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Eine Reise nach Sri Lanka

Apropos Landkarte: Lassen Sie sich für einen kleinen Moment nach Sri Lanka entführen. Im Südwesten des Landes fließt der Madu Ganga River. Hier geht an einem sonnigen Nachmittag eine kleine Gruppe junger buddhistischer Mönche baden. Sie tummeln sich, haben Spaß, freuen sich an der Sonne und am Leben. Manche von ihnen sind gute Schwimmer, andere weniger gute. Sie reden, planschen, genießen die Leichtigkeit dieses schönen Tages. Einer der besseren Schwimmer kommt auf einmal auf die Idee, den Grund des Flusses mit dem Fuß berühren zu wollen. Gesagt, getan, so taucht er unter und berührt mit den Zehen den Boden. Doch als er auftauchen möchte, verfängt sich seine Robe in einer Pflanze, die Robe löst sich, der junge Mönch hat eine schlimme Ahnung: Ein Tier könnte ihm die Robe entrissen haben. Er schwimmt an die Oberfläche, doch er möchte nicht nackt zu den anderen Mönchen schwimmen, also taucht er wieder unter und sucht im trüben, aufgewühlten Wasser nach der Robe. Nun ergreift ihn endgültig die Panik, denn er findet sie nicht, schluckt Wasser und ruft schlussendlich nach Hilfe, als er zappelnd wieder auftaucht. Die meisten der anderen Mönche denken, er mache nur Spaß. Doch der Mönch Kusala Thero (kurz Thero genannt), der ein guter Freund des Schwimmers ist, erkennt seine Notlage, zögert nicht, schwimmt zu ihm hin, um ihm zu helfen.

Allerdings ist er selbst überhaupt kein guter Schwimmer. Nichtsdestotrotz versucht er, seinem Freund zu helfen, der sich voller Panik an ihn klammert und ihn mit sich in die Tiefe reißt. Seine Rettung ist, dass er als Mönch die Kunst der Gelassenheit gelernt hat. Er weiß zwar, dass sich die Situation hier alles andere als gut entwickelt, doch er bleibt ruhig in der Umklammerung des panischen Kollegen. Er weiß, dass sie beide ertrinken werden, wenn auch er nun panisch wird. Zu guter Letzt kommt einer der anderen Mönche und löst den panischen Mönch von Thero, beide können schließlich wieder auftauchen.

Während Thero mir diese Geschichte erzählte, lächelte er mich an und sagte: »Ich war sehr empathisch, aber das war falsch! Ich bin kein guter Schwimmer, ich habe die Empathie mir selbst gegenüber vergessen! Empathie taugt nichts, wenn man sie nicht klug einsetzt. Ich hätte mit meinem Freund ertrinken können und das hätte niemandem genützt!«

Auf meiner Suche nach dem Wesen der Empathie landete ich im Januar 2017 auf Sri Lanka. Ich hatte im Vorjahr an einem Meditationskurs bei einem buddhistischen Mönch teilgenommen – dieser Mönch war kein anderer als Thero. Mit ihm kam ich ins Gespräch über Empathie, und er lud mich in seinen Tempel in seinem Heimatland ein, um vor Ort mit ihm darüber zu sprechen – denn im Buddhismus spielt Empathie eine wichtige Rolle. Kaum angekommen, berichtete mir Thero davon, wie gefährlich Empathie werden kann. Er sagte: »So ist es immer mit der Empathie. Wir müssen klug entscheiden, wie wir sie einsetzen, sonst kann sie absolut sinnlos oder gefährlich sein.« Empathie kann auch sinnlos sein? Oder gar gefährlich?

»Jemand ist vor meinen Augen untergegangen, ich habe es gefühlt, jeder würde das fühlen. Ich habe aber nicht den passenden Weg gewählt. Ich hätte meine Freunde holen können, um zu helfen. Alle haben gedacht, er macht nur Spaß. Ich wollte ihm helfen, doch er sprang auf mich drauf. Wir gingen gemeinsam unter. Er schrie: ›Bitte rette mich, schütze mein Leben!‹ Ich konnte mich überhaupt nicht bewegen, wir sind noch zwei Mal zusammen untergegangen. Ich teilte mir meinen Atem ein, deswegen habe ich mich nicht gegen ihn gewehrt. Ich managte meine Emotionen, ich hatte keine Panik. Ich war nicht emotional und ich hatte keine Angst vorm Sterben. Ich benutzte in diesem Moment endlich Empathie für mich selbst – Panik hätte mich umgebracht. Einer meiner Freunde kickte ihn schließlich weg, dann waren wir alle in Sicherheit. Es ging gut aus, ich habe nur zwei- oder dreimal Wasser geschluckt, aber das war ganz und gar nicht angenehm.« Er lachte, als er sich daran erinnerte.

Empathie hat auch Schattenseiten

Empathie scheint also auch Schattenseiten zu haben. Vor diesen warnt Fritz Breithaupt in seinem 2017 erschienenen Buch »Die dunklen Seiten der Empathie«. Er meint, dass wir Empathie durchaus auch kritisch begegnen sollten. Er argumentiert, dass Empathie zu Selbstverlust führen kann – so wie Thero es beschrieben hat: Wir bringen uns dann selbst in Gefahr. Darüber hinaus führt Breithaupt an, dass Empathie Konflikte sogar fördern könne, weil wir als Menschen dazu tendieren, Partei zu ergreifen, wenn wir mit einer Seite mitfühlen. So könne Empathie dazu führen, dass wir uns als Retter aufspielen, statt echtes Mitgefühl zu entwickeln, wodurch der helfende Mensch sich selbst besser fühle, dem Leidenden jedoch im Grunde mehr Schaden zufüge. Diese Form der Empathie sei ausschließlich auf sich selbst bezogen.

Die Möglichkeit, Empathie sadistisch zu genießen, schreibt er nicht nur Psychopathen zu, sondern er hält sie auch im Alltag für relevant, nämlich dann, wenn Menschen herabgesetzt, öffentlich bloßgestellt oder gedemütigt werden. Leider geschieht das ja allzu oft, denken wir nur ans Mobbing oder Cyber-Mobbing unter Jugendlichen oder an Situationen am Arbeitsplatz, Unterdrückung von Frauen, unwürdige Arbeitsbedingungen. Jeder Mensch kann sich vorstellen, wie es sich anfühlt, so behandelt zu werden. Doch trotzdem genießen es offenbar manche Menschen, andere leiden zu sehen, so absurd es auch erscheinen mag.

Die grundlegende Fähigkeit zur Empathie birgt also auch Risiken und kann sogar missbräuchlich eingesetzt werden, entweder bewusst, um anderen zu schaden, oder unbewusst, um selbst besser dazustehen.

Auch Thero sah solche und ähnliche Gefahren der Empathie. In unserem Gespräch wunderte er sich:

»Interessant an der Empathie in der westlichen Welt ist, dass die Empfindung oft mit dem Wunsch zu bestrafen verbunden ist. Wenn du siehst, dass ein Reh von einem Tiger gefangen wird, fühlst du Empathie gegenüber dem Reh. Das ist klar. Im gleichen Moment fühlst du aber auch Ärger gegenüber dem Tiger. Diese beiden Gefühle sind miteinander verbunden. Vegetarier und Veganer hassen zum Beispiel die Menschen, die Tiere töten. Sie fühlen nicht nur mit den Tieren, sondern verurteilen gleichzeitig andere. Wie können wir damit umgehen?

Es geht hier um Weichheit. Bleibe immer in der Mitte, gehe nicht ins Extrem! Der Tiger ist auch ein Tier. Wo ist der Unterschied zwischen dem Tiger und dem Reh? Das Reh ist nur der schwache Part. Aber wir denken nicht daran, dass der Tiger ja auch etwas essen muss. Auch er muss überleben! Es ist falsch, jemanden verletzen zu wollen, das ist keine Empathie.«

Empathie heißt also in diesem Fall, dass wir einem Wesen gegenüber Mitgefühl empfinden, während wir denjenigen verurteilen, der »schuld« an der Verletzung ist. So sollte das nicht sein – Empathie ist frei von negativen Gefühlen gegenüber Mensch und Tier.

Ist das tatsächlich so? Ich beschütze zum Beispiel mein Kind vor dem schlagenden anderen Kind, tröste das eigene und schimpfe das andere Kind aus, anstatt vollständig für mein Kind da zu sein. Oder ich sehe einen Konflikt unter Kollegen und beziehe Stellung – meist automatisch für den einen und gegen den anderen Part. Wenn ich also beide Parteien kenne und sehe, schlage ich mich mithilfe der Empathie auf die eine oder andere Seite und fördere damit den Konflikt mehr, als dass ich ihn löse. Jemandes verletzte Gefühle zu spüren, bedeutet also auch oft, gegenteilige Gefühle für den Verursacher zu entwickeln.

Ich fragte Thero, wie wir empathisch bleiben können, wenn Menschen etwas tun, was den eigenen Werten absolut widerspricht. Seine Haltung dazu: »Wir lehnen diese Menschen nicht ab. Wir wollen nicht den Menschen entfernen, sondern seine falsche Überzeugung von ihm lösen. Wir möchten gerne Alternativen bieten. Empathie heißt nicht, dass du zustimmen musst. Bleib in der Mitte, hasse nie jemanden. Menschen machen Fehler. Wir können über Dinge diskutieren, Lösungen anbieten und friedlich miteinander umgehen.«

Starke Gefühle steuern die Empathie

Wir sprachen viele Stunden angeregt über Empathie. Was sie ist, was sie sein wollte, was sie nicht ist. Vor allem scheint Empathie etwas zu sein, was starke Gefühle auslöst, und genau das macht oft Probleme, so Thero: »Manchmal fühlen Menschen einfach nur etwas und wissen dann nicht, was sie damit tun sollen. Wie sie die Empathie managen, wie sie reagieren sollen: Sie sind einfach überwältigt. Sie gehen dann über ihre Grenzen. Dann macht Empathie viele Probleme in ihrem Leben. Wenn du jemandem helfen willst, musst du zuerst herausfinden, wie du helfen kannst. Wir sind Menschen, wir fühlen auf jeden Fall etwas – das ist die Empathie: Wir fühlen, jemand geht unter, es ist lebensgefährlich für ihn. Das gehört zum Menschsein.«

Wir sind also mit dieser Fähigkeit ausgestattet, zu spüren, dass jemand in Not ist, dass es jemandem schlecht oder gut geht: Wir gehen in Resonanz mit den Gefühlen anderer. So weit, so gut.

»Die andere Seite ist: Wenn du ihm helfen willst, musst du selbst als Erstes in Sicherheit sein. Das bedeutet nicht, dass du egoistisch bist. Du bist dein eigener Beschützer. Keiner sonst wird dich beschützen. Es bedeutet, wenn du jemandem helfen willst, musst du stark genug dafür sein. Wenn du Empathie empfindest, dann versuche gleichzeitig, dein Wissen zu benutzen. Deswegen brauchen wir unsere ganze Aufmerksamkeit. Wir sollten weder in Panik geraten, noch sollten wir zu emotional reagieren.

Du solltest dich daran gewöhnen, Entscheidungen aufgrund deines Wissens zu treffen, nicht nur aufgrund von Emotionen. Emotionen kommen und gehen. Sie sind nicht stabil. Wenn du emotional bist, ist es egal, ob du gebildet bist oder nicht, weil du dein Wissen sowieso nicht benutzt. Es sind nur Gefühle, die kommen und gehen.

Also, wenn du sehr empfindsam bist und die Empathie nicht handhaben kannst, dann bist du in großen Schwierigkeiten. Wenn jemand im Schlamm untergeht, kannst du nicht mit ihm schwimmen, denn dann stirbst du! Weil alle Mühe schnell vergebens ist, wenn du keine saubere Technik verwendest. Wenn du zum Beispiel weinst, sollte ich nicht mit dir weinen. Ich sollte dir dabei helfen, deine Traurigkeit oder dein Problem zu überwinden. Wenn ich nur weine und dich umarme, ergibt das keinen Sinn. Dann gehen wir beide unter.«

Empathie bedeutet: Ich weiß, was du fühlst, aber ich weiß auch genug, um zu verstehen, dass ich meine Reaktion klug auswählen muss, wenn ich helfen will.

• Empathie hat auch Schattenseiten.

• Starke Gefühle können in einer Notsituation hinderlich sein.

• Empathie erfordert, unser Wissen und unsere Erfahrungen zu nutzen.

• Empathie heißt nicht zwangsläufig, für jemanden Partei zu ergreifen und die andere Seite zu verurteilen.

• Wahre Empathie möchte helfen und nicht manipulieren oder sich am Unglück anderer erfreuen.

• Empathie erfordert klare Gedanken.

Was ist Empathie?

Also, womit haben wir es bei der Empathie zu tun? Der Begriff wird schon sehr lange sehr kontrovers diskutiert. In der Philosophie ging es los, hier wurde das Wort »Einfühlung« dem griechischen Wort »empatheia« gleichgesetzt – man bezog sich auf die Interpretation von ästhetischer Kunst, Musik und Natur. Theodor Lipps (1851 – 1914), ein deutscher Philosoph und Psychologe, war einer der Ersten, die sich mit dem Begriff auseinandersetzten.

Es folgten verschiedene Einflüsse, unter anderem von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. Er definierte Empathie als die Erkundung dessen, was dem Ich fremd ist. In den letzten Jahrzehnten kümmerten sich die Psychotherapie, die Sozialpsychologie, die Spiritualität und verschiedene Richtungen der Kommunikationsmethodiken um die Empathie. Ich möchte Sie hier nicht mit ihrer Geschichte und den verschiedenen Definitionen aufhalten. Schauen wir uns an, wie wir uns dem Begriff noch nähern können.

Wikipedia, das vielleicht populärste Lexikon unserer Zeit, bietet folgende Definition:

»Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen. Zur Empathie wird gemeinhin auch die Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen gezählt, zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz und Hilfsbereitschaft aus Mitgefühl. Die neuere Hirnforschung legt allerdings eine deutliche Unterscheidbarkeit des empathischen Vermögens vom Mitgefühl nahe. Grundlage der Empathie ist die Selbstwahrnehmung – je offener eine Person für ihre eigenen Emotionen ist, desto besser kann sie auch die Gefühle anderer deuten.« (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Empathie; Hervorhebungen: M. H.)

Drei Phasen der Empathie

Empathie umfasst also offenbar drei Phasen, ohne dass wir diese verbal voneinander trennen: Zum einen umfasst Empathie, die Gedanken und Gefühle eines anderen Menschen zu erkennen und diese dann zu verstehen. Das sind die ersten beiden Schritte. Wir sehen, hören, bemerken einen Zustand, eine Eigenschaft, ein Gefühl eines Menschen. Dann folgt das Verstehen bzw. der Versuch einer Einordnung. Bis hierhin ist das ja oft schon kein leichter Weg – wir müssen aufmerksam genug sein, um die manchmal sehr feinen Anzeichen zu bemerken und zu verstehen. Sobald wir also etwas erahnen oder verstehen – was folgt danach?

Die nächste Stufe beschreibt das Handeln: Was machen wir mit dieser Information, die wir über einen anderen Menschen durch unsere Empathie, unsere Einfühlung erlangen?

– Tun wir etwas, um zu helfen? Ist unsere Handlung damit ein selbstbezogener Akt, also wollen wir uns durch das Helfen besser fühlen, oder handeln wir altruistisch, nur für den anderen? Oder ist sogar das eine immer mit dem anderen verbunden – fühlen wir uns nicht grundsätzlich besser, wenn wir anderen helfen?

– Tun wir nichts, um zu helfen? Kann auch Nichtstun eine Form der Empathie sein? Indem wir nichts tun, außer zunächst einmal nur für den anderen da zu sein?

– Sammeln wir dieses Wissen, um den anderen zu manipulieren und ihm zu schaden?

Diese drei Möglichkeiten haben wir. Nachdem wir also die ersten beiden Schritte gegangen sind (wir haben erkannt, mit dem anderen ist etwas los; wir verstehen es auch, können nachvollziehen, was ihn beschäftigt), sollten wir weise entscheiden, was wir tun werden. Und dafür brauchen wir unsere volle Präsenz, unsere Erfahrungen und unser Bewusstsein. In diesem Zusammenhang wird übrigens zwischen prosozialem und antisozialem Handeln unterschieden. Entweder handeln wir im Sinne der Gesellschaft, für jemand anderen (prosozial) oder gänzlich ohne Rücksicht auf das Wohl des / der anderen, sondern nur im Eigeninteresse (antisozial).

Interessant an der Definition von Wikipedia ist, dass nur eine angemessene Reaktion auf die Gefühle anderer als Ausdruck von Empathie gelten soll. Was ist angemessen und wer definiert Angemessenheit? Woran messen wir unsere Reaktion? Aus der Geschichte des Mönchs Thero können wir schließen, dass wir unsere Reaktion (die Handlung) an verschiedenen Parametern ausrichten können:

1. An unseren eigenen Fähigkeiten. Wenn wir nicht schwimmen können, ist es sinnlos, einen Ertrinkenden retten zu wollen. Wir müssen uns also unserer selbst bewusst sein, bevor wir »hirnlos« zu Hilfe springen.

2. Am Umfeld. Welche Ressourcen stehen uns zur Verfügung? Wenn wir selbst limitiert sind in unseren Möglichkeiten zu helfen, wer oder was könnte dann helfen? Welche Mittel stehen uns zur Verfügung?

3. An unserem Wertesystem. Ein Beispiel: Wir können vielleicht nachfühlen, dass es Menschen nahegeht, wenn sie für etwas demonstrieren, was ihnen wichtig ist. Wenn diese Inhalte aber nicht unserem Wertesystem entsprechen, können wir so empathisch sein, wie wir wollen, wir werden sie nicht bei etwas unterstützen, an das wir nicht glauben.

4. An Alternativen. Heißt Empathie immer, in der Art und Weise helfen zu müssen, wie der Hilfesuchende sich das wünscht? Ist es denkbar, dass sich Empathie auch darin ausdrücken kann, durch Gespräche zu einem neuen Standpunkt zu verhelfen? Sehen wir uns dazu in der Lage? Oder ist es sogar empathisch, gar nicht zu handeln, weil wir zu dem Ergebnis kommen, dass es besser ist, nicht einzugreifen?

Was umfasst die Empathie?

Eine weitere Frage habe ich an die Empathie – geht es hier eigentlich immer um das Leid eines anderen? Bezieht sich Empathie auf diejenigen, denen es irgendwie schlechter geht als mir, oder kann ich Empathie auch bei Freude und Erfolgen zeigen, indem ich mich mit anderen über ihre Erfolge, über tolle Dinge in ihrem Leben freue und auf diese Weise Anteil nehme?

Wenn wir genau hinsehen, müssen wir uns eingestehen, dass es uns oft auch daran fehlt: an der Fähigkeit, sich wirklich mit anderen zu freuen, statt neidisch, eifersüchtig oder missgünstig zu reagieren. Ein aufrichtiges Mit-Freuen setzt in gleichem Maße voraus, dass erkannt, verstanden und gehandelt wird, und ist somit empathisches Handeln im Sinne der oben genannten Definition. Empathie bezieht sich also auf alle Gefühle, die von Freude und die von Leid geprägten.

Beim Nachdenken über Empathie taucht eine weitere Frage auf: die Frage nach der Zeitachse. Wenn wir Leid oder Freude eines anderen sehen, hören oder spüren, dann geschieht dies nahezu gleichzeitig: Empathie entsteht im Hier und Jetzt. Doch wie ist das mit Situationen, über die wir im Vorhinein empathisch nachdenken? Wenn wir zum Beispiel überlegen, ob wir den Arbeitskollegen in eine Entscheidung mit einbeziehen oder nicht, wissend, dass er gerade genug andere Belastungen hat und wir ihm diese zusätzliche Information ersparen könnten. Oder was ist mit Situationen, die wir im Nachhinein reflektieren, mit dem Ergebnis, dass uns die Dinge dann anders berühren und wir vielleicht im Nachgang etwas klären wollen oder sogar verändern? Wenn wir zum Beispiel mit einer Freundin Klartext gesprochen haben und anschließend überlegen, ob wir vielleicht zu hart gewesen sind. Wir können sie noch einmal anrufen und die Sache klären oder andere Worte wählen.

Nach meinem Verständnis ist Empathie daher nicht an eine Zeitachse gebunden. Sie kann sich gleichzeitig, im Nachhinein oder in der Vorwegnahme zeigen – und wir können sie jederzeit aktiv in unser Bewusstsein holen.

Und noch eine dritte Frage: Zeigt sich Empathie in Bezug auf einen einzelnen Menschen, auf eine Gruppe von Menschen oder auf eine ganze Gesellschaft? Meiner Meinung nach beginnt empathisches Handeln beim Kontakt mit Einzelnen: mit dem Nachbarn, mit der Familie, mit den Kollegen auf der Arbeit und mit der Verkäuferin im Supermarkt. Sie wird dann zur inneren Haltung Menschen gegenüber und erstreckt sich mit zunehmender Übung auf ganze Gruppen von Menschen. Sie prägt unseren Umgang mit der Welt. Das tägliche Üben allerdings startet zwischen Mensch und Mensch.

Bevor ich im Folgenden den Versuch einer Definition wage, lassen Sie uns erst noch einmal darüber nachdenken, was Empathie ganz sicher nicht ist.

1. Empathie ist kein Dauerzustand, aber eine Grundhaltung anderen gegenüber.

2. Empathie ist nicht mit Helfersyndrom gleichzusetzen.

3. Empathie bedeutet nicht, sich selbst nicht wichtig zu nehmen.

4. Empathie bedeutet nicht, keine eigenen Entscheidungen zu treffen.

5. Empathie bedeutet nicht, alles so zu lassen, wie es ist, um keinen zu belästigen.

6. Empathie bedeutet nicht, niemals zu diskutieren.

7. Empathie heißt nicht, ständig mit allen mitzuleiden.

8. Empathie bedeutet nicht, hellseherisch zu wissen, was ein anderer will und fühlt.

9. Empathie heißt nicht, stets selig zu lächeln.

10. Empathie ist kein Luxusgut, das wir uns nur leisten können, wenn es uns gut geht.

11. Empathie ist niemals an Bedingungen gekoppelt.

12. Empathie ist nicht an Erwartungen geknüpft.

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