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KAPITEL DREI

Kendrick, Brandt, Atme, Koldo und Ludvig wanderten durch die Große Wüste auf die aufgehenden Sonnen des Wüstenmorgens zu. Sie waren die ganze Nacht gewandert, entschlossen, den jungen Kaden zu retten. Sie waren in einen stummen Rhythmus verfallen; jeder von ihnen hatte die Hände an den Waffen und alle hatten die Blicke gesenkt um den Spuren der Sandläufer zu folgen. Hunderte von Fußabdrücken führten sie immer tiefer in die öde Landschaft hinein.

Kendrick begann sich zu fragen, ob es jemals enden würde. Er staunte darüber, dass er wieder in dieser Situation war, zurück in dieser Wüste, von der er geschworen hatte, sie nie wieder zu betreten – und ganz besonders nicht zu Fuß, ohne Pferde, ohne Vorräte ohne zu wissen, wie er jemals zurückkommen sollte. Sie hatten ihr Vertrauen auf die anderen Ritter vom Joch gesetzt, in der Hoffnung, dass sie ihnen mit Pferden folgen würden – doch wenn sie es nicht taten, dann war dies eine Reise ohne Widerkehr.

Doch genau das war es, was Tapferkeit und Ehre ausmachte, das wusste Kendrick. Kaden, ein feiner junger Krieger mit einem gossen Herzen, hatte Wache gestanden und war tapfer in die Wüste vorgedrungen, um sich zu beweisen – und war von diesen wilden Kreaturen entführt worden. Koldo und Ludvig konnten ihren jüngeren Bruder nicht im Stich lassen, egal wie schlecht die Chancen standen – und Kendrick, Brandt und Atme konnten sie nicht im Stich lassen; ihr Pflicht- und Ehrgefühl trieben sie dazu, mit ihnen zu gehen. Diese feinen Ritter des Jochs hatten sie mit freundlich und gnädig aufgenommen als sie ihre Hilfe gebraucht hatten – und nun war es an der Zeit, ihnen dafür zu danken – koste es, was es wolle. Der Tod bedeutete ihnen nichts – doch Ehre bedeutete ihnen alles.

„Erzähl mir von Kaden“, sagte Kendrick Koldo zugewandt, um das Schweigen zu brechen.

Koldo blickte auf und seufzte.

„Er ist einer der besten jungen Krieger, die du dir vorstellen kannst“, sagte er. „Sein Herz und sein Mut waren schon immer weit seinem Alter voraus. Noch bevor er überhaupt ein Junge war, wollte er ein Manns ein, und wollte lernen, mit dem Schwert umzugehen, bevor er überhaupt eines halten konnte.“

Er schüttelte den Kopf.

„Es überrascht mich nicht, dass er zu weit vorgedrungen ist, dass er derjenige ist, der auf einer Patrouille gefangen genommen wurde. Nichts war ihm zu schwer oder zu viel – besonders dann nicht, wenn es darum ging, andere zu beschützen.“

Ludvig mischte sich ein.

„Wenn einer von uns entführt worden wäre“, sagte er, „dann wäre unser kleiner Bruder der erste gewesen, der sich freiwillig gemeldet hätte, demjenigen zu folgen. Er ist der jüngste von uns, doch er repräsentiert all unsere besten Eigenschaften.“

Kendrick hatte das schon angenommen, als er mit dem Jungen gesprochen hatte. Er hatte den Kriegergeist in ihm gesehen, selbst in seinem jungen Alter. Kendrick hatte schon immer gewusst, dass Alter nichts damit zu tun hatte, ob man ein Krieger war: man hatte den Geist eines Kriegers, oder man hatte ihn nicht. Dieser Geist konnte nicht lügen.

Sie marschierten weiter und verfielen wieder in Schweigen, als die Sonnen am Himmel emporkletterten, bis Brandt sich schließlich räusperte.

„Und was ist mit diesen Sandläufern?“, fragte Brandt.

Koldo wandte sich ihm zu.

„Eine Gruppe böser Nomaden“, antwortete er. „Mehr Tier als Mann. Sie sind dafür bekannt, dass sie sich in der Nähe der Sandwand herumtreiben.“

„Plünderer“, erklärte Ludvig. „Sie sind bekannt dafür, dass sie ihre Opfer tief in die Wüste hinein verschleppen.“

„Wohin?“, wollte Atme wissen.

Koldo und Ludvig tauschten einen vielsagenden Blick aus.

„Wo immer sie sich auch sammeln – dort vollziehen sie ein grausames Ritual und reißen ihre Opfer in Stücke.“

Kendrick zuckte zusammen, beim Gedanken an Kaden und das Schicksal, das ihn erwartete.

„Dann haben wir keine Zeit zu verlieren“, sagte Kendrick. „Lasst und laufen!“

Sie sahen einander an, denn sie wussten, wie groß die Wüste war und wie lang die Strecke war, die sie vor sich hatten – und in der Hitze des Tages und in voller Rüstung war sie noch viel länger. Sie wussten, wie gefährlich es war, sich in dieser unwirtlichen Gegend zu überfordern.

Doch sie zögerten nicht; gemeinsam verfielen sie in einen Trag. Sie rannten ins Nichts, Schweiß lief ihnen über das Gesicht, und sie wussten, dass die Wüste sie alle umbringen würde, wenn sie Kaden nicht bald fanden.

*

Kendrick rannte keuchend. Die zweite Sonne stand hoch am Himmel und ihr Licht blendete sie, die Hitze lähmte sie, und doch rannten sie keuchend und mit klirrenden Rüstungen weiter. Der Schweiß rann Kendrick über das Gesicht und brannte so sehr in seinen Augen, dass er kaum sehen konnte. Seine Lungen schienen bersten zu wollen. Kendrick hatte nie eine schlimmere Hitze gespürt als hier in der Wüste, so intensiv, dass er das Gefühl hatte, dass sie ihm die Haut verbrannte.

Er wusste, dass sie dieses Tempo bei dieser Hitze nicht mehr lange durchhalten konnten; bald würden sie zusammenbrechen und zum Futter für die Insekten werden. Im Laufen hörte Kendrick einen Schrei in der Höhe, und als er aufblickte, sah er die Aasfresser über sich kreisen, wie schon seit Stunden. Sie waren schlau: sie wussten genau, wenn der Tod nahte.

Als Kendrick die Spuren der Sandläufer betrachtete, die sich immer noch am Horizont verloren, konnte er nicht verstehen, wie sie sich so schnell soweit fortbewegen konnten. Er betete nur, dass Kaden noch am Leben und dass alles nicht umsonst gewesen war. Doch er fragte sich, ob sie ihn jemals einholen würden. Es war, als wollten die Spuren niemals enden.

Kendrick sah sich um und bemerkte, dass auch die anderen mehr stolperten, als dass sie liefen – doch alle waren genauso entschlossen wie er, nicht anzuhalten. Kendrick wusste – sie alle wussten – dass sie sterben würden, wenn sie anhielten.

Kendrick wollte die Monotonie der Stille brechen, doch er war zu erschöpft, um jetzt mit den anderen zu reden, und er zwang seine Beine weiterzugehen, wobei er sich fühlte, als lastete das Gewicht der Welt auf ihm.

Er wagte nicht, seine Kräfte zu verschwenden um zu Horizont zu blicken, denn er wusste, dass er nichts finden würde, er wusste, dass er schließlich doch dazu verdammt war, her zu sterben. Stattdessen hatte er den Blick gesenkt, verfolgte die Spur und versuchte, mit dem bisschen kostbarer Energie, das er noch hatte, zu haushalten.

Er hörte ein Geräusch, und zunächst war er sich nicht sicher, ob er es sich nur eingebildet hatte; doch da war es wieder, ein fernes Geräusch, wie das Summen von Bienen, und diesmal blickte er auf, auch wenn er wusste, dass es dumm war, dass da nichts sein konnte.

Doch diesmal schlug sein Herz vor Aufregung schneller Angesichts des Anblicks, der sich ihm bot. Dort vor ihm, vielleicht hundert Meter weit entfernt war eine Ansammlung von Sandläufern.

Kendrick stieß die anderen an, und auch sie blickten aus ihren Gedanken gerissen auf. Die Zeit zu kämpfen war gekommen.

Kendrick griff nach Hand und spürte die wohlbekannte Welle des Adrenalins durch seinen Körper rauschen.

Die Sandläufer, Dutzende von ihnen, drehten sich um und machten sich ebenso bereit, gegen sie zu kämpfen. Sie kreischten und rannten los.

Kendrick riss sein Schwert in die Hohe, stieß einen Kampfschrei aus, bereit, die Feinde zu töten oder beim Versuch zu sterben.

KAPITEL VIER

Gwendolyn ging ernst durch die Hauptstadt des Königreichs des Jochs. Krohn ging an ihrer Seite, Steffen folgte ihr, und in ihrem Kopf drehte sich alles, als sie über Argons Worte nachdachte. Einerseits war sie überglücklich zu sehen, dass er wieder gesund war – doch seine folgenschwere Prophezeiung hallte in ihrem Kopf wie ein Fluch, wie eine Glocke, die ihren Tod verkündete. Seinen entsetzlichen, kryptischen Worten nach, klang es, als sollte sie nie wieder mit Thor vereint sein.

Gwendolyn kämpfte gegen die Tränen an während sie mit schnellen Schritten auf den Turm zuging. Sie versuchte seine Worte zu verdrängen, weigerte sich, ihr Leben von vagen Prophezeiungen bestimmen zu lassen. So war sie schon immer gewesen, und das brauchte sie jetzt auch, um stark zu bleiben. Die Zukunft mochte vielleicht irgendwo geschrieben stehen, doch sie hatte das Gefühl, dass man sie trotzdem ändern konnte. Das Schicksal war formbar – das spürte sie. Man musste es nur genug wollen, bereit sein, genug aufzugeben.

Das war so ein Moment. Gwendolyn weigerte sich, Thorgrin und Guwayne zu erlauben, ihr zu entgleiten, und eine wachsende Entschlossenheit stieg in ihr auf. Sie würde sich dem Schicksal widersetzen, egal was dazu nötig war, opfern, was auch immer das Universum von ihr verlangte. Unter keinen Umständen würde sie durchs Leben gehen ohne Thor und Guwayne wiederzusehen.

Als ob er ihre Gedanken spürte, winselte Krohn zu ihren Füßen und rieb sich im Gehen an ihrem Bein. Aus ihren Gedanken gerissen blickte Gwendolyn auf und sah den Turm vor ihr; rund und rot erhob er sich im Zentrum der Hauptstadt, und sie erinnerte sich: der Kult. Sie hatte dem König geschworen, dass sie in den Turm gehen und versuchen würde, seinen Sohn und seine Tochter aus den Fängen des Kults zu befreien, den Anführer wegen der alten Bücher zu konfrontieren und dem Geheimnis, das sie verbargen, das das Joch vor der Zerstörung retten konnte.

Gwendolyns Herz pochte, als sie sich dem Turm näherte. Sie wollte dem König und dem Joch helfen, doch viel mehr noch wollte sie es verlassen und nach Thor und Guwayne suchen, bevor es zu spät war. Wenn doch nur einen Drachen hätte, so wie früher; wenn doch nur Ralibar zurückkehren und sie auf seinen Schwingen durch die Lüfte tragen würde, weg von hier, weit weg von den Problemen des Empire auf die andere Seite der Welt, zurück zu Thorgrin und Guwayne. Wenn sie doch nur alle in den Ring zurückkehren und leben könnten, wie sie einst gelebt hatten.

Doch sie wusste, dass das kindische Träume waren. Der Ring war zerstört und das Joch war alles, was ihr geblieben war. Sie musste sich der Realität stellen und tun, was sie konnte, um diesen Ort zu retten.

„Mylady, darf ich Euch in den Turm begleiten?“

Aus ihren Tagträumen gerissen, drehte sich Gwen zu der Stimme um, und war erleichtert, ihren alten Freund Steffen an ihrer Seite zu sehen, der mit einer Hand am Schwert neben ihr herging, immer bemüht, sie zu beschützen. Er war der treuste Berater, den sie hatte. Dessen wurde sie sich bewusst, wenn sie an die langen Jahre dachte, die er an ihrer Seite war, und war ihm zutiefst dankbar dafür.

Als Gwendolyn vor der Zugbrücke stehenblieb, die zum Turm führte, starrte er ihn argwöhnisch an.

„Ich traue diesen Leuten nicht“, sagte er.

Beruhigend legte sie ihm eine Hand auf den Arm.

„Du bist ein treuer Freund Steffen“, antwortete sie. „Ich weiß deine Freundschaft und Loyalität zu schätzen, doch das hier muss ich alleine tun. Ich muss so viel wie möglich herausfinden, und wenn du mitkommst, dürfte sie das argwöhnisch werden lassen. Davon abgesehen“, fügte sie hinzu, als Krohn zu ihren Füßen winselte, „habe ich ja Krohn.“

Gwendolyn sah ihn an und Krohn blickte erwartungsvoll zu ihr auf.

Steffen nickte.

„Dann werde ich hier auf Euch warten“, sagte er. „Ruft nach mir, wenn es irgendwelchen Ärger im Turm gibt, ich komme dann sofort.“

„Wenn ich nicht finde, was ich im Turm suche“, antwortete sie, „fürchte ich, dass viel größerer Ärger auf uns alle zukommt.“

*

Gwendolyn ging langsam mit Krohn über die Zugbrücke. Ihre Schritte hallten auf dem Holz der Brücke, als sie das sanft plätschernde Wasser darunter überquerte. Dutzende von Mönchen in scharlachroten Roben standen auf der Brücke als hielten sie stumm Wache; ihre Hände waren in den Ärmeln versteckt und ihre Augen waren geschlossen. Das waren seltsame Wächter, unbewaffnet, mit geschlossenen Augen! Gwendolyn staunte über ihre unglaubliche Loyalität und Zuneigung ihrem Anführer gegenüber, und sie begriff, dass es so sein musste, wie der König gesagt hatte: sie verehrten sie als Gott. Sie fragte sich, auf was sie sich da eingelassen hatte.

Als sie näher kam, blickte Gwendolyn zu dem riesigen Eingangsportal vor ihr auf. Die Tür war aus Eiche gemacht und mit geschnitzten Symbolen verziert, die sie nicht verstand. Mehrere Mönche traten vor und zogen die Flügel der Tür für sie auf. Knarzend gaben sie den Blick frei auf das düstere Innere, das nur von wenigen Fackeln erleuchtet wurde. Ein kühler Windhauch traf sie, der leicht nach Weihrauch roch. Krohn neben ihr begann zu fauchen und nachdem sie eingetreten waren, wurden die Türen wieder hinter ihnen zugeschlagen. Das Donnern der Tür hallte durch die Flure, und es dauerte einen Augenblick, bis Gwendolyn sich orientiert hatte. Im Inneren war es düster, und die Wände wurden nur von ein paar Fackeln und dem gedämpften Sonnenlicht erhellt, das durch Bleiglasfenster hoch oben einfiel. In der Luft lag etwas Heiliges und es still – sie hatte das Gefühl, eine Kirche betreten zu haben.

Gwendolyn blickte auf und sah, dass ein System von Rampen und Treppen nach oben führte. Es gab so gut wie keine Fenster und von irgendwoher drang leiser Gesang an ihr Ohr. Der Duft von Weihrauch lag schwer in der Luft und Mönche huschten hin und her. Sie gingen wie in Trance von einer Kammer zur anderen. Manche von ihnen hielten Weihrauchgefäße in Händen und sangen, während andere still und nachdenklich umherwanderten und sie nicht einmal wahrzunehmen schienen. Gwendolyn fragte sich, was es mit diesem Kult auf sich hatte.

„Hat mein Vater dich geschickt?“, hallte eine Stimme durch den Turm.

Erschrocken wirbelte Gwendolyn herum und sah einen Mann, der nur ein paar Meter von ihr entfernt stehengeblieben war. Er trug eine lange scharlachrote Kutte und lächelte sie freundlich an. Sie konnte kaum fassen wie sehr er seinem Vater, dem König, ähnelte.

„Ich wusste, dass er früher oder später jemanden schicken würde“, sagte Kristof. „Seine Bemühungen, mich zurück unter seine Fittiche zu bekommen, sind schier endlos. Bitte, komm“, sagte er und machte eine einladende Geste.

Gwendolyn schloss zu ihm auf und sie gingen einen Flur mit Gewölbedecke entlang, eine Rampe hinauf, die auf zu den oberen Stockwerken des Turms führte. Gwendolyn war überrascht; sie hatte einen verrückten Mönch erwartet, einen religiösen Fanatiker, und war überrascht, einem liebenswerten und freundlichen Mann zu begegnen, der offensichtlich bei Verstand war. Kristof erschien ihr nicht wie der verlorene, verrückte junge Mann, als den sein Vater ihn beschrieben hatte.

„Dein Vater hat mit mir gesprochen“, sagte sie schließlich, und brach das Schweigen, nachdem ein Mönch in die entgegengesetzte Richtung an ihnen vorbeigegangen war, und dabei nicht einmal den Blick gehoben hatte. „Er möchte, dass ich dich nach Hause bringe.“

Kristof schüttelte den Kopf.

„Das ist das Problem mit meinem Vater“, sagte er. „Er denkt, dass es nur ein Zuhause auf der Welt gibt. Doch ich habe etwas gelernt“, erklärte er und sah sie an, „es gibt mehr als nur ein wirkliches Zuhause auf dieser Welt.“

Als sie weitergingen seufzte er und Gwendolyn schwieg, da sie nicht zu sehr bohren wollte.

„Mein Vater wird nie akzeptieren, wer ich bin“, fügte er schließlich hinzu. „Er wird es niemals lernen. Er ist so festgefahren in seinem alten, beschränkten Glaubenssystem – und er will es mir aufzwingen. Doch ich bin nicht er – auch wenn er das nicht akzeptieren kann.

„Vermisst du deine Familie nicht?“, fragte Gwen, überrascht, dass er sein Leben diesem Turm verschrieben hatte.

„Das tue ich“, sagte er ehrlich und überraschte sie damit. „Sehr sogar. Meine Familie bedeutet mir alles – doch meine spirituelle Berufung ist mir wichtiger. Mein Zuhause ist jetzt hier“, sagte er und bog in einen anderen Flur ab. „Ich diene jetzt Eldof. Er ist meine Sonne. Wenn du ihn kennen würdest“, sagte er und sah Gwendolyn mit einer Intensität an, die ihr Angst machte, „dann wäre er auch deine Sonne.“

Gwendolyn wandte sich ab, denn der fanatische Blick in seinen Augen missfiel ihr.

„Ich diene niemandem außer mir selbst“, antwortete sie.

Er lächelte sie an.

„Vielleicht ist das die Quelle all deiner irdischen Sorgen“, antwortete er. „Niemand kann in einer Welt leben, in der er niemand anderem dient. In diesem Augenblick dienst du nicht dir, sondern jemand anderem.“

Gwendolyn sah ihn argwöhnisch an.

„Wie denn?“, fragte sie.

„Selbst wenn du denkst, dass du dir selbst dienst“, antwortete er, „täuscht du dich. Die Person, der du dienst, bist nicht du, sondern die Person, die deine Eltern geschaffen haben. Wenn wirst du mutig genug sein, ihren Glauben abzuschütteln und dir selbst zu dienen?“

Gwendolyn runzelte die Stirn. Sie glaubte seiner Philosophie nicht.

„Und wessen Glauben soll ich stattdessen annehmen“, fragte sie. „Eldofs?“

Er schüttelte den Kopf.

„Eldof ist nur ein Kanal“, antwortete er. „Er hilft dir dabei, abzuwerfen, wer du warst. Er hilft dir dabei, dein wahres Selbst zu finden, das was du zu sein bestimmt bist. Diesem Selbst musst du dienen. Das ist die Person, die du niemals finden wirst, bis du dein falsches Selbst freilässt. Das ist das, was Eldof tut: er befreit uns alle.“

Gwendolyn blickte in seine glänzenden Augen, und sie konnte sehen, wie treu ergeben er war – und diese Hingabe machte ihr Angst. Sie konnte sofort sehen, dass man nicht mit ihm diskutieren konnte – er würde diesen Ort nie verlassen.

Das Netz, das Eldof gesponnen hatte, um all diese Menschen in seine Falle zu locken machte ihr Angst – eine billige Philosophie mit einer ganz eigenen Logik. Gwendolyn wollte nicht mehr hören; sie war fest entschlossen, dass sie sich nicht von diesem Netz einfangen lassen würde. Schaudern schüttelte sie das Gefühl ab und ging weiter neben Kristof die Rampe hinauf; im Kreis um den Turm herum, immer höher und höher, wo immer sie auch hinführte.

„Ich bin nicht gekommen, um die Errungenschaften deines Kults zu diskutieren“, sagte Gwendolyn. „Ich weiß, dass ich dich nicht dazu bringen kann, zu deinem Vater zurückzukehren. Ich habe ihm versprochen, dich zu bitten, und das habe ich getan. Wenn dir deine Familie nichts bedeutet, kann ich dich nicht dazu zwingen.“

Kristof sah sie ernst an.

„Und denkst du, dass meinem Vater seine Familie etwas bedeutet?“, fragte er.

„Sehr viel sogar“, antwortete sie. „Zumindest, soweit ich es beurteilen kann.“

Kristof schüttelte den Kopf.

„Lass mich dir etwas zeigen.“

Kristof hakte sie unter und führte sie in einen Flur, der nach links abbog, dann eine Treppe hinauf, bevor sie vor einer dicken Eichenholztür stehenblieben. Er sah sie bedeutungsvoll an, dann öffnete er sie und gab den Blick auf eine Gittertür frei.

Gwendolyns Neugier war geweckt und sie fragte sich, was er ihr zeigen wollte; dann trat sie vor und warf einen Blick durch die Gitterstäbe. Sie war geschockt, ein junges, wunderschönes Mädchen alleine in der Zelle sitzen zu sehen, deren langes Haar ihr ins Gesicht viel. Auch wenn ihre Augen geöffnet waren, schien sie ihre Gegenwart nicht wahrzunehmen.

„So kümmert sich mein Vater um seine Familie“, sagte Kristof.

Gwendolyn sah ihn fragend an.

„Seine Familie?“, fragte Gwendolyn irritiert.

Kristof nickte.

„Kathryn. Seine andere Tochter. Die, die er vor der Welt versteckt. Sie ist hierher verbannt worden, in diese Zelle. Warum. Weil sie verwirrt ist. Weil sie nicht perfekt ist wie er. Weil er sich für sie schämt.“

Gwendolyn schwieg und ihr Magen zog sich zusammen, als sie traurig das Mädchen ansah; sie wollte ihr helfen. Sie begann sich zu fragen, ob alles so schwarz und weiß war, wie es der König darstellte, und ob irgendetwas von dem, was Kristof gesagt hatte, wahr war.

„Eldof misst Familie eine große Bedeutung bei“, fuhr Kristof fort. „Er würde nie einen der Seinen im Stich lassen. Er weiß unser wahres Selbst zu schätzen. Niemand wird hier aus Scham abgewiesen. Das ist die Verkommenheit der Stolzen. Und jene, die verwirrt sind, sin ihrem wahren Selbst am nächsten.“

Kristof seufzte.

„Wenn du Eldof triffst“, sagte er, „wirst du es verstehen. Es gibt niemanden, der so ist wie er, und es wird auch niemals jemanden geben.

Gwendolyn sah wieder den Fanatismus in seinen Augen aufflackern sehen und konnte sehen, wie sehr er sich an diesen Ort verloren hatte, an diesen Kult, und sie wusste, dass er viel zu weit entrückt war, um jemals wieder zum König zurückzukehren. Sie wandte sich wieder der Tochter des Königs zu und empfand tiefe Trauer für sie, für diesen Ort, für die zerbrochene Familie. Ihr perfektes Bild des Königreichs, das der perfekten königlichen Familie, zerbröckelte. Dieser Ort hatte wie jeder andere eine dunkle Seite. Hier herrschte ein stiller Krieg des Glaubens.

Es war ein Krieg von dem Gwendolyn wusste, dass sie ihn nicht gewinnen konnte, und sie spürte ein immer dringenderes Bedürfnis ihren Gemahl und ihren Sohn zu retten. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, dieser Ort überforderte sie, und der Duft des Weihrauchs, der schwer in der Luft lag und das Fehlen von Fenstern ließ sie die Orientierung verlieren. Sie wollte so schnell wie möglich finden, was sie brauchte und den Turm verlassen. Sie versuchte sich daran zu erinnern, weswegen sie überhaupt gekommen war, und es fiel ihr wieder ein: um das Königreich zu retten, so wie sie es dem König versprochen hatte.

„Dein Vater glaubt, dass hier im Turm ein Geheimnis verborgen liegt“, sagte Gwendolyn, „ein Geheimnis, dass das Königreich und das ganze Volk retten könnte.“

Kristof lächelte und verschränkte die Finger.

„Mein Vater und sein Glaube“, antwortete er.

Gwendolyn legte die Stirn in Falten.

„Willst du damit sagen, dass es nicht stimmt?“, fragte sie. „Dass es kein altes Buch gibt?“

Er hielt inne und wandte den Blick ab; dann seufzte er und schwieg eine ganze Weile.

Schließlich fuhr er fort: „Was dir offenbart wird und wann“, sagte er, „liegt nicht in meinem Ermessen. Nur Eldof kann deine Fragen beantworten.“

Gwendolyn spürte, wie ein Gefühl der Dringlichkeit in ihr aufstieg.

„Kannst du mich zu ihm bringen?“

Kristof lächelte, drehte sich um begann, den Flur hinunterzugehen.

„So sicher“, sagte er im Gehen, ihr bereits ein paar Schritte voraus, „wie Licht die Motten anzieht.“

899 ₽
Возрастное ограничение:
16+
Дата выхода на Литрес:
10 сентября 2019
Объем:
343 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9781632912404
Правообладатель:
Lukeman Literary Management Ltd
Формат скачивания:
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