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1. Kapitel

Nimwegen: Der junge Peter Kanis und sein Blick in die Zukunft

Der Bub, der auf dem linken Flügel des Nimwegener Renaissance-Flügelaltars vom Ende der 1520er Jahre hinter seinem Vater kniet und betet, blickt unter seinem Pagenschnitt etwas versonnen in die Welt hinein. Als Betrachter fragt man sich unwillkürlich, woran er wohl denkt. Nachzudenken gäbe es für ihn genug: Der 1521 geborene Peter Kanis ist noch keine zehn Jahre alt, aber er hat in seiner überschaubaren Vergangenheit schon einiges erlebt, das einen ins Grübeln bringen könnte.24 Vor allem: Seine Mutter Jelis van Houweningen ist erst vor Kurzem gestorben und hat ihn und seine jüngeren Schwestern Wendelina und Philippa als Halbwaisen zurückgelassen. Sie ist auf dem gegenüberliegenden rechten Flügel des Altars mit ihren insgesamt sechs Töchtern abgebildet, von denen fünf – inklusive Philippa – früh gestorben sind. Dass ihr einziger Sohn später zu einem besonders eifrigen Marienverehrer geworden ist, der sich am Ende eines dicken Buches über Maria direkt an die Gottesmutter wendet und darum bittet, „dass mein Name nicht etwa in die Liste deiner Freunde oder Söhne, aber doch wenigstens deiner kleinen Schützlinge und Diener hineingeschrieben werde“25, ist von einer intimen Kennerin seines Lebens psychologisch mit diesem frühen Verlust der leiblichen Mutter erklärt worden.26

Aber nicht nur Peter, auch sein Vater Jacob Kanis musste mit diesem harten Verlust umgehen. Er tat es so, wie man es sich damals von einem gutsituierten Bürger erwartete: Zuerst gab er den Flügelaltar mit den Abbildungen seiner Familie auf dem linken und rechten Flügel und dem zentralen Bild der Kreuzigungsgruppe als Andenken an seine erste Frau in Auftrag – und sah sich dann als verantwortungsbewusster Vater so schnell wie möglich nach einer neuen Mutter für seine beiden unmündigen Kinder um. Zu dem Zeitpunkt, als der Altar fertig gestellt war, dürfte er sie bereits gefunden haben. 1530 wurde geheiratet. Wendelina van den Bergh, die ihrem Jacob in den kommenden Jahren ein volles Dutzend Kinder schenken sollte, wurde für den jungen Petrus Canisius glücklicherweise zu mehr als nur einer mehr oder weniger geduldeten Stiefmutter. Er blieb ihr bis zu ihrem Tod im Jahr 1557 eng verbunden, obwohl sie sich mit einigen seiner Lebensentscheidungen nicht leicht abfinden konnte und er sie immer wieder per Post ermahnte, dass sie in der Erziehung seiner zahlreichen Halbgeschwister zu lax sei. Seinen ersten erhaltengebliebenen Brief an sie unterzeichnete er als „Peter Kanis, dein Sohn, für immer dir in Gott ergeben“.27


Einem Flügelaltar (1526/30) verdanken wir das erste Porträt von Petrus Canisius im Alter von noch nicht einmal zehn Jahren. Er kniet betend hinter seinem Vater Jacob Kanis, der den Flügelaltar zum Andenken an seine verstorbene erste Frau in Auftrag gegeben hat.


Vielleicht hat der noch nicht zehnjährige Peter Kanis auf dem Flügelaltar aber nicht nur über die tiefgreifende Erfahrung des Verlusts seiner Mutter und dessen damals noch nicht ganz absehbaren Folgen für ihn und seine Schwester nachgedacht bzw. nachdenken müssen, sondern auch schon über seine persönliche Zukunft. Dass er auf dem linken Flügel des Altars als damals noch einziger Sohn und Erbe in Aussehen und Kleidung als verkleinerte Version seines Vaters Jacob unmittelbar hinter diesem abgebildet wurde, war nämlich nicht nur künstlerische Konvention. Jacob Kanis dürfte seine Zukunft schon damals relativ genau für ihn vorausgeplant haben, und klar war: Der kleine Peter sollte eines Tages in seine Fußstapfen treten und auf dem weiterbauen, was er als Vater grundgelegt hatte. Peter kam aus einer guten Familie und das sollte sich auch in seiner beruflichen und persönlichen Entwicklung widerspiegeln. – Jacob konnte auch wirklich zu Recht stolz auf sich und seine Lebensleistungen sein. Er hatte bereits eine höchst beeindruckende Karriere hinter sich, als er seine Familie auf dem Flügelaltar verewigen ließ, und sollte auch in weiterer Folge bis zu seinem Tod knapp fünfzehn Jahre später stets ein einflussreicher und hochgeachteter Mann bleiben. Nach rechtswissenschaftlichen Studien in Köln und Orléans war er in die Dienste von Herzog René II. von Lothringen getreten, für den er aber nicht nur in juristischen Angelegenheiten tätig war. Er hatte sich als sein Gesandter ausgezeichnet, war zum Erzieher der herzoglichen Söhne ernannt worden und hatte sich für seinen Brotherrn auch als Verwalter und Gouverneur der Festung Mayenne erfolgreich engagiert. Als es ihn schließlich doch wieder in seine Heimatstadt Nimwegen zurückzog, war er aufgrund seiner Leistungen in den Adelsstand erhoben worden und konnte zudem fortan Jahr für Jahr mit einem Geldgeschenk des dankbaren Herzogs rechnen. Zurück in Nimwegen gründete er 1519 im nach den damaligen Vorstellungen für einen Mann perfekten Alter von 30 Jahren eine Familie mit der vermögenden Apothekerstochter Jelis van Houweningen. Von einem Rückzug ins Familien- und Privatleben konnte allerdings auch jetzt keine Rede sein. Er engagierte sich mit größtem Einsatz in der kommunalen Politik und wurde insgesamt neunmal zum Bürgermeister von Nimwegen gewählt. Sein mühsam erarbeitetes Renommee blieb ihm auch in dieser neuen Lebensphase über die Stadtmauern hinaus weiter erhalten. So vertrat er im Jänner 1540 seinen Landesfürsten, den Herzog von Geldern, bei der vierten Hochzeit des berüchtigt heiratswütigen englischen Königs Heinrich VIII., diesmal mit der unglücklichen Anna von Kleve. Kurz vor seinem Tod Ende Dezember 1543 leistete Jacob noch im September als erster Vertreter des Magistrats von Nimwegen seine Unterschrift unter den Vertrag von Venlo, mit dem das Herzogtum Geldern nach längeren Konflikten an Kaiser Karl V. fiel.28

Eine solche Musterbiographie wünschte sich der honorige Nimwegener Patrizier Jacob Kanis auch für seinen Sohn Peter. 1535 und damit nur wenige Jahre nach der Anfertigung des familiären Flügelaltars wurde der 14-Jährige deshalb ins nahe Köln auf der deutschen Seite des Rheins geschickt. Bis dahin hatte er eine eher mäßige elementare Schulbildung genossen. Das sollte sich nun ändern: Im Jänner 1536 wurde er an der Kölner Universität und damit an der Alma Mater seines Vaters immatrikuliert. Das Ziel war klar definiert: Auch aus dem kleinen Peter sollte ein Jurist werden. Das sollte der erste Schritt in einer erfolgreichen Karriere nach väterlichem Vorbild werden. Seine Studienerfolge waren dann auch wirklich bemerkenswert. Er machte bereits im gleichen Jahr seinen Abschluss als Bakkalaureus, wurde im Jahr darauf zum Magister artium promoviert und ging dann auf väterlichen Druck nach seinem Lizentiat 1539 ins belgische Löwen, um dort auch noch Kirchenrecht zu studieren. Ein ganzer Jurist musste entsprechend der seinerzeitigen Vorstellungen nämlich auch in diesem Fach firm sein. Aber es war bereits zu spät: Der noch nicht zwanzigjährige Peter hatte mittlerweile seine eigene Berufung gefunden und die passte so gar nicht zu den Plänen seines Vaters. Er wollte sein Leben ganz und gar der Religion widmen – und zwar ganz sicher nicht als Kirchenrechtler.

Tatsache ist nämlich, dass sich Peter Kanis bereits im frühen Kindesalter nicht nur mit dem Tod der Mutter und mit den ausgesprochenen oder unausgesprochenen väterlichen Plänen für seine berufliche Zukunft auseinandersetzen hatte müssen. Er hatte bereits damals mit geistlichen Erfahrungen zu ringen gehabt, die ihn innerlich tief bewegten und herausforderten. Vielleicht waren es gerade diese Erfahrungen, die den versonnenen jungen Patriziersohn, der vom Nimwegener Flügelaltar herausblickt, schon im Alter von noch nicht einmal zehn Jahren im tiefsten Inneren beschäftigten. Immerhin erinnert er sich als alter Mann daran, „dass ich schon als Knabe ernstlich über die Wahl einer heilsamen, mir zusagenden Lebensweise nachdachte“29. Glücklicherweise wissen wir, wie eine für ihn besonders prägende religiöse Erfahrung aus dieser frühen Phase seines Lebens konkret ausgesehen hat: Der Vielschreiber Petrus Canisius war normalerweise ein nur wenig auskunftsfreudiger Protokollant seiner innersten seelischen Erfahrungen. Aber um das Jahr 1570 herum berichtete er in seinen autobiographischen Bekenntnissen mit untypischem Gefühl davon, was er irgendwann im Alter zwischen acht und zehn Jahren in der Nimwegener Stephanskirche erlebt hatte. Man führt sich diese eindrucksvolle religiöse Erfahrung am besten in seinen eigenen Worten zu Gemüte:

„Ich war noch ein Knabe, als ich einst in der Kirche des heiligen Erzmärtyrers Stephanus zu Nymwegen betete und deinen hochheiligen Leib, o Herr, neben dem Hochaltar demütig flehend verehrte. Ich kann nicht die Gnade vergessen, die du mir als Kind bei dieser Gelegenheit erwiesen hast. […] Ich glaube bestimmt, daß du, o Herr, diesen Geist der Furcht und frommer Besorgnis erweckt und erhalten hast, damit ich in der unbeständigen und zum Leichtsinn neigenden Jugendzeit an deiner Furcht gleichsam einen Erzieher und Beschützer hätte und nicht so leicht auf verkehrte Wege gerate. Denn du durchbohrtest ‚mit der Furcht vor dir mein Fleisch‘, damit ich anfinge, mich vor deinen Gerichten zu fürchten.“30

Vielleicht kommen bei dem einen oder anderen angesichts dieser massiven Betonung der Furcht vor Gott am Beginn des spirituellen Lebens von Petrus Canisius alle möglichen und unmöglichen (jedenfalls aber anachronistischen) Vorbehalte gegen eine solche religiöse Erfahrungswelt auf. Aber egal, ob man das, was Petrus Canisius hier beschreibt, im Einzelnen für gut oder weniger gut hält, sicher ist, dass man auch noch ein halbes Jahrtausend später durch die ungewohnte fromme Sprache hindurch eine große spirituelle Empfindsamkeit hören kann. Petrus Canisius war offenbar schon als Bub für innerliche Erfahrungen empfänglich, die ihn sehr früh zu einer sehr bewussten und tiefempfundenen Religiosität geführt hatten.31 Diese religiöse Empfindsamkeit lässt sich nicht soziologisch mit der damaligen Selbstverständlichkeit von religiösen Überzeugungen erklären. Man wird ihr auch nicht gerecht, wenn man sie psychologisch auf das Pflichtgefühl gegenüber seiner verstorbenen Mutter zurückführt, die ihre Familie auf dem Sterbebett eindringlich ermahnt hatte, sich angesichts der religiösen Umwälzungen der frühen Reformation, die in den 1520er Jahren auch in Nimwegen überdeutlich spürbar geworden waren, niemals von der katholischen Kirche abzuwenden. Sie war für ihn eine echte Herzenssache.

Wahrscheinlich hat Jacob Kanis schon lange, bevor er seinen Sohn zum Studium nach Köln geschickt hatte, geahnt, dass Peter aus einem anderen Holz geschnitzt war als er selbst. Peter hatte sich schon in Nimwegen in einem Milieu bewegt, das vom Streben nach spiritueller Innerlichkeit bestimmt war, und er hatte sich darin offenbar wohlgefühlt wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Seine Mutter war fromm gewesen, seine Stiefmutter war fromm. Noch dazu war sie nicht nur die Schwester eines späteren Hofkaplans von Kaiser Ferdinand I., sondern (und für Petrus Canisius viel wichtiger) die Nichte der bekannten niederländischen Mystikerin und Begine Maria van Oisterwijk. Zur erweiterten Familie gehörte dann auch noch die Großtante Reinalda van Eymeren, die mit Die evangelische Perle das letzte große Werk der flämisch-rheinischen Mystik verfasst hat.32 Mit beiden Frauen kam der junge Peter in näheren Kontakt.33 Bei seinen Gesprächen mit ihnen wurden Dinge zur Sprache gebracht, die sich ihm tief ins Gedächtnis einbrannten und seine weitere geistliche Biographie maßgeblich beeinflussen sollten. Reinalda, die oft im Nimwegener Bürgermeisterhaus zu Gast war, sagte ihrem jungen Verwandten Peter schon vor seinem Umzug nach Köln bei einer Gelegenheit „die Gründung eines neuen Priesterordens voraus, […] dem auch ich mich anschließen werde“, obwohl doch damals „noch kein Mensch an die Jesuiten“ dachte. Maria van Oisterwijk ihrerseits erklärte ihrem Stiefgroßneffen etwas später, „ich würde einst durch meine schriftstellerischen Arbeiten der Kirche gute Dienste leisten“. So jedenfalls erinnerte sich der als Schriftsteller berühmtgewordene Jesuit Petrus Canisius mehr als ein halbes Jahrhundert später und bekräftigte, was wie eine allzu fromme Geschichte klingt, mit dem größtmöglichen Nachdruck: „Bei Gott, ich erdichte nichts; ich gebe nur der Wahrheit Zeugnis.“34


Nikolaus van Essche (1507–1578) war der maßgebliche geistliche Mentor von Petrus Canisius in seiner Zeit an der Universität Köln. Seine von der Kartäuserfrömmigkeit geprägte mystische Religiosität hat auf den jungen Studenten großen Eindruck gemacht.

Kupferstich von J. B. Berterham, um 1700.

Dass ihn sein Vater aus dieser religiös durchtränkten Umgebung nach Köln geschickt hatte, führte nicht zu einer Eindämmung der spirituellen Neigungen Peters durch die nüchternen Anforderungen des Studiums, ganz im Gegenteil. In Köln wurde er nicht nur zuerst Mitglied der von seinen Landsleuten dominierten Montanerburse, die sich dem wichtigsten mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin als ihrem geistigen Patron verschrieben hatte, sondern kam dann vor allem als Untermieter in das Studentenpensionat von Andreas Herll, wo er unter die geistliche Führung von Nikolaus van Essche geriet. Dieser van Essche stand unter anderem auch mit Maria van Oisterwijk in engem Kontakt, die bereits 1530 nach Köln übersiedelt war. Er machte den jugendlichen Peter noch intensiver mit der ihm bereits aus seiner Nimwegener Heimat in Ansätzen bekannten spätmittelalterlichen Frömmigkeitstradition der Devotio moderna vertraut, der es in erster Linie um die innerliche Unmittelbarkeit des Menschen zu Gott ging und nicht so sehr um äußerliche religiöse Formen und Rituale.

Zudem lehrte er ihn, die Bibel als einen geistlichen Fahrplan in eine solche persönliche Beziehung zu Gott hinein zu lesen, und förderte die Vertrautheit Peters mit dem Evangelium, indem er ihn täglich einen kurzen Textabschnitt daraus meditieren und auswendig lernen ließ. Hier dürfte der Anfang der unglaublichen Bibelfestigkeit von Petrus Canisius liegen, die einige seiner Biographen sogar zur Vermutung veranlasst hat, dass er die ganze Bibel oder mindestens wesentliche Teile auswendig gekannt haben muss.

Für seine zukünftige geistliche Entwicklung vielleicht noch wichtiger war aber, dass van Essche ihn mit der Kölner Kartause unter ihrem berühmten Prior Gerhard Kalckbrenner und so mit einem der pulsierendsten Zentren spirituellen Lebens im katholischen Milieu des römisch-deutschen Reiches intensiv in Kontakt brachte. Van Essche wurde auf diese Weise ein wichtiges Verbindungsglied in die religiöse Zukunft seines jungen Schützlings. Für Peter Kanis sollten die Kartäuser von Köln nämlich zu enorm wichtigen Geburtshelfern in sein zukünftiges geistliches Leben als Jesuit hinein werden.

Für den nüchternen Jacob Kanis musste es scheinen, dass sein Sohn mit dem Beginn seiner Studien vom frommen Regen Nimwegens in die noch frömmere Traufe Kölns gekommen war. Für Peter selbst dagegen war es wie ein Heimkommen. Sein spiritueller Appetit wuchs, je mehr er von Spiritualität umgeben war. Jacob versuchte, ihm anders beizukommen und ihn doch noch auf Schiene zu bringen, diesmal mit Hilfe einer hübschen Erbin, die ihn ins großbürgerliche Leben eines Nimwegener Bürgermeistersohnes locken sollte. Als auch das scheiterte und Peter sich in einem privaten, aber nach den damaligen Vorstellungen bindenden Gelübde im Alter von 18 Jahren auf lebenslange Keuschheit verpflichtete, bemühte sich Jacob in einer letzten Aufwallung väterlichen Engagements, aus Peters offensichtlich unüberwindlicher Berufung ins religiöse Leben das Beste zu machen, was nach seinen Maßstäben noch möglich war. Peter sollte zu seiner standesgemäßen Versorgung wenigstens eine gut dotierte geistliche Pfründe im Kölner Domkapitel erhalten, die er als Bürgermeister von Nimwegen verleihen durfte. Man wird Jacob nicht unrecht tun, wenn man ihm unterstellt, dass er seinem Sohn damit eine kirchliche Karriere ermöglichen wollte, die ihn bei seinen offensichtlichen Talenten vielleicht sogar bis zum Bischofsamt geführt hätte. Aber Peter verweigerte sich auch diesmal. Er wollte anders, nämlich echt geistlich leben, und beharrte gegen alle väterlichen Vorstellungen darauf, seinen eigenen Weg zu finden, wie das für ihn möglich war. Dass das Leben eines Kirchenfürsten für ihn jedenfalls nicht der geeignete Weg war, stand für ihn offensichtlich von allem Anfang an außer Frage.

Vielleicht hat sich dieses unaufhörliche jugendliche Ringen mit den väterlichen Erwartungshaltungen und Plänen auch unmittelbar auf seine späteren theologischen Überzeugungen ausgewirkt. Dass Petrus Canisius etwa zwanzig Jahre später in seinem berühmten Kleinen Katechismus das alttestamentliche vierte Gebot der Ehrerbietung gegenüber den Eltern auffällig stark aus dem familiären Zusammenhang herauslöste und es vor allem als Gebot der Unterordnung unter die kirchliche Obrigkeit interpretierte, könnte man durchaus in diesem Sinne verstehen.35 Sicher ist jedenfalls, dass er selbst als Jugendlicher die väterliche Autorität eher als belastend für seine religiöse Entwicklung empfunden haben dürfte, die Repräsentanten der kirchlichen Welt dagegen als diejenigen, die ihm seinen Traum von einem echt geistlichen Leben ermöglichten. – Es ist auf diesem Hintergrund kein Wunder, dass das erste geschriebene Wort, das uns von Petrus Canisius erhalten ist, „PERSEVERA“ lautet: „Halte durch!“ Er hatte es als 17-jähriger Student in Köln in Großbuchstaben oben auf die erste Seite seines Schulheftes geschrieben. Es war genau die Zeit, als sich immer deutlicher abzeichnete, dass sich seine eigenen Pläne und die seines Vaters grundsätzlich nicht auf eins bringen ließen. Da hieß es entweder nachgeben oder durchhalten. Petrus Canisius entschied sich mit Nachdruck und in Großbuchstaben für das Durchhalten. Es sollte das Motto seines Lebens werden.


Auf dieser ersten Seite eines Schulhefts des 17-jährigen Petrus Canisius findet sich in Großbuchstaben sein Lebensmotto: „PERSEVERA“ (Halte durch!) – und andere nützliche Notizen wie z. B. ein Rezept gegen Nasenbluten.

Was dann passierte, könnte man sich nicht symbolträchtiger vorstellen: So wie der rebellische Teenager Peter Kanis Schritt für Schritt aus den Plänen seines Vaters verschwand, so verschwand schließlich auch der noch nicht zehnjährige Bub Peter Kanis aus dem Familienbild auf dem Nimwegener Flügelaltar. Er wurde etwa um 1580 herum übermalt mit seinem Halbbruder Gerit Kanis, dessen Lebensweg mehr nach dem Geschmack Jacobs war und der nach dem Tod des Vaters zum Oberhaupt der Familie werden und ihn viel später auch noch als Bürgermeister von Nimwegen beerben sollte. Wer diese massive Retusche am Flügelaltar in die Wege geleitet hat, wissen wir nicht. Genauso wenig wissen wir, ob sich Peter davon getroffen fühlte, dass man ihn aus dem Doppelporträt mit seinem Vater quasi ausradiert hatte (oder ob er vielleicht sogar erleichtert war). Als Jacob im Dezember 1543 im Sterben lag, war er aber jedenfalls sofort nach Nimwegen aufgebrochen. Er hatte seinen lange gesuchten geistlichen Weg jenseits der väterlichen Welt kaum mehr als ein halbes Jahr zuvor endlich gefunden. Im Mai war er zum ersten Mitglied der Gesellschaft Jesu aus dem römisch-deutschen Reich geworden. In seinen zahlreichen Briefen und vielfältigen anderen Schriften gibt es keinen Hinweis, wie sich Petrus Canisius angesichts des Todes des Vaters gefühlt haben mag. Allerdings gab er etwa ein Vierteljahrhundert später in seinen Bekenntnissen eine gewisse Furcht um das Seelenheil des Vaters zu Protokoll, der „viele Fehler begangen und manches nicht gesühnt hat“36. Ein anderer seiner Halbbrüder, Derick Canisius, der auch Jesuit geworden war, erinnerte sich viel später jedoch daran, dass Peter diesem Problem unmittelbar am Totenbett des Vaters auf seine typische Art begegnet war: Er bat „nach dem Tode seines Vaters die ganze Nacht unter vielen Tränen Gott […], seinem Vater Verzeihung und Frieden zu schenken. Und Gott, der Vater der Erbarmungen hörte seine kindlichen Seufzer und tat Canisius kund, daß sein Vater und seine Mutter im Himmel seien.“37

Einen vielleicht noch intimeren – und biographisch versöhnlicheren – Einblick in das komplizierte Vater-Sohn-Verhältnis als diese sehr fromme Erinnerung bietet das, was Petrus Canisius selbst etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später in seinem letzten Lebensjahr an seinen Neffen schrieb: „Mach deinem Namen Jakobus keine Schande; du hast dir ja mit diesem Namen das Leben meines Vaters zum Vorbild genommen, und du weißt wohl, welch seltene und hervorragende Fähigkeiten er hatte.“38 Die Befreiung aus der väterlichen Welt hatte seinen Traum von einem geistlichen Leben überhaupt erst möglich gemacht. Aber trotzdem blieb er bis zu seinem Tod mit spürbarem Stolz der Sohn des Jacob Kanis, der sich nicht nur unermüdlich um seine eigene Karriere gesorgt hatte, sondern genauso unermüdlich (wenn auch erfolglos) auch um die Karriere seines Sohnes.

Das Bild des jungen Peter Kanis auf dem Nimwegener Flügelaltar wurde erst bei einer Restaurierung im Jahr 1988 hinter der nachträglichen Übermalung wieder freigelegt, nachdem es kurz zuvor mit Hilfe von Röntgenstrahlen dort wiederentdeckt worden war. Der Altar wird heute in dieser ursprünglichen Form im Stadtmuseum von Nimwegen aufbewahrt.39 Erst seit damals blickt dieser noch nicht zehnjährige Bub mit seinem versonnenen Blick wieder in eine ihm noch weitgehend unbekannte Welt hinein – eine Welt, die er als Erwachsener vor allem auf religiöser Ebene wie kaum einer seiner Zeitgenossen im religiös höchst turbulenten 16. Jahrhundert mitgestaltet hat. Dazu musste er aber aus der väterlichen Welt von Nimwegen ausbrechen und nach neuen Welten Ausschau halten.

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335 стр. 59 иллюстраций
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9783702239312
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