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Unnötig zu sagen, das war es dann. Ich weiß nicht, wer sie geschickt hatte und wer ihr von mir erzählt hatte, aber ich weiß, dass meine Teilnahme an diesem Ausflug zu ihr ein abgekartetes Spiel gewesen war. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ein ahnungsloses kleines Indianerkind zu adoptieren. So etwas geschah mit vielen unserer Kinder. Wie dem auch sein, ich konnte zwar verhindern, dass sie mich adoptierte, aber einige Jahre später adoptierte sie meinen jüngeren Bruder. Ich sah ihn erst wieder, bis wir beide Teenager waren, und auch dann nur sporadisch bis wir in den Zwanzigern waren, und auch dann nur, wenn die Initiative von mir ausging. Gegen Ende seiner Jugendzeit haute er schließlich ab, er„floh“ sozusagen von ihr, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen. Danach lebte er eine Zeit lang bei einem älteren Ehepaar im Südosten von Kansas, aber er kam fast nie nach Hause, um unsere Mutter zu besuchen. Irgendwie ist das Band, das Mutter und Kind miteinander verbindet, durch diese Adoption kaputt gegangen. Es war etwas, das gegen den Willen unserer Mutter geschehen ist, aber wie ich schon erwähnt habe, hatte sie nicht die Kraft, „sie zu bekämpfen“. Es gibt noch viel mehr über dieses Thema zu sagen, worauf ich später noch einmal zu sprechen komme.

Zurück zu meiner Schulzeit: Goodlow Proctor gehörte zwar zum Stamm der Cherokee in Oklahoma, aber für mich sah er wie ein Weißer aus. Er war auch mit einer weißen Frau verheiratet. Er wohnte in einem der Häuser auf dem Schulgelände, die man für das Schulpersonal bereitgestellt hatte. Er hatte die Aufsicht über uns Jungen. Er war ein großer Mann mit einem lauten und einschüchternden Wesen. Er war der sadistischste Mann, den ich jemals gesehen habe, und ich hatte Angst vor ihm. Ich war nicht der Einzige, denn viele andere hatten auch Angst vor ihm. Ich bemerkte oft, wie er seine Schüler, seine Kollegen und sogar gegnerische Trainer anderer Schulen bei Basketballspielen einschüchterte. (Er war nämlich auch Basketballtrainer an unserer Schule). Seine Art, wie er mit uns umging, war, uns durch Angst und Einschüchterung unter Kontrolle zu halten. Und wir reagierten entsprechend darauf. Immer wenn unsere Zimmer nicht zu seiner Zufriedenheit aufgeräumt waren, wenn wir mit unseren Schuhen schwarze Flecken auf dem Fußboden hinterlassen hatten oder unsere Kleidung nicht ordentlich in den Schränken hing, oder zu seiner Zufriedenheit in den Schubkästen gefaltet lag, mussten wir das Problem nicht nur beseitigen, sondern erhielten auch eine Strafe in Form von Extraarbeit oder körperlicher Züchtigung.

Eine Art uns zu bestrafen war in Hockstellung zu gehen. Dazu brachte er uns in die unteren Etagen des Wohnheims und befahl uns in Hockstellung hin und her zu gehen, bis wir nicht länger hocken oder gehen konnten. Er nannte es den Entengang. Wenn wir vor Erschöpfung hinfielen, was irgendwann immer passierte, zwang er uns, wieder aufzustehen und weiterzumachen. Solange, bis wir wirklich nicht mehr konnten. Der körperliche Schmerz und die Erniedrigung waren unerträglich und hielten tagelang an. Und dann waren da noch diese Liegestützen. Ich wette, dieser Mann muss lange Zeit beim Militär gewesen sein. Wahrscheinlich glaubte er, er wäre immer noch dort, und wir wären seine Rekruten. Noch ehe ich das Alter von elf Jahren erreicht hatte, muss ich Millionen von Liegestützen gemacht und Millionen von Tränen geweint haben, nur weil ich nicht mehr hocken und keinen Zentimeter mehr im Entengang gehen konnte. Soldaten beim Militär kann man auf eine solche Behandlung geistig und emotional vorbereiten, aber wir waren bloß Kinder und für uns war es Misshandlung. Wenn wir es nicht so machten, wie er es wollte, dann war als ultimative Strafe eine Tracht Prügel vorgesehen. Aber es war nicht etwa so, wie wenn die Mama einen den Hintern versohlt. Für das Auspeitschen hatte er ein ganz spezielles Brett zugeschnitten, um die Hände daran zu fesseln. Aber der gute Goodlow Proctor schlug nicht etwa auf den Po. Seine Spezialität war es, seinen „Opfern” auf das Hinterteil ihrer Schenkel zu schlagen. Ich erinnere mich, wie ich einmal nach einer solchen „Tracht Prügel“ meine Schenkel betrachtet habe. Er hatte Striemen und lauter geplatzte Äderchen auf meinen Schenkeln hinterlassen. Und das war nur eines der Male, wo ich von ihm gezüchtigt worden war. Dieser Mann war so brutal, dass ich Angst hatte, meinen eigenen Gedanken nachzuhängen, immer in Furcht, er könnte meine Gedanken lesen und mich bestrafen. Ich bin der Ansicht, dass er tief in mir eine emotionale Furcht vor Ablehnung eingepflanzt hat, die eine sehr lange Zeit mein Leben beeinflusst hat. Dies hat mit dazu beigetragen, dass ich oft vom Weg abgekommen bin, und nicht das getan habe, was vielleicht einfacher oder angemessen gewesen wäre. Zum Beispiel mich einfach zu melden, wenn ich eine Frage hätte beantworten können oder etwas zum meinem Wohl oder zum Wohle anderer zu tun. Aber ich tat es nicht, aus Angst Fehler zu machen und dafür bestraft zu werden. Ich mache ihn und das ganze Boarding School System für diese Ängste verantwortlich.

Einmal, ich muss ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein, versuchte ich einen Brief an eine Militärakademie zu schicken, deren Anschrift ich in einem Journal gefunden hatte. Ich hatte die Hoffnung, ich könne aus den Fängen des Internats entkommen und eine militärische Laufbahn in dieser Akademie beginnen. Ich hatte keine Ahnung, was eine Militärakademie war, ich wollte bloß raus aus dieser Indianerschule. In meinem Brief schrieb ich einen detaillierten Bericht über die Art, wie man uns in der Boarding School behandelte. Mein Brief wurde von Goodlow abgefangen. Ich hatte keine Ahnung, dass die Post zensiert wurde und er machte mir danach das Leben zur Hölle und erniedrigte mich in aller Öffentlichkeit.

Aber wenn ich so zurückblicke, dann erkenne ich, dass sich hier der Widerstand formte. Es war einfach nur eine Reaktion darauf, wie ich in der Schule behandelt wurde.

Bezüglich dieses Mannes gab ich mir selbst ein Versprechen. Ich gelobte, ihn auf die gleiche Art und Weise zu verletzen, wie er mich verletzt hatte, wenn ich erst ein Mann sei und ihn jemals wiedersehen sollte. Dieser Gedanke verfolgte mich eine lange Zeit, bis es tatsächlich zu dieser Begegnung kam: Ich ging Jahre später eine Straße in meiner Heimatstadt entlang und kam zufällig an einem Restaurant vorbei, wo die Tür offen stand. Ich schaute hinein und siehe da, da war dieser Goodlow. Er saß an einem Tisch und schob sich Essen ins Maul. Er hatte mich nicht bemerkt und ich stand eine Weile da und beobachtete ihn. Ich versuchte mich zu entscheiden, ob ich mein Versprechen, an das ich mich in diesem Moment natürlich erinnerte, einhalten sollte. Ich hatte mich gerade dafür entschieden, einfach weiterzugehen, als er plötzlich aufsah und bemerkte, dass ich ihn beobachtete. Ich sah an seinen Augen, dass er mich erkannte und es schien mir, als ob er nicht wirklich respektvoll gewesen wäre. Ich ging hin zu seinem Tisch und stand vor ihm, während er einfach weiteraß. Es kostete mich große Beherrschung, nicht das zu tun, was ich vor Jahren versprochen hatte. Ich erwiderte seinen abfälligen Blick, drehte mich um und verließ das Restaurant. Ich bin ihm seitdem nicht mehr begegnet. Ich hörte kürzlich, dass er gestorben sei. Woran weiß ich nicht. Es ist mir auch egal.

Eines aber ist sicher. Wenn Goodlow Proctor heute ein Kind auf die gleiche Weise bestrafen würde wie er uns damals bestraft hatte, dann würde er wegen Kindesmisshandlung ins Gefängnis kommen. Erst Jahre später wurde mir bewusst, dass die Art, wie er uns behandelt hat, nichts anderes als Folter war. Das Wort Misshandlung ist für das, was er uns angetan hat, einfach unzutreffend. Folter ist das richtige Wort dafür.

Ich war nicht dabei und habe es nicht mit eigenen Augen gesehen, aber irgendwann in den 70ern protestierte das American Indian Movement vor einer Schule und versuchte die Behandlung der Schüler an die Öffentlichkeit zu bringen und die Schließung der Schule zu bewirken. Es könnte ein Erfolg gewesen sein, denn kurz danach schloss die Seneca Indian School ihre Pforten und später habe ich erfahren, dass das Militär einige der Gebäude für Artillerieübungen benutzte.

Simon Bush, auch ein Cherokee, war der Betreuer der anderen Jungen. Er war wesentlich freundlicher als Goodlow Proctor. Er sprach fließend Cherokee und redete mit jenen Schülern, die auch noch diese Sprache beherrschten, in ihrer Muttersprache. Das war gemäß den früheren Regeln des Boarding Schools Systems streng verboten. Simon war in Ordnung, aber er war trotz allem noch ein Regierungsindianer, der die schmutzige Arbeit der Weißen ausführte. Er war ein untersetzter, rundlicher Mann, aber nicht wirklich dick und lief immer mit einer Zigarre herum, die aus seinem Mund ragte. Auch ihm begegnete ich einige Jahre später wieder und er hatte sich überhaupt nicht verändert.

Mrs. Peters war eine der Hausdamen unserer Unterkunft und genau wie Mr. Bush wohnte auch sie in der Unterkunft. Sie war eine Choctaw, irgendwo aus Oklahoma, und mein Gott, sie war richtig gemein. Ein anderer mag sie als streng oder vielleicht auch nett in Erinnerung haben, aber ich fand sie richtig fies. Eine der Haupteigenschaften, die einer Institution wie der Boarding School fehlen, ist das Mitgefühl, und Mrs. Peters passte perfekt in das Umfeld dieser Schule, denn sie hatte keins.

Eines der Probleme, die mir in meiner Kindheit wirklich zu schaffen machten, war die Tatsache, dass ich Bettnässer war. Auf diejenigen von uns, die ins Bett machten, wartete eine besondere Strafe: Wir mussten früh am Morgen aufstehen, unser Bettzeug auswaschen und zum Trocknen aufhängen. Das war etwa um die gleiche Zeit, als die anderen Schüler zum Frühstück gingen. Das war die größte Erniedrigung meines Lebens. Bettnässer wurden auch mitten in der Nacht geweckt, damit sie zur Toilette gingen und nicht ins Bett pinkelten. Eines Nachts wurde ich von einer Ohrfeige geweckt, die mir Mrs. Peters verpasst hatte. Ich hatte es zwar geschafft aufzustehen und zur Toilette zu gehen, aber ich war immer noch nicht ganz wach und wusste gar nicht so recht, was ich dort eigentlich sollte. Sie hatte sehr fest zugeschlagen. Das war erniedrigend und demütigend für mich, aber ich hatte immerhin die Botschaft verstanden.

Eine andere Form der Misshandlung war das routinemäßige Haarschneiden jeden Samstagmorgen. Niemand konnte Simons oder Goodlows Haarschneidemaschine entkommen. Sie brauchten keine talentierten Friseure zu sein, um diese Aufgabe zu erfüllen, denn wir bekamen keinen persönlichen Haarschnitt, sondern wurden geschoren. Ich hasste es, meinen Kopf rasieren zu lassen und versteckte mich vor ihnen, aber dann holten sie mich eben Samstagnacht aus dem Bett und verpassten mir eine „Frisur“. Jahre später, als ich andere weiße Institutionen kennenlernte, fiel mir auf, dass sie die gleiche Haarschneidestrategie als Bestrafung bei denen anwandten, die sich nicht unterwerfen wollten.

Die Sache mit dem Haarschnitt spitzte sich in den späten 70ern erneut zu, als ich nach vier Jahren auf der Flucht in das staatliche Zuchthaus von Columbus, Ohio, eingeliefert wurde. Mit der Begründung, dass ich seit meinem sechsten Lebensjahr gezwungen worden war, mich den Regeln der Institutionen des weißen Mannes zu unterwerfen, weigerte ich mich aus spirituellen und kulturellen Gründen, mir die Haare schneiden zu lassen. Inzwischen hatte ich nämlich angefangen, an traditionellen indianischen Zeremonien teilzunehmen und lernte all die Dinge, die sie (die US-Regierung) so viele Jahre versucht hatte zu zerstören. Ein Mann, der traditionelle Heilmethoden praktizierte, ein Medizinmann, hatte mir gesagt, dass sie mir im Gefängnis die Haare nicht abschneiden könnten, solange ich stark sein würde. Daraufhin steckten sie mich ins „Loch“, das heißt, sie sperrten mich in Einzelhaft, weil ich mich den Regeln und Vorschriften der Anstalt widersetzt hätte.

Als Reaktion gegen diese Maßnahme reichte ich Klage ein. Ich wollte mein Haar lang tragen dürfen, wie es gemäß dem traditionellen Glauben meines Volkes der Brauch war. Von dem Moment an, wo ich mich entschieden hatte, Widerstand zu leisten, fastete ich und betete zu den Geistern und bat um Hilfe. Die Geister halfen mir und ich gewann den Prozess.

Sie haben verloren.

Als ich etwa neun oder zehn Jahre alt war, fing ich an, von der Schule wegzulaufen. Zuerst wollte ich immer nur nach Hause und weg von dem Ort, wo ich nicht sein wollte. Aber nach einer Weile wollte ich einfach nur von der Schule weg, egal wohin. Nach Hause zu gehen war nicht ratsam, weil Goodlow oder die Polizei immer wieder kamen und mich zurückbrachten. Zuerst steckte mich die Polizei ins Gefängnis, bis Goodlow mich dort abholte. Dann behielten sie mich über Nacht im Gefängnis, dann eine Nacht und einen Tag und manchmal noch eine Nacht länger und so weiter. Goodlow kam dann, wenn er sich gut auf die dann folgende körperliche und seelische Misshandlung vorbereitet hatte.

Nie fragte jemand, warum ich überhaupt weglief. Das Wohl der Kinder in diesen Einrichtungen lag niemandem am Herzen. Die Kinder waren diesem System vollkommen ausgeliefert. Kurze Zeit, bevor ich überhaupt anfing wegzulaufen, wurde ich in der Schule das zweite Mal in meinem Leben sexuell missbraucht. Erst viel später, als ich mich mit meinen Erlebnissen in der Boarding School und all den erlittenen Misshandlungen auseinandersetzte, fiel mir auf, dass es eigentlich gar kein Wunder war, dass ich aus der Schule weggelaufen bin. Damals war es einfach nur ein Überlebenstrieb, denn als Kind brachte ich den sexuellen Missbrauch nicht mit meinen Fluchtversuchen in Zusammenhang, nichtsdestotrotz geriet ich dadurch in alle nur möglichen gefährlichen Situationen.

Ich glaube, dass das, was mir in der Boarding School widerfahren ist, den Grundstein für ein Leben in Verbindung mit Verbrechen, Alkohol, Drogenmissbrauch, Gewalt, Gefängnissen und emotionaler Instabilität gelegt hat. Noch Jahre später war ich in diesem Netz gefangen. Dieses vorbildliche amerikanische System, das eigentlich das „Indianerproblem“ lösen wollte und mir als Ersatz anbot, mein Beschützer und Wohltäter zu sein, welches sogar vertraglich die Aufgabe übernommen hatte, mich zu kleiden, mir Unterkunft zu gewähren und mich zu bilden, hat mich buchstäblich fast umgebracht. Bei anderen um mich herum ist ihnen das auch gelungen.

Ich war einer der drei oder vier Jungs, die regelmäßig abhauten. Aber selbst wenn wir in der Nacht weggelaufen waren, hat man uns wieder eingefangen, und während einer von uns im Büro seine Strafe erhielt, saßen wir anderen draußen und warteten, bis wir an der Reihe waren. Was uns nicht daran hinderte, kurz darauf wieder davonzulaufen.

Einmal stahlen ich und ein anderer Schüler zwei Pferde, die der Schule gehörten. Wir ritten davon und erst nach drei Tagen wurden wir geschnappt. Man könnte meinen, wir hätten, ohne dass es uns bewusst war, eine alte Tradition unseres Volkes fortgesetzt, nämlich dem Feind Pferde zu stehlen und ihm zu entkommen. Sie machten noch mehrere Wochen danach Scherze, dass man uns aufhängen würde. Goodlow war so sauer auf uns, dass er uns noch nicht mal mehr im Klassenzimmer haben wollte. Nachdem er uns windelweich geprügelt hatte, ließ er uns Unkraut jäten und alle möglichen niederen Arbeiten verrichten, die ihm gerade so einfielen. Nach diesem Vorfall war er ständig hinter uns her. Er hatte uns buchstäblich auf dem Kieker. Seine Strafen wurden härter, aber mein Ärger wuchs ebenfalls, und ich rannte immer öfter weg. Das legte den Grundstock, dass ich über Jahre hinweg nicht damit aufhören konnte, vor mir selbst wegzurennen. Weglaufen wurde zur Überlebensstrategie.

Mein Zuhause war eigentlich nur etwa 18 Meilen von der Schule entfernt, aber für mich war es in etwa die gleiche Entfernung wie von der Erde bis zum Mond. Manchmal brauchte ich eine ganze Nacht, um die Strecke bis nach Hause zu laufen.

Als ich wieder einmal auf der Flucht war, befand ich mich ungefähr eine Meile außerhalb der Stadt. Die Sonne ging gerade auf und ich lief auf der Nordseite einer Straße entlang, die nach Westen führte. Plötzlich kam aus dem Maisfeld auf der südlichen Seite ein etwas seltsam aussehender Hund heraus. Ich befand mich am nördlichen Seitenstreifen, er auf dem südlichen, und er trottete sozusagen neben mir her. Seine Zunge hing heraus und er hatte einen wilden Blick. Eine knappe Minute liefen wir so nebeneinander her, bis der Hund kehrt machte und wieder im Maisfeld auf der Südseite verschwand. Später wurde mir klar, dass das Tier ein Kojote gewesen war. In vielen eingeborenen Kulturen, wie auch für mich selbst, hat der Kojote eine große spirituelle Bedeutung. Für einige dieser Kulturen ist er ein Schwindler, für andere ein spiritueller Helfer.

Eine der wichtigsten spirituellen Dinge, die wir von Kojoten lernen können, ist seine Fähigkeit zu überleben. Andere Gaben, die uns der Kojote geben kann, sind sein Heilwissen, sein Schutzinstinkt und der Gesang.

Der Kojote hat mir einige seiner Kräfte bereits im Kindesalter mitgegeben, vielleicht wurde ich auch schon damit geboren. Später, als ich zu den spirituellen Wegen unseres Volkes zurückkehrte, gaben sie mir Führung und Unterstützung, und ich spüre, dass sie das noch heute tun. Als ich auf dem Hügel stand, um für mein Volk zu fasten und zu beten, haben sie ihre „Medizin“ mit mir geteilt. In einem Traum erhielt ich eine Medizin, die mir beim Stehlen helfen würde, und kurz darauf bekam ich tatsächlich „Kojotemedizin“, die man zu diesem Zweck benutzen könnte. Ich habe die spirituelle Hilfe, die ich vom Kojoten erhalten habe, niemals benutzt, aber ich würde nicht zögern, es zu tun, wenn es ums Überleben ginge oder wenn mein Volk Hilfe bräuchte. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, die „Medizin“ zu benutzen, um der Regierung die Pläne zu stehlen, in denen steht, was sie eigentlich auf lange Sicht mit uns vorhaben. Ich bin mir sicher, sie haben nichts Gutes mit uns vor. Aus ihrer Sicht hin bin ich nun wohl ein Terrorist.

Einer unserer Medizinleute hat mir übrigens anvertraut, was die Regierung bzw. der Weiße Mann mit uns auf längere Sicht hin vorhat. Letzten Endes soll es darauf hinauslaufen, dass sie sich ihrer Verantwortung uns gegenüber entziehen wollen. Dies hat eine gute und eine weniger gute Seite. Immer mehr Einwanderer kommen hierher und entscheiden sich dafür, in Amerika zu leben und am Vermächtnis des Amerikanischen Traumes teilzuhaben. Dadurch wird unsere Existenz als Eingeborene Nationen dieses Land immer mehr bedroht. Einer der negativen Aspekte davon ist, dass jene Leute, die sich um die amerikanische Staatsbürgerschaft bemühen, keinen Geschichtsunterricht bezüglich der Ureinwohner Amerikas erhalten haben und viele von ihnen auf Grund von unerträglichen Schwierigkeiten in ihrem Heimatland flüchten wollen. Sie sind froh, dass sie nach Amerika kommen können, und ihr Bewusstsein oder ihr Interesse den Indianern gegenüber steht nicht gerade auf ihrer Prioritätenliste.

Eines der Szenarien, auf die ich manchmal hinweise, wenn ich über dieses Thema spreche, ist folgendes: Wenn man beispielsweise einmal alle Nachkommen von Ausländern, die heute in Amerika leben, und ihre Geburtenrate nimmt, und 50 Jahre dazu addiert, und dann dazu noch einmal die Tausenden von Einwanderern, die jährlich nach Amerika kommen und sich um die Staatsbürgerschaft bewerben und deren Geburtenraten hinzurechnet, und dass damit vergleicht, was in der Geschichte mit uns geschehen ist, dann sieht die Zukunft der Eingeborenen Völker der westlichen Hemisphäre nicht gerade rosig aus. Jährlich kommen diese Einwanderer und trampeln gedankenlos über unsere Sitten und Bräuche hinweg. Sie zeigen keinen Respekt gegenüber den Ureinwohnern und den Tieren dieses Landes. Für sie sind die Tiere nur Wild, das am Wochenende abgeknallt werden kann und der Kojote ist nur ein Schädling.

Aber jene Leute, die den Kojoten jagen und Prämien für sein Fell aussetzen und ihn grundlos töten, haben mit Konsequenzen zu rechnen. Der Kojote ist ein heiliges Tier und einer der großen spirituellen Helfer. Diese Leute sollten lieber vorsichtig sein, denn der Kojote ist die physische Manifestation eines Geistwesens.

Kurz nachdem man mich zu dieser Schule gebracht hatte, träumte ich eines Nachts von meinem Großvater. In diesem Traum taten wir all diese schönen Dinge, die wir immer zusammen getan hatten, als ich noch bei ihm lebte. Es schien mir, dass der Traum die ganze Nacht hindurch andauerte und genau in dem Moment begann, als ich zu Bett ging und den Kopf auf das Kissen legte. Ich besuchte ihn, und wir gingen angeln und verbrachten eine schöne Zeit miteinander. Als ich wieder aufwachte und mir klar wurde, wo ich wirklich war, und dass ich alles nur geträumt hatte, war ich sehr niedergeschlagen und zutiefst traurig. Etwa einen Monat nach diesem Traum bekam ich die Nachricht, dass mein Großvater gestorben war. Am Tag der Beerdigung wartete ich darauf, dass jemand käme, um mich abzuholen, aber niemand tauchte auf. Ich war gerade in der ersten Klasse und Mrs. Winnie, die Lehrerin, die die ersten Klassen unterrichtete, musste mich in einen anderen Raum bringen, sodass ich an diesem Tag allein sein konnte. Ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen.

Erst später wurde mir im Verlauf meines Lebens klar, dass der Traum, den ich von Großvater und mir hatte, so eine Art spirituelles und emotionales Trostpolster war, um den harten Schlag, der ja unausweichlich auf mich zukommen würde, etwas erträglicher zu machen. Gleichzeitig verschaffte er mir wundervolle Erinnerungen an den einzigen Mann in meinem Leben, der jemals gut zu mir gewesen war. Dies war auch mein erstes spirituelles Erlebnis, auch wenn ich das viele Jahre lang nicht verstanden hatte. Großvater liegt auf dem Wyandotte Indianerfriedhof am Highway 10 begraben, unweit vom Stammesbüro der Wyandottes, nicht weit von der Schule und dort wo er lebte.

Mein Mitbewohner in der Schule hieß Manuel Pittstubby. Er war ein Choctaw aus Durant, Oklahoma. Ich weiß nicht mehr warum, aber zuerst mochten wir uns nicht. Irgendwann änderte sich das und wir wurden Freunde und teilten dann das Zimmer miteinander. Manuel war ein großer schlaksiger Junge, bestand buchstäblich nur aus Haut und Knochen und sein Kopf wirkte viel zu groß für seinen Körper. Es war immer schon sehr kränklich und es geschah, als er wieder einmal kränkelte, dass die Krankenschwester der Schule, Mrs. Caraway ihn ins Claremore Indian Hospital nach Claremont nach Oklahoma brachte, in dasselbe Krankenhaus, in dem ich geboren worden war. Manuel kam nie mehr zurück.

Ich hörte, dass er Lungenentzündung gehabt hatte und kurze Zeit, nachdem er ins Krankenhaus gebracht worden war, dort verstarb.

Ich erinnere mich noch, wie ich zu jemandem sagte, dass einige von uns zur Beerdigung gehen sollten, und einige der älteren Schüler durften daran teilnehmen. Es verletzte mich, dass ich nicht gehen durfte, denn ich war es doch, der den Vorschlag gemacht hatte, und außerdem war er mein Zimmerkamerad. Aber Goodlow ging hin. Ich erinnere mich noch, wie er auf der Treppe innerhalb der Unterkunft saß und in einem seltenen Anflug von Mitgefühl an Manuel dachte und meinte, was für ein guter Junge er doch gewesen sei. Aber woran ich mich auch erinnere ist, dass Goodlow Manuel gar nicht mochte und gelegentlich richtig gemein zu ihm gewesen war. Ich wunderte mich darüber, dass er so tat, als sei er traurig über dessen Tod. Vielleicht war er es ja auch oder vielleicht wünschte er, er hätte ihn besser behandelt, als er noch lebte. Das einzig gute, was ich überhaupt aus dieser Zeit im Internat mitnehmen konnte, waren Freundschaften. Nicht viele, aber ich hatte immer wieder spezielle Freunde.

Ich traf David Edward Logan ungefähr um 1958 herum. Er kam zusammen mit seinem Bruder Philipp auf die Schule, mit dem ich mich zuerst anfreundete. Als ich Dave zum ersten Mal begegnete, prügelten wir uns. Ich weiß nicht mehr warum, und auch nicht mehr, wer gewonnen hat, aber während der letzten Jahre auf der Seneca Indian School wurden wir enge Freunde, und diese Freundschaft vertiefte sich im Jugendalter bis in die 20er hinein.

Dave stammte aus einer Großfamilie, bestehend aus acht oder neun Geschwistern, seinen Eltern und einer hochbetagten Großmutter. In diesen Tagen in den 1950ern war sie bereits über 90. Ich glaube nicht, dass sie je Englisch gelernt hatte. Sie war schon geistig dement und ihre Tochter, Daves Mutter, rügte sie manchmal, weil sie schlechte Verhaltenweisen an den Tag legte, die anscheinend mit hohem Alter einhergehen.

Dave und seine Familie nahmen regelmäßig am jährlichen Green Corn Festival der Seneca und Cayuga teil. Das war eigentlich mehr eine Zeremonie und sie wurde am Lake Cowskin nördlich von Grove, Oklahoma, abgehalten. Jedes Jahr trampte ich dorthin, übernachtete bei Dave und seiner Familie und nahm an ihren Zeremonien teil.

Sie haben mich immer wie einen Teil ihrer Familie willkommen geheißen und hatten immer einen Platz in ihrem Camp.

Wir tanzten die ganze Nacht lang den Stomp Dance und ich lernte die meisten der Lieder, auch wenn ich die Bedeutung der Worte nicht verstand. Der Stomp Dance ist eigentlich ein Ritual. Hierbei versammeln sich die Tänzer um ein Feuer und tanzen mit den Füßen stampfend drum herum. Heutzutage kann es aber auch als ein rein soziales Ereignis gefeiert werden. Einige Jahre später, als ich an einer bewaffneten Besetzung der Sechs Nationen der Irokesenföderation in den Adirondak Mountains im Staate New York teilnahm, hörte ich die gleichen Lieder wieder, und es richtete mich auf. Irgendwie habe ich die Seneca und Cayuga von Oklahoma, die Mitglieder der Sechs Nationen sind, gedanklich nie mit den Sechs Nationen in New York oder Kanada zusammengebracht. Die Lieder aus der Zeit meiner Kindheit dort an diesem Ort zu hören, berührte mein Herz auf eine Weise, die ich niemals vergessen werde.

Dave und seine Familie pflegten auch zum jährlichen Quapaw Powwow zu fahren und auch dort schlief ich bei ihnen. Abgesehen von meiner Großmutter und den anderen Familienmitgliedern waren sie meine erste Berührung mit den indianischen Wegen. Ich tanzte den Sonnentanz nach der Art wie ihn die Six Nations tanzten. Das war, als ich ungefähr elf oder zwölf Jahre alt war. Zur gleichen Zeit rauchte ich auch meine erste Pfeife. Ich denke, es hat etwas mit ihrer spirituellen Großzügigkeit zu tun, dass ich heutzutage etwas über die Zeremonien weiß, die ich ausführe. Es war Dave, der mich in meinen wilden Jahren als Teenager und später als junger Mann mehr als einmal vor der Polizei versteckte, oder mir sogar zur Flucht verhalf, wenn sie wegen irgendwelcher kriminellen Delikte hinter mir her waren. Er hat mich nie im Stich gelassen, wenn ich seine Hilfe brauchte, und am Ende seines Lebens, als sein Körper von Diabetes zerfressen und von Nierenversagen und damit einhergehenden Dialysetherapien geschwächt war, versuchte ich im Gegenzug ihm zur Seite zu stehen. Schließlich wurde er im September 1996 nach längerem Leiden durch den Tod erlöst. Eines der Dinge, die mich wirklich wütend machten, während er so krank war, und die mich auch heute noch aufregen, ist es, wenn ich daran denke, dass Diabetes, Alkoholismus, zerstörte Familien, Gehirnwäsche usw. vom weißen Mann hierhergebracht und an unsere Vorfahren weitergegeben wurden. Wir haben Dinge von ihnen geerbt, die uns auf die eine oder andere Weise töten können. Meinen Freund tagtäglich etwas mehr sterben zu sehen, war extrem hart. Es berührte mich dermaßen, dass ich Hassgefühle entwickelte und Rache nehmen wollte für jeden Indianer, der durch eine Krankheit des weißen Mannes gestorben ist.

Als es langsam mit ihm zu Ende ging, hatte er sich noch eine nicht heilen wollende Staphylokokken-Infektion zugezogen. Die Ärzte schnitten das tote und infizierte Gewebe heraus und ließen seine Schädeldecke geöffnet, doch auch damit konnten sie ihn nicht heilen. In den frühen Morgenstunden fand ihn seine Tochter Mickey, die nach ihm sehen wollte, tot in seinem Zimmer. Sie war zwar noch ein Teenager, hatte aber mutig und tapfer die Aufgabe übernommen, ihren sterbenden Vater zu pflegen.

Vor seinem Tod, als man ihm mitgeteilt hatte, dass er möglicherweise an die Dialyse angeschlossen werden musste, nahm ich ihn zu einer Heilungszeremonie mit, aber es war bereits zu spät. Er hatte wohl zu lange gewartet und ich denke auch, dass er sich gedanklich bereits soweit mit der Dialysemaschine beschäftigt hatte, dass die spirituellen Heilungsversuche wirkungslos blieben. Aus diesem Grund konnte er nicht gesund werden. Ich hatte die traurige, aber ehrenvolle Aufgabe ihn auf den Friedhof zu geleiten und ihn neben seinen Verwandten, seiner Mutter Jane, seinem Vater Dave senior, seinen Brüdern John und Sydney und seiner Schwester Jackie zu bestatten. Wenn es etwas Positives gab, das aus meinem Besuch in der Boarding School resultierte, dann war es die enge Freundschaft, die sich zwischen diesem wunderbaren Menschen und mir entwickelt hatte. Er war und ist immer noch mein Freund, und ich vermisse ihn sehr. Wenn ich nach Hause komme, dann ist es nicht mehr so wie es war, als er noch lebte. Sein Bruder Phil und ich sind zwar auch befreundet und es ist auch okay, ihn zu besuchen, aber wir sehen uns nicht so oft wie Dave und ich uns getroffen haben.

Anfang der 60er, nach dem ich höchstwahrscheinlich mehr als irgendein anderer von allen Internatsschulen weggelaufen bin, wurde ich zusammen mit vier oder fünf anderen Ausreißern der Schule verwiesen. Ich wurde wieder nach Hause geschickt, aber leider war mein Aufenthalt dort nur sehr kurz. Man hatte das Büro für Indianerangelegenheiten auf mich aufmerksam gemacht und man hatte eine andere Boarding School für mich ausgesucht. Der Hauptunterschied zwischen der Seneca Indian School und Oaks Mission war, das letztere eine Missionsschule, die erste eine Schule war, die von der Bundesregierung geleitet wurde. Auf der Seneca Indian School mussten wir zwar eine der drei Kirchen besuchen, die sich in Wyondotte befanden, aber ansonsten wurde der religiösen Erziehung nicht allzu viel Aufmerksamkeit gewidmet.

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