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Die Obduktion

Während Wolf Hetzer und Peter Kruse zur Dienststelle zurückfuhren, hatte Stefan Berthold von der Wasserschutzpolizei in Hameln per Funk durchgegeben, dass der mögliche Tatort bei Flusskilometer 136 in Hameln, etwas weserabwärts der Fontanestraße, liegen könnte.

Dort habe man eine Hose mit Blutanhaftungen in einem Strauch am Wasser gefunden.

Hetzer und Kruse machten sofort kehrt, stiegen wieder in den silbernen BMW und rasten auf der 433 in Richtung Hameln davon.

„Hast du gesehen, Wolf, die Kollegen aus Nienburg sind auch schon da.“

„Ja klar, der schwarze Volvo stand ein Stück weiter hinten.“

„Na, dann ist es ja gut, dass wir schon weg sind. Die Verteilung der Aufgaben können wir uns auch noch nachher anhören. Das waren noch Zeiten, als die einzelnen Dienststellen auch bei Kapitalverbrechen autark waren. Jetzt müssen wir immer erst abwarten, was Papi dort oben meint.“

Hetzer konnte sich das Grinsen nicht verkneifen.

„Nun sei doch nicht so hart, Peter, du wirst doch einsehen, dass hier einfach nicht genug passiert in unserem beschaulichen Weserbergland. In ganz Deutschland sind im letzten Jahr nur 365 Menschen ermordet worden. Die Gewalttaten halten sich auch in Grenzen. Da lohnt es sich einfach nicht, in jeder kleinen Stadt eine eigene Abteilung für Gewaltverbrechen zu beschäftigen. Und glaube mir, es wird bestimmt eine Sonderkommission eingerichtet werden, die wir leiten sollen.“

„Hm“, brummte Peter, „dann ermitteln wir mal mit Aussicht auf die gnädige Erlaubnis von ,Papi’.“

Der wenig liebevoll „Papi“ genannte Vorgesetzte war Kriminaloberrat Siegfried Eberlein, der – besonders bei Kapitalverbrechen – seine Finger im Spiel hatte.

Meist entsandte er einen seiner ihm untergebenen Hauptkommissare zur Sondierung der Lage, um anschließend durch dieses Sprachrohr Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen.

Sowohl Hetzer als auch Kruse kannten das Prozedere. Sie waren gespannt, wer ihnen diesmal zugeteilt werden würde.

Inzwischen hatten sie auf der Höhe von Hessisch Oldendorf die Weser überquert und fuhren nun auf der B 83 in Richtung Fischbeck.

Per Funk hielten sie mit den Kollegen auf dem Wasser Kontakt.

Sie hätten sie auch so nicht verfehlen können, denn das Boot war von der Straße aus gut sichtbar.

Direkt gegenüber der Einmündung zur Fontanestraße stellten sie den Wagen ab und schlenderten zum Ufer.

Hier war schon einiges los, die Spurensicherung war bereits vor Ort. Sie hatten den Bereich um den Strauch im Wasser und den Platz, wo das Opfer vermutlich ermordet worden war, abgesperrt. Hetzer und Kruse ließen sich zu der Stelle führen, wo das Gras wie im Kampf plattgewalzt und stellenweise wie mit rostroter Farbe bespritzt war.

„Wenn wir wüssten, wer der Tote ist, dann könnten wir besser verstehen, warum der Mann in der Nacht hierher gekommen ist, um seinen Mörder zu treffen.“

„In dem Alter ist es auf jeden Fall nicht normal, so am Flussufer entlangzuspazieren, vor allem ohne Hund. Vielleicht ist er auch entführt worden.“

„Auch mit Hund würdest du dich im Alter von siebzig Jahren nicht diesen Unebenheiten in der Dunkelheit aussetzen. Ich glaube ganz bestimmt, dass es einen wichtigen Grund gegeben haben muss, warum der Mann hier war. Komm, Peter, wir befragen mal die Bewohner in den Häusern an der Straße. Vielleicht hat jemand etwas gesehen oder gehört. Er muss doch geschrien haben, als er verletzt wurde.“

In diesem Moment klingelte Hetzers Handy.

„Na, böser Wolf“, stichelte Mica, „schon was erlegt? Oder hast du dein braun-graues Fell nur in den Wind gehalten?“

„Nein, meine liebe Mechthild.“ Hetzer sprach den Namen, den sie selbst so verabscheute, mit besonderer Inbrunst aus.

„Ist ja schon gut. Lassen wir den Mist. Ich wollte dir ein paar Informationen geben. Das Opfer muss gestern irgendwann zwischen 22:30 Uhr und Mitternacht gestorben sein. Dass der Mann kastriert war, hast du ja selbst gesehen, oder? Da lebte er leider noch. Es fehlt alles komplett und – man kann sagen, dass der Schnittverlauf fachlich nichts zu wünschen übrig lässt. Es könnte also sein, dass der Täter sich mit medizinischen Dingen auskennt oder Schlachter ist oder Bestatter.“

„Oder Pathologe. Das vereint alles in einem. Mensch, Mica, du hast vielleicht eine Phantasie!“

„Ohne die könnte ich auch meinen Beruf nicht ausüben, glaub mir. Er ist übrigens nicht an dem Schlag auf den Kopf gestorben. Der war zwar ziemlich heftig und ich tippe auf eine Taschenlampe als Tatwaffe, aber zum Tod hat der Aufprall nicht geführt, wenigstens nicht in dem Moment. Es waren Glassplitter in der Wunde. Vielleicht liegt die Lampe noch irgendwo.“

„Bisher ist keine Taschenlampe gefunden worden. Sie könnte natürlich auch in der Weser liegen.“

„Könnte sie. Übrigens ist der Mann ertrunken. In seinen Lungen war reinstes Weserwasser. Ansonsten wäre er aber auch verblutet oder an den Spätfolgen des Schlags gestorben. Drei Möglichkeiten für einen Exitus. Der Mörder ist auf Nummer sicher gegangen, denke ich. Aber es ist noch etwas merkwürdig.“ Mica zögerte.

„Ach ja, was denn?“

„Der Schildknorpel des Kehlkopfes wurde entfernt. Vor seinem Tod. Das kann man – wie im Genitalbereich – auch hier an den Hautunterblutungen feststellen.“

„Was hat das zu bedeuten?“

„Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall konnte er so nicht mehr schreien. Vielleicht sollte er mundtot gemacht werden. Deshalb hat auch niemand etwas gehört. Leider ist sein Gesicht ein wenig lädiert. Er muss wohl beim Treiben im Wasser irgendwo entlang geschürft sein. Das war aber postmortem.“

Hetzer bedankte sich und teilte der Pathologin noch mit, dass sie Blut vom möglichen Tatort zu ihr ins Institut schicken würden und die Hose des Opfer, falls sie ihm gehörte, aber davon ging er aus. Es passte einfach alles zu gut zusammen.

Wolf Hetzer und sein Kollege ließen die Spurensicherung ihre Arbeit machen.

Für sie beide war hier nichts weiter zu tun. Kruse hatte inzwischen über Funk nachgefragt, ob im Bereich Hameln/Rinteln Männer um die siebzig vermisst wurden. Die Antwort war negativ.

In den Häusern rund um die Fundstelle kamen sie auch nicht weiter. Niemand hatte etwas gehört oder gesehen. Nur der alte Pfarrer Fraas sei nach zehn Uhr noch spazieren gegangen, erzählte Wolfgang Wehrmann aus der Fontanestraße.

Er habe ihn gesehen, als er mit Whiskey Gassi gewesen sei. Er schien es eilig gehabt zu haben – und ja, er sei in Richtung Weser unterwegs gewesen.

Hetzer und Kruse bedankten sich und klingelten an der Tür von Josef Fraas.

Niemand öffnete.

Der Nachbar, der im Hof Laub fegte, erzählte ihnen, dass die Haushälterin bis Dienstag bei ihrer Schwester sei, möglicherweise sei ja auch der Pfarrer verreist. Das wisse er nicht. Kruse notierte den Namen der Haushälterin und seufzte. Ihm knurrte der Magen.

„Sag mal, können wir irgendwo zwischendurch anhalten, wenn wir zurück zur Wache fahren. Ich könnte ein ganzes Schwein auf Toast essen.“

Hetzer lachte und nickte.

So viel Menschenmasse musste natürlich versorgt werden.

Im Polizeikommissariat am Hasphurtweg war alles durch die übergeordnete Dienststelle geregelt worden. Der Beamte war sogar schon wieder weg.

„Na, siehst du, Peter, alles halb so wild!“, sagte Wolf und klopfte dem Hünen auf die Schulter. Dabei musste er fast auf die Zehenspitzen steigen.

„Was ist halb so wild?“, fragte Dienststellenleiter Mensching.

„Ich meinte, wir kommen ganz gut voran. Möglicherweise wissen wir bereits, wer das Opfer ist.“

„Das ist gut. Sie werden nämlich die Sonderkommission ,Orchidee’ leiten. Kruse wird Ihnen zur Seite stehen.“

„Das ist gut. Ich meine, dass ich die Kommission leite. Aber wieso ,Orchidee’? Ich kann überhaupt keinen Zusammenhang erkennen. Gibt es dafür einen besonderen Grund?“

„Uns fiel kein besserer Name ein. Wir kennen bisher den Namen des Opfers nicht. Moko ,Wasserleiche’ war uns zu spektakulär. Einziges auffälliges Merkmal ist die Kastration. Die Staatsanwältin kam auf die Idee, als sie einem Telefongespräch mit der Rechtsmedizin zuhörte. Der Tote sei einer Orchiektomie zum Opfer gefallen, hieß es da. Frau Dr. Kukla hat das Wort nicht richtig verstanden. Es war also mehr oder weniger Zufall. Wir fanden das alle sehr lustig. Klingt ja auch schön unverfänglich. Sie hat übrigens großes Interesse daran, dass wir die Sache möglichst schnell aufklären. Wir möchten, dass Sie uns täglich Bericht erstatten. Ich werde zu Frau Dr. Kukla Kontakt halten.“

„Moko Orchidee“, grummelte Kruse, als sie wieder in ihrem Büro waren, wo Hetzer noch nicht einmal dazu gekommen war, seinen Platz einzurichten, „da ist man einmal außer Haus und schon fällt denen nur Mist ein. Eine Blümchen-Ermittlung.“

„Das sind halt die Studierten. Da kannst du nichts machen. Sie haben immer Recht. Machen wir das Beste daraus.“

Hetzer zog seinen Lieblingsstift aus der Tasche und stellte seine Tasse auf den Schreibtisch. „Ich habe überhaupt nur Lieblingssachen“, dachte er. „Ich bin ein glücklicher Mensch.“

„Wie gehen wir weiter vor, Wolf?“

„Versuch du mal, die Nummer von der Schwester der Haushälterin rauszukriegen. Dann können wir sie fragen, ob Pfarrer Fraas verreist ist. Ich frage mal eben nach, ob es weitere vermisste Personen im Umkreis gibt.“

Nach einigen Telefonaten mit dem Hamelner Pfarramt hatte Kruse endlich die Nummer von Hilde Sawatzki notiert.

Das war ein großes Glück, denn er hatte keine Ahnung gehabt, wie die Schwester heißen könnte. Doch Datenbanken waren etwas Tolles. Und so dauerte es keine halbe Stunde, bis er Heide Brüderl am Apparat hatte.

„Brüderl.“

„Guten Tag, Frau Brüderl. Bitte bekommen Sie keinen Schreck. Hier spricht die Kriminalpolizei Rinteln. Mein Name ist Wolf Hetzer. Wissen Sie, ob Pfarrer Fraas verreist ist?“

„Jesses, Maria und Josef. Na. Soweit i woaß, is der Herr Pfarrer scho dahoam. I hob mir a verlängert’s Wochenend frei genumma, um mei Schwester in Hildesheim zu b’such’n. Herrgott na. I bet zum heiligen Antonius, dass ihr iam wiederfinden dat. Is iam woas zug’stoßen? I hob doch ois zurecht g’moacht g’hoabt. Es is a g’nug zum Essen do g’wen. Er hoat sei Wohnung überhaupts net verlassen müssen. Woas is denn g’schehn?“

„Das wissen wir nicht so genau. Wir wissen überhaupt nicht, ob es den Pfarrer Fraas betrifft. Haben Sie vielleicht ein Foto von ihm?“

„Es is oans im G’meindehaus von St. Elisabeth im Arndtweg. Doa sann Bilder von oall die ehemaligen Pfarrer. Oaber um Himmels wuill’n. Bitt’ schön, so soagen ’s mir doch, woas g’schehn is.“

„Heute Morgen ist der Körper eines älteren Mannes in Rinteln am Weserufer angeschwemmt worden. Es gibt keine Vermisstenfälle in der Gegend. Bei unserer Befragung rund um den möglichen Tatort hat einer der Nachbarn angegeben, dass er Pfarrer Fraas spätabends gesehen hat, wie er in großer Eile Richtung Ufer gegangen ist.“

„Na, des ko net sei. Des is net möglich, unser oider Pfarrer. So spat is der no nia aus’m Haus goanga.“ Ihre Stimme klang jetzt ein wenig ruhiger. „Des is a Irrtum. B’schtimmt is er verwechselt worn.“

„Aber warum öffnet er dann jetzt nicht? Wir haben gegen Mittag bei ihm geklingelt. Niemand hat aufgemacht.“

„Ah geh, wissen’s, er ist scho ein bisserl taub auf die Ohrn, der guade Josef. Effentwell hoat er a a Musi g’hert. Mozart und Bach hoat er am liebsten mögn ...”

„Frau Brüderl, wir werden jetzt nach Hameln fahren und nach dem Foto fragen. Wenn sich etwas Neues ergibt, werden wir Ihnen Bescheid geben. Vielen Dank erst mal.“

„Gern g’schehn, Herr Kommissar. Gott hoab Sie selig. I bet zum Herrgott, dass em Herrn Pfarrer nix Schlimm’s g’scheng is.“

Inzwischen war es halb vier geworden. Noch einmal Richtung Hameln, aber das war nicht zu ändern. Sie hätten auf diesen vagen Verdacht hin keinen Durchsuchungsbeschluss für das Haus von Josef Fraas bekommen.

Die katholische Pfarrgemeinde St. Elisabeth lag nicht allzu weit von der Fontanestraße entfernt.

Sie mussten die Löhner Eisenbahnlinie überqueren und ein Stück die Roseggerstraße Richtung Nordost fahren. Das Kirchenbüro war noch besetzt. Lisa Schäfer, die Pfarrsekretärin, führte die Beamten zu Pfarrer Josefs Foto, das in einer Reihe mit seinen Vorgängern hing.

Ohne Zweifel, das war der Mann aus dem Wasser. Sie hatten recht gehabt mit ihrer Vermutung. Das war eben der siebte Sinn, der Riecher, mit dem gute Kriminalbeamte ausgestattet waren.

„Unser guter Pfarrer Josef ist jetzt seit ein paar Jahren im Ruhestand. Er war Leiter der Verwaltungsstelle der katholischen Jugend, und darüber hinaus war er bei der Gemeinde sehr beliebt. Immer korrekt. Immer freundlich und hilfsbereit. Eben das, was man sich unter einem guten Hirten vorstellt. Was möchten Sie denn von Pfarrer Fraas? Sie erreichen ihn nur noch privat in der Fontanestraße, Richtung Weser. Soll ich ihn für Sie anrufen?“

„Das wird nicht möglich sein, Frau Schäfer. Pfarrer Fraas ist heute Morgen in Rinteln am Flussufer tot aufgefunden worden. Wären Sie bereit, ihn zu identifizieren?“

Lisa Schäfer wich zurück. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Der Pfarrer tot? In Rinteln? Was hat er denn da nur gewollt? Und wieso ist er tot? Identifizieren? Nein, nein, das kann ich nicht. Ich hole Ihnen Pfarrer Martin.“

Sie rannte davon, als ob der Leibhaftige hinter ihr her war.

Wolf Hetzer blieb verdutzt zurück. Kruse zuckte mit den Achseln. „Ich kann sie verstehen.“

Auch Pfarrer Martin war schon gesetzteren Alters und die Ruhe selbst.

„Frau Schäfer sagt, Sie haben unseren Pfarrer Josef tot aufgefunden? Am Flussufer in Rinteln hat er gelegen? Das ist ja unfassbar.“

„Das müssen wir leider bestätigen. Dürfen wir uns vorstellen? Ich bin Kriminalhauptkommissar Wolf Hetzer und das ist mein Kollege Peter Kruse.“

„Vielleicht können wir uns in mein Büro setzen, meine Herren? Das wäre angenehmer und der Situation angemessener, denke ich.“

„Ja, vielen Dank. Kannten Sie Josef Fraas schon lange?“

„Oh ja, wir haben uns im Priesterseminar kennengelernt. Da war er fast fertig und ich noch ein Frischling.“

„Was war er für ein Mensch?“

„Er war ruhig, besonnen, sehr ehrlich – auch wenn es unbequem war. Meist war er auch kompromissbereit. Nur zum Schluss hat ihm seine Starrköpfigkeit da manchmal einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

„Als Katholik würden Sie da sagen, dass er ein eher konservativer Geistlicher war, oder war er modernen Ideen gegenüber aufgeschlossen?“

„Oh, das lässt sich nicht so leicht sagen. In gewissen Ansichten war er im Mittelalter stehen geblieben. Dann wieder überraschte er uns mit Aussagen, die keiner von ihm erwartet hätte.“

„Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?“

„Fraas hatte zum Beispiel Verständnis für geschlechtliche Liebe vor der Ehe, auch wenn sie nicht zur Zeugung von Nachkommen diente, aber er hätte nie einer Legalisierung der Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare zugestimmt.“

„Die liberalen Ideen, hat ihm die jemand übel genommen? Wissen Sie, ob es Menschen gab, die ihn verabscheuten?“

„Sie fragen so, als ob Pfarrer Josef keines natürlichen Todes gestorben sei.“

„Das ist er auch nicht. Mehr können wir Ihnen aber zum momentanen Zeitpunkt nicht sagen.“

„Soweit ich weiß, hatte er keine Neider und Feinde. Aber wer weiß, es gibt so viele schlechte Menschen.“

„Wären Sie bereit, Herrn Fraas in der Rechtsmedizin in Stadthagen zu identifizieren? Wir würden das seiner Hausangestellten gerne ersparen.“

„Selbstverständlich. Bitte rufen Sie mich einfach an.“

„Uns wäre es am liebsten, wenn wir das gleich machen könnten. Wir nehmen Sie mit, wenn es Ihnen recht ist.“

„Ja, gut, einverstanden. Wenn es so dringend ist. Einen Moment, ich muss nur kurz regeln, wer meine Jugendgruppe übernimmt. Dann stehe ich Ihnen zur Verfügung.“

Pfarrer Martin Braun ging gemessenen Schrittes davon. Hetzer nahm sein Handy aus der Hosentasche und rief Mechthild an.

Hoffentlich war sie noch da.

„Ja?“

„Mica, bist du das? Hier ist Wolf.“

„Grrr, ich kann jetzt schlecht. Ich stecke mitten in einer Leiche. Kannst du später anrufen?“

„Nein. Ich mache es kurz. Wie lange bist du noch da?“

„Ein paar Nieren und Eierstöcke lang.“

„Ok, wir sind gleich da!“, sagte Hetzer und legte auf, bevor sie Nein sagen konnte.

Gemeinsam mit Pfarrer Braun fuhren Hetzer und Kruse über die B 83 in Richtung Steinbergen. In Buchholz nahmen sie die 442, die Abkürzung durch den Bückeberg. Knapp eine halbe Stunde später erreichten sie das Kreiskrankenhaus Stadthagen.

Mica war noch da.

Sie wusch ihre Hände von all dem rein, was niemand zu genau wissen wollte.

„Na, Wolf, hast du eine Fährte aufgenommen? Du klangst so ruhelos.“

„Darf ich vorstellen, das ist Dr. Mechthild von der Weiden. Ich weiß nicht, was spitzer ist, ihr Skalpell oder ihre Zunge.“

Kruse verdrehte die Augen. Jetzt ging das schon wieder los.

„Wir wissen jetzt, wer der Mann ist, der heute Morgen in Rinteln angeschwemmt worden ist. Es handelt sich um den 72-jährigen ehemaligen Pfarrer der St. Elisabeth Gemeinde. Josef Fraas heißt, äh, hieß er. Pfarrer Braun ist sein Nachfolger. Er soll ihn identifizieren.“

„Ah, na, dann kommt mal mit, ihr drei. Er liegt auf Nummer fünf, bestens restauriert – bis auf die kleine Schwachstelle natürlich.“

Pfarrer Braun hob die Brauen.

„Was für eine Schwachstelle meinen Sie?“

„Das kann ich aus ermittlungstechnischen Gründen leider nicht sagen. Aber ich würde gerne mit Hauptkommissar Hetzer gleich noch ein paar Worte unter vier Augen wechseln, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Mica öffnete die Edelstahl-Tür, aus der es leicht dampfte. Dezent zog sie das weiße Laken gerade so weit vom Gesicht, dass dem Pfarrer der Anblick des Halsloches erspart blieb. Es klaffte leicht seitlich und sah unappetitlich aus. Braun hielt sich trotz allem bisher gut.

Er kämpfte wie alle mit der chemikalienlastigen Luft und den Gerüchen des Todes, die hier und dort unweigerlich in die Nase stiegen. Wer das nicht gewohnt war, brauchte starke Nerven oder einen starken Magen – am besten beides.

Pfarrer Braun nickte beim Anblick seines Vorgängers.

Es war eindeutig Fraas, kein Zweifel. Und es drängte ihn zu gehen. Kruse machte Wolf ein Zeichen, nahm den Geistlichen am Arm und verließ den Obduktionssaal.

„Du wolltest noch mit mir reden, Mica? Hast du noch etwas herausgefunden?“

„Ich habe über etwas nachgedacht. Wieso hat ihn der Mörder nicht einfach nur kastriert? Wieso hat er noch zusätzlich den Adamsapfel entfernt? Es hätte doch gereicht, ihm die Stimmbänder zu durchtrennen, damit er nicht schrie.“

„Adamsapfel? Du hattest doch Schildknorpel gesagt?“

„Ach, wusstest du nicht, dass das dasselbe ist? Schildknorpel oder Cartilago thyroidea, im Volksmund auch Adamsapfel genannt.“

„Und was wundert dich dann daran? Mich wundert nämlich jetzt nichts mehr. Er ist doch auch ein männliches Attribut, genau wie die Genitalien. Er sollte entmannt werden – in jeder Hinsicht. Nur warum?“

„Ja, warum? Dafür habe ich auch keine Erklärung. Vielleicht eine verschmähte Liebe. Aber du hast recht, das könnte eine sinnvolle Erklärung sein. Manchmal muss man Dinge erst aussprechen, bevor sie einem richtig ins Bewusstsein dringen.“

„Morgen werden wir die Haushälterin befragen. Sie ist momentan bei ihrer Schwester. Mal sehen, ob sie mehr weiß oder eine Idee hat. Als Tatverdächtige fällt sie aus. Sie ist schon seit Samstag verreist.“

„Selbst wenn sie in den Pfarrer verliebt war oder mit ihm eine Beziehung hatte, dann wird sie doch nicht so lange gewartet haben, um ihn jetzt noch umzubringen. Sie fällt sowieso aus, weil sie den schweren Körper unmöglich von der Kastrationsstelle ins Wasser gezogen haben kann. Und von selbst gegangen ist er bestimmt nicht. Du kannst davon ausgehen, dass er bewusstlos war. Der Schmerz, der Blutverlust – keine Chance.“

„Sei’s, wie es ist. Wir wissen noch zu wenig. Aber jetzt fahre ich erst mal nach Hause. Morgen früh geht es weiter.“

„Dann gute Nacht, Herr Isegrim, Grünkäppchen muss noch aufräumen.“

„Du bist plemplem, ehrwürdige Mechthildis, die Leichen haben dich wuschig gemacht. Beschäftige dich mal mehr mit den Lebenden.“

Hetzer schmunzelte über die schrullige Pathologin und dachte, dass sie mindestens so gaga war wie seine Lady zu Hause.

Jetzt noch schnell nach Rinteln zur Dienststelle, dachte er, den Wagen tauschen und dann nach Hause in sein Paradies am Hang.

„Hör mal“, sagte Peter zum Abschied, „ist dein Hund eigentlich sonst den ganzen Tag allein?“

„Nee, eine Nachbarin geht zweimal am Tag mit Gaga, außerdem sind die Katerbrüder da, die mit ihr kuscheln.“

„Ich wollte nur sagen, ich hätte nichts dagegen, wenn wir sie gelegentlich mitnehmen.“

„Du bist ein feiner Kerl, dass du an so was denkst. Ich bin froh, dass wir jetzt zusammenarbeiten. Also, dann bis morgen. Mal sehen, was der Tag bringt.“

148,71 ₽
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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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575 стр. 9 иллюстраций
ISBN:
9783827198884
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