Читать книгу: «Der schwarze Atem Gottes», страница 6

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Martin nickte.

»Na gut, dann will ich das Leben deines Ersatzgottes gnädigerweise retten«, sagte Federlin, seufzte laut auf und ging weiter. »Folge mir und habe keine Angst.«

Und sie verließen die Lichtung und gingen in den düsteren, sterndurchglühten Wald hinein. Es ist, als wolle die Morgendämmerung nie kommen, dachte Martin, während er auf sein schwarzes Schicksal zustolperte.

6. Kapitel

Auf dem wilden Ritt durch den Nachtwald wusste Maria bald nicht mehr, ob sie noch aus Fleisch und Blut oder bereits zu einem Gespenst geworden war. Die Angst vor ihren mordlüsternen Spießgesellen und vor diesem schrecklichen alten Mönch war über ihr zusammengeschlagen und hatte sie unter sich begraben. Sie hatte die Finger in Josefs blauen Bauernkittel verkrallt und kauerte hinter ihm auf dem harten und schmalen Sattel. Sie flogen den anderen voraus und waren so schnell wie eine Hexe auf dem Weg zum Sabbat. Maria bekam kaum mehr Luft. Der Galopp des Pferdes rüttelte sie, die es nicht gewohnt war zu reiten, mit schrecklicher, unwiderstehlicher Macht durch.

Sie hatte nicht die Zeit gehabt, Josef, den Anführer der Bande, zu fragen, ob er von dem furchtbaren Mord seiner Gesellen wusste oder ob er ihn gar befohlen hatte. Ihr ging das schweinische Grunzen und Quieken des abgestochenen Mönchs nicht aus dem Sinn. Sofort nach der Tat und nachdem die Räuber in der Herberge Feuer gelegt hatten, waren sie auf ihren Pferden davongestürmt, zuerst die Landstraße hinunter, dann geradewegs in den vor Schwärze starrenden Wald. Sie hatten ihren Auftrag ausgeführt; der widerliche alte Mönch war gefangen genommen und ritt in diesem Augenblick zusammen mit Christoffel auf dessen Pferd hinter ihnen her.

Maria fühlte sich schrecklich schuldig. War sie es nicht gewesen, die den armen Mönch dem Tode überliefert hatte? Wenn sie gewusst hätte, was diese Gesellen des Teufels geplant hatten, hätte sie nicht mitgespielt. Doch nun war es zu spät für Reue. Sie hatte bei dieser schändlichen Tat mitgewirkt und fragte sich, ob sie je wieder ihres Lebens froh werden konnte. Zugegeben, sie hatte schon oft das Gesetz verhöhnt, aber noch nie war sie für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich gewesen. Sie hielt nicht viel von den feisten, vollgefressenen Mönchen, die den armen Leuten die Höllenqualen in den schillerndsten Farben malten, nur damit die Bauern und einfachen Handwerker für ihr Seelenheil so viel Geld und Gold und Schmuck und Land spendeten wie möglich. Es war eines, die Mönche dafür zu verachten, dass sie sich an den Armen mästeten, aber es war ein anderes, einen von ihnen einfach umzubringen. Obwohl es manchmal nicht den Anschein hatte, so waren auch sie Geschöpfe Gottes.

Maria hielt sich ängstlich an dem Räuberhauptmann fest. Er war so heiß; seine Wärme glühte durch die Kleidung hindurch. Heiß wie ein Teufel, nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Am liebsten wäre sie vom Pferd gesprungen, doch sie ritten zu schnell. Außerdem war da noch etwas anderes.

Etwas, das dieser ungelenke Mönch in ihr entfacht hatte und das nun nach einer Befriedigung wie noch nie lechzte. Sie kannte sich selbst nicht mehr. Sie drückte sich noch enger an Josef.

Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Josef zügelte sein Pferd, und es hielt schnaubend und zitternd an. Maria sah, wie dicke Schweißperlen aus seiner Mähne tropften und auf seinem struppigen Hals im Mondlicht glitzerten. Auch die anderen Pferde kamen zum Stillstand. Josef saß ab und half Maria galant vom Pferd. Sie sah, wie der Mönch unsanft aus dem Sattel gestoßen wurde und zu Boden fiel. Er stieß einen hohen Schrei aus, in dem unendliche Qual lag – viel mehr, als man aufgrund dieses Sturzes hätte erwarten können. Sein fetter Bauch wabbelte auf und ab, und der Mönch hielt die Hände fest darum geschlossen. Er keuchte.

»Steh endlich auf, Pfaffenmemme!«, zischte Christoffel, ein vierschrötiger Klotz von einem Mann, der beinahe so breit wie hoch war. Und doch schien er kein Gramm überschüssiges Fett zu besitzen; er war nur Muskeln und Sehnen. Mit einer Hand hob er den Mönch an und ließ ihn dann wieder fallen. »Gewogen und für zu leicht befunden«, sagte er unter dem Gelächter der anderen.

»Hör mit den Spielchen auf«, herrschte Josef ihn an. Aus seinen hellblauen Augen schossen Feuerpfeile. »Wir brauchen den Mönch noch. Der Graf wird nicht sehr erbaut sein, wenn er unseren Gefangenen in schlechtem Zustand vorfindet.«

Christoffel brummelte etwas, half aber dem Mönch auf. Dieser nahm die ihm angebotene Hilfe an, erhob sich und stieß die Hand dann sofort weg. Er bückte sich und rieb den gröbsten Dreck von seiner schwarzen Kutte ab, die inzwischen reichlich zerknittert und fleckig war. Dann verzerrte sich sein Gesicht wieder wie in großen Schmerzen, und er hielt sich den Bauch fest. Die anderen standen inzwischen um ihn herum und betrachteten ihn wie ein seltenes Wild.

»Na los, bringt ihn rein«, befahl Josef.

Erst jetzt bemerkte Maria, dass sie sich vor den Ruinen einer kleinen Burg befanden, die mitten im Wald stand. Efeu rankte an den zerbröckelnden Mauern hoch; die Dächer waren eingefallen; nur noch ein einziger Turm stand aufrecht, doch seine Haube war verschwunden, sodass er wie ein uralter Zahnstummel aussah, der mit dem Nachthimmel verschmolz. Das Tor jedoch bestand aus neuem Holz und war überaus massiv. Während Christoffel die Pferde zu einer verfallenen Scheune führte, ging Josef voran und öffnete das Portal mit einem großen, schwarzen Schlüssel. Er trat ein und sagte zu Maria, die ihm folgte: »Hier siehst du eines unserer bescheidenen Heime. Ich hoffe, es sagt dir zu. Es hat einmal einer Prinzessin gehört, und jetzt gehört es wieder einer Prinzessin.« Ihr Bubenstück in der Herberge hatte die Bande in einem anderen Quartier geplant.

Auf einem schmalen Teppich aus Mondlicht betraten sie einen sehr großen, gewölbten Raum, dessen Decke noch unbeschädigt zu sein schien. An einer Wand befand sich eine ausladende Eichentruhe, die ein Stück weit aus der Dunkelheit herausragte; in der Mitte stand ein riesiger Tisch, wie es ihn wohl in einem Kloster geben mochte, und er war flankiert von vielen massiven Stühlen, die im ungewissen Licht wie kniende Menschen wirkten. Eine einzige Tür führte auf der gegenüberliegenden Seite aus diesem Raum hinaus. Josef ging durch das Gemach auf diese Tür zu; sie war nicht verschlossen. »Hinunter mit unserer Kriegsbeute!«, herrschte er seine Gefolgsmänner an. Christoffel zerrte den Mönch hinter sich her; die anderen folgten ihm; es war wie eine Prozession zerlumpter Gestalten, die zu einem sonderbaren Gott unterwegs waren. Maria folgte ihnen.

Sie zündeten eine Fackel an, die an der Wand hing; dann brachten sie den Mönch in ein unterirdisches, fensterloses Verlies, stießen ihn hinein, und Josef verriegelte die Tür hinter ihm, wozu er denselben Schlüssel wie vorhin benutzte. Dann steckte er ihn in eine weite Außentasche seines Kittels. »Jetzt wollen wir uns dem angenehmen Teil unseres Auftrages widmen«, meinte er grinsend, als sie wieder nach oben in die Halle stiegen. Die Mordbrüder steckten Fackeln in Halterungen an den Wänden und entzündeten das schwarze Pech; dann schlossen sie das Portal, und der Teppich aus silbernem Mondschein verschwand. Bald war der große, gewölbte Raum in ein verwirrendes Muster aus rotem Licht und grauen Schatten getaucht. Christoffel entfachte in einem großen Kamin ein lustiges Feuer, und die übrigen holten aus anderen Kellerräumen kleine Fässer sowie gepökeltes Fleisch. Sie ließen sich an dem Tisch nieder, und Christoffel holte aus der Truhe vornehme und wertvolle silberne Becher, in die verschlungene Muster eingraviert waren. Er stellte auch Maria einen Becher hin.

In den kleinen Fässern lagerte schwerer, roter Wein, der an das träge Blut eines alten Mannes erinnerte. Maria sah von einem Zecher zum anderen. Man konnte kaum glauben, dass es Menschen waren. Sie zerrissen das Fleisch zwischen den Zähnen, spülten den Wein hinunter, als wäre es Wasser, achteten nicht darauf, dass ihnen der Trunk aus den Mundwinkeln lief; sie schwatzten mit vollem Mund, hauten auf den Tisch, dass die Becher wackelten, und brüllten vor Lachen, wenn einer einen Witz machte. Christoffel war bei allem der Lauteste, der Ungebärdigste. Er soff den meisten Wein, fraß das meiste, rülpste am vernehmlichsten – und schielte Maria immer wieder lüstern an. Die anderen verblassten ein wenig neben diesem derben und knorzigen Gesellen: Gänschen, der ein wenig schüchtern war, aber die Klinge so gut wie kein anderer zu führen wusste und keinerlei Skrupel kannte und der seinen Spitznamen wegen seines abnorm langen Halses erhalten hatte – er war einer der Mörder des Mönchs gewesen –; Hütlein, der zwar nur mittelgroß war, aber einen Baum aus der Erde reißen konnte, sonst allerdings nicht viel zuwege brachte und die meiste Zeit aus leeren Augen dumpf vor sich hin stierte – er war der zweite Mörder gewesen –; Hans, der nur noch einen einzigen Zahn im Munde hatte und immer schrecklich aus dem Rachen stank, aber die schlimmsten Witze machte und deshalb bei den Buben sehr beliebt war; Mohammed, der so hieß, weil er seinen eigenen Angaben zufolge ein Jahr unter den Türken gelebt hatte und die Gesellschaft oft mit erbaulichen Schilderungen aus dem Harem des Sultans unterhielt, zu dem er angeblich jederzeit Zugang gehabt hatte; Pfäfflein, der ein entsprungener Pfarrer war, dem seine arme Gemeinde nicht genug Pfründe gebracht hatte und den die Bande als ihren Hofgeistlichen ansah, der ihnen – und sich selbst – nach jeder Schandtat bereitwillig die Absolution erteilte und das Vaterunser fast fehlerlos auf Latein dahersagen konnte; und schließlich noch Spatzel, der in der Tat so einfältig wie ein Spätzlein war, aber immer alles getreulich ausführte, was man ihn hieß.

Auf was hatte Maria sich bloß da eingelassen? Als Josef sie beschwatzt hatte, war es ihr eine gute Idee erschienen, sich dieser Gruppe anzuschließen, doch inzwischen hatte sie ihre seltsamen Gefährten näher kennengelernt und war entsetzt von ihnen. Auch Josef, der ihr mit seinen blauen Augen und den Furchen in seinem jungen Gesicht so edel vorgekommen war, schien nun ein anderer geworden zu sein. Er saß neben ihr und hatte den Arm um sie gelegt.

»Bald sind wir reich«, sagte er zu ihr, nachdem er den Mund geleert und den letzten Bissen Pökelfleisch mit dem Roten heruntergespült hatte. »Morgen kommt der Meister her und wird uns fürstlich belohnen.«

»Was will er denn von dem Mönch?«, fragte Maria.

»Was weiß ich? Er hat uns nur aufgetragen, ihn einzufangen, und zwar lebend und unverletzt. Das haben wir getan. Es muss sich wohl um eine ungeheuer wichtige Sache handeln.«

»Ach wasch«, nuschelte Christoffel über den Tisch. »Er will mit ihm doch nur Löschegeld erpreschen. Dasch Kloschter scholl schahlen.«

»Du bist und bleibst ein Narr«, sagte Josef zu ihm. »Glaubst du wirklich, seine Brüder würden auch nur einen roten Heller für ihn springen lassen? Nein, es muss etwas anderes dahinterstecken – etwas, das in der Person des Paters selbst liegt.«

»Mir gefällt er nicht«, meinte Pfäfflein, nachdem er wieder einmal seinen Humpen geleert hatte. »Ich habe natürlich auch schon von seiner Heiligmäßigkeit gehört – ich bin sicher, dass wir es hier mit dem Pater Hilarius aus Eberberg zu tun haben –, aber auf mich wirkt er eher wie ein Dämon.«

»Du kennst diesen Pater?«, fragte Maria den Pfaffen verwundert.

»Aber natürlich; wir stammen schließlich aus derselben Zunft«, sagte Pfäfflein und lächelte sie über den Tisch hinweg an. Ihr gefiel dieses Lächeln nicht. Er stierte auf den Ausschnitt an ihrem Kleid. »Sein Ruf ist legendär. Er ist ein Hexenschnüffler und Geisterbanner. Vielleicht soll er für den Grafen ja einen Geist bannen – oder vielleicht auch einen rufen.«

»Was ist der Graf eigentlich für ein Mensch?«, wollte Maria wissen.

»Oh, ein sehr merkwürdiger«, antwortete Pfäfflein. »Wir haben ihn erst vor Kurzem kennengelernt. Unser legendärer Ruf muss bis zu ihm gedrungen sein. Ich weiß nicht, wo er herkommt, aber ich weiß, dass der Meister unendlich reich ist.«

Maria dachte an die welken Blätter und die Zähne in der Geldkatze, die sie dem Mann abgenommen hatte, von den sie sicher war, dass es sich bei ihm um den Grafen gehandelt hatte.

»Er ist ein Edelmann«, sagte Josef und legte den Arm enger um sie. Seine Hand rutschte von ihrer Schulter hin zu dem Ansatz ihres Busens. Dort verweilte sie wie angeklebt. »Er wirkt vielleicht etwas düster, und in mancher Hinsicht erinnert er mich an unseren Gast dort unten, aber er ist unendlich gebildet und scheint jede einzelne Wissenschaft, die es auf unserer Welt gibt, studiert zu haben. Du wirst ihn kennenlernen – morgen. Aber jetzt wollen wir erst einmal Spaß haben.« Und seine Hand rutschte noch tiefer.

Maria versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien.

»Was ist? Willst du mir etwa nicht das gönnen, was du einem schäbigen Mönchlein gewährt hast?«, fragte Josef erbost und hielt sie noch fester. Seine rechte Hand hatte sich jetzt in ihren Ausschnitt gestohlen und drückte die Brust heftig. Es tat weh.

Ja, sie wollte. Nein, sie wollte nicht. Sie wusste nicht mehr, was sie wollte. »Aber doch nicht hier, nicht vor den anderen …«, beschwerte sich Maria.

Die anderen, die ihr mit offenen, geifernden Mündern gegenübersaßen, lachten schallend.

»Glaube nicht, dass meine Gesellen noch nie ein nacktes Weib gesehen haben«, raunzte Josef sie an und zerrte an ihrem Ausschnitt. Er beugte sich zu ihr herüber und küsste sie. Sie roch seinen säuerlichen, nach Wein und Gewalt stinkenden Atem. Dann war seine Zunge in ihrem Mund.

Es ekelte sie. In den vergangenen zwei Tagen hatte sie sich manchmal gewünscht, Josef möge sie nehmen, doch er hatte sich ihr gegenüber stets höflich und sittsam benommen. Jetzt fiel seine Maske von ihm ab. Und jetzt gefiel es ihr gar nicht mehr.

Er zwang sie dazu, sich vor ihn zu knien, und nahm seine dicke, kurze Rute aus der Hose. »Mach den Mund auf, du Hure«, knurrte er sie an. Es bliebt ihr nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Er drückte ihren Kopf so nahe an sein Gemächt heran, dass sie keine Wahl hatte. Sie nahm die Rute in den Mund. Josef keuchte und ächzte. Maria würgte. Die Rute wurde in ihrem Mund noch etwas dicker, aber zum Glück nicht länger.

Er zwang sie dazu, sich wieder zu erheben und auszuziehen. Dann legte er sie unter dem anfeuernden Beifall seiner Spießgesellen mit dem Rücken auf den Tisch und stieß sie mit aller Kraft. Dabei brüllte er wie ein Tier. Sein grober Bauernkittel, den er nicht ausgezogen hatte, rutschte bei jedem Stoß raschelnd hin und her.

Die anfängliche sachte Erregung, die Maria widerwillig gespürt hatte, als er zum ersten Mal in sie eingedrungen war, wich schnell tiefstem Abscheu. Das da über ihr war kein Mensch, es war eine Bestie. Sie betete, dass es schnell vorübergehen mochte. Als sie seinen warmen Saft in sich spürte und er dabei wie ein Irrsinniger grölte, hoffte sie, dass sie es hinter sich hatte.

Aber sie irrte sich. Gründlich.

Josef zog seine erschlaffte Rute aus ihr heraus und keuchte zu den Männern an der anderen Seite des Tisches: »Jetzt könnt ihr sie haben.«

Das ließen sich die Männer nicht zweimal sagen. Nur das schüchterne Gänschen machte einen noch längeren Hals als üblich und blieb reglos auf seinem Stuhl sitzen, als wäre er auf dem Holz angewachsen; und den einfältigen Spatzel schien es ebenfalls nicht danach zu gelüsten, es den anderen gleichzutun. Doch Hütlein, Christoffel, Hans, Mohammed und auch das Pfäfflein fielen über Maria her. Einer oder zwei hielten sie jeweils fest, während die anderen sich nacheinander und manchmal auch gleichzeitig an ihr vergingen. Dabei soffen sie weiter ihren Wein. Marias Schreien und Wimmern störte sie nicht, ja es schien sie nur noch stärker anzuregen. Wenn sich Maria allzu unwillfährig zeigte, schlugen ihr die Räuber ins Gesicht oder kniffen sie heftig in die Brust. Schließlich gab sie jede Gegenwehr auf und lag auf dem Tisch wie ein Stück totes Fleisch, an dem sich jedermann nach Belieben bedienen konnte.

Als schließlich Christoffel sie das zweite Mal mit seiner gewaltigen Rute genommen und wund gescheuert hatte, lagen die anderen bereits im Weinrausch auf dem Tisch oder dem Boden. Auch Christoffel brach endlich über Maria zusammen. Sein massiger Körper erdrückte sie fast. Sein Atem stank wie eine Kloake. Es gelang ihr, sich auf dem Tisch unter ihm hervorzuwinden. Mit zitternden Beinen stand sie da und heulte. Sie klaubte ihre Kleider vom Boden auf. Der Rock und das Hemd waren von Wein und Erbrochenem besudelt, aber das Mieder und die beiden Ärmel, die etwas abseits auf den kalten, nackten Steinfliesen gelegen hatten, waren zum Glück noch recht sauber. Nachdem sie den schlimmsten Schmutz abgewischt hatte, zog sie sich an. Dann schaute sie sich um. Alle Männer waren inzwischen in einen weinseligen Schlaf gesunken. Einen Augenblick lang wünschte sie sich, es wäre ihr irgendwie möglich, ihre Peiniger auf einen Streich zu töten. Auf keinen Fall wollte sie länger bei dieser Bande bleiben. Wie schändlich hatte Josef sie getäuscht! Sie hatte gehofft, in dieser Gesellschaft Schutz zu finden; stattdessen hatte sie sich ihnen schutzlos ausgeliefert. Schluchzend setzte sie sich auf einen der Stühle. Das schnarchende Gänschen, das neben ihr auf einem Stuhl hockte und den Kopf in die auf dem Tisch liegenden Arme gelegt hatte, regte sich leicht, aber es erwachte nicht.

Die Situation war günstig. Sie sollte von hier verschwinden. Aber wohin sollte sie gehen? Maria wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie hatte doch niemanden, dem sie sich anvertrauen konnte, und die Verbrecher würden bald ihre Spur entdeckt haben, und ihre Rache wäre sicherlich furchtbar. Da fiel ihr der alte Mönch mit dem dicken Bauch und dem hageren Gesicht ein, der unten im Verlies hockte. Vielleicht konnte er ihr helfen? Aber sicher, er war schließlich ein Mann Gottes, und wenn er ihr auch beim ersten Anblick unangenehm und sogar unheimlich erschienen war, so war er wenigstens kein so wilder Bruder wie diese schnarchenden Gesellen. Entschlossen stand Maria auf. Ja, das war die einzige Möglichkeit.

Sie hatte gesehen, wie Josef den Schlüssel, der sowohl das Portal als auch die Tür zum Verlies des Paters aufschloss, in seinem Kittel verstaut hatte. Irgendwie musste sie an diesen Schlüssel herankommen.

Josef lag auf dem Boden, mit dem Bauch nach unten. Sie stellte sich rechts neben ihn und versuchte, an die Außentasche heranzukommen.

Er lag genau darauf.

Maria zerrte vorsichtig an dem Kittel, doch er ließ sich nicht weit genug bewegen. Aber Josef schien etwas bemerkt zu haben.

Er drehte sich um.

Maria sprang entsetzt auf. Ihr Herz raste. Der Atem stockte ihr. Was sollte sie ihm bloß sagen? War das ihr Ende? Sie wartete darauf, dass er die Augen aufschlug.

Aber sie blieben geschlossen. Sein Schnarchen wurde nun, da er auf dem Rücken lag, sogar noch lauter. Als er sich umgedreht hatte, war ihm der große, schwarze Schlüssel aus der Tasche gefallen. Wie ein nutzloses Werkzeug lag er auf den Steinfliesen. Sofort ergriff Maria ihn und hastete zur Tür, die hinunter in die Kellergewölbe führte. Bevor sie sie hinter sich schloss, warf sie einen Blick zurück.

Niemand war aufgewacht.

Die Fackel im Gang brannte noch und beleuchtete flackernd die schweren Türen, die von ihm abzweigten. Hinter welcher saß der Pater? War es die zweite oder die dritte an der linken Seite gewesen? Sie trat an eine der Türen heran und klopfte zaghaft. »Seid Ihr hier drin, Pater?« Keine Antwort. Sie versuchte es bei der nächsten Tür. Sie glaubte, dahinter ein Geräusch zu hören. Sie klopfte noch einmal und sprach etwas lauter. Nun hörte sie ein seltsames Grunzen. Beherzt steckte sie den Schlüssel in das Schloss und sperrte die Tür auf.

Der Pater saß gegen die hintere Wand gekauert. Er schien gerade unter seine schwarze Kutte gegriffen zu haben, denn er zerrte den Stoff sofort herunter, als er die Störung bemerkte. Maria spürte, wie Ekel in ihr hochstieg. Er war doch auch nur ein Mann. Sollte sie ihm wirklich helfen? Würde er dann auch ihr helfen? Oder würde er sie genauso missbrauchen wie die anderen? Es war zu spät, um darüber nachzudenken; sie hatte sich bereits in dem Augenblick entschieden, in dem sie die Tür entriegelt hatte.

»Was willst du von mir, Teufelshure?«, zischte der Pater.

Warum lasse ich ihn nicht einfach hier in diesem Loch verrecken?, fragte sie sich. Weil ich dann mitverrecke; weil ich dann bei lebendigem Leib verfaule und genau das werde, was er mich eben genannt hat. »Euch befreien.«

»Warum?« Der Pater blinzelte sie an; in seinem Blick lagen Unglauben, Angst und Wut.

»Weil ich Eure Hilfe brauche.«

»Wie sollte ich dir helfen können?« Seine Stimme war fester geworden; sie war nun schneidend kalt.

»Ihr sollt mir helfen, von hier zu fliehen, und Ihr sollt mir helfen, mich vor dieser schrecklichen Bande in Sicherheit zu bringen.«

Der Pater stand auf; sein Bauch schaukelte dabei. »Wo sind deine Kumpane?«

»Oben; sie sind alle betrunken und schlafen. So kommt doch endlich! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«

Pater Hilarius schlurfte wenige Schritte näher, doch er hielt sich noch immer mehrere Ellen von Maria entfernt, als traue er ihr nicht.

»Wenn Ihr nicht wollt, gehe ich eben allein. Bleibt doch hier, wenn es Euch hier besser gefällt als in meiner Gesellschaft.«

»Rede keinen Unsinn, Mädchen. Geh voran. Und versuch nicht, mich in die Irre zu führen. Gott würde dich fürchterlich dafür strafen.«

Sie schlichen in den gewölbten Raum zurück, in dem die Mitglieder der Bande grunzten und schnarchten. Hier und da regte sich ein Arm, ein Bein, aber niemand wachte auf. Sie waren erschöpft und betrunken. Maria spürte noch immer das Gefühl der Wundheit zwischen den Beinen, und eine Welle von Hass, aber auch von Trauer und Scham überflutete sie. Sie weinte still.

»Was hast du?«, fragte Pater Hilarius sie und schaute sie eingehend an, während sie vor dem Hauptportal standen.

Maria gefiel sein Blick nicht. Er schien sich kaum von dem Josefs und der anderen brünstigen Räuber zu unterscheiden. Sie gab keine Antwort, sondern zog das Portal sehr vorsichtig auf. Die Angeln gaben keinen Laut von sich. Von draußen wehte eine frische Nachtbrise herein. »Schnell!«, sagte sie und schlüpfte durch das Portal. Der Pater folgte ihr sofort.

»Wir sollten uns zwei Pferde ausborgen«, meine Maria und wollte schon um das verfallende Gebäude herumgehen; die Pferde waren in einem baufälligen Stall an der Rückseite des Schlosses untergebracht.

Hilarius blieb stehen, schaute kurz in die Nacht und zischte dann: »Nein!«

»Warum nicht?« Maria hielt ebenfalls inne und schaute ihn verwundert an.

»Weil … weil ich nicht gern reite. Pferde mögen mich nicht besonders. Außerdem können wir uns besser verstecken, wenn wir zu Fuß sind. Dann werden sie uns nicht so leicht finden. Komm jetzt. Wir müssen rasch fort von hier.« Hilarius lief in den Wald hinein, und Maria folgte ihm widerstrebend.

Es schien ihr, als irrten sie schon seit Stunden zwischen den hohen, schwarzen Stämmen her. Immer wieder hielten sie an und schauten sich um. Nichts und niemand verfolgte sie. Maria drängte sich mehrmals eng an den Leib des Paters, weil sie in diesem riesigen, undurchdringlichen Wald mit seinen vielen seltsamen Geräuschen entsetzliche Angst hatte und sich nach körperlicher Nähe sehnte, doch der Pater stieß sie jedes Mal barsch von sich. War er wirklich so ausgemergelt, oder was sonst hatte sie bei diesen kurzen Berührungen gespürt? Wie erklärte sich dann sein enormer Bauch?

»Warum haben sie Euch eigentlich entführt?«, fragte Maria schließlich, als sie wieder einmal stehen blieben. Der Mond goss silbernes Licht zwischen die Stämme, das sich in einer Pfütze am weichen Waldboden gesammelt hatte.

»Woher soll ich das wissen?«, gab der Pater unwillig zurück.

»Sie haben etwas von einem Grafen gesagt, der Euch sprechen wollte – kennt Ihr diesen Grafen zufällig?«

»Ich bin ein Gottesmann. Ich kenne keine Grafen!«

Sie hatte nicht den Eindruck, dass er die Wahrheit sagte; deshalb versuchte sie nicht mehr, das Gespräch weiterzuführen.

Vor ihnen flatterte plötzlich eine riesige Eule auf. Maria stieß einen Schreckensschrei aus und schlug die Hände vor den Mund. Auch der Pater war zusammengezuckt. »Nicht alles, was wie ein Geschöpf Gottes aussieht, ist auch eines«, sagte er, als die Eule im schwarzen Gewirr der Zweige über ihnen verschwunden war.

»Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte Maria.

»Das Hexengezücht kann jede beliebige Gestalt annehmen«, flüsterte er und warf ihr brennende Blicke zu. »Meistens lassen sie sich von ihren Buhlteufeln zum Sabbat fliegen, doch manchmal legen sie die Strecke auch in verwandelter Gestalt selbst zurück.«

»Soll das heißen, dass das eine Hexe war?«, wisperte Maria ängstlich und schlang die Arme um sich. Plötzlich war es noch viel kälter zwischen den schweigenden Stämmen geworden. Ein leiser Wind raschelte in den Zweigen; es wirkte, als bewegten sie sich aus eigener Kraft – Arme, die sich nach den hilflosen Menschenkindern in dem so fremd gewordenen Wald ausstreckten; Arme, die sie aus der Nacht der Welt in eine Welt der Nacht ziehen wollten. Es war Maria, als würde der Tag nie wieder anbrechen.

»Die Hexen sind überall. Ich kann sie erschnüffeln; mir ist noch keine entkommen. Ich hasse sie sogar noch mehr als die Juden, die unseren Herrn ans Kreuz genagelt haben!« Wieder dieser glühende Blick, in dem mehr als nur ein Quäntchen Gier und Lust lagen. »Ich wiege sie zuerst in Sicherheit, bis sie glauben, ich hätte sie nicht erkannt, doch dann falle ich über sie her und reiße ihnen die Maske vom Gesicht!« Die Augen des Paters flackerten wie Höllenfeuer.

Was hatte sie nur getan? Maria hob die rechte Hand und biss sich in die Knöchel. Da hatte sie ihren Peinigern entkommen wollen und sich einem Besessenen anvertraut! Denn besessen war der Pater, dessen war sie sich sicher. Und jetzt war sie ganz allein mit ihm in diesem endlosen, finsteren Wald, in der von Bleichheit durchsetzten Schwärze, aus der alle Farben des Tages ausgeflossen zu sein schienen und nichts mehr so war, wie es sein sollte.

»Hörst du die Dämonen, mein Kind?«, wisperte der Pater und riss die dunklen Augen auf; sie schienen ihm fast aus dem Kopf zu fallen, schienen aus den Höhlen hervorzuquellen. Er bleckte die langen Zähne in wölfischem Grinsen.

Es war wirklich etwas zu hören.

Nicht sehr weit vor ihnen raschelte es im Unterholz. Konnte es ein Reh sein? Maria sah, wie der Pater gefror. Kleine weiße Wölkchen quollen aus seinem noch immer offen stehenden Mund. Es schien beständig kälter zu werden. Die Geräusche kamen näher. Pater Hilarius schaute seine Befreierin an. Sein Gesicht war zu einer höllischen Fratze geronnen.

»Was ist das?«, flüsterte sie so leise, dass sie die Worte kaum selbst hören konnte.

»Das ist die Nacht«, gab der Pater genauso leise zurück. »Die lebende Nacht. Die Verkörperung der Nacht und der Dunkelheit.«

Jetzt konnte sie schwache Schemen erkennen. Sie kamen nur sehr langsam näher – quälend langsam. Der Mond war inzwischen hinter die Wipfel der Bäume gesunken, und die Silberpfuhle am Boden trockneten aus. Die Bäume streiften das Kleid der Bleichheit ab und zeigten sich in ihrer nackten Schwärze. Sie verschmolzen mit dem Waldboden und der dunklen Ferne, und die wenigen Sterne hoch oben waren die tausend Augen der Nacht, die ihre Opfer allwissend anblinzelten.

Waren es menschliche Schemen? Bisweilen schienen sie sich zu ducken, schienen zu den Umrissen von Tieren zu werden, die über den Waldboden krochen. Auf der Jagd, schoss es Maria durch den Kopf. Sie konnte sich nicht mehr bewegen, war gebannt von Angst und Grauen. Sie sind auf der Jagd, auf der Jagd nach Seelen. Immer näher kamen sie, wichen manchmal etwas nach rechts oder links aus, doch fanden jedes Mal wieder zu ihrem Kurs zurück. In wenigen Minuten würden sie auf Maria und den Mönch stoßen.

»Was ist das?«, flüsterte Maria noch einmal.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Pater Hilarius atemlos.

Die raschelnden Geräusche wurden lauter. Jetzt war es bald so weit.

Maria wollte ihr eigenes Ende nicht sehen. Sie schlug die Hände vor das Gesicht.

Dann war das Rascheln ganz nahe gekommen.

Sie waren da.

399
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9783864020551
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