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Question – Stellen Sie sich Fragen!

Sie sollten sich jetzt immer noch bremsen mit dem Lesen. Es wurde eine Erwartungshaltung bei Ihnen erzeugt, es tauchen Fragen in Ihrem Kopf auf, Ihr Gehirn ist auf aktive Suche umgeschaltet. Stellen Sie sich jetzt Fragen, die Sie bei Bedarf auch aufschreiben können:


Was stelle ich mir unter diesem Thema vor?
Was weiß ich bereits von dem Stoff? Was über den Autor?
Welche Kapitel und Überschriften werden genannt?
Welche unbekannten Fachbegriffe tauchen auf?
Welche Verbindungen sehe ich zu anderen Themen?
Welche spezifischen Fragen tauchen auf?

Sie werden schneller vorgegebene Strukturen des Textes erkennen, Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden können. Sie lernen immer spezifischer Ihre Sachfragen zu stellen, um diese später gezielter zu beantworten.

Read – Lesen Sie jetzt gründlich Abschnitt für Abschnitt!

Sie sind jetzt gut vorbereitet. Lesen den Text bitte langsam und konzentriert durch und beachten Sie folgende Hinweise:


Erkennen Sie die vorgegebene Struktur des Textes, beachten Sie Gliederungshierarchien und ordnen Sie danach ein, was Haupt- und Unterpunkte sind.
Schlagen Sie unbekannte Fachbegriffe direkt nach und klären Sie diese im Kontext.
Beachten Sie grafische Hervorhebungen im Text besonders (fett, kursiv, Einrückungen).
Beachten Sie auch sprachliche Hervorhebungen („wesentlich, von zentraler Bedeutung, kritisch ist, wie oben erwähnt, im Gegensatz zu ...“).
Finden Sie die Hauptaussagen der einzelnen Abschnitte.
Heben Sie zusätzlich für Sie Wesentliches hervor durch Markierungen im Text oder am Seitenrand mit Bemerkungen (z.B. „Theorie, Vergleiche, Kritik, Ergebnis, Bezug“).
Lassen Sie sich anfangs nicht davon verwirren, Sie werden später derartige Worthinweise und Kernideen dann immer schneller finden.

Nach dem Lesen eines Abschnittes machen Sie eine kleine Pause von 3 Minuten.

Recall – Wiederholen Sie und fassen Sie jeden Abschnitt schriftlich zusammen!

Nachdem Sie einen Abschnitt gelesen haben, sind Sie in der Lage, die wesentlichen Inhalte ohne Vorlage wiederzugeben. Sie können die Kernaussagen im Geiste wiederholen. Bei komplexeren Lerninhalten sollten Sie sich aber schriftliche Notizen machen.

Gehen Sie wie folgt vor:


Schreiben Sie die wichtigsten Begriffe, Kerngedanken kurz auf und gebrauchen Sie dabei Ihre eigenen Formulierungen.
Beantworten Sie die unter „Question“ gestellten spezifischen Fragen.
Erstellen Sie eigenständig Tabellen, Abbildungen, Gliederungen und Schemata, um komplizierte Inhalte zu veranschaulichen.

Auf diese – erst einmal zeitaufwändige Weise – haben Sie nun eine aussagekräftige Sammlung wesentlicher Inhalte, die Sie möglichst gut auffindbar in Aktenordnern oder auf Karteikarten für die spätere Verwendung dokumentieren können. In der Vorbereitung der Prüfungen und Arbeitsgruppensitzungen können Sie gezielter darauf zurückgreifen.

Review – Wiederholen Sie den gesamten Text mündlich!

Jetzt kommt die Zusammenschau in einer mündlichen Wiederholung. Gehen Sie dafür noch einmal alle Überschriften, Gliederungen, Hervorhebungen und Notizen (zügig) durch, um gut auf Ihre mündliche Nacherzählung vorbereitet zu sein. Stellen Sie sich nun mündlich die wesentlichen Aussagen des Textes vor. Sie können dabei auch Vergleiche, Querverbindungen zu anderen Texten oder ähnlichen Theorien herstellen.

Üben Sie die SQ3R Methode!

Erarbeiten Sie jetzt einen einfachen nicht allzu langen Text nach der SQ3R Methode. Sie werden bei häufigerer Anwendung merken, dass diese Arbeitstechnik genial einfach ist, dank Robinson.


Survey Erforschen, Überblick gewinnen: Titel, Kapitel, Überschriften, Zusammenfassungen
Question Fragen stellen: Was weiß ich bislang zum Thema, Autor? Was möchte ich gerne wissen?
Read Langsames Lesen des Textes/Abschnitts mit Hervorhebungen und Bemerkungen
Recall Wiederholen und schriftliches Zusammenfassen der wichtigsten Inhalte mit eigenen Formulierungen
Review Nacherzählen und Wiederholen des gesamten Textes mit Querverbindungen, Kritik

Die SQ3R Methode hilft vor allem beim Erlernen von Zusammenhangswissen.

Wiederholen Sie auch Ihr Faktenwissen (z.B. Definitionen) mit System!

Sie kennen vom Vokabellernen vielleicht, dass es für einen aktiven Wortschatz besonders günstig ist, Vokabeln nach individueller Schwierigkeit z.B. auf Karteikarten zu lernen und nicht nach Kapiteln. Erstellen Sie sich analog eine differenzierte Lernkartei für Definitionen, die Sie so regelmäßig wiederholen können. Vielleicht eignet sich das grundlegende Wiederholungssystem auch für Schemata. Probieren Sie es aus!


Jede neue Definition wird auf eine kleine Karteikarte (ca. 7 x 10 cm) geschrieben. Auf der einen Seite ist der Begriff, auf der anderen Seite die Definition.
Je nach subjektiv empfundener Schwierigkeit werden die Karten in fünf unterschiedliche Pakete eingeteilt.
Nehmen Sie einen Karteikasten mit fünf möglichst unterschiedlich großen Fächern.
Die schwierigsten Karten kommen in das kleinste, die leichtesten in das größte Fach. Sie brauchen auf jeden Fall fünf unterschiedlich schwierige Karteipakete (können auch nummeriert sein).
Täglich werden zehn Definitionen wiederholt, indem aus jedem Fach zwei Karten vom Anfang des Stapels abgefragt werden.
Wird die Definition gut beherrscht, so wandert sie nach hinten in das nächst größere (leichtere) Fach.
Die schlecht beherrschten Definitionen wandern ins nächst schmalere (schwierigere) Fach.
„Mittelprächtig“ beherrschte bleiben im gleichen Fach, wandern jedoch wieder ans Ende des Stapels.

Auf diese Weise wiederholen Sie die noch nicht erlernten Definitionen häufiger. Wenn Sie täglich konsequent zehn Definitionen in zehn Minuten wiederholen würden, hätten Sie in einem Vierteljahr ca. 900 Definitionen präsent.

Online-Wissens-Check statt Karteikasten!

Alternativ hierzu können Sie auch den zu diesem Skript gehörenden kostenlosen Online-Wissens-Check nutzen. Dabei nutzen Sie gleich mehrere „Lernkanäle“. Sie beantworten einfach die dort gestellten Wiederholungsfragen, erhalten direktes feedback zum Wissensstand und sehen tagesaktuell Ihren individuellen Lernfortschritt. Einfach anmelden unter www.juracademy.de/skripte/login. Den user code finden Sie auf der Codeseite nach dem Vorwort zu diesem Skript.

1. Teil Einführung

1. Teil Einführung

Inhaltsverzeichnis

A. Rechtsquellen

B. Auffinden der einschlägigen Rechtsnorm(en)

C. Wirksamkeit und Anwendbarkeit einer Rechtsnorm

D. Rechtsanwendung

1

Die in einer juristischen Klausur zu lösende Aufgabe besteht regelmäßig darin, eine in Bezug auf einen vorgegebenen Lebenssachverhalt (Tatsachen[1]) gestellte Fallfrage gutachterlich zu beantworten, d.h. eine rechtlich vertretbare Lösung zu erarbeiten.[2]

2

Beispiel aus dem Privatrecht[3]

Als A kurz nach Betreten eines Restaurants seinen Mantel ablegen wollte, stieß er gegen eine neben der Garderobe aufgestellte Designerlampe (Wert: 500 €), welche daraufhin zerbarst. Hat I, der Inhaber des Restaurants, einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 500 € als Ersatz für die zerstörte Lampe („Restaurant-Fall“)?

Beispiel aus dem Strafrecht[4]

A hat den letzten noch freien Sitzplatz in einer Cocktailbar ergattert. Als er zum Bezahlen sein Portemonnaie aus der Tasche holt, reißt Z ihm dieses gewaltsam aus der Hand. (Wie) Hat sich Z, der hierbei auf „reiche Beute“ hoffte, strafbar gemacht („Cocktailbar-Fall“)?

Beispiel aus dem Öffentlichen Recht[5]

A hat sich mit dem Betrieb einer speziell auf Raucher ausgerichteten Eckkneipe selbstständig gemacht. Nunmehr liest A in der Zeitung vom Inkrafttreten eines Gesetzes, wonach das Rauchen in Gaststätten ohne jede Ausnahme verboten ist. A meint, dass dieses Gesetz sein Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG verletze und erhebt daher in zulässiger Weise Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz. Wie wird das hiermit befasste BVerfG entscheiden, falls A mit seiner Meinung Recht haben sollte („Eckkneipen-Fall“)?

3

Hinweis

Derselbe Sachverhalt kann unter verschiedenen Gesichtspunkten juristisch relevant sein.[6] So könnte etwa im „Restaurant-Fall“ (Rn. 2) anstatt nach – oder zusätzlich zu – einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des I gegen A auch danach gefragt werden, ob sich A durch Umstoßen der daraufhin zerborstenen Designerlampe gem. § 303 Abs. 1 StGB wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht hat (hierzu siehe Fn. 31 in Rn. 86).

Abweichend von derartigen speziell für Ausbildungszwecke konstruierten Situationen muss in der Lebenswirklichkeit die Fallfrage dagegen häufig erst noch herausgearbeitet werden und ist der Sachverhalt nicht selten streitig (z.B. ob der Angeklagte wirklich die maskierte Person ist, die beim Banküberfall von der Videokamera aufgezeichnet wurde), was sich in der Rechtspraxis sogar als weitaus problematischer erweisen kann als die juristische Beurteilung des Geschehens (z.B. nach § 239a Abs. 1, §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1 bzw. §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB).[7] Auch muss dort das rechtlich Relevante aus dem vom Mandanten etc. mitgeteilten „Rohsachverhalt“ vom Juristen (z.B. Rechtsanwalt) regelmäßig erst noch herausgefiltert bzw. – bei aus juristischer Perspektive unzureichendem tatsächlichen Vorbringen – erfragt werden.[8]

Anmerkungen

[1]

Im Gegensatz zu (subjektiven) Meinungen sind (objektive) – äußere (z.B. § 242 Abs. 1 StGB: „Sache […] wegnimmt“) wie innere (z.B. § 242 Abs. 1 StGB: „Absicht […], die Sache sich […] zuzueignen“) – Tatsachen dem Beweis zugänglich („wahr oder falsch“), siehe Wienbracke, Einführung in die Grundrechte, 2013, Rn. 373, 375 m.w.N. Siehe auch Rn. 90 f.

[2]

Butzer/Epping, Arbeitstechnik, S. 32; Mann, Einführung, Rn. 152, 155. Siehe auch Rn. 223.

[3]

Nach Wank, Auslegung, S. 3.

[4]

Nach Wank, Auslegung. S. 5.

[5]

Nach Wienbracke, Einführung in die Grundrechte, 2013, Rn. 275 m.w.N.

[6]

Vgl. Muthorst, Grundlagen, § 6 Rn. 5.

[7]

Vogel, Methodik, S. 11, 101; Wank, Auslegung, S. 3 f.

[8]

Schwacke, Methodik, S. 57; Vogel, Methodik, S. 20 ff. Siehe auch Rn. 227.

1. Teil Einführung › A. Rechtsquellen

A. Rechtsquellen

4

Maßstab für die Beantwortung juristischer Fragestellungen ist im Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3 GG) „weder Brauch noch Sitte, Moral, Religion oder Politik, sondern allein – das Recht“[1], vgl. auch § 313 Abs. 3 ZPO, § 267 Abs. 3 S. 1 StPO, § 39 Abs. 1 S. 2 VwVfG.

5

Recht ist […] die Summe aller geltenden Rechtsnormen“[2], das sog. objektive Recht.[3]

6

Normen bestehen aus zumeist[4] sprachlichen Sätzen, die zur Steuerung menschlichen Verhaltens allgemein (vgl. Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG), d.h. für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen (abstrakt) und Personen (generell), ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen gebieten, verbieten bzw. erlauben (Rn. 12; z.B. „Du sollst nicht stehlen“, sog. deontologische bzw. präskriptive „Sollens-Sätze“ im Gegensatz zu sog. ontologischen bzw. deskriptiven „Seins-Sätzen“, die etwas real Vorhandenes beschreiben, z.B. „A hat B einen Geldschein weggenommen“; „Dichotomie von Sein und Sollen“[5]).[6]

7

Hinweis

Wer „ein Sollen mit einem Sein begründet“, begeht einen naturalistischen Fehlschluss. „Denn daraus, dass etwas so ist, wie es ist, folgt nicht, dass es so sein soll, wie es ist.“[7]

8

Im Unterschied zu sittlichen (moralischen; z.B. finanzielle Unterstützung notleidender Geschwister untereinander[8]), gesellschaftlichen (sozialen; z.B. Erwiderung eines Grußes) und technischen (z.B. DIN-)Normen zeichnen sich Rechtsnormen („Rechtssätze“[9]) dadurch aus, dass sie staatlich garantiert sind, d.h. vom Gesetzgeber erlassen wurden bzw. von den Gerichten angewendet werden („Gerichtsfähigkeit“[10]).[11] Sie gelten zwischen den von ihnen jeweils Betroffenen unabhängig davon, ob diese das wollen oder nicht.[12] Ihre Einhaltung kann vom Staat erzwungen (vollstreckt, z.B. nach dem VwVG) werden bzw. drohen im Fall eines Verstoßes gegen sie staatliche Sanktionsmaßnahmen (z.B. Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz z.B. nach § 823 Abs. 1 BGB im Gegensatz zu gesellschaftlichen Sanktionen wie etwa Isolation).[13]

9

Räumt eine Rechtsnorm dem Einzelnen eine Befugnis gegenüber einem anderen Bürger (z.B. § 433 Abs. 2 BGB) oder dem Staat (z.B. Art. 2 Abs. 1 GG, vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) ein, so handelt es sich um ein subjektives Recht, das entweder (absolut) gegenüber jedermann (erga omnes; z.B. Eigentum) oder aber nur (relativ) gegenüber einer bestimmten anderen Person (inter partes; z.B. vertraglicher Anspruch) besteht. Nicht jedem objektiven Recht (z.B. § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB: „Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen“) muss ein subjektives entsprechen (z.B. § 1 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB: „Auf die Aufstellung von Bauleitplänen […] besteht kein Anspruch“).[14]

10

Im vorstehenden Sinn verbindlich sind in dem durch das Grundgesetz verfassten Rechtsstaat primär „Gesetze“, d.h. das in diesen niedergeschriebene (sog. „positive“) Recht, siehe Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG.[15] Der daneben in Art. 20 Abs. 3 GG noch enthaltene Hinweis auf das „Recht“ sei nach teilweise vertretener Auffassung tautologischer Natur,[16] wohingegen nach a.A. hierdurch das überpositive (Natur-)Recht erfasst werde.[17] Relativiert wird dieser Streit dadurch, dass „der Gesetzgeber des Grundgesetzes in seine Grundentscheidung Normen einbezogen und damit im Grundgesetz positiviert hat, die vielfach als übergesetzlich bezeichnet werden (etwa in Art. 1, aber auch in Art. 20 GG).“[18] Gleichwohl ist dem BVerfG zufolge „[d]as Recht […] nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag.“[19]

11

Nicht selten haben Gesetze ihren Ursprung in einer außerrechtlichen Norm (z.B. lautet eines der Zehn Gebote als „Urform eines Normenkatalogs“[20]: „Du sollst nicht töten“; vgl. § 212 Abs. 1 StGB) bzw. erklären eine solche auch für rechtlich verbindlich (z.B. § 138 Abs. 1 BGB: „gute Sitten“).[21] Zwingend ist dies allerdings nicht, wie diejenigen Rechtsnormen belegen, die keinerlei Bezug zu einer sittlichen, gesellschaftlichen oder technischen Norm aufweisen (so z.B. § 8 Abs. 1 S. 1 StVO: „An Kreuzungen und Einmündungen hat die Vorfahrt, wer von rechts kommt“).[22] Infolge dessen kann es schließlich auch Gesetze geben, die – gemessen an außerrechtlichen Wertmaßstäben – als ungerecht empfunden werden (z.B. §§ 218 ff. StGB).[23] Solange derartige Gesetze vom hierfür zuständigen Organ jedoch nicht geändert bzw. aufgehoben werden, bleiben sie grundsätzlich rechtsverbindlich;[24] schließlich kann im Ausgangspunkt „[j]eder beliebige Inhalt […] Recht sein.“[25] Eine hiervon abweichende Entscheidung aufgrund von Überlegungen der „Billigkeit“ wäre mit der Bindung der Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu vereinbaren.[26] Abweichendes gilt nur ganz ausnahmsweise dann, wenn „der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht hat, dass das Gesetz als ,unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“[27] Diese sog. Radbruch'sche Formel wurde vom BVerfG in Bezug auf bestimmte Vorschriften des NS- und des DDR-Rechts angewandt.[28]

12

Gesetze i.S.v. Art. 20 Abs. 3 GG sind



13

Hinweis

Die maßgeblich an den jeweiligen Urheber (Parlament oder Exekutivorgan) anknüpfende Unterscheidung zwischen Gesetzen einerseits im formellen und andererseits im materiellen Sinn ist nicht zu verwechseln mit der Differenzierung zwischen dem Prozessrecht (geregelt z.B. in der StPO, VwGO, ZPO) und dem sachlichen Recht, innerhalb dessen sich weiter zwischen dem sog. formellen Recht (= Vorschriften über die Zuständigkeit, das Verfahren und die Form von Rechtsakten wie z.B. Gesetzen, siehe z.B. Art. 70 ff., 76 ff., 82 GG) und dem sog. materiellen Recht (= Vorschriften, welche die Entstehung, die Veränderung und den Untergang von Rechten und Pflichten regeln) unterscheiden lässt.[32]

14

Die meisten Gesetze im formellen Sinn (z.B. BGB, StGB, VwVfG) sind zugleich auch solche im materiellen Sinn (vgl. z.B. § 433 Abs. 1 BGB, § 242 Abs. 1 StGB, § 28 Abs. 1 VwVfG).[33] Demgegenüber handelt es sich etwa bei Haushaltsgesetzen, durch welche der jeweilige Haushaltsplan festgestellt wird (siehe z.B. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG), lediglich im formellen Sinn um Gesetze, nicht aber auch im materiellen Sinn.[34] Denn durch den Haushaltsplan wird gem. § 3 BHO allein die Verwaltung vom Gesetzgeber ermächtigt, Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen; Ansprüche oder Verbindlichkeiten werden hierdurch hingegen weder begründet noch aufgehoben. Umgekehrt sind Rechtsverordnungen[35] (vgl. Art. 80 GG, z.B. Straßenverkehrsordnung, StVO; Rn. 40 f.) und Satzungen (z.B. Bebauungsplan, siehe § 10 Abs. 1 BauGB; Rn. 42 f.), die jeweils nicht von einem Parlament, sondern von der Exekutive erlassen werden, Gesetze nur im materiellen Sinn.[36]

15

Zusätzlich zu den vorgenannten Gesetzen auf nationaler Ebene existieren noch folgende weitere Rechtsquellen:[37]

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17



18

Neben dem positivierten Recht zählt auch das ungeschriebene – und damit stets nur im materiellen Sinn als „Gesetz“ zu qualifizierende – abstrakt-generelle[45] Gewohnheitsrecht zu den anerkannten Rechtsquellen (z.B. die Regeln betreffend das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, vgl. § 346 HGB und allgemein § 293 ZPO).[46]

Gewohnheitsrecht entsteht durch längere[47] tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist [sog. longa consuetudo] und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird [sog. opinio iuris].“[48]

Beispiel[49]

A ist Eigentümer von drei nebeneinander an einer öffentlichen Straße liegender und mit drei aneinandergrenzenden Häusern bebauter Grundstücke in NRW. In deren rückwärtigem Teil befinden sich Garagen. B ist Eigentümerin von Grundstücken, auf denen ein Weg verläuft, über den A die Garagen erreicht. Während diese Wegenutzung seit Jahrzehnten durch frühere Eigentümer und zunächst auch durch B geduldet wurde, hat dieser nunmehr gegenüber A die „Kündigung des Leihvertrages über das zu dessen Gunsten vor über 30 Jahren bestellte, schuldrechtliche Wegerecht“ erklärt. Zudem kündigte B an, den Weg alsbald zu sperren. Unter Berufung auf ein zu seinen Gunsten bestehendes, gewohnheitsrechtliches Wegerecht verlangt A von B, die Sperrung des Weges zu unterlassen. Mit Erfolg?

Nein. Im Verhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn kann ein gewohnheitsrechtliches Wegerecht durch eine jahrelange Übung in der Annahme einer entsprechenden rechtlichen Berechtigung bzw. Verpflichtung nicht entstehen. Denn als ungeschriebenes Recht enthält auch das Gewohnheitsrecht eine abstrakt-generelle Regelung, die über den Einzelfall hinausweisen muss. Zwar ist dies nicht nur bei einem sog. „Jedermann-Recht“ der Fall. Vielmehr kann dies im Unterfall der Observanz auch nur im Verhältnis einer begrenzten Zahl von Eigentümern und Pächtern zueinander entstehen – beispielsweise nur für eine Gemeinde oder für die Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Voraussetzung ist aber stets, dass die ungeschriebene Rechtsnorm, die die Beteiligten als verbindlich anerkennen, sämtliche Rechtsverhältnisse einer bestimmten Art beherrscht. Als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art kann Gewohnheitsrecht nämlich nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht jedoch beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn.

Bestraft[50] werden kann eine Tat nach § 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG freilich nur auf Grundlage eines Gesetzes, d.h. einer geschriebenen Rechtsnorm (Rn. 238). Doch auch im Übrigen ist die Bedeutung des Gewohnheitsrechts im deutschen Recht heute praktisch sehr gering.[51] Zunächst entstandenes Gewohnheitsrecht (z.B. Züchtigungsrecht des Schullehrers) tritt später wieder außer Kraft, wenn zumindest eine der beiden vorgenannten Voraussetzungen wegfällt oder aber entgegenstehendes Gewohnheits- oder Gesetzesrecht sich bildet bzw. erlassen wird (vgl. Rn. 71; z.B. Art. 86 Abs. 3 Nr. 1 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen: „Unzulässig sind: körperliche Züchtigung“).[52]

19

Mangels Allgemeinverbindlichkeit jeweils nicht um eine Rechtsquelle (im engen juristischen Sinn[53]) handelt es sich dagegen bei den folgenden Einzelfallregelungen:[54]

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Hinweis

Höchstrichterlichen Entscheidungen (des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts etc.) kommt freilich auch im deutschen Recht nicht nur tatsächlich ein hoher Stellenwert zu (Rn. 135 a.E.), sondern entfalten diese im Verhältnis zu untergeordneten Gerichten (z.B. § 121 Abs. 2 GVG, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), Staatsanwälten (vgl. § 152 Abs. 2 StPO; str.) und Rechtsanwälten (vgl. § 276 Abs. 2 BGB) ebenfalls rechtlich (mittelbar) eine Bindungswirkung.[59]

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