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Ich war ... sprachlos, vergaß zu antworten und glotzte ihn ungeniert an. Es war die Klappe - Verzeihung - der Mund von Herrn Klappe, der mich faszinierte. Seine Mundpartie erinnerte mich an irgendjemanden. Schon fiel es mir ein. Natürlich. An einen Biber. Da stand er leibhaftig vor mir, mit gelben Bibervorderzähnen, wie sie ausdrucksvoller nicht hätten hervorstehen können. Magisch angezogen von dieser Pracht vergingen weitere Sekunden, in denen die Faszination mich stumm überwältigte. Bis mich meine Schwester aus meiner komischen Verzückung riss, mich sanft anstieß und stumm, mit vielsagendem Blick mahnte. Wodurch ich schließlich wieder in die Welt der bewusst lebenden zurückkehrte.

„Oh.“ Ich lachte verlegen, „hm, ja“. Streckte meinem Gegenüber ebenfalls die Hand hin, die er sofort ergriff und heftig, sowie ausgiebig schüttelte. Immens erfreut.

„Sie dürfen sie ruhig wieder loslassen.“

Nicht auf meine Worte reagierend, fixierte er mich mit einem Lächeln, das mich penetrant ans Zähneputzen erinnerte. Und an Zahnweiß.

Das nicht enden wollende Hände schütteln verlockte schließlich, mich gewaltsam loszureißen. Als ein plötzlicher Niesanfall meinerseits dem zuvorkam, ließ er ruckartig - zum Glück nach meinen Wünschen - endlich von mir ab. Er hätte ja auch erschrecken, mich reflexartig an sich ziehen und mir in seinen Armen liegend „Gesundheit“ wünschen können. In diesem Fall tat er das auch. Aber mit genügend Abstand dazwischen.

„Das Wetter“, erklärte ich an ein Taschentuch denkend und nicht zur Hand habend. Stinksauer setzte ich mein charmantestes Lächeln auf. Dann fasste ich meine Schwester am Arm und zog sie, uns entschuldigend, in die Küche daneben, wo die bereits gezündete Zündschnur in mir, die fällige Explosion entfachte. „Bist du noch zu retten?“

Wenn ich als älteres Semester die restliche mir verbleibende Zeit auf Erden allein lebte, so deshalb, weil ich sie allein leben wollte! Und kein Mensch würde mir weismachen können, dass ich dadurch Gefahr lief, irgendetwas zu versäumen. Zu derartig dringenden Fällen zählte ich nicht.

„Was du wieder denkst. Er ist hier, weil er den Zug verpasste.“

„Das zu glauben grenzte an Naivität, Schwesterherz und aus den naiven Jahren bin ich raus.“

„Diesmal tust du mir unrecht, Verena. Ich hab doch Augen im Kopf. Dieser Mann mag zwar das richtige Ding zwischen den Beinen haben, aber für eine Frau ist es nur die Hälfte wert, wenn sie es bloß im Dunkeln gebrauchen kann.“

Okay. Ihre Worte hatten etwas Überzeugendes für mich und trugen dazu bei, mein überschwapptes Gemüt zu besänftigten. Jedoch ein Rest in mir blieb auf der Hut. „Dein Glück“, versprach ich, „sonst hättest du ihn zum nächsten Geburtstag in Seidenpapier eingewickelt von mir als Geschenk bekommen.“

Claudia lachte. „Hätte mich auf ewig von den Männern kuriert.“

„Lieber würde ich dich von deiner Kuppelsucht kurieren.“

Claudias Miene wurde schlagartig ernst. „Sag, merkst du nie, wenn man nur dein Bestes will?“

Ich rang die Hände. „Lass deinen Mutterinstinkt an deiner kleinen Silvana aus. Oder schaffe dir ein zweites Kind an, an dem du dich austoben kannst.“ Eine Mutter, nämlich meine Mutter reichte mir. Na gut. Solange der Biber nicht zu Claudias Kuppel-Favoriten zählte, war ich bereit, ihrem Spleen gegenüber milde zu zeigen. Zwangsweise. Denn bevor sie sich änderte, würde das Bild der Mona Lisa im Louvre versteigert, und der Erlös den Obdachlosen gespendet werden.

Bernd erschien auf der Bildfläche. „Mir liegt es fern zu drängeln“, meinte er, „aber wir haben einen Gast.“ Er deutete mit dem Daumen in Richtung Wohnzimmer.

Noch hatte es sich nicht herauskristallisiert, aber der Biber war zum Schießen und im Geschichtenerzählen ein wahrer Meister. Nie vorher hatte ich so dermaßen herzhaft gelacht. Und so viel. Dabei bekam die Sympathie Flügel, sie flog von mir zu ihm. Im Lauf des Abends tauschten wir sogar unsere Telefonnummern aus. Dorner, das Überwachungsorgan, mit seinen krassen Zurechtweisungen rückte in die Tiefen meines Unterbewusstseins und verharrte dort ... bis Montag.

Kapitel 2

Wäre es sinnvoll, die Wochentage nach Noten zu beurteilen, bekäme der Montag von mir eine Fünf. Auch würde er eingeteilt in die Kategorie „völlig überflüssig“. Aber da der Montag als umsatzträchtiger Bonus und als nicht verzichtbare Sitte der Geschäftswelt galt, kam kein Lohnabhängiger darum herum, den regelmäßigen Sprung von der sonntäglichen Freiheit in die wochenturnusmäßige Abhängigkeit zu machen. Auch ich nicht. Ein Sprung, der einer eiskalten Dusche glich. Und wenn man den Schock dieser Dusche einigermaßen verkraftet hatte, dieser Tag dann seine unsympathischen Fühler ausstreckte, um einen zu orten und die Worte um die Ohren zu schleudern: „Frau Starz, ins Büro bitte“, konnte mir dieser Tag erst recht gestohlen bleiben. Aber der Meister hatte das Sagen. So riss ich mich von meinen Obstregalen los, um mich folgsam in das Zentrum der „Macht“ zu begeben. Es war mir nicht klar, was auf mich zukommen würde, jedoch befürchtete ich, was ich insgeheim ahnte. Umso mehr verbannte ich diesen unwillkommenen, hellseherischen Blitz aus meinen Gedanken und versuchte mich auf die Situation neutral einzustellen.

„Bitte setzen Sie sich.“

Dorner gab sich sachlich. Abwägend ob das gut oder schlecht für mich wäre, beschloss ich abzuwarten. Er ließ sich mir gegenüber nieder. Sein mehrmaliges Räuspern schien meiner Meinung nach kein gutes Zeichen zu sein. Einen Kugelschreiber zwischen den Fingern drehend, lächelte er mich unentwegt an, was mich stutzig werden ließ. Sein durchdringender Blick sagte viel, jedoch nichts Bestimmtes. Zumindest nicht für mich - in meiner Situation.

„Frau Starz, Sie können einen wirklich überraschen.“

Seine Worte erinnerten mich instinktiv an das Sprichwort: Stille Wasser sind tief. Ob er das damit gemeint hatte? Während es mir gelang meinem Gesicht ein entspanntes, unschuldiges Aussehen zu geben, verkrampfte sich meine übrige Muskulatur. Als läge ich in einer Zitronenpresse, worin man mich erbarmungslos ausgequetschte. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, um dieses ungemütliche Gefühl zu schlucken und es auf Nimmer-wieder-Spüren zu verdauen. Leider gelang es nur bedingt. Ich für meine Person liebte ja Überraschungen - manchmal ...

„Verstehen Sie mich nicht falsch, ... äh, ... ich meine, ... äh, nach Ihrem Auftritt am Samstag überlege ich, ob Sie ... äh ... den Anforderungen einer führenden Position gewachsen sind.“

Oh, Mann. Meine am Wochenende so brillant verdrängten Befürchtungen erschienen auf der Bildfläche, wie gerufene Gespenster. Hatte ich sie unbewusst visualisiert und sie sich deshalb manifestiert? Keine Zeit, darüber nachzudenken. Unerlässlicher schien mir, mein sinkendes Boot aus dem Wasser zu ziehen, bevor es endgültig unterzugehen drohte. Unmerklich jagte ich nach überzeugenden Argumenten. Endlich fiel mir ein: „Einen ungetauften Kahn darf man nicht so schnell untergehen lassen, Herr Dorner.“

Scheinbar irritiert überging er meine Worte, als wären nie welche über meine Lippen gekommen. „Immerhin ... äh ... verkörpern Sie Ihren Mitarbeiterinnen gegenüber eine Respektsperson ...“

Nach einem solch tief greifenden Leitsatz begriff ich in Sekundeneile, dass ein Joker her musste, um Dorner den Wind aus den Segeln zu reißen, damit er letztendlich nicht in einen Orkan ausartete. Rasch kleidete ich den Joker in die Worte: „Sie haben vollkommen Recht.“

Mich wurmte es gehörig, aber insgeheim blieb mir nichts anderes übrig, als zuzugeben, so falsch lag er nicht mit seiner Anschauung. Schon am Morgen ging es mit den Anspielungen der Kolleginnen los, zusammen mit ihren vielsagenden Blicken, die ich bewusst überhörte und übersah. Doch als der Fleischhauer dazukam und einen Boogie pantomierte, ließ sich das Gegröle der anderen nicht mehr unterbinden. Und als der Titel „Überwachungsorgan“ fiel, purzelte ich endgültig aus jener Scheinwelt, die ich mir am Wochenende als so eine Art Schutzbunker ersonnen hatte. Und die Hoffnung, dass alles unausgesprochen im Sand verlaufen würde, purzelte mit. Dorners Worte schlugen meinem Stolz eine tiefe Kerbe. Mein Selbstvertrauen machte in Anbetracht der prekären Lage keinen wünschenswerten Fortschritt. Daher gab ich meiner Würde Nahrung und schlug ihm vor, was ich als bestehende Tatsache sowieso auf mich zukommen sah.

„Wenn Sie es wünschen, dann ist eben der Letzte der Erste für mich, mit anschließender Kündigungszeit.“

Dorner stutzte. Er wirkte, als hätte ihn diese Mitteilung überrumpelt. „Moment, so ... äh ... war das ... äh ... war das nicht gemeint. Wo soll ich so plötzlich einen neuen Abteilungsleiter hernehmen?“

Ich erhob mich. Für mich war unsere Unterredung beendet. Meiner Meinung nach bauschte er das vorweihnachtsfeierliche Vorkommnis viel zu viel auf. Die Leute vergaßen schnell und würden sich wieder beruhigen.

Er kratzte sich am Kopf. „Schätze, die Leute werden sich bald wieder beruhigen“, sagte er. Aha. Welch weise Worte aus dem Munde des Meisters. Zwei Herzen und ein Gedanke. Das grenzte ja an eine Schnulze für ein Gedicht oder einen Liebesfilm. Mit Dorner als Romeo? Schreckliche Vorstellung.

(Wellenartige Signale zwischen Männlein und Weiblein rühren tagtäglich die menschliche Chemie, was spürende Sympathie oder Antisympathie ergibt. Eine Tatsache, mit der wir uns täglich auseinanderzusetzen haben - bewusst oder unbewusst. Wenn die Chemie stimmt, ergeben sich selten Reibungspunkte. Dazu ist man gern bereit, das Niveau der miteinander führenden Gespräche intimer werden zu lassen.)

Nun … zwischen Dorner und mir stimmte die Chemie nicht.

„Es ist nur ... äh ..., von dieser Seite kannte ich Sie bisher nicht.“

Augenscheinlich ergeben nickte, doch innerlich kochte ich, dennoch bemühte ich mich um Sachlichkeit. „Verstehe, was Sie meinen. Als Führungskraft sollte man kein Privatleben haben.“

Wieder dieser irritierte Blick von ihm und keine Antwort. „Personalführung verlangt Bodenständigkeit, Disziplin sowie ein Muster an Beispielhaftigkeit, ist Ihnen das klar?“

Ja, wen glaubte er denn, dass er vor sich hatte? Seine minderjährige Tochter, die in ihrer Erziehungsphase einen beträchtlichen Schubs brauchte, damit sie nicht vom rechten Weg abwich? „Herr Dorner, es tut mir leid, wenn ich in Ihrer Achtung gesunken bin, nur weil ich den Mut hatte, mich auf der Weihnachtsfeier zu amüsieren. Und nicht, wie die meisten, steif und verkrampft den Abend auf dem Stuhl zu sitzen und sich zu langweilen. Aber in meiner Freizeit benehme ich mich, seien Sie mir bitte nicht böse, wie ich es will.“

Weil es wahr war. Ich war jederzeit bereit, mich für die Firma einzusetzen, trotzdem gehörte ich immer noch mir. Wenn er von mir verlangte, meine Persönlichkeit aufzugeben, um dem geheiligten Ansehen des Marktes gerecht zu werden, dann sollte er sich seinen Abteilungsleiterposten gefälligst an den Hut stecken.

„Einverstanden?“

Es steckte ein Frosch in meinem Hals, der mich zwang, mich zu räuspern. Rena, du solltest dich wirklich zusammenreißen und dich mehr konzentrieren! Den Faden hatte ich jedenfalls, wie man so schön sagt, verloren, dazu nicht den blassesten Schimmer, wovon mein Gegenüber zuletzt gesprochen hatte.

„Ich will noch die Gelegenheit wahrnehmen Ihnen zu sagen, dass heute Nachmittag ... äh, eine Besprechung mit allen Abteilungsleitern stattfindet. Wir behandeln das Thema Kundenzufriedenheit ... äh ... Freundlichkeit und ... äh ... Umsatzsteigerung. Können Sie die benötigten Zahlen bis dahin errechnen?“

Nickend ärgerte ich mich. Warum er diese Besprechungen immerfort montags abhalten musste, wo wir vor Arbeit nicht wussten, wo uns der Kopf stand, wusste der Himmel.

„Bitte um pünktliches Erscheinen um ... äh ... ja, um 15 Uhr.“

Sein Gesichtsausdruck erlaubte, meine Arbeit wieder aufzunehmen. Die Zeit lief davon, deshalb hieß ich das mehr als rechtens. Schon im Begriff mich abzuwenden, hielt er mich mit den Worten zurück. „Frau Starz?“

Schon befürchtete ich: Noch eine Rüge?, und drehte mich um.

„Die Stelle des Bezirksleiters wurde ... äh neu besetzt“, (also keine Rüge) „er erscheint in den nächsten Tagen bei uns im Markt ... lerne ihn dann selbst erst ... äh ... kennen. Weiß daher nicht, auf welche Arbeitspunkte er besonderen Wert legt.“

Ja und?

„Ich verlass mich auf ... äh Sie, dass alles in ... äh Ordnung ist, wenn er eintrifft.“

Selbstverständlich. Es war halb acht. Wenn ich aus dem Meisterkäfig blickte, von wo die Obstabteilung gut übersehbar war, entging mir nicht, dass meine Kolleginnen Mühe hatten, die Regale bis Geschäftsbeginn in Ordnung zu bringen. Ich stand wie barfuß auf Brennnessel.

„War es das?“

Er schien verlegen. „Das vorhin ... äh ... die Kündigung, habe ich nicht gehört, verstanden?“

Ja, das war wieder höchst voreilig von mir gewesen. Eine meiner Schwächen, an denen ich noch zu arbeiten hatte. Nicht auszudenken, wenn er die Kündigung angenommen hätte, bei dem miesen Jobangebot heutzutage. Gottlob führte er mich galant über die selbst angesägte Brücke, ohne dass ich irgendwelchen Schaden erlitt. Erleichtert platzte es aus mir heraus: „Sie konnten nichts hören, ich hab nichts gesagt ...“

Kaum den Verkaufsbereich betreten, bombardierten mich aus den Mündern meiner Mitarbeiterinnen folgende Vokabeln. „Platzieren wir die Champignons breitflächig? Wir haben eine volle Palette bekommen. Wohin kommen die Radieschen und der Jungzwiebel? Soll ich mehr als vier Tassen Gemüse schneiden?“

Schon einigermaßen routiniert erfolgten meine Anweisungen.

„Die Champignons kommen auf den Tisch mit der Aktionspreislatte. Den Jungzwiebel schlichten wir ins Regal und die Radieschen in die Schräge. Veronika, du weißt, geschnittenes Obst- und Gemüse müssen wir in einheitlichen Reihen in der Stolpertruhe platzieren.“

„Natürlich. Dachte aber, vielleicht sollte man diesmal von einer Sorte mehr schneiden?“

„Eine Reihe genügt. Wenn noch Platz ist, schneide zusätzlich Gurken. Davon ist ein Überhang da.“

Unser Markt bot nicht nur frisches, sondern auch vorgeschnittenes Obst und Gemüse für Köchinnen in Zeitnot zum Kauf an, was manche dankbar annahmen.

Nachdem die Regale mit frischer Ware fertig bestückt waren, ging mein Stolz mit mir durch. Die abwechselnden Farbreihen in Rot, Grün, Gelb und Weiß in der Schräge, stachen malerisch in die Augen. Außerdem nötigten sie, zuzugreifen. Der vollstehenden Absicht dahinter wurde somit genüge getan. Zufrieden widmeten wir unsere Aufmerksamkeit nun dem entstandenen Müllberg und entfernten ihn. Die leeren Kartons endeten in der Hubpresse, die Obst-Einsatzkisten für den Lieferanten zur Abholung auf der Laderampe, die welken Blätter der Salate vom Vortag, sowie alles andere Verdorbene landete in der Biotonne. Anschließend kontrollierte ich die Preisauszeichnungen. Für jedes Produkt, der richtige Preis. Eine Grundklausel vom Arbeit- und Gesetzesgeber, die selbstverständlich für mich war. Durch den täglichen Arbeitsbeginn um sechs Uhr früh kamen wir bisher alle nicht zum Frühstücken. Deshalb huschte ich zwischendurch ins innenliegend angrenzende Restaurant, um für meine Mädels und für mich eine Tasse Kaffee zu besorgen, was sie mit Lobgesängen honorierten. Meist rief mich um neun die Büroarbeit. Sei es, um Reklamationen an die Lieferanten zu übermitteln, die Preisplakate wegen der falsch angegebenen Herkunftsländer richtigzustellen oder um die verschiedenen täglichen Bestellungen unter einen Hut zu bringen. Geschweige denn vom Ausrechnen der Umsatz- und Mankozahlen, die der Chef um fünfzehn Uhr vorgesagt bekommen wollte. Montags verlangte die Obstwaage, zwecks neuer Preise, kontrolliert, so wie mit allen saisonbedingten Neuwaren programmiert zu werden. Bei preisgeänderten Stück-Artikeln war es erforderlich, die aktuellen Preise auszudrucken und hinterher an den Regalen zu stecken. Sortimentsneue Artikel wurden zur Kontrolle an der Kassa ausprobiert, ob der Verrechnungscode funktionierte. Für die Blumen, ob echt oder nicht, die ebenfalls zum Sortiment der Abteilung gehörten, war ein dekorativer Aufbau unverzichtbar, besagte die Verkaufsklausel. Denn: Je dekorativer der Aufbau, desto höher der Umsatz. Bei einigen Artikeln flutschte der Kassacode nicht, die erstrebten eine Kassaübermittlung. Die Putzmaschine zog auf dem hellen Fliesenboden schwarze Streifen, sodass wir gezwungen waren, händisch zu putzen. Luft holten wir erst ... irgendwann ... Und als in dieser Zeitphase Hildtrud fragte: „Wann zeichnest du den Einsatzplan für kommende Woche?“, rief ich noch gelassen: „Mittwoch.“ Doch als gleich darauf Veronika ihren Sommerurlaub von mir bestätigt und abgesegnet haben wollte, schrie ich: „Hilfe!“ Aber nur innerlich. Denn als Abteilungsleiter musste ich Stärke zeigen. Sowohl Flexibilität, Gewandtheit, Belastbarkeit und auch Domäne. Dass dabei die nach außen reflektierende Weiblichkeit verloren ging, war kein Weltuntergang für mich. Männliche Chefs in Führungspositionen wurden von den Mitarbeitern sowieso ernster genommen.

Kapitel 3

Mittags war ich mit Simba verabredet. Ursprünglich gelüstete es mich, durchzuarbeiten, doch der traurige Klang ihrer Stimme am Telefon erreichte mein freundschaftliches Herz. Bereit, anzuhören, was ich mir denken konnte, stapfte ich verspätet zu Fuß durch den Schneematsch. Mit dem Auto wäre die Strecke zwar wärmer gewesen, aber auch länger, bei der chronischen Parkplatznot in Wels. Es war wie verhext, jede Ampel signalisierte an jeder Kreuzung die Farbe, die sich komischerweise immer dann zeigte, wenn man es eilig hatte. Rot. Ungeduldig trippelnd darauf wartend, dass die Ampel auf Grün umschaltete, beruhigte mich der Gedanke, dass Simba anhänglich war wie ein Hund, wenn ihr was unter den Fingernägeln brannte. Und durch Verspätung ihres Date-Partners gewiss nicht frühzeitig verloren ging. Außerdem war nach sechs Kreuzungen, die rot anzeigten, die Zielflagge ja in Sicht. Das Restaurant war vollgestopft mit Gästen. Trotzdem der Saal gut zu überblicken war, konnte ich Simba mit ihrer hoch toupierten Mähne in der Menge nicht gleich ausfindig machen. Bis sie aufstand und mir vor einem runden Tisch, an dem höchstens drei Personen Platz fanden, zuwinkte. Er befand sich in der Mitte des Lokales, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als mich durch die sitzenden durchzuzwicken. Was sich als problematisch erwies, da die Stühle beengt beieinanderstanden und sich teilweise berührten. Außerdem behinderten mich, nebst meiner eigenen Winterjacke, die Mäntel der Gäste über den Stühlen hängend.

„Hast du schon bestellt?“, fragte ich prustend, aber endlich sitzend. Sich dünner zu machen, als die eigenen Kilos es erlaubten, um sich durchzwicken zu können, glich einem Unterwassermarathon, der schlauchte.

„Wo denkst du hin? Wenn ich den Platz verlasse, wird er womöglich von jemand anderem beschlagnahmt“, schnaubte Simba entrüstet. Ihr Kontra erinnerte mich, dass wir in einem Selbstbedienungsladen saßen und man besser wirklich einen Unterwassermarathon in Angriff nähme, als sich durch dieses Lokal noch einmal durchzuzwängen, um Essen zu holen. Darüber hinaus stand ich seit vierzehn Tagen mit meinem Gewicht im Zweikampf. In Anbetracht dessen wäre es zweckmäßiger, auf Essen zu verzichten. Aber die angenehmen Düfte, aus der Küche strömend, erweckten meine Magensäfte, was mir anfängliches Magenknurren einbrachte. Nicht mehr willens meinen inneren Schweinehund in Schach zu halten, blickte ich auf die seitlich an der Wand hängende Menütafel, auf deren sämtliche Speisen aufgelistet waren. Simba entschied sich für einen doppelten Hamburger. Meine Vernunft hingegen für Salat und Gebäck. Anders entschieden hätte ich den restlichen Tag mit meinem inneren Schweinehund im Zoff gelegen.

Als wir beide das Tablett mit Essen vor uns auf dem Tisch hatten (bitte nicht fragen, wie wir das schafften) und wir tüchtig zulangten, forderte ich Simba kauend auf: „Sag schon. Was ist los.“

Im Begriff ihren Hamburger zum Mund zu führen, hielt sie inne und schmunzelte. „Sieg auf der ganzen Linie.“

„Er will sich wirklich scheiden lassen?“

Simba nickte lachend und triumphierte: „Er liebt mich als doch.“

„Er hat mit seiner Frau gesprochen?“

„Ja, stell dir vor, sie hat nichts dagegen.“

Das war ja zu schön, um wahr zu sein. Nur glaubte ich es nicht.

Simbas siegesreiches Lächeln erlosch. „Natürlich ist es traurig, dass er für unsere Liebe seine Familie aufgibt. Ich meine, seine Kinder ... und sein Familienleben.“ Sie atmete tief ein und seufzte. „Er ist ja nicht aus der Welt. Für die Kinder wird er wie bisher da sein.“

So redete für gewöhnlich jemand, der sein schlechtes Gewissen beruhigen wollte. „Dir ist nicht wohl bei der Sache, wie?“

Mit einem Schlag sah sie aus, als wäre ihr der Appetit verdorben. Der Hamburger wanderte auf den Teller zurück. „Weiß auch nicht, was mit mir los ist. Anstatt mich zu freuen, dass für alle endlich Klartext herrscht, muss ich immerzu an seine Kinder denken.“

„Ich hab sowieso nie verstanden, warum du dich an einen verheirateten Buchhalter mit Kindern klammerst, wo du in deiner Lage jeden haben könntest.“

„Hast du schon mal was von Liebe gehört? So wie du redet nur jemand, der nicht weiß, was Liebe ist.“

„So? Dann kläre mich auf. Was ist denn Liebe deiner Meinung nach?“

„Verzeihung ist hier noch frei?“

Aus unserem Gespräch gerissen, sahen wir beide auf den gut aussehenden Mann, der unsere Antwort nicht erst abwartete, sondern sein Tablett auf unserem Tisch abstellte, als gehöre er dazu. Sowohl Schal, als auch sonstige im Moment überflüssige Kleidung warf er über die Lehne des einen noch leeren Stuhls, auf den er sich dann setzte. Sein zusätzliches Tablett neben unseren überforderte die Platzkapazität der Tischplatte. Es zwang Simba und mich, unsere Essen so lange hin und her zu schieben, bis keiner mehr die Befürchtung hegen musste, dass eines vom Tisch fiel.

„Ist viel los hier“, vermeldete er lächelnd in entschuldigendem Tonfall, bevor er sich emsig über sein Menü hermachte.

Normalerweise lag mir nach so einem Blend-a-med-Lächeln und so einer Null-acht-fünfzehn-Bemerkung eine dementsprechende Antwort auf der Zunge. Irgendetwas hielt mich davor zurück. Wahrscheinlich meine Selbstbeherrschung, die ich benötigte, um meine Augen nicht immer wieder auf sein Erscheinungsbild wandern zu lassen. Er sah verdammt gut aus. Trotzdem er stets mit dem Handrücken an seiner Nase herumrubbelte und schniefte, während er genüsslich kaute. Scheinbar hatte er Schnupfen.

„Wovon sprachen wir?“, fragte ich Simba, der es offenbar ähnlich erging wie mir. Auch ihr Blick schweifte immer wieder auf diesen Mann. Auf meine Frage straffte sie sich, als hätte sie eine Tarantel gebissen und genauso hörte sich ihr Kommentar an: „Tut mir leid, geht nicht. Vielleicht ein andermal, wäre toll.“

Ich bekam den Silberblick, als hätte ich ihn bestellt. Was sie meinte und wovon sie redete, wusste der Kuckuck, ich jedenfalls nicht. Aber als kluge, angehende Abteilungsleiterin war mir sofort klar, dass in Anbetracht unseres unwillkommenen Gastes Erik als Gesprächsthema ausfiel.

„Sagen Sie, kennen wir uns nicht? Entschuldigung, Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“

Er schniefte wieder. Hatte er kein Taschentuch?

Von einer komischen Oper in die nächste geschleift, zeigte mein Zeigefinger, auf meine Brust, wobei ich stotterte: „Meinen Sie mich?“ Meiner Meinung nach eine angebrachte Frage, immerhin saß ich nicht allein an dieser winzigen Platte, die sich Tisch nannte.

Er nickte. „Sie erinnern mich an jemanden.“

Na, die alt bewährte Anmache war zutiefst abgegriffen in heutigen Zeiten, mit ziemlichen Kratzern wohlgemerkt. Dennoch gefiel sie mir. Aber nie und nimmer hätte ich das zugegeben.

Simba beobachtete uns mit den Blicken einer Löwin, die vor der reißenden Schlacht ihr Opfer fixierte. Ich saß wie auf glühenden Kohlen.

Wenn man schon einmal das Glück hatte, dass sich ein toller Mann scheinbar für einen interessierte, wollte man sich souverän, witzig und schlagfertig zeigen, um ihm zu imponieren und eventuell sein Interesse zu steigern. Aber wie sollte man das von einer Sekunde zur anderen bewerkstelligen, wenn man sonst auch nicht zu den Pointenerfindern der Schöpfung zählte? Mir fielen die besten Kommentare ja meistens erst hinterher ein, abends allein im Bett, im Falle sämtliche Gespräche des Tages Revue passierten. Unter dem Druck von „so wär ich gern“, brachte ich trotz Anstrengung nur ein saudämliches Grinsen zustande. Wenigstens half mir das, Zeit zu schinden, bevor Dümmeres über meine Lippen kam, das mich endgültig blamierte.

„Irgendwo hab ich Sie schon gesehen“, spann er aus. „Wenn ich nur wüsste, wo?“ Er begann in seinen Hosentaschen zu wühlen. Gleich darauf zog er ein Taschentuch hervor, in das er geräuschvoll anhaltend hineinschnäuzte.

Simba sah aus, als fühle sie sich überflüssig und stand auf. „Muss gehen“, meinte sie, „es kommt ein Interessent, der vielleicht eines meiner Bilder kauft.“

Mir fiel das Besteck aus der Hand. „Warte, ich muss auch ...“, sprudelte es aus meinem Mund, zusammen mit einigen Essensbrocken, die auf der Tischplatte landeten. Von diesem Schönling „angemacht“ zu werden war für mich unmöglich länger zu verkraften. Ohne Simbas symbolischem Schutz schon gar nicht. Dieser Fremde brachte meine sonst so gefestigte Persönlichkeit derart ins Torkeln, dass ich mir nur noch behämmert vorkam in seiner Gegenwart. Als betagter Beziehungspleiten-Single machte ich mir natürlich nichts vor. Im mittäglichen Zeitvertreib hätte er vermutlich jede angebaggert, deren Weg er kreuzte. Eine alltägliche Sache. Nicht Wert, lange darüber nachzudenken. Schon gar nicht irgendetwas daraus zu schließen. Eine nichtssagende Zufallsbekanntschaft, die regelrecht danach schrie, sie zu vergessen.

Auf der Straße angelangt, im Schnee vorwärts stapfend, rückte mir Simba meinen verwirrten Kopf zurecht: „Wieso bist du nicht geblieben, wo ich extra das Feld räumte.“

Spinnt die? „Es genügt, dass Claudia mich verkuppeln will. Fang du nicht auch damit an.“

„Nicht nötig. Sogar ein Blinder hätte bemerkt, dass er sich für dich interessiert.“

„Sei nicht albern. Auf so eine plumpe Anmache kann ich in meinem Alter verzichten.“

Schelmisch wog sie den Kopf hin und her. „Na, na. Für mich sieht es aus, als hätte dich diese plumpe Anmache ganz schön durcheinandergebracht.“

„Unsinn“, dementierte ich das aufs Schärfste.

„Sag, ob er dich echt kennt? Manchmal beruht eine Anmache ja auf Wahrheit.“

Ich wollte nichts mehr davon hören. Trotzdem fing es im tiefsten Winkel meiner Seele zu sprudeln an. Was mich ärgerte, mir außerdem unbegreiflich war, der Mann war mir unbekannt. An ihn zu denken und gleichzeitig zu fühlen, wie ein Teenager vor dem ersten Date, kam mir drastisch albern vor. Grund genug, mir jeden weiteren Gedanken darüber zu verbieten. Auf mich wartete die Karriereleiter. Täglich umschwirrten mich Umsatzzahlen, Mankozahlen und Kundenbewertungszahlen. Dazu passte keine Liebesromanze.

Bedauernd, dass unser Gespräch in eine Richtung dementiert war, die sich so gar nicht als hilfreich erwies, hinsichtlich Simbas Problems, sagte ich: „Haben wir schon mal darüber gesprochen, dass jeder in unserem Universum das magnetisch anzieht, was er denkt und das, was er denkt, lebt?“

Unmutig zog Simba ihre Stirn in Falten. „Vorträge über esoterische Lebensweisheiten sind mir ein Gräuel, das weißt du. Noch mehr, bei dieser Kälte.“

Durch die Winter-Minusgrade zitternd stellte sie ihren Kragen auf. „Aber wie ich dich kenne, hält dich das auch nicht ab, mich zu bekehren.“

„Keine Angst, auf offener Straße ist mir das bei dieser Jahreszeit zu ungemütlich.“

Wir lachten. Danach erfüllte mich eine gewisse Ernsthaftigkeit. „Dachte, du bist meine Freundin.“

Simba wirkte eingeschnappt. „Bin ich auch.“

„Dann müsstest du wissen, dass mir alle Männer gestohlen bleiben können ...“, mit dem Daumen zeigte ich zum Restaurant zurück, „... und dieser Schönling nicht für mich bestimmt ist, weil ich das so will.“

„Okay, okay. Warum steigerst du dich in die Sache überhaupt so hinein?“

Ich stutzte. Tat ich das? Ein paar denkwürdige Sekunden folgten, bevor meine verwirrten Sinne es wieder zuließen, meine Gedanken auszusprechen. „Wir reden abends darüber, okay?“

Simba zuckte die Schultern. „Vielleicht. Kommt darauf an, wie lange Erik bleibt.“

„Meldest du dich?“

„Mach ich.“

Das Frostwetter ließ ihre Nase schon rot werden. Dennoch musste noch Zeit sein, meine Hand freundschaftlich auf ihren Arm zu legen und ihr Problem nochmals anzusprechen: „Hör auf dein Herz, Kleine. Es sitzt am richtigen Fleck und weiß, was gut für dich ist.“

Kaum ausgesprochen überkam mich das Gefühl, mit diesen Worten zu tief in den Schmalztegel gegriffen zu haben. Oder? Doch nicht. Denn Simba nickte gerührt, ein lang gedehntes „hmm“ von sich gebend.

„Tschüss, meine Liebe.“

Nach einer kurzen Umarmung war das Thema Beziehungen gottlob erst mal erstarrt.

Einen Fuß voran gesetzt, um zur nächsten berufsmäßigen Herausforderung zu eilen, dudelte mein Handy in der Handtasche. Ich wühlte, suchte, fand und drückte schließlich auf den Verbindungsknopf, ohne nachzusehen, wer dran war, was sich als bedeutender Fehler herausstellte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Spuk aus einem längst vergangenen Leben, der mit regelmäßiger Sicherheit immer wieder auftauchte. Nur das Gefilde der Seligen wusste, wann sich der leidige Geist endlich in nichts auflöste. Kurt, mein Ex-Mann. Ich wünschte ihm nichts, was er sich nicht selbst wünschte, jedoch stieg mit jedem Telefonat, das ich mit ihm führte, der Wunsch in mir, dass er sich endgültig und besiegelt ins Land der Bananen verpissen würde.

„He Baby, gut, dich zu erreichen.“

Diese Leier war mir bekannt. Schon überlegte ich, ob ich diesmal vorsichtshalber einen Psychiater oder die Lebenshilfe zu Rate zu ziehen sollte. Bei aller „Liebe“ aber auch mir gingen irgendwann die Sprüche aus, die in höhere Schwingungen stimulierten. Noch deutlicher zeigte sich dieses Phänomen, wenn die Sprüche für Kurt gedacht sein sollten.

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9783750225701
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