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Hat vielleicht Kant die Resurekzion nicht bloß des alten Lampe wegen, sondern auch der Polizei wegen unternommen? Oder hat er wirklich aus Ueberzeugung gehandelt?24
10. Der Idealismus
10.1 Johann Gottlieb Fichte
Die konsequente Entpersonalisierung Gottes zu dem übersinnlichen Inbegriff allen Seins brachte Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) den Vorwurf des Atheismus ein.
Fichte ist als konsequenter Denker der Freiheit in die Geschichte eingegangen. Anknüpfend an Kant, der Freiheit, Gott und die Unsterblichkeit der Seele aus einer Notwendigkeit der praktischen Vernunft heraus postulierte, bestimmt |53◄ ►54| Fichte nun Gott als eine im Menschen liegende Idee des moralischen Gesetzgebers, in der die Freiheit des Menschen begründet ist. Der Glaube an Gott ist „nichts anderes, als der Glaube an jene Ordnung, deren Begriff sie nur, ihnen selbst unbewusst, ... weiter entwickelt und bestimmt haben“.25 Im menschlichen Geist steht Gott für die intelligible Ordnung, die so wie die Naturordnung maßgeblich ist für seine äußerliche Praxis. Jeder außerhalb des Menschen existierende Gott bedeutete unweigerlich eine Gefährdung seiner Freiheit, sodass Fichte einen sich durch Offenbarung in Szene setzenden Gott für eine den Menschen entwürdigende Vorstellung hält.61 Eine angemessene ‚Bestimmung des Menschen‘ kann nicht aus irgendwelchen Abhängigkeiten gewonnen werden, sondern allein aus einer konsequenten Selbstbesinnung in der Perspektive auf die Gewinnung eines freien Selbstbewusstseins. Damit hat Fichte die Spaltung von Subjekt und Objekt als Grundlage für die Philosophie außer Kraft gesetzt.
Die entscheidende Alternative, vor die Fichte den Menschen gestellt sieht, besteht auf der einen Seite in der Unterwerfung unter die Bestimmungen der Natur oder auf der anderen Seite in der freien Selbstkonstitution mit Hilfe des im Menschen liegenden Geistes.
Ich wollte nicht Natur, sondern mein eigenes Werk seyn; und ich bin es geworden, dadurch dass ich es wollte. Ich hätte durch unbegrenzte Klügelei die natürliche Ansicht meines Geistes zweifelhaft machen und verdunkeln können. Ich habe mich der Freiheit hingegeben, weil ich mich ihr hingeben wollte. ... Ich habe mit Freiheit und Bewusstseyn mich selbst in den Standpunct zurückversetzt, auf welchem auch meine Natur mich verlassen hatte. Ich nehme dasselbe an, was auch sie aussagt; aber ich nehme es nicht an, weil ich muss, sondern ich glaube es, weil ich will.27
Gott wird nicht als persönliches Wesen gedacht, sondern er erscheint in der Latenz der moralischen Praxis, d. h. in der lebendigen moralischen Ordnung.
Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes und können keinen anderen fassen. Es liegt kein Grund in der Vernunft, aus jener moralischen Weltordnung herauszugehen, und vermittels eines Schlusses vom Begründeten auf den Grund noch ein besonderes Wesen, als Ursache desselben, anzunehmen; der ursprüngliche Verstand macht sonach diesen Schluss sicher nicht, und kennt kein solches besonderes Wesen; nur eine sich selbst misverstehende Philosophie macht ihn. Ist denn jene Ordnung ein Zufälliges, welches seyn könnte, oder auch nicht, so seyn könnte, wie es ist, oder auch anders; dass ihr ihre Existenz und Beschaffenheit erst aus einem Grunde erklären, erst vermittels Aufzeigung dieses Grundes den Glauben an dieselbe legitimieren müsstet? Wenn ihr nicht mehr auf die Forderungen eines nichtigen Systems hören, sondern euer eigenes Inneres befragen werdet, werdet ihr finden, dass jene Weltordnung das absolut Erste aller objectiven Erkenntnis ist, gleichwie eure Freiheit und moralische Bestimmung das absolut erste |54◄ ►55| aller subjectiven; dass alle übrige objective Erkenntnis durch sie begründet und bestimmt werden muss, sie aber schlechthin durch kein anderes bestimmt werden kann, weil es über sie hinaus nichts giebt.62
Fichtes Kritik gilt insbesondere dem Schöpfergott, denn durch ihn würde das in sich selbst gründende Ich wieder auf einen außer ihm liegenden Grund zurückgeführt. So gewiss es eine moralische Weltordnung gebe, so gewiss gebe es auch Gott als den Willen zur Verwirklichung, als den im Gesetz enthaltenen und dieses tragenden reinen Akt der Sittlichkeit, der das Ich im Ruf zur Pflicht ins absolute Sein stelle, sodass sich das Ich nicht aus der Individualität, sondern aus seiner Partizipation am reinen geistigen Leben in seiner Freiheit begreift. Gott ist auf diese Weise unauflöslich mit dem Sichselbstwerden der Menschheit verquickt. Von hier aus gesehen erscheint Fichte der von den Kirchen gepredigte Gott als ein Götze, der durch menschliche Bestimmungen zu etwas Endlichem degradiert sei und damit der sinnlichen Genusssucht des Menschen angepasst worden sei. Dabei hat Fichte besonders die Gnadenlehre der Kirche (vor allem die auf Paulus zurückgehende Lehre der Reformation) im Auge, durch die ein übermächtiger – und damit heidnischer – Gott das Verderben der Menschheit noch unterstützt bzw. sogar verewigt. Diese Rechtfertigungsvorstellung wird durch die Vorstellung von der Wiedergeburt des Menschen ersetzt, die nicht im Horizont von Schuld und Vergebung, sondern – mit E. Hirsch gesprochen – „rein als der Akt, durch den der Mensch aus einem sinnlich-nichtigen Scheindasein in das wahre göttliche Leben, das Leben der das Heilige, Gute, Schöne ersehenden und verwirklichenden Freiheit tritt“,63 beschrieben wird. Wenn man so will, ist die Gewissheit, dass in der wahren menschlichen Freiheit Gott lebe, der einzige Haftpunkt für die Rede von der Gnade. So beabsichtigt Fichte mit seinem Religionsverständnis vor allem,
dem Menschen alle Stützen seiner Trägheit, und alle Beschönigungsgründe seines Verderbens zu entreissen, alle Quellen seines falschen Trostes zu verstopfen; und weder seinem Verstande noch seinem Herzen irgendeinen Standpunct übrig zu lassen, als den der reinen Pflicht und des Glaubens an die übersinnliche Welt. ... Unsere Philosophie läugnet nicht alle Realität; sie läugnet nur die Realität des Zeitlichen und Vergänglichen, um die des Ewigen und Unvergänglichen in seiner ganze Würde einzusetzen. Es ist sonderbar, diese Philosophie der Abläugnung der Gottheit zu bezüchtigen, da sie vielmehr die Existenz der Welt, in dem Sinne, wie sie vom Dogmatismus behauptet wird, abläugnet. ... Unsere Philosophie läugnet die Existenz eines sinnlichen Gottes, und eines Dieners der Begier; aber der übersinnliche Gott ist ihr Alles in Allem; er ist ihr derjenige, welcher allein ist; und wir anderen vernünftigen Geister alle leben und weben nur in ihm.30
Entschlossen wehrt sich Fichte gegen den ihm vorgehaltenen Vorwurf, dass er Atheist sei, indem er den Spieß umdreht und nun seinerseits aller auf die eigene Glückseligkeit |55◄ ►56| ausgerichteten Frömmigkeit offensiv vorwirft, dass sie ungeistlich und keiner ernsthaft so zu nennenden Religion würdig sei.
Wer da Genuss will, ist ein sinnlicher, fleischlicher Mensch, der keine Religion hat und keiner Religion fähig ist; die erste wahrhaft religiöse Empfindung ertödtet in uns auf immer die Begierde. Wer Glückseligkeit erwartet, ist ein mit sich selbst und seiner ganzen Anlage unbekannter Tor; es giebt keine Glückseligkeit, es ist keine Glückseligkeit möglich; die Erwartung derselben, und ein Gott, den man ihr zufolge annimmt, sind Hirngespinnste. Ein Gott, der der Begier dienen soll, ist ein verächtliches Wesen; er leistet einen Dienst, der selbst jedem erträglichen Menschen ekelt. Ein solcher Gott ist ein böses Wesen; denn er unterstützt und verewigt das menschliche Verderben, und die Herabwürdigung der Vernunft. Ein solcher Gott ist ganz eigentlich ‚der Fürst der Welt‘, der schon längst durch den Mund der Wahrheit, welchem sie die Worte verdrehen, gerichtet und verurtheilt ist. Ihr Dienst ist Dienst dieses Fürsten. Sie sind die wahren Atheisten, sie sind gänzlich ohne Gott, und sie haben sich einen heillosen Götzen geschaffen. Dass ich diesen ihren Götzen nicht statt des wahren Gottes will gelten lassen, dies ist, was sie Atheismus nennen; dies ists, dem sie Verfolgung geschworen haben.
Das System, in welchem von einem übermächtigen Wesen Glückseligkeit erwartet wird, ist das System der Abgötterei und des Götzendienstes, welches so alt, als das menschliche Verderben, und mit dem Fortgange der Zeit bloss seine äußere Gestalt verändert hat. Sey dies übermächtige Wesen ein Knochen, eine Vogelfeder, oder sey es ein allmächtiger, allgegenwärtiger, allkluger Schöpfer Himmels und der Erde; – wenn von ihm Glückseligkeit erwartet wird, so ist es ein Götze. ...
... Mir ist Gott ein von aller Sinnlichkeit und allem sinnlichen Zusatze gänzlich befreites Wesen, welchem ich daher nicht einmal den mir allein möglichen sinnlichen Begriff der Existenz zuschreiben kann. Mir ist Gott bloss und lediglich Regent der übersinnlichen Welt. Ihren Gott läugne ich und warne vor ihm, als vor einer Ausgeburt des menschlichen Verderbens, und werde dadurch keineswegs zum Gottesläugner, sondern zum Vertheidiger der Religion. Meinen Gott kennen sie nicht und vermögen sich nicht zu dessen Begriffe zu erheben. Er ist für sie gar nicht da, sie können ihn sonach auch nicht läugnen, und sind in dieser Rücksicht nicht Atheisten. Aber sie sind ohne Gott; und sind in dieser Rücksicht Atheisten. – Aber es ist fern von meinem Herzen, sie auf eine gehässige Weise mit dieser Benennung zu bezeichnen. Meine Religion lehrt mich vielmehr, sie zu bedauern, dass sie das höchste und edelste gegen das geringsfügigste aufgeben. Diese Religion lehrt mich hoffen, dass sie über kurz oder lang ihren bejammernswürdigen Zustand entdecken, und alle Tage ihres Leben für verloren betrachten werden, gegen das ganz neue und herrliche Daseyn, welches ihnen dann aufgehen wird. (219 f.)
Fichte unterscheidet im Blick auf das Christentum sein wahres Wesen, das identisch ist mit der von ihm vertretenen wahren Religion, und seiner historischen Erscheinung, den ‚Christianismus‘, zu dem er alles Dogmatische und Konfessionelle zählt. Es ist deutlich, dass er dabei an Kant anknüpft, dann aber in der Konzentration auf das absolute Selbstbewusstsein und die Freiheit seinen eigenen Weg beschreitet.
Chr. Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei J. G. Fichte, Stuttgart 1999
W. G. Jacobs, Johann Gottlieb Fichte, Reinbek 31998
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10.2 Georg Wilhelm Friedrich Hegel
In seiner Geistphilosophie beerbt Georg W. F. Hegel (1770 – 1831 ) die Theologie, die er an ihr Ende gekommen sieht, indem er die Wahrheit des Christentums als die absolute Religion auf ihren Begriff bringt.
In der integralen Geistphilosophie Hegels hat der Idealismus zu seiner am vollkommensten ausgeprägten Gestalt gefunden. Zugleich war es gerade diese spekulative Geistphilosophie, von der sich dann die Religionskritik im 19. Jahrhundert (Ludwig Feuerbach [→ § 4,2.4], Max Stirner [→ § 4,2.5], Karl Marx [→ § 4,3.3] u. a.) entschlossen abgekehrt hat. Es ist in gewisser Weise die Selbstüberschreitung der Aufklärung durch ihre eigene Apotheose, die Hegel mit seiner spekulativen Systematik ebenso eindruckvoll wie letztlich auch befremdend vor Augen stellt und damit einen Gipfel erklimmt, der bisher durchaus achtsam vor jeder Inbesitznahme geschützt worden ist. Es kann nur wenig verwundern, wenn der mit Hegel erreichte Höhepunkt auch einen Schlusspunkt in einer Entwicklung darstellt, der keine weiteren Entwicklungsperspektiven mehr eingeräumt werden können. In dem Moment, wo Zweifel an den Konstruktionsprinzipien dieses Wirklichkeitskonzepts Platz greifen, führt dies nicht zu Korrekturen, sondern es steht sofort das ganze Konzept in Frage. Es ist, wenn man so will, bei aller Systematik eben auch eine bekennende Philosophie, die ohne ihr tragendes Bekenntnis zum Geist in sich zusammenfällt.
In seinen Frühschriften finden sich religionskritische Äußerungen im Sinne der französischen Revolution (insbesondere J.-J. Rousseau [→ § 2,7]) und dem Geist von Lessing (→ § 2,8) und Kant (→ § 2,9).64 Hervorzuheben wäre die Abhandlung „Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als kantische, jacobische und fichtische Philosophie“ (1802) mit der die gegenwärtige Glaubenssituation charakterisierenden berühmten, allerdings meist unangemessen interpretierten Formulierung „Gott selbst ist tot“.65 Hegels Überlegungen zur kritischen Grundlegung der Religionsphilosophie finden sich in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion (1821 – 1831) und in den Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821).
Das Christentum als die ‚absolute Religion‘ soll mit Hilfe der Philosophie von den Glaubensmysterien in eine vollkommene Gestalt einer reinen Geist-Religion überführt werden, in der sie von der überzeugten Vernunft einen verlässlichen Schutz in Anspruch nehmen kann. Religion wird dabei als das durch den endlichen Geist vermittelte Selbstbewusstsein des absoluten Geistes verstanden. Es ist keine andere Wahrheit in der Religion bestimmend, sondern es ist ein anderes Verhältnis zur Wahrheit, das die Religion von der Philosophie unterscheidet. Wie die Religion durch das Gefühl bestimmt wird, so rechtfertigt die Philosophie dieses Gefühl in denkendem Bewusstsein.
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Der Philosophie ist der Vorwurf gemacht worden, sie stelle sich über die Religion: dies ist aber schon dem Faktum nach falsch, denn sie hat nur diesen und keinen anderen Inhalt [sc. Die Wahrheit], aber sie gibt ihn in der Form des Denkens; sie stellt sich so nur über die Form des Glaubens, der Inhalt ist derselbe.
Die Form des Subjekts als fühlenden Einzelnen usf. geht das Subjekt als einzelnes an; aber das Gefühl als solches ist nicht von der Philosophie ausgestoßen. Es ist die Frage nur, ob der Inhalt des Gefühls die Wahrheit sei, sich im Denken als der wahrhafte erweisen kann. Die Philosophie denkt, was das Subjekt als solches fühlt, und überläßt es demselben, sich mit seinem Gefühl darüber abzufinden. Das Gefühl ist so nicht durch die Philosophie verworfen, sondern es wird ihm durch dieselbe nur der wahrhafte Inhalt gegeben.
Aber insofern das Denken anfängt, sich in Gegensatz zu setzen gegen das Konkrete, so ist der Prozeß des Denkens, diesen Gegensatz durchzumachen, bis er zur Versöhnung kommt. Diese Versöhnung ist die Philosophie: die Philosophie ist insofern Theologie; sie stellt dar die Versöhnung Gottes mit sich selbst und mit der Natur, daß die Natur, das Anderssein an sich göttlich ist und daß der endliche Geist teils an ihm selbst dies ist, sich zur Versöhnung zu erheben, teils in der Weltgeschichte zu dieser Versöhnung kommt.66
Hegel ist mit dem Anspruch aufgetreten, mit seiner Religionsphilosophie der rechtmäßige Erbe der Theologie zu sein, die definitiv an ihr Ende gekommen sei. Die Theologie sei nicht einmal mehr über ihre eigene Tradition wirklich auskunftsfähig oder ergehe sich in Historisierungen, sodass die von ihr zu vertretende Wahrheit unbedacht brachliegen würde, wenn sie nicht von der Philosophie aufgegriffen und auf ihren Begriff hin reflektiert würde. Die neuere Theologie habe den größten Teil der überkommenen christlichen Lehre zugunsten einer „beinahe universelle[n] Gleichgültigkeit“67 aufgegeben. Das deutlichste Zeichen für die Verlegenheit der Theologie zeige sich in der dominierenden Neigung, den Lehrbestand der Tradition zu historisieren.
Das größte Zeichen aber, daß die Wichtigkeit dieser Dogmen gesunken ist, gibt sich uns darin zu erkennen, daß sie vornehmlich historisch behandelt und in das Verhältnis gestellt werden, daß es die Überzeugungen seien, die anderen angehören, daß es Geschichten sind, die nicht in unserem Geiste selbst vorgehen, nicht das Bedürfnis unseres Geistes in Anspruch nehmen....
Die absolute Entstehungsweise aus der Tiefe des Geistes und so die Notwendigkeit, Wahrheit dieser Lehren, die sie auch für unseren Geist haben, ist bei der historischen Behandlung auf die Seite geschoben: sie ist mit vielem Eifer und Gelehrsamkeit mit diesen Lehren beschäftigt, aber nicht mit dem Inhalt, sondern mit der Äußerlichkeit der Streitigkeiten darüber und mit den Leidenschaften, die sich an diese äußerliche Entstehungsweise angeknüpft haben. Da ist die Theologie durch sich selbst niedrig genug gestellt. Wird das Erkennen der Religion nur historisch gefaßt, so müssen wir die Theologen, die es bis zu dieser Fassung gebracht haben, wie Kontorbediente eines Handelshauses ansehen, die nur über fremden Reichtum Buch und Rechnung führen, die nur für andere handeln, ohne eigenes Vermögen zu bekommen; sie erhalten zwar Salär; ihr Verdienst ist aber nur, zu dienen und zu registrieren, was das Vermögen |58◄ ►59| anderer ist. Solche Theologie befindet sich gar nicht mehr auf dem Felde des Gedankens, hat es nicht mehr mit dem unendlichen Gedanken an und für sich, sondern mit ihm nur als einer endlichen Tatsache, Meinung, Vorstellung usf. zu tun. (47 f.)
Im Unterschied zu Fichte tritt bei Hegel die Polemik weitgehend in den Hintergrund zugunsten einer Systematisierung der gesamten Wirklichkeit, die im absoluten Geist Gottes sowohl ihren Zielpunkt als auch ihren Ausgangpunkt hat. Die Theologie wird zu einem Bestandteil der Philosophie, so wie die Philosophie ihrem Wesen nach nur dann recht Philosophie sein kann, wenn sie auch Religionsphilosophie ist, nicht nur irgendwo am Rande, sondern essenziell. Wenn es um eine Wahrheit geht, die unsere Subjektivität transzendiert und somit wirklich Anspruch auf Wahrheit erheben kann, so wird die Unterscheidung von Theologie und Philosophie redundant.
Der Gegenstand der Religion wie der Philosophie ist die ewige Wahrheit in ihrer Objektivität selbst, Gott und nichts als Gott und die Explikation Gottes. ... Die Philosophie expliziert daher nur sich, indem sie die Religion expliziert, und indem sie sich expliziert, expliziert sie die Religion. ... So fällt Religion und Philosophie in eins zusammen, die Philosophie ist in der Tat selbst Gottesdienst, ist Religion, denn sie ist dieselbe Verzichtung auf subjektive Einfälle und Meinungen in der Beschäftigung mit Gott. (28)
Es wird noch einmal bestätigt, dass nicht der Gegenstand, sondern lediglich die begriffliche Art und Weise, in der sich die Philosophie mit Gott beschäftigt, von der Religion unterschieden ist.
Gott ist seinem Wesen nach Geist – Geist als Geist. Indem ihm keine endlichen Bestimmungen zugemessen werden können und dürfen, ist er absoluter Geist, nach dem sich der Mensch mit seinem objektiven, weil immer auch bedingten Geist auszurichten vermag. Es wird gleichsam unter Wahrung größtmöglicher Nähe zum absoluten Geist ein umfassendes Gebäude errichtet, in dem in verschiedenen Abteilungen die ganze von Gott angestoßene und wieder auf ihn zulaufende Geschichte des Menschen so verwaltet wird, dass dem gegenwärtigen Selbstbewusstsein des Menschen – insbesondere wenn er sich dem Christentum zurechnen kann – die erhebende Verheißung zuwächst, ein tragendes Subjekt dieser Geschichte zu sein. Es ist der Geist in seinen unterschiedlichen Gestalten, der das Ganze zusammenhält und bewegt und somit als das eigentlich Wirkliche zu würdigen ist. Es geht um den Vollzug der Selbstbewegung und Selbstverwirklichung des all-einen unendlichen Geistes, der im endlich-unendlichen Selbstbewusstsein des freien Menschen seine geschichtliche Bestätigung erwirkt. Dem von allen Idealisten geteilten Grundanliegen, die gesamte Wirklichkeit systematisch begrifflich zu erfassen und der allein aus sich selbst heraus zu verstehenden Vernunft unterzuordnen, gibt Hegel in seiner dialektischen Geistphilosophie ein besonderes Gepräge, indem er allen denkbaren Widersprüchen dadurch ihr bedrohliches Potenzial entzieht, dass er sie in einem übergeordneten Ganzen im doppelten Sinne als aufgehoben vorstellt. Es ist hier nicht der Ort, Hegel Geschichtsphilosophie im Einzelnen zur Darstellung zu bringen.
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Im Blick auf die Religionen bleibt festzuhalten, dass sie sich an ihrem Verhältnis zu dem absoluten Geist qualifizieren. Für Hegel kommen hier spezifische Unterscheide zum Tragen, die zu dem Resümee führen, das Christentum als absolute Religion zu qualifizieren.
Der jüdische Gott ist die Einzigkeit, die selbst noch abstrakte Einheit bleibt, noch nicht in sich konkret ist. Dieser ist zwar Gott im Geist, aber noch nicht als Geist, – ein Unsinnliches, Abstraktum des Gedankens, welches noch nicht die Erfüllung in sich hat, die es zum Geist macht. Die Freiheit, zu welcher sich der Begriff in der griechischen Religion zu entwickeln sucht, lebt noch unter dem Zepter der Notwendigkeit des Wesens, und der Begriff, wie er in der römischen Religion erscheint und seine Selbständigkeit gewinnen will, ist noch beschränkt, da er auf eine gegenüberstehende Äußerlichkeit bezogen ist, in der er nur objektiv sein soll, und ist so äußerliche Zweckmäßigkeit.
... Der Geist, der an und für sich ist, hat nun in seiner Entfaltung nicht mehr einzelne Formen, Bestimmungen seiner vor sich, weiß von sich nicht mehr als Geist in irgendeiner Bestimmtheit, Beschränktheit; sondern nun hat er jene Beschränkungen, diese Endlichkeit überwunden und ist für sich, wie er an sich ist. Dieses Wissen des Geistes für sich, wie er an sich ist, ist das Anundfürsichsein des wissenden Geistes, die vollendete, absolute Religion, in der es offenbar ist, was der Geist, Gott ist; dies ist die christliche Religion. (86 f.)
In seiner Rechtsphilosophie thematisiert Hegel das neuzeitlich spätestens seit Hobbes (→ § 2,2) immer wieder problematisierte Verhältnis von Religion und Staat. Mit Hilfe seiner Staatsmetaphysik gelingt es Hegel, dem vernünftigen Staat, der sich von dem allein weltlichen, endlichen und somit schlechten Staat in seiner Notwendigkeit durch eine eigene religiöse Dimension unterscheidet, eine eigenständige Autorität zu sichern. Indem aber die Religion, auf die er sich gründet, Religion der Freiheit ist, kann dem Staat keinerlei Direktive auf die Innerlichkeit des Menschen zukommen. Umgekehrt bleibt der Religion das dem Staat anvertraute Recht verschlossen, denn seine in Pflicht nehmende Geltung besteht unabhängig vom Gemüt des Menschen. 68
H. Schnädelbach, G. W. F. Hegel zur Einführung, Hamburg 32007
M. Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970
11. Kurze Zwischenbilanz
Die in diesem Kapitel durchschrittene Entwicklung verdeutlicht, dass es einiger Zeit bedurfte, bis der aufklärerische Religionsbegriff zu sich selbst gefunden hat. Auf dem Weg zwischen Hobbes und Kant und dann weiter zu Hegel, der gewiss auch noch sehr viel kleinschrittiger durchlaufen werden könnte, vollziehen sich signifi-kante|60◄ ►61| Veränderungen, die verdeutlichen, dass der zunächst als ein Instrument eingeführte Begriff schließlich selbst zum Gegenstand des Interesses und der sorgsamen Bestimmung wird. Lag zunächst das mit dem Begriff verbundene Interesse außerhalb seiner selbst, sodass auch die für ihn aufgewandte Sorgfalt mehr auf die von ihm erhoffte Wirkung als auf seine stimmige Konsistenz gelegt wurde, so zieht er im Laufe der Entwicklung immer mehr Bestimmungsmerkmale an, sodass er schließlich zu einem Stehvermögen erstarkt, in dem er sich als eine Alternative zu dem konfessionell gebundenen Glaubensverständnis präsentieren kann und schließlich auch ausdrücklich präsentiert. Von daher ist es ganz plausibel, wenn die begriffliche Kontur durchaus über längere Zeit über einen gewissen Schwebezustand nicht hinaus gekommen ist – wie es von Ernst Feil in seinen Untersuchungen betont reklamiert wird. Als eigenständiger Begriff kommt die Religion erst in dem Moment zu eigenen Kräften, in dem ihr eine eigene Attraktivität als mögliche Alternative zu den traditionellen konfessionell geprägten Glaubenverständnissen zugewachsen ist.
Bei seiner Einführung steht die Frieden stiftende und die integrative Kraft im Vordergrund. Um das Ziel der Pazifizierung der Gesellschaft möglichst umweglos und effektiv zu erreichen, wird zunächst die merkwürdige Spannung in Kauf genommen, die durch die eingeführte Unterscheidung von privater und öffentlicher Religion unweigerlich entsteht. In der unterschiedlichen Verwendung des Begriffs der Religion spiegeln sich anfangs gleichsam die im Konflikt liegenden Dimensionen wider, zu deren Vermittlung er ebenso forsch wie eilig auf die Bühne gerufen wurde. Zwar war klar, welche Rolle er spielen solle, weniger klar war allerdings, woher diese Rolle ihre spezifische Überzeugungskraft beziehen solle. In dem Maße, in dem die neu kreierte Religion tatsächlich ihre Rolle zumindest teilweise erfolgreich auszufüllen begann, klärte sich auch ihre Konsistenz und ihr Profil, sodass sie instand gesetzt wurde, immer selbstbewusster auf der Bühne zu agieren. Da von den in unversöhnlichem Streit liegenden Konfessionen keine tragfähigen Lösungen zu erwarten waren und somit keine von innen begründete Überwindung des Konflikts in Aussicht stand, wird das zur Hilfe gerufene Religionsverständnis gleichsam von außen der verfahrenen Situation zugeführt, um die erforderlichen Moderationen vorzunehmen.
Da die Konfessionen nicht selbst das nötige Heilmittel gegen ihre verheerende Unduldsamkeit zu entwickeln verstanden, musste ihnen dieses Heilmittel von außen verordnet und verabreicht werden. Es kann dann nicht verwundern, wenn dieses von außen dem Konflikt aufgedrängte Heilmittel sich vor allem aus Inhaltsstoffen zusammensetzt, die nicht aus den ungenutzten Ressourcen stammen, die den Konfessionen zur Überwindung ihres Dilemmas in ihrem eigenen Arsenal zur Verfügung gestanden hätten. Die konfessionelle Bindung war offenkundig nicht in der Lage, die theologischen Elemente in dem eigenen Selbstverständnis zu mobilisieren, die den irrationalen aggressiven Antagonismen wirksam etwas entgegensetzen konnten. Die Kirchen haben kaum etwas dazu beigetragen, die Geschichte über die Erosionen hinauszuführen, die in den eigenen Reihen ihren Ausgang genommen hatten.
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Das eingesetzte Heilmittel ist von den Philosophen, insbesondere den Staats-und Gesellschaftsphilosophen entwickelt worden. Seine Bestandteile zeichnen sich durch möglichst widerspruchsfreie Allgemeinheit und seine Wirkweise durch den Dominanzanspruch des Allgemeinen gegenüber dem Besonderen aus. Dabei kommt die nahe liegende Affinität des Allgemeinen zum Natürlichen in besonderer Weise zum Tragen. Es ist also überaus plausibel, dass in dem Maße, in dem der Religion möglichst unbestreitbare Allgemeinheit zugeschrieben wird, sie zugleich in einer kaum bestreitbaren Natürlichkeit in Erscheinung tritt. Sie beerbt schließlich den vom Konfessionalismus zerstörten heiligen Singular des gemeinsamen Bekenntnisses zu dem einen Gott und präsentiert sich als natürliche Religion, als die eine wahre Religion, auf die sich die Vielfalt der Konfessionen und überkommenen Religionen unweigerlich zubewegen, wenn sie nicht in ihrer unduldsamen und streitsüchtigen Partikularität verharren wollen.
Es ist deutlich, dass das von der Aufklärung hervorgebrachte Modell der Religion als natürliche Religion selbst einen bekenntnishaften Charakter bekommt, der vor allem in der prinzipiellen Kritik an allen dogmatischen Exklusivismen, die nicht unmittelbar aus der menschlichen Vernunft stammen, in Erscheinung tritt. Es ist das Credo der Dominanz des Allgemeinen gegenüber dem Besonderen, wobei das Allgemeine die Evidenz des als unmittelbar zugänglich ausgegebenen Natürlichen ist. So sehr die Beschreibung dieses Natürlichen durchaus auf unterschiedlichen Wegen vorgenommen wird, so wenig scheint strittig zu sein, dass es eine solche von allen Menschen geteilte und sie einende Größe gibt, von deren Pflege die auf der Menschheit liegende Verheißung abhängig ist.
Das Selbstbewusstsein des Idealismus verweist schließlich indirekt auf die Verlegenheit insbesondere derjenigen Theologie, die sich auf die veränderte Situation einzustellen versucht. Hier zeigt sich eine sich gegenseitig beschleunigende Dynamik, denn der Anschluss der Theologie an den aufklärerischen Diskurs scheint nur über eine weitreichende Selbstrelativierung und somit durch eine schlichte Anpassung an die neue Situation zu gelingen (→ § 3), sodass der Philosophie das theologische Gegenüber zu entschwinden droht, was sie dann wiederum umso entschlossener dazu ermutigt, sich selbst als legitime Erbin der Theologie zu präsentieren, wie es dann von Hegel mit allen Konsequenzen vorgeführt wird.
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