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Völlig außer Atem fanden sie sich nach einem ausgelassenen Galopp am Tisch wieder, um ihren Durst mit Wein zu löschen.

»Ich wusste gar nicht, dass du so ein passabler Tänzer bist.« Georg prostete ihm zu.

»Ich auch nicht«, grinste Stanislaus und drückte Mitzi fest an sich.

»Schau, schau«, feixte Georg. »Das kann ja noch was werden mit euch beiden.«

»Pass auf, Mitzi, dass er dir nicht die Ehr raubt«, ermahnte Stanzi ihre Freundin mit ernster Miene, der jedoch das Zucken um ihre Mundwinkel nicht entging.

»Bei meiner Ehr«, konterte sie, »so gern hätt ich meine Ehr noch niemandem geschenkt.«

Stanislaus verschluckte sich beinahe. So viel Schlagfertigkeit hatte er seiner schweigsamen Begleiterin gar nicht zugetraut. Doch als er in ihre Augen blickte, wusste er, dass es ihr heiliger Ernst zu sein schien.

»Kinder, nicht so schnell«, rief Georg, »ein paar Glaserl Wein trink ma schon noch, dann macht’s umso mehr Spaß!« Übermütig drückte er Stanzi einen Kuss auf die Lippen.

Stunden später, die Sonne warf ihre ersten Strahlen durch die kleinen Fenster, suchten sie in der schmucklosen Kammer der Mädchen ihre Kleider zusammen.

»Sind sie nicht herzig?«, raunte Georg Stanislaus zu. Mit gemischten Gefühlen betrachtete Stani die beiden, die eng aneinander gekuschelt friedlich schliefen.

Leise schlichen sie die schmale Holztreppe hinunter.

»Ist das recht, was wir getan haben?«, fragte Stanislaus, wohl mehr sich selbst als seinen Freund.

»Ah geh, Stani, zerbrich dir nicht den Kopf. Die machen das gern. Und irgendwann werden sie einen braven Mann heiraten, Kinder kriegen und sich voller Stolz an uns erinnern. Glaub mir, das Leben ist nicht kompliziert, solange jeder weiß, wo er steht.« Georg drehte sich zu ihm um. »Mach nicht den Fehler und verlieb dich in so eine.«

Stanislaus zuckte unschlüssig die Achseln.

Da packte Georg ihn hart an der Schulter. »Hast g’hört! Ich mein’s nur gut mit dem Mädel. Wenn du sie spüren lässt, dass du sie wirklich gernhast, machst sie unglücklich. Hast mich verstanden?«

Stanislaus nickte. Nachdenklich folgte er seinem Freund durch die erwachende Stadt. Obwohl es ein herrlicher Tag zu werden versprach, wollte sich die dazu passende Hochstimmung nicht einstellen.

*

Sie lehnte ihren Kopf zurück. Das Schaukeln der Kutsche beruhigte sie. Sophie liebte den neuen Landauer, den ihr Vater vor Kurzem für die Familie erworben hatte. Den ganzen Sommer über hatte sie mit offenem Verdeck fahren können, was sie die regelmäßigen Besuche bei ihrer Tante Louise noch intensiver hatte genießen lassen. Mama hatte Papa – wie konnte es anders sein – wegen dieser enormen Ausgabe gescholten. Die Kutsche sei nicht nur zu groß für die ohnehin beschränkten Stellplätze des Stadthauses, sondern auch viel zu teuer. Außerdem würden sie, seit er in Diensten des Obersthofmeisters, des Fürsten von Trauttmansdorff, stand, ohnehin nie mehr verreisen. Papa jedoch hatte ihre Argumente lachend vom Tisch gewischt, sie auf die Wange geküsst und ihr versprochen, sie in Kürze zu einer Reise nach Prag zu entführen. Mamas Augen hatten geleuchtet und Papa hatte sein Versprechen tatsächlich wahr gemacht. Seither stand der Landauer zu Sophies alleiniger Verfügung. Da Papa von seinen Geschäften beinahe rund um die Uhr okkupiert wurde, benutzte er die Hofequipagen, Georg fand Kutschenfahrten generell unter seiner Würde – außer an der Seite seiner jeweils aktuellen Herzdame natürlich –, und Mama ging so gut wie nie mehr aus.

Sophie zog den Schal fester um ihre Schultern. Es war erst Oktober, aber trotz des sonnigen Wetters und des geschlossenen Verdecks fröstelte sie. Wieder zog sie den zerknitterten Brief aus ihrem Retikül. Hoffentlich war Tante Louise zu Hause. Es war Dienstag und Sophie kam unangemeldet. Doch sie musste sie sprechen. Und zwar dringend.

»Dorothea, wir sind da«, weckte sie ihre Begleitung lautstark aus deren kurzen, aber geräuschvollen Schlummer. Sophie seufzte. Warum nur bestand Mama hartnäckig darauf, dass sie auf jedem ihrer Wege, und mochte er auch noch so kurz sein, das in die Jahre gekommene Dienstmädchen mitschleppte? Dorothea war beinahe taub, ihre gichtigen Knochen schmerzten, jedes Rumpeln der Kutsche entlockte ihr ein Stöhnen. Doch Mama blieb unerbittlich. Niemals, niemals!, würde sie zulassen, dass ihre Tochter sich ohne Anstandsdame außer Haus begab. Im Haushalt war Dorothea so gut wie gar nicht mehr zu gebrauchen, weshalb Sophie den Verdacht hegte, dass es ihrer Mutter weniger um den makellosen Ruf ihrer Tochter ging als um ihr teures Porzellan und sie deshalb die gute Seele lieber mit Sophie auf den Weg schickte.

Dorothea fuhr hoch. Ihre Haube war verrutscht und bedeckte das halbe Gesicht. Sanft rückte Sophie das Spitzenhäubchen gerade. Seit sie denken konnte, hatte Dorothea in ihrem Haushalt gelebt. Sie mochte sie sehr. Dennoch, manchmal hatte sie das Gefühl, dass eher sie auf ihre Begleiterin aufpasste als umgekehrt.

»Wir sind da!«

»Schon?«

Statt einer Antwort schubste Sophie sie ungeduldig zur Tür, die der Kutscher in diesem Moment öffnete. Als auch Sophie ausgestiegen war, blickte sie sich um. Der Pferdeknecht führte die beiden Braunen, die Tante Louise in der Regel für ihre Ausfahrten vorspannen ließ, gerade zu den Stallungen. Gut. Sophie seufzte erleichtert. Sie war also zu Hause.

»Begleite Dorothea in die Küche, Josef. Es wird nicht allzu lange dauern.«

Der Kutscher nickte und sah Sophie kopfschüttelnd nach, die, ohne eine Antwort abzuwarten, ins Haus stürmte.

»Gott sei Dank, Ihr seid da!« Völlig außer Atem betrat Sophie den Salon ihrer Tante.

»Guten Tag, mein Kind! Was für eine Überraschung.« Louise legte Buch und Lorgnon beiseite und stand auf. »Weshalb bist du denn so aufgelöst?«

Sophie stürzte sich in ihre Arme.

»Aber, aber, beruhige dich. Was ist denn geschehen?«

»Nichts!« Verzweifelt streckte Sophie ihr den Brief hin. »Das ist es eben. Wieder keine neuen Nachrichten. Er ist einfach wie vom Erdboden verschluckt. Ach, Tante, vielleicht haben sie doch alle recht. Er ist tot. Und ich will das einfach nicht wahrhaben.«

»Jetzt setz dich erst einmal hin, damit ich in Ruhe lesen kann.« Energisch schubste Louise ihre Nichte auf das Louis-Seize-Sofa neben dem zierlichen, mit dunkelrotem Damast bezogenen Kanapee, von dem sie sich gerade erhoben hatte. Das Sofa war, wenn auch unbequem, ihr Lieblingsmöbel, ein Geschenk des Fürsten aus der Anfangszeit ihres amourösen Verhältnisses, über und über mit Blütenranken bedeckt, Arm- und Rückenlehnen aufs Aufwändigste verziert und vergoldet. Die Woge des Klassizismus, die mittlerweile die meisten der renommierten Wiener Salons und Empfangsräume überrollt hatte, schien vor Louises Gartenpalais Halt gemacht zu haben. Hier, mitten im Grünen, war die Zeit stehen geblieben. Anmutig lächelnde Engel, unschuldig dreinblickende Jungfrauen und pummelige Amoretten tummelten sich zwischen üppigem Blumendekor und opulenten Obstkörben, beleuchtet von riesigen Kristalllustern. Zarte Pastellfarben, überschäumendes Gold und jede Menge unnötiger Zierrat beherrschten das Haus wie eh und je. Vor den Toren der Stadt verweigerte Sophies Tante konsequent jedes Zugeständnis an die derzeit herrschende Mode, selbst wenn sie in dem einen oder anderen der zwanzig Zimmer ihrer luxuriösen Stadtwohnung dem wesentlich strengeren Stil der klassischen Antike durchaus zu neuem Glanz verhalf, und sei es, um in Wiens Gesellschaft weiterhin en vogue zu bleiben.

Sie gab Sophie mit dem deutlichen Ausdruck von Missbilligung den Brief zurück. »Wer genau ist dieser August Anschober, der das Schreiben unterzeichnet hat? Ein Meister der Formulierkunst scheint er wahrlich nicht zu sein.«

»Ein entfernter Verwandter meiner alten Gouvernante. Er lebt seit Jahren in Leipzig und hat sich umgehört. Für ein erstaunlich geringes Salär.«

Louise zog eine Augenbraue hoch.

»Ach, Tante, warum sollte er sonst für jemanden, den er nicht kennt, über jemanden, den er nicht kennt, Erkundigungen einziehen?«

»Das ist doch Ehrensache, würde man annehmen.« Mit einer ungehaltenen Handbewegung wischte Louise das Thema vom Tisch. »Wie auch immer. Langsam, mein Kind, muss ich dir beipflichten. Jetzt besteht wirklich nur noch wenig Hoffnung. Es tut mir so unendlich leid für dich. Aber ich fürchte, du musst dich mit der schlimmsten aller Tatsachen abfinden. Auch wenn ich bis heute nicht verstehe, wie es möglich ist, dass ein Offizier seines Geblüts in einer Schlacht fällt und keinerlei Aufzeichnungen darüber existieren.«

»Ach, Tante«, seufzte Sophie erneut. »Er wurde am letzten Tag der Schlacht schwer verwundet, mehr ist einfach nicht in Erfahrung zu bringen. Auch August Anschober fand nur verschlossene Türen vor. Papa hat schon vor Monaten seine Kontakte spielen lassen und nichts erreicht.«

»Was für eine Prüfung, mein Liebes, der du da in so jungen Jahren unterzogen wirst.« Louise betätigte die vergoldete Klingel, die neben ihr auf dem Tisch stand.

Sofort ging die Tür auf.

»Nanette, bring uns heiße Schokolade mit reichlich Milch und etwas Gebäck.«

»Sehr wohl, Frau Baronin.« Mit einem höflichen Knicks zog das Dienstmädchen sich zurück.

»Hast du von seiner Familie etwas gehört, seit …«

»Nein«, antwortete Sophie rasch. »Nichts mehr, seit dem Brief der Fürstin.«

Louise schüttelte missbilligend den Kopf. »Das ist ganz und gar nicht comme il faut. Natürlich hättest du weit über deinem Stand geheiratet. Aber du kanntest Ludwig seit deiner frühen Jugend, er war einer der besten Freunde deines Bruders auf der Militärakademie. Ich goutiere dieses Vorgehen keineswegs. Immerhin bist du seine Verlobte und damit Teil der Familie.«

»Ich verstehe es auch nicht, Tante, aber da ist außer Euch niemand, dem ich mich anvertrauen kann.«

Nachdenklich musterte Louise ihre Nichte. »Kind, was ich dich immer schon fragen wollte – bitte verzeih, aber da du unsere Vertrautheit eben so lobend erwähntest: Hast du Ludwig eigentlich geliebt?«

Überrascht sah Sophie auf, hielt jedoch kaum dem prüfenden Blick ihrer Tante stand.

»Ich hatte also recht!«, entgegnete Louise triumphierend, nahm sich aber sofort wieder zurück. »Das tut deiner Trauer und der Tragik der Ereignisse natürlich keinen Abbruch …«

»Tante, ich weiß nicht, was Ihr meint«, entgegnete Sophie trotzig. »Selbstverständlich liebe ich ihn. Habe ich ihn geliebt«, korrigierte sie sich. »Und jetzt habe ich das Gefühl, als wäre mein Leben vorbei. Ich vermisse ihn so sehr.«

»Nun, das verstehe ich.« Louise zögerte. »Hattest du nicht das Gefühl«, sie versuchte die richtigen Worte zu finden, »dass das, was du empfindest … dass es vielleicht in deinen Träumen …«

Energisch richtete Sophie sich auf. »Ich liebe Ludwig, Tante, worauf wollt Ihr hinaus?«

Louise wagte trotz der heftigen Reaktion ihrer Nichte einen weiteren Vorstoß. »Du erinnerst mich an mich selbst, mein Kind. Dein starker Wille, deine Unbeugsamkeit, dein klarer Verstand. Aber versteckt sich hinter der kühlen Fassade nicht ein wahrhaft romantisches Herz? Auch ich habe meinen Mann geliebt. Der brave Adalbert war mir Zeit seines Lebens ein vorbildlicher Ehemann. Doch erst als ich den Fürsten kennenlernte, habe ich zum ersten Mal …«

Die Tür ging auf und Nanette trat ein. Sie kredenzte die Schokolade in Porzellanbechern mit kleinen Untertassen aus Schildpatt auf einem silbernen Tablett.

»Danke, Nanette«, nickte Louise. »Du kannst gehen, das ist alles.« Sie wartete, bis das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann sprach sie weiter. »Was soll ich sagen? Es war Liebe auf den ersten Blick. Meine Knie wurden weich, alles begann sich um mich zu drehen, und ich wusste, er ist es. Er ist der Mann meiner Träume, auf den ich mein ganzes Leben lang gewartet habe.« Erregt erhob sie sich. »Und selbst wenn du mir jetzt diesen gewissen Blick zuwirfst, aus dem ich Amüsement, Skepsis und Erstaunen lese – ich verzeihe dir, ich selbst hätte in deinem jugendlichen Alter nicht anders darüber gedacht –, so muss ich dir sagen, ich weiß keine geistreicheren Worte für diesen Augenblick zu finden. Es ist die Wahrheit. Und wer diese Gefühlsregungen, die mit nichts auf dieser Welt vergleichbar sind, als romantische Verirrungen eines überspannten Gemüts abtut, der hat sich nie Hals über Kopf verliebt.« Ganz in Gedanken versunken blickte sie aus dem Fenster.

Sophie schwieg.

Minuten später drehte ihre Tante sich um und fuhr fort: »Ich sage ja nicht, dass außerordentliche Augenblicke wie diese zwangsweise zu einer glücklichen Ehe führen. Im Gegenteil. Wahrscheinlich ist zu viel Leidenschaft der erquicklichen Labsal einer harmonischen Ehe durchaus abträglich. Und dennoch …« Sie seufzte und ergriff Sophies Hand. »Dennoch würde ich mir wünschen, ein Mal im Leben dieses Leuchten in deinen Augen zu sehen, das nur die große Liebe zu entfachen vermag.«

Unwillig entzog ihr Sophie die Hand. »Tante, ich weiß Eure offenen Worte durchaus zu schätzen. Aber ich bin hier, um mit Euch über meinen Verlobten zu sprechen und darüber, wie sehr ich um ihn trauere. Weil dieser Brief meine letzte Hoffnung begraben hat.« Sie hob ihre Tasse und nahm einen Schluck der bittersüßen Schokolade. »Diese Art von romantischer Schwärmerei, von der Ihr sprecht, ist mir fremd. Und ich halte sie auch für ganz und gar nicht erstrebenswert. Sagt man nicht, dass Gefühlsregungen dieser Art eher den niedrigen Ständen vorbehalten sind? Eine Dame sollte sich deutlich zurückhaltender zeigen und ist in allen Lebenslagen gut beraten, ihre Contenance nicht zu verlieren.«

Louise musterte sie verärgert. »Kind, jetzt gehst du aber entschieden zu weit!«, tadelte sie ihre Nichte. »Du sprichst schon wie deine Mutter.«

Sophie nickte verlegen. »Ich weiß, verzeiht, Tante, ich hab es nicht so gemeint. Aber manchmal glaube ich, dass etwas mit mir nicht stimmt. Alle reden von Liebe – ich weiß damit einfach nichts anzufangen. Es gibt viel wichtigere und interessantere Dinge im Leben, finde ich. Und Ihr habt recht. Mama wird nicht müde zu betonen, dass die beste Ehe auf Vernunft beruht. Wenn man sich im Lauf der Jahre aneinander gewöhnt habe, mag daraus durchaus Liebe werden, sagt sie immer. Betrachtet man meine Eltern, scheint ihre Maxime ihre Richtigkeit zu haben. Ludwig jedenfalls war für mich immer ein wirklich guter Freund, und ich denke, dass es keine bessere Basis für eine Ehe gibt. Mama und Papa waren über unsere Verbindung überaus glücklich, weil sie mich für die Zukunft gut versorgt sahen und die Verbindung zu einer fürstlichen Familie allen zum Vorteil gereichte. Dass Ludwigs Eltern von seiner Wahl zuerst nicht angetan waren«, Sophie ignorierte den indignierten Blick ihrer Tante geflissentlich, »sei dahingestellt. Ludwig verfügte über eine sehr offene Gesinnung, manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass er mich aus genau diesem Grund erwählt hat.« Sie räusperte sich. »Wie Ihr seht, trauere ich wahrhaftig um ihn. Ich vermisse ihn schrecklich. Das ist der Grund, warum ich hier bin.« Sie machte eine wirkungsvolle Pause.

Ihre Tante, sichtlich immer noch ein wenig verstimmt, reagierte nicht.

Sophie seufzte, fuhr aber tapfer fort: »Nun, da jeder Funken Hoffnung darauf, dass Ludwig noch lebt, erloschen ist, möchte Mama mich so rasch wie möglich verheiraten, was angesichts meines Alters nicht verwunderlich ist. Aber ich will etwas aus meinem Leben machen. Ich möchte die Welt kennenlernen, es gibt so viel, was ich nicht weiß.« Zögernd hielt sie inne, dann gab sie sich einen Ruck. »Tante, nehmt mich mit auf Reisen, öffnet mir die Tür zu Eurem Salon! Ihr führt ein abwechslungsreiches Leben, lasst mich daran teilhaben. Bitte! Ich langweile mich noch zu Tode!«

Dieser letzte verzweifelte Ausruf schien ihre Tante nun doch versöhnlich zu stimmen. Sie lachte schallend. »Sophie«, Louise holte tief Luft, »das muss ich dir sagen. Du bist mit Abstand die ungewöhnlichste junge Dame, die ich kenne.« Energisch klingelte sie dem Dienstmädchen. »Nanette, meinen Lieblingschampagner. Und zwei Gläser!«

Sie lachte erneut auf. »Mein liebes Kind, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit dir bin, so klingt das nach einem interessanten Lebenskonzept. Das gefällt mir. Wir sind offensichtlich beide – jede auf ihre Art – nicht für das Mittelmaß bestimmt. Aber ich muss dich warnen, du machst es dir damit nicht leicht. Du weißt selbst, was von einer jungen Dame deines Alters und deines Standes erwartet wird. Das, was du dir vom Leben wünschst, mit Sicherheit nicht. Nun«, sie schenkte sich und ihrer Nichte ein Glas Champagner ein, den sie, wie sie kurz bemerkte, stets bereithielt, um überraschende Gäste zu bewirten oder aber – wie Sophie angesichts der Geschwindigkeit, mit der Nanette das kostbare Getränk serviert hatte, mutmaßte – um auch sich selbst ab und zu ein kleines Schlückchen zu gönnen. »Lass uns anstoßen. Auf deine kühnen Pläne und ein aufregendes Leben!«

Sophie umarmte sie stürmisch. »Ich wusste, Tante, dass Ihr mich versteht.«

»Nicht so ungestüm, meine Liebe. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um dich zu unterstützen. Aber das letzte Wort hat dein Vater. Und damit eigentlich deine Mutter. Ich wage sehr zu bezweifeln, dass sie deine revolutionären Ideen goutiert.« Sie dachte nach. »Meine nächste Reise führt mich nach Florenz, kommenden April. Gern kannst du mich begleiten. Natürlich muss ich darüber zuerst mit deinen Eltern sprechen. Ich möchte deine Begeisterung nicht dämpfen«, fügte sie hinzu, als sie sah, dass Sophie einen recht undamenhaften Luftsprung absolvierte. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob mein Bemühen von Erfolg gekrönt sein wird.«

Sophie nahm einen großen Schluck Champagner. »Doch, Tante, Ihr werdet sehen, alles wird gut.« Sie tanzte im Kreis, hielt dann jedoch inne. »Erst im April?« Sie seufzte. »Was mach ich bloß bis dahin?«

»Das, was deine Mutter von dir erwartet. Im Rahmen des Fürstentreffens sind unzählige Festlichkeiten geplant und auch die Saison beginnt bald. Du wirst schön gefügig sein und alle infrage kommenden Kandidaten wohlwollend prüfen. Versprichst du mir das?«

Sophie nickte. »Aber Euer Salon, Eure Soupers, Eure Dichterlesungen – was sind im Vergleich dazu langweilige Bälle oder barbarische Jagden? Bitte, Tante, egal, was Mama sagt …«

Lächelnd schüttelte Louise den Kopf. »Ob ich mir den Unmut deiner Mutter zuziehen möchte, muss ich mir noch sehr genau überlegen. Du weißt doch, was sie von meinen Einladungen hält. ›Frivol und unsolide‹, waren das nicht genau ihre Worte?«

»Wir müssen es ihr ja nicht erzählen«, fiel Sophie Louise aufgeregt ins Wort.

Louise lachte auf. »Wie stellst du dir das vor? Dass ich meine eigene Schwester hintergehe?« Rasch warf sie einen Blick auf die französische Pendule auf dem Kamin. »So spät schon! Meine Liebe, du musst gehen. Ich empfange Besuch und möchte mich noch umziehen. Aber ich verspreche dir, ich werde darüber nachdenken.« Sie erhob sich.

»Ich danke Euch, Tante.« Sophie küsste die ihr dargebotene Wange. Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen tänzelte sie die Treppen hinunter.

Aus ihrem sonnendurchfluteten Ankleidezimmer sah Louise ihrer Nichte zu, wie sie, die schwerfällige Dorothea im Schlepptau, leichtfüßig die Kutsche bestieg. »Auch wenn sie es nicht wahrhaben will, sie ist mir ähnlich, viel zu ähnlich«, murmelte sie, ein wenig sorgenvoll, und klingelte nach ihrer Zofe.

2. Kapitel

Was für ein prächtiger Tag. Perfekt geradezu, wäre da nicht Fanny an ihrer Seite, die vor lauter Aufregung ohne Unterbrechung vor sich hinplapperte. Und die Tatsache, dass der Kaiser mit einem Fest der Superlative an diesem 18. Oktober 1814 des Siegs über Napoleon in der großen Schlacht bei Leipzig gedachte. Der Jahrestag, der scheinbar ganz Wien in höchst feierlicher Stimmung hinaus ins Grüne trieb, bedeutete für Sophie die Erinnerung an ihren größten persönlichen Verlust.

»Ich bitte dich, so sitz doch endlich still«, ermahnte sie Fanny seufzend. Sophie haderte wieder mit ihrem Schicksal. Warum konnte sie nicht einfach zu Hause bleiben und ihren Gedanken nachhängen? Stattdessen hatte Mama sie zu dieser Ausfahrt gedrängt. Nicht einmal Papa schien Verständnis für ihr Bedürfnis nach stiller Zurückgezogenheit zu haben. Energisch hatte er Mama unterstützt: »Ich denke, du solltest dich endlich damit abfinden, dass dein Verlobter nicht wiederkommt. Er ist ein Held, gefallen im Kampf gegen den französischen Tyrannen. Ludwig hätte nicht gewollt, dass du dich einsperrst und dem Leben entziehst. Zeig dich stolz, gerade heute.«

»Und nimm Fanny mit«, hatte Mama rasch hinzugefügt, als sie merkte, dass Sophies Widerstand angesichts dieser ungewöhnlich klaren Zurschaustellung väterlicher Autorität dahinschmolz.

Nun saß sie hier, spielte das Kindermädchen für ihre nervtötende Schwester – und stellte überrascht fest, dass das alles sich bei genauerer Betrachtung eigentlich gar nicht so übel anfühlte, wie sie befürchtet hatte. Es war einer jener seltenen Herbsttage, an denen die Sonne noch einmal ihre Kraft spüren ließ. Mit offener Kutsche durch den Prater zu flanieren, war an sich schon ein Erlebnis. Heute jedoch herrschte Ausnahmezustand. Alles, was Rang und Namen hatte, schien sich hier, in Wiens beliebtester Ausflugsmeile, versammelt zu haben. Nicht nur die geladenen Ehrengäste und Militärs, sondern auch zahllose Zaungäste fanden sich ein, um dem feierlichen Anlass ihren Tribut zu zollen – natürlich in der Hoffnung, einen Blick auf einen der Souveräne, Fürsten und Gesandten zu erhaschen oder, noch besser, auf eine der einflussreichen Gespielinnen der Mächtigen, die mittlerweile zumindest ebenso große Berühmtheit erlangt hatten wie die Objekte ihrer Begierde.

»Die Damen sollten jetzt aussteigen.« Mit Mühe brachte Josef die Kutsche zum Stehen. Angesichts des großen Gedränges wurden die Pferde nervös.

»Ja, endlich«, jubelte Fanny und sprang aus dem Wagen, ehe Josef die kleine Behelfstreppe bereitstellen konnte.

»Fanny!«, ermahnte Sophie sie streng. »Bleib sofort stehen und wage es nicht, dich von mir zu entfernen. Nicht auszudenken, wenn ich dich in diesem Getümmel verliere.« Dennoch konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Fannys Begeisterung war durchaus zu verstehen. Noch nie hatte sie so viele Menschen in festlicher Kleidung auf einmal gesehen. Die pastellfarbenen Toiletten und bunten Schals der Damen strahlten mit den farbenfrohen Westen und hellen Beinkleidern der Herren um die Wette. Dazwischen die prunkvollen Uniformen der Offiziere, überall lachende Gesichter.

Sophie traute ihren Augen nicht. Ihre kleine Schwester, schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe, war gerade ungeniert dabei, die anerkennenden Blicke eines jungen Offiziers mit einem koketten Lächeln zu erwidern.

»Fanny!«

»Ach, Sophie, sei nicht immer so streng«, zischte Fanny. »Mama hat es erlaubt, nun verdirb mir nicht den Spaß.«

Kopfschüttelnd versuchte Sophie ihre Hand zu ergreifen, doch Fanny entzog sie ihr geschickt. »Lass das, ich bin kein kleines Kind mehr.«

Georg! In Gedanken verwünschte Sophie ihren Bruder. Er war es gewesen, der sich schon Tage vor der Veranstaltung für das Nesthäkchen eingesetzt hatte. Und Mama, die Fannys Schmollen offenbar noch weniger ertragen konnte als politische Diskurse, war prompt schwach geworden.

Resignierend ließ Sophie Fanny laufen und sich mit dem Strom der Besucher zu dem Platz treiben, an dem das Fest mit einer Messe eröffnet werden sollte. Schon waren die ersten Klänge des feierlichen Tedeums zu vernehmen. Das Szenario schien sogar auf Fanny Eindruck zu machen, denn ausnahmsweise schwieg sie still und lauschte.

Als der heilige Akt zu Ende war, zerstreuten sich die Gäste und flanierten weiter in Richtung Lusthaus. Rund um das bekannte Ausflugsziel waren provisorische Tafeln errichtet worden. Hier sollte auf Einladung des Kaisers das Militär speisen, die Mannschaften und Offiziere der Wiener Garnison. Georg hatte voll Stolz davon berichtet und ihnen versprochen, sie noch vor dem Essen seinen Freunden vorzustellen. Sophie sah sich um, doch sie konnte ihn unter all den glänzenden Uniformen nirgendwo entdecken.

»Hast du die beiden da gesehen? Die kühle Blonde und die Kleine mit den dunklen Locken. Hübsche Dinger, eine wie die andere. Magst nicht den Eisberg zum Schmelzen bringen, Philipp? Kannst ja nicht ewig deiner Gabriele nachweinen. Und ich nehm mir die Brünette vor. Ang’lacht hat sie mich, habt’s g’sehn? So ein junger Wildfang käm mir grade recht.«

»Hörst auf, solchen Unsinn zu reden? Das sind die Schwestern vom Schorsch!«, herrschte Stanislaus, der gerade hinzugetreten war, seinen Offizierskameraden an.

»Echt?« Karl grinste unbeeindruckt. »Na dann kannst sie mir ja vorstellen.«

Unwillig schüttelte Stanislaus den Kopf. »Nicht mal dran denken, hörst du?«

Doch Karl hatte sich mit seinem Freund Philipp im Schlepptau bereits den Weg zu den beiden Mädchen gebahnt. Mit einer galanten Verbeugung blieb er vor ihnen stehen. »Darf ich es wagen, gnädige Fräulein, mich vorzustellen? Karl Freiherr von Trattenbach. Und das ist mein Freund Philipp Graf von Keynitz. Stets zu Euren Diensten.« Formvollendet küsste er die Hand, die Fanny ihm aufgeregt entgegenstreckte, ohne den empörten Blick ihrer Schwester zu beachten. »Wir sind Freunde Eures Bruders. Er wird übrigens gleich kommen.«

Sophie nickte erleichtert. »Sehr erfreut.« Sie musterte ihr Gegenüber unauffällig. Ein außerordentlich gutaussehender Mann von großem Wuchs. Er sah Sophie tief in die Augen. Ungerührt erwiderte sie seinen Blick. Es braucht schon mehr als einen Feschak in Uniform, um mich zu beeindrucken, dachte sie amüsiert. Sein überhebliches Lächeln hingegen und der unverschämte Blick, mit dem er nun ihre Schwester bedachte, gefielen ihr überhaupt nicht. Beunruhigt stellte sie fest, dass Fanny errötete.

»Es tut mir leid, wenn wir Euch mit unserem Auftritt inkommodieren. Aber Karl war nicht zurückzuhalten.« Graf von Keynitz verbeugte sich. Im Gegensatz zu Trattenbach fand Sophie durchaus Gefallen an ihm. Mit seinen blonden Locken und den großen dunklen Augen stand er seinem Freund an Attraktivität um nichts nach, schien jedoch weit weniger von sich eingenommen zu sein.

»Ihr kennt meine Schwestern also schon.« Georg, sichtlich froh, sie in der Menge entdeckt zu haben, legte Fanny den Arm um die Schultern und küsste Sophie auf die Wange. Stanislaus, der sich nach ihm zu der Gruppe gesellte, nickte den beiden Mädchen freundlich zu.

»Wie konntest du uns diese beiden bezaubernden Damen nur so lange vorenthalten!« Karl klopfte Georg vorwurfsvoll auf die Schulter.

»Das weißt du genau, mein Freund«, konterte Georg. Sophie kannte ihren Bruder zu gut, als dass ihr der leicht drohende Unterton in seiner Stimme entgangen wäre.

»Zweifellos«, Karl grinste selbstgefällig. »Kameraden, wir müssen zu Tisch. Wenn die Damen uns entschuldigen.« Mit einer leichten Verbeugung entfernte er sich, nicht ohne Fanny einen Blick zuzuwerfen, der Sophie kalte Schauer über den Rücken jagte. Philipp schlug die Hacken zusammen und folgte ihm achselzuckend.

Georgs Miene war unergründlich, als er sich ebenfalls von seinen Schwestern verabschiedete. »Vielleicht ist es besser, ihr geht nach Hause«, flüsterte er Sophie zu. Er drückte Fanny einen herzhaften Kuss auf die Wange. »Und du tust gefälligst, was deine Schwester dir sagt, verstanden?«

»Geh Georg, behandle mich nicht immer wie ein kleines Kind!«, protestierte Fanny, zornig mit dem Fuß aufstampfend. »Ich hab gehört, was du zu Sophie gesagt hast. Aber ich will noch bleiben. Jetzt, wo es gerade so schön ist.«

Genau in diesem Moment drehte Karl sich um. Wie gebannt starrte Fanny ihn an.

Georg folgte ihrem Blick. »Ihr geht nach Hause, sofort.«

Sein ungewohnt scharfer Tonfall ließ Fanny zusammenzucken. »Aber …«

»Kein Aber, hast du verstanden!«

Noch nie hatte sie ihren Bruder so ungehalten erlebt. »Ist ja gut, dann gehen wir halt«, murmelte sie kleinlaut. In ihrem Schreck reichte sie Sophie sogar die Hand.

»Braves Kind«, nickte Georg und wandte sich zum Gehen. Rasch drehte er sich noch einmal um. »Danke, Sophie!«

Sophie lächelte und zog ihre Schwester in die Richtung, wo sie ihre Kutsche vermutete.

»Nimm ihn nicht ernst, den Karl«, versuchte Stanislaus Georg zu beruhigen. »Du kennst ihn ja.«

»Eben deshalb«, murmelte Georg grimmig.

Die plötzliche schlechte Laune seines Freundes gefiel Stanislaus ganz und gar nicht. »Ich werd heut Abend die Mitzi besuchen. Kommst du mit?«

»Nein, Stani, heut Abend kann ich nicht«, antwortete Georg.

Zu seiner Erleichterung bemerkte Stanislaus jedoch, dass sich Georgs Miene erhellte. »Wer ist es diesmal? Die Soubrette, die dich letzte Woche um den Schlaf gebracht hat?«, fragte er, von Georgs Erfolgen bei den Schönsten der Schönen immer wieder aufs Neue beeindruckt.

Georg aber schwieg beharrlich.

»Dann ist die Dame verheiratet?«

Kopfschüttelnd klopfte Georg seinem Freund auf die Schulter. »Neugieriger als ein Waschweib bist du, Stani.«

Wieder bester Laune gesellten sie sich zu ihren Kameraden, die bereits an den ihnen zugeteilten Tischen Platz genommen hatten.

Es wurde ein Fest, wie es Wien noch nie gesehen hatte. Kaiser und Könige speisten im ersten Stock des Lusthauses, Fürsten und Prinzen zu ebener Erde, die Generäle auf den Galerien und die Offiziere um das Gebäude herum. Zwischen Pyramiden aus Gewehren, Sitzbänken und riesigen Bierfässern bogen sich Holztische Kilometer um Kilometer, vom Lusthaus bis zum Praterstern, unter Hektolitern Freibier, Suppe mit Knödeln, Rindfleisch mit Soße, Semmeln, Krapfen und Wein. Alle wurden verköstigt, vom Feldwebel bis zum Wachtmeister – des Kaisers Anerkennung für die geschlagene Schlacht. Die Gäste wiederum stießen an auf das Wohl ihres Souveräns, begleitet von Kanonendonner, der den ganzen Nachmittag über wie dumpfes Donnergrollen bis in die entlegensten Vorstädte zu hören war.

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0+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
304 стр. 7 иллюстраций
ISBN:
9783839267141
Издатель:
Правообладатель:
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