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Читать книгу: «Tin Men», страница 3

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»Soweit ich weiß, kamen sie rein und haben gesehen, dass Julie schon tot war. Sie haben sie nicht angerührt, weil sie nichts mehr tun konnten. Sobald ich hier war, habe ich die Rechtsmedizin angerufen.«

»Fahr nach unten und organisiere die Uniformierten. Ein paar sollen hier oben bei den Nachbarn klopfen. Wir müssen rauskriegen, wer was gesehen hat.«

Jerry schaute zur Tür hin, blieb aber stehen.

»Jerry, ich hab gesagt, ich übernehm das. Sorg dafür, dass sich alle an die Arbeit machen.«

»Okay, okay. In drei Stunden will ich einen Bericht.«

Os folgte ihm zur angelehnten Wohnungstür und schloss sie hinter ihm. Dann lehnte er sich dagegen und ließ sich zu Boden gleiten. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit weinte er. Um das Geräusch zu dämpfen, biss er sich in die Faust. Niemand durfte von ihm und Julie oder dem Baby erfahren. Er wusste, wie Cops waren; wenn rauskam, dass er der Vater des Babys war, das man der toten Kollegin aus dem Leib geschnitten hatte, hätte er nichts Gutes zu erwarten. Julie hatte nie jemandem von ihnen erzählt, das wusste er mit absoluter Sicherheit. Aber wenn er freiwillig zugeben würde, der Vater des Kindes zu sein, dann würde man die Prellungen in Julies Gesicht vor acht Monaten mit ihm in Verbindung bringen. Das Baby war wie ein Zeitstempel, der Os mit dem Moment verband, als ihm bei Julie die Nerven durchgegangen waren. Er wusste, wie das aussah. Er hatte kein Alibi – die Meth-heads würden sicher nicht für ihn bürgen. Besser, er hielt den Mund. Sonst würde er zu einem Verdächtigen werden, und Verdächtige dürfen keinen Mord bearbeiten, den sie verdächtigt werden, begangen zu haben. Os musste an dem Fall dranbleiben. Er musste rausfinden, wer Julie und das Baby ermordet hatte, und dann würde er ihn umbringen.

5

Als Woody 110 Ferguson erreichte, fuhr gerade ein Streifenwagen los, dessen Parklücke er übernahm. Die Straße war voll von Uniformierten, die von dem Gebäude wegstrebten. Die Scheiße musste also echt krass sein. Woody tastete nach den Augentropfen in seiner Jackentasche und kippte den Kopf geübt an der Nackenstütze vorbei nach hinten. Während er blinzelte, damit die Tropfen schneller wirkten, griff er nach dem Mundwasser im Handschuhfach. Die Flasche versprach, neunundneunzig Prozent aller Bakterien abzutöten. Bakterien waren Woody egal, Hauptsache, das Mundwasser tötete mit hundertprozentiger Sicherheit den Geruch von Heroin in seinem Atem ab.

Woody wirbelte die grauenhafte Flüssigkeit im Mund herum, bis ihm die Wangen brannten. Er schluckte, das Zeug brannte sich seinen Weg die Kehle runter, und Woody hoffte, damit das Risiko biergetränkter Rülpser für die nähere Zukunft eingedämmt zu haben. Er stieg aus dem Wagen und ging auf den Hauseingang zu. Die Nachtluft war kalt – wahrscheinlich um die zehn Grad minus. Woody vergrub seine Hände in den Jackentaschen und steckte sein Kinn unter den Schal.

Jerry stand draußen und gab einem Haufen Constables Befehle. Woody stellte sich dahinter und hörte sich die Ausführungen des Detective Sergeant zur Kontrolle von Menschenansammlungen und zum Umgang mit der »scheißneugierigen Presse« an. Die Mienen der jungen Cops waren grimmig. Sie nahmen den Mord an der Kollegin ernst. Bis jetzt hatten diese Constables vermutlich geglaubt, den besten Job der Welt zu haben: Verfolgungsjagden, eine Knarre, und sich von niemandem etwas bieten lassen müssen. Dass der Job das Leben kosten konnte, wussten sie bloß vom Hörensagen. Niemand glaubte, es könnte einen von ihnen treffen. Und wenn das passierte, war das ein Riesenschock.

Woody hatte Schwierigkeiten, sich auf Jerrys Worte zu konzentrieren. Sie klangen, als würden sie unter Wasser ausgesprochen. Woody zwang sich, seine Aufmerksamkeit auf die Lippen des Detective Sergeant zu richten, aber sein Hirn spielte ihm Streiche. Es war, als würde darin ein Kleinkind sitzen, das ständig nach dem nächsten Bauklotz griff. Zu Hause hätte Woody immer noch den Stones gelauscht und seinen Gedanken freien Lauf gelassen, während sein Arsch am Sessel klebte. Stattdessen stand er hier auf dem Gehweg und hatte alle Mühe, die Auswirkungen von Schlafmangel, zu viel Bier und vielleicht ein bisschen zu viel Heroin zu bekämpfen.

Woody legte den Kopf in den Nacken und zählte die Stockwerke des Gebäudes. Als er bei fünf war, fiel ihm Jerry wieder ein. Er sah zu ihm hinüber, der Detective Sergeant leierte immer noch vor sich hin, hatte aber jetzt die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er sah aus wie ein pummeliger George S. Patton. Woody kicherte, bis ihm einfiel, wo er war und warum er hier war. Das verdammte Kleinkind im Hirn. Eine Polizistin drehte sich zu ihm um. Ihr missbilligender Blick verschwand, als sie sah, dass da nicht irgendein uniformierter Kollege lachte. Sie blickte Woody in die Augen und tat dann so, als würde sie nach jemand oder etwas anderem suchen. Das Manöver konnte Woody nicht täuschen. Er sah sie direkt an. Sie war etwa eins fünfundsechzig groß und hatte blonde Haare, gerade lang genug, um als Pferdeschwanz unter die Mütze ihrer Winteruniform zu passen. Sie war auf zickige Weise ganz süß. Jetzt wandte sie sich wieder Jerry zu, und Woody merkte, dass der Detective Sergeant sie beide anstarrte. Während Jerry begann, Aufgaben zu verteilen, ging Woody zu seinem Wagen.

»Ich brauch eine kleine Stärkung«, sagte er sich.

Auf der Rückbank fand er zwei Dosen Red Bull. Er schloss die Tür und lehnte sich an den Wagen. Die erste Dose sprudelte beim Öffnen über, aber Woody schlürfte die Brause schnell ab und trank die Dose mit zwei Schlucken leer, dann machte er sich an die nächste. Das Bier und das Heroin hatten ihn zu sehr runtergebracht, er brauchte etwas, das ihm wieder Schwung gab. Das Red Bull würde zwar gegen das H nicht viel ausrichten können, war aber wenigstens ein Anfang.

Auf dem Weg zum Eingang musste Woody an der kleinen Blonden vorbei. Sie warf ihm einen eiskalten Blick zu und drehte den Kopf in die andere Richtung. Woody rauschte an ihr vorbei und stieß drinnen bei den Aufzügen auf Jerry.

»Jerry.«

Jerry drehte sich um und hob seine dicke Pranke, zum Zeichen, dass Woody warten sollte, bis er zu Ende telefoniert hatte. Aus seinem Mund flossen eine Menge Ja, Sir und Ich verstehe.

Woody sah sich in der Lobby um. Der Teppich war abgetreten und sicher mindestens zehn Jahre alt. Die Glastüren zur Straße hin waren mit fettigen Fingerabdrücken verschmiert, im unteren Teil der linken war das Glas gesprungen. Das Klingelbrett war alt, über den rechteckigen Plastikknöpfen klebten billige Namensschilder. Woody konzentrierte sich, um seinem Hirn Julies Nachnamen zu entlocken. Er fluchte leise; er hätte sich nicht so schnell wieder abschießen sollen, aber es war nicht anders gegangen. Er war in letzter Zeit so unglaublich müde und konnte nicht schlafen, das Wochenende war noch lange hin, und bis dahin musste er durchhalten. Dann konnte er seine Batterien aufladen und sich sortieren.

»Woody, warum hast du so lange gebraucht? Os ist schon oben.« Jerry hatte seinen Anruf beendet und stand in Flüsternähe vor ihm. »Es ist schlimm da oben, Woody. So was hab ich noch nie gesehen. Und um alles noch schlimmer zu machen, sitzen mir die Sesselfurzer im Nacken. Der Fall muss unbedingt gelöst werden. Julie ist noch nicht mal kalt, und die sitzen mir im Nacken. Ist das zu glauben? Sogar der Deputy Chief war schon hier, verdammte Scheiße.«

»Die wollen bloß, dass der Mörder gefasst wird. Wir müssen auf unsere Leute aufpassen, Jerry.«

Der fette Detective Sergeant sah beschämt aus. »Das weiß ich. Das weiß ich doch.«

Er wusste es, sorgte sich aber vor allem wegen der Arschlöcher mit mehr Streifen als er selber und weniger darum, sich vielleicht bis zum Ende seiner Karriere mit einer verpfuschten Ermittlung in einem Polizistenmordfall auf dem Gewissen herumplagen zu müssen.

»Ich hab dich und Os darauf angesetzt. Und Dennis.«

»Dennis?«

»Verdammt, nicht du auch noch. Hör zu, wie ich schon zu Os gesagt habe, Dennis löst Fälle. Ich weiß, dass er ein ziemlicher Vollidiot ist, aber mit ihm sind noch zwei Augen mit fast zwanzig Jahren Erfahrung an dem Fall dran. Gebt ihm zu tun. Er wird euch helfen, das Arschloch zu kriegen.«

Woody nickte und ging zum Aufzug. Argumentieren war zwecklos. Jerry war von den hohen Tieren so eingeschüchtert, dass er sich niemals umstimmen lassen würde.

»Woody.«

Woody wandte sich um. »Ja, Jerry.«

»Wenn ihr den Typ habt … lass Os auf ihn los.«

Woody betrachtete forschend Jerrys Gesicht. Er meinte es ernst, das war deutlich zu sehen. Woody konnte nicht erkennen, ob Jerry das sagte, um so zu tun, als machte es ihm was aus, oder ob es ihm wirklich was ausmachte. Woody nickte und stieg in den Aufzug.

»Neunter Stock«, sagte Jerry.

»Ich weiß.« Woody hatte die Nummer auf der Klingel gesehen. Das Koffein in Kombination mit der kalten Nachtluft und dem Herumlaufen ließen den Rausch allmählich abklingen. Das Kleinkind döste, und Woody kam langsam wieder auf Touren.

Der Aufzug erschreckte ihn zu Tode. Woody kam sich vor wie Lois Lane, die von Superman in die Höhe gezogen wird. Er stellte sich der Aufgabe, den Namen der hässlichen Bratze, die die Figur gespielt hatte, aus seinem Hirn zu ziehen. Dass er schneller auf Margot Kidder kam, als er für Julies Nachnamen gebraucht hatte, verbuchte er als Fortschritt.

Als die Anzeige über der Tür verkündete, dass der Aufzug am siebten Stock vorbeischoss, griff Woody nach dem hölzernen Handlauf, der sich um drei Seiten der Kabine zog. Er war diverse Male mit Glanzlack nachlackiert worden und von jahrelangem Gebrauch durch fettige Hände ganz glitschig geworden. Der Aufzug hielt abrupt an, und Woody knickten die Knie weg. Er trat aus der Kabine, wischte sich die Hände an der Jacke ab und machte sich auf die Suche nach Julies Wohnung. Dort klopfte er an die Tür und wartete auf seinen Partner.

Os öffnete die Tür, und Woody war froh, dass ihm kein Gestank entgegenschlug. Das bedeutete, die Leiche war noch frisch. Mit einer frischen Leiche ließ sich mehr anfangen. Spuren trocknen schneller als Wasser in der Wüste, und Woody hoffte, es waren noch genug da, um nasse Füße zu bekommen.

»Hey, Os.«

»Wood.«

Woody trat ein und sah sich um. Die Wohnung war klein, er konnte durch die Küche ins Esszimmer gucken. Zur Rechten ging ein Flur ab, der vermutlich zum Wohnzimmer führte. Geradeaus führte ein anderer Flur dahin, wo das Schlafzimmer liegen musste.

Os beobachtete Woody. Os war stiller als sonst, und das wollte was heißen. Er hielt sich meistens kurz. Sie quatschten und scherzten nicht viel. Sie waren wie ein gut eingespieltes Ehepaar, vieles blieb ungesagt, aber kaum etwas wurde missverstanden.

»Was ist mit deiner Hand passiert?«, fragte Woody.

Os betrachtete seine geschwollenen Knöchel.

»Die war vor ein paar Stunden noch nicht so.«

Os schüttelte den Kopf und wandte sich um. »Hier lang.«

Os’ Fingerknöchel waren nicht zum ersten Mal geschwollen. Woody erlebte regelmäßig mit, wie er seine Hände traktierte, indem er auf irgendwelche Leute losging. Normalerweise erklärte Os das Geschehen immer so, als wäre es das Normalste der Welt. Woody verdrängte einen vertrauten Gedanken: Wenn er nicht zu uns gehören würde, stünde er auf der anderen Seite.

»Er wäre der Schlimmste von allen«, sagte Woody.

Os sah ihn über die Schulter hinweg an, Woody winkte ab. Os war an Woodys einseitige Unterhaltungen gewöhnt. Beide Männer waren aneinander gewöhnt. Sie akzeptierten die Macken des anderen und ließen sich davon bei der Arbeit nicht stören.

Woody merkte, dass Os immer langsamer wurde, je näher sie der Schlafzimmertür kamen. Er legte die Hand auf die Klinke und hielt inne, atmete tief ein, seine Schultern zogen sich nach oben. Woody nutzte die Pause, um sich in der Wohnung zu orientieren. Von hier aus konnte er das Wohnzimmer nicht sehen, es lag hinter der Küchenwand. Schräg rechts lag der andere Teil des Esszimmers. Eine Schiebetür führte vom Esszimmer auf einen Betonbalkon hinaus. Zur Linken sah Woody ein kleines Badezimmer und eine faltbare Schranktür.

Als er sich wieder umwandte, öffnete Os die Schlafzimmertür und trat ein. Woody folgte ihm, und was er sah, durchschlug ihn wie ein Schuss in den Magen. Julies Bauchhöhle lag offen da, darin ein leerer Abgrund. Woody konnte keine Organe sehen – nur eine dunkle, leere Höhle. Er versuchte, den Anblick zu verarbeiten, zu verstehen, was er sah, und dann fiel sein Blick auf die Nabelschnur auf dem nackten Oberschenkel.

Das Blut, die Nabelschnur, die entblößte Leiche – all das brachte Woodys Hirn zum Rasen, und hier im Schlafzimmer wurde er damit nicht fertig. Er drehte sich um und stolperte aus dem Raum. Seine Schulter prallte gegen die Wand, er nutzte sie auf dem Weg ins Badezimmer als Halt, stieß hinter sich die Tür zu und hielt sich mit beiden Händen am Waschbecken fest. Es war dunkel im Bad, zuerst konnte er nichts erkennen. Aber die Dunkelheit löste sich schnell in eine helle, lebendige Erinnerung auf. Woody sah seine tote Frau. Ihre Oberschenkel mit schwarzem Blut verkrustet. Seine kleine Tochter in ein Handtuch eingewickelt. Das Handtuch bedeckte das Gesicht des Babys, und Woody wünschte sich, es würde so bleiben, aber seine Halluzination wollte es anders. Das Handtuch wurde zurückgezogen, und Woody konnte nicht wegschauen – konnte nicht mal die Augen schließen. Er sah ein unschuldiges Gesicht ohne Leben. Die Haut war bleich, fast sah es aus, als würde sie schlafen. Fast. Das Gesicht war zu still und die Muskeln zu schlaff, als dass sie nur schlafen würde. Die Geburt war für beide zu viel gewesen, und Woody blieb allein mit der winzigen Leiche in einem Handtuch zurück.

Woody hatte diese Vision schon früher gehabt, aber in den letzten Monaten war sie seltener geworden. Vielleicht, weil er jede Nacht weniger schlief. Er war einfach so müde. Er wurde krank und brauchte Schlaf. Reine Erschöpfung, das war alles. Er machte Rückschritte, aber das konnte er wieder in den Griff kriegen – er brauchte bloß mal eine Pause. Er tastete nach der Tür und an ihr entlang zum Lichtschalter an der Wand. Die starken Birnen über dem Spiegel explodierten mit grellen hundert Watt. Woody erblickte sich im Spiegel – der Dreitagebart, die roten Augen, die eingefallenen Wangen. Er sah aus wie eine der Geiseln, die man nach einem Monat in Gefangenschaft von IS-Terroristen im Fernsehen sah. »Nicht so schlimm«, sagte er. Ein Monat in der Wüste war nichts, er lebte seit über einem Jahr in der Hölle.

Er drehte den Hahn auf und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Die Kälte tat ihm gut, beim zweiten Blick in den Spiegel sah er schon ein bisschen menschlicher aus. Er drehte das Wasser ab und sah sich im Bad um. Der Waschbeckenrand war nass. Woody tauchte einen Finger ein und stellte fest, dass das Wasser wärmer war als das, mit dem er sich gerade das Gesicht nass gemacht hatte. Noch jemand hatte mit Wasser herumgespritzt. Os? Woody schüttelte den Kopf. »Passt nicht zu ihm.« Os ließen Leichen kalt. Aus seinem Mund stammten einige der kranksten Witze über Tote. Die meisten Mordermittler fanden Os’ Witze großartig, weil sie immer zu den unangemessensten Zeitpunkten kamen. Nicht immer lachten sie gleich, aber wenn sie später über den Tatort sprachen, erzählten sie sich, was Os gesagt hatte. Die Witze waren wie ein Geburtstagskuchen – am nächsten Tag noch besser.

Woody sah sich das Wasser genauer an. Es waren keine Seifenblasen darin.

»Und nirgendwo abgetrocknet«, sagte er.

Dann sah er sein Gesicht im Profil und bemerkte den Arzneischrank über dem Spülkasten. Er machte vier Schritte und öffnete den Schrank mit einem Kugelschreiber, den er in der Tasche hatte. Die drei Regalbretter waren gefüllt mit frei verkäuflichen Medikamenten und mehreren kleinen, orangefarbenen Plastikfläschchen mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Auf den Fläschchen klebten weiße Etiketten von verschiedenen Apotheken. Es waren einige Antibiotika darunter, mehrere Medikamente für die Schwangerschaft, und ein Regal war voller Pillenpackungen mit langen, langen Namen. Woody erkannte einige. Julie hatte zahlreiche Antidepressiva im Schrank. Er las die Namen, ignorierte das Prozac, suchte nach etwas Besserem, entdeckte Adderall, nahm das Fläschchen aus dem Regal und öffnete den Deckel. Adderall wirkte aufputschend und würde mehr gegen das Heroin ausrichten als Koffein. Woody schluckte drei Tabletten trocken herunter und drückte den Deckel wieder auf das Fläschchen. Er wollte es gerade in die Tasche stecken, als die Badezimmertür aufging. Woody drehte sich um und erblickte Os.

»Alles in Ordnung?«, fragte Os.

Woody hielt die Tabletten hoch. »Julie hat ein paar heftige Medikamente genommen. Hier stehen ein Haufen Antidepressiva aus verschiedenen Apotheken.«

»Ich nehme nur eins«, sagte Os.

»Das ist üblich. Wer mehr will, holt sich von mehreren Ärzten Rezepte und geht in unterschiedliche Apotheken.«

»Kommst du wieder rein?«, fragte Os.

Woody nickte. Er hätte gern noch ein paar Minuten gewartet, damit das Adderall seine Wirkung tun konnte. Wenn er wieder Visionen bekäme, wäre er nutzlos. Aber es gab keinen guten Grund, länger im Bad rumzuhängen.

»Geht hier die Party ab?«

Verdammter Dennis.

6

»Was machst du da in der Ecke, Woody?« Dennis stellte die Frage auf Zehenspitzen. Er hatte versucht, einen Spalt im Türrahmen zu finden, der nicht von Os’ massiger Gestalt verstopft war, und einsehen müssen, dass eine Aussicht nur möglich war, wenn er sich auf die Zehen stellte. Dabei bemühte er sich, über Os’ Schulter hinwegzusehen, ohne mit ihr in Berührung zu kommen. Dennis Hamlet maß keine eins siebzig und war eher dick als rundlich. Nicht so wie Jerry, aber auf dem Weg dahin. Es sah aus, als würde er unter seinem Anzug noch eine Schicht Kleidung tragen. Wenn man Dennis wie eine von diesen russischen Puppen auseinandernehmen würde, müsste man Hülle um Hülle von Fett abziehen, um endlich das innere Arschloch im Kern zu finden. Sein Lieblingsthema war er selber, er konnte tagelang mit seinen Ermittlungserfolgen angeben, ebenso wie mit den unzähligen Frauen, die er angeblich gevögelt hatte. Wer ihm zuhörte, konnte den Eindruck gewinnen, kein anderer hätte je irgendeinen Verbrecher gefasst. Man ließ ihm seine Storys, was hieß, niemand sagte ihm je, dass er die Schnauze halten solle. Woody kaufte ihm keine einzige ab. Er bezweifelte nicht, dass Dennis seine Fälle löste, war aber sicher, dass es nie so ablief, wie Dennis behauptete. Jede von Dennis’ Geschichten triefte vor Eigenlob und ging wenig ins Detail. Cops stehen auf Details. Nichts ist ihnen lieber als ein Verdächtiger, der sein Leben so weit im Griff hat, dass er sagen kann, was er wann wo getan hat. Sobald ein Detail ausgelassen wird, merkt der Cop das und wird sauer. Er wird sauer, weil es für ihn eine Beleidigung ist. Wenn man mit etwas durchkommen will, indem man etwas auslässt, hält man den Cop für dämlich. Kluge Cops wissen genug, um sauer zu werden. Die dämlichen, die nie etwas schnallen, rollen so lange im Streifenwagen durch die Gegend, bis ihre Pension reicht, um die Rechnungen zu bezahlen. Dennis’ Geschichten ließen in Woodys Kopf die Alarmglocken klingeln; jede einzelne war wie ein »Fuck you« mit endlosen Windungen.

Woody sah, dass Os die Augen verdrehte und nach vorne trat, um Dennis abzuschütteln. Er wusste, was Os von dem drallen Cop hielt.

»Hey, Dennis, was geht?«

»Ich würde sagen, eine Menge, mit der kleinen blonden Fotze da draußen. Wenn nicht sonst jemand seinen Finger drauf hat?«

Os und Woody ließen die Bemerkung kommentarlos verpuffen. Woody wusste nichts zu sagen, die Leiche im Schlafzimmer tauchte bei jedem Blinzeln vor seinen Augen auf.

Dennis hielt das Schweigen für Ermutigung. »Dann steche ich da später mal meine Fahne rein –«

Os drehte sich um. Dennis trat eilig einen Schritt zurück und schaffte es gerade noch, Os auszuweichen, bevor der an ihm vorbeimarschierte.

Dennis sah Woody an und fragte: »Was ist los?«

Woody zuckte die Achseln, gab die Hoffnung auf eine baldige Wirkung des Adderall auf und folgte Os. »Im Schlafzimmer geht’s ab, Dennis. Also los.«

Dennis folgte ihm so dicht auf den Fersen, dass er seinen schnellen Atem hörte.

»Was ist denn passiert? Raub? Ehekrach? Was?«

Woody sagte nichts. Er sah Os mit gesenktem Kopf ins Schlafzimmer gehen. Er bewegte sich immer noch so schwerfällig, als würde er auf das tiefe Ende eines Schwimmbeckens zuwaten. Woody holte tief Luft und betrat das Schlafzimmer. Er sah das Bett und sah Natasha darin liegen. Seine Frau trug noch den Krankenhauskittel, der rechte Arm war von der Bettkante gerutscht. Das Patientenarmband hing lose an ihrem schmalen Handgelenk.

Woody schüttelte den Kopf und ging in die Ecke des Raums. Er blinzelte zweimal und rieb sich die Augen. Das Bild verschwand, Julie war wieder da, tot und entblößt. Er sah Dennis an, der erstarrt in der Tür stand – ein weiteres Opfer der ermordeten Medusa auf dem Bett.

»Was … was zum Henker ist hier passiert?«

Niemand antwortete.

»Im Ernst. Woody, Os – was zum Teufel ist passiert?«

Dennis machte einen Schritt auf das Bett zu. Woody beobachtete ihn, froh, seine Aufmerksamkeit kurz auf etwas anderes als die Leiche richten zu können. Während er Dennis’ Reaktion abschätzte, merkte er, dass sein Fuß sich selbstständig gemacht hatte und klopfte – das Adderall sagte Hallo.

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