Читать книгу: «Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität», страница 8

Шрифт:

2.6.2 Merkmale der Interaktion

Die dialogische Haltung kommt in einer großen Offenheit gegenüber den Erfahrungen und Ideen aller Beteiligten zum Ausdruck. Der Unterricht wird als ein Ort gemeinsamen Denkens gestaltet, wobei sich alle gleichermaßen einbringen können. Littleton/Mercer (2013) bezeichnen den daraus hervorgehenden Prozess daher auch als interthinking. Es wird angenommen, dass neues Wissen dann besonders effektiv konstruiert wird, wenn es aus der gemeinsamen Anstrengung der Lernenden resultiert, ein kognitiv herausforderndes Problem zu lösen. Die Lernenden werden also als aktive Produzenten von Wissen ernst genommen (Haneda/Wells 2008; Skidmore 2006). Und man geht davon aus, dass sie die Dialoge, an denen sie aktiv teilhaben, als Modelle für eigene Denkprozesse internalisieren.

Diese dialogische Haltung spiegelt sich unmittelbar in der unterrichtlichen Interaktion wider, deren Charakter Alexander (2008) in den folgenden fünf Merkmalen beschreibt:

1 Die Interaktion wird kollektiv gestaltet und richtet sich auf ein gemeinsames Ziel. Alle Beteiligten können ihre Ideen, Vorstellungen und Erkenntnisse einbringen.

2 Die einzelnen Äußerungen beziehen sich wechselseitig aufeinander. Man hört einander zu, geht auf die Ideen der anderen ein, führt diese fort oder hinterfragt sie.

3 Als ein kohärenter und kumulativer Prozess mündet das gemeinsame Denken und Aushandeln in neuem Wissen, das mehr umfasst als die Summe dessen, was die Einzelnen einbringen. Es handelt sich demnach um eine Form von Unterricht, die emergentes Lernen fördert.

4 Die Beteiligten nehmen selbstbestimmt teil, in der Gewissheit, dass ihre Stimme gehört und ernst genommen wird. Sie können sich auf das Wohlwollen und die Unterstützung der anderen verlassen.

5 Der dialogische Austausch verläuft planvoll und zielgerichtet. Es geht also nicht darum, Räume für Smalltalk zu schaffen.1

Diese fünf Merkmale geben eine erste Vorstellung davon, wie sehr sich ein Unterricht, der dialogischen Prinzipien folgt, von lehrerdominierten Verfahren der Interaktion unterscheidet. Es wird aber zugleich auch deutlich, dass er eine Reihe von Bedingungen voraussetzt, etwa ein ausreichendes Interesse der Lernenden an den Inhalten oder ein Unterrichtsklima, das ihnen die notwendige Sicherheit verleiht, um sprachlich wie inhaltlich möglicherweise noch unausgereifte Beiträge einzubringen. Eine horizontal bzw. symmetrisch organisierte Lerngruppe, wie sie Canagarijah (2004) als safe house beschreibt (vgl. auch Pratt 1991), erhöht somit die Chancen, dass sich dialogische Lernprozesse entwickeln.

Aus der Auflistung der fünf Merkmale lässt sich ebenso schließen, dass der Lehrperson eine besondere Rolle zufällt. Um dialogisches Lernen zu ermöglichen, reicht es gewiss nicht aus, sich von einer dominierenden Rolle zurückzuziehen und damit die pädagogische Verantwortung abzugeben. Vielmehr fällt der Lehrperson die Aufgabe zu, den Übergang zu dieser Form des Austausches aktiv zu planen, zu begleiten und zu fördern. Das reicht von der Etablierung neuer Regeln für das Miteinander, über einen bewussten Einsatz von Sprache, der den Lernenden als Modell dient, bis hin zum Öffnen von Räumen, in denen sich Interaktion entfalten kann, zum Beispiel durch die Art der Aufgabengestaltung oder die Formulierung von Fragen und Feedback (Mercer/Howe 2012; Palmer/Ballinger/Peter 2014).

2.6.3 Dialogisches Lernen im Fremdsprachenunterricht

Was diese, zunächst einmal relativ abstrakte Beschreibung dialogischen Lernens für den Fremdsprachenunterricht auf der Niveaustufe A bedeuten kann, möchte ich an einem Beispiel aus den Daten dieser Studie veranschaulichen. Die folgende Episode ist ein Ausschnitt aus einem Plenumsgespräch einer Lerngruppe mit 12 Beteiligten (eine Lehrperson, elf Studierende). In der betreffenden Unterrichtseinheit beschäftigen sich die Studierenden mit den gesetzlichen Regelungen zum Pfänden. Nachdem sie sich – der oben beschriebenen Think-Pair-Share-Technik folgend – zunächst als individuelle Vorbereitung zuhause und dann in kleineren Gruppen die entsprechenden Gesetze in Japan und Deutschland angesehen haben, diskutieren sie nun im Plenum mögliche Formulierungen, die in der Rechtspraxis zu Problemen führen könnten. Es entwickelt sich ein Austausch, an dem sich fast die Hälfte der anwesenden Personen aktiv mit längeren oder kürzeren Redebeiträgen beteiligt.


Beispiel: U8, Plenum III (3:15 min)
12 l ok gibt es andere ideen?
13 sb08 mhm
14 l ja bitte herr p [sb08]
15 sb08 ich kann nicht ah ich weiß nicht wie wie viel ist 一か月間の生活に必要な食料及び燃料 (die für einen Monat notwendige Menge an Lebensmitteln und Brennmaterial) [liest aus dem Gesetzestext vor]
16 ss [lachen]
17 sb08 oder 二か月間の必要生計費 (notwendiger Geldbetrag für den Lebensunterhalt für zwei Monate) [liest aus dem Gesetzestext vor]
18 sb04 auf deutsch auf deutsch
19 l genau
20 sb08 net- eh nötig nötig geld
21 l nötiges geld
22 sb08 nötiges geld zu leben zwei monat (.) wie- ich weiß nicht wie vie wie viel ist das (.) ja
23 sb13 ja aber zu zu konkret gesetz ist nicht gut
24 sb08 aber
25 sb04 ja ja ja
26 sb08 aber weil das ist nicht konkret ich ich mein das ist zu wenig oder zu viel werden kann
27 sb03 kannst du noch einmal noch einmal wiederholen bitte
28 sb08 wa- wenn das gesetz ist nicht konkret man kann nicht verstehen wie wenig wenig geld oder wie viel geld kann
29 sb13 ja ich verstehe das idee aber zu konkret ist nicht gut
30 sb08 wa- warum nicht gut? ich möchte das grund wissen
31 sb013 es gibt viele leute also ein gesetz kann nicht ein zu konkret gesetz kann nicht ah (2) なんだろう(Wie kann ich das sagen?) passen zu viele person (2) zum beispiel
32 sb05 schreiben alles?
33 sb013 ja vielleicht
34 sb03 wenn es war wenn das gesetz war zu konkret es kann nicht gehört zu alle leute?
35 sb013 ja ja ja und vielleicht ein person kann benutzen das konkret gesetz und und なんだろう(Wie kann ich das sagen?) zum beispiel in in in ein gesetz wenn in ein gesetz steht ein gold ist gold kann zum beispiel ein gold kann eh pfänden kann denn ein person kann haben silver silver 銀って何(Was ist Silber?)
36 sb08 ah
37 l silber
38 ss silber
39 l ja ja ja ein gutes beispiel (5)

Tab. 2.3:

Auszug aus einem Plenumsgespräch, Lerngruppe LGb, U8/ Plenum III, 17. Nov. 2015; 21. Unterrichtswoche (nach 126 Stunden, A1)1

Auffällig an dieser Episode ist zunächst, dass der Lehrkraft2 besondere Rechte zufallen: Sie eröffnet die Sequenz und erteilt einem Studenten (sb08) das Rederecht (Zeile 12 bzw. Zeile 14). Sie korrigiert spontan und ungefragt (Zeilen 21 und 37) und sie schließt die letztlich auch die Sequenz ab (Zeile 39). Es sind also durchaus traditionelle Aufgaben, die die Lehrperson wahrnimmt. Und dennoch unterscheidet sich dieser Ausschnitt merklich von einem Unterricht, der durch das Frage-Antwort-Bewertungsmuster geprägt ist. Das sticht hervor, sobald man die Spalte mit den Bezeichnungen der Akteure ausblendet und versucht, die handelnden Personen zu identifizieren. Da sich die Studierenden auf der Niveaustufe A befinden, können natürlich bereits aus den fehlerhaften Formulierungen Rückschlüsse gezogen werden. Gleichwohl stellt diese Übung durchaus eine Herausforderung dar, denn die Studierenden agieren auf eine für diesen Unterricht spezifische Weise. Sie ergreifen spontan das Wort, wobei sie das zuvor Gesagte unterstützen (Zeile 25), in Frage stellen (Zeile 23) oder um Präzisierungen bitten (Zeilen 30; 32). Sie übernehmen auch unbefangen traditionell eher der Lehrperson zufallende Aufgaben, indem sie andere ermahnen (Zeile 18) und Rückmeldungen geben (Zeile 25).

Der gesamte Ausschnitt ist durchzogen von Signalen, die den jeweils Sprechenden versichern, dass ihr Beitrag Gehör findet. Bereits an dieser relativ kurzen Sequenz wird somit ersichtlich, was einen kollektiven und wechselseitigen Prozess des interaktiven Denkens auszeichnet. Und es lässt sich ebenfalls erkennen, wie daraus neues Wissen hervorgehen kann. In diesem Beispiel ist es vor allem dem kritischen Nachfragen von Student sb13 zu verdanken, dass die ursprüngliche Idee des Studenten sb08 in ihrer Überzeugungskraft relativiert wird und sich im Austausch eine neue Perspektive auf die komplexe Beziehung zwischen der notwendigen Abstraktheit rechtlicher Formulierungen und der Vielfalt der konkreten Lebenswelt von Rechtssubjekten eröffnet.

So wertvoll der Begriff des dialogischen Lernens auch ist, um das Bewusstsein für das Potenzial unterrichtlicher Interaktion zu schärfen, so wenig eignet er sich jedoch als Überschrift für einen neuen fremdsprachendidaktischen Hype. Zum einen ist das Gespräch als Modus des Lernens gleichsam bereits in den Genen der kommunikativen Didaktik angelegt und findet auch in zwei prominenten Thesen der Spracherwerbsforschung eine solide theoretische Basis: der Output-Hypothese (Swain 2000) und der Interaktionshypothese (Long 2003). Zum anderen wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten eine ganze Reihe von Überlegungen zur konkreten Gestaltung von unterrichtlicher Praxis formuliert, die dem oben skizzierten Verständnis von Dialog als kollaborativer Wissensbildung sehr nahekommen.

So beschreibt etwa Swain (2000) in ihrem Konzept des languaging den selbstbestimmten Austausch unter Lernenden als eine wichtige Quelle des Lernens im Fremdsprachenunterricht, auch wenn sie sich dabei auf die gemeinsame Reflexion sprachlicher Schwierigkeiten beschränkt und damit die inhaltliche Dimension ausblendet. Auch Kumaravadivelu (1994) sieht interaktive Aushandlungsprozesse als eine seiner Mikrostrategien für den Fremdsprachenunterricht im postmethodischen Zeitalter. Nicht anders als van Lier (2001), der jedoch den Begriff conversation bevorzugt, um ein Gegenmodell zu transmissionsorientierten Interaktionsformen zu entwerfen. Van Lier schildert einen Austausch im Klassenraum, der sich durch Offenheit für das Neue und Ungewisse auszeichnet sowie durch spontanen, reziproken und symmetrischen Sprachgebrauch und somit Merkmale aufweist, wie sie weiter oben dialogischen Lernprozesse zugesprochen wurden. Und auch (Breen 2001) und Allwright (2005) betonen den Zuwachs an Lernmöglichkeiten, der aus der aktiven und selbstbestimmten Rolle der Lernenden im Unterrichtsgespräch erwächst (siehe auch Garton 2012; Gibbons 2015:32ff).

All diesen Überlegungen gemeinsam ist die Vorstellung vom Fremdsprachenunterricht als einem interaktiven Prozess innerhalb einer Lerngemeinschaft, zu dem alle Mitglieder aktiv beitragen. Das Erlernen der Fremdsprache wird dabei gefördert, weil die Lernenden:

 intellektuell herausfordernde Situationen erfahren, die zum kognitiven Engagement sowie zum kritischen Denken einladen,

 ihre sprachlichen Ressourcen beständig aktivieren und kreativ einbringen können,

 potenziell mehr, längere und komplexere Redebeiträge beisteuern,

 fortwährend selbstbestimmte Entscheidungen treffen und ihre Interessen einbringen können, was sich positiv auf ihre Motivation auswirkt,

 vielfältige Möglichkeiten erhalten, Kommunikationsstrategien zu entwickeln,

 sich kontinuierlich mit alternativen Sichtweisen und Ausdrucksmöglichkeiten auseinandersetzen,

 aufgrund der kollaborativen Prozesse der Wissensproduktion und Aushandlung ein tieferes, nachhaltigeres Verständnis sowohl für die behandelten Inhalte als auch für die Fremdsprache entwickeln,

 engere Beziehungen zueinander aufbauen, die zu einer angstfreien Atmosphäre führen und die individuelle Identität ebenso stärken wie die kollektive,

 den Unterricht als einen Ort erleben, an dem sie demokratische Teilhabe praktizieren können (vgl. Breen/Littlejohn 2000:19; Gibbons 2015:32; Haneda/Wells 2008; Mercer/Howe 2012; van Lier 2001).

Eine solche Auflistung von Merkmalen leistet natürlich zunächst einmal nicht viel mehr, als das Potenzial dialogischer Lernprozesse zu umreißen. Dass mit ihr auch die Lehr- und Lernprozesse in konkreten Kontexten von Fremdsprachenunterricht abgebildet werden, ist bislang eher eine hypothetische Überlegung – oder auch nur vage Hoffnung. Das öffnet der Kritik weite Räume und im Umfeld der Fremdsprachendidaktik wurde diese vor allem von Seedhouse (2010) vorgetragen. Er bezweifelt, dass sich im Unterricht aufgrund der institutionell festgelegten Machtunterschiede dialogische Kommunikationssituation herstellen ließen (siehe auch O’Connor/Michaels 2007).

Dieser Einwand ist durchaus berechtigt, wie auch das weiter oben besprochene Transkript verdeutlicht: das Machtgefälle im Klassenraum lässt sich nicht kaschieren und die Lehrperson muss ihrer pädagogischen Verantwortung auch dann gerecht werden, wenn die Interaktion im Unterricht mehr darstellen soll als Smalltalk. Was Seedhouse jedoch in seiner Kritik übersieht, ist der Unterschied, der zwischen Gleichheit und Symmetrie besteht. Die Kontrolle der Unterrichtsprozesse durch die Lehrperson und ein sehr hohes Maß an Initiative durch die Lernenden schließen sich keineswegs aus (Legutke 2018; Stevick 1980:20; van Lier 2013). Lehrende können also den Raum für dialogisches Lernen schaffen und den Lernenden im Gespräch auf Augenhöhe begegnen, ohne dafür ihre berufliche Rolle ausblenden zu müssen. Und auch wenn immer wieder unvorhersehbar ist, in welche Richtung sich ein dialogischer Austausch entwickelt, so lassen sich die Interaktionsprozesse doch anbahnen und auch handhaben (Bygate 2017).

Die Frage, wie gut dies gelingt, kann freilich nicht argumentativ beantwortet werden. Mich führte die Auseinandersetzung mit dem Konzept des dialogischen Lernens deshalb dazu, die Interaktionsprozesse in meinen Unterrichtsstunden systematisch zu untersuchen (vgl. Kap.2.2). Dabei ging es mir zum einen darum, meine Rolle bei deren Gestaltung zu reflektieren und besser zu verstehen, wie sich eine Balance zwischen eigener Kontrolle und Initiative der Lernenden erreichen lässt. Zum anderen wollte ich die aus theoretischer Perspektive so überzeugenden Vorteile dialogischer Lernprozesse mit empirischen Daten aus meinem Arbeitsumfeld konfrontieren.

Doch bevor ich mich den Erkenntnissen aus dieser Unternehmung zuwende, möchte ich der Darstellung des Forschungskontextes noch einen letzten Aspekt hinzufügen. In den zurückliegenden Abschnitten habe ich die Unterrichtskonzeption detailliert dargestellt und aufgezeigt, dass diese durch ein Zusammenspiel von relevanten Inhalten, herausfordernden Aufgaben und dialogisch angelegten Interaktionsprozessen charakterisiert werden kann. Bislang wurde jedoch die Frage, inwiefern dieses Konzept mit dem kulturellen Umfeld kompatibel ist, nur angerissen. Ihr möchte ich mich im Folgenden daher ausführlicher widmen.

2.7 Lernkultur

“If learners have been conditioned by years of instruction through a synthetic approach, they may question the legitimacy of a program based on an analytical view of language learning.” Nunan (2009:15)

Ist Nunan mit seinen mahnenden Worten möglicherweise zu vorsichtig? Handelt es sich bei dem in dieser Studie beschriebenen Versuch, dialogische Lernprozesse in einer japanischen Universität zu verankern, nicht vielmehr um eine Form des „technokratischen Imperialismus“ durch Methodenexport (Sampson 1984:21)? Auf den ersten Blick könnte man annehmen, meine Darstellung habe mit dem Thema Lernkultur1 nun eine weitere Grenzlinie erreicht, die es zu überwinden gilt. Weshalb ich die Situation nach fast zwei Jahrzehnten der Lehrerfahrung in einem ostasiatischen Land als weitaus weniger dramatisch empfinde und den Verweis auf einen vermeintlichen Methodenimperialismus für überzogen halte, möchte ich in diesem Abschnitt erläutern.

2.7.1 Attribuierungen

Es gibt kaum Studien, die uns Einblicke in die Interaktion im Fremdsprachenunterricht an japanischen Universitäten gewähren. Besonders verdienstvoll ist daher die Untersuchung von King (2013), die den Englischunterricht in 30 Kursen an neun japanischen Universitäten unter die Lupe nimmt. Mit mehr als 900 beteiligten Studierenden und einer breiten Auswahl universitärer Kontexte zeichnet diese Arbeit – so lässt sich vermuten – ein durchaus repräsentatives Bild des Geschehens in solchen Lehrveranstaltungen. Zumindest handelt es sich um die umfassendste Studie, die in diesem Bereich meines Wissens momentan zugänglich ist. Und ihr Ergebnis muss verstören, denn während die Lehrenden mehr als 62 Prozent der Sprechzeit in den Plenumsphasen beanspruchen, machen die mündlichen Beiträge von Studierenden durchschnittlich nur ca. 6 Prozent der im Plenum geführten Unterrichtszeit aus. Von diesen punktuellen Redebeiträgen wiederum interpretiert King weniger als ein Prozent als lernerinitiiert und das wohlgemerkt bei Kursen mit Studierenden, die bereits mindestens sechs Jahre Englischunterricht im Sekundarbereich hinter sich haben.1

Solche Zahlen wirken natürlich wenig ermutigend, wenn man – wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben – einen dialogisch gestalteten Austausch mit japanischen Studierenden anstrebt. Und sie fügen sich gleichsam passgenau in eine weit verbreitete Vorstellung vom Wesen japanischer (bzw. ostasiatischer) Lernender. Ein beliebtes Vorgehen bei der Charakterisierung des für Japan vermeintlich typischen Lehrens und Lernens im Fremdsprachenunterricht beginnt mit dem Beschreiben von auffälligen oder ungewohnten Verhaltensweisen, die sich in der Wahrnehmung der betreffenden Autorinnen und Autoren, die zumeist selbst als Lehrende tätig sind, störend oder hemmend auf den Unterrichtsverlauf auswirken. In einem zweiten Schritt folgt dann der Versuch, diese durch den Bezug auf den gesellschaftlichen Kontext zu erklären, sie also kulturell zu verorten, wobei unterschiedliche Einflussfaktoren angeführt werden. Die Bandbreite der genannten Ursachen reicht dabei von der schulischen Sozialisation der Lernenden bis tief hinein in historische Entwicklungen. Dieses Argumentationsmuster findet sich in zahlreichen Veröffentlichungen und exemplarisch möchte ich im Folgenden einige symptomatische Beiträge herausgreifen (vgl. auch die Überblicke bei (Bohn 2004; Guest 2006; Jin/Cortazzi 1998).

Für Fuchs (2001) etwa ist ein besonders auffällig hervortretendes Verhaltensmerkmal im Unterricht die Ruhe. Fehlende verbale Aktivität sowie ausbleibende Reaktionen auf an die gesamte Klasse gerichtete Fragen und dadurch hervorgerufene Frustrationen auf beiden Seiten führt sie auf unterschiedliche Erwartungen an den Unterricht zurück. Diese wiederum verbindet die Autorin unmittelbar mit kulturellen Differenzen, die ihr als „Wurzel allen Übels” (Fuchs 2001:34) gelten. Sie begründet die Zurückhaltung bei der freiwilligen Wortmeldung mit dem in Japan verbreiteten Bedürfnis, die Harmonie der Gruppe zu erhalten. Die Schwierigkeiten, die Studierenden zum aktiven und auch selbstständigen Mitlernen, zum Beispiel von Vokabeln, zu bewegen, sieht Fuchs als Ergebnis der schulischen Lerntradition.

Burrows (2008) kommt in seiner Studie zu dem Schluss, dass das Konzept des aufgabenbasierten Unterrichts nicht zur kollektivistischen Kultur in Japan passe, denn die Studierenden zeigten kaum Bereitschaft, von sich aus Diskussionen zu beginnen, neue Themen oder Ideen einzubringen, gegenseitig aufeinander einzugehen, zum Beispiel durch Rückfragen, oder auch nur auf die Fragen des Lehrenden zu antworten. Damit steht Burrows in einer Reihe mit weiteren Beiträgen, die die Möglichkeiten aufgabenbasierten Unterrichtens im asiatischen Kontext sehr skeptisch betrachten (vgl. den Überblick bei Lai 2015). Sie enden oft in der Erkenntnis, dass dieser fremdsprachendidaktische Ansatz nur für Lernende höherer Niveaustufen sinnvoll sei, aber im Anfängerbereich zu Frustrationen bei Lehrenden wie Lernenden führe.

Der Frage, weshalb das Lernverhalten von Studierenden in Japan durch Passivität, Schweigen oder sogar Apathie gekennzeichnet ist, treibt auch Tomoda (2000) um. Und er gelangt zu dem Ergebnis, dass dem Einfluss des Bildungssystems sowie der Sozialisation in Schule und Kindergarten eine entscheidende Bedeutung beigemessen werden sollte. Tomoda geht jedoch noch einen Schritt weiter, denn er versucht diese Unterrichtspraxis auf das konfuzianistische Bildungsideal zurückzuführen, das im 7. Jahrhundert gemeinsam mit der Beamtenprüfung aus China übernommen wurde. Eine Folge dieser Entwicklung sei die starke Orientierung an Aufnahmeprüfungen, die sich auch heute noch unmittelbar auf das Geschehen im Klassenraum auswirke, indem sie den Wissen und Daten vermittelnden Lehrermonolog sowie die fast ausschließlich rezipierende und reproduzierende Lernhaltung der Studierenden begünstige. Andere wichtige Kompetenzen wie das kritische Hinterfragen von Informationen, das Begründen und Argumentieren von Sachverhalten oder das Erkennen von Zusammenhängen und Strukturen hingegen würden kaum gefördert.

Unter anderen Aspekten betrachten Schmitz (2002) und Reibert (2003) die Bedeutung der japanischen Ideengeschichte für den gegenwärtigen Deutschunterricht. Ersterer verweist, um das Schweigen oder die Tendenz zum Auswendiglernen grammatischer Regeln zu erklären, auf die Praxis, klassische Schriften des Konfuzianismus oder buddhistische Sutren auswendig zu lernen und zu rezitieren. Letzterer erläutert das konfuzianistische Denken, um das aus seiner Sicht typische Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden in japanischen Bildungseinrichtungen zu deuten. Die Lehrperson werde als Autorität angesehen, die unfehlbar und allwissend sei. Ihr Fragen zu stellen oder sich ihr anzuvertrauen sei nicht üblich und würde gegen das japanische Kooperationsprinzip verstoßen. Allerdings, so Reibert, beinhalte diese Autoritätsbeziehung, sich unter die Verantwortung der Lehrperson begeben zu können und so auch die Verantwortung und Aktivität im Unterricht an ihn abzugeben.

In nahezu allen Arbeiten zum Thema – und empirische Forschungen zu den subjektiven Theorien von Lehrenden, die in Japan bzw. Ostasien tätig sind, bestätigen diese exemplarische Auswahl (vgl. die Übersicht bei Cheng 2000:436ff) – werden als auffällige Besonderheiten des Lernverhaltens das Schweigen, eine allgemeine Passivität und Zurückhaltung, die Schriftlichkeitsfixierung und das Auswendiglernen genannt. Merkmale, die unmittelbar auf gesellschaftliche Bedingungen zurückgeführt werden und mithin als kulturelle Orientierungen aller japanischer Lernenden gelten.

Бесплатный фрагмент закончился.

Возрастное ограничение:
0+
Объем:
469 стр. 32 иллюстрации
ISBN:
9783823301844
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают

Новинка
Черновик
4,9
139