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Beispiel „Das Bauwerk“

Bei einem Bauwerk kann es das Ordnungsgefüge von Inhalt, Form und Standort sein, das in seiner besonderer Gestaltung, in Konstruktion, Proportion und Material einen symbolischen Ausdruck findet. Ist das Richtige zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammengefügt, kann es zum „magischen Moment“, zu einer „lebendigen Qualität“ kommen. Für den sensiblen Betrachter kann sich ein ganz besonderes Gefühl einstellen, das berührt und das Selbstkonzept des Betrachters bestätigt oder es durch diese Berührung verändert. Der Architekt Peter Zumthor sagt: Ich glaube, jedes gut geschaffene Ding hat ein ihm angemessenes Ordnungsgefüge, das seine Form bestimmt und zu seinem Wesen gehört.

Das Geheimnisvolle des Symbols weist über das konkrete Ordnungsgefüge hinaus, sobald sich der „magische Moment“ im richtigen Gefüge von Inhalt, Material, Konstruktion, Gestalt, Erfahrung und Erlebnis ergibt. Der Geist des Ortes existiert über seine Zeichen und Symbole. Sie bringen die Angemessenheit des Ordnungsgefüges zum Ausdruck und rufen in einem solchen positiven Fall Gefühle von Verbundenheit, Harmonie und manchmal auch Ergriffenheit hervor.

Die Belanglosigkeit, die Mittelmäßigkeit von Bauwerken bestimmen auch die Gefühle der Menschen, die sie nutzen und erleben. Respekt für Gebäude in denen Menschen aufwachsen, leben und arbeiten erfordert, dass den Gefühlen der Menschen Respekt entgegengebracht und den Gebäuden emotionaler Wert zugeeignet wird. Gefühle der Zugehörigkeit, der Würde, der Freude lassen sich durch die symbolische Qualität der Gebäude, durch das Verbindende schaffen, das das Symbol bewirkt.

Beispiel „Das Haus“

Im Traum hat sich jemand ein Haus gebaut, und als er hineingeht, findet er darin viele zerlumpte Gestalten vor, verwahrloste Menschen, die alles zerstören, was darin ist. — “Wie geht es, altes Haus?“, sagt jemand schon mal zur Begrüßung.

Die Symbolik des Hauses ist Projektionsfläche für Vor- und Unbewusstes. Häuser sind Zentren akkumulierter Energie. Im Traum erscheint das Haus, gleichgültig, um welche Art von Gebäude es sich handelt, oft als Ausdruck des Menschen in seiner Ganzheit als Körper, Geist und Psyche. Es erscheint als Symbol für die Persönlichkeit des Bewohners oder Träumers, manchmal als feste oder bröckelnde Burg, als Hütte oder Stall — oder wie im obigen Traum, als gefährlicher Ort. In der Stimmung, der Zustimmung, der Ablehnung, der Gleichgültigkeit oder der Verwunderung findet sich ein Betrachter „ein Stück weit“ selbst wieder. In seinem wegbereitenden Traum zur Entwicklung der eigenen tiefenpsychologischen Sicht befindet sich C.G. Jung in einem behaglichen Wohnzimmer, von dem aus er das Haus bis hin zum Keller erkundet. Jung sah den Traum als eine kurze Zusammenfassung seines Lebens und insbesondere seiner geistigen Entwicklung.

Als Symbole für die Ganzheiten von Menschen — vom „Dachstübchen“ über die „bewussten“ Geschosse bis hin zu den unzugänglichen und gefährlichen Kellerräumen und Gewölben — lassen solche Bilder vom Haus, sei es im Traum, sei es in der Realität eines eigenen Hauses, die eigene Lebensrealität unabhängig von fremden Erwartungen aufscheinen.

Sein monströses Totes Haus ur hat der Bildhauer Gregor Schneider im Jahre 2001 als deutschen Beitrag zur Biennale in Venedig gebracht: ein unheimliches, irres, bizarres Haus voller Gerümpel, in dem die Türen, Fenster und Treppen ins Nichts führen. In einem Fernsehbeitrag dazu sagte der Künstler den Satz: „Wände können Zeit einfrieren“.

Das sei der Fall, wo Häuser und Wohnungen zu Privatgefängnissen werden, der Schutzraum zum Albtraum. Der „Tatort Elternhaus“ bleibt meist unerkannt, weil es sich hierbei um den am stärksten tabuisierten Ort handelt.

Albtraumartig sind Häuser allerdings auch in ausufernden Vorstädten, langweiligen Hochhaussiedlungen, lebensgefährlichen Favelas und Townships, öden Investorenbauten. Missstimmung, Depression, Lustlosigkeit, Aggression, Machtlosigkeit sind die Begriffe für das, was hier wirkt und was sich in die Psyche der Bewohner einprägt.

Beispiel „Die Wohnung“

Was für ein „Geist“ herrscht in unseren vier Wänden? Welche emotionale Qualität hat die Wohnung? Welcher Symbole bedient sich dieser „Geist“ des Ortes?

Jede Wohnung ist eine komplexe Wirklichkeit, eine verdichtete Einheit von Dingen und Bezügen, verwoben mit den Symbolen, Mythen und Alltagsritualen, die das Leben der Bewohner durchziehen. Durch „Lesen“ und „Deuten“ dieser Bezüge, durch einfühlsame Betrachtung des Bildes und nachdenkliche Analyse lässt sich manches erschließen, was unbewusst vorhanden ist. Der Blick auf die Symbolwelt der Wohnung und der Wohnumgebung kann Sensibilität und Wachheit befördern und Gefühle auslösen, wie Kunstwerke es tun und künstlerische Produktion es möglich machen. Es gilt also eigene Erfahrungen zu machen, die darauf abzielen das Unbewusste hilfreich zu erleben und es sich zunutze zu machen, um den eigenen Platz und die eigene Bedeutung zu entdecken, und es geht um Raum, den man sich dafür nimmt.

Mit der Entscheidung für eine Wohnung, deren Einrichtung und die Einrichtungsgegenstände bringen wir unsere eigenen Einstellungen zum Ausdruck, machen wir eine biografische Aussage über uns selbst.

Es gibt Wohnungen, die sind so vollgestopft, dass der Besucher zu ersticken glaubt. Andere sind hell, luftig und großzügig, es gibt imposante, lustige, sterile, praktische, unpraktische, kurz: jede Art von Wohnungen.

Von dem Sammler, Nervenarzt, Künstler und Filmemacher Ottomar Domnick ist bekannt, dass er sein Haus in Korrespondenz zur abstrakten Kunst, die er sammelte, komplett mit darauf bezogenem Mobiliar durchgestylt hat und sich so auch symbolisch als Vermittler der abstrakten Kunst präsentierte.

Heutige Bauträger versuchen, emotionale Qualität zu vermitteln, um ihre Wohnungen damit besser vermarkten zu können. Ein Modellprojekt (Soldiner Karree in Berlin) gibt in den Wohnungen vier Stilrichtungen vor, die auf unterschiedliche Zielgruppen anziehend wirken sollen. Die kreativen Möglichkeiten für den Ausdruck des Selbst lassen sich allerdings nicht in diese Kategorien pressen.

Beispiel „Die Stadt, die Siedlung“

In der Mythologie ist die Stadt immer schon ein Abbild des Universums. Dieses Bild kann allerdings viele unterschiedliche Ausprägungen erfahren.

Die Stadt als urbanes Zentrum — die europäische Stadt — hat im Gegensatz zu den meisten amerikanischen Städten ein deutliches Profil, in dem sich ihre Bewohner selbst-verständlich wiederfinden. Diese urbanen Städte stehen für sich als ein eigenes Symbol des europäischen Kontinents.

Die Krankheit der europäischen Stadt in Form von Zersiedelung, Entmischung und Schrumpfung beruht auf dem Versäumnis, dass den Bedürfnissen von Industrie, Wirtschaft und Handel stärker Rechnung getragen wurde, als dem Bedürfnis der Bewohner nach Identifikation und Zugehörigkeit. Mythos und Symbol, die Geschichte und die Geschichten der Stadt schaffen erst die „Magie des Realen“, die Basis für Urbanität. Im Wohnungs- und Städtebau lassen sich Symbole durch Gestalt, Muster, Proportion, Zahl, Zeichen, Farbe und anderem bewusst einsetzen. Symbolische Fähigkeiten und Fertigkeiten lassen sich erlernen, und die Bewohner der Stadt können an ihrer zusammenführenden Kraft partizipieren.

Es ist ein Anstoß nötig, um Planer, Gestalter, Architekten, Bauherren und Bewohner davon zu überzeugen und ihnen bewusst zu machen, mit welchen Symbolen und Mythen man sich umgeben will und aus welchen man Kraft zu schöpfen vermag, um die Lust an der Kunst des Denkens und Gestaltens in Bildern zu wecken.

Beispiel „Das Wahrzeichen“

Einen Akt der Bewusstmachung betreibt die Bundesingenieurkammer mit ihrer Aktion, wichtige Ingenieurbauwerke als Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland auszuzeichnen. Als erstes Bauwerk erhielt im Dezember 2005 das alte Schiffshebewerk in Niederfinow diese Auszeichnung. Die Öffentlichkeit soll damit auf die technische Kreativität und die wissenschaftlich gegründete Intelligenz, die sich hinter solchen Bauten verbirgt, aufmerksam gemacht werden. Aber es geht um mehr, als um Erinnerung und Staunen über die kreativ-technische Leistung. Es ist auch die Symbolqualität solcher Bauwerke, die fasziniert. Beim Schiffshebewerk ist es das großartig „Verbindende“ der Wasserstraßen miteinander und mit den Benutzern und Betrachtern im Kontext von Transport und Erlebnis. Auch eine Brücke kann in dieser Weise Symbol, Kulturgut und Wahrzeichen sein. Ihre kulturelle Präsenz und Verbindungsfunktion kann Anziehungskraft auf Menschen ausüben. Eine Brücke ist auch ein universelles Symbol des Übergangs, und eine unscheinbare funktionale Brücke über eine Straße kann Symbolcharakter für jemanden haben, der ein einschneidendes Ereignis damit verbindet.

Beispiel „Die Kirche im Dorf und die Moschee in der Stadt“

Ein Bild, welches das christliche Abendland bestimmt wie kaum ein anderes ist Die Kirche im Dorf. Christliche Kirchen besitzen im christlichen Abendland einen eindeutigen Symbol- und mythologischen Wert, indem sie auf die christlichen Religionen und ihre Geschichten bezogen sind.

Die Kirche Notre Dame im französischen Seebad Royan an der Mündung der Gironde wurde nach der fast völligen Zerstörung der Stadt durch die Alliierten im Januar 1945 als ein Symbol dafür geschaffen, dass die Stadt wieder auferstanden, dass sie nicht gebrochen ist. Es sollte die höchste Kirche werden, die möglich ist. Sie wurde ein Koloss, der schon aus weiter Ferne sichtbar ist und an ein Schiff, ein Symbol für die Lebensreise und Zuflucht des Menschen, wie es schon die Arche Noah war, erinnert.

Heute steht die Umwandlung von Kirchen, die nicht mehr gebraucht werden, an. Die Glaubensgemeinschaften sind oft finanziell nicht mehr in der Lage, diese Gebäude zu unterhalten. In der thüringischen Stadt Mühlhausen werden seit Langem mehrere der 14 Kirchen nicht mehr als Gotteshäuser, sondern als Bibliothek, Atelier, Theater, Museum, Jugendherberge oder Raum für Tagungen genutzt.

Es stellt sich im örtlichen Zusammenhang manchmal die Frage, ob die Kirche abgerissen, oder ob sie in eine Sparkasse, ein Restaurant, einen Supermarkt oder gar in eine Moschee umgewandelt werden soll. Die Konversion von Kirchengebäuden ist ein Zeichen für den Verlust zentraler Symbole und damit selbst ein Symbol, dessen man sich bewusst sein sollte, um die Tragweite für die europäische Kultur zu erkennen. Die Konversion der Sakralbauten ist unabänderlich, wenn sie nicht mehr gebraucht und unterhalten werden können. Das Ergebnis einer Konversion ist entscheidend dafür, ob ein mythischer Ort, ein Ort der Bindung und Identität vermittelt, erhalten bleibt oder verloren geht.

Zweifelsohne steht die Alternative der Umwandlung einer Kirche in eine Moschee dem Symbolwert der christlichen Kirche entgegen. Mit dem Verkauf von Kirchen an muslimische Gemeinschaften zieht Christus aus und Mohammed zieht ein (s. Verkauf von Kirchengebäuden der Neuapostolischen Kirche in Berlin Neukölln und Tempelhof im Herbst 2007). Es ist nur zu verständlich, dass die muslimischen Religionsvereinigungen die hässlichen Hinterhöfe verlassen wollen. Eine Gemeinschaft oder Gemeinde will sich von einer bestimmten Größe an sichtbar machen, sofern sie sich nicht als Geheimgemeinschaft versteht. Eine vernünftige und auch symbolisch tragbare Antwort darauf ist es wohl, Flächennutzungspläne und Bebauungspläne auszuweisen, die den Bau von Moscheen dort möglich und verständlich machen, wo die Mitglieder dieser Religionsgemeinschaften wohnen und wo sie mit diesem Symbol ihr Dasein repräsentieren.

Für ihre Kirchenhäuser müssen Kirchen, Kommunen und Bewohner, denen die christlichen Wurzeln etwas bedeuten, Ideen entwickeln. Nur so lassen sich über die Zeiträume hinweg die Bezogenheit und die Geschichten anhand der sie repräsentierenden Symbole bewahren.

Ein Beispiel für die Kraft eines solchen Symbols, im Hinblick auf eine Stadt oder das ganze Land, ist die wieder erstandene Dresdner Frauenkirche. Sie ist zu einem Symbol eines mit sich selbst einigermaßen zurande gekommenen Deutschlands geworden, zu einem Symbol für die Versöhnung der Deutschen miteinander und mit den Alliierten, die den Aufbau durch Spenden unterstützt haben. Hier manifestiert sich auch der Zusammenhang von Symbol und Identität. Durch das Symbol konnte die Sehnsucht vieler Menschen, sich selbst in einem äußeren Objekt wiederzufinden, gestillt werden

Beispiel „Das Denkmal“

Ein „starkes“ Bild eines Denkmals, das Emotionen aufkommen lassen kann und bei vielen Menschen ans Unbewusste rührt, ist das Stelenfeld in Berlin Mitte zum Gedenken an den Holocaust. Das Denkmal für die ermordeten Juden hat eine ungeheure Anziehungskraft entfaltet. Manchen ist es ein Spielplatz, für andere deshalb unerhört. Der Journalist Henryk M. Broder sagte im Juni 2005 in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel (09.06.2005) im Blick auf dieses Berliner Holocaust-Mahnmal, er hasse eine Architektur, die ihm sagt, was er fühlen solle.

Nur ein kleiner Teil der Besucher wird bei diesem Denkmal aber tatsächlich eine große Erschütterung spüren. Manchen erinnert das Monument, wie in dem o.g. Interview ausgesprochen, auch eher an ein Modell von Marzahn (eine in ihren Dimensionen „überwältigende“ Hochhaussiedlung im Osten von Berlin), als an den Holocaust.

Die Gestalt des Stelenfeldes in der Stadt Berlin hat inzwischen Teil am sozialen und kulturellen Charakter der Stadt. Es ist vorstellbar, in diesem Stelenfeld die aufkommenden Gefühle, Körperempfindungen, Assoziationen und Gedanken mit Bedacht wahrzunehmen, mit Interesse zu beachten und zu versuchen, in einen „Dialog“ mit den Stelen und dem Stelenfeld zu kommen. Das Bild eines Feldes von Steinen kann Assoziationen erzeugen, wenn man sie denn zulässt. Dabei besteht zumindest die Möglichkeit, dass sich eine Erfahrungsebene auftut, die den eigenen Bezug zu diesem Teil der städtischen Umwelt anders erfahrbar und die „Suggestion“ lokalisierbar macht. Das Dokumentationszentrum unter dem Stelenfeld, der Raum der Stille am Brandenburger Tor, das Jüdische Museum sind Orte, an denen sich solche Erfahrungsebenen öffnen.

Um ein Denkmal zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung wird allenthalben gestritten: Für Potsdam hatte der Potsdamer Ehrenbürger, Denkmalpfleger und Bauhistoriker Friedrich Mielke einen Entwurf für ein solches Denkmal als Geschenk angeboten. Mielke hatte sich zu DDR-Zeiten um die Bewahrung des bauhistorischen Erbes verdient gemacht, gleichwohl hatte er den Abriss des Stadtschlosses nicht verhindern können. Mielke hat Potsdam nicht als „Disneyland“ gesehen, sondern als potenzielles Musterbeispiel für das Beieinander von Alt und Neu. In diesem Sinne hat er eine sieben Meter hohe doppelläufige Treppenspirale entworfen, deren 42 Stufen die Jahre der deutschen Teilung symbolisieren. Der Entwurf wurde nicht diskutiert, sondern dem 90-jährigen Ehrenbürger der Stadt unterstellt, sich nicht für ein allgemeines Interesse einzusetzen.

Beispiel „Der religiöse Gegenstand, Kreuz und Schleier“

Zum Kreuzessymbol gibt es viele Assoziationen. Im christlichen Abendland stehen die Kreuzigung Christi und damit sein Kreuz immer noch an vorderster Stelle. Dann gibt es da aber auch die Sängerin Madonna, die sich am Kreuz gravitätisch über die Bühne gleiten lässt und damit ein Bild der Selbsterhöhung erzeugt, das sie als „Kreuzesopfer“ über alle anderen erhebt und Jesus gleichstellt. Der Künstler Martin Kippenberger hat einen Frosch ans Kreuz genagelt und der Aktionskünstler Hermann Nitsch hat Schweine gekreuzigt.

Josef Beuys hat die Kreuzesform immer wieder als Sinnbild seiner Überzeugung genutzt, dass von der Kreuzform Heilkraft ausgehe. In vielen Wohnungen zeugt der Gegenstand „Kreuz an der Wand“ auch heute noch von der christlichen Gesinnung der Bewohner. Im „Geviert“ des Wohnens ist das Kreuz im orthogonal ausgerichteten Raum indirekt enthalten. Formen wie das Kreuz, Viereck, Dreieck und Kreis sind von der Psychotherapeutin Ingrid Riedel in ihrer Symbolik, existenziellen Kraft und Bedeutsamkeit ausführlich beschrieben. Es macht Sinn, sich dem Koordinatensystem der Kreuzesform aktiv zuzuwenden und nachzuvollziehen, ob und was diese für das eigene Leben für eine Bedeutung hat.

Das Kopftuch bzw. der Schleier ist in Europa das derzeit vielleicht umstrittenste Symbol. Unabhängig von religiösen Hintergründen ist ein Schleier immer ein Symbol der Absonderung. Etwas hinter einem Schleier Liegendes wird verborgen. Wer seinen Kopf verbirgt, der signalisiert zunächst, dass er bzw. sie nicht mit freiem Kopf in die Öffentlichkeit geht. Der Hut als Kopfbedeckung hat da eine ganz andere Aussage.

Der unterschiedliche Umgang mit Schleiern, oder auch mit Vorhängen vor den Fenstern, zeigt die unterschiedliche Sensibilität im Hinblick auf den Schutz vor fremden Blicken. Diese Sensibilität kann alle möglichen Zustände umfassen. Absonderung durch freiwillige Apartheid kann immer noch Zuwendung und Kommunikation ermöglichen, wenn ihre Grenzen durchlässig sind. Jemand, der seine Vorhänge überhaupt nicht mehr öffnet, hat aller Wahrscheinlichkeit nach erhebliche psychische Probleme.

Als Beispiel für den engen Symbolbegriff auf realer Ebene meinte ein Geschäftsführer eines Immobilienunternehmens einmal, dass er an den Vorhängen von Wohnungen ablesen könne, ob eine Wohnung zum Verkauf anstünde ...

In einer offenen kann auch eine weitgehend geschlossene Gesellschaft ihre Symbole demonstrieren und sich erfahren, sofern sie nicht so völlig geschlossen ist, dass sie sich selbst ausgeschlossen hat. Die Balance von Autonomie und Integration ist es, die das Zusammenleben möglich macht und die sich auch in den Symbolen ausdrückt. Der Umgang mit Symbolen im öffentlichen Raum und die Frage, welche Regeln und Regelungen nötig sind, um Autonomie und Interdependenz sicherzustellen, ist eines der großen Themen unserer Zeit. Für die jeweilige Anhängerschaft ist die Kraft, die von diesen Symbolen ausgeht, unbestritten. Nur wird je nach Herkunft, kulturellem Hintergrund und aktuellem Bewusstsein auch eine sehr unterschiedliche Tiefe in der Erfahrung und eine unterschiedliche Deutung eines Symbols vorgenommen. Verständigung darüber könnte Grenzen verändern.

Alltagsrituale

Im Leben jedes Menschen gibt es vertraute Rituale. Begrüßungs-, Essens-, Zubettgeh-Rituale, Tagebuch-Schreiben, besondere Arten Feste zu feiern und vieles andere mehr. Sie sind nicht einfach wiederholte Verhaltensweisen, sondern es sind solche Wiederholungen, die einen „Rahmen“ bilden. Es sind Alltagsrituale, die ein Geländer bilden, das auf geschichtlichen, religiösen oder familiären Traditionen beruht: früher der Kirchgang am Sonntag, der sonntägliche Spaziergang, die Gutenacht-Geschichte für die Kinder — heute eher der bestimmte Fernsehbeitrag, die rituelle Funktion von Fankulturen, heutige Mutproben (das ritualisierte Trinken von Jugendlichen), die heutige Suche nach ekstatischen Erfahrungen am Samstag im angesagten Club.

Rituale sind Handlungen mit Symbolcharakter. Es sind Inszenierungen, die eine Situation aus dem Alltag herausheben, und ihre Durchführung erfordert zuweilen symbolische Fähigkeiten und Fertigkeiten. Etwas wird in Szene gesetzt, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen und um die Teilnehmer des Rituals in ihren Bann zu ziehen. In früheren, christlich geprägten Zeiten, waren Tischgebete oder die Prozessionen ein wichtiges Alltagsritual. Heute ist es für manche Gruppen in der Bevölkerung die Demo.

Die Wiederkehr von etwas immer Gleichem strukturiert den Tag, die Woche, die Monate, das Jahr. Rituale können dem Leben Struktur und Halt geben. Rituale bringen Ordnung in das amorphe Rauschen der Welt.

Immer sind es Handlungen, die einen Bedeutungsüberschuss über die jeweilige Aktion hinaus haben. Es sind symbolische Handlungen, in denen sich die Bedeutung und die Werte der Menschen, Gruppen, der Massen, die das jeweilige Ritual ausführen, ausdrücken.

Die Bedeutung von Alltagsritualen wurde in der Berliner Ritualstudie im Sonderforschungsbereich Kulturen der Performation an der FU Berlin untersucht. Nach deren Erkenntnissen dienen Rituale durch ihre gewohnte Wiederkehr dem Angstabbau und der Geborgenheit in der Familie. Am wichtigsten ist wohl ihre Funktion, Gemeinschaft zu erzeugen. Somit sind Ritualisierungen, sofern sie nicht in eine zwanghafte Richtung abgleiten, sinnvolle symbolische Fertigkeiten, die im gewohnten Milieu, im eigenen Wohnen, auf positive Weise verwendet werden können.

Der Mönch und Cellerar der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, Anselm Grün, Autor von mehr als 250 Büchern und Vermittler der Kunst des Führens nach den Regeln des Heiligen Benedikt, hält es für überaus wichtig gute Rituale zu haben, von denen man auch bewusst sagen kann, dass sie zu einem selbst gehören. Rituale geben einem das Gefühl selbst zu leben, und nicht gelebt zu werden (Der Tagesspiegel, 9.12.2007). Er verweist auf die Gestaltungsmöglichkeiten für Rituale und zeigt auch die Möglichkeit eines Rituals auf, sich im Verlauf des Tages eine kurze Zeit ganz für sich allein zu nehmen, indem man nur auf den eigenen Atem hört, meditiert, sich den eigenen Gefühlen aussetzt, sich fragt was einem guttut, und was nicht. Ähnliche Vorschläge kommen aus der Psychoneuroimmunologie, die Rituale des Innehaltens vorschlägt, ein tägliches Entspannungsprogramm, das den Alltagsstress reduziert.

In Deutschland, wo nationale Rituale wie nirgendwo sonst durch den Nationalsozialismus diskreditiert worden sind, ist die Überlegung sich solcher Instrumente wie Rituale zu bedienen, von Vorbehalten begleitet. Und wie bei den sexuellen Übergriffen von Lehrern auf ihre Schüler bekannt geworden ist, haben sich gerade im Machtgefälle von Lehrer und Schüler die Lehrer manches Mal der Macht von Ritualen bedient, indem sie dem Missbrauch den Charakter von Initiationsriten gegeben haben. Auch die Beschneidung von Mädchen in vielen Ländern der Welt ist ein ritualisier Akt. Symbolisch steht dahinter die Macht über den Körper und das Körperempfinden der Frauen, die ihnen ein vollwertiges, lustvolles „Frau sein“ zunichtemacht.

Im alten Europa waren Rituale Anlässe, um die Ordnung der Gesellschaft immer wieder aufs Neue zu inszenieren, die Zusammengehörigkeit ihrer Mitglieder zu bekräftigen, sowie Rechte und Pflichten zu begründen. Rituale wie Prozessionen zu bestimmten Festtagen, Weihen, Schwören, Knien, Thronen, auch Mahlzeiten mit bestimmten Abfolgen von Speisen stifteten durch ihre Erwartungssicherheit und Gleichförmigkeit Struktur und Dauer. Sie bildeten die innere Ordnung der Gemeinwesen ab. Sie waren „Spectacula“, die oft auch auf Bühnen vor Publikum aufgeführt wurden. Ihre symbolische Funktion war und ist es, Verbindung und Verbindlichkeit zu stiften. Wie die Symbole sind die Rituale Ausdruck eines „Mehr“, haben einen Bedeutungsüberschuss, der positive aber auch negative Wirkungen zeitigen kann. Akademische Rituale in den Verbindungen hatten und haben immer die Aufgabe, Verbindlichkeit herzustellen und auszudrücken.

Unbehagen und Misstrauen gegenüber Ritualen sind dort angebracht, wo sie angeordnet werden, wo sie undurchschaubar sind und wo sie missbraucht werden. Die formative Gewalt von Ritualen lässt sich an den Massenfesten in Diktaturen ablesen. Den Teilnehmern werden genaue Plätze in der Hierarchie zugewiesen, vermeintliche Feinde werden konsequent ausgeschlossen. Solche Feste waren Grundpfeiler nazistischer, aber auch kommunistischer Ideologie und sind es heute noch in Nordkorea und überall dort, wo Menschen in „betonierten Strukturen“ zu Massen-Events gezwungen werden.

Wie die Symbole, bringen sich Rituale in Bildern zum Ausdruck, und die Deutung, das Verständnis der Bilder macht es möglich ihre Absicht, die Implikationen der Symbole und Rituale nachzuvollziehen. Der Kult der Führer- und Heldenverehrung, Bilder, die sich als Propaganda erweisen, überdimensionale, monumentale, pharaonische Projekte deuten weniger auf Entwicklung und Zukunft, als auf Stagnation und Störung.

Beruhen Rituale aber auf eigenen oder auf positiven kollektiven Lebenserfahrungen, dann sind sie Werkzeuge, den Geist bewusst zu lenken. Sie können wie die Symbole manchmal auch durch tiefere Einsichten den Weg ebnen. Sie können bestimmte Haltungen zum Ausdruck bringen — und sie können Halt geben, wo Brüche und Störungen das Bewusstsein beeinträchtigen. (Trink erst mal eine Tasse Tee, so der Zenmeister vom blauen Fels.)

Raum für Rituale waren in früheren Zeiten die Aufmarschplätze in der Stadt. Heute noch sind es Kirchen, in denen Rituale, die Gottesdienste, stattfinden. Shopping wird durch die Werbung zum Einkaufsritual stilisiert, der Catwalk in der Stadt ist die Bühne für die ritualisierte Selbstdarstellung. Dem Ritualcharakter von massenhaftem Picknicken und Grillen im Grünen, in den städtischen Parks, lässt sich wohl nur mithilfe anderer Rituale und Symbole beikommen, die den Schutz der Parks und der Natur zum Gegenstand haben. Mit einem Verbot dieses lustvollen, gemeinsamen Rituals, wie es der Bezirk Mitte in Berlin für den Tierpark für das Jahr 2012 angeordnet hat, ist es nicht getan. Appelle und Sanktionen reichen nicht aus, um den Grillmüll in den Griff zu bekommen. Es gilt, Rituale und Symbole zu entdecken, die die Verantwortlichkeit und die Zuständigkeit der Menschen, die den Müll verursachen, zum Thema machen. Auch hier macht es den Unterschied, authentisch und bürgernah zu agieren oder durch Verbote, Zerstörung, Abriss oder Inszenierungen, der Ungastlichkeit symbolisch Ausdruck zu verleihen.

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9783844258653
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