Читать книгу: «Die Zauberfabrik », страница 13

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Es hatte Oliver alle Kraft gekostet, seine noch unerforschten Fähigkeiten zu nutzen.

Das Horn ertönte und erschöpft hörte er die Stimme von Coach Finkle: „Blockpunkt für Oliver Blue!“

Er hatte einen Punkt bekommen! Er hatte Edmunds Schuss geblockt! Auch ohne den Helm hatte er es geschafft, seine Kräfte einzusetzen. Er hätte am liebsten die ganze Welt umarmt. Noch nie war er gut in irgendeinem Sport gewesen, aber dieses Spiel machte ihm einen Heidenspaß. Und erfolgreich war er auch noch!

An dieses Gefühl konnte man sich gewöhnen.

„Spitze, Oliver!“, riefen seine Freunde ihm zu.

Ralph hielt einen Daumen in die Luft und strahlte über das ganze Gesicht. Dann fiel sein Blick auf Esther. Sie lächelte ihn beeindruckt an.

Doch lange konnte er seinen Triumph nicht genießen. Der nächste Ball flog bereits in die Höhe.

Sofort heftete sich Edmund an den Ball. Fest entschlossen zischte er hinterher und fing ihn aus der Luft.

Oliver blieb fast das Herz stehen, als Mabel mit ihm im Sturzflug auf Edmund zuschoss – genau wie alle anderen Vögel. Doch Mabel war die schnellste. Sie schien ebenfalls aus ihrem Erfolg neue Energie zu ziehen. Als sie nicht mehr weit entfernt waren, sah Oliver den hochkonzentrierten Gesichtsausdruck auf Edmund Gesicht. Er war gerade dabei, seine Kräfte zu bündeln. Doch wie es aussah, wollte ihm das nicht gelingen. Schweiß lief ihm über die Stirn, als er verbissen zu Oliver herübersah. Außerdem konnte Oliver ihm ansehen, dass er Respekt vor der immer schneller werdenden Mabel hatte.

„Wirf den Ball!“, rief Oliver, doch Edmund hatte einen anderen Plan.

Als Oliver begriff, was geschah, hatte er nur noch genug Zeit, seinen Arm schützend vor das Gesicht zu reißen.

KAWUMM!

Die beiden Straußler prallten in voller Geschwindigkeit gegeneinander. Beide Jungen fielen von ihren Tieren und stürzten in die Tiefe.

Oliver schrie fassungslos, während der Boden immer näher kam. Doch anstatt auf einen harten Untergrund zu prallen, landete er weich wie auf einem Daunenkissen. Er federte auf und ab. Oliver brauchte einen Augenblick, bis er begriff, dass Coach Finkle die physikalische Zusammensetzung des Spielfeldes verändert hatte. Schnell wurde es wieder hart.

Auf dem Rücken liegend sah Oliver, wie die beiden Straußler ohne Reiter über ihm kreisten. Plötzlich erschien Edmund über ihm. Er sah stinksauer aus.

„Du Vollidiot!“, schrie er und packte Oliver an der Schulter. „Du hast mich absichtlich gerammt!“

Oliver schlug seine Hand weg. „Habe ich nicht! Mabel wollte an den Ball und ich konnte sie nicht aufhalten! Ich habe dir gesagt, dass du ihn werfen sollst!“

Edmunds Gesicht war so rot, dass es fast explodierte. Er schüttelte Oliver grob und kleine elektrische Funken stoben von seinen Fingerspitzen. Sie fühlten sich an wie Nadelstiche.

Oliver konnte sich das nicht einfach gefallen lassen. Vielleicht hatte er sich nicht gegen seinen dicken großen Bruder gewehrt, aber er hatte genug davon, immer der Schwächere zu sein. Hier, an der Schule für Seher, hatte er die gleichen Rechte wie alle anderen. Den ganzen Tag hatte er sich schwach und unterlegen gefühlt, aber jetzt hatte er genug davon!

Mit aller Kraft stieß er Edmund von sich, aber es waren nicht nur seine Arme, die er dafür benutzte. Noch etwas anderes brach aus ihm heraus.

Seine Kräfte. Er hatte nicht beabsichtigt, sie heraufzubeschwören, aber sein Verstand hatte sich so genau vorgestellt, wie seine starken Hände Edmund von sich stießen, dass sie wirklich zu Stahl geworden waren.

Edmund flog rückwärts.

Die Zeit schien plötzlich viel langsamer zu ticken. Oliver sah ungläubig zu, wie Edmund ein paar Meter weiter hart auf den Boden knallte. Er jaulte laut auf.

Mit offenem Mund richtete Oliver sich auf. Das hatte er nicht gewollt. Er fasste sich an die Stirn, aber anders als bei den letzten Malen, als er seine Kräfte benutzt hatte, schwitzte er diesmal kein bisschen. Es schien fast, als würden seine Kräfte in bestimmten Situationen ganz von selbst aktiviert werden, wie damals, als Chris ihn angegriffen hatte. Auch jetzt hatten sie ihn beschützt, auch wenn es vollkommen unerwartet und unkontrolliert geschah. Er hatte Edmund verletzt, obwohl er ihn nur aufhalten wollte. Oliver schämte sich.

Um ihn herum begannen seine Klassenkameraden miteinander zu tuscheln. Sie alle waren von seinem plötzlichen Ausbruch überrascht. Er war jedoch nicht sicher, ob irgendjemand gesehen hatte, dass sein Körper sich verwandelt hatte. Im Transformationskurs hatte er es nicht geschafft, die winzige Maus zu verändern und jetzt hatte er es mit seinem eigenen Körper getan.

Verblüfft sah er seine Hände an. Sie sahen wieder ganz normal aus. Wie hatte er das fertig gebracht? Er hatte Haut und Knochen zu Metall gemacht. Musste man für so etwas nicht jahrelang üben? Vielleicht hatte er doch eine atomische Begabung. Vielleicht hatte er bisher versagt, weil er eine Begabung besaß, die besonders schwer zu kontrollieren war, nicht weil er besonders schwach war.

Coach Finkle erschien auf einmal neben ihm. Er sah Oliver ernst an.

„Du gehst direkt ins Büro des Direktors. Verstanden?“

Oliver schluckte. „D…D…Direktor?“, stotterte er.

Coach Finkle verschränkte die Arme. Er sah knallhart aus. „Das hast du schon richtig gehört, Blue. Los jetzt.“

„Aber ich weiß gar nicht, wo das Büro des Direktors ist“, sagte Oliver leise.

„Mit dem Aufzug auf die oberste Etage und dann durch die Tür in die sechste Dimension“, sagte Coach Finkle knapp. Damit drehte er sich um und ließ Oliver auf dem Boden sitzen.

„Wer holt den Schularzt für unseren Verletzten?“, rief der Coach.

Oliver stand langsam auf. Einige Kinder waren inzwischen gelandet und von ihren Straußlern abgestiegen. Jetzt standen sie um Edmund herum. Vinnie sah Oliver wütend an. Er würde sich ganz sicher an Oliver rächen.

Aber was auch immer sich Edmund und Vinnie für ihn überlegen würden, es machte Oliver nicht so viel Angst wie dieser Gang zum Direktor. Das hatte Oliver nicht gewollt. Enttäuscht und eingeschüchtert ging er vom Spielfeld.

KAPITEL EINUNDZWANZIG

Oliver ging zum Atrium und fuhr mit einem der gläsernen Aufzüge ins oberste Stockwerk. Dort sah er sich um und fand eine Tür mit einer großen Sechs.

Er wollte anklopfen, aber noch bevor seine Knöchel die Tür berührten, öffnete sie sich. Vorsichtig trat er näher.

„Hallo?“

Sowie Oliver über die Schwelle getreten war, begann er zu schweben. Es war dunkel im Raum und Oliver kam sich vor wie im Weltall. Bunte Kugeln flogen leuchten umher. Oliver streckte die Hand aus, um eine anzufassen. Sie wirbelte von ihm fort wie ein Objekt in der Schwerelosigkeit.

„Oliver, bist du das?“, rief eine Stimme.

Oliver sah sich um. Er hatte keine Ahnung, woher diese Stimme gekommen war. Soweit er sehen konnte, war niemand hier.

„Hier oben, Oliver!“

Oliver blickte auf und sah einen Mann mit ausgestreckten Armen und Beinen durch die Luft schweben. Er lächelte ihn freundlich an. In seinem orangefarbenen Anzug sah er überhaupt nicht aus, wie Oliver sich den Direktor der Schule für Seher vorgestellt hatte. Er wirkte auch nicht, als wollte er Oliver für irgendetwas bestrafen.

Verwundert sah er zu, wie der Mann mit schwimmenden Bewegungen auf ihn zu schwebte. Als er Oliver erreichte, schüttelte er seine Hand.

„Ich bin Professor Amethyst“, sagte er und lächelte noch breiter.

„Ich bin Oliver Bl…“

„Ich weiß, wer du bist“, unterbrach er ihn. „Ich kann in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft aller Dimensionen sehen. Ich weiß so gut wie alles über dich.“

Oliver sah ihn mit großen Augen an. „Wirklich?“

Es war sehr schwierig, ein Gespräch aufrechtzuerhalten, während man durch die Dunkelheit schwebte, und es half nicht gerade, dass sein Körper immer wieder vom Professor weg driftete.

„Aber ja doch“, sagte Professor Amethyst eifrig. „Du bist ein sehr wichtiger junger Mann, Oliver. Einige würden sogar behaupten, dass du wichtiger bist als ich, aber das kommt wohl darauf an, welches Geschichtsbuch man liest.“

„Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen“, sagte Oliver und drehte sich wieder um, weil der Mann gerade hinter ihm schwebte.

Dr. Ziblatt schien davon überzeugt, dass Oliver nicht der war, auf den sie warteten und bei allem, was an diesem Tag schief gelaufen war, musste Oliver ihr recht geben. Der Direktor schien nun aber anderer Meinung zu sein. Oliver wusste nicht mehr, was er glauben sollte.

„Es wird bald alles klar werden“, sagte Professor Amethyst. „Eine Erkenntnis nach der anderen. Wir wollen doch nicht, dass dein Kopf…“

„…explodiert.“, vollendete Oliver den Satz. Er hatte ihn inzwischen oft genug gehört.

Professor Amethyst lachte. „Ich habe dich rufen lassen, weil Edmund in Neunundneunzig Komma Neun Prozent aller Dimensionen schnell wieder auf die Füße kommt und dich windelweich prügelt.“

„Oh“, sagte Oliver. „Deswegen bin ich hier?“

„Ich hatte nicht vor, dich wegen deiner Reaktion beim Spiel zu rügen“, fügte der Professor hinzu. „Allerdings kann ich an meiner Schule auch keine Gewalt dulden. Deswegen dachte ich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine kleine Unterhaltung ist. Als Willkommensgruß sozusagen.“

Oliver war erleichtert.

„Können wir uns vielleicht irgendwo hinsetzen? Die Schwerelosigkeit bekommt mir nicht so gut“, sagte er.

„Selbstverständlich“, sagte Professor Amethyst.

Er schnippte mit den Fingern und im nächsten Augenblick transformierte sich alles. Die Galaxie, in der sie gerade noch schwebten, verschwand. Stattdessen saß Oliver plötzlich auf einer braunen Ledercouch. Eine ganz normale Ledercouch mit einem kleinen Riss in der Armlehne. Links von ihnen knisterte ein Feuer in einer hübschen Feuerstelle und vor ihnen stand ein kleiner Couchtisch auf einem Perserteppich.

„Hast du an so etwas gedacht?“, fragte Professor Amethyst.

Oliver sah sich um. Der Raum erinnerte ihn an ein Arbeitszimmer, wie es in den 40er Jahren typisch gewesen sein musste. Sein Verstand hatte Mühe, diese unmittelbare Verwandlung zu verarbeiten. Professor Amethyst musste ein sehr mächtiger Seher sein, damit er all diese Atome so schnell und ohne Mühe umordnen konnte.

„Ja“, sagte Oliver zaghaft.

„Gut, dann können wir uns jetzt unterhalten“, sagte Professor Amethyst. Er lehnte sich nach vorne und stützte die Ellbogen auf den knorrigen Knien ab. „Zuerst möchte ich mich bei dir entschuldigen.“

„Entschuldigen? Wofür?“, fragte Oliver verwirrt.

„Dafür, dass dein Mentor gestorben ist. Armando Illstrom, der Erfinder, richtig?“

Als der Professor Armandos Namen sagte, wurde Oliver eng ums Herz. Seit er an der Schule war, hatte er kaum mehr an Armando gedacht. Die fabelhafte Fabrik war in den Hintergrund gerückt. Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen.

Dann fiel ihm etwas anderes auf. Warum entschuldigte Professor Amethyst sich für dafür?

„Armandos Tod war doch nicht Ihre Schuld“, sagte er verwundert.

„Das nicht, aber als Direktor dieser Schule ist es meine Aufgabe, jedem Seher einen Mentor zuzuweisen. Mr. Illstrom war absolut perfekt für dich, aber das Timing war unglücklich gewählt. Ich habe viele Dimensionen und Abfolgen überprüft, Oliver, aber die paar Tage, die du mit ihm hattest, war das Beste, was ich für dich finden konnte.“

Er sah niedergeschlagen aus, als wäre es ein persönlicher Misserfolg, dass Armando so kurz nach dem Eintritt in Olivers Leben gestorben war. Oliver war sich nicht sicher, ob er den alten Professor trösten sollte, und so wartete er schließlich nur die unangenehme Stille ab.

Dann ergriff er doch das Wort.

„Hätte Armando mir mehr über mein Schicksal erzählen sollen?“, fragte er. „Er hatte leider keine Gelegenheit dazu. Meine Zeit in der Fabrik verging so wahnsinnig schnell.“

Professor Amethyst nickte. „Es war seine Aufgabe, dich auf den richtigen Weg zu bringen. Ein Seher zu werden, kann einem einiges abverlangen. Aber das hast du inzwischen ja selbst herausgefunden. Es ist nicht leicht zu akzeptieren, dass alles in der Welt – physikalisch gesprochen – manipuliert und verändert werden kann, dass man durch die Zeit reisen und verschiedene Versionen der Wirklichkeit erleben kann. Das ist mehr, als man einem menschlichen Verstand zumuten kann. Der Mentor soll dem Seher sozusagen helfen, die ersten Schritte zu gehen. Er soll ihm die ersten Puzzleteile an die Hand geben, damit sein Verstand nicht vollkommen überfordert wird.“

Oliver nickte. Die Welt war also noch viel komplexer, als er es für möglich gehalten hätte.

„Können Sie es mir erklären? Jetzt bin ich ja bereits an der Schule. Die anderen Kinder wissen so viel über die besonderen Kräfte, die jeder von uns in sich trägt, aber alle sagen etwas anderes. Meine Kräfte zeigen sich bisher nur, wenn es absolut nötig ist. Ich habe keinerlei Kontrolle darüber. Außerdem habe ich diese Visionen…“

„Oliver“, sagte Professor Amethyst sanft. „Es gibt keinen Verstand, der alles auf einmal begreifen kann. Du musst darauf vertrauen, dass du die Dinge nach und nach erfahren wirst. Wenn wir der falschen Person die falschen Dinge zur falschen Zeit sagen, kann alles einstürzen. Ganze Zeitebenen könnten aufgrund solcher Fehler zusammenbrechen. Wenn ich dir jetzt alle deine Fragen beantworte, würde dein Kopf platzen wie ein Luftballon. Mich hat es Jahrhunderte gekostet, bis ich all die Dinge erfahren habe, die ich jetzt weiß. Du musst es langsam angehen lassen.“

Jahrhunderte!? dachte Oliver. Sollte das heißen, dass der Professor schon so lange lebte? Wie alt mochte er wohl sein?

Er wollte ihn gerade fragen, als Professor Amethyst weitersprach. „Wir beginnen ganz am Anfang. Ich dachte, wir nutzen unser Gespräch, um herauszufinden, wo genau deine persönliche Begabung liegt.“

„Der Test!“, rief Oliver.

Bei der ganzen Aufregung hatte er völlig vergessen, dass er heute herausfinden sollte, welche Art von Seher und welche Art von Begabung in ihm schlummerte. War er Brom oder Kobalt? Bei allem, was er an diesem Tag erlebt hatte, hatte er keine Zeit mehr gehabt, darüber nachzudenken. Er hatte auch schon lange keinen Blick mehr auf seinen Stundenplan geworfen. Als er jetzt darauf sah, stellte er fest, dass er genau zur richtigen Zeit und am richtigen Ort für seinen Test war. Es war also tatsächlich alles genauso vorbestimmt!

„Wahrscheinlich hast du inzwischen von allen neun Spezialgebieten gehört“, begann Professor Amethyst. „Biologisch, Sonar, Chemisch, Molekular, Magnetisch, Elektrisch, Elementar, Nuklear – und die mächtigste Begabung ist: Atomisch.“

„Nach dem zu schließen, was ich bei meinen Klassenkameraden beobachtet habe, sind alle Seher mit großartigen Begabungen beglückt. Jeder von ihnen kann die Welt zu seinem Vorteil verändern.“

Professor Amethyst lächelte. „Das ist für dein Alter eine sehr weise Erkenntnis. Vielleicht ein erster Hinweis auf eine atomische Begabung.“

Oliver spürte, dass seine Wangen rot wurden. Die Vorstellung, dass er die mächtigste Begabung von allen in sich tragen könnte, machte ihn ganz nervös. Gleichzeitig hatte er den Verdacht, dass es auch eine Belastung sein könnte, da an diese Kräfte bestimmt auch Erwartungen geknüpft waren. Er wollte nicht mit seinen Freunden in Konkurrenz stehen. Er hatte bereits mitbekommen, dass Ralph enttäuscht war, weil er eine Aufgabe, die einem biologisch begabten Seher leicht fallen sollte, nicht hatte lösen können. Er erinnerte sich auch daran, dass Walter sich beschwert hatte, dass seine magnetischen Kräfte nicht besonders genug waren. Auch wenn jede Begabung etwas ganz Besonderes war, schienen die Seher nicht immer damit zufrieden zu sein. Oliver gefiel es nicht, dass er zu der Unzufriedenheit seiner Freunde womöglich noch beitragen würde.

Außerdem befürchtete er immer noch, dass er ein Kobalt-Seher sein könnte. Was würden atomische Kräfte in der Hand eines Kobalt-Sehers bedeuten? Wäre er dann vielleicht sogar eine Gefahr? Oliver wurde immer nervöser.

Ich habe gehört, dass es nicht nur um die Art der Begabung, sondern auch um den Typ geht“, sagte er schüchtern.

Professor Amethyst sah enttäuscht aus. „Leider haben sie es dir schon gesagt. Ich finde es besser, wenn die Schüler im ersten Jahr nicht davon eingeschüchtert werden, aber manche Dinge lassen sich eben nicht verhindern.“ Er schüttelte den Kopf. „Es stimmt. Brom und Kobalt. Lass dich von diesen Begriffen nicht verwirren. Am Ende kommt es schlicht und einfach darauf an, was man mit seinen Kräften anfängt. Alle Seher tragen die Fähigkeit in sich, der größte Seher aller Zeiten zu sein. Und alle Seher haben die gleiche Aufgabe: das Universum mit all seinen unschuldigen Bewohnern beschützen.“

Diese Worte brannten sich fest in Olivers Gedanken. Es gab also eine gemeinsame Mission. Ralph hatte es angedeutet, als sie zusammen in der Bibliothek waren, aber Oliver hatte nicht ganz verstanden, was dahinter steckte. Jetzt begriff er, dass er in der Tat die Aufgabe hatte, die Menschheit zu beschützen und womöglich zu retten.

„Aber wovor beschützen wir das Universum?“, fragte er aufgeregt.

Professor Amethyst wurde ernst. „In jedem Moment der Geschichte, in jeder Dimension gibt es Schurken, die darauf aus sind, Zerstörung und Ungleichgewicht zu verursachen. Einige werden von Sehern unterstützt. Die betrachten wir als unsere Feinde.“

„Aber warum? Warum sollte jemand absichtlich Zerstörung verursachen?“

„Macht? Bosheit? Die Natur des Menschen ist nicht leicht zu verstehen. Wir können vielleicht nicht nachvollziehen, warum sie es tun, aber wir können absolut sicher sein, dass es solche Menschen gibt. Hitler. Genghis Khan. Jack the Ripper. Die Geschichte ist voll von solchen Menschen. Skrupellose Seher, die sich von ihrer Aufgabe abgewendet haben, werden von solchen Menschen förmlich angezogen. Sie haben den inneren Drang zu zerstören und Chaos zu verbreiten. Sie arbeiten zusammen, um die Zeitebenen zu verwüsten, und sie versuchen, die Ereignisse der Geschichte zu verdrehen. Du kannst skrupellose Seher an ihren eigentümlich schimmernden blauen Augen erkennen. Auch wenn normale Menschen das nicht wahrnehmen können. Nur wir Seher erkennen sie als das, was sie wirklich sind. Unsere gemeinsame Mission ist es, der Fügung des Universums zu folgen und die Zeitachsen in Ordnung zu halten, zerstörerische Handlungen zu verhindern und diejenigen Ereignisse neu zu schreiben, die von Zerstörung geprägt sind, um das Leid auf der Welt zu minimieren.“

Oliver konnte kaum glauben, was er da hörte. Sein Schicksal war es, die Menschen vor den schrecklichsten Personen zu beschützen, die je existiert haben?

„Aber… alleine die Tatsache, dass ich weiß, wer diese Menschen waren und was sie getan haben, bedeutet doch, dass sie es geschafft haben und wir nicht.“

Er dachte an das, was Ralph ihm erklärt hatte, dass nämlich alle Zeitachsen bereits existieren und dass alles, was passieren kann, bereits passiert ist.

Professor Amethyst lächelte Oliver zufrieden an. „Au contraire, Oliver. Das, was du über diese Leute weißt, ist nur ein Bruchteil dessen, was sie hätten anrichten können – und was sie in anderen Dimensionen angerichtet haben. Wenn es keine Seher gäbe, die sie jedes Mal aufhielten, wären ihre Taten noch weit grausamer gewesen.“

Oliver dachte nach. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es einen Hitler geben könnte, der noch schlimmere Dinge anrichtete, als die, die für die er bekannt war. Er bekam Angst.

Dann fiel ihm noch etwas anderes auf.

„Diese Aufgabe hat keinen Anfang und kein Ende, oder?“, fragte er. „Wenn alle Zeitachsen gleichzeitig geschehen, ist es wie ein Schachspiel. Auf jeden Zug folgt ein Gegenzug. Sie verändern die Geschichte und wir versuchen, es rückgängig zu machen. Können wir überhaupt gewinnen?“

Professor Amethyst sah ihn ernst an. „Es wird niemals enden, Oliver. Deswegen ist die Aufgabe der Seher so schwer. Es ist eine große Herausforderung und eine große Verantwortung. Sie wird dein Leben für immer bestimmen. Du musst hier an der Schule hart arbeiten und deine Fähigkeiten in den Griff bekommen. Du kannst einer der stärksten, wichtigsten und mächtigsten Seher werden, die je gelebt haben und je leben werden. Du musst üben! Lerne, dich zu konzentrieren und vor allem darfst du niemals aufgeben. Was auch immer du tust, du musst der dunklen Seite widerstehen. Die Versuchung ist stark.“ Er sah weg, als läge ihm etwas auf der Zunge, das er Oliver noch nicht sagen wollte. „Das Schicksal der Welt wird bald in deinen Händen liegen.“

Oliver schluckte. Es bestand kein Zweifel mehr, dass ihn jetzt eine schwierige, schreckliche Mission erwartete, eine, die Professor Amethyst zuvor gesehen hatte, aber eine, die Oliver, wenn die Zeit gekommen war, alleine bewältigen musste.

„Wir kommen vom Thema ab“, sagte der Direktor. „Sollen wir mit dem Test beginnen?“

Nach allem, was Oliver gerade gehört hatte, hatte er nicht das Gefühl bereit zu sein. Dennoch nickte er. Es war an der Zeit, herauszufinden, wer oder was er wirklich war.

Der Direktor ließ die Hände durch die Luft gleiten. Aus dem Nichts materialisierte sich eine weiße Kugel, die direkt vor ihnen schwebte. Sie leuchtete in einem matten, warmen Weiß.

„Wow“, murmelte Oliver.

„Sie ist hübsch, nicht?“, sagte der Direktor. „Wir bezeichnen sie als Perle.“

Oliver sah ihn neugierig an. „Perle?“

Professor Amethyst bewegte langsam seine Hände und die Perle begann zu tanzen. „Sie ist eine ganz neue Welt. Eine parallele Dimension, die aus einem Ableger des Universums entstanden ist. Sie ist noch nicht vollständig. Ein Baby, sozusagen.“

„Wow“, wiederholte Oliver.

„Sie ist extrem zerbrechlich“, fuhr der Direktor fort. Das Licht der neugeborenen Dimension spiegelte sich in seinen Pupillen wieder. „So viel Potenzial, so viele Möglichkeiten.“

Plötzlich warf er die Kugel hoch. Anders als der Ball beim Switchit flog diese Kugel immer schneller und immer weiter weg.

„NEIN!“, rief Oliver und griff instinktiv danach.

„Wie ungeschickt von mir“, sagte der Professor. „Am besten holst du sie schnell zurück, bevor sie zerbricht. Es wäre ein Jammer, so viel Potenzial einfach zugrunde gehen zu lassen.“

Das war also der Test, Oliver war sich ganz sicher. Was auch immer er jetzt tun würde um die Kugel zurückzuholen, würde festlegen, was seine besondere Begabung war.

Er sprang hoch und war überrascht, dass die Schwerkraft nicht mehr auf ihn zu wirken schien. Professor Amethyst blieb auf der Couch sitzen und wurde unter Oliver immer kleiner.

Oliver schwamm hinter der Kugel her.

Er konnte das Leuchten der Perle nur noch in weiter Ferne ausmachen. Um ihn herum wurde alles still. Bald war es nicht nur still, sondern auch stockdunkel.

Olivers Herz schlug schneller. Das Licht der Kugel wurde noch blasser, als es in dem Vakuum verschwand, das Oliver auf einmal umgab. Er war einfach nicht schnell genug um es zu erreichen. So schnell er auch die Arme und Beine bewegte, er bekam einfach nicht genügend Schwung.

Da machte sich ein innerer Drang in seiner Brust breit, der bald alles bestimmte. Es war wie ein Ruf. Eine Kraft in ihm wollte alles geben, um diese junge Welt zu retten.

Es gab nur eine Möglichkeit. Er musste seine Kräfte aktivieren.

Oliver holte noch einmal mit den Armen weit aus. Er atmete tief ein und schloss die Augen.

Zuerst schaffte er es nicht, sich in diesen besonderen Zustand zu versetzen, durch den er seine Kräfte aktivieren konnte. Doch dann, als würde er von weit weg gerufen, spürte er die Perle tief in sich. Es war eine Sehnsucht, die jede Faser seines Körpers überwältigte.

Auf einmal klickte etwas in seinem Verstand, als hätte er auf die richtige Frequenz gedreht. Er fühlte, wie seine Kräfte in seinem Kopf anschwollen. Er visualisierte die Kugel – zart und verloren – wie er sie vorsichtig in der Hand hielt und fixierte das Bild in seinem Kopf.

Er öffnete die Augen. Sein Fokus war verschwommen, lag aber fest auf der Perle, die noch im Zentrum seines Blickfeldes war. Langsam streckte er seine Hände mit nach oben geneigten Handflächen aus und spürte die Kraft der Perle darin. Doch er konnte ihre Substanz nicht spüren. War sie nur eine Illusion?

Oliver zwang die Kugel mit seinem puren Willen, ihre Atome aufzulösen und sie genau hier, in seinen Händen, neu zu materialisieren. Er ließ nicht davon ab, in seinen Gedanken diese neue Realität zu formen, auch wenn sie nur in seinem Kopf existierte. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Er würde nicht aufgeben, bis die kleine Kugel sicher in seinen Händen lag. Er fühlte sich verpflichtet, sie in Sicherheit zu bringen.

Plötzlich breitete sich ein federleichtes Gefühl in seinen Fingern aus. Dann ein Prickeln. Es war die Kugel! Es hatte funktioniert! Oliver machte sie real, riss sie buchstäblich Atom für Atom aus dem Weltraum und baute sie in seinen sanft gebogenen Handflächen zusammen.

Er spürte, wie das Gewicht der Perle zunahm. Das Licht, das sie abgab, wurde stärker, heller, heißer. Sie wurde immer schwerer in seinen Händen, seine Muskeln begannen sich krampfen. Aber er hielt sie trotzdem fest und stellte sich vor, wie sich die Kugel nach seinem Willen veränderte. Sie wurde noch heißer, bis sie sich anfühlte wie eine Glühbirne. Olivers ganzer Körper fing an, vor Anstrengung zu zittern. Er presste die Zähne aufeinander. Die Perle versengte seine Haut, doch er konnte nicht loslassen.

Dann hörte plötzlich alles auf.

Oliver blinzelte. Er saß wieder auf der Couch, direkt gegenüber von Professor Amethyst. Die Kugel war weg.

Oliver schnappte nach Luft und sah hinab in seine leeren Hände. Seine Haut zeigte keinerlei Anzeichen von Verbrennungen – als hätte er die Perle nie gehalten!

„Wo ist sie?“, fragte er erschrocken und sah den Direktor panisch an. „Die Perle! Ich habe sie verloren!“

Professor Amethyst lehnte sich zurück. Langsam hob er eine Augenbraue an. „Perle…?“

Oliver war von diesem jähen Ende völlig benommen. Die kleine Welt, die er so sehr beschützen wollte, war verschwunden.

„Sie ist weg… ich habe sie verloren…“, stammelte er und fühlte sich unendlich niedergeschlagen. „Heißt das, dass ich durchgefallen bin?“

„Du kannst gar nicht durchfallen, Oliver“, sagte der Direktor mit einem sanften Lächeln. „Der Test ist nur da, damit wir herausfinden können, wie sich die sechste Dimension auf dich auswirkt. Am besten erzählst du mir von deinen Visionen und ich werte sie aus. Also, erzähle mir mehr über diese Perle.“

Oliver blinzelte. „Moment mal. Visionen? Heißt das, dass nichts davon real war?“

Der Direktor nickte.

Oliver atmete erleichtert aus. Er versuchte, sich noch einmal an alles zu erinnern und seine Gedanken zu ordnen. Zuerst musste er jedoch verdauen, dass es gar keine junge Welt gab, die verloren durch die sechste Dimension schwebte. Er konnte kaum glauben, dass es nicht wirklich passiert war. Es war ihm so real vorgekommen. Dieser Drang, die kleine Welt zu beschützen, war ein vollkommen neues Gefühl. Noch nie hatte er so etwas empfunden. Wie hatte er sich das alles einbilden können?

„Also, die Perle…“, drängte der Professor. „Erzähle mir mehr.“

Oliver kam langsam zu sich. „Sie sah ein bisschen aus wie die leuchtenden Kugeln, die hier herumschwebten, als ich zu Ihnen gekommen bin. Nur irgendwie spektakulärer. Sie haben mir gesagt, dass es eine neue, kleine Welt ist, die ich beschützen soll.“

Der Gesichtsausdruck des Professors war nicht zu deuten. Er schien tief in Gedanken zu sein. Dann stand er unvermittelt auf. „Komm mal mit, Oliver.“

Oliver stand auf und folgte ihm. Mit jedem Schritt zerfiel die Fassade des Raumes, den Professor Amethyst für Oliver erschaffen hatte, bis Oliver nur noch auf einem schwarzen Marmorboden durch die unendliche Dunkelheit ging. In der Ferne sah er ein Leuchten. Sofort machte sich diese merkwürdige Sehnsucht wieder in ihm breit.

„Das ist sie! Die Perle!“, rief er.

Mit jedem Schritt wurde das Gefühl stärker.

„Sehr interessant“, murmelte der Professor.

Sie gingen zu einem Sockel, über dem die Perle aus Olivers Vision in der Luft schwebte. Sie wieder zu sehen löste eine ganze Welle von Gefühlen in ihm aus. Instinktiv griff er nach ihr.

Plötzlich schlug der Direktor ihm auf die Finger.

„Nicht anfassen!“, sagte er streng. „ Das ist die Kugel von Kandra. Sie versorgt die gesamte Schule mit Energie. Sie ist unsere Lebenskraft, der wertvollste Gegenstand des ganzen Universums.“

Oliver starrte den Direktor lange an. Es war die Perle aus seiner Vision. Aber wie konnte das sein? Wie hatte er diesen Gegenstand in seinem Kopf heraufbeschworen, ohne dass er ihn je zuvor in seinem Leben gesehen hatte?

„Ich verstehe das nicht“, sagte Oliver. „Was hat das zu bedeuten? Was bin ich?“

„Ich denke, diese Vision ist ein sehr gutes Zeichen, Oliver. Es bedeutet, dass du mit dem Universum tief verbunden bist. Deine Begabung ist ohne jeden Zweifel Atomisch. Du bist der, auf den wir alle gewartet haben.“

Oliver war erstaunt. Er hatte die Hoffnung fast aufgegeben, dass er der geheimnisvolle, mächtige Seher sein könnte. Die Nachricht löste eine ganze Reihe von Emotionen bei ihm aus. Aufregung, aber auch Sorge und ein wenig Angst. Sollte er sich darüber freuen? Schon jetzt spürte er die Last der Erwartung auf seinen Schultern.

Возрастное ограничение:
16+
Дата выхода на Литрес:
10 октября 2019
Объем:
321 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9781640296862
Правообладатель:
Lukeman Literary Management Ltd
Формат скачивания:
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