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SPRITZTOUR RICHTUNG MITTELMEER

Marcello, haben die Kollegen von der Spurensicherung ihren Bericht schon geschickt«, erkundigte sich Capitano Dal Fiesco bei Brigadiere Donati, während der gesamte Tross von Collocinis Büro wieder in Richtung Restaurationswerkstätte marschierte.

»Nein, noch nicht«, erklärte Donati. Wie sollten sie denn auch – Carbone und sein Team hatten den Ort des Geschehens doch erst vor 30 Minuten verlassen. Ungeduld bringt uns jetzt auch nicht weiter, dachte Donati bei sich, unterließ es aber, seinen sichtlich angespannten Chef mit dieser Lebensweisheit zu konfrontieren. Just in dem Moment läutete sein Mobiltelefon erneut. Die Kollegen von der Autobahnpolizei wollten wissen, was sie denn in dem Lieferwagen von Mondo Animali, der auf der Autobahn auf der Höhe von Pistoia wenige Autolängen vor ihnen in Richtung Lucca unterwegs sei, erwarte.

Brigadiere Donati beschränkte sich in der Schilderung der Umstände auf das Notwendigste: »Kurz gesagt geht es um einen Kunstraub. Wir vermuten in dem Lieferwagen ein wertvolles Renaissancegemälde, das bei einem etwaigen Einsatz keinesfalls Schaden nehmen darf. Versuchen Sie, den Wagen anzuhalten, ohne dass es zu einem wie auch immer gearteten Unfall kommt. Zwei Kollegen vom Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale machen sich in dieser Minute auf den Weg. Und halten Sie uns bitte auf dem Laufenden.«

Luca Lezzerini von der Carabinieri-Dienststelle zum Schutz des italienischen Kulturerbes verließ das Opificio delle Pietre Dure im Laufschritt und deutete dem noch immer telefonierenden Donati per Fingerzeig, dass man per Mobiltelefon in Kontakt bleiben solle. Fünfundzwanzig Minuten – so schätzte Lezzerini – werde er trotz Blaulicht und Sirene bis Pistoia im Nordwesten von Florenz schon benötigen. Wäre doch zu schön, wenn man das Gemälde sofort seinem Besitzer zurückbringen könnte. So ganz wollte Lezzerini aber nicht daran glauben: Zu professionell waren der oder die Täter bisher vorgegangen. Sie würden doch nicht so einfallslos sein und stundenlang mit dem Fluchtauto durch die Gegend fahren? Vielleicht war das zweite Fluchtauto nicht am verabredeten Ort gewesen. Vielleicht hatte es mit dem zweiten Wagen eine Autopanne gegeben. Auch Kriminelle waren schließlich nicht davor gefeit, dass eine Zündkerze den Geist aufgab oder die Batterie ihr Leben aushauchte. Beim Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio am Eingang zum Opificio delle Pietre Dure angekommen, schwang sich Lezzerini auf den Beifahrersitz. Neben ihm hatte wenige Sekunden davor Brigadiere Vincenzo Corridori Platz genommen, das Blaulicht am Dach des 150 PS starken Boliden platziert und die Sirene eingeschaltet. Der Alfa brauste los, und da Corridori ein guter und sicherer Fahrer war, rasten die beiden schon nach wenigen Minuten auf der A11 dahin. Noch hatten die Kollegen von der Autobahnpolizei keinen Zugriff vermeldet, schließlich galt es nicht nur, den Lieferwagen und dessen Inhalt zu schützen, sondern auch Unfälle auf der Autobahn zu vermeiden.

»Eine Zivilstreife hat sich unmittelbar vor dem Lieferwagen eingereiht. Der Fahrer des Vans, der übrigens keine Mondo-Animali-Uniform trägt, schöpft diesbezüglich also sicher keinen Verdacht«, erklärte Vice Brigadiere Bertini via Funk: »Und wir sind ungefähr fünf Autos hinter dem Fahrzeug und warten auf einen günstigen Zeitpunkt. Mag sein, dass uns der Fahrer gesehen hat, muss aber nicht sein. Nach der Ausfahrt nach Pistoia werden wir aller Voraussicht nach zuschlagen, also in rund drei bis fünf Minuten.«

»Sehr gut«, lobte Lezzerini: »Wenn Sie das Fahrzeug gestoppt haben und der Fahrer in Gewahrsam ist, stellen Sie sicher, dass niemand im Laderaum ist. Aber betreten Sie den Van unter keinen Umständen und fassen Sie um Gottes willen nichts an. Es handelt sich um ein Kunstwerk von sehr hohem Wert. Und halten Sie uns bitte über alle Entwicklungen auf dem Laufenden.«

Das Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale, eine Sektion im italienischen Kulturministerium zum Schutz des nationalen Kulturerbes, hatte sich seit seiner Gründung im Jahr 1969 nicht nur national, sondern auch international einen Namen gemacht, etwa bei der Ausbildung von Polizei- und Zollbeamten in Ländern, die eine ähnliche Institution aufbauen wollten. Erst kürzlich hatte Lezzerini einen Vortrag über die Arbeit des TPC vor albanischen Kollegen gehalten. Vordringlichste Aufgabe des TPC war es, illegal exportierte oder in ausländischen privaten Sammlungen und Museen befindliche italienische Kulturgüter nach Italien zurückzuführen sowie die illegale Ausfuhr von italienischen Kulturgütern aus Italien zu verhindern.

Eineinhalb Kilometer nach der Autobahnausfahrt nach Pistoia erfolgte schließlich der Zugriff der Autobahnpolizei: Die Zivilstreife drosselte auf der vierspurigen Autobahn unmittelbar vor dem Mondo-Animali-Van die Geschwindigkeit. Das Einsatzfahrzeug der Autobahnpolizei hatte sich rechts neben dem Van eingereiht, um dem Lieferwagen den Weg zu versperren. Blaulicht und Sirene waren mittlerweile eingeschaltet. Die drei Fahrzeuge wurden immer langsamer und kamen schließlich komplett zum Stillstand. Plötzlich öffnete sich die Fahrertür, ein Mann im Jogginganzug sprang aus dem Wagen. Fast zeitgleich wurde die Beifahrertür aufgerissen, und ein bärtiger Mann in Shorts und T-Shirt setzte zur Flucht an. Der Mann im Jogginganzug rannte in Fahrtrichtung davon und wurde wenige Meter nach seinem Ausstieg von einem Beamten der Zivilstreife zu Boden gerissen. Der Bärtige lief gegen die Fahrtrichtung und kletterte flink über die Mittelleitschienen. Lautes Hupen und quietschende Reifen begleiteten den Flüchtenden, während er sich Fahrspur um Fahrspur auf die andere Seite der Autobahn vorkämpfte. Vice Brigadiere Giuliano Bertini von der Autobahnpolizei hatte die Verfolgung aufgenommen, musste aber aufpassen, nicht überfahren zu werden, während er den Flüchtenden im Auge behielt. In der nächsten Sekunde stieg auf dem Pannenstreifen der A11 Richtung Florenz ein beherzter Autofahrer aus einem Toyota Van aus und stellte sich dem Flüchtenden entgegen. Er vermochte ihn zwar nicht zu stoppen, aber doch so weit abzulenken, dass Bertini sich auf den Mann stürzen konnte.

Wenige Minuten später saßen die beiden Verdächtigen bereits in Handschellen im Polizeiauto, und vier Polizeibeamte – zwei in Zivil, zwei in Uniform – postierten sich mit gezückten Dienstwaffen vor der Tür zum Lieferraum des Vans. Vorsichtig öffnete einer der Polizisten die Tür. Der Van war, abgesehen von ein paar Befestigungsgurten und zwei Wolldecken, leer. Nach einer kurzen Schrecksekunde funkte Bertini die Kollegen vom TPC an.

»Die gute Nachricht ist, dass wir den Van gestoppt und die zwei Insassen verhaftet haben. Die schlechte Nachricht ist, dass sich in dem Van kein Gemälde befindet. Bis sie hier sind, knöpfen wir uns mal die zwei Burschen aus dem Van vor. Wir haben den Van übrigens nur geöffnet und hineingeschaut, aber sonst nichts angefasst. Das überlassen wir den Kunstprofis.«

Lezzerini atmete tief durch.

»Trotzdem, gute Arbeit. Ich glaube, wir sehen schon den Rückstau, den ihr verursacht. Wir fahren am Pannenstreifen zu euch vor.«

Beim Fahrer und beim Beifahrer des Mondo-Animali-Vans handelte es sich, wie sich schnell herausstellte, um zwei Autostopper, die auf Höhe der Autobahnraststation Firenze Nord einen Mondo-Animali-Mitarbeiter dabei beobachtet hatten, wie er den Lieferwagen abgestellt, ein großes Paket entnommen, dieses in einen weißen Van umgeladen und den Autoschlüssel schließlich in einen Mülleimer versenkt hatte. Mit dem Gemäldediebstahl hatten sie, wie es aussah, nichts zu tun. Sie hatten wohl bloß die Gunst der Stunde genutzt, die Schlüssel aus dem Mülleimer geholt, und wollten eine Spritztour in Richtung Mittelmeer unternehmen. Wie der weiße und fensterlose Van, mit dem der Mondo-Animali-Mann weitergefahren war, genau ausgesehen hatte, konnten die beiden nicht sagen. Weder die Marke noch das Modell und schon gar nicht das Kennzeichen hatten sie sich gemerkt.

»Und was konnten die zwei über den Mann sagen?«, wollte Lezzerini wissen.

»Nichts, was wir nicht auch schon wissen: Recht groß, Mondo-Animali-Kluft, Schnauzbart, Wuschelkopf«, antwortete Bertini.

»Große Hilfe sind uns die zwei also nicht. Außerdem haben sie eventuelle Spuren in der Fahrerkabine verwischt«, knurrte Lezzerini. »Wir lassen jetzt mal den Mondo-Animali-Van abschleppen und von der Spurensicherung untersuchen. Die zwei Typen gehören Ihnen. Wenn wir sie noch einmal vernehmen müssen, wende ich mich an Sie. Halten Sie die beiden also ein paar Tage fest. Jetzt sollten wir hier aber keine Zeit mehr verschwenden. Schließlich hat der Kunsträuber ohnehin schon einen Vorsprung von mehreren Stunden.«

ANGST VOR ALLEINGÄNGEN

Nachdem ihm von Brigadiere Donati mitgeteilt worden war, dass die Autobahnpolizei den Lieferwagen von Mondo Animali leer vorgefunden hatte, widmete sich OPD-Direktor Maurizio Collocini erstmals dem Gedanken an eine Presseerklärung. Collocini war bewusst, dass nun eine Heerschar an Wichtigtuern auf kommunaler, regionaler und staatlicher Ebene auf den Plan treten würde. Ihm graute vor den politischen Würdenträgern, die sich in einem Fall wie dem vorliegenden in den Vordergrund spielen und ihre mehr als entbehrlichen Meinungen von sich geben würden. Besonders ekelte ihn vor den Assistenten und Aktenträgern, die fast noch unsympathischer waren als die eigentlichen Politiker. Er hasste diese Nichtsnutze, die das Unglück anderer weidlich ausnutzten, um ihre Profilierungssucht zu befriedigen. Gemeinsam mit dem kaufmännischen Leiter Massimo Poletti und seinem Sekretär Cesare Rizzoli tüftelte Collocini nun seit 30 Minuten an einer geeigneten Kommunikationsstrategie.

»Wir müssen Capitano Dal Fiesco und Capitano Lezzerini davon überzeugen, dass von den Begleitumständen des Diebstahls so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit dringt. Man hört und liest doch immer von ›ermittlungstaktischen Gründen‹, deretwegen man auf keine Details eingehen könne«, schlug Poletti vor. »Und vor allem müssen wir die anderen Beteiligten darauf einschwören: die gesamte Belegschaft, den Schlangenexperten Bianchi, Uffizien-Direktor Ferro, die Leute von Mondo Animali sowie die Dame von der AEIOU. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung auf der ganzen Linie.«

Cesare Rizzoli, der zuvor im Büro von Collocini die Visitenkarten aller handelnden Personen eingesammelt hatte, schrieb dienstbeflissen mit und gelobte seinem Vorgesetzten, die notwendigen Schritte zu tun.

»Als Ersten holen Sie mir bitte Capitano Dal Fiesco ans Telefon«, gab Collocini seinem Assistenten mit auf den Weg.

Eine Viertelstunde später fand sich das Direktorenduo Collocini und Poletti wieder in der hell erleuchteten Restaurationswerkstätte des Opificio delle Pietre Dure ein. Capitano Dal Fiesco hatte Collocini im Telefongespräch versichert, dass es auch im Interesse der Polizei war, »den Ball so flach wie möglich zu halten«, wie er sich ausgedrückt hatte.

»Weder dem OPD noch den Uffizien und schon gar nicht den ermittelnden Behörden ist gedient, wenn die Institutionen der Lächerlichkeit preisgegeben werden«, hatte Direttore Collocini gegenüber dem Capitano betont. »Genauso wünsche ich mir von Ihnen, dass es zu keinerlei Alleingängen kommt. Und wollen wir gemeinsam hoffen, dass auch Signora Frattini nicht die Pferde durchgehen. Ich kenne sie nicht, aber bei einem Diebstahl dieser Größenordnung kann es schon mal sein, dass der eine oder andere in den ­Medien ganz groß rauskommen will, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Capitano Dal Fiesco verstand zwar, was Collocini meinte, teilte dessen Meinung allerdings nicht. »Ich glaube, im Fall von Signora Frattini können Sie einigermaßen unbesorgt sein. Aber ich gebe Ihnen recht: Man kann nie vorsichtig genug sein. Ich werde sie beobachten.«

»Cesare, wo sind eigentlich Signora Frattini und Signore Bianchi abgeblieben? Sind die beiden noch im Haus?«, wollte Direttore Collocini gleich darauf von seinem Sekretär Rizzoli wissen.

»Signora Frattini ist meines Wissens unten bei den Portieren und schaut sich die Videoaufnahmen der Sicherheitskameras an. Und Signore Bianchi hat das Haus vor rund einer Stunde verlassen. Die Transportkiste von Mondo Animali hat er mitgenommen. Er wollte sie hier in Florenz in einem Labor untersuchen lassen. Und die beiden jungen Herren aus dem Tierheim sind auch schon weg. Sie stimmen sich aber mit Bianchi ab, und eventuell kommen sie heute um 18 Uhr wieder, um gemeinsam mit ihm Ausschau nach der Schlange zu halten. Natürlich ist es in hohem Maße wahrscheinlich, dass es nie eine Schlange gegeben hat – aber ganz ausschließen kann man es nicht, hat auch Bianchi gemeint. Von der Analyse der Transportkiste erwartet er sich weitere Anhaltspunkte.«

»Ok, danke, Cesare«, sagte Collocini, fixierte Poletti und raunte ihm zu: »Und wir zwei müssen jetzt bei Uffizien-­Direktor Ferro zu Kreuze kriechen. Sonst bekommen wir von ihm nie wieder einen Auftrag. Sei so gut und schlage ihm vor, dass er sich morgen Mittag um 13 Uhr in der Cantinetta Antinori mit mir treffen möge.«

Zwei Etagen tiefer blätterte Chiara Frattini in der Besucherliste des Vortages und ließ sich von Chefportier Bruzzo erläutern, aus welchen Beweggründen jeder Einzelne in der Liste das Opificio delle Pietre Dure besucht hatte. Frattini lauschte aufmerksam und machte sich zu diesem oder jenem Besucher Notizen. Auf den ersten Blick erschien ihr – und da ging sie mit Bruzzo konform – nichts und niemand auffällig. Sämtliche eingetragene Besucher waren aus der Liste auch wieder ausgetragen worden.

»Gestern war eigentlich ein ganz normaler Tag, wenn man von der Lieferung der Boa constrictor absieht«, zuckte der korpulente Chefportier mit den Schultern. »Ins OPD wird ja alles Mögliche geliefert: Gemälde, Vasen, Möbel, Lampen, Skulpturen, Material für Restauratoren, Bücher, Unterlagen und natürlich auch mal eine Pizza oder Sushi. Aber schauen Sie sich ruhig auch die Besucherlisten vergangener Tage an! Die sehen ganz genau so aus. Ich kann da keine Abweichungen erkennen.«

Frattini dankte Bruzzo, erbat vom Chefportier lediglich eine Kopie der Besucherliste vom Vortag und gesellte sich zu den Carabinieri Gianni De Luca und Enrico Calabrese, die sich seit fast zwei Stunden mit den Überwachungsvideos beschäftigten: Aufzeichnungen vom Eingangsbereich innen und außen sowie Aufzeichnungen von der Etage, auf der sich die Restaurationswerkstätten befanden. Nach einem groben Scan der Videos im Schnelldurchlauf achteten De Luca und Calabrese nun in der Feinanalyse auf jedes Detail und drückten nur an jenen Stellen auf »Fast Forward«, wo offensichtlich gar nichts geschah. Das Hauptaugenmerk der beiden Carabinieri lag – und das war der erklärte Auftrag ihrer Vorgesetzten Dal Fiesco und Donati – auf den Abend- und Nachtstunden. »Findet heraus, ob jemand das Gebäude zwischen 18.00 und 22.40 Uhr über den Haupteingang betreten hat. Denn um 22.40 Uhr ging der erste Alarm beim Nachtportier ein«, lautete ihre Mission.

»Na, wie geht’s euch? Schon etwas gefunden?«, wollte Frattini von den beiden Jungpolizisten wissen, die ihre Uniformjacken und ihre Kappen abgelegt hatten.

»So richtig aufschlussreich war das jetzt noch nicht«, meinte Calabrese. »Aber ein paar Dinge sind doch interessant. Erstens: In der Transportkiste von Mondo Animali war sehr wohl etwas Lebendiges, und die Wahrscheinlichkeit, dass es eine kleine Schlange oder zumindest ein Tier mit einem langen, dünnen Schwanz war, ist sehr groß. In einer Einstellung ist ganz klar zu sehen, dass sich etwas aus der Kiste in Richtung Treppenhaus bewegt. Wenn ich es richtig verstanden habe, kommt der Schlangenexperte aus Rom heute Abend ohnehin noch einmal hierher. Zumindest kennen wir die Richtung, aus der der Gemäldedieb mitten in der Nacht in die Werkstatt gekommen ist. Es ist zwar nur ein undeutlicher Schatten, den man bei genauem Hinsehen erkennen kann, aber wenn man sich dort oben umsieht und dann noch einmal den Nachtportier interviewt, dann sollte man eruieren können, wo sich der Dieb versteckt hat. Und wenn man erst einmal sein Versteck gefunden hat, dann stößt man im Idealfall auch auf Spuren«, ereiferte sich Calabrese.

Dass er und De Luca vergleichsweise offen mit Chiara Frattini plauderten, hatte seinen Grund: Capitano Dal Fiesco hatte die beiden dahingehend gebrieft, dass man mit der Versicherungsdetektivin eng zusammenarbeiten solle, da sie sich erstaunlich gut in Kunstdiebe hineinversetzen könne.

»Wenn wir mit ihr kooperieren, wird sie auch mit uns kooperieren, und vor allem wissen wir dann immer, wo sie gerade ist und welche Spur sie gerade verfolgt«, hatte Dal Fiesco mit einem Augenzwinkern angemerkt.

EIN PERFEKTER ARBEITSPLATZ

Seit rund zehn Minuten starrten die beiden nun auf das 246 x 243 Zentimeter große Bild. Weder der Mann, der sich Francesco nannte, noch Gabriele Schillaci machten Anstalten, die feierliche Stille an diesem April-Abend zu stören. Bevor die beiden das Bild vorsichtig aus der Transportkiste genommen und auf die vorbereitete Staffelei gestellt hatten, hatte Francesco einen Chianti Classico Riserva aus Lamole geöffnet, zwei Gläser eingeschenkt, und die beiden hatten sich zugeprostet. Die unterschiedlichsten Gedanken schossen Schillaci durch den Kopf. Vor allem aber stellte er sich die Frage, was wohl seine Aufgabe in Zusammenhang mit dem weltbekannten Gemälde sein werde.

»So könnte die ›Anbetung der Könige‹ tatsächlich einmal ausgesehen haben«, meinte Schillaci schließlich. »Wer immer diese Kopie angefertigt hat, versteht etwas von seinem Handwerk, vor allem, weil er die längst fällige Restaurierung des Gemäldes vorweggenommen hat.«

»In der Tat«, erwiderte Francesco, dessen Blick sich noch immer nicht von Leondardo da Vincis Meisterwerk gelöst hatte. Er strahlte über das ganze Gesicht. Jeden Quadrat­millimeter des Gemäldes schien er mit seinen glänzenden Augen abzutasten.

Seit zwei Stunden war Schillaci nun bereits vor Ort, wobei der schlacksige Kunststudent keine Ahnung hatte, wohin ihn Franceso denn nun eigentlich gebracht hatte. Ein paar Tage zuvor hatte dieser ihn mit unterdrückter Telefonnummer angerufen und erklärt, dass er ihn am 5. April pünktlich um neun Uhr Vormittag am Flughafen in Bologna abholen werde, dass er sich auf einen Aufenthalt von zumindest drei Monaten einstellen und sein Umfeld entsprechend von einem Forschungsaufenthalt in Südamerika informieren solle.

Als Schillaci dann zum vereinbarten Zeitpunkt mit seinem Koffer vor dem Ankunftsbereich des Flughafens von Bologna wartete, fuhr ein fensterloser weißer Lieferwagen vor. Francesco saß am Steuer des Vans, wies ihn an, vorne einzusteigen und sich anzuschnallen, und reichte ihm, nachdem sie losgefahren waren, eine Flasche Wasser zur Erfrischung. Wenige Minuten später hatte ihn die Müdigkeit übermannt. Das Nächste, woran er sich erinnern konnte, war Francesco, der vor der geöffneten Beifahrertür stand, ihn anstupste und sagte: »Signore, wachen Sie auf! Wir sind da.«

Instinktiv blickte Schillaci auf seine Armbanduhr und sah, dass fast zwei Stunden vergangen waren, seit er in Bologna in den Van gestiegen war. Er griff in seine Jackentasche nach dem Smartphone. Es war nicht mehr an seinem Platz.

»Keine Sorge, ich habe es Ihnen vorsorglich abgenommen. Sie bekommen es wieder«, beschwichtigte Francesco, der Schillaci beobachtet hatte, und half ihm gleich darauf mit dem Gepäck. Schillaci war zu müde, um zu protestieren. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an das Tageslicht. Und schließlich hatte er noch ein zweites Mobiltelefon im Koffer.

Der Van parkte vor einem inmitten einer Gartenlandschaft gelegenen Haus, das – so erklärte ihm Francesco – in den nächsten Wochen seine Heim- und Arbeitsstätte sein würde. Schillacis Schlafzimmer lag im ersten Stock, gleich daneben befand sich das Badezimmer, und wenn er es richtig verstanden hatte, durfte er es sich auch in den unteren Räumen bequem machen, schließlich würde er das Haus für die Zeit seines Aufenthalts ganz alleine bewohnen.

»Richten Sie sich ein, verstauen Sie Ihre Sachen. In einer halben Stunde essen wir zu Mittag.« Und schon hatte Francesco die Fahrertür des Lieferwagens – eines Fiat Talento mit Hochdach – geschlossen, sich ans Steuer gesetzt und war davongebraust. Von dem Mittel, das man ihm offensichtlich verabreicht hatte, noch leicht benommen, blickte Schillaci dem weißen Van hinterher. Rund 20 Meter vom Haus entfernt, fuhr das Auto in eine Kurve und war wenige Sekunden später zwischen einigen Zypressen verschwunden. Exakt 30 Minuten danach stand hinter dem Haus auf einem hölzernen Gartentisch das Mittagessen bereit. Wie es dorthin gekommen war, wusste Schillaci nicht. Es war einfach da. Und es war gut.

Als Francesco wieder zurück war, aßen sie Panzanella und tranken Wasser und Weißwein – einen Capsula Viola von Antinori. Schillaci begann sich wohlzufühlen. Es war angenehm warm, und er hatte ein rundum gutes Gefühl. Allerdings fragte er sich langsam, welcher Auftrag nun eigentlich auf ihn wartete.

»Gemach, gemach, Signore Schillaci. Jetzt trinken wir noch einen Cappuccino, und dann zeige ich Ihnen Ihren Arbeitsplatz. Ich hoffe, dass er Ihnen gefallen wird. Und noch was: Bitte, bitte, verzeihen Sie meine kleinen Sicherheitsmaßnahmen. Sie werden sehen, dass sie zu Beginn einfach notwendig sind.«

Gabriele Schillaci war mit der Ausstattung des anscheinend eigens für ihn eingerichteten Ateliers mehr als zufrieden. Er hatte zwar seine eigenen Malereiutensilien mitgebracht, die würde er aber wohl gar nicht brauchen. Das im Keller seiner Unterkunft gelegene, über eine steinerne Treppe erreichbare Atelier ließ keine Wünsche offen: Mehrere mächtige Staffeleien waren aufgebaut, unzählige Farbtuben lagen bereit, Pinsel und Skalpelle in allen Größen harrten ihrer Verwendung. Francesco hatte an alles gedacht. An einer Wand stand ein Bücherschrank mit rund 40 Bänden einschlägiger Fachliteratur. Das Ganze erinnerte Schillaci an einen Malereibedarfsladen. Und wenn der Keller je modrig gewesen war, dann war ihm jetzt jegliche Muffigkeit ausgetrieben worden: Eine Klimaanlage sorgte für eine angenehme Temperatur, Abzugsrohre beförderten die verbrauchte Luft nach draußen, das Licht ließ sich stufenlos verstellen, und in der Ecke stand sogar eine Infrarotlampe für die Analyse verschiedener Farbschichten bereit. Hier würde es sich vorzüglich arbeiten lassen, überlegte Schillaci, die professionelle Ausstattung und die Aussicht auf das fürstliche Salär würden ihn über die paar Wochen in Einsamkeit und Abgeschiedenheit hinwegtrösten. Mit Francesco, den er für einen kunstsinnigen Experten und einen geradlinigen Zeitgenossen hielt, würde er gut auskommen, und dass dieser ihn eindringlich gebeten hatte, sich nur im Umkreis des Nebenhauses der Villa zu bewegen, bereitete ihm kein Kopfzerbrechen. Warum auch. Rund um das ihm zugewiesene Häuschen ließ es sich sicher gut leben, auch wenn es hier weder Fernseher noch Computer gab. Irgendwie kommt mir das alles wie ein bezahlter Urlaub am Land vor, schmunzelte Schillaci bei sich und schüttelte den Kopf. Francesco würde sich auf ihn verlassen können. Wieder und wieder vergegenwärtigte er sich dessen Worte:

»Signore Schillaci, malen Sie mir ein möglichst perfektes Abbild dieser Kopie der ›Anbetung der Könige‹! Ich will zwischen den beiden Bildern keinen wie auch immer gearteten Unterschied erkennen können! Überraschen Sie mich! Und lassen Sie sich ruhig Zeit.«

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9783904123594
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