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Denn die Polizei tritt in den Armenvierteln anders auf, als in wohlhabenderen Bezirken. Das „stop and frisk program“ ist eine solche Vorgehensweise. Aus dem fahrenden Polizeiauto werden Fußgänger ausgewählt und zum Anhalten aufgefordert. Bei sogenannten „sprung outs“ springen mehrere Polizeibeamte plötzlich aus dem anhaltenden Streifenwagen aus und durchsuchen und befragen Bewohner ohne ersichtlichen Grund. Dabei wird mit knappen und bissigen Befehlen die Person zur Kooperation gezwungen und mit mehreren Polizisten in kugelsicheren Westen samt Schusswaffen umstellt. Nicht selten werden durchsuchte Bewohner an die Wand gedrückt oder bei verdächtigen Funden gezwungen sich auf den Boden zu legen. Nach einer solchen anlasslosen Prozedur bleiben viele Betroffene mit einem mulmigen bis wütenden Gefühl zurück, dass die Polizei nicht der Freund und Helfer ist und Afroamerikaner nur Bürger zweiter Klasse sind. Viele Anwohner selbst können von Erfahrungen über Rucksackkontrollen mit anschließender Entleerung des Inhalts auf der Straße und das Abtasten von Kleidungsstücken berichten. Und diese Kontrollen können alle Afroamerikaner betreffen, ob Mann oder Frau, Schulkinder oder Greise. Bei einer Gruppe von schwarzen Jugendlichen gehen die Polizisten bei einer solchen Aktion davon aus, dass der eine oder andere etwas vor der Polizei zu verbergen hat.

Viele Afroamerikaner haben im Freundeskreis oder in der Familie von Fällen zu berichten, in denen Schwarze auf den Boden geworfen, teilweise mit Tasern attackiert und festgenommen wurden, nur aufgrund der Frage nach dem Grund der Kontrolle. Schläge und Tritte sind auch nach der Verhaftung durch Polizeibeamte keine Seltenheit. Es ist ein hohes Maß an Gewalt durch Polizeibeamte dokumentiert. Beschwerden und Klagen gegen Polizeibeamte häufen sich seit Jahren. Strafrechtliche Ermittlungen müssen die Polizisten jedoch oftmals nicht fürchten. Vielmehr erhält der Unbescholtene eine Strafermittlung wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und es droht ein hohes Bußgeld.

Schwarze Fahrradfahrer werden häufiger als weißer Radler durch die Polizei angehalten und darauf geprüft, ob das Fahrrad als gestohlen gemeldet wurde. Schwarze Jugendliche werden von weißen Polizisten mehr dem kriminellen Spektrum zugeordnet als weiße Jugendliche. Und so tritt die Polizei in den schwarzen Siedlungen auf, als befände sie sich in einem feindlichen Gebiet. Eine Zusammenarbeit mit der Polizei findet in den Sozialbausiedlungen daher häufig nicht statt. Bei den sogenannten „drive by shootings“, also dem Schießen aus fahrenden Autos heraus auf verfeindete Gangmitglieder, Passanten oder Gebäuden, fehlt es oftmals an Zeugen, die ihre Aussage der Polizei geben wollen, obwohl die Tat auf einer belebten Straße passiert sein könnte.

Während weiße Bewohner auch in Armenvierteln eine Kontrolle durch die Polizei seltener fürchten müssen, werden schwarze Bewohner proportional häufiger einer Kontrolle unterzogen. Bekannt ist diese Ungleichbehandlung als „white privilege“, die auch eine Ignoranz oder Unwissenheit der weißen Bevölkerung gegenüber der alltäglichen diskriminierenden Behandlung der Schwarzen beschreibt. Weiße Eltern müssen sich weniger Sorgen um ihre Kinder machen, als dass diese von weißen Polizisten erschossen werden könnten. Das für Weiße hochgelobte verfassungsmäßige Recht auf Waffenbesitz könnte für einen Afroamerikaner bei einer Polizeikontrolle einem Todesurteil gleich kommen. Denn das „death by cop“ wird oftmals aufgrund einer vermeintlichen Waffe erklärt, die bei einem Verdächtigen gesehen wurde. Verbalattacken von weißen Polizisten bei Straßenkontrollen sind für Schwarze ebenso alltäglich wie das Stoppen von afroamerikanischen Joggern auf der Straße, die als verdächtig gelten, weil sie vor etwas wegzulaufen scheinen. Das tief verwurzelte Unrecht lässt viele Afroamerikaner verzweifeln. Und jedes Mal, wenn über einen weiteren schwarzen Toten durch einen Polizeieinsatz in den Medien berichtet wird, wächst die Wut der afroamerikanischen Gemeinschaft und spaltet die USA wieder ein bisschen mehr.

Die Zahlen und Statistiken malen ein düsteres Bild für ein Land, das sich als „god's own country“ bezeichnet. Obwohl die Gesamtbevölkerung der Afroamerikaner nur bei rund 12,6 Prozent liegt, sind fast 40 Prozent der Gefängnisinsassen Schwarze. Fast jedes zweite Mordopfer gehört zur Bevölkerungsgruppe der Afroamerikaner. Allein im Staatsgefängnis von St. Louis sind von insgesamt 4.713 Insassen nur 598 Weiße, aber 4.083 Schwarze und dass bei einem afroamerikanischen Bevölkerungsanteil von 49 Prozent für St. Louis. Im Jahr 2012 und 2013 waren in der Stadt 94 Angeklagte wegen Mordes Schwarze und nur zwei waren Weiße.

Tötungen durch Polizisten passieren vornehmlich in kriminellen Schwerpunktgebieten. Der Schusswaffengebrauch durch Polizisten liegt hier deutlich über dem US-amerikanischen Durchschnitt. Experten gehen davon aus, dass Polizeigewalt nicht nur vornehmlich auf eine bestimmte Hautfarbe abzielt, sondern in Gemeinden, deren Bewohner hauptsächlich dem kriminellen Milieu zugeordnet werden. Gerade in Armenvierteln mit einer hohen Kriminalitätsrate ist das Verhältnis zwischen Polizisten und Anwohnern zerrüttet, teilweise sogar irreparabel beschädigt, sodass eine Kooperation zwischen beiden Seiten nicht mehr möglich ist. Eine Polizeistudie aus Philadelphia zwischen den Jahren 1970 und 1990 lässt zudem erkennen, dass erst der Einsatz von Deeskalationskursen für Polizisten und die Ausweitung der Sozialarbeit in den Armenvierteln, die Schusswaffenbenutzung durch Polizisten deutlich sinken ließ.

Befördert hat die Diskussion über alltägliche Diskriminierung der Schwarzen auch die Tatsache, dass zwar mehr als die Hälfte der Bewohner von Ferguson Afroamerikaner, aber nur drei der 53 Polizeibeamten schwarz sind. Der Bürgermeister, der Polizeichef, die Feuerwehr und fünf der sechs Mitglieder des Stadtrates sind Weiße. Die Proteste richten sich auch gegen eine weiße Elite, die selbst dort das Sagen hat, wo die Afroamerikaner klar in der Mehrheit sind. Polizeichef Thomas Jackson gibt nach den tödlichen Schüssen seines Polizeibeamten zwar bekannt, dass die Polizei auch vielfältiger werden muss. Sagt aber zugleich aus, dass jede Kontrolle eines Passanten „einem begründeten Verdacht oder einer anderen wahrscheinlichen Ursache“ entspringen muss. „Das sind die Regeln. Sie können die Bewohner anhalten und mit ihnen sprechen“, führt Jackson fort. Eine diskriminierende Nutzung des „stop and frisk“ Programms sieht er nicht.

Dass das Ansehen der Polizei in den USA schon in der jüngeren Vergangenheit nicht immer das Beste war, geben die Korruptionsberichte aus den 1970er Jahren wieder. Öffentliche Berichte über Bestechungsgelder aus den Abteilungen der Betäubungsmittelbekämpfung geben ein gutes Bild über strukturierte Korruption einzelner Polizeidienststellen wieder. Aussagen ehemaliger Polizisten brachten Skandale zu Tage und beschädigten das Bild über die Strafverfolgungsbehörden nachhaltig. Als Grund für die schwere Korruption waren nicht nur die finanziellen Probleme einzelner Polizeibeamte, sondern die gelebte eigene Subkultur der Cops in den USA. Die Skandale, die nachträglich auch durch weltbekannte Kinofilme medial verarbeitet wurden, förderten einen eigenen Verhaltenskodex zu Tage, der stark an ein Schweigegelübde der italoamerikanischen Mafia erinnert, in dem Aussagen gegen Polizeikollegen in jedweder Hinsicht nicht zu tolerieren sind. So werden auch Aussagen gegen Kollegen verweigert, die exzessive Gewalt angewendet und offensichtliches Unrecht begangen haben. Als das „blaue Gesetz des Schweigens“ bekannt, wird dieses unausgesprochene Gesetz unter Polizisten, keinen Ihresgleichen zu verpfeifen und Aussagen den Ermittlern gegenüber zugunsten des Angeklagten zu verfälschen, seit Jahrzehnten praktiziert.

Zudem ist die Rechenschaftspflicht bei US-Polizisten sehr unterentwickelt. Oftmals füllen die betroffenen Beamten selbst den Rechenschaftsbericht aus, ohne dass ein weiterer Beamter als neutrale Instanz entscheidet, ob Ermittlungen oder Disziplinarstrafen auferlegt werden sollten. Den Polizisten wird somit strukturell die Verantwortlichkeit ihres Handelns übertragen, ohne dass sie bei kleineren bis mittelschweren Vergehen Konsequenzen zu befürchten haben. Nicht wenige Polizisten fühlen sich mit dieser Kombination aus fehlender Verantwortlichkeit und mangelnden Sanktionen unangreifbar. Dieses Gefühl trägt zur Ausübung von unverhältnismäßiger Gewalt maßgeblich bei. Die eigene Aussage des Polizeibeamten genügt zumeist, die Benutzung der Dienstwaffe auch bei tödlichem Ausgang zu erklären und womögliches Unrecht zu verschleiern. Mit dem Hauptargument, das eigene Leben zu schützen, kann der Verdächtige zumeist ohne rechtliche Konsequenzen erschossen werden. In den überwiegenden Fällen wurden in der Vergangenheit Polizisten aufgrund ihrer alleinigen Aussagen und trotz weiterer gegenteiliger Zeugenaussagen vor Gericht freigesprochen. Es reichte hierbei oftmals schon aus, dass der Erschossene eine kriminelle Vergangenheit hatte. Den Polizisten wird vor Gericht auch mehr Glauben geschenkt als den Aussagen von Zeugen, weil sie gerade unter der weißen Bevölkerungsmehrheit ein hohes Ansehen trotz aller Skandale genießen.

Auch Fälle von unübersehbaren Indizien, die auf eine exzessive Anwendung von tödlicher Gewalt und großen Fehlverhalten hinweisen, werden eingestellt oder Polizisten durch Grand Jury Urteile freigesprochen. Im umstrittenen Fall Amadou Diallo aus dem Jahr 1999, der durch die New Yorker Polizei an 41 Schussverletzungen verstarb, gab es keinerlei plausible Gründe für das Vorgehen der Polizei. Und doch wurden die betroffenen Polizisten durch das Gericht freigesprochen. Für viele Afroamerikaner bedeuten diese empörenden Fälle keine Ausnahmeerscheinung, sondern die Regel. Der weltweit bekannte Spruch über die US-Cops „erst schießen, dann fragen“, hat einen ernsten und wahren Hintergrund, der öfters Anwendung findet als viele vor allem weiße US-Bürger erahnen.

Angeklagte Polizisten erhalten durch ihre mächtigen Polizeigewerkschaften zugleich große Unterstützung, die die jeweiligen Staatsanwälte, die zumeist periodisch gewählt werden, in ihren Ermittlungen inoffiziell unter Druck setzen können. Ermittlungen gegen einzelne Polizeibeamte oder gegen eine gesamte Dienststelle können daher nicht auf lokaler Ebene erfolgen, sondern nur durch eine unabhängige Bundesstelle. Hunderttausende Fälle werden so ohne Anklagen oder Strafen eingestellt. Ein Gefühl der Ungerechtigkeit in der Bevölkerung findet somit schleichend Einhalt. Oft verhindern die engen Strukturen zwischen dem lokalen Stadtrat, dem Staatsanwalt und der Polizeigewerkschaft jegliche Ermittlungsarbeit von vornherein. Das Interesse gegen einzelne Polizeibeamte vorzugehen sinkt rapide, wenn eine Seite Nachteile, wie ein Imageverlust, befürchten muss.

In der aufgeladenen Situation in Ferguson wird eine Entscheidung der Ermittlungsbehörden, Anklage gegen den Polizeischützen zu erheben, auch als ein politisches Statement verklärt. Sollte es zu einer Anklage kommen, werden die Polizeibefürworter eine politische Intrige vermuten, die wie im anderen großen, politisch heiklen Fall von OJ Simpson von „oben herab“ diktiert wurde. Damals sprachen die Beweise eher gegen den ehemaligen Footballstar OJ Simpson 1995 in Kalifornien im Mordfall seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihrem Freund Ronald Goldman. OJ Simpson wurde am Ende freigesprochen und löste eine heftige Debatte um Minderheitenschutz aus. Auch damals befürchteten kalifornische Polizeidienststellen gewaltsame Rassenunruhen bei einem Schuldspruch. Sollte im Gegensatz jedoch der Polizeischütze von Ferguson durch die Ermittlungsbehörden nicht angeklagt werden, wird auch dieses Urteil von den meisten Afroamerikanern als ungerecht empfunden werden. Einen Ausbruch von gewaltsamen Protesten würde dann erwartet werden.

Die Rassenspannungen im St. Louis County sind nicht erst seit dem Fall Michael Brown zu spüren. In der Nachbargemeinde Kirkwood ist es am 7. Februar 2008 zu einem Amoklauf eines Afroamerikaners im Rathaus gekommen. Der Schütze Charles „Cookie“ Thornton erschoss damals fünf weiße Beamte aus Hass. Kirkwood ist eine wohlhabende und mit fast 80 Prozent eine vornehmlich weiße Gemeinde. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Kirkwood liegt mit 73.000 US-Dollar rund doppelt so hoch wie in Ferguson. Das hohe soziale Gefälle erzeugt Spannungen zwischen den Bewohnern, die sich in unregelmäßigen Abständen in Gewalttaten entladen.

Und regelmäßig werden Tötungsdelikte durch Polizeieinsätze in den Medien bekannt. Wenige Woche vor der Erschießung Michael Browns kam es ebenfalls zu einer Erschießung eines unbewaffneten Schwarzen durch einen Polizisten im Nachbarort von Ferguson, Bel-Ridge. Am 5. Juli wurde Christopher Maurice Jones erschossen, der zuvor vor einer Verkehrskontrolle auf der Interstate 70 flüchtete und mit seinem Auto 114 Meilen die Stunde über die Autobahn raste. An einer Ausfahrt verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug und flüchtete anschließend zu Fuß. Jones war schwerer und größer als der ihm ebenfalls zu Fuß verfolgende Polizist und widersetzte sich seiner Verhaftung. Nachdem Jones sich an den Hosenbund am Rücken gefasst haben soll, vermutete der Polizist das Ziehen einer Waffe und erschoss Jones sofort. Zeugen oder Überwachungsvideos vom Vorfall gibt es nicht.

Einen traurigen Fall von massiven polizeilichen Fehlverhalten hatte die Stadt Ferguson am 20. September 2009 zu verkraften. Der Afroamerikaner Henry Davis, damals 52 Jahre alt, wurde nachts in Ferguson wegen eines angeblichen Haftbefehls von der Polizei angehalten und verhaftet. Auf der Polizeidienststelle stellte sich jedoch ein Irrtum heraus, weil Davis viel kleiner und einen anderen Zweitnamen besaß. Dennoch misshandelten ihn vier weiße Polizisten auf der Wache. Sie schleiften ihn in Handschellen in eine Zelle und traten und schlugen auch dann auf ihn ein, als er am Boden lag. Nachdem sie ihn aufgerichtet hatten, trat ein Polizist mit voller Wucht gegen seinen Kopf und verursachte eine starke massive Blutung. Im Krankenhaus wurden die behandelnden Ärzte angewiesen, keine Fotos von den Verletzungen Davis zu machen. Im Untersuchungsbericht vermerkten die Polizisten, dass Davis mit dem Kopf gegen eine Wand gefallen sei. Zu aller Boshaftigkeit erhielt Davis nach einigen Wochen nach der Tat einen Strafbescheid, der wegen Sachbeschädigung in der Polizeiwache ausgestellt worden war. Als knappe Begründung wurde „wissentliches Bluten auf mehrere Dienstuniformen“ angegeben. Die 30.000 US-Dollar Schäden an den Dienstuniformen sollte Davis selbst bezahlen. Davis geht bis heute gegen den Strafbescheid gerichtlich vor. Ihm plagen bis heute Depressionen und Angstattacken. Den vier Polizeibeamten glückte ihre Vertuschungsaktion, bis heute sind sie nicht angeklagt oder verurteilt worden.

Nur wenige Wochen vor der Erschießung von Michael Brown ereignete sich eine brutale Tat eines Polizisten in Los Angeles am 1. Juli 2014. Während eines Staus zur Rushhour-Zeit auf dem Santa Monica Freeway geht eine Frau den grünen Mittelstreifen in Socken entlang. Die Afroamerikanerin Marlene Pinnock, 51 Jahre alt, machte zu diesem Zeitpunkt einen verwirrten Eindruck. Ein Polizist fängt sie ab, es kommt zu einer kleinen Handgreiflichkeit zwischen beiden. Die Frau will weiter gehen und wird vom Polizisten zu Boden gerissen. Als er auf sie kniet, schlägt er mit seinen behandschuhten Fäusten auf sie mehrfach heftig ein. Erst ein herbeigeeilter zweiter Polizist kann ihn von weiteren Schlägen abhalten. Die Tat wurde von einem Autofahrer mit dem Handy aufgenommen, der im Stau mit hunderten anderen Autofahrern feststeckte. Zeugen vom Vorfall gab es viele. Der Aufschrei der Bürgerrechtler war in den USA groß. Denn schon wieder war das Opfer schwarz und der Polizist weiß. Die Medien verbreiteten den Clip in den Hauptnachrichten stündlich. Über die sozialen Medien wurde er endlos an Freunde und Bekannte verschickt. Der Polizist wurde vom Dienst suspendiert. Nach einer Mediationssitzung und einer Ausgleichszahlung von 1,5 Millionen US-Dollar an Marlene Pinnock, quittierte der betroffene Polizist seinen Dienst bei der Polizei.

Nur sehr wenige Fälle schaffen es überhaupt in die Schlagzeilen und noch weniger werden landesweit bekannt. Der Fall vom 17-jährigen Trayvon Martin brachte Ende Februar 2012 eine breite und langanhaltende Debatte über Rassismus in den USA in Gang. Es gab friedliche Demonstrationen und Protestveranstaltungen im ganzen Land, auch als der Schütze, der selbstberufene Nachbarschaftswächter George Zimmerman, freigesprochen wurde. Zimmerman gab an, in Notwehr geschossen zu haben und dass es zuvor zu einen Kampf mit dem unbewaffneten Trayvon Martin gekommen sein soll.

Auch wenn die Fälle sich unterscheiden, Brown wurde von einem Polizisten erschossen, Martin von einem privaten Nachbarschaftswächter, sind es vornehmlich afroamerikanische Jugendliche und junge Männer, die auf gewaltsamen Weg aus dem Leben scheiden. Und fast allen ist anzumerken, dass sie vorab durch ein diskriminierendes Profiling ausgewählt wurden. Bei Martin war es szenetypische Kleidung, die Zimmerman vermuten ließ, dass es sich um geklaute Waren handelte, die der Jugendliche bei sich trug. Martin hatte sie jedoch zuvor in einem Geschäft gekauft.

Alle Fälle zusammen ergeben ein Bild eines vorurteilsbeladenen Zusammenlebens differenzierter Bevölkerungsteile in den USA. Und die Unglücke scheinen kein Ende zu nehmen. Der afroamerikanische Bürgermeister von Newark, Ras Baraka, sagte nach dem Freispruch des Schützen George Zimmerman, dass dieses Ergebnis „das System der Jim-Crow-Justiz“ ist, welches „dem Mörder von Trayvon Martin in die Freiheit entlässt“. Die „Jim Crow“-Gesetze waren für die Rassentrennung bis in die 1960er Jahre verantwortlich und sollten nach ihrer Aufhebung keine Rolle mehr im US-amerikanischen Leben spielen. „Sie sagen, Jim Crow sei tot. Aber ich sage, Eric Garner ist tot“, sagte Baraka damals sichtlich wütend. Der Afroamerikaner Eric Garner wurde durch einen Polizisten in New York wenige Tage nach der Verkündung des Geschworenenurteils im Fall Martin während einer misslungenen Festnahme getötet.

Die Konflikte zwischen der Polizei und den Bürgerrechtlern verlagerte sich ab Ende der 1960er Jahre zunehmend zwischen der Polizei und unzufriedenen schwarzen Jugendlichen und der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Der Krieg gegen die Drogen, die die USA seit der Hippie-Bewegung überschwemmten, wurde in den 1970er Jahren stärker forciert. Ab 1973 war der Schwerpunkt der nationalen Strafverfolgung der Kampf gegen die ausufernden Drogendelikte. Einige Polizeiabteilungen haben in dieser Zeit Versuche unternommen, das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und der Polizei zu verbessern. Die gut sichtbaren Schrotflinten am Armaturenbrett der Polizeidienstwagen wurden in den Kofferraum verlagert. Doch die Gewalt gegen Polizisten nahm in einer solchen Geschwindigkeit zu, dass Politiker und die Polizeigewerkschaften härtere Maßnahmen verlangten. Schusswechsel und sogar Bombenlegungen von Extremisten nahmen erschreckende Ausmaße an. Zu dieser Zeit wurde auch die weltweit bekannte Polizeieinheit „Special Weapons and Tactics“, bekannt als SWAT, in Los Angeles gegründet, die für Geiselnahmen, Banküberfälle und schwer bewaffnete Kriminelle zuständig waren. Die Militarisierung der Polizei nahm hier ihren Lauf.

Montag, 11. August 2014

Nachdem sich die Lage Montagnacht um 3:30 Uhr in Ferguson endlich beruhigt, listet die Polizei die Schäden in der Stadt auf. Der erste Krawalltag nach der Erschießung von Michael Brown ließ für die nächsten Nächte nichts Gutes erahnen. Der Polizeibericht gibt beängstigende Szenen wieder. Immer wieder sollen Schüsse in der Nacht in Ferguson vernommen und auch auf einen Polizeihubschrauber geschossen worden sein. Opfer durch Schussverletzungen gab es jedoch keine. Ein Polizist wurde durch einen Steinschlag verletzt. In der Nacht brannten ein Lebensmittelgeschäft sowie eine Tankstelle komplett aus. Vermummte warfen Molotowcocktails, Flaschen und Steine auf Polizisten. Nicht wenige hatten sich feuchte Tücher um Mund und Nase gebunden, um gegen das Tränengas gewappnet zu sein. In der gesamten Nacht nahm die Polizei tausende Anrufe entgegen. Bewohner meldeten Schüsse in der Stadt, Brandstiftungen, Raubüberfälle, Vandalismus und Einbrüche. Doch die Polizeikräfte waren größtenteils schon in Ferguson gebunden gewesen und konnten viele Meldungen nicht nachgehen. Der Polizeichef von St. Louis, Jon Belmar, sprach von einem Glück, dass kein Mensch während der Krawalle lebensgefährlich verletzt wurde. Zu den Krawallen äußert sich der Polizeichef von Ferguson, Thomas Jackson, am Montag sichtlich erschüttert, dass es die „schlimmste Nacht meines Lebens“ war.

Viele Verletzte sind in Krankenhäuser eingeliefert worden. Oftmals mussten verletzte Demonstranten aufgrund des Tränengases behandelt werden. Von der Gewalt und den Plünderungen ist auch die Polizei überrascht. Ein solches Ausmaß der Zerstörung von Geschäften, Autos und Müllcontainern hatte sie nicht erwartet. An der Eskalation der Demonstrationen geben viele Demonstranten dem Verhalten der weißen Polizeikräfte allerdings eine große Mitschuld. Ihr ebenfalls aggressives Auftreten erinnert viele Afroamerikaner an die Zeit der Rassentrennung in den Südstaaten und provozierte schwarze Jugendliche zu Gegenreaktionen. Wiederholt sollen friedliche Demonstranten durch weiße Polizisten beleidigt und mit gezogenen Waffen bedroht worden sein.

Auf einer eigens anberaumten Pressekonferenz gibt Polizeichef Belmar die ersten Erkenntnisse des Tathergangs wieder. Demzufolge soll Brown bei einem Handgemenge am Fahrerfenster den Polizisten in das Polizeiauto zurückgedrängt haben. Dabei soll sich ein erster Schuss aus der Dienstwaffe des Polizisten gelöst haben. Brown soll versucht haben, die Dienstwaffe des Polizisten an sich zu reißen. Wie viele Schüsse abgegeben wurden und wie viele Kugeln Brown getroffen haben, wird auf der Pressekonferenz nicht veröffentlicht. Eine Videoaufzeichnung vom Vorfall gibt es nicht. Die Überwachungskameras in den Streifenwagen der Polizei von Ferguson wurden vor Jahren wegen Kostengründen demontiert.

Brown hatte soeben seinen High-School-Abschluss geschafft und wollte am heutigen Montag zum College gehen. Die neue Klasse sollte sich heute zum ersten Mal zusammenfinden, doch viele Klassenkameraden und ehemalige Schulfreunde Browns haben seine Leiche am Tatort liegen sehen. Nicht wenige von ihnen haben sich an den Protesten beteiligt. Über die sozialen Medien tauschen ehemalige Klassenkameraden und Freunde von Brown ihre Wut und Trauer aus. Unter dem Hashtag #IfThey-GunnedMeDown twittern junge Menschen Bilder von sich in Anzügen und hübschen Kleidern sowie einem Bild mit Kleidungsstücken, die nach einer Gangmitgliedschaft aussehen. In den USA werden gerne Kapuzenpullover, die sogenannten Hoodies, von der jugendlichen Subkultur getragen, die von der mehrheitlich weißen Gesellschaft mit Vorurteilen gegenüber ihren Trägern behaftet sind. Beide unter dem Hashtag verbreiteten Bilder sollen zeigen, dass sich die Jugendlichen vornehm und gebildet sowie bedrohlich und kriminell bekleiden können. Doch in den US-Medien würde das zweite Bild, so die gängige Meinung der Twitterer, nach ihrer Erschießung veröffentlicht werden.

Viele Geschäfte bleiben nach der Krawallnacht in Ferguson geschlossen. Weitere gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei werden erwartet. Die Aufräumarbeiten dauern den gesamten Montag an. Nur notdürftig werden zerschlagene Schaufenster mit Brettern gesichert. Der komplette Austausch der kaputten Scheiben in Ferguson wird über einen Monat andauern. Auf den Kosten bleiben die meisten Geschäfte selbst sitzen. Die Polizei patrouilliert tagsüber zwar nicht mehr in kompletter Kampfmontur, doch bleibt die Lage angespannt. Immer wieder tauchen Gruppen von mehreren hundert Personen auf und blockieren den Verkehr auf den Hauptverkehrsstraßen von Ferguson. Wüste Beleidigungen werden den anrückenden Polizisten entgegengerufen, die die Demonstranten zum Zerstreuen ihrer Veranstaltung auffordern. Dem kommen sie zumeist nach, um nach einer Stunde an einer anderen Stelle in der Stadt aufzutauchen und erneut den Verkehr zu blockieren.

Mehrere Gruppen von 20 bis 200 Personen skandieren über den Tag verteilt „Was wollen wir? Gerechtigkeit! Wann wollen wir sie? Jetzt!“ und „Stoppt die Killer Cops“. Sie fordern zudem eine bessere Transparenz der Ermittlungsarbeiten und eine bessere Informationspolitik seitens der Polizei und des Staatsanwalts. Die schleppenden und nur mit großem Widerwillen herausgegebenen Informationen zum Tatablauf sowie die blockierten Informationen, wie den Namen des Polizeischützen, sehen die Protestierer als Affront gegenüber der Familie des Getöteten und als Zeichen einer Vertuschungsaktion an. In den USA ist es nicht unüblich, dass die Polizei Festgenommene oder Beschuldigte mit vollem Namen und Adresse auf der Internetseite der Polizei und in der Lokalpresse veröffentlicht. So werden auch die festgenommenen und angeklagten Randalierer, Brandstifter und Plünderer von Sonntagnacht auf der Internetseite der Polizei samt Foto und Adresse veröffentlicht. Dass nun der Schütze von der Polizei „geschützt“, zumindest aber besser gestellt wird, wird von den afroamerikanischen Bewohnern Fergusons als weiteren Beweis einer rassistischen Polizei und Staatsanwaltschaft angesehen. Die Polizei begründet die Geheimhaltung aufgrund der Morddrohungen gegen den Polizeischützen. Die Ermittlungen zum Fall Brown hat nun auch der Staatsanwalt von St. Louis County, Robert McCulloch, übernommen. McCulloch wird am Ende der Untersuchung entscheiden, ob es zu einer Anklage gegen den Polizeibeamten kommen wird oder nicht. Währenddessen ruft der Gouverneur von Missouri, Jay Nixon, zur Ruhe in Ferguson und St. Louis auf. Er verspricht eine „gründliche, transparente und unparteiische“ Ermittlung und wirbt um Vertrauen in die Ermittlungsarbeiten.

Am Montag wird auch eine Studie vom Department of Justice von 2007 nochmals publik, die ein erschreckendes Ausmaß von Polizeigewalt mit Todesfolge offenbart. Innerhalb von drei Jahren starben bei Festnahmen durch staatliche oder bundesstaatliche Strafverfolgungsbehörden fast 700 Menschen in den USA. Werden die herausgenommenen Todesfälle aus der Studie noch mitgezählt, liegt der Durchschnitt bei einem Toten pro Tag. Jedem dieser verstorbenen Verdächtigen ist eine rechtsstaatliche Untersuchung ihres Falls genommen worden. Eine mögliche Rehabilitierung oder ein Freispruch sind nicht mehr möglich. Die Studie basiert auf dem Death in Custody Reporting Act. Alle Bundesstaaten und Washington D.C. beteiligten sich mit Ausnahme von Montana, Georgia und Maryland an der Studie. Fast ausnahmslos waren die Toten männlich, nur vier Prozent waren weiblich. Knapp 80 Prozent der Verstorbenen waren im Alter zwischen 18 und 44 Jahren. Der überwiegende Teil der Toten waren Weiße, während 32 Prozent Afroamerikaner und 20 Prozent Lateinamerikaner waren. Doch die Studie offenbart auch, dass die lokale und bundesstaatliche Polizei sich tagtäglich selbst massiver Gewalt aussetzt. Im selben Zeitraum sind 159 Polizeibeamte während des Dienstes durch Gewalteinwirkung gestorben. Knapp 175.000 Angriffe auf knapp 630.000 Polizeibeamte der rund 18.000 Strafverfolgungsbehörden des Landes sind registriert worden. In einer aktuelleren Langzeitstudie von 2003 bis 2009 aus dem Department of Justice konnten in den gesamten USA 4.813 Todesfälle dokumentiert werden, die im Zusammenhang mit einem Polizeieinsatz stehen. Insgesamt wurden 97,9 Millionen Festnahmen registriert. Im selben Zeitraum wurden im Bundesstaat Missouri 26 Tötungsdelikte bei versuchten Festnahmen dokumentiert.

Und es gibt Statistiken des FBI, die das Gefühl der afroamerikanischen Bevölkerung einer zunehmenden Aggressivität durch Polizisten und der vorschnellen Benutzung ihrer Dienstwaffe belegen. Unter der Klassifizierung „berechtigte Tötungen“ durch die Polizei fielen im Jahr 1991 1,92 Fälle auf 10.000 Gewalttaten an. Zehn Jahre später stiegen die Fälle auf 2,63, um 2011 nochmals auf 3,35 Fälle anzusteigen. Für das Jahr 2015 wird von einer nochmaligen Steigerung ausgegangen. Allein in den ersten fünf Monaten starben durch Polizeieinsätze 385 Menschen in den USA. Das wären rund drei Menschen pro Tag und zwei Drittel der Toten waren afroamerikanischer oder hispanischer Herkunft. Knapp 100 Tote galten als psychisch auffällig. Und in nur drei Fällen mussten sich Polizeibeamte vor Gericht für ihre Tötungen verantworten.

Gänzlich im Dunkeln liegen die Fälle von Polizeigewalt, die eigentlich durch das vor rund 20 Jahren durch den Kongress verabschiedete Violent Crime Control and Law Enforcement Act, veröffentlicht worden sein müssten. Doch das Justizministerium schreckt vor einem veröffentlichten Jahresbericht über Polizeigewalt zurück. Alle Polizeichefs wurden über ihre Vereinigungen gebeten, Daten an das Justizministerium zu senden. Bis heute ist eine solche Statistik jedoch nie veröffentlicht worden, auch unter dem amtierenden schwarzen Justizminister Eric Holder nicht. Die jährlichen Berichte über die „Daten über die Anwendung exzessiver Gewalt durch die Strafverfolgungsbehörden“ werden unter Verschluss gehalten. Der letzte Bericht über die übermittelten Daten stammt aus dem Jahr 2001. Als gescheitert galt das Gesetz seit Anbeginn, da es sich um einen Kraftakt handelt, alle Daten von 18.000 Polizeidienststellen auswerten zu wollen. Die Kritik an einer fehlenden Statistik über die Todesfälle durch Polizeiarbeit schwillt durch die neue Bürgerrechtsbewegung aus Ferguson wieder an. Bürgerrechtler bemängeln diese Wissenslücke, weil die Bevölkerung ihre eigenen Erfahrungen in die öffentliche Diskussion über Polizeigewalt einbringen und es zu einem falschen öffentlichen Bild beitragen kann.

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9783741840418
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