Читать книгу: «Die Legende von Arc's Hill»

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Table of Contents

Horrorband eBook 5

KOVD Online

Titelseite

Impressum

Buch 1: Die schwarze Stadt

Buch 2: Das Grab des Teufels

Buch 3: Auferstehung

Buch 4: Brennender Phoenix

Buch 5: Das letzte Kapitel

Der Autor

Literatur Guerillas


Horror eBook

Band 5

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Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © dieser Ausgabe 2020 by KOVD Verlag, Herne

Artwork & Buchschmuck: Björn Craig


Nachdruck und weitere Verwendung

nur mit schriftlicher Genehmigung.


ISBN: 978-3-96987-925-2


Manche sagen, Arc´s Hill sei verflucht, eine Stadt, die den Pestatem des Bösen verbreitet.

Andere bezeichnen den Landstrich jenseits der Wälder von Durham als vom Teufel berührt.

Glaubte man den uralten Legenden, so erzählten sich die Männer, wenn sie am Abend in den Tavernen zusammen saßen, mit gewichtiger und gleichzeitig von Furcht gezeichneter Miene von den dunkelsten Nächten des Jahres. Jene Stunden, in denen man den Teufel mit seiner dämonischen Brut auf den weiten Ebenen des verfluchten Landes tanzen sehen konnte.

Und nur hinter vorgehaltener und zitternder Hand sprachen sie von den grauen Bergen, die das verfluchte Städtchen wie der feiste Schoß einer gewaltigen Bestie hüteten, und auch davon, wie das verzweifelte Wehklagen gepeinigter Kinder durch die kalte Nachtluft bis hinunter in die Gassen des Städtchens drang. Gerade so, als versuchten die kleinen, gemarterten Seelen vor jenen schrecklichen, unaussprechlichen Kreaturen zu entfliehen, welche seit Urgedenken auf den steinernen Felsen der Berge ihre Zuflucht besaßen.

Saßen die Männer am Abend im Kreise ihrer Familie in den Stuben beisammen und waren die Vorhänge zugezogen und Fenster und Türen fest verschlossen, dann erzählten die Ältesten von ihnen von den geflügelten Wesen, die man des Nachts schattengleich und schweigend durch das weite Land jenseits von Arc´s Hill streifen und den Himmel in totale Finsternis tauchen sehen konnte.

Oder aber sie sprachen mit von Furcht geweiteten Augen von den unheimlichen Stimmen, die durch die Dunkelheit drangen und direkt aus der harten und kalten Erde herzurühren schienen. Einige wenige glaubten zu wissen, dass diese fremdartigen Sprachen von Wesen aus den schwarzen Räumen zwischen den Sternen stammten. Grauenvolle Kreaturen, die aus dem Dunkel hinabgestiegen waren, um ihre unheilige Saat in den Schoß der neu erschaffenen und noch glühenden Welt zu legen.

Es gab andere, die diese archaischen Wesen als ›Die Großen Alten‹ betitelten, abscheuliche Dämonen, welche aus einem Universum weit jenseits des unseren stammten.

Doch wurde ihnen kein Glauben geschenkt und ihre Worte als Narretei und von Alkohol geschwängerte Geisterfurcht abgetan.

Dabei kamen diese Wenigen der abscheulichen Wahrheit viel näher, als jeder andere, der an den Tischen der nach Rauch und Schweiß stinkenden Tavernen oder aber im Kreise der Familie im Laufe der Jahrhunderte seine selbstersonnenen Geschichten zum Besten gegeben hatte. Auch wenn sich diese Wenigen der Bedeutung ihrer Worte kaum im Klaren waren.

Es waren eben nur Geschichten, die man sich über das verfluchte Städtchen Arc´s Hill erzählte. Worte von Narren, die im Schatten von Aberglauben und mit der Furcht ihrer Vorfahren herangewachsen waren …


1986 …

Wenn man alles verloren hat, was man im Leben als wichtig erachtete, ist es kein leichtes Unterfangen, wieder aus den düsteren Tiefen der Verzweiflung heraus zu gelangen. Noch aussichtsloser erscheint der mutlose Versuch, seinen Geist von der wunderlichen und verlockenden Sehnsucht nach dem Tode zu befreien oder gar zu beschützen.

In London, jener lauten und grellen Stadt, in der Wahnsinn und Hochgefühl an jeder Ecke Hand in Hand gingen, hatte Mike Osmond diesbezüglich keine Möglichkeit gesehen, den schreienden Schatten der Vergangenheit zu entfliehen und sich aus dem Sumpf von Niedergang und verzehrendem Selbstmitleid zu befreien.

Jede Straße und jeder Stein erinnerten ihn an seine Familie und zogen mit der unbarmherzigen Härte eines dunklen Dämons seinen Verstand in diese finstere Grube aus Schmerzen und Todessehnsucht hinab. Selbst das Sonnenlicht und das Flüstern des Abendwindes waren für Mike wie das Leuchten in Olivias Augen und der süße, neugierige Klang von Susans kindlicher Stimme.

Er wollte sich vor den Schrecken dieser neuen, leeren Welt – einer Welt ohne Olivia und Susan – in einer Dunkelheit verstecken, die er sich selbst erschuf, und in ihrem Schoß ganz und gar aufgehen.

Zu viel Alkohol floss seine Kehle hinab und versuchte, seine schreienden Sinne zu betäuben. Er saß in dunklen Zimmern und lag in kalten Betten, berauscht vom Gelächter von Whiskey und Bier in seinem Verstand, und lauschte einer fremdartigen, erdrückenden Stille, die ihn verspottete und zerriss.

Er war nicht mehr er selbst. Er war ein Fremder, der ihn verhöhnte und sich an seinem eigenen Leid labte.

Immer wieder tauchten ihre Gesichter vor seinen schmerzenden, schwarz geränderten Augen auf, wie Geister aus längst zerfallenden Zeiten.

Das wunderbare, weiche Antlitz von Olivia, das ihn seit der Schulzeit fast sein gesamtes Leben begleitet hatte, und dessen Lachen ihn selbst an einem stürmischen Regentag verzaubern konnte.

Wie hatte er es geliebt, dieses wie in kostbaren Marmor gearbeitete Gesicht zu berühren, zu liebkosen und zu streicheln, in ihren hellen und klaren Augen wie in einem beruhigenden Bergsee zu versinken und den weißen Grund ihrer Seele zu erforschen. Jedes Mal entdeckte er etwas Neues und Liebreizendes an ihr. Er genoss den Duft ihrer Haut und das Aroma ihrer Haare, und ließ sich von ihr zu Welten jenseits jeder Vorstellungskraft entführen.

Dann erschien Susan im trüben Nebel seiner Erinnerungen.

Seine kleine Tochter.

Ihre gemeinsame Tochter …

Das gleiche ebenmäßige Antlitz, das gleiche Lächeln, die gleichen hohen Wangenknochen und die gleichen blonden Locken wie Olivia.

Wenn Mike in der Tiefe seines finsteren Abgrunds ihr Lachen hörte, fern und vergänglich, mit dem Echo des Verlorenen behaftet, hatte er das Gefühl, einen kurzen Blick in den Himmel werfen zu dürfen.

Diese Schmerzen …

Diese Finsternis tief in seiner Seele, in der zeit seines Lebens Lichtschein vorgeherrscht hatte.

Seine Familie war der Mittelpunkt einer Welt gewesen, die weitaus imposanter und gigantischer war als alle strahlenden Welten jenseits der Sterne, und die ihn mit starken Armen und verführerischen Düften in einer Welt am Leben erhielt, die ihr Glück voller Neid und Missfallen betrachtete.

Die schreckliche Frage, welch grauenvolle und widerwärtige Kreatur das Schicksal sein mochte, konnte sich Mike in den Orgien seiner von Alkohol geschwängerten Nächte nicht zu genüge beantworten. Er kam zu dem niederschmetternden Entschluss, dass der menschliche Verstand in seiner Beschränkung nicht dazu geschaffen war, das verkommene Wesen dieser Bestie zu erfassen, die unser aller Leben in ihren schuppigen Klauen hielt und unbarmherzig mal an diesem, mal an jenem Faden zog. Und all dies nur, um sich selbst an der grauenvollen Abartigkeit seines Handelns zu laben und ein weiteres glückliches und erfülltes Leben mit einem simplen Wimpernschlag auszulöschen.

Doch der Dämon war nicht dazu in der Lage gewesen, Mikes Leben vollständig auszublenden.

Er hatte ihm Olivia und Susan genommen. In einer Nacht, die kalt und neblig war, und in der beide über eine einsame Straße liefen, die sich in jener Nacht als perverser Spielplatz des Dämons entpuppte.

Eine Zeit lang hing Mike willenlos und gebrochen an den Fäden seines absonderlichen Gegenspielers und wartete voller Sehnsucht darauf, dass sich endlich die richtige Schnur um seinen Hals legen und ihn mit Olivia und Susan wieder vereinen würde.

Doch dieser Wunsch war zu banal für den grinsenden Dämon, als welchen Mike das Schicksal seines Lebens mittlerweile betrachtete. Er beschloss, in einem eigensinnigen Aufbäumen seiner Selbstachtung, sich nicht auf das niedere Spiel jenes unsichtbaren und pervertierten Wesens einzulassen.

Mit Gedanken erfüllt, die nicht seinem eigenen Verstand zu entstammen schienen, beschloss Mike, all den Erinnerungen an seine lebendige Zeit den Rücken zu kehren. Denn so viel Alkohol er auch zu trinken vermochte um seine Sinne zu betäuben, so musste er sich eingestehen, dass die Geister seiner Frau und Tochter noch immer durch die Hektik einer grellen Stadt wandelten, die er einmal als Heimat bezeichnet hatte.

Alles, was er in seinem sterbenden Dasein noch tun konnte, war, diesem dunklen Sumpf, in dessen Tiefen sein Leben allmählich versank, den Rücken zu kehren.

Und er hoffte inständig, dass er die lieblichen Geisterwesen seiner Liebsten in den modernen Häuserschluchten Londons zurücklassen konnte.


So erreichte Mike Osmond am Nachmittag eines verregneten Tages einen kleinen Ort am Rande der Welt; abgeschnitten von jeglicher Zivilisation und scheinbar vergessen von der Zeit.

Bislang war Mike der naiven Auffassung gewesen, dass in der Hektik moderner Zeiten und karriereorientierter Menschen ein Städtchen wie Arc´s Hill unmöglich existieren konnte. Doch als er die schmale Straße durch den Wald westlich von Durham befuhr und die Schatten der Bäume nach einigen Meilen ungewöhnlicher Stille den Blick auf jenen fremdartigen und nicht vorstellbaren Ort freigaben, wurde Mikes taumelnder Verstand eines Besseren belehrt. Er schien die Zeit, wie er sie bisher gekannt und definiert hatte, hinter sich zurückgelassen zu haben.

Arc´s Hill lag etwa fünf Meilen westlich von Durham, einer kleinen, beschaulichen Stadt mit hellen Straßen und gepflegten Häusern. Als Mike Arc´s Hill an diesem Herbsttag erblickte, erschien es ihm, als habe er mit Durham die letzte Bastion von Zivilisation und Gesittung verlassen und sei in ein vergessenes Zeitalter eingetaucht.

Eingebettet in den gigantischen, dunklen Schoß schroffer Gebirgsfelsen, die sich steil und unwirtlich in einen beinahe schwarzen Himmel erstreckten, kauerte der Ort wie ein kränklicher Fötus in den Schatten des dunklen Gesteins. Eine Straße aus schmutzigem Kopfsteinpflaster schlängelte sich, leblosem Gewürm gleich, den Hügel hinab, hinein in die Schatten elender Häuserschluchten. Niedrige, windschiefe und dem Zerfall dargebotene Bauten schmiegten sich in letzter verzweifelter Zuneigung aneinander und harrten der Zeit des Vergessens. Über den mit Moos bewachsenen Schindeln der Dächer stach der schwarze Finger eines Kirchturms in den düsteren Leib tiefhängender Wolken, als versuchte Arc´s Hill sich mit Gottes Hilfe gegen den unwiderruflichen Niedergang aufzulehnen.

Das Städtchen glich dem bizarren Gemälde eines entarteten Künstlers. Als wäre der Teufel selbst aus der Hölle gestiegen, um die Erde mit Trostlosigkeit zu strafen.

Was Mike vom Rand des Waldes aus erblickte, wirkte leblos und verlassen.

Nichts rührte sich.

Ein erdrückendes Schweigen hing tief in den Gassen von Arc´s Hill. Mike hatte das Gefühl, sein Blick würde über ein steinernes, verrottetes Grab schweifen, das sich mit letzter Kraft dagegen wehrte, in die harte, ungeweihte Erde gezogen zu werden.

Der Anblick der tristen Häuser und schwarzen Bänder enger und verborgener Gassen ließ ihn erschaudern. Alles wirkte verlassen und tot, bar jeglichen Lebens. Selbst die Luft schien still und verkommen über den von Regen glänzenden Dächern zu verharren.

Doch genau das war es, was Mike zu finden erhofft hatte. Denn in einem Ort, von allen Zeiten vergessen, an dem die Erinnerung aller jenseits des Waldes lebenden verblasst, würden die scharfen, nadelfeinen Zähne des Schmerzes sich vielleicht nicht mehr so tief in seiner geschundenen Seele verbeißen. Am Ende der Welt hoffte er vergessen zu können, was ihm die alte Welt, die er einst liebte und pflegte, auf so niederträchtige Weise genommen hatte.

Der Mensch geht merkwürdige Wege, um zu vergessen, dachte Mike, während er diesen als wagemutig zu bezeichnenden Schritt heraus aus der zivilisierten, modernen und lärmenden Welt, hinein in den schweigsamen, fast reglos zu nennenden Landstrich unternahm. Dabei keimte ein Gefühl in ihm, das eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Furcht vor dem Namenlosen darbot. Welche Empfindung in ihm überwog, darüber wagte er in diesen ersten Minuten nicht nachzudenken.

Vielleicht wollte sich Mike an jenem kalten Herbsttag, als er Arc´s Hill erreichte, nicht eingestehen, dass etwas Bedrohliches von diesem Ort ausging. Er versuchte zu vermeiden, dass seine Illusion von Vergessen und Neubeginn durch infantile Gedankengänge zerstört wurde.

Doch ahnte er damals schon in den Tiefen seines Bewusstseins, weit unterhalb der Oberfläche seines Denkens, dass dort etwas war. Es lauerte über den flachen Häusern mit ihren dunklen Dächern und steinernen Kaminen, die düster in das schwindende Grau des Tages ragten. ein giftiger Dunst, der den Ort wie eine unsichtbare Beklemmung am Atmen hinderte.

Dank seiner beruflichen Position im Büro einer angesehenen Versicherung, die Mike in seinem alten Leben innehatte, war es ihm möglich gewesen, zumindest einen geringen Standard seines lieb gewonnenen Lebensstils beizubehalten.

So hatte er mit dem letzten Geld eines Daseins, das er zu vergessen suchte, ein altes, leerstehendes Haus erstanden, das etwas abseits der Wege an den felsigen Ausläufern der nahen Berge erbaut worden war; vom übrigen Ort getrennt durch einen schmalen, steinigen Fußpfad, der unter einem Spalier riesiger Trauerweiden mit vernarbten, knorrigen schwarzen Stämmen hindurchführte.

Das Haus, ein imposantes Gebäude aus dunkelroten Klinkersteinen und mit Holz verkleideten Anbauten, gefiel Mike beim ersten Anblick. Trotz der verfallenen und lange verlassenen Atmosphäre, die sich hinter den schwarzen Fenstern wie eine lauernde Bestie zu verstecken schien, hatte er das Gefühl, in dem alten Gemäuer ein neues Zuhause gefunden zu haben. Einige Holzlatten der Erker waren zerbrochen oder von grauem Moder befallen, und viele der dunklen Schindeln des hohen Daches fehlten oder lagen zersplittert im mit Unkraut und abgestorbenen Buschwerk überwucherten Garten.

Doch Mike schätzte die abgeschiedene Lage von den restlichen altertümlichen Häusern Arc´s Hills. Das Gefühl, durch den in tiefen Schatten liegenden Feldweg von der übrigen Welt und dem mit ihr verbundenen Schmerz getrennt zu sein, erzeugte in ihm eine Euphorie, die jene andere Empfindung, die ihn unbewusst vor dem stillen und einsamen Haus schaudern ließ, in der Tiefe seines Unterbewusstseins in dessen finstere Grube zurückdrängte.

Der Makler, der es ihm verkauft hatte und der nur widerwillig aus Durham in diesen seltsamen Ort gekommen war, erzählte Mike, dass das Gebäude in den letzten zwei Jahrzehnten leergestanden hatte. In der schäbigen Taverne des Ortes, so erwähnte der Mann nicht ohne einem nervösen Flackern in den Augen, erzählte man sich die skurrilsten Geschichten, die sich in ihrer Düsternis um das Verschwinden des letzten Besitzers des Anwesens rankten.

Jener Makler aus Durham, der Mike als Mr. Delwright im Gedächtnis haften geblieben war, fügte mit unsicherem Lächeln hinzu, dass man an jedem Ort der Welt, der Arc´s Hill auch nur im Entferntesten ähnelte, derartige schauerliche Mythen anzutreffen vermochte, und man den Worten jener einfältigen Menschen nicht allzu viel an Beachtung schenken durfte.

Mr. Delwright war Mike sehr angespannt vorgekommen, als er über die alten Geschichten plauderte, die man in der Taverne am späten Abend und nach einigen Bieren zu hören bekam. Unablässig hatte der Makler seinen Ehering am Finger gedreht und sich in dem herrschaftlichen Anwesen umgesehen, als rechnete er jederzeit damit, einen Geist zu erblicken.

Doch Mike schätzte den Mann für seine Ehrlichkeit, denn wer hielt sich schon an Anstandsregeln, wenn es galt, ein altes, dem Zerfall preisgegebenes und von düsteren Mären umgebenes Haus an den Mann zu bringen?

Jene von Delwright erwähnten makabren Ammenmärchen taten Mikes Eifer keinen Abbruch. Wer einmal in die Hölle geblickt hat, lässt sich von ländlichem Aberglauben nicht in die Flucht schlagen.

Und so begann er bereits an seinem ersten Tag in dem modrigen Anwesen die staubigen Zimmer zu lüften und den erstickenden Gestank von Jahrzehnten zu vertreiben.

Viele der antiquierten Möbel waren noch brauchbar und genügten seinen Zwecken. Jenes Mobiliar, das sich bereits im Zerfall befand oder von Menschenhand zertrümmert worden war – vieles davon im Zorn, wie Mike zu erkennen glaubte – ersetzte er durch einige wenige schlichte Möbelstücke, die er aus London nach Arc´s Hill bringen ließ.

Sein letztes Zugeständnis an sein altes Leben.

Die trüben Tage verbrachte er damit, die knarrenden Holzböden zu wischen und von einer harten, nach Fäulnis stinkenden Schicht aus Dreck und Staub zu befreien. Ebenso säuberte er die veralteten, jedoch noch gebrauchsfertigen sanitären Anlagen des Anwesens, die dem modernen Standard lange schon nicht mehr entsprachen. Unter einem uralten, schützenden Mantel aus Zerfall und vor Jahren verendetem mikroskopisch kleinem Getier blieben sie lange und hartnäckig Mikes Blicken verborgen.

Der Gestank, der sich in den hohen, kalten Räumen eingenistet hatte und von uralten, unaussprechlichen Zeiten zeugte, war überwältigend und erinnerte Mike an den süßen, aufdringlichen Geruch alter Gräber an heißen Sommertagen.

Er fragte sich, welch grauenvolle Geschichten sich stumm im abgestandenen Atem des Hauses hielten und darauf lauerten, den ersten, unbedarften Zuhörer mit ihren albtraumhaften Visionen um den Verstand zu bringen.

Was mochte sich in diesem uralten, dem Verfall dargebotenen Haus zugetragen haben, dass sich, wie Mike Delwrights Schilderungen entnommen hatte, kein Käufer in den letzten beiden Jahrzehnten gefunden hatte?

Eine stumme, düstere Bedrohung schien wie ein stinkendes Tuch die Wände und Decken des Anwesens zu verhüllen.

Muteten die Tage schon befremdlich und seltsam an – obgleich die letzten hellen Sonnenstrahlen durch die kleinen geöffneten Fenster fielen und ein leichenfahles Muster auf zerschlissene Teppiche und graue Holzböden warfen – so empfingen ihn die Nächte umso schrecklicher.

Zu diesen unwirtlichen Zeiten hielt sich Mike zumeist in den Kellerräumen des Hauses auf. Eine unnatürliche, schockierende Kälte staute sich in den niedrigen Verschlägen und Kammern, die sich labyrinthartig wie eine finstere Grube unter dem Anwesen ausbreiteten. Mike erklärte sich die eisige Luft damit, dass sich die Kellerräume, die er durch eine steile, hölzerne Stiege mit knarzenden Holztritten erreichte, tief unter der Erde befanden und die kleinen Räume die Kälte nicht mehr freigaben. Zudem kündigte sich in den Nächten der nahende Winter aus den Bergen an.

Er war sich dessen bewusst, dass diese Gedanken nur einem Scheindenken entsprachen, um sich die neue Euphorie, die ihn in Arc´s Hill gepackt hatte und ihm ein neues Leben versprach, nicht nehmen zu lassen. Er wusste, der Grad zwischen Niedergang durch unsägliche, habgierige Trauer und dem schlichten Triumph, endlich den entscheidenden Schritt heraus aus der Depression getan zu haben, war ein schmaler.

So arbeitete er in den Nächten in den ausgekühlten, beengten Kellerräumen und Verschlägen, die durch simple Türen aus morschen Holzlatten miteinander verbunden waren. Er trug eine wollene Jacke und eine altmodische Mütze, die seine Ohren jedoch nur teilweise zu wärmen vermochte. In vielen der niedrigen Kammern konnte Mike nicht einmal aufrecht stehen. Die Decke bestand aus losem Gestein und vernarbtem Staub, übersät mit dickem, schwarzem Spinngewebe.

Keuchend und mit Schmerzen in Hüfte und Beinen mangels des aufrechten Ganges arbeitete er sich des Nachts von Raum zu Raum. Dabei stieß er auf Unmengen von alten, vermoderten Holzplanken, die unter seiner Berührung zu Staub zerfielen. Er fand altertümliches, mit Schimmel und Spinnweben überzogenes Mobiliar, das dem Griff seiner Hände nicht mehr standhielt.

Dazu zertrat er Hunderte von Käfern, Spinnen und anderem Gewürm, das ihm fremdartig anmutete und dessen schweigendes Dasein in absoluter Finsternis er nach Jahrzehnten aufgeschreckt hatte.

In einem der tiefliegenden Verschläge stieß Mike auf Berge alter, nach Fäulnis und Vergangenheit riechender Kleider, die nachlässig in verschimmelte Kisten gesteckt worden waren oder einfach auf dem harten Erdreich zu formlosen Haufen aufgetürmt lagen.

Sie schienen ein hohes Alter zu besitzen, denn die Schnitte der Hosen und Röcke, sowie die Tatsache, dass Mike unter den Haufen auch von Moder und Staub verhärtete Fräcke und Gehröcke mit dazugehörigen Zylindern vorfand, zeugten von einer Zeit, die längst schon vergessen und in der das Anwesen noch jung an Jahren gewesen war.

Mike versuchte sich die Menschen vorzustellen, die einst diese Kleider trugen. Doch die bloße Vorstellung, dass selbst die Nachkommen dieser Personen nicht mehr unter den Lebenden weilten, erinnerte ihn auf schreckliche Weise an Susan und Olivia. Er beschloss, bei nächster Gelegenheit die Kisten und Berge mit Kleidern im Garten hinter dem Anwesen den Flammen zu übergeben.

In einem weiteren Raum, dessen felsige Decke sich bedrohlich nach unten neigte und breite, von einer Wand zur nächsten reichende Risse aufwies, fand Mike verrostete, rußgeschwärzte Öfen und wurmstichige Schränke, die einmal einer Küche gedient haben mochten, und die das Alter jeglicher Farbe beraubt hatte.

Seit Jahrzehnten harrten diese Zeugen aus längst vergangenen Tagen unter einer dicken Schicht aus grauem Staub und von der Decke herabrieselnden Steinchen in ewiger Finsternis, denn der gesamte Keller besaß nicht ein Fenster. Das einzige Licht stammte von Öllaternen, die Mike in der Wohnung gefunden hatte, sowie zwei starken Taschenlampen. Eine widernatürliche, belastende Stille hing wie ein unsichtbarer Schleier in den niedrigen Räumen, die einem unheimlichen, lange verrotteten Grabgewölbe glichen. Das Zerbersten von morschem Holz und verhärteten Erdhaufen, das Knacken der flinken, aufgeschreckten Käfer unter Mikes Schuhen, sowie das angestrengte Keuchen seines Atems ob der unbequemen Haltung, in der er des Nachts diese Arbeiten verrichtete, waren die einzigen trostlosen Geräusche, welche das Haus erfüllten.

Inmitten dieser totenähnlichen Stille stieß Mike in der sechsten Nacht seiner Arbeit auf eine alte, eisenbeschlagene Truhe, die lediglich von einem simplen, verrosteten Schloss gesichert wurde. Doch löste sich das Metall schnell unter seinen Händen in einer Wolke aus Rost und Staub auf.

Was Mike im Innern dieser seltsamen Kiste vorfand, ließ ihn den Schrecken der Kälte und das unangetastete Schweigen in den Kellerräumen vergessen. Mit seinem Fund stieg er in dieser Nacht die steile Stiege in die gewärmte Wohnung empor, die ihm plötzlich von einer schweren Atmosphäre belastet erschien. Fast kam es ihm vor, als trüge er mit der Truhe und ihrem unheimlichen Inhalt auch die tiefe Stille und eine lange begrabene Vergangenheit hinauf in die Wohnstube.

In dieser Nacht, in der Mike die alte Truhe entdecke hatte, träumte er zum ersten Mal von der Stadt …


Ich wandelte durch düsteren, kargen Raum, ohne Richtung, ohne Ende, bewegte mich mechanisch in einem Körper, der nicht der meine sein konnte.

Albtraumgleiche Furcht leitete mich hämisch durch das unwirtliche Dunkel, durch eine gespenstische Leere, wie sie selbst den schrecklichsten, gegenstandslosesten Fantasien uneigen war. Der Körper, der mich trug, so ich in der Lage war, jenen fremden Leib in dieser schauerlichen Welt zu spüren, fühlte sich heiß und pochend an, als würde er von verzehrendem Fieber heimgesucht. Dann wiederum kalt und schweigend, wie der verrottete Leib eines Toten.

Mir kam der schreiende Gedanke, dass dies die untrüglichen Zeichen des Todes bedeuten konnte, der mich des Nachts im Schlaf ereilt hatte. Absolute, namenlose Einsamkeit über einem unendlichen Abgrund tiefster Schwärze. Hier konnte mein Geist auf nichts Lebendiges mehr stoßen. Hier, inmitten von Finsternis und richtungsloser Weite.

Hatte ich endlich Gnade vor dem Richter und Dämon gefunden, der über unser aller Leben urteilt, und befand mich auf dem stillen Weg zu Olivia und meiner kleinen Tochter? Hatte ich endlich genügend Leid in dieser schrecklichen, lauten und dekadenten Welt erfahren, um schließlich auf die lange ersehnte Reise geschickt zu werden?

Der Impuls, widerlich und verführerisch zugleich, erschreckte mich und ließ Raum und Zeit zu einem Nichts aus Sinnen, Gedanken und Ängsten verkommen. Fast schon war ich dazu bereit, mich der monströsen Dunkelheit des Todes hinzugeben und blind auf den Pfaden der Stille zu wandeln.

War es nicht das, was ich mir immer erhofft hatte? Jene Visionen, zu denen mich der Alkohol verleitet und die ich in jenen ruinösen Nächten als die einzige Wahrheit anerkannt hatte?

Schmerz und Leid waren fremd in diesem finsteren Schweben. Einzig der Gedanke an Erlösung und das totale Vergessen all jener Widerwärtigkeiten meines alten Lebens hielten meinen schweigsamen Verstand gefangen.

Wo ich mich befand, war unwichtig. Selbst was womöglich im Dunkeln lauerte, schreckte mich nicht. Nach einem Leben in Pein gab es nichts mehr, das man als entsetzlich erachten konnte.

Einzig der Weg zählte.

Jener stille, schwarze Pfad, auf dem ich wandelte, und der mich durch diese Ebene des Todes leitete.

Ich ließ mich treiben und labte mich am Vergessen.

Dann tauchte Lichtschein wie ein entferntes, schwaches Pulsieren inmitten der Einförmigkeit auf. Das Licht, von welchem die Worte der vom Tode Wiedergekehrten berichteten?

Das Licht der anderen Welt?

Das Funkeln wurde stärker. Ich bewegte mich schneller als erwartet darauf zu.

Die grabesähnliche, lauernde Nacht um mich herum wurde gebannt und in die Höhlen meiner ureigenen Ängste zurückgetrieben.

Und dann, mit Augen, die mir fremd erschienen, und einem Verstand, der mich schwindeln ließ, sah ich sie zum ersten Mal.

Die Stadt in der Dunkelheit.

Ich blickte auf ein glänzendes, reflektierendes Meer heller Dächer und blendender weißer Fassaden herab. Auf ein Flechtwerk imposanter, gerader und leuchtender Straßenzüge.

Alles schwamm in diesem unnatürlichen, verlockenden Schein goldenen Lichtes, der vom Mittelpunkt dieser Stadt auszugehen schien, einem monströsen Tempel, der auf der Spitze eines terrassengleichen Hügels thronte, umgeben von blühenden, farbenfrohen Blumenmeeren und unbekannten, uralten Bäumen, durchzogen von Straßen und Wegen, die sich bis hinunter zu den fürstlichen Bauten und glanzvollen Palästen wanden. Ich sah einen Fluss, der sich schimmernd wie Silber unter Brücken aus weißem Marmor schlängelte und von einem dampfenden Wasserfall über den Terrassen gespeist wurde.

War das der Ort meiner Bestimmung? Der Ort, wo sich die Toten sammeln, um ihrer Erklärung zu harren? Wurde hier über den Menschen gerichtet?

Doch wo waren sie, die Legionen der Geister und unglücklicher Seelen?

Die Stadt lag verlassen und still vor mir, ein Elysium bar jeglicher Präsenz. Ein schweigendes, in Licht ertränktes, einsames Grab inmitten schier endloser Wüsten purer Finsternis.

Nichts rührte sich … nichts regte sich …

Die Stadt hätte ein Traum sein können, die Fantasie verzweifelter Gedanken, die sich nach der endgültigen Erlösung sehnten.

Etwas zog an mir …

Ich wollte nicht fort. Mich verlangte nach dem Eintauchen in dieses unbeschreibliche, wundersame Meer fremder Existenz. Etwas drängte mich, die Straßen zu erkunden, die herrschaftlichen Häuser und den Weg zu ersteigen, hinauf zum majestätischen, gigantischen Tempel und die Kühle und Erhabenheit seiner hohen und verlassenen Hallen zu spüren.

Doch der Schein wurde schwächer. Die Nacht raste in atemberaubender Geschwindigkeit an mir vorbei. Willenlos wurde ich von ihr aufgesogen, eingehüllt und höhnisch lachend begrüßt.

Die kalten Klauen der Furcht und des Verlustes griffen nach mir und entrissen mir jegliche Erinnerung an jenen wundervollen Ausblick auf das Meer aus Licht und engelsgleichem Glanz.

Als Mike im Zwielicht eines heraufziehenden, düsteren Morgens erwachte, waren die Bilder jener geheimnisumwitterten Stadt verschwunden. Lediglich das euphorische Gefühl von Ewigkeit brachte ungreifbare Fetzen seines Traumes an den Rand seiner Wahrnehmungskraft zurück.

Doch die Stadt selbst … war verschwunden.


Am Mittag nach jener denkwürdigen Nacht streifte Mike ruhelos und von seltsamen Gedanken und Empfindungen geplagt durch die hohen Räume des Hauses. Er brachte kaum genügend Energie und Konzentration auf, um sich auf die nötigen Arbeiten in den oberen Zimmern des Anwesens zu kümmern, von denen einige seit ungezählten Jahren scheinbar von keinem menschlichen Wesen mehr betreten worden waren. Vielmehr wurde Mike von einem abstrusen Gefühl gefangengehalten, das seine Gedanken in eine völlig andere, ihm unbekannte Richtung zog.

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9783969879252
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