewahrt hat?“

„Wer weiß, es ist in letzter Zeit so vieles ans Licht gekommen. Lass uns aber erst mal seinen Rechner und die Wohnung kontrollieren. Pädophile können von ihren Vorlieben meist nicht lassen. Es wäre möglich, dass wir irgendetwas, irgendeinen Hinweis finden. Fotos, Dokumente, Briefe.“

Kruse und Hetzer überlegten, wie sie am besten vorgehen sollten.

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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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9783827198884
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