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Pluto, dessen Bahn wir als letzte überschreiten werden, steht zu weit abseits, als dass wir ihn zum Manövrieren benutzen könnten. Unser Treibstoff ist fast aufgebraucht. Wir nähern uns dem leereren Vakuum des interstellaren Raumes.

Viel später.

Wir durchschiffen den Trümmerregen der Oort’schen Wolke. Nur wenige Schiffe von den Dimensionen der Leibniz haben sich in diese finsteren Regionen gewagt. Ein Explorer der Dorset-Klasse ist hier verloren wie eine Nussschale auf einem Ozean. Doch das Opak ist bei uns. Wir wissen, dass wir nicht von ihm abkoppeln können, ehe wir sein Wesen nicht ergründet haben. Und wir wissen mit der gleichen skalpellhaften Deutlichkeit, dass wir es nie werden ergründen können. Der unstillbare Wissensdurst erlischt nicht, wenn er um seine Unstillbarkeit weiß. Er wird nur noch brennender und macht denjenigen, der ihm verfallen ist, zu einem Ahasver. Der Fluch, durch den er im Dasein gehalten wird, ist seine Neugier und sein Glaube an die positive Wahrheit, der auch dadurch, dass er radikal erschüttert wurde, nicht zu erschüttern ist. Der Wille zur Rationalität ist zutiefst irrational, aber auch diese Erkenntnis hilft nicht weiter.

Später.

Theresa schläft. Wir haben uns noch einmal geliebt, dann bat sie mich, sie in die Koje zu begleiten. Sie forderte mich auf, das System wie dasjenige Groenewolds zu programmieren, was ich ablehnte. Sie spritzte sich daraufhin ein schweres Opiat und ließ sich in den Tiefschlaf kühlen. Noch lebt sie und ich könnte sie jederzeit wecken. Genauso gut könnte ich ihre Lebenserhaltung mit einem Tastendruck stilllegen. Ich bin Herr über Leben und Tod und ekle mich vor mir selbst.

Sehr viel später.

Um uns ist Nacht. Neben uns schwebt ein opakes Objekt, von dem wir nicht wissen, was es ist, woher es kommt und wohin es uns verschleppt. Wir folgen ihm.

In der Hand der Sineser

1.

Ich hatte für einen Augenblick nicht achtgegeben, weil ich verzweifelt Ausschau nach einem möglichen Weiterweg hielt, als mich ihr Schrei zusammenfahren ließ, ein schrecklicher sägender Schrei, wie das Kreischen einer Maschine, die sich durch lebenden Stahl frisst. Ich wirbelte herum und sah, wie der Haken ihr Rückgrat durchschlug, ihren Brustkorb zertrümmerte und zwischen ihren Rippen wieder austrat. Ihr Blick erlosch flackernd. Kein Blut war zu sehen. Die Trosse ruckte an und begann, ihren leblosen Körper emporzuhieven. Ein galvanisches Zucken spielte noch verächtlich mit ihren Beinen, in denen entseelte Reflexe arbeiteten. Dann wurde sie über die Rampe geschleift, die sie meinen Blicken entzog. Eine endlose Sekunde stand ich betäubt; ich spürte, wie mein Puls von innen gegen meine Wangen brandete. Dann warf ich mich herum und rannte in den dunklen Gang aus nacktem Beton und verdrehten Baustahlträgern, den ich gerade eben noch zweifelnd inspiziert hatte. Ich hatte keine andere Wahl. Ich war machtlos und helfen konnte ich ihr sowieso nicht mehr. Irgendwo heulten die Turbinen von schnellen Gleitern auf. Explosionen brachen sich in den Schluchten und Tunnels der aufgelassenen Industrieruinen. Ihr Schrei hallte mir noch in den Ohren, als ich über Pfützen von Öl und rostbraunem Wasser setzte und mich unter heruntergebrochenen Geländern hindurchduckte, ihr letzter gurgelnder Schrei, der klang, als käme er durch ein langes blechernes Rohr, ihr letztes zernichtetes: »Lauf! Ich liebe dich!«

2.

Der Leitstrahl hatte das Schiff erfasst und unter seine Kontrolle gebracht. Es erzitterte leicht und krängte um einige Grad nach Backbord, als es von der unsichtbaren Faust aus komplexen Wellenbündeln gepackt und auf den neuen Kurs gezwungen wurde. Der samtige Sternenhintergrund, der hier dunkler und abweisender war als in anderen Systemen, rutschte nach oben weg und gab den Blick auf den Planeten frei, der sich langsam und drohend von unten in das Bildfeld schob. Die Wolken, die weite Teile der Oberfläche verhüllten, waren blaugrau und nicht zu vergleichen mit dem blendend weißen Schimmer, der andere bewohnte Welten vom Schwarz des Raumes abhob. Wo die Kontinente sichtbar waren, wirkten sie seltsam matt durch die blaugraue Tönung Aber es zogen sich auch die feinen Lichtschnüre und Linienmuster gewaltiger Hauptstraßen quer über die sichtbaren Ausschnitte der Landmassen und verknäuelten sich zu den flirrenden Lichtermeeren riesiger Städte. Ein neuerliches Rucken lief durch unser Schiff, als die fremde Macht sich der Automatik aufschaltete und die Steuerung vollständig übernahm. Schweigen herrschte auf der Brücke. Karen nahm die Hände von der Konsole, lehnte sich demonstrativ zurück und verschränkte die Arme im Nacken. Tyrone räusperte sich und drückte das Kinn noch tiefer in die geballte Faust. Tusker atmete hörbar durch. Dann war wieder nur das Klicken und Piepen der Instrumente zu hören. Koordinaten rasselten über die Konsole. Die vordere Steuerbord-Korrekturdüse sprach an und feuerte in kurzen Intervallen winzige, silbrig perlende Ionenstrahlen ab. Dann war die Feinkalibrierung durchgeführt. Die Exeter zündete für zehn Sekunden das Haupttriebwerk. Wir hatten die Umlaufbahn verlassen und schwenkten ferngesteuert in einen elliptischen Annäherungskurs ein.

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht …«, brummte Karen und rollte den Kopf von einer Schulter zur anderen.

»Geh einen Kaffee trinken«, sagte ich, »und bring mir einen mit.«

Sie bog den Hals zurück, presste die Fäuste gegen ihr Rückgrat und ließ die Wirbel knacken. Ich kannte sie inzwischen lange genug, um zu wissen, dass diese speziellen Hinweise auf ihre chronischen Verspannungen Ausflüsse einer gewissen Nervosität waren.

»Ist das ein Befehl?«, fragte sie, ohne den Blick von der Konsole zu nehmen, die von raschen Datenströmen überflossen wurde.

»Eine Anregung«, erwiderte ich matt, denn mir war natürlich klar, dass sie ihren Platz für keine Sekunde räumen würde, bis wir nicht entweder sicher gelandet oder wieder auf selbständigem Kurs im freien Kosmos waren.

»Tja, dann tut es mir leid für dich«, nuschelte sie noch, ehe sie sich zu Tusker hinüberbeugte und mit ihr in Fachchinesisch flüsterte.

»Mhm«, machte ich nur. Es gelang mir nicht, der eigenen beklommenen Stimmung Herr zu werden, um die bedrückte Atmosphäre auf der Exeter aufzulockern. Mir fiel einfach kein flotter Spruch ein. Auch der scherzhaft resignierte Blick, den ich mit Tyrone zu wechseln versuchte, glitt an ihm ab. Der Alte starrte mit steinerner Miene auf die Anzeigen. Dann kniff er die Augen zusammen und suchte den Raum jenseits der großen Panoramascheiben ab, als ob dort irgendetwas zu erkennen wäre, was den Instrumenten verborgen geblieben war.

»Ziemlich voll hier«, knurrte er.

Von seinem Platz am seitlichen Beobachterposten tippte er auf Karens Schirm, um sie auf eine Einzelheit aufmerksam zu machen. Aber sie nickte nur wortlos zum Zeichen, dass sie das Phänomen schon bemerkt hatte. Ich hustete die Atemwege frei.

»Irgendetwas«, erkundigte ich mich, »das es lohnen würde, mir davon Meldung zu machen?«

Für einige Sekunden herrschte das charakteristische Schweigen einer Gruppe von Leuten, die unangenehme Neuigkeiten zu überbringen haben und sich mit winzigen, unhörbaren Gesten gegenseitig das Wort zuzuschieben versuchen. Endlich besann sich Karen darauf, dass sie die Erste Pilotin dieser Mission war und dass das Schiff, auch wenn sie die Steuerung an den Leitstrahl hatte deligieren müssen, unter ihrer Verantwortung stand.

»Es ist«, sagte sie langsam, »in der Tat ziemlich viel los hier.« Sie drehte sich für einen Moment zu mir um, sah mich ernst an und kehrte dann sofort zur Überwachung der Konsole zurück, aber dieser eine Blick genügte, um mich frösteln zu lassen. Ich wusste, dass sie eine unerschrockene Pilotin war. Sie wäre in ein Asteroidenfeld eingeflogen, wenn ich es angeordnet hätte; aber hier ging es offenbar um etwas anderes. Die zahlreichen Körper, die den Orbit dieses Planeten bevölkerten, waren nicht natürlichen Ursprungs.

»Es wimmelt von Schiffen«, stellte Tyrone fest. »Mehr, als ich mir zu erklären wüsste. Nicht nur in den Anflugschneisen, sondern auch im stationären Orbit, als wären sie geparkt.«

»Nun«, erwiderte ich, »immerhin soll ja hier auch ein nicht ganz unwichtiges …«

Es gelang mir nicht, meiner Stimme den harmlosen und wohlgemuten Ton zu geben, den ich beabsichtigt hatte. Aber der Alte ließ mich sowieso nicht ausreden.

»Uns wurde freies Geleit zugesagt«, knirschte er mit einem Anflug von Unwillen in der Gurgel. »Der gesamte Orbit ist zur Offenen Zone erklärt. Aber hier liegt ein massives Aufkommen von nicht deklarierten Schiffen vor.«

Karen ließ einen bestimmten Punkt auf dem Schirm nicht aus den Augen. Sie tauschte einen raschen Seitenblick mit Tusker, die ebenfalls starr an ihrer Konsole hing.

»Der Leitstrahl blockt unsere externe Aufklärung«, sagte Karen, die nur mit einem halben Ohr zugehört hatte und jetzt mit der tonlosen Stimme derjenigen sprach, die ihre Konzentration auf etwas anderes gerichtet hatten.

»Wir unsererseits«, fuhr Tyrone in seinem Gedankengang fort, »haben die Leibniz bis jenseits des achten Planeten zurückgenommen und vertrauen uns ganz diesem Explorer an, einem zivilen Schiff für wissenschaftliche Missionen.«

»Zehn Lichtminuten«, sagte ich. »Das Mutterschiff ist gerade mal zehn Lichtminuten entfernt. Für einen Explorer der Dorset-Klasse eine lächerliche Entfernung.«

»Vielleicht schon zu viel, wenn’s drauf ankommt«, brummte der Alte.

Obwohl er seit vielen Jahren die friedliche Erkundung des transsolaren Kosmos als Chef der Planetarischen Abteilung der Leibniz leitete, kam wieder seine militärische Ausbildung zutage, die er als Oberst abgeschlossen hatte. Er dachte immer noch in taktischen Kategorien. Offenbar hatte er noch nicht begriffen, dass diese Zeiten um ein Menschenalter hinter uns lagen.

»Die automatische Identifikationsaufforderung der Vorfeldaufklärung ist unterdrückt«, teilte Karen in diesem Augenblick im Ton einer offiziellen Meldung mit. »Daher können wir die Schiffe, deren Bahnen wir in Sektor C und B schneiden, nicht klassifizieren.«

»Hmm … und was ist daran jetzt so schlimm?«, fragte ich betont arglos. Ich setzte mich auf, räusperte mich und hob die Stimme. »Überlasst das doch dem Leitstrahl. Ein bisschen mehr Vertrauen!«

»Aha«, machte Karen nur. Ihre Stimme war eiskalt.

»Unklassifiziertes Objekt in Sektor A«, meldete Tusker jetzt.

Die Erste Pilotin nickte nicht einmal. Offenbar handelte es sich um das Objekt, das sie schon die ganze Zeit im Auge hatte.

»Objekt der Größe III«, fügte Miriam hinzu. »Kollisionskurs.«

Das letzte Wort durchschlug die gespannte Atmosphäre auf der Brücke wie ein Felsblock, der ins Wasser stürzt. Eine unheimliche Stille schloss sich daran an, in der wir schweigend zusahen, wie er langsam auf den Grund sank.

Ich war aufgestanden und von hinten an die gravimetrischen Sessel der beiden Pilotinnen getreten.

»Größe III?«, fragte ich nach.

»Mindestens«, antwortete Karen in besorgniserregender Geduld. »Und auf dem gegenwärtigen, durch den Leitstrahl kontrollierten Kurs werden wir in achtzig Sekunden damit kollidieren.«

»Ruf den Tower der Bodenstation«, befahl ich, »und lass dir die Koordinaten bestätigen.«

Ich hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, da hatte sie schon die Taste betätigt, die die vorformulierte Routineanfrage übermittelte. Es verging keine Sekunde, dann glühte ein kleines Leuchtfeld am Rand ihrer Konsole auf.

»Leitstrahl bestätigt«, sagte Karen indigniert.

»Kein Irrtum möglich?«, fragte ich ungläubig. »Sie werden doch nicht auf eine derartig plumpe Weise …«

»Die primitivsten Strategien sind die wirkungsvollsten«, fiel Tyrone mir ins Wort. »Aus irgendeinem Grund rechnet jeder damit, dass der Gegner besonders raffiniert und ausgeklügelt vorgeht; er ist überrascht, wenn er frontal attackiert wird.«

»Aber wir sind im Frieden«, rief ich, »zumindest im Waffenstillstand. Uns wurde freies Geleit zugesagt, nach allen Formalitäten der Großen Konvention.«

»Sechzig Sekunden«, sagte Tusker.

»Verdammt noch mal!«, entfuhr es mir. Mein Kopf war völlig leer. Ich begriff, dass ich auf eine Situation wie diese nicht vorbereitet war. Ich musste eine Entscheidung treffen und hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie auszusehen hatte.

»Es ist einer ihrer Ikosaeder«, sagte Tyrone jetzt. Er hatte den Blick von der Konsole abgewandt und sah zur Frontscheibe hinaus.

Ich folgte seinem Blick und starrte in den Raum, der von der steingrauen Sichel der Planetenoberfläche durchschnitten wurde. Vor dem beleuchteten Teil des Weltkörpers hob sich ein Gebilde ab. Es schien direkt auf uns zuzukommen; aber in Wahrheit befand es sich auf einer stationären Umlaufbahn und wir schossen mit großer Geschwindigkeit darauf zu. Während ich hilflos zusah, wie das Ding näher kam, enthüllten sich mir langsam die wahren Dimensionen des Objekts.

»Eine Kampfstation«, erläuterte Tyrone ruhig und sachlich, als säße er sicher im Vortragsraum der Leibniz und hielte eine seiner berühmt-berüchtigten Vorlesungen. »Sie haben mindestens zwei davon im Orbit jeder der von ihnen beherrschten Welten.«

»Ein geometrisches Zwanzigflach«, schnurrte Tusker mechanisch herunter. »Kantenlänge: zwei Punkt sechs Kilometer. Masse: 78 Teratonnen.«

Aus dem Punkt war inzwischen ein rasch wachsender dreidimensionaler Körper geworden, der genau die Mitte zwischen einem Würfel und einer Kugel hielt. Je näher wir herankamen, umso mehr verlor sich jedoch die strenge geometrische Reinheit der Struktur und wich dem Eindruck eines wildwüchsigen, waffenstarrenden Klumpens, der, sich langsam um die Vertikalachse drehend, vor uns im Raum hing. Antennen und Strahlenkanonen brachen wie Borsten und scharfkantige Stacheln überall aus der unregelmäßigen schwarzen Oberfläche. Die Kampfkraft dieser Station musste gewaltig sein. Aber selbst durch pure Kollision konnte sie ein Schiff wie die Leibniz zermalmen.

»Ausweichmanöver einleiten«, sagte ich knapp, als wir uns zügig weiter auf den künstlichen Mond zubewegten und der Leitstrahl keine Anwandlung erkennen ließ, uns daran vorbeizuführen.

»So einfach wird das nicht werden«, zischte Karen zwischen den zusammengebissenen Zähnen. Aber sie hatte schon einen Kanal geöffnet.

»Automatik«, sagte sie in hartem Kommandoton. »Vorbereitung zur Rückübernahme der Steuerung. Leitstrahl ignorieren.«

Ich stand hinter dem Pilotensessel und sah gebannt auf das schwebende Gebirge aus überhartem Obsidianstahl, das sich auf uns zuwälzte und schon einen guten Teil des Panoramas einnahm. In Erwartung einer Erschütterung nahm ich instinktiv eine breitbeinige Position ein.

»Negativ«, säuselte die Stimme, in der unser Schiff mit uns zu kommunizieren pflegte. »Leitstrahl dominiert alle Navigationsfunktionen.«

An dem Ikosaeder wurden die Türme, die jeweils im Zentrum der zwanzig Polygone standen, durch die Lichter deutlich erkennbar. Die komplexen Streben und Röhren von Gravitationskanonen, deren Turbinendickichte hektargroße Flächen einnahmen, drehten sich in das metallische Sonnenlicht, sodass Armeen von gestanzten Schatten über die versiegelten Titanplatten zu wandern schienen.

»Automatik«, sagte Karen, ohne Unzufriedenheit oder Nervosität zu erkennen zu geben. »Vorbereitung auf manuelle Steuerung.«

Wir schossen direkt auf den Äquator der gewaltigen Struktur zu.

»Negativ«, tönte die Computerstimme. »Leitstrahl lässt sich nicht unterdrücken.«

»Schalt das Scheißding ab!«, schrie ich.

Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück, zwang mich aber sofort, Karens Sessellehne zu ergreifen und mich wieder nach vorne zu ziehen. Die Kampfstation rollte auf uns zu. Es schien mir, dass wir längst in ihre Stahlmassen eingeschlagen haben mussten, aber sie wuchs immer noch weiter an. Der Planet war jetzt vollständig von ihr verdeckt. Die Aufbauten ragten nach allen Richtungen über unser Sichtfeld hinaus. Es war tatsächlich, wie wenn man sich einem Mond oder Kleinplaneten näherte. Unfähig, den Blick von dieser gewaltigen Manifestation des Willens zur Macht abzuwenden, nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie Karen und Tusker auf ihren Bedienfeldern herumhackten, ohne dass sich unser Kurs auch nur um eine Bogensekunde verändert hätte.

»Vielleicht wollen sie uns an Bord nehmen«, sagte ich verzweifelt.

»Dafür sind wir zu schnell.«, grunzte Tyrone, »Im Übrigen«, fuhr er nach einer theatralischen Pause fort, »im Übrigen – machen sie keine Gefangenen …«

Karen betätigte den Notfallschalter, der normalerweise die gesamte Automatik der Exeter lahmlegte und sie zur manuellen Steuerung freigab. Nichts geschah.

In einem Kanal, der sich zwischen zwei schwarz glänzenden Polygonen dahinzog, hockten kleine Kampfgleiter wie Blattläuse in der Furche eines runzligen Blattes. Ein halbes Dutzend von ihnen stieg in dieser Sekunde auf, blauweiße Ionenstrahlen ausstoßend, und ordnete sich in geringer Höhe über der Oberfläche der Station zu Deltaformation.

»Noch fünf Sekunden«, sagte Karen. Sie stieß sich von ihrer Konsole ab und ließ ihren Sessel herumschwingen. »Wir können nichts tun«, meinte sie verzweifelt und sah mich von unten herauf an.

Ich sah gebannt zur Panoramafront hinaus. Die Riesenstation war zum Greifen nah.

Ein Zittern durchlief das Schiff. Ich hob im Reflex die rechte Hand, da ich durch den Aufprall nach vorne geschleudert zu werden fürchtete. Da gab es eine weitere Erschütterung. Die Exeter sackte nach unten weg, legte sich auf die Steuerbordseite und tauchte unter dem waffenstarrenden Ikosaeder hindurch.

»Um Gottes willen!«, entfuhr es mir.

Mündungen von Plasmakanonen und die starrenden Rohre von Antimateriemörsern waren auf uns gerichtet. Mit der Zerstörungskraft dieser Kampfstation konnte man einen Planeten vernichten. Und wir glitten daran vorbei wie ein zerbrechliches Segelschiff an einer schwer bewaffneten Piratenfestung. Hätten wir den Kran des Achterdecks ausgefahren, er hätte die äußersten Sensoren des Ikosaeders geschrammt. Wir bogen in die Äquatorebene des Monstrums ein, das wie ein riesiges plumpes Wagenrad über uns hinwegrollte. Nach furchtbaren Sekunden des Abwartens vergrößerte sich der Abstand wieder. Die schwarzen Strukturen des Todes wichen zurück und ließen den Planeten dahinter wieder sichtbar werden. Auf dem externen Kommunikationskanal meldete sich der Staffelführer der Deltaformation, die sich an unsere Seite setzte.

»Bereiten Sie sich auf die Landung vor«, sagte er barsch. »Wir werden Sie eskortieren.«

Ich bestätigte und ließ den Kanal wieder zuschnappen.

»Sie wollten uns nur ein bisschen erschrecken«, sagte ich mit künstlicher Heiterkeit.

»Das ist ihnen auch gelungen«, gab Tusker zurück.

Tyrone saß statuarisch an seinem Platz. Er hatte sich während der ganzen Zeit nicht gerührt und ließ auch jetzt keine Entspannung erkennen.

»Keine Zeit für Sprüche«, meinte er rau. »Noch haben wir’s nicht überstanden.« Und indem er mich ernst und mit gerunzelter Stirn ansah, fügte er hinzu: »Im Gegenteil!«

3.

Nachdem wir auf dem riesigen Flugfeld aufgesetzt hatten, einem großen See aus grauem Flachbeton, blieben wir noch einige Sekunden erschöpft in den Sitzen hängen. Langsam schaltete einer nach dem anderen die Kraftfeldgurte ab, die wir während der Landung zur Sicherheit aktiviert hatten.

»Da wären wir«, sagte Tyrone. Er gab sich keine Mühe, seiner Stimme einen unbesorgten oder gar feierlichen Klang zu geben. Eher schwang der Sarkasmus eines Verurteilten darin, der vor der Guillotine zu stehen kommt.

»Karen«, sagte ich. »Wenn der Leitstrahl abgeschaltet ist, programmierst du die Automatik so, dass sie keine externen Signale mehr akzeptiert. Das Schiff wird ausschließlich persönlicher Stimmenidentifikation durch Dr. Tyrone, dich oder mich unterstellt.«

Mit dem müden Lächeln, das ihr so unwahrscheinlich gut stand, sah sie mich an. »Der Leitstrahl ist aber nicht ausgeschaltet. Sie haben einen Bannstrahl auf das Schiff gerichtet, der es am Boden hält. Wir sind in ihrer Hand.«

Ich atmete tief durch und stand langsam auf. Plötzlich fühlte ich mich sehr alt. Ich war bei Dutzenden wissenschaftlichen Explorationen als Kommandant des Explorers dabei gewesen und hatte gedacht, eine solche Eskorte wäre nur ein Spaziergang und eine willkommene Abwechslung. Aber allmählich musste ich mir sagen, dass ich etwas zu leichtfertig an die Sache herangegangen war.

»Was sollen wir nun tun?«, fragte ich, und solange wir im kleinen Zirkel der Brücke unter uns waren, legte ich keinen Wert darauf, meine Ratlosigkeit zu verbergen.

»Wir können gar nichts tun«, sagte Tyrone, »als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.«

Ich gab ihm recht. Dann trat ich an die Konsole und vergewisserte mich, dass ich wenigstens die internen Funktionen der Exeter kontrollieren konnte. Ich öffnete die Schotten, die während der Annäherung an den Planeten und während des Landeanfluges geschlossen gewesen waren, und gab eine Meldung an die Passagiere durch. Wenig später trafen wir zu einer improvisierten Besprechung in der Messe zusammen. Die Männer, die den Anflug in ihren persönlichen Kabinen verbracht hatten, schienen von dem bedenklichen Manöver im Orbit nichts mitbekommen zu haben. Einzig Kanzler Vandergast raunte mir zu, der Vorbeiflug an dem Ikosaeder sei aber reichlich knapp vonstattengegangen.

»Ihr Leitstrahl hat uns gesteuert«, erklärte ich lächelnd. »Reine Einschüchterung. Glauben Sie, wir sollten deswegen protestieren?«

»Auf gar keinen Fall«, ging Tyrone sofort dazwischen. »Das wollen sie ja gerade provozieren. Wir werden auf den Vorfall mit keinem Wort eingehen.«

Vandergast dachte einen Moment lang nach, dann stimmte er Tyrone zu.

»Kein Öl ins Feuer gießen«, sagte er gedehnt.

»Das heißt nicht«, knurrte der oberste Planetologe, »dass wir uns alles gefallen lassen. Wir geben ihnen hier Kredit; und wenn es um die Wurst geht, zeigen wir ihnen umso härter ihre Grenzen auf.«

Ich nickte steif zu allem, was gesagt wurde. Politik hat mich noch nie interessiert. Über Vandergasts Schulter hinweg erhaschte ich Karens Zwinkern, die schon wieder fröhlich schmunzelte. Natürlich ging es in dem Gespräch zwischen den beiden alten Männern auch darum, wer in der Delegation das Sagen hatte und die offiziellen Direktiven durchgab. Vandergast war der eigentliche Delegationsleiter; aber Tyrone würde Verhandlungsführer sein. Er hatte es in den Kolonialkriegen bis zum Oberstleutnant gebracht und sich auch den Respekt des militärischen Gegners erworben; nicht zuletzt, wie gemunkelt wurde, weil er auch die eigenen Mannschaften ordentlich rangenommen hatte. Obwohl seit Jahrzehnten in der zivilen Erforschung des Universums tätig, war er zum Großteil ein Soldat geblieben, der sich hoffentlich auch in den anstehenden Verhandlungen Gehör verschaffen würde. Mehr jedenfalls als der schöngeistige, aber völlig harmlose Vandergast. Dr. Riegevar, dessen weißer Haarschopf wieder besonders wirr um seinen länglichen Schädel hing, und der gelbhäutige Kommissar Jankebist kamen auf mich zu, schüttelten mir die Hand und dankten mir für die komfortable Passage.

»Man tut, was man kann«, sagte ich förmlich.

Ich fragte mich, ob diese Politiker unsere Sache wirklich gut vertreten würden. Nicht zuletzt, um sie wieder loszuwerden, rief ich den Chef der Wachmannschaft zu mir. Es war ein junger Captain, der sich die ganze Zeit am Rande der Messe aufgehalten hatte, von wo er alle Ausgänge übersehen und in Blickkontakt mit mir stehen konnte. Als ich jetzt mit fragender Miene nach ihm Ausschau hielt, kam er sofort durch das Gedränge der Adjutanten und Assistenten, die Vandergast begleiteten, baute sich vor mir auf und nahm Haltung an.

»Captain Pearson«, erläuterte ich ihm seinen Auftrag. »Sechs Ihrer Männer werden uns als Eskorte begleiten. Sie bleiben mit den übrigen hier und sichern das Schiff.«

Er nickte zackig. Ich sah, wie er die Kiefer aufeinanderbiss und wie seine Backenmuskeln unter den glatt rasierten Wangen arbeiteten.

»Unsere … Gastgeber«, fuhr ich in gedämpftem Tonfall fort, »haben einen Bannstrahl auf unser Schiff geschaltet, der es am Boden festhält. Sie, Captain, werden jedoch verhindern, dass irgendjemand diesen Explorer betritt, der dazu nicht ausdrücklich durch mich oder einen anderen Repräsentanten der Union ermächtigt ist.«

Er salutierte, knallte die Hacken zusammen und legte die Hand wieder an die Hosennaht.

»Sollte sich jemand gewaltsam Zugang zum Schiff verschaffen wollen, haben Sie Feuererlaubnis.«

Damit entließ ich ihn. Ich vergewisserte mich, dass die drei Beamten und ihr Begleitpersonal bereit zum Aussteigen waren. Mit einem Blick durch die seitliche Panoramascheibe versuchte ich, die Lage einzuschätzen. Die sechs Kampfgleiter waren in geringen Abständen neben uns niedergegangen und hatten einen eng geschnittenen Kreis um die Exeter gebildet. Mit ihren Bordkanonen konnten sie uns atomisieren, ehe wir auch nur die geringste Chance hatten, die Schilde hochzufahren; abgesehen davon, dass diese von dem Bannstrahl deaktiviert worden waren. Von einem der flachen Hangars, die in der Ferne sichtbar waren, näherte sich jetzt das Empfangskommando. Ich ließ die Hauptschleuse öffnen und die Gangway ausfahren. Dann ging ich als Erster von Bord, gefolgt von den sechs Mann unserer kleinen Wachmannschaft. Die Atmosphäre dieses Planeten war kühl und muffig. Sie roch wie ein Zimmer, in dem eine große Zahl an Lebewesen zusammengepfercht ist und das seit Langem nicht mehr gelüftet worden ist, also genau wie auf der Zentralwelt Sina. Ich wusste, dass sie nur einen geringen Sauerstoffgehalt und dafür eine höhere Konzentration an Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen aufwies. Sie war gerade noch atembar, aber nicht dazu angetan, unser Wohlbefinden auf dieser düsteren Welt zu fördern.

Sowie ich das Rollfeld betreten hatte, ging ich zur Seite, um Vandergast und den anderen den Vortritt zu lassen. Eine Paradeeinheit hatte inzwischen Aufstellung genommen. Jetzt begann sie, die Hymne der Union zu spielen, in grauenhaft verzerrten Klängen, von denen ich mir nicht sicher war, ob sie auf Unfähigkeit beruhten oder eine Verhöhnung darstellten. Ein schwer gepanzerter Schwebegleiter näherte sich, dem das Begrüßungskomittee entstieg.

»Willkommen in Sindesa City«, rülpste der Anführer der gegnerischen Delegation.

Ich überlegte, an welche Spezies prähistorischer Echsen er mich erinnerte. Vor allem fiel mir wieder der pestilenzialische Gestank auf, den die Sineser verströmten. Stunde und Tage schwieriger Verhandlungen mit ihnen in geschlossenen Räumen zu verbringen, würde eine nicht geringe Willensprüfung werden.

Eine Reihe von Schwebegleitern fuhr vor, in die unsere Delegation nach und nach einstieg. Tyrone achtete darauf, dass in jedem Gleiter mindestens ein Mann unserer Wachmannschaft mitfuhr. Dann kam ein lederhäutiger Sineser auf uns zu und forderte uns auf, den nächsten Gleiter zu besteigen. Wir wurden ohne übertriebene Höflichkeit in den Fond geschubst. Dann ruckte das Gefährt an und schoss auf die Türme und Wohnsilos der Stadt zu, die den ganzen südlichen Horizont einnahmen und jetzt rasch in den Himmel wuchsen, als wir mit hoher Geschwindigkeit über den flachen Beton jagten.

»Vor fast zwei Generationen war das noch ein winziger Außenposten«, flüsterte ich Karen zu, die in betont stolzer und aufrechter Haltung neben mir saß. »Ein paar Minen, eine Verwaltungseinheit, ein kleines Vergnügungsviertel.«

Sie ließ weder die Umgebung noch den Chauffeur aus den Augen, der uns umgekehrt immer wieder scharf in den Spiegelmonitoren musterte, als sie sagte: »Ja, und heute ist es eines der Machtzentren eines Imperiums, das mehr Welten kontrolliert als die Union, diese immer weiter zurückdrängt und ihre höchsten Repräsentanten wie Bittsteller empfängt.«

4.

Die junge Tloxi, die uns an der Auffahrt zum Kongressgebäude in Empfang genommen und auf unsere Zimmer gebracht hatte, machte einen unterwürfigen Diener und verschwand. Ich sah mich in der Suite um, die geräumig und komfortabel war, von auftrumpfendem und aggressivem Luxus. Das war typisch für unsere Gastgeber. Die Sineser, lautete ein verbreitetes Sprichwort, geben einem Bettler nichts in seine Schale, sondern sie werfen ihm einen Goldklumpen an den Kopf. So war auch dieses Zimmer. In all den Annehmlichkeiten, die auf dem höchsten und modernsten Stand waren, lag etwas Verächtliches. Man hätte die automatische Nasszelle nicht benutzen können, ohne sich unwohl darin zu fühlen. Bei dem Blick auf die großzügige gravimetrische Matratze dachte ich wehmütig, was für ausschweifenden Liebesspielen sie Raum bieten könnte, die man in dieser Umgebung aber doch nicht genießen würde. Ich trat an das große Fenster und sah hinaus. Unsere Zimmer lagen mehrere hundert Meter hoch. Im Nordosten, im rechten Hintergrund des Panoramas, hoben sich die Tower des Raumhafens aus dem Dunst ab. Wesentlich näher, halblinks, ballten sich die Türme und Paläste des Banken- und Wirtschaftsviertels zusammen. Das Geschäftsviertel von Sindesa City. Hier schlug das lokale ökonomische Herz eines Imperiums, das mehrere hundert Welten kontrollierte. Drei Kulturen, drei Völker, drei Rassen lebten und arbeiteten hier zusammen. Noch vor einer Generation hatte eine friedliche Koexistenz möglich geschienen. Inzwischen ließen die Sineser keine Zweifel mehr daran, dass sie sich als die Herren dieses Teils der Galaxis fühlten – und dass ihre Ambitionen weit darüber hinausgingen.

Es klopfte an der Tür, und da ich mit Karen ausgemacht hatte, dass sie nach dem Einrichten zu mir kommen sollte, sagte ich einfach: »Herein.«

»Was für eine übertriebene und unangenehme Einrichtung«, bestätigte sie meine Gedanken von eben und stellte sich neben mich ans Fenster.

Der Fluß zog seine wie mit dem Zirkel gezogenen Mäander durch dieses Gebirge von einer Stadt. Sein graues Wasser nahm einen metallischen Glanz an, als sich die strontiumfarbene Sonne dieser Welt dem Untergang zuneigte. Gewaltige Schwebebrücken überspannten den Fluss. Mächtige Fronten aus Glas und Bauquarz säumten den Bogen, der selbst eine einzige großtuerische sinesische Geste war. Weiter im Westen ahnte man die Verbreiterung des Flusses, dessen Delta den Hafen der Stadt aufspannte. Wenn unsere Fenster zur anderen Seite hinausgegangen wäre, hätten wir vielleicht den Ozean sehen können. So lagen nur die innere City und die nordöstlichen Quadranten der Metropole unter uns. Millionen Fensterscheiben, Pfeiler, Träger und Pylone glühten in intensivem Zinnoberrot auf; dann war der Fluss ins Dunkel gefallen wie ein schwarzer Schriftzug, der in das brennende Email der Stadt eingegraben war.

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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
520 стр.
ISBN:
9783957770486
Издатель:
Правообладатель:
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