Читать книгу: «Schwingungswelten», страница 2

Шрифт:

Ein wichtiger Austausch

Am nächsten Vormittag räumt Valentin seine Wohnung auf, putzt gründlich und versucht, sich abzulenken. Alles ist ihm lieber als bewusst nachzudenken oder Gedanken zuzulassen, die ihn verunsichern.

Selbst das Mittagessen lässt er ausfallen. Er macht sich einen Eiweißshake, doch mehr bekommt er nicht hinunter.

Um 13.30 Uhr macht er sich auf den Weg zum Unicorn. Obwohl er gemütlich schlendert, ist er eine Viertelstunde später am Treffpunkt. Er betritt das Café und sieht sich um. Silvio ist noch nicht da. Valentin sucht sich einen Platz am Fenster, um den Eingang außen zu überblicken und bestellt sich ein Mineralwasser.

Kurz vor 14.00 Uhr entdeckt er Silvio. Es ist nicht schwer, den Lehrer wiederzuerkennen. Sein südländisches Aussehen und seine Ausstrahlung fallen angenehm auf.

Als Silvio das Lokal betritt, winkt Valentin und eilt ihm entgegen.

"Hallo, Valentin. Wo sitzen Sie?"

"Gleich da hinten. Schön, dass wir uns so schnell treffen können.“

Sie setzen sich und Silvio bestellt sich einen doppelten Espresso. Nachdem die junge Bedienung ihren Tisch verlässt, wendet sich der Lehrer Valentin zu:

"Also, erzählen Sie. Was ist passiert? Sie sagten am Telefon, Sie seien wieder ganz verunsichert."

"Genau. Ich war gerade am Einschlafen, als mir plötzlich alle möglichen Gedanken durch den Kopf gingen. Um mich kurzzufassen: Zum Schluss war ich mir nicht mehr sicher, ob ich die richtige Entscheidung treffe. Ging es Ihnen auch so?"

"Ja, bei mir war es so ähnlich. Und an dieser Stelle will ich ganz offen zu Ihnen sein, Valentin. Ansonsten bringt unser Gespräch nichts.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich nichts zu verlieren. Meine Ehe ist nach 6 Jahren in die Brüche gegangen, und da ich starke Rückenschmerzen hatte und auch der rechte Arm oft nicht richtig frei beweglich war, konnte ich in meinem Beruf als Schreiner nicht mehr weiterarbeiten. Die Ärzte haben nichts gefunden und meinten, es sei psychosomatisch. Sie wollten mich in eine dafür spezialisierte Klinik zur Reha schicken. Das war für mich unvorstellbar. Ich musste umdenken.

Ich hatte schon immer viel Spaß an Sprachen und war gern unter Menschen. Also, habe ich mir gedacht, warum nicht das Ganze miteinander verbinden und neu anfangen?"

Silvio macht eine Pause und nippt an seinem Espresso. Er wirkt nachdenklich und fährt nach einem kurzen Innehalten mit seiner Erzählung fort:

"Mir ging alles Mögliche durch den Kopf. In diesem Alter nochmal neu anfangen? Wovon soll ich in der Zwischenzeit leben? Was, wenn das alles keine Zukunft hat und ich keinen Job finde? Was, wenn ich die Ausbildung nicht schaffe?

Das ist alles schon so lange her, dass ich mich an die vielen Wenns und Abers gar nicht mehr erinnern kann. Doch ich weiß noch sehr genau, dass mich die vielen Fragen etliche Nächte wachgehalten hatten.

Zu dieser Zeit las ich sehr viel, habe verzweifelt nach Antworten gesucht. Und eines Tages wurde mir klar, dass all die Fragen, die Zweifel nichts als Ausreden waren.

Ich wollte mein gewohntes Umfeld nicht verlassen. Es war alles um mich so voraussehbar. Das erfüllte mich zwar nicht, machte aber mein Leben bequem. Nichts Neues, keine Anstrengungen. Ich steckte fest in meinen Gewohnheiten.

Das macht die Entscheidung genau genommen so schwer: Alte Gewohnheiten aufzugeben und auf eine neue Art zu denken und zu handeln.

Aber das ist die einzige Möglichkeit, herauszukommen: Eine klare Entscheidung zu treffen, von der du dich nicht mehr abbringen lässt. Egal von wem oder was.

Und ich wollte weder in eine psychosomatische Klinik, noch mit Schmerzen leben oder gar so arbeiten. An dem Tag, als meine Entscheidung so fest war, dass sie alle Wenns und Abers in den Schatten stellte, fing es an, bergauf zu gehen. Auf einmal fiel es mir leicht, auf irgendwelche Ausreden nicht mehr zu reagieren. Ich erkannte sie und sagte mir, nein, darauf lasse ich mich nicht mehr ein.

Verstehen Sie, was ich meine?"

Valentin hört die ganze Zeit über wie gebannt zu.

Mehr und mehr wird ihm klar, dass er aufgeschlossener sein muss. Er spürt in sich hinein und stellt freudig fest, dass sein Herz ruhig und gleichmäßig schlägt.

Das ist ein gutes Zeichen, überlegt er kurz, bevor er zu seiner Antwort ansetzt.

"Ich verstehe sehr wohl. Nur, wie soll ich sagen ... Ich dachte, ich hätte meine Entscheidung schon getroffen. Dann tauchten aber die vielen Wenns und Abers auf, wie Sie diese nannten ..."

"Und was haben diese Gedanken gesagt? Können Sie mir ein Beispiel geben?", hakt Silvio nach.

Valentin fasst seinen ganzen Mut zusammen und ist bereit, einen Teil seiner Geschichte zu erzählen.

"Dazu muss ich erst etwas ausholen, damit Sie es verstehen.

Ich werde an meinem Arbeitsplatz von 2 Kollegen gemobbt. Sie schließen mich aus, beschimpfen mich und wenn etwas schiefläuft, schieben sie die Schuld auf mich. Sie geben vor, so viel Arbeit zu haben, dass sie keine Zeit hätten, mir zu helfen, wenn es bei mir mit einem Auftrag knapp wird. Aber genau genommen, machen sie fast den ganzen Tag nichts. Der Chef ist selten in der Werkstatt und das nutzen sie aus."

Valentin stockt kurz, spricht es dann aber doch aus: "Das Allerschlimmste sind ihre Beschimpfungen. Sie beschämen und erniedrigen mich."

Und da passiert es: Er kämpft mit den Tränen. Es tauchen Bilder in ihm auf, Szenen mit den Kollegen und all die Emotionen, die er damit verbindet. Peinlich berührt, wendet er sich von Silvio ab und holt ein paarmal tief Luft.

Silvio reagiert schnell. Er geht zur Bedienung, bezahlt und eilt zurück zu Valentin.

"Kommen Sie, gehen wir zu dieser Bank, wo wir vor kurzem saßen."

Er fasst Valentin am Arm und zieht ihn sanft mit sich. Dieser lässt sich gern führen. Sie gehen raus, Valentin mit gesenktem Kopf. Er hat nicht den Mut, aufzublicken. Die beiden marschieren zur Bank.

"Also gut, Valentin. Wie geht es Ihnen? Sie müssen sich nicht schämen. Nicht hier und nicht jetzt. Und schon gar nicht vor mir. Es ist alles in Ordnung."

Valentin nickt und sie sitzen eine Weile still nebeneinander. Es ist keine schwere, erdrückende Stille. Nein, sie füllt den Raum zwischen und um die beiden mit einer besonderen Bedeutung.

Für Valentin eröffnet sich eine neue Welt. Der Lehrer lehnt ihn nicht ab. Selbst jetzt nicht, obwohl er fast zusammenbricht. Er fühlt sich sicher und aufgehoben.

Und Silvio? Er wacht auf. Er fängt an zu verstehen, dass es bei Valentin um mehr geht als nur um einen kleinen Ratschlag, den man jemandem bei einer Tasse Kaffe gibt. Tief berührt, widmet er seine volle Aufmerksamkeit Valentin, als dieser erneut zu sprechen beginnt.

"Genau darum geht es. Das waren die Gedanken, die mich wieder verunsichert haben. Ich habe Angst, dass ich in der Schule auch so behandelt werde. Dass mich die anderen Schüler nicht mögen", fährt Valentin fort, nachdem er sich etwas gefasst hat.

"Ich war noch nie besonders beliebt in der Schule. Es gab eine Zeit, da lief es etwas besser. Damals war ich mit dem Sohn unseres Sportlehrers befreundet. Er war beliebt und wir waren oft zusammen. Deshalb akzeptierten mich, wahrscheinlich eher zwangsläufig, auch die anderen. Das war eine große Ausnahme."

"Und Sie glauben, dass Ihr ganzes Leben so verlaufen muss, wie es bisher war?", will der Lehrer wissen.

"Warum nicht? Warum soll auf einmal alles anders sein?"

"Weil Sie die Möglichkeit haben, sich zu ändern. Wenn Sie sich verändern, werden andere darauf reagieren. So lange Sie sich als Opfer fühlen, verhalten Sie sich auch so. Das merken mehr Menschen als Sie glauben und behandeln Sie entsprechend.

Verstehen Sie mich nicht falsch, Valentin. Ich glaube Ihnen und ich verstehe auch, dass Sie gemobbt wurden. Das ist eine Sache. Im Augenblick geht das aber nur dann so weiter, wenn Sie jetzt zu Ihrem Arbeitsplatz zurückgehen.

Wenn Sie sich für die Schule entscheiden, ist das Vergangenheit. Sie haben die Möglichkeit, in Ihrer neuen Schule, sogar in Ihrem ganzen Leben, sich anders zu verhalten und alles anders zu erleben. Keinem mehr die Macht zu geben, darüber zu bestimmen, wie es Ihnen geht. Wie hört sich das an?"

Valentin blickt nachdenklich in die Ferne. Er ist verunsichert. Wer ist Silvio, fragt er sich. Oder besser gesagt, was? Gerade hat er sich noch so sicher bei ihm gefühlt. Jetzt klingt er wie ein Guru. Und doch lassen ihn die Worte des Lehrers nicht los. Sie wecken in ihm Hoffnung. Hoffnung und die Kraft, wieder aufzustehen und sich dem Leben zu stellen.

Er blickt Silvio an und lässt die Bombe platzen: "Sie wollen mich jetzt aber nicht bekehren oder sowas? Sie sind nicht irgendwie, ich weiß nicht, von einer Sekte oder so?"

Der Lehrer lacht und schüttelt den Kopf. "Nein, ganz sicher nicht. Wissen Sie, ich habe damals, als ich anfing, mich mit Spiritualität zu beschäftigen und darüber zu lesen, zunächst so ähnlich reagiert. Aber je mehr Bücher ich verschlang, umso bewusster wurde mir, dass die meisten Weisheiten aus einer Zeit stammen, als die Menschen nichts anderes zur Hand hatten.

Es gab keine Beratungscenter. Keine Coachingprogramme, die einem alles Mögliche versprachen. Alles, was sie hatten, waren ihre Erfahrungen und Erkenntnisse, die sie weitergaben. Vieles, was Sie heute in einem Coachingprogramm zu hören bekommen, sagten schon die Urvölker.

Na ja, das würde jetzt den Rahmen sprengen, mehr darüber zu erzählen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich will Sie nicht bekehren und ich bin auch nicht von einer Sekte. Ich möchte Ihnen nur helfen, aber das müssen Sie natürlich selbst auch wollen."

Beim letzten Satz wird Silvio sehr ernst. Er blickt Valentin von der Seite an und wartet, bis dieser bereit ist und ihm ebenfalls in die Augen sieht.

In diesem bedeutenden Moment scheint für die Zwei die Welt still zu stehen. Alles, was sie wahrnehmen, sind ihre eigenen Herzschläge. Sie sprechen kein Wort; sie kommunizieren mit ihren Herzen und das ist beiden genug. So bleiben sie wortlos nebeneinander für einige Zeit sitzen.

Als Silvio nach einer Weile die Stille unterbricht, ist es für Valentin wie ein perfekt gewählter Zeitpunkt. Er will Hilfe. Ganz klar. Und er ist bereit, darum zu bitten.

"Vielleicht sollten wir anfangen, uns zu duzen? Trinken wir noch etwas zusammen und besiegeln das Du? Und dann fangen wir an, Schritt für Schritt?"

Valentin lächelt. "Das klingt phantastisch."

Sie gehen zurück ins Café und verbringen eine gemütliche Stunde zusammen. Silvio lässt ein paar Tipps in die Unterhaltung einfließen, aber es ist kein besonders tiefgründiges Gespräch, das sie führen.

Darum geht es ihnen nicht. Sie wollen sich kennenlernen. Sie wollen Vertrauen aufbauen. Sie wollen etwas bewirken. Aber eines nach dem anderen.

Robert und Karl

Es ist Freitag, der 23. Februar. Valentin wacht voller Enthusiasmus auf und macht sich auf den Weg zu seinem Freund Robert.

Die Sonne scheint und das steigert seine Laune. Dennoch ist ihm mulmig zumute. Seit er aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen wurde, hat er sich bei Robert nicht gemeldet. Sie haben zwar während seines Aufenthaltes kurz miteinander telefoniert, aber Valentin hat klar zum Ausdruck gebracht, dass er nicht besucht werden möchte. Er schämte sich. Heute war das nicht anders.

Noch bevor er das Haus seines Freundes sehen kann, hört er das Dribbeln des Basketballes. Valentin schmunzelt.

Sein Freund wirft gerade ein paar Körbe. Das war Roberts Art, einen klaren Kopf zu bekommen. Die Konzentration, den Korb zu treffen, ließ nicht allzu viele Gedanken zu. Vorausgesetzt, man wollte treffen. Und diesen Ehrgeiz hatte Robert immer.

Präzision. Das war eine Lektion, die ihm sein Vater von Kindheit an eingetrichtert hatte. "Mein Junge", pflegte er Robert zu sagen, "wenn du nicht mit Präzision arbeitest, egal, ob beim Sport oder in einem Beruf, dann bekommst du auch nur Wischi-Waschi-Ergebnisse. Sei bei allem präzise, dann hast du auch klare Ergebnisse!" Ja, da sprach der Mathematiklehrer aus ihm.

Wie oft haben sie Karl albernd zitiert, als sie noch viel Zeit miteinander verbrachten.

Karl liebte seinen Beruf und vor allem Mathematik. Alles berechnen, nach klaren Formeln, ohne Interpretations- oder Spekulationsspielraum. Das war seine Welt neben dem Sport. Er trainierte die Leichtathletikmannschaft in der Schule und ließ nicht allzu viel durchgehen. Aber er hatte auch ein gutes Herz. Er war hilfsbereit und sobald ihm auffiel, dass jemanden etwas bedrückte, war er sofort und ungefragt zur Stelle. Das war Karl.

Valentin erinnert sich an seine Teenagerzeit, als er in die Realschule kam. Sein Wohnort war 12 km entfernt. Ein kleines Dorf. Er pendelte täglich hin und her. Das war nicht einfach. Manchmal hatten sie Nachmittagsunterricht. Da der Bus erst zwei Stunden nach dessen Ende wieder zurückfuhr, wusste er nicht wohin. Es war Karl, der sich damals um ihn gekümmert hat.

Er bot ihm an, beim Training, das oft in Freistunden oder nach der Schule stattfand, mitzumachen. Im Sommer waren sie auf dem schulnahen Sportplatz, im Winter in der Turnhalle. Angefangen von Leichtathletik bis Mannschaftsspiele und Geräteturnen war alles in Karls Programm enthalten.

Dort lernte er seinen Sohn Robert, der in der Parallelklasse war, näher kennen. Sie verstanden sich gut und mit der Zeit entwickelte sich daraus eine Freundschaft. In ihrer Freizeit entdeckten sie das Mountainbiken und Klettern. Sie probierten alle sportlichen Aktivitäten aus, die ihren Weg kreuzten.

Valentin reißt sich aus seinen Erinnerungen.

"Und? Immer noch treffsicher, wie in alten Zeiten?", ruft er vom Gartenzaun Robert zu.

"Hey, das ist ja eine Überraschung! Wie geht's dir? Komm rein!" Robert ist erfreut, seinen Freund zu sehen und öffnet ihm das Tor.

"Störe ich dich?"

"Na klar, siehst du doch.", grinst Robert.

Valentin folgt ihm ins Haus und nimmt im Wohnzimmer Platz. Sein Freund bringt Wasser und Apfelsaft aus der Küche.

"Und? Komm, erzähl schon. Seit wann bist du wieder daheim? Geht es dir gut?"

"Ja, danke. Schon seit ein paar Tagen. Aber ich hatte einiges zu erledigen, sonst wäre ich schon früher vorbeigekommen."

"Ich bin damals, als du angerufen hast, ziemlich erschrocken. Wie landet man im Bezirkskrankenhaus?"

Voller Scham blickt Valentin zu Boden. Er hat sich schon eine Geschichte zurechtgelegt und ist sich nicht sicher, ob er sich dafür oder deshalb, weil er versucht hat, sich das Leben zu nehmen, mehr schämen soll.

Gerade setzt er zum Erzählen an, als Karl das Wohnzimmer betritt.

"Valentin! Habe ich doch richtig gehört! Komm, lass dich umarmen, Junge." Karl drückt Valentin an sich. "Schön, dich zu sehen, Karl."

Es entsteht eine peinliche Stille. Keiner weiß genau, was er sagen soll. Was richtig wäre. Was einen Sinn machen und den anderen nicht verletzen würde.

Valentin gibt sich einen Ruck und fängt zu erzählen an.

"Es tut mir leid, wenn ich euch einen Schrecken eingejagt habe. Und bitte versteht: Ich wollte in diesem Haufen da drin keinen Besuch haben. Wir hätten uns ohnehin nicht richtig unterhalten können. Die haben überall ihre Augen und Ohren."

"Echt? Ich dachte, das ist nur in Filmen so.", erwidert Robert irritiert.

"Na ja, es lag auch eher daran, warum ich dort war. Sie waren der Meinung, ich hätte versucht, mich umzubringen. Deshalb musste ich mich in bestimmten Abständen beim Personal melden, durfte nur unter Aufsicht raus usw. Es war ein ziemliches Theater."

"Wie kamen sie darauf, dass du dich umbringen wolltest?", erkundigte sich Karl sorgenvoll.

Mit zitternder Stimme kommt die große Lüge über Valentins Lippen.

"Ich war auf einer Party und hatte schon einiges getrunken. Eigentlich kann ich mich gar nicht mehr richtig daran erinnern. Aber ich weiß, dass ich bereits gehen wollte.

Ich hatte einfach keinen Spaß und mir war nicht gut. Ihr wisst ja, ich bin Alkohol nicht gewohnt.

Jemand gab mir zwei kleine weiße Pillen. Sahen völlig harmlos aus. Er meinte, ich solle das mal probieren, das würde mich in Stimmung bringen. Und ich dachte, na ja, warum nicht. Wie gesagt, ich war schon beschwipst und habe nicht groß darüber nachgedacht, was ich da mache. Also schluckte ich die Tabletten. Was danach passierte, weiß ich nicht mehr.

Man hat mir erzählt, ich sei ohnmächtig geworden, mein Körper hätte gezuckt und irgendjemand muss den Notarzt gerufen haben. Als ich anfing, wieder zu mir zu kommen, muss ich ständig gesagt haben, lasst mich sterben. Natürlich wollte ich sterben. Mir war so schlecht. Das sagt doch jeder, selbst bei einem Kater. So etwas ist doch nicht ernst gemeint. Das sahen die anders. Sie pumpten mir in der Klinik den Magen aus und lieferten mich zwei Tage später im Bezirkskrankenhaus ab. Mit der Polizei. Weil ich nicht freiwillig mitgehen wollte."

"Das darf doch wohl nicht wahr sein", entrüstet sich Karl.

"Hast du nicht versucht, als du klar warst, im Krankenhaus mit dem Personal zu sprechen?", fragt Robert.

"Doch natürlich. Aber sie haben gesagt, sie würden einen Richter kommen lassen, der letztendlich nur die Notwendigkeit, mich dort festzuhalten, bestätigen würde; auf mehr könne ich nicht hoffen. Das sei Routine.

Ja, und dann blieb ich einfach. Kooperierte und hielt den Mund. Und ganz so schlimm war es ja auch wieder nicht. Ich bekam regelmäßig zu essen, hatte einen ruhigen Schlafplatz, war mit anderen zusammen, hatte verschiedene Therapiestunden und keine Ausgaben.“

Na ja, wenn du das so locker siehst, Valentin, soll's mir nur recht sein", meint Karl beruhigt.

"Genau. Hauptsache, du bist wieder draußen und kannst dein altes Leben aufnehmen. Wieder mit Vollgas loslegen", bekräftigt Robert.

"Das habe ich vor", erklärt Valentin.

"Arbeitest du wieder?", möchte Karl wissen.

"Nein, ich bin noch krankgeschrieben. Und ich überlege, eine Ausbildung zum Physiotherapeuten zu machen. Ich möchte nicht mehr zurück in die Werkstatt."

"Aber, Valentin, was redest du denn da?", entrüstet sich Karl. "Das ist ein relativ sicherer Job. Du bist jetzt schon mehrere Jahre dabei. Mach doch deinen Meister. Dann hast du etwas zu sagen. Und dann läuft alles auch viel leichter. Du verdienst mehr. Komm schon, Valentin, du hast ein goldenes Händchen für Autos. Gib das doch nicht auf. Oder? Was sagst du, Robert?"

Robert reagiert zurückhaltend: "Ich weiß nicht, vielleicht hast du recht. Aber es ist Valentins Entscheidung. Wenn er sich dort nicht mehr wohlfühlt ..."

Karl lässt seinen Sohn nicht ausreden. "Das ist doch heutzutage kein Argument mehr, dass man sich irgendwo nicht wohlfühlt. Er braucht doch eine Arbeit. Wovon soll er seine Rechnungen bezahlen? Und er hat eine Arbeit. Das können nicht alle von sich behaupten. Wie man so schön sagt: Das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken. Aber wenn er seinen Meister macht, kann es eines werden. Denk nur an das Geld, das dir dann zur Verfügung steht. Und du kannst dein eigener Chef sein."

Das Wohnzimmer, in dem sich die drei aufhalten, wird für Valentin im Nu zum Gefängnis. Er greift zu seinem üblichen Trick und nimmt erleichtert die Mauer wahr, die er gedanklich Stein für Stein um sich herum aufbaut und ist dankbar, sich beschützt zu fühlen. Ich muss irgendwie raus, denkt er sich. Möglichst schnell, bevor meine Schutzmauer zu bröckeln anfängt.

"Ich werde mir darüber Gedanken machen, Karl", erklärt Valentin. "Tut mir leid, aber ich muss noch zu einer Verabredung. Ich schau mal die Tage wieder vorbei."

Er steht auf, reicht mit einem gezwungenen Lächeln jedem die Hand und macht sich auf den Weg. Robert begleitet ihn hinaus bis zum Tor, wo sich Valentin noch einmal zu ihm umdreht.

"Ehrlich, Robert. Sei mir nicht böse, aber ich kann das mit dem Meister nicht mehr hören. Ich weiß, dein Vater meint es gut, aber das ist nicht annähernd das, was ich mir für mein Leben gewünscht habe. Du weißt das. Ich liebe Autos. Aber meine Ausbildung als Kfz-Techniker war für mich immer nur eine Notlösung. Ich hätte schon viel früher dort aufhören sollen. Es war halt bequemer, nichts Neues suchen zu müssen. Aber jetzt habe ich einen Plan. Und ich hoffe, ich habe die Kraft, ihn umzusetzen."

"Ist gut, Valentin. Wenn du etwas brauchst, melde dich. Wie wär´s, wenn wir mal wieder zusammen joggen? Dafür haben wir uns schon lange nicht mehr die Zeit genommen. Was sagst du? Morgen?"

Betreten schaut Valentin zu Boden. Er will seinen Freund nicht zurückweisen. Aber im Augenblick braucht er die Zeit für sich.

"Ein andermal gern, Robert. Zurzeit brauche ich etwas mehr Raum. Versteh das bitte nicht falsch. Ich melde mich bald wieder und dann holen wir alles nach. Ja?"

"Ok, klar. Lass von dir hören, wenn du so weit bist."

Sie reichen sich nochmal die Hand und Valentin macht sich gedankenversunken auf den Nachhauseweg.

Es überkommt ihn eine Übelkeit, die er nicht mehr loswird und von der er weiß, dass sie nichts mit seinem Mageninhalt zu tun hat.

Ist es das schlechte Gewissen, so gelogen zu haben? Bitter lacht er auf. Es ist weitaus mehr. Es sind Schuldgefühle.

Was bin ich nur für ein Mensch, fragt er sich. Robert ist mein Freund. Und Karl? Er war immer für mich da.

Valentin schüttelt über sich selbst den Kopf und hofft, die Übelkeit ebenfalls abschütteln zu können. Aber es bleibt beim Versuch. Der Erfolg stellt sich, selbst als er abends zu Bett geht, nicht ein.

Бесплатный фрагмент закончился.

765,32 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
120 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783754181461
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают