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6Eine ähnlich technikzentrierte Phaseneinteilung findet sich bei Moran (2010: 8).

7Zu weiteren Vorschlägen solcher Phasen oder »Perioden der Mediengeschichte« vgl. etwa auch Schmolke (2007: 236-238), North (1995: iXf.) und Faulstich (2006: 11-15). Den wohl »frühesten bekannten Periodisierungsversuch des gesellschaftlichen Nachrichtenverkehrs« (WAGNER 2014a: 243) legte Franz Adam Löffler schon 1837 vor.

8Es sei angemerkt, dass diese Ausführungen Luhmanns zu gesellschaftlichen Entwicklungen und ihrem engen Zusammenhang mit Veränderungen in der Kommunikation einige erstaunliche Ähnlichkeiten mit Überlegungen zweier Autoren des 19. Jahrhunderts (Albert Eberhard Friedrich Schäffle und Franz Adam Löffler) aufweisen (vgl. BAUER 2016: 74ff.; WAGNER 2009: 92ff.).

9Vgl. dazu auch Schönhagen (2008a), wo diese Überlegungen – damals in Teilen einem unveröffentlichten Manuskript Wagners (2005) folgend – bereits aufgegriffen wurden.

10Es handelt sich hierbei um einen theoretischen Ansatz zur gesellschaftlichen Kommunikation und Massenkommunikation, der seit den späten 1920er-Jahren von Wissenschaftlern am Münchner Institut für Kommunikationswissenschaft entwickelt wurde.

11Die Begriffe ›Gesellschaft‹ und ›Gemeinschaft‹ werden in der Literatur häufig, basierend auf einer Unterscheidung von Tönnies (1979 [1887]), voneinander abgegrenzt. Nach Tönnies ist Gemeinschaft u. a. gekennzeichnet durch interpersonale Bezugsgruppen sowie ›direkte Kommunikation‹ und wurde, historisch betrachtet, v. a. durch Religion bzw. Glaubensinhalte zusammengehalten. Gesellschaft dagegen ist geprägt durch partikulare Interessen, funktionale Differenzierung und (medien-)vermittelte Kommunikation (vgl. AVERBECK-LIETZ 2015: 64f.). Teilweise wird stattdessen das Begriffspaar ›Vergemeinschaftung‹ und ›Vergesellschaftung‹ verwendet, um unterschiedliche Phänomene sozialer Beziehungen (in heutigen, modernen Gesellschaften) zu charakterisieren (vgl. SCHWIETRING 2011: 24-28; SCHERR 2006: 56-61).

12Zu einer sehr ähnlichen wie der hier dargelegten Sichtweise auf die Entwicklung von der Versammlungs- zur Massenkommunikation und zum Journalismus, wenn auch nur sehr knapp dargelegt, vgl. Domingo et al. (2008: 327-329) sowie Beierwaltes (1999: 28-32).

13Auch daran wird der grundlegende Umbruch deutlich: Lange Zeit ergänzten einfache Formen der Kommunikation über Distanz die zentrale Versammlungskommunikation, während seit der Frühen Neuzeit die Versammlungskommunikation nur noch eine ergänzende Rolle spielt und die journalistisch vermittelte Kommunikation die gesellschaftsweite Öffentlichkeit herstellt.

14Im Kontext der Kommunikations- und Mediengeschichte ist auf recht unterschiedliche Weise von Revolutionen und Evolution(en) die Rede. In der Regel werden mit dem Revolutionsbegriff »tiefgreifende [strukturelle] Veränderungen« (BEHRINGER 2003: 9f.; vgl. auch WAGNER 2009: 107) verbunden. Behringer (2003: 9ff.) unterscheidet dabei nochmals zwischen Medien- und Kommunikationsrevolutionen. Für Wagner (2009: 106) ist die »Umstellung von der Versammlungskommunikation zu einer wirklich effektiven Kommunikation über Distanz« aufgrund des »Wechsel[s] der Prinzipien der Nachrichtenverbreitung« klar »eine Kommunikationsrevolution«. Dem folgen auch die Autor*innen des vorliegenden Buchs. Bisweilen wird jedoch schon die Einführung neuer Techniken oder gar einzelner Geräte oder Angebote als revolutionär bezeichnet. So wird z. B. die Erfindung von beweglichen Lettern durch Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, in Mainz als Revolution bezeichnet (vgl. u. a. WELKE 2008: 9f.; EISENSTEIN 1979; kritisch dazu BEHRINGER 2003: isff.; BRIGGS/BURKE 2009: 19; WÜRGLER 2013: 81-83). Tatsächlich wurde das Prinzip jedoch schon früher in Asien entwickelt, wenn auch nicht mit dem Gutenberg’schen Bleiguss-Verfahren (vgl. SCHÖNHAGEN 2008a: 54). Zudem veränderte diese Erfindung nicht sofort grundlegend die soziale Kommunikation, weil weitere wichtige Voraussetzungen fehlten. Insofern stellte die Versammlungskommunikation zunächst weiter die dominierende Form gesellschaftlicher Kommunikation dar. Mosco (2005) zeigt am Beispiel mehrerer Medien(technologien) im Detail, dass deren Einführung jeweils, im wissenschaftlichen wie populären Diskurs, sehr ähnliche Erwartungen radikaler Umbrüche (vgl. u. a. ebd.: 115) hervorgerufen hat – im Sinne von »enthusiasm and awe« (ebd.: 121). Typischerweise ist es dann jedoch zu derartigen Umbrüchen nicht gekommen (vgl. u. a. ebd.: 8, 118f.).

15Nach Schätzungen der International Telecommunication Union (ITU) der Vereinten Nationen ist jedoch zu beachten, dass zwar mehr als 90 Prozent der Weltbevölkerung technisch die Möglichkeit haben, das Internet zu nutzen, aber nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen dies auch tatsächlich tut (vgl. INTERNATIONAL TELECOMMUNICATION UNION (ITU) (2019): Measuring digital development. Facts and figures 2019. Genf: ITU Publications, S. 8. Online unter: https://www.itu.int/en/ITU-D/Statistics/Documents/facts/FactsFigures2019.pdf [13.10.2020]).

16Vgl. dazu auch den von Kinnebrock, Schwarzenegger und Birkner (2015) herausgegebenen Tagungsband mit diversen Beiträgen von Wilke, Stöber, Ziemann und Latzer. Dennoch wird immer wieder darauf hingewiesen, dass sich evolutionstheoretische Ansätze nicht breit durchgesetzt hätten (vgl. STUDER 2018: 41). Grundsätzlich kritisch zur Verwendung des Evolutionsbegriffs in Verbindung mit Kommunikations- und Mediengeschichte äußert sich Prokop (2001: 8).

2.VERSAMMLUNGSKOMMUNIKATION

Wie eingangs erwähnt, erfordert jedes menschliche Zusammenleben kommunikativen Austausch über »das, was alle angeht«, wie es Peter Schneider in seinem Rechtsgutachten im Rahmen der Spiegel-Affäre formulierte (zit. nach MARCIC 1965: 165). So müssen Probleme diskutiert und Lösungen gefunden, Aufgaben auf die Mitglieder einer Gemeinschaft aufgeteilt sowie Entscheidungen getroffen werden. Auch werden die für alle gültigen Regeln und Normen kommunikativ etabliert und durchgesetzt. Ohne umfassende Kommunikation kann keine Gemeinschaft oder Gesellschaft entstehen und (fort)bestehen – die Mitglieder konstruieren mithilfe von Kommunikation ihre gemeinsame Wirklichkeit (siehe Kap. 1). Frühe Gesellschaften basierten weitgehend auf mündlicher Kommunikation (sog. orale Gesellschaften) (vgl. WILKE 2008: 4f.). Der Staatsphilosoph René Marcic (1965: 64; Hervorh. d. Verf.) spricht daher auch von der »Redegesellschaft« als dem »Urschema der Gesellschaft«. Mündliche Kommunikation vollzog sich im alltäglichen Austausch zwischen einzelnen Mitgliedern oder kleineren Gruppen, etwa bei den Mahlzeiten oder der Jagd, sowie mittels eher zufällig oder nebenbei stattfindender Kommunikation wie etwa bei Festen und Märkten, sog. »okkasionellen« Öffentlichkeiten (THUM 1990: 47; BELLINGRADT 2011: 22). Daneben findet man schon früh auch formalisierte Kommunikation im Rahmen von speziellen Versammlungen. Meist wurden dafür besondere Orte genutzt, wie z. B. Versammlungshäuser oder der Fest- bzw. Marktplatz, im antiken Athen die Agora bzw. das Forum (vgl. MARCIC 1965: 166; WELWEI 1996: 25).

Der Ethnologe Nigel Barley (2013: 191) beobachtete solche »Palaver« z. B. in den 1980er-Jahren beim Volk der Dowayo in Kamerun, wo man sich »unter einem Baum auf dem öffentlichen Rund vor dem Dorf« versammelte. Detailliertere Beispiele finden sich in Franz-Josef Eilers’ publizistikwissenschaftlicher Studie über die schriftlosen Kulturen Nordost-Neuguineas. Derartige ›Redeveranstaltungen‹ oder ›Dispute‹ wurden zu den unterschiedlichsten Themen abgehalten und konnten stundenlang dauern. Die Verhandlung von sechs Stämmen über ein gemeinsames Fest lief z. B. wie folgt ab:

»In einem Rechteck angeordnet lagerten sich die Männer der verschiedenen Stämme, insgesamt wenigstens 180 männliche Personen, auf einer Wiese neben der Straße. Immer wieder standen die Redner der einzelnen Gruppen auf, beredeten oder bedrohten sich gegenseitig oder versuchten, den Vorredner zum Schweigen zu bringen. Jede Rede wurde vom Kommentar der zugehörigen bzw. auch angesprochenen Männer begleitet. […] Die räumliche Anordnung der einzelnen Clans auf dem Versammlungsplatz […] entsprach in etwa der Himmelsrichtung, in der ihre Wohngebiete lagen« (EILERS 1967: 69).

Hier ist, bei einer schon relativ großen Gruppe von Beteiligten, sehr deutlich zu beobachten, dass nicht jeder Einzelne während dieses Disputs selbst das Wort ergriff, sondern dass bestimmte Redner für größere Gruppen sprachen. Zudem verdeutlichte ihre räumliche Ausrichtung für die Zuhörer, für wen sie sprachen. Bei Eilers finden sich eine Reihe weiterer deutlicher Hinweise auf dieses Phänomen der Kommunikationsrepräsentanz, das weiter unten noch näher erläutert wird.

Während langer Zeiträume der Menschheitsgeschichte – in Europa bis weit ins Mittelalter, in Stammesgesellschaften noch bis ins 20. Jahrhundert hinein – erfolgte umfassender öffentlicher Austausch in ähnlicher Art und Weise. Meist waren an dieser Form der Kommunikation allerdings nicht sämtliche Mitglieder einer Gemeinschaft oder Gesellschaft beteiligt. Im antiken Athen z. B. verfügten nur die freien, männlichen Bürger über ein Rederecht bei der Volksversammlung, der sog. Ekklesia. Um 322 v. Chr. waren dies etwa 30.000 Männer, wobei durchschnittlich nur 5.000 bis 6.000 an den Versammlungen teilnahmen (vgl. WELWEI 1996: 31, 37). Ein solcher Austausch nahm erhebliche Zeit in Anspruch, sodass andere Teile der Gesellschaft gleichzeitig für den Erhalt der Lebensgrundlagen sorgen mussten – meist waren dies v. a. Frauen und Sklaven (vgl. SCHÖNHAGEN 2004: 137). Dies gilt auch für das antike Athen. Aber nicht nur in der Frühzeit der Menschheit und der Antike, sondern auch noch im Mittelalter wurde ein großer Teil des kommunikativen Austauschs mündlich abgewickelt, z. B. bei Dorf- oder Volks- und Gerichtsversammlungen, den sog. Ding- oder Thing-Versammlungen (vgl. RÖSENER 2000: 47). Hintergrund ist dabei auch die im mittelalterlichen Sozialleben »elementare dominante Erwartung […]: daß die betroffene Gemeinschaft an der Herstellung und Beurteilung dieser [politischen und rechtlichen; die Verf.] Ordnungen teilhaben konnte« (THUM 1980: 18). Somit besaß die »Dingversammlung […] eine starke Integrationskraft« (RÖSENER 2000: 51).

ABBILDUNG 1

Landsgemeinde in Glarus (2014)

In der Schweiz waren solche öffentlichen Versammlungen, die »Landsgemeinden« (siehe Abb. 1) oder auch Zendenversammlungen (Bezirksversammlungen im Wallis), noch im 17. und 18. Jahrhundert eine »funktionsfähige Form der Öffentlichkeit des Politischen« (WÜRGLER 1996: 33, Hervorh. d. Verf.; vgl. auch CARLEN 1973: 24; MÖCKLI 1987: 26-30).17 In einem Kanton, Glarus, sowie einem Halbkanton, Appenzell Innerrhoden, hat sich diese Tradition – selbstverständlich mit starken Veränderungen – bis heute erhalten: Einmal im Jahr18 versammeln sich alle Stimmfähigen, um »unter freiem Himmel über alle wichtigen politischen Geschäfte« zu beraten und zu entscheiden (BLUM/KÖHLER 2006: 285).19 Entschieden wird dabei etwa über Verfassungsänderungen, Gesetze, Kreditbeschlüsse sowie Verträge, in Glarus auch über den Steuersatz, wobei auch Vorlagen abgeändert werden können. »Die Versammlung als höchstes Organ existiert überdies in einigen schwyzerischen Bezirken, in der Mehrzahl der bündnerischen Kreise und in rund 2000 Gemeinden« der Schweiz (ebd.). Insbesondere in kleineren Gemeinden stellt die Gemeindeversammlung, bestehend aus allen stimmberechtigten Einwohner*innen, noch recht häufig das Legislativorgan dar, größere haben heute meist ein Gemeindeparlament (vgl. ebd.). Bei den beiden noch bestehenden Landsgemeinden finden allerdings »lebhafte verbale Kontroversen« zwischen den Bürger*innen, wie sie früher häufig der Fall waren (WÜRGLER 1996: 34), nur noch selten statt, werden doch die anstehenden Fragen vorher bereits ausführlich in den Massenmedien diskutiert (vgl. BLUM/KÖHLER 2006: 296f., 302). Dagegen enthielten die frühen Zeitungen, im 17. und auch noch 18. Jahrhundert, meist keine oder kaum lokale Berichte, sodass für die anstehenden Entscheidungen bei den Landsgemeinden noch großer Diskussionsbedarf bestand, »ja etliche strittige Probleme sind überhaupt erst durch Anträge aus dem Kreis der gemeinen Landleute thematisiert worden« (WÜRGLER 1996: 34). Außer in den erwähnten Landsgemeinden und Gemeindeversammlungen findet Versammlungskommunikation selbstverständlich, nicht nur in der Schweiz, auch heutzutage immer noch vielerorts statt, insbesondere im Rahmen kleinerer Teilöffentlichkeiten, so etwa in Parlamenten, Vereinsversammlungen etc. Sie dient aber meist nicht mehr dem gesamtgesellschaftlichen Austausch, der heute vorwiegend über die Massenmedien zustande kommt.

EXKURS I
Historischer Hintergrund I: Die Alte Eidgenossenschaft bis 1798

Der ›erste‹ Bund, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis heute offiziell als Gründungsakt der Schweiz mit dem Nationalfeiertag am 1. August begangen wird, wurde 1291 zwischen Uri, Schwyz und Nidwalden geschlossen (vgl. REINHARDT 2010: 13-18),20 nach der Schlacht am Morgarten 1315 erneuert und um weitere Orte ergänzt.21 So kamen per Vertrag Obwalden (1315), Luzern (1332), Zürich (1351), Glarus (1352) und Bern (1353) hinzu, Zug wurde 1352 erobert. Diese Verträge bildeten zu Beginn, insbesondere für Zürich und Bern, nur »eine Option« bzw. »eine Vernetzung unter anderen«, denn sog. »Landfriedensbündnisse […] [waren] zeittypisch« (ebd.: 24-26). Dass der neue Bund von Dauerhaftigkeit geprägt war, hatte nach dem Freiburger Historiker Volker Reinhardt (ebd.: 28) mehrere Gründe: die stetige »Verdichtung der Bünde […] mit gemeinsamen innenpolitischen Zielrichtungen und […] Einrichtungen«; die »Eroberung abhängiger Gebiete, die […] gemeinsam zu verwalten« waren (sog. Gemeine Herrschaften); »eine Abstoßungsreaktion« gegen »neue zentrale Institutionen« innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation am Ende des 15. Jahrhunderts (vgl. Historischer Hintergrund II);22 sowie die »Idee der Nation«, die durch die »Wortkriege […] der Humanisten […] in den Köpfen der Eliten« verankert wurde. Gelegentlich musste das Primat der »eidgenössischen Ausrichtung« (ebd.: 41) auch militärisch durchgesetzt werden, z. B. 1450 gegen Zürich (vgl. ebd.: 19-41).

Mit der Erweiterung der Eidgenossenschaft war ein kontinuierlicher Austausch und »ein Minimum gemeinsamer Beschlussfassung« (REINHARDT 2010: 42) notwendig geworden. Zu diesem Zweck kam seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zuerst einmal jährlich die sog. Tagsatzung (französisch: diète; italienisch: dieta) zusammen, die Versammlung der Abgesandten der Orte bzw. später Kantone. Diese wurde von zwei Vertretern je Ort besucht, die ein sog. ›imperatives Mandat‹ hatten, d. h., sie waren an vorher gefasste Beschlüsse zu den einzelnen Tagesordnungspunkten gebunden. Gleichzeitig setzte sich eine Mischform aus Einstimmigkeit, z. B. für eine Bundesrevision, und Majoritätsprinzip, etwa für Angelegenheiten, welche die gemeinsam verwalteten Gebiete und Schiedsgerichte betrafen, durch. Neben den Mitgliedern der Eidgenossenschaft konnten aber auch die zugewandten Orte teilnehmen, die formal keine Mitglieder, aber eng assoziiert waren, z. B. das Wallis oder die ›Drei Bünde‹ (das spätere Graubünden). Als ›Vorort‹ agierte zunächst Luzern, welches sich diese Rolle nach der Reformation mit Zürich teilte (vgl. ebd.: 42-45; WÜRGLER 2014: o. S.).

Ab den 1520er-Jahren erschütterte die Reformation die Eidgenossenschaft. Die von dem Zürcher Prediger Huldrych Zwingli angeführte Glaubenserneuerung wurde von den innerschweizerischen Orten (Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern und Zug) bekämpft, von Bern, Basel und Schaffhausen aber befürwortet. Dies führte 1529 zu einem Bündnis der katholischen Orte mit Österreich und kriegerischen Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Ausgängen. Als eines der langfristigen Ergebnisse kann wohl die Landteilung von Appenzell Innerrhoden (katholisch) und Außerrhoden (reformiert) gelten, die sich bis heute in den beiden Halbkantonen manifestiert. Wie breit die Gräben waren, zeigt sich etwa an der Tagsatzung, die »seit zweihundert Jahren das Forum des eidgenössischen Gedankenaustauschs schlechthin« (REINHARDT 2010: 82) gewesen war und »in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Symptome der Entfremdung« zeigte (ebd.: 82).

Für die sog. »Spätzeit der Alten Eidgenossenschaft« (1713-1797) spricht Reinhardt (ebd.: 98) von einem »Spannungsverhältnis von Stabilität im Großen und vielfältigen Konflikten im Kleinen«. Stabilisierend wirkten insbesondere die Erhaltung der traditionell sehr kleinräumigen Selbstverwaltung sowie die enge Verflechtung der »Interessen der städtischen Eliten mit denen der dörflichen Oberschichten« (ebd.: 99). Neben Konflikten über die Frage der Vorherrschaft geistlicher oder weltlicher Gerichtsbarkeit gelangten zudem die neuen Ideen der Aufklärung in die Köpfe der führenden Politiker – nicht zuletzt in Form der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 (vgl. ebd.: 98-109).


Wie weiter oben bereits angespochen, lässt sich in allen Varianten der Versammlungskommunikation typischerweise beobachten, dass nur bestimmte Personen als Redner*innen aktiv sind, die jedoch ihnen zugehörige Gruppen repräsentieren. Solche Repräsentant*innen sind ein typisches Phänomen jeder Kommunikation größerer Gruppen und sie prägen auch die massenmedial vermittelte Kommunikation (vgl. FÜRST/SCHÖNHAGEN 2020:117-119; WAGNER 1995: 32-36, 235-262). Das Prinzip der Repräsentanz sorgt für eine Konzentration der Sprecher*innen, d. h., es muss nicht jede*r einzelne Teilnehmende sprechen bzw. vermittelt werden.23 Letzteres würde einerseits Zeitprobleme, andererseits unnötige Wiederholungen der gleichen Standpunkte mit sich bringen. »Kommunikationsrepräsentanz bedeutet somit eine außerordentliche Vereinfachung und Abkürzung des Kommunikationsverlaufs« (WAGNER 1995: 34) und sorgt für Überschaubarkeit des kommunikativen Geschehens. Hier zeigt sich eine erste Rationalisierungstendenz, die auch für die weitere Entwicklung (und speziell für die Kommunikationsvermittlung durch Massenmedien) bedeutsam ist.

Versammlungskommunikation vollzog und vollzieht sich allerdings nicht nur als (zumindest prinzipiell) gesamtgesellschaftlicher Austausch. Man findet in der Geschichte auch viele Beispiele der »Verkündigung vor versammelter Menge« (RIEPL 2014: 79; Hervorh. d. Verf.). Dabei handelt es sich um eine einseitige Information, meist seitens der Obrigkeit an das Volk. In autoritären Gesellschaften ist dies typischerweise die vorherrschende Variante. Eher selten verlasen Herrscher oder Feldherren dabei selbst, was bekannt gegeben werden sollte. Meist wurde diese Funktion vielmehr von sog. Herolden wahrgenommen, etwa bei feierlichen Anlässen.24

Alle Varianten der Versammlungskommunikation sind durch bestimmte Eigenschaften bzw. Bedingungen charakterisiert, die ihr zugleich Grenzen setzen (WAGNER 2009: 106f.):

•Die Kommunikationspartner sind am gleichen Ort physisch anwesend (Anwesenheit, »Einheit des Ortes«).

•Der kommunikative Austausch bzw. Mitteilung und Kenntnisnahme finden (quasi) gleichzeitig statt (»Gleichzeitigkeit oder die Parallelität der Kundgabe und Kenntnisnahme von Nachrichten«).

•Im Prinzip (von Ausnahmen wie gehörlosen Personen abgesehen) verfügen alle Beteiligten über die gleichen Medien (Sprache, Gestik, Mimik), derer sie sich selbst bedienen, um ihre Mitteilungen zu vermitteln (»allgemeine Medienverfügbarkeit«).

Ebenfalls schon seit der frühesten Menschheitsgeschichte vollzog sich Kommunikation teilweise auch über räumliche Distanzen hinweg, also als »Fernkommunikation« (HALBACH 1998: 277; HÖFLICH 1997: 204; Hervorh. d. Verf.), z. B. bei verstreut lebenden Gemeinschaften oder während Kriegszügen. Dabei kamen einfache Medien zum Einsatz: zunächst die Sprache in Form lauten Rufens, z. B. von Berg zu Berg, bzw. die Stimme wie z. B. bei Pfeifsprachen, etwa auf den Kanarischen Inseln (vgl. SEBEOK/UMIKERSEBEOK 1976). Auch das Alp- bzw. Hirtenhorn wurde möglicherweise in verschiedenen europäischen Ländern als Stimmverstärker verwendet, etwa in der Schweiz (vgl. SCHÜSSELE 2000: 39, 174). Weiter wurden auch Feuer- und Rauchzeichen, Trommeln bzw. Trommelsprachen etc. genutzt (vgl. SCHÖNHAGEN 2004: 143f.). Das »Universalorgan« der Nachrichtenübermittlung war allerdings der Bote, lange Zeit v. a. mit mündlichem Bericht (RIEPL 2014: 105, Hervorh. i. O.). Die Ausdrucksmöglichkeiten dieser einfachen Medien sind jedoch begrenzt (vgl. KNIES 1857/1996; SEBEOK/UMIKER-SEBEOK 1976). Der Einsatz von Boten, die mündlich eine Nachricht überbringen, oder anderer Vermittler, die z. B. die Trommelsprache beherrschen, birgt zudem das Problem der Zuverlässigkeit: Es ist keineswegs sicher, dass genau das vermittelt wird, was jemand in Auftrag gegeben hat.

Solange Kommunikation über Distanz nicht der Normalfall war, sondern nur fallweise und eher spontan genutzt wurde, z. B. um Stammesmitglieder zu einer Versammlung zusammenzurufen, wogen diese Probleme nicht schwer. Mit der Versammlung als zentralem Kommunikationsort war es unproblematisch, gesellschaftliche Kommunikation umfassend und für alle überschaubar abzuwickeln. Sobald Gesellschaften aber derart anwuchsen und sich aus differenzierten, dass sie nicht mehr vorrangig oder ausschließlich in Form von Versammlungen kommunizieren konnten, erwuchsen ihnen erhebliche Schwierigkeiten (vgl. WAGNER 1995: 19). Es brauchte andere Lösungen, um den kommunikativen Austausch weiter umfassend und zuverlässig sicherzustellen, ohne dass die Beteiligten zur gleichen Zeit am gleichen Ort anwesend sein mussten. Die schrittweise Lösung dieses Problems kennzeichnet die weitere Entwicklung sozialer Kommunikation und ihrer Medien, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird.

17Verfassungsrechtlich war die innerschweizerische Landsgemeinde »als Vertretung aller männlichen Bewohner mit vollem Bürgerrecht« bis ins 17./18. Jahrhundert hinein einzigartig (vgl. REINHARDT 2010: 50-52).

18Üblicherweise am letzten Sonntag im April (Appenzell Innerrhoden) bzw. am ersten Sonntag im Mai (Glarus).

19Für ausführliche Beschreibungen der Landsgemeinden in Glarus und Appenzell Innerrhoden vgl. Schaub (2016: 87-92), Vischer (1983a, b), Stauffacher (1964) bzw. Huber-Schlatter (1987: 62-96).

20Tatsächlich war dies nicht das erste solche Bündnis. Auch in dem sog. Bundesbrief von 1291 wird mindestens ein früherer Bund erwähnt.

21Entwicklungen vor dieser Zeit, von den keltischen Helvetiern bis zu Stadtgründungen und der Etablierung von Klöstern, können hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden, finden sich aber in dichter Form bei Stadler (2003: 13-33). Vgl. auch Leuzinger (2014), Frei-Stolba/Paunier (2014) und Morerod/Favrod (2014).

22Mit dem Friedensschluss von 1499 erreichte die Eidgenossenschaft, von den Reichsreformen ausgenommen zu werden, wodurch sie »randständig und parallel dazu ein politisches Gebilde eigener Art« wurde (REINHARDT 2010: 61). In diesem Zuge wurde auch der Weg Basels in die Eidgenossenschaft frei, das ebenso wie Schaffhausen 1501 beitrat. Die erfolgreichen militärischen Manöver der Eidgenossenschaft endeten mit der Niederlage bei Marignano 1515. Der Friedensschluss im folgenden Jahr verhalf ihr aber immerhin zu einigen ›Gemeinen Herrschaften‹, »die knapp dreihundert Jahre später den neuen Kanton Tessin bildeten« (REINHARDT 2010: 63; vgl. ebd.: 56-63).

23Häufig existieren bei der Versammlungskommunikation (informelle oder formelle) Regeln, wer wann das Wort ergreifen darf, damit alle Repräsentant*innen die Gelegenheit haben, sich zu äußern, aber kein Chaos entsteht. Solche Regeln werden häufig von speziellen Personen, die für die Leitung der Kommunikation verantwortlich sind, kontrolliert und um- bzw. durchgesetzt (vgl. SCHÖNHAGEN 2004: 136).

24Bei Riepl (2014) findet sich, am Beispiel des antiken Nachrichtenwesens, eine umfangreiche Darstellung der unterschiedlichen Varianten von Kommunikation nach dem Prinzip der Versammlung.

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ISBN:
9783869625904
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