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DRITTES KAPITEL

»Besorg dir ein Pessar«, brummte Dick zum Abschied, als er sie am anderen Morgen mit energischem Griff zur Tür schob. Dottie war wie vom Donner gerührt. In ihrer Verwirrung verstand sie: »Besorg dir ein Pekari«, und durch ihr verstörtes Gemüt huschte filmgleich das Bild des borstigen Nabelschweins aus der Zoologiestunde. Entsetzliche Erinnerungen an Krafft-Ebing stellten sich ein und an das Mädchen, das sich in Vassar einmal einen Ziegenbock gehalten hatte. War das etwa eine Variante des Witzes von der alten Jungfer, die sie eigentlich kennen sollte? Tränen traten ihr in die Augen, die sie zurückzudrängen suchte. Anscheinend hasste Dick sie für das, was sich in der Nacht zwischen ihnen abgespielt hatte. Manche Männer benähmen sich hinterher so, wenn sie ihren Begierden freien Lauf gelassen hätten, behauptete Kay.

Ihr Frühstück war äußerst unerfreulich gewesen. Dick hatte es zubereitet und sich nicht von ihr helfen lassen. Rühreier und Kaffee und der Rest eines Kranzkuchens aus der Bäckerei – weder Obst noch Fruchtsaft. Beim Essen sprach er fast kein Wort, gab ihr einen Teil der Zeitung und vertiefte sich, kaffeetrinkend, in den Sportteil und die Annoncen. Als sie ihm den Nachrichtenteil geben wollte, schob er ihn ungeduldig von sich. Bis dahin hatte sie sich gesagt, dass er vielleicht mit dem falschen Fuß aufgestanden sei, wie Mama zu sagen pflegte. Papa war auch schon mal morgens schlecht gelaunt. Jetzt allerdings erkannte sie, dass es sinnlos war, sich noch weiter etwas vorzumachen – sie hatte ihn verloren. Im Schlafrock, mit zerzaustem Haar, dem grausamen, bissigen Lächeln und dem bitteren Spott erinnerte er sie an jemand. Hamlet – natürlich –, der Ophelia von sich stößt. »Geh in ein Kloster.« – »Ich liebte Euch nicht.« Aber sie durfte nicht wie Ophelia sagen: »Umso mehr wurde ich betrogen.« (Was die Klasse für die ergreifendste Stelle des ganzen Stückes hielt.) Dick hatte sie ja nicht betrogen, sie selbst hatte sich etwas vorgemacht. Sie starrte ihn an und schluckte schwer; eine Träne stahl sich aus einem Auge.

»Ein Empfängnisverhütungsmittel für Frauen«, erläuterte Dick ungeduldig. »Ein Stöpsel. Du bekommst ihn bei einer Ärztin. Frag deine Freundin Kay.« Nun dämmerte es ihr. Ihr Herz tat einen Freudensprung. Bei einem Menschen wie Dick, so frohlockte ihr weiblicher Instinkt, war das sicher die Sprache der Liebe. Aber man durfte einen Mann nicht merken lassen, dass man seiner auch nur eine Sekunde lang nicht sicher gewesen war. »Ja, Dick«, hauchte sie und drehte den Türknauf hin und her, während ihr schmelzender Blick ihm verriet, welch erhebender Moment dies sei, so etwas wie ein gegenseitiges Gelöbnis. Zum Glück würde er nie darauf kommen, dass sie an das Pekari gedacht hatte! Ihr beseelter Gesichtsausdruck veranlasste ihn, eine Braue zu heben und die Stirn zu runzeln. »Ich liebe dich nicht, das weißt du, Boston«, sagte er warnend. »Ja, Dick«, erwiderte sie. – »Und du musst mir versprechen, dass du dich nicht in mich verliebst.« – »In Ordnung, Dick«, erwiderte sie noch leiser. – »Meine Frau findet, ich sei ein Schweinehund, aber im Bett mag sie mich noch immer. Damit musst du dich abfinden. Wenn du das willst, soll es mir recht sein.« – »Ich will es, Dick«, sagte Dottie mit schwacher, aber fester Stimme. Dick zuckte die Achseln. »Ich glaub’ dir nicht, Boston. Aber wir können es ja versuchen.« Er lächelte nachdenklich. »Die meisten Frauen nehmen mich nicht ernst, wenn ich meine Bedingungen stelle. Hinterher leiden sie. Insgeheim wollen sie mich in sie verliebt machen. Ich verliebe mich aber nicht.« Dotties warme Augen blickten ihn spitzbübisch an. »Und Betty?« – Er wandte den Kopf nach der Fotografie. »Du glaubst, ich liebe sie?« Dottie nickte. Er sah sehr ernst aus. »Ich werde dir etwas sagen«, erklärte er. »Ich habe Betty lieber als alle Frauen, die ich gekannt habe. Ich bin noch immer scharf auf sie, wenn du das Liebe nennst.« Dottie senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Aber ihretwegen werde ich mein Leben nicht ändern, und deshalb ist Betty gegangen. An ihrer Stelle hätte ich dasselbe getan. Betty ist ganz Frau. Sie liebt Geld, Abwechslung, Aufregung, Geselligkeit, Kleider, Besitz.« Er rieb sich den kantigen Unterkiefer mit dem Daumen, als brüte er über einem Kreuzworträtsel. »Ich hasse Besitz. Es ist komisch, denn es sieht so aus, als hasste ich ihn, weil er Beständigkeit bedeutet, nicht wahr?« Dottie nickte. »Aber ich liebe Beständigkeit; das ist ja das Unglück.« Er hatte sich in eine Erregung hineingesteigert; seine Finger zuckten nervös.

Dottie kam er plötzlich übertrieben kindlich vor, wie einer der vielen jungen Rettungsschwimmer in Cape Ann, die in ihren Booten am Strand auf und ab trieben und manchmal bei Mama im Cottage erschienen, um mit ihr über ihre Zukunft zu sprechen. Aber natürlich! So einer musste er, der in Marblehead unter den Urlaubern aufgewachsen war, auch einmal gewesen sein. Er hatte die Figur eines Schwimmers und sie konnte ihn sich vorstellen, wie er in der roten Mannschaftsjacke grübelnd im Rettungsboot saß. Mutter behauptete, dass die Zwischenstellung der jungen Männer, die zwar mit den Sommergästen zusammenkamen, aber nicht zu ihnen gehörten, sich in vielen Fällen auf ihr ganzes weiteres Leben auswirkte.

»Ich bin für ein männliches Leben«, sagte er. »Bars. Landleben. Fischen und Jagen. Ich liebe Männergespräche, die nichts Bestimmtes aussagen wollen, sondern sich ewig im Kreis bewegen. Darum trinke ich. Paris passte zu mir – all die Maler, Journalisten und Fotografen. Ich bin der geborene Heimatlose. Wenn ich ein paar Dollars oder Francs habe, bin ich zufrieden. Ich werde es als Maler nie zu etwas bringen, doch ich kann zeichnen und leiste anständige, saubere Arbeit. Aber ich hasse Veränderungen, Boston, und ich selbst ändere mich auch nicht. Das ist der Grund, warum ich mit Frauen nicht auskomme. Frauen erwarten von einer Beziehung, dass sie sich ständig verbessert, und wenn sie das nicht tut, glauben sie, sie verschlechtert sich. Sie glauben, dass ich sie, je länger ich mit ihnen schlafe, umso lieber haben werde, und wenn dem nicht so ist, dann meinen sie, ich sei ihrer überdrüssig. Aber für mich bleibt es immer gleich. Wenn es mir beim ersten Mal gefällt, dann weiß ich, dass es mir auch weiterhin gefällt. Du hast mir heute Nacht gefallen und wirst mir weiterhin gefallen. Aber bilde dir bloß nicht ein, dass du mir mit der Zeit besser gefallen wirst.« Bei den letzten Worten nahm seine Stimme einen zänkischen, drohenden Ton an. Er sah böse auf sie hinunter und wippte in seinen Hausschuhen auf und ab. Dottie spielte mit der zerfransten Quaste seines Schlafrockgürtels. »Ja gut, Dick«, flüsterte sie. – »Wenn du das Ding hast, kannst du es herbringen. Ich hebe es für dich auf. Ruf mich an, wenn du bei der Ärztin gewesen bist.« Schaler Alkoholdunst schlug ihr entgegen. Sie trat einen Schritt zurück und wandte den Kopf zur Seite. Sie hatte gehofft, Dick besser kennenzulernen, aber seine seltsamen Lebensanschauungen nahmen ihr jetzt auf einmal allen Mut. Wie sollte sie ihn zum Beispiel in den Sommer einbauen? Er schien sich nicht klarzumachen, dass sie genau wie sonst nach Gloucester fahren musste. Wenn sie verlobt wären, könnte er sie dort besuchen, aber das waren sie natürlich nicht und würden es auch nie sein. Das hatte er deutlich zu verstehen gegeben. Nun, da sie seine Bedingungen kannte, meldeten sich, zu ihrem Entsetzen, die ersten Zweifel. Was, wenn sie ihre Jungfernschaft durch einen Menschen verloren hatte, der ihr nicht nur Angst machte, sondern, wie er selbst sagte, auch durch und durch nichts taugte?

Sekundenlang hing Dottie in der Luft, aber ihr war die Überzeugung anerzogen worden, dass es ein Zeichen von schlechter Klasse sei, seiner Menschenkenntnis zu misstrauen. »Ich kann dich nicht ausführen«, sagte er jetzt sanft, als habe er ihre Gedanken erraten. »Ich kann dich nur einladen hierherzukommen, wann immer du in der Stadt bist. Ich habe dir nichts zu bieten als mein Bett. Ich gehe weder ins Theater noch in Nachtlokale und nur selten in Restaurants.« Dottie öffnete den Mund, aber Dick schüttelte den Kopf. »Ich mag keine Damen, die meine Rechnungen zahlen wollen. Was ich mit meinen Plakaten und Gelegenheitsarbeiten verdiene, genügt für meine bescheidenen Bedürfnisse. Fahrgeld, Alkohol und ein paar Konserven.« Dotties gefaltete Hände machten eine Geste des Mitleids und der Reue. Sie hatte vergessen, dass er arm war. Natürlich sprach er deswegen so barsch und kurz angebunden über die Fortsetzung ihrer Beziehung – sein Stolz zwang ihn dazu. »Du musst dir keine Gedanken machen«, beruhigte er sie. »Ich habe eine Tante in Marblehead, die mir hin und wieder einen Scheck schickt. Eines Tages, falls ich lang genug lebe, beerbe ich sie. Aber ich hasse Besitz, Boston – verzeih, wenn ich in dir die Angehörige einer bestimmten Klasse sehe. Ich hasse die Gier nach Besitz. Ich mache mir nichts aus dieser Gesellschaft im Umbruch.« Dottie fand, es sei an der Zeit, gelinde zu protestieren. Dicks Tante wäre wohl kaum mit seinen Ansichten einverstanden. »Aber Dick«, sagte sie ruhig, »es gibt falschen und echten Besitz. Wenn jeder so denken würde wie du, hätte sich die Menschheit nie weiterentwickelt. Dann würden wir noch immer in Höhlen wohnen. Ja, nicht einmal das Rad wäre erfunden! Der Mensch braucht einen Anreiz, wenn auch vielleicht nicht immer einen finanziellen …« Dick lachte. »Du bist sicher die fünfzigste Frau, die mir das sagt. Es spricht für die Allgemeinbildung von euch Mädchen, dass ihr, kaum trefft ihr Dick Brown, sofort von Rad und Hebelkraft redet. Eine französische Prostituierte belehrte mich sogar über den Drehpunkt.« – »Leb wohl, Dick«, sagte Dottie rasch, »ich darf dich nicht von der Arbeit abhalten.« – »Willst du denn nicht meine Telefonnummer haben?«, fragte er und schüttelte in gespieltem Vorwurf den Kopf. Sie reichte ihm das blaulederne Adressbuch, und er trug mit einem dicken Zeichenstift schwungvoll seinen Namen und die Telefonnummer seiner Zimmerwirtin ein. Er hatte eine sehr markante Handschrift. »Bis dann, Boston.« Er nahm ihr langes Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte es zerstreut hin und her. »Also, vergiss nicht: keinen Unsinn machen. Nicht verlieben. Ehrenwort.«

Ungeachtet dieser Abmachung hüpfte Dotties Herz vor Glück, als sie drei Tage später neben Kay Petersen im Wartezimmer der Ärztin saß. Taten bedeuten mehr als Worte, und was immer Dick sagen mochte, es war eine Tatsache, dass er sie hergeschickt hatte, um gleichsam durch den Ring oder das ringförmige Pessar, das die Ärztin verschrieb, ferngetraut zu werden. Mit frisch gewelltem Haar und einem leuchtenden Teint, dem man die Kosmetikbehandlung ansah, wirkte sie ruhig und selbstsicher, wie eine zufriedene, erwachsene Frau, fast wie Mama und ihre Freundinnen. Das Wissen um die Dinge verlieh ihr diese Gelassenheit. Kay hatte es kaum glauben wollen, aber Dottie hatte ganz allein eine Beratungsstelle für Geburtenkontrolle aufgesucht. Dort hatte man ihr die Adresse einer Ärztin gegeben sowie einen Stapel von Prospekten über eine Unzahl verschiedener Pessare mit allen Vor- und Nachteilen – Tamponeinlagen, Schwammeinlagen, Intrauterinpessare, Portiokappen, Seidenringe, Ketten et cetera. Man hatte Dottie ein neues Fabrikat empfohlen, das von der gesamten Ärzteschaft der USA befürwortet wurde. Margaret Sanger hatte es in Holland entdeckt, man importierte es jetzt zum ersten Mal in großen Mengen in die Staaten und auch die einheimischen Hersteller durften es kopieren. Es vereinigte das Maximum an Schutz mit einem Minimum an Unannehmlichkeit und konnte, nach Anleitung eines Facharztes, von jeder halbwegs intelligenten Frau angewendet werden.

Diesen Artikel, eine auf einen Spiralrand montierte Gummikappe, gab es in verschiedenen Größen, und jetzt sollte in Dotties Scheide festgestellt werden, welche für sie die richtige und die bequemste sei, ähnlich wie man beim Augenarzt ein Brillenglas ausprobiert. Die Ärztin würde das Pessar einsetzen und, wenn sie die richtige Größe gefunden hatte, Dottie anleiten, wie man es einlegte, wie man es mit einer Verhütungscreme einschmierte, indem man einen Klecks davon in die Mitte tat, wie man in die Hocke ging, das Pessar mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zusammendrückte, mit der linken Hand die Schamlippen teilte und es dann so einschob, dass es auf den Gebärmutterhals aufsprang, und wie man schließlich mit dem Mittelfinger der rechten Hand nachfühlte, ob die Cervix oder der Gebärmutterhals auch wirklich ganz durch den Gummi verschlossen war. Wenn das mehrfach zur Zufriedenheit der Ärztin geübt worden wäre, würde Dottie lernen, wie und wann man eine Spülung machte, wie viel Wasser man verwenden, in welcher Höhe man den Irrigator aufhängen und wie man die Schamlippen fest um das eingefettete Mundstück drücken müsse, um die besten Resultate zu erzielen. Beim Verlassen der Praxisräume würde die Schwester ihr einen festen Umschlag aushändigen, der eine Tube Vaginalsalbe und ein flaches Kästchen mit dem Pessar enthielt. Die Schwester würde ihr dann noch die Pflege des Pessars erklären: Nach jedem Gebrauch waschen, sorgfältig abtrocknen und, bevor man es in den Kasten zurücklegt, mit Talkumpuder einstäuben.

Kay und Harald fielen fast in Ohnmacht, als sie erfuhren, was Dottie hinter ihrem Rücken getrieben hatte. Sie besuchte sie in ihrer Wohnung, brachte ihnen als Hochzeitsgeschenk ein antikes silbernes Milchkännchen mit – das typische Alte-Tanten-Geschenk – und einen Strauß weißer Pfingstrosen. Die tief enttäuschte Kay rechnete sich aus, dass man für dasselbe Geld etwas Schlichtes und Modernes bei Jensen, dem dänischen Silberschmied, bekommen hätte. Dann verschwand Harald in der Küche, um das Abendessen zu machen (Muschelhaschee auf Toast, eine Konservenneuheit), und Dottie erzählte Kay, die wissen wollte, was sie inzwischen erlebt habe, seelenruhig, dass sie sich Dick Brown zum Liebhaber genommen habe. Auf Dottie passte diese hoheitsvoll klingende Formulierung einfach grandios. Das musste Kay unbedingt Harald erzählen. Es war anscheinend erst vergangene Nacht passiert, in Dicks Atelier, und bereits heute war Dottie in die Beratungsstelle für Geburtenkontrolle gelaufen und hatte sich die vielen Prospekte besorgt, die jetzt in ihrer Handtasche steckten. Kay wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, aber ihr Gesicht verriet wohl, wie entsetzt sie war. Dottie musste verrückt geworden sein. Hinter seiner virilen Fassade, wie Harald das nannte, war Dick Brown ein völlig verkorkster Mensch, ein Trinker und erbitterter Weiberfeind mit einem grässlichen Minderwertigkeitskomplex, weil seine mondäne Frau sich von ihm getrennt hatte. Seine Motive waren völlig klar – er benutzte Dottie, um an der Gesellschaft Rache zu nehmen für die Wunde, die sie seinem Ego zugefügt hatte. Kay konnte es kaum erwarten, wie Harald die Sache psychologisch zerpflücken würde, sobald sie erst allein wären. Aber trotz aller Ungeduld forderte sie Dottie auf, zum Essen zu bleiben, sehr zu Haralds Erstaunen, der ein Tablett mit Cocktails hereinbrachte. Wenn Harald erst im Theater war, würde Dottie bestimmt noch mehr erzählen. »Ich musste sie einladen«, entschuldigte sie sich bei einem kurzen Gespräch in der Küche. Sie flüsterte ihm ins Ohr: »Etwas Furchtbares ist passiert, und wir sind verantwortlich: Dick Brown hat sie verführt.«

Immer wieder sah sie Dottie an, aber sie konnte sie sich einfach nicht mit einem Mann im Bett vorstellen: Sie wirkte so brav, mit ihren Perlen, dem Schneiderkostüm mit weißem Besatz, dem eleganten marineblauen Strohhut und wie sie so heiter gelassen ihren Cocktail aus der Russel-Wright-Schale nippte und sich den Eiweißschnurrbart von der Oberlippe wischte.

Harald meinte später, sie sei auf ihre eichkätzchenhafte Art ein recht appetitliches Ding, mit diesen freundlichen braunen Augen, die stillvergnügt strahlten, und den langen Wimpern, die bei jedem Blick, den sie auf ihn richtete, zu flattern schienen. Doch er merkte nicht, wie viel auf das Konto ihrer Kleidung ging. Dottie verdankte es ihrer cleveren Mutter, dass sie sich so schick anzog. Sie war die Einzige aus der Bostoner Gruppe in Vassar, die sich nicht in Tweed und Wollschals hüllte, was die armen Dinger wie hagere ältliche Gouvernanten auf einem Sonntagsspaziergang wirken ließ. Nach Haralds Ansicht versprach ihre vollbusige Figur, die sich unter ihren schräg geschnittenen Blusen abzeichnete, ein sinnliches Temperament. Wahrscheinlich, das musste Kay sich eingestehen, hatte es tatsächlich etwas zu bedeuten, dass Dick selbst und anscheinend sogar aus eigener Initiative Dottie aufgefordert hatte, sich ein Pessar anpassen zu lassen. »Du sollst mich um Rat fragen?«, wiederholte Kay erstaunt und einigermaßen geschmeichelt, nachdem Harald gegangen war und sie zusammen das Geschirr spülten. Sie hatte immer geglaubt, dass er sie nicht leiden könne. Pessare waren ihr zwar ein Begriff, sie selbst jedoch besaß keines. Mit Harald benutzte sie immer Zäpfchen, und sie genierte sich ein wenig, das Dottie einzugestehen, da Dottie sie offenbar derartig überflügelt hatte, und das nach einer einzigen Nacht … Sie beneidete Dottie um ihre Tatkraft, mit der sie die Beratungsstelle für Geburtenkontrolle aufgesucht hatte. Sie selbst hätte als Unverheiratete niemals den Mut dazu aufgebracht. Ob es wohl ein gutes Zeichen sei, dass Dick ihr das nahegelegt hatte, wollte Dottie wissen, und Kay musste zugeben, dass es ganz so aussah. Es könne nur bedeuten, dass Dick regelmäßig mit ihr zu schlafen gedenke – wenn man das für gut hielt.

Als sie sich über ihre eigenen Gefühle Rechenschaft ablegte, entdeckte Kay, dass sie sich ärgerte. Der Gedanke, dass Dottie im Bett besser war als sie, wurmte sie. Aber um der Wahrheit willen musste sie Dottie doch sagen, dass Dick sich im Fall einer flüchtigen Affäre mit Präservativen (wie Harald es anfangs auch getan hatte) oder dem Coitus interruptus begnügt hätte. »Er scheint dich gern zu haben, Renfrew«, erklärte sie und wrang den Spüllappen aus, »oder jedenfalls gern genug.« Das war auch Haralds Meinung.

Auf dem Weg zur Ärztin, auf dem Oberdeck eines Fifth-Avenue-Busses, berichtete Kay Dottie alles, was Harald ihr über die Regeln der Verhütung gesagt hatte. Er behauptete, es sei eine Etikette wie jede andere – nämlich ein Sittenkodex, der sich aus den sozialen Gegebenheiten entwickle und vom wirtschaftlichen Standpunkt aus zu betrachten sei. Ein Ehrenmann (und das war Dick in Haralds Augen) würde einem Mädchen niemals zumuten, das Geld für die ärztliche Konsultation, das Pessar, die Salbe und den Irrigator auszugeben, wenn er nicht beabsichtigte, so lange mit ihr zu schlafen, bis ihre Auslagen sich amortisiert hatten. Davon könne Dottie überzeugt sein. Ein Mann, der nur an ein flüchtiges Abenteuer denke, würde lieber dutzendweise Präservative kaufen, selbst wenn sie sein eigenes Vergnügen beeinträchtigten. Auf diese Weise sei er nicht an das Mädchen gebunden. Die unteren Klassen zum Beispiel würden die Verhütung niemals der Frau überlassen. Das mache nur der Mittelstand. Ein Arbeiter mache sich entweder keine Gedanken wegen einer möglichen Schwangerschaft oder misstraue dem Mädchen zu sehr, um ihr die Sache zu überlassen.

Dieses Misstrauen, hatte Harald gesagt, das tief in der männlichen Natur wurzele, hindere selbst Männer des Mittelstandes oder gehobener Berufe, Mädchen wegen eines Pessars zur Ärztin zu schicken. Zu viele Blitzhochzeiten hätten ihre Ursache darin, dass der Mann sich darauf verließ, dass das Mädchen das Pessar eingelegt hatte. Außerdem war da noch das ganze problematische Drum und Dran. Das unverheiratete Mädchen, das bei seinen Eltern lebte, benötigte für Pessar und Irrigator ein Versteck, das die Mutter beim Aus- und Aufräumen der Kommodenschubladen nicht sofort entdecken konnte. Das hieß, dass der Mann – außer er war verheiratet – ihre Sachen in seinem eigenen Badezimmer aufbewahren müsse. Die Obhut dieser Gegenstände nehme die Form einer heiligen Hüterschaft an. Wenn ihr Hüter nun einigermaßen feinfühlig sei, so schließe das Vorhandensein der betreffenden Gegenstände in seiner Wohnung den Besuch anderer Frauen aus, die womöglich im Medizinschrank herumstöberten oder sich gar für berechtigt hielten, ihren geheiligten Irrigator zu benutzen.

Bei einer verheirateten Frau sei, wenn es sich um eine ernsthaftere Beziehung handle, die Situation die gleiche: Sie kaufe sich ein zweites Pessar und einen zweiten Irrigator, die sie in der Wohnung ihres Liebhabers deponiere, und das Vorhandensein dieser Gegenstände habe auf die Dauer einen hemmenden Einfluss, wenn er die Neigung verspürte, sie zu betrügen. Ein Mann, dem diese wichtige Ausrüstung anvertraut wird, so Harald, sei gewissermaßen wie ein Bankangestellter gebunden. Wenn er sich mit einer anderen Frau einlasse, so tue er das wahrscheinlich in ihrer Wohnung oder einem Hotelzimmer oder sogar in einem Taxi – an irgendeinem Ort, der nicht durch jene geheiligten Mahner geweiht sei. So verpfände auch die verheiratete Frau ihre Liebe, indem sie das zweite Pessar ihrem Liebhaber anvertraue. Nur eine sehr grob gestrickte Frau würde für ihren Mann wie für ihren Liebhaber dasselbe Pessar benützen. Solange der Liebhaber das Pessar in seiner Obhut habe, wie der mittelalterliche Ritter den Schlüssel zum Keuschheitsgürtel seiner Dame, könne er sich ihrer Treue sicher sein. Obwohl auch das einen Irrtum nicht ausschließe. Harald hatte die Geschichte von einer abenteuerlustigen Ehefrau erzählt, die in der ganzen Stadt Pessare deponiert hatte, wie ein Matrose, der in jedem Hafen eine Frau hat, wohingegen ihr Mann, ein vielbeschäftigter Theaterdirektor, sich ihrer ehelichen Treue zu vergewissern glaubte, indem er täglich das Kästchen im Medizinschrank inspizierte, wo wohleingepudert das eheliche Pessar lag.

»Harald hat die Sache offenbar eingehend studiert«, bemerkte Dottie verschmitzt. »Ich habe es sehr schlecht erzählt«, erwiderte Kay ernst. »Wenn Harald es erzählt, sieht man die ganze Sache unter dem Gesichtspunkt des Besitzes, dem Fetischismus des Besitzes. Ich riet ihm, für den Esquire darüber zu schreiben. Der bringt manchmal ganz gute Sachen. Findest du nicht auch, dass er es tun sollte?« Dottie wusste darauf keine Antwort. Sie fand Haralds Auffassung ziemlich unerfreulich, so kalt und durchdacht, wenn er auch eine Menge davon verstehen mochte. Es war jedenfalls etwas völlig anderes als das, was man den Prospekten über Empfängnisverhütung entnahm.

Ferner, zitierte Kay, bereite die Beseitigung von Pessar und Irrigator gewisse Schwierigkeiten, wenn eine Beziehung zu Ende sei. Was soll der Mann mit diesen hygienischen Reliquien anfangen, wenn er – oder die Frau – des anderen überdrüssig ist? Man könne sie nicht wie Liebesbriefe oder einen Verlobungsring durch die Post zurückschicken, obwohl auch das schon mancher Rohling getan hätte. Andererseits könne man sie auch nicht in den Abfalleimer werfen, wo Hausmeister oder Zimmerwirtinnen sie finden würden. Sie ließen sich nicht verbrennen, ohne einen fürchterlichen Gestank zu verursachen, und sie für eine andere Frau aufzuheben sei bei unseren bürgerlichen Vorurteilen undenkbar. Man könne sie eventuell, eingewickelt in Papier, spätnachts zu einem der öffentlichen Abfallkörbe tragen oder in den Fluss werfen, aber Freunde von Harald, die das einmal getan hatten, waren dabei tatsächlich von der Polizei ertappt worden. Wahrscheinlich hatten sie sich zu auffällig benommen. Die Beseitigung von Pessar und Irrigator, dem Corpus delicti einer Liebesaffäre, sei, wie Harald sich ausdrückte, genauso schwierig wie die Beseitigung einer Leiche. »Ich sagte, man könne es doch genauso machen wie die Mörder in einem Kriminalroman: sie in der Kofferaufbewahrung der Grand Central Station abgeben und dann den Aufbewahrungszettel wegwerfen.« Kay lachte in ihrer schallenden Art, aber Dottie schauderte. Es würde absolut nicht komisch sein, wenn sich ihr und Dick das Problem einmal stellen sollte. Sooft sie an die Zukunft dachte, an die entsetzlichen Komplikationen, die eine heimliche Liebesbeziehung mit sich brachte, hätte sie am liebsten aufgegeben. Und Kays Ratschläge, wenn auch zweifellos gut gemeint, schienen darauf angelegt, sie durch ihre Unerbittlichkeit und ihren Zynismus zu deprimieren.

Infolgedessen, fuhr Kay fort, schicke ein Junggeselle, der bei Verstand sei, ein Mädchen nur dann wegen eines Pessars zum Arzt, wenn ihm viel an ihr liege. Schwierigkeiten träten lediglich bei bürgerlich verheirateten Frauen oder bei Mädchen der Gesellschaft auf, die mit den Eltern oder anderen Mädchen zusammenwohnten. Es gebe freilich auch Frauen leichteren Kalibers, geschiedene Frauen und alleinstehende Sekretärinnen und Büroangestellte mit eigener Wohnung, die sich ihre Ausrüstung selbstständig besorgten und ihren Irrigator an die Badezimmertür hängten, für jeden sichtbar, der bei einer Cocktailparty einmal das Bad benutzen musste. Einer von Haralds Freunden, ein erfahrener Regisseur, besehe sich grundsätzlich immer erst das Badezimmer, bevor er etwas mit einem Mädchen anfange. Hinge der Irrigator an der Tür, könne er mit neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit beim ersten Versuch bei ihr landen.

Sie verließen den Bus an der unteren Fifth Avenue. Dotties Gesicht war voller Flecken – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie nervös war. Kay gab sich mitfühlend. Dies sei ein wichtiger Schritt für Dottie, sie habe Dottie eine Vorstellung davon vermitteln wollen, wie wichtig es sei, viel wichtiger als der Verlust ihrer Jungfräulichkeit. Für eine verheiratete Frau sei es natürlich etwas anderes. Harald sei gleich dafür gewesen, dass sie Dottie begleite und sich ebenfalls ein Pessar anpassen lasse. Sowohl sie wie auch Harald verabscheuten Kinder und hatten nicht die geringste Absicht, welche in die Welt zu setzen.

Kay hatte in ihrer eigenen Familie erlebt, welche Belastung Kinder für eine Ehe bedeuten können. Der vielen Geschwister wegen musste Papa schwer schuften. Hätte er nicht so viele Kinder gehabt, wäre er vielleicht ein berühmter Spezialist geworden statt ein hart schuftender praktischer Arzt, an dessen Leistungen auf orthopädischem Gebiet und in der Meningitisforschung nun eine Station des Krankenhauses erinnerte. Dem armen Papa hatte es richtig Spaß gemacht, sie in den Osten nach Vassar zu schicken. Sie war die Älteste und Gescheiteste, und sie war davon überzeugt, dass er ihr zu dem Leben verhelfen wollte, das er selbst hätte haben können, draußen in der großen Welt, wo er die Anerkennung gefunden hätte, die er verdiente. Er wurde heute noch zu Forschungsarbeiten in die großen Laboratorien des Ostens eingeladen. Aber er meinte, er sei jetzt zu alt, um noch zu lernen, er verkalke schon. Er hatte Kay und Harald gerade einen fürstlichen Scheck geschickt. Sie waren darüber zu Tränen gerührt gewesen – es war viel mehr, als Mutter und er jemals für die Fahrt und Unterkunft ausgegeben hätten, wenn sie zur Hochzeit gekommen wären. Es sei ein Vertrauensbeweis, hatte Harald gesagt. Und sie und Harald hatten nicht die Absicht, dieses Vertrauen dadurch zu enttäuschen, dass sie Kinder kriegten, bevor Harald sich in der Theaterwelt einen Namen gemacht hatte. Das Theater – seltsamer Zufall – war eine von Papas großen Passionen. Er und Mutter besuchten in Salt Lake City alle Vorstellungen durchreisender Theatergruppen und gingen, wenn sie zu Ärztekongressen nach New York kamen, fast jeden Abend in eine Vorstellung.

Wie alle modernen Ärzte war Kays Vater für Geburtenbeschränkung und für die Sterilisierung von Verbrechern und Asozialen. Er würde Kays Verhalten sicherlich richtig finden. Wie er Dotties Verhalten beurteilen würde, war eine andere Frage. Kay selbst war entsetzt, als sie hörte, dass Dottie sich unter ihrem vollen Namen angemeldet hatte: Dorothy Renfrew, nicht einmal »Frau«! Als lebten sie in Russland oder Schweden statt in den braven alten USA. Viele, die nichts dabei finden würden, dass sie mit Dick geschlafen hatte – das konnte jedem passieren –, würden sie scheel ansehen, wenn sie wüssten, was sie, Kay, gerade jetzt vorhatte. Was man privat tut, geht keinen etwas an, aber dies war ja geradezu öffentlich! Sie sah sich argwöhnisch auf der Fifth Avenue um. Man konnte nie wissen, wer einen vielleicht aus einem fahrenden Bus oder Taxi beobachtete.

Sie wurde jetzt, in Begleitung Dotties, nervös und gleichzeitig wurde sie immer ärgerlicher auf Dick. Harald hätte ihr so etwas nie zugemutet. Nach den ersten paar Malen war er selbst in den Drugstore gegangen und hatte ihr die Zäpfchen und eine Frauendusche gekauft, um ihr die Begegnung mit dem Drogisten zu ersparen. Kay packte Dottie am Arm und führte sie über die Straße. Sie verfluchte den Tag, an dem sie Dick, den sie ja kannte, zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Die Praxis der Ärztin konnte immerhin von der Polizei durchsucht, die Krankengeschichten konnten beschlagnahmt und in der Presse veröffentlicht werden, und das wäre das Ende für Dotties Familie, die dann wahrscheinlich Kay, als die erste Verheiratete der Clique, dafür verantwortlich machen würde. Sie empfand es als ein ziemliches Opfer, dass sie Dottie heute begleitete und moralisch stützte, obwohl diese ihr entgegenhielt, dass Geburtenregelung laut eines Gerichtsurteils, das Ärzten gestattete, Verhütungsmittel zu verschreiben, völlig legal und erlaubt sei.

Als sie bei der Ärztin läuteten, musste Kay plötzlich über Dotties Gesichtsausdruck lachen, über ihren entschlossenen Blick. Und tatsächlich spiegelte sich Dotties Eifer in der militanten Strenge des Wartezimmers, das der Geschäftsstelle einer missionierenden Sekte glich. Auf der Rückenlehne des einzigen Polstersofas lagen zwei weiße Kopfschoner, an der braungetönten Wand stand eine Reihe gradlehniger Stühle. Der Zeitschriftenständer enthielt Exemplare von Hygieia, Parents, Consumers’ Research Bulletin, eine der letzten Nummern der Nation und eine alte Nummer von Harper’s. Auf Radierungen an den Wänden waren überfüllte Elendsviertel mit rachitischen Kindern abgebildet, und die Lithographie einer Krankenhausstation aus dem vorigen Jahrhundert zeigte junge Frauen, die, ohne Pflege und ihre Säuglinge neben sich, im Sterben lagen – an Kindbettfieber, flüsterte Dottie. Im Raum herrschte eine fast fromme Stille, es gab keine Aschenbecher und das dumpfe Surren eines Ventilators tat ein Übriges. Kay und Dottie zogen automatisch ihre Zigarettenetuis hervor, steckten sie jedoch nach einem prüfenden Rundblick wieder ein. Außer ihnen warteten noch zwei Patientinnen. Die eine, eine blasse magere Frau von etwa dreißig, hatte ein Paar Baumwollhandschuhe auf dem Schoß liegen und trug keinen Ehering – worauf Dottie Kay wortlos aufmerksam machte. Die zweite Patientin, mit randloser Brille und abgetragenen Schuhen, war bestimmt schon über vierzig. Der Anblick dieser alles andere als wohlhabenden Frauen sowie der Bilder an den Wänden hatte auf die Mädchen eine ernüchternde Wirkung. Kay musste unwillkürlich an das Wort vom »heilsamen Wirken des Arztes« denken, das die Elite von Salt Lake City so gern auf ihren Vater anwandte, und schämte sich nun der zynischen Art, mit der sie, wenn auch nur Harald zitierend, im Bus über Geburtenregelung gesprochen hatte. »Mädchen, streckt eure Fühler aus«, war das Lieblingswort der Lehrerin gewesen, die Kay am meisten schätzte, und Kay, die an die zahlungsunfähigen Patienten ihres Vaters erinnert wurde, sah zu ihrem Unbehagen, dass sie und Dottie in dieser Praxis nicht mehr waren als eine dekorative Randerscheinung.

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