Читать книгу: «Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 4», страница 3

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Die Weihnachtsmondfee

Als Mia das Kinderzimmer betrat, sah sie ihre zwei Jahre ältere Schwester Nele vor dem Spiegel stehen. Die drehte sich selbst bewundernd davor hin und her.

„Ooch, wie schön du aussiehst“, staunte Mia mit großen Augen und ihr Mund blieb kreisrund offen stehen. Da war sie nur mal ganz kurz weg, mit Papa auf dem Weihnachtsmarkt, und schon passierten hier die aufregendsten Dinge. Mia wurde fast ein wenig aufmüpfig. „Das möchte ich auch!“, forderte sie.

„Schön, nicht wahr!“, sagte Nele voller Stolz und bewunderte ihren Kopf wie die Kundin beim Friseur. Sie strich sich durch ihr Haar, was heute nicht in dunklem Braun gerade einmal bis in den Nacken reichte. Nein. Neles Haare waren plötzlich lang. Doch was das Faszinierendste war: Sie schienen aus purem Silber zu sein. Es glänzte und glitzerte nur so auf Neles Kopf. Und wenn Nele ihn leicht bewegte, so spiegelte sich das Licht im funkelnden Haar und warf kleine Glitzersterne an die Wand. Und natürlich auch zu Mia, die davon und von Neles Schönheit vollkommen geblendet war.

„Woher hast du das?“, fragte Mia, die eben erst ihren Mund wieder zubekam.

„Das kann ich dir nicht verraten. Ist eben so ein Weihnachtsgeheimnis.“

Mit dieser Antwort wollte sich die kleine Mia keinesfalls zufriedengeben. Trotzig sagte sie: „Dann gehe ich eben zu Mama und frage sie.“

Nele eilte mit wehendem Silberhaar zur Tür, versperrte wie ein breitbeiniger Hampelmann ihrer kleinen Schwester den Weg und sagte: „Zu Mama kannst du jetzt nicht!“

Fragend sah Mia ihre Schwester an und Nele merkte, dass sie nun einen wirklich einleuchtenden Grund liefern musste, um zu verhindern, dass Mia Mama alles erzählte. Und zum Glück fiel ihr der ein: „Das Christkind ist im Wohnzimmer und schmückt den Weihnachtsbaum. Und Mama muss aufpassen, dass es alles richtig macht. Darum dürfen wir jetzt auf keinen Fall stören. Sonst würden wir das Christkind verschrecken und es würde niiiie wiederkommen.“

Mia nickte. Das stimmte natürlich. Dennoch wollte sie keinesfalls aufgeben. Eines war klar. Klein-Mia wollte ebensolch feines Silberhaar haben wie Nele. Doch dann schien ihr plötzlich klar zu sein, woher die Haare kamen. Voller Überzeugung sagte sie: „Jetzt weiß ich. Die sind vom Christkind.“

„Quatsch“, schüttelte Nele verneinend den Kopf. „Das Christkind hat noch keiner gesehen, außer Mama vielleicht.“

„Dann verrate mir endlich, wo du das Silberhaar her hast!“, forderte Mia etwas lauter und stemmte trotzig beide Arme in die Seiten.

„Pst!“, machte Nele und legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. Und dann flüsterte sie: „Na gut. Ich verrate es dir. Aber es muss ein Geheimnis bleiben!“

Mia nickte brav und in voller spannender Erwartung.

„Das Silberhaar hat mir die Weihnachtsmondfee gezaubert“, verriet Nele mit einem geheimnisvollen Glanz in den Augen.

Die Weihnachtsmondfee? Nun war Mia platt. Von einer Weihnachtsmondfee hatte sie noch nie etwas gehört. Nicht einmal Opa, der sonst alles weiß, hatte davon berichtet.

„Und was ist die Weihnachtsmondfee?“, fragte Mia ihre große Schwester.

Nele kratzte sich leicht am Kopf unter ihrem silbernen Pony, als schien sie zu überlegen, und dann antwortete sie: „Die Weihnachtsmondfee lebt auf einem Stern, gleich neben dem Mond. Meistens schläft sie, aber zu Weihnachten hilft sie dem Christkind oder dem Weihnachtsmann. Sie kann nur zu uns kommen, wenn der Mond in der Weihnachtszeit besonders schön strahlt und er sein Licht auf ein ganz besonderes Kind wirft.“

Mia zog düster ihre Stirn in Falten. Warum war Nele ein besonderes Kind und sie selbst nicht? Es schien immer ungerecht zwischen den Schwestern zuzugehen!

„Ich bin auch ein besonderes Kind“, sagte Mia trotzig. Jedenfalls sagte Opa immer: „Das sind zwei ganz besondere Mädchen.“ Zwei! Also meinte er auch sie.

„Na, wenn du denkst“, sagte Nele, „dass du auch besonders bist, dann komm mit!“

Leise schlichen sie an der Wohnzimmertür vorbei. Durch das milchige Glas der Scheibe nahmen sie die brennenden Lichter des Weihnachtsbaums wahr und eine Silhouette, die sich um ihn herum bewegte.

„Das Christkind“, flüsterte Mia.

Nele nickte und öffnete vorsichtig, ohne ein Geräusch zu erzeugen, die Wohnungstür zum Treppenhaus. Hier war es kühl und dunkel. Aus der Wohnung von Nachbarin Frau Grüner verteilte sich durch die geschlossene Tür ein Geruch von Gänsebraten durchs Haus.

„Wo gehen wir hin?“, fragte Mia, der nun ängstlich zumute wurde.

„Nach oben, auf den Dachboden natürlich“, flüsterte Nele zurück. „Wir müssen dem Mond so nah wie möglich sein.“ Gerade noch fand die große Schwester alles so gut und toll. Aber nun beschlich auch sie ein leicht mulmiges Gefühl. Fest fasste sie Mias Hand und gemeinsam stiegen sie die Stufen empor.

Als sie die Tür zum Dachboden öffneten, atmete ihnen ein kalter Hauch entgegen. Hier war es noch düsterer und es roch nicht mehr nach Frau Grüners Gänsebraten. Hier roch es nach Staub und altem Holz. Nele zog ihre Schwester mit sich bis zur Dachluke und dabei stöhnten ganz schauerlich unter ihren Füßen bei jedem Schritt die hölzernen Balken mit lautem Quietschen auf.

Mit großen Augen sahen die beiden Schwestern zur Luke hinauf. Nele griff den eisernen Riegel und stemmte das Fenster nach oben. Ein wilder Flockenwirbel tanzte auf die Mädchen herab. Es schneite. Der Schnee fiel aus den Wolken, und wenn Wolken am Himmel waren, so konnte man keinen Mond sehen. Das war klar.

„Da hast du aber Pech“, sagte Nele ganz und gar nicht traurig. „Wenn die Wolken den Mond nicht auf die Erde scheinen lassen, kann die Weihnachtsmondfee dich nicht sehen. Also werde ich wohl das einzige Mädchen mit so wundervollem Silberhaar bleiben.“

Aus Mias Augen quollen dicke, heiße Tränen hervor und ließen in ihnen die tanzenden Schneeflöckchen sofort schmelzen. Traurig sagte Mia: „Ich wollte aber auch besonders sein und solch wunderschön glänzendes Silberhaar haben wie du.“

Nele tat es leid, als sie ihre Schwester so traurig auf dem kalten dunklen Dachboden stehen sah. Kurz überlegte sie und sagte: „Ich hab’s! Du musst nur laut singen. Am besten Weihnachtslieder. Dann haben die Wolken vielleicht ein Einsehen. Sie rutschen beiseite, der Mond leuchtet auf uns herab und die Weihnachtsmondfee kann dich sehen und dir auch solch wunderschönes Haar zaubern.“

Nele glaubte zwar selbst nicht so recht daran, dass man mit laut gesungenen Weihnachtsliedern Wolken beiseite wünschen konnte. Aber sie hatte es ihrer Mia so überzeugend erzählt, dass die Kleine sofort begann, lautstark zu singen. „Bald nun ist Weihnachtszeit, fröhliche Zeit, jetzt ist der Weihnachtsmann gar nicht mehr weit …“

Das half nicht. Doch Mia gab nicht auf. Sie sang „Stille Nacht, heilige Nacht“. Und etwas lauter „Lasst uns froh und munter sein“ und noch lauter „Morgen Kinder wird’s was geben“. Und dann, als sie fast „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter“ schrie, hörte plötzlich der Flockentanz auf und wie ein Wunder blitzte zwischen den Wolken der Mond hervor. Mia musste fast die Augen ein wenig zusammenkneifen, so hell leuchtete ihr der Mond ins Gesicht.

„Jetzt wird sie mich sehen, die Weihnachtsmondfee“, freute sich Mia und klatschte vor Freude in die Hände. „Hier! Hier bin ich“, schrie sie zur Dachluke hinaus und winkte wie wild dem Mond glückselig zu.

Und da sprach plötzlich eine sanfte, liebe Stimme zu ihnen: „Was macht ihr beiden hier oben auf dem Dachboden?“

„Die Weihnachtsmondfee! Hast du das gehört? Da ist ihr Stern! Ich sehe sie!“, rief Mia staunend, zeigte nach oben und merkte, wie sich ganz zart auf ihren Kopf etwas legte.

„Hallo Mama“, stammelte Nele, die sich umgedreht hatte und nun erschrocken in das Gesicht der Mutter blickte. Dann fiel ihr Blick auf Mamas Hände, auf denen sie Pappschachteln mit dem Aufdruck von Christbaumkugeln sah. „Ich dachte, das Christkind schmückt den Weihnachtsbaum“, sagte Nele leicht vorwurfsvoll und freute sich, Mama sozusagen ertappt zu haben.

„Und ich dachte“, sagte Mama, „Lametta hängt man sich nicht auf den Kopf, sondern eben an den zu schmückenden Weihnachtsbaum.“

Das verstand Nele nicht. Soeben hatte Mama doch selbst Lametta auf Mias Kopf verteilt, sodass sie nun genau das gleiche Silberhaar hatte wie sie. Mia hatte von all dem natürlich nichts gemerkt, weil sie nur die Weihnachtsmondfee angehimmelt hatte.

„Und ich dachte“, hörte man Frau Grüner aus dem Hintergrund, „dass hier ein Weihnachtskonzert ist. Also mir hat die Musik gefallen.“

Jetzt mussten Nele und Mama lachen. Und Mia sagte: „Mama, guck mal! Auch ich bin ein besonderes Kind. Auch mir hat die Weihnachtsmondfee Silberhaar geschenkt. Jetzt sehe ich so schön aus wie Nele.“

„Ja, das habe ich schon immer gewusst“, sagte Mama, „dass meine beiden Mädchen etwas ganz Besonderes sind.“

„Und deswegen“, sagte Nele, die schon wieder einen überaus guten Einfall hatte, wie sie selbst meinte, „gibt es morgen ein Dachbodenweihnachtsmondfeekonzert. Mit den Solisten Nele und Mia. Da sind sie herzlich eingeladen, Frau Grüner. Und der Opa natürlich auch.“

„Und wer weiß“, sagte die kleine Mia geheimnisvoll. „Vielleicht zeigt sich die Weihnachtsmondfee ja noch einmal, sieht hier einen ganz besonderen Menschen und beschenkt ihn mit so wundervollem Silberhaar.“ Dabei guckte sie Mama ganz tief in die Augen und zwinkerte ihr hoffnungsvoll schmunzelnd zu.

Kathrin Sehland, Jahrgang 1964, lebt und schreibt in Wilkau-Haßlau, einem Ort am Flüsschen Mulde, wo vor einigen Hundert Jahren noch Wölfe durch dichten Wald streiften. Die Maschinenbauzeichnerin und Wirtschaftskauffrau ist verheiratet, hat zwei Kinder, hält sich mit Badminton fit und genießt die Fahrten per Rad entlang der fließenden Mulde.

*

Timothys Weihnachtswunsch

Shelleys Zeit auf Erden war vorbei.

Seit nun schon 38 Jahren weilte sie unter Engeln, Helden und all den anderen guten Lebewesen, die sich einen der Plätze im Himmel ergattert hatten. Ihr gefiel es, wo sie jetzt war: Es gab keine Sorgen, keinen Schmerz und keine Ungerechtigkeit. Doch oft musste sie an die Erde und ihre Menschen denken, selbst jetzt noch, nach so vielen Jahren.

Man sollte wissen, dass einigen besonders gutmütigen, gerechten und ehrlichen Menschen nach ihrem Leben einige besondere Dinge gewährt werden. So darf man zum Beispiel manchmal auf die Erde blicken und schauen, was seine Hinterbliebenen so machen, ob es ihnen gut geht. Und wenn man ‒ wie Shelley, die die Hauptfigur unserer Geschichte ist ‒ ein ganz außergewöhnlicher Mensch gewesen war, der immer mehr an andere als an sich selbst gedacht hat, auf den man sich immer verlassen konnte, der einen niemals enttäuschte, der sein letztes Hemd gegeben hätte, dann durfte man eine ganz spezielle Aufgabe erfüllen: Dann durfte man ein Mal im Jahr zurück auf die Erde, um Gutes zu tun und so Gott an diesem Tag ein wenig zu helfen. Den Tag dafür konnte man sich selbst aussuchen.

Natürlich suchte sich Shelley den Heiligabend aus, jedes Jahr wieder, denn der war immer ihr Lieblingstag gewesen. Sie erinnerte sich noch gut an all die Heiligabende: als Kind, als junge Mutter und später, als sie schon alt war und sich ihre ganze Familie um sie herum versammelt hatte. Sie hatte diese Zeit des Jahres geliebt, die Weihnachtszeit und freute sich nun sehr, die Heiligabende weiterhin auf Erden verbringen zu dürfen.

Jedes Jahr suchte sie sich einen ganz besonderen Menschen aus, dem sie etwas Gutes tun wollte. Sie hatte den Menschen schon immer gern geholfen und sie war der Meinung, dass die Erfüllung eines Weihnachtswunsches tausendmal soviel wert war wie die eines einfachen Wunsches. Als Shelley in diesem Jahr zurück auf die Erde geschickt wurde, wusste sie noch nicht, wem sie helfen würde. Manchmal hatte man schon eine Idee, denn manche Gebete waren lauter im Himmel zu hören als andere, und einige waren so unglaublich laut, dass man keine Ruhe hatte, bis sie endlich erfüllt waren.

Die Menschen wussten nicht, dass sie die meisten Dinge selbst in der Hand hatten und die meisten Gebete unnötig waren, dass sie nur ein wenig mehr Vertrauen in sich selbst haben mussten. Wenn sie nur den Anfang machten, half man ihnen auch gerne weiter. Das Unmögliche war nicht erfüllbar, so konnte ein 50-Kilo-Mann kein Schwergewichtsboxer werden oder ein kleines Mädchen Präsidentin der Vereinigten Staaten. Doch natürlich verstanden die Menschen das jetzt noch nicht, wie so viele andere Dinge auch.

Shelley landete in diesem Jahr in New York City, direkt am Rockefeller Center, wo einer der größten Weihnachtsbäume stand, wunderschön erleuchtet und von Hunderten von Menschen betrachtet.

Unter ihnen war ein kleiner Junge von etwa acht Jahren, er stand ganz allein in der Menge. Shelley gesellte sich zu ihm, und als er zu ihr aufblickte, und sie seinen traurigen Blick wahrnahm, wusste sie, wer in diesem Jahr ihr Auserwählter sein sollte.

„Hallo!“, sagte sie.

„Hallo!“, sagte auch er.

„Ich heiße Shelley. Was machst du hier so ganz allein am Heiligabend?“

„Mein Vater hat mich hier abgestellt und gesagt, ich solle mich nicht rühren. Er kommt mich später wieder abholen. Ich bin Timothy.“

„Dann ist er bestimmt losgegangen, um Geschenke zu kaufen“, vermutete Shelley.

„Nein, ich hab noch nie ein Geschenk von ihm bekommen. Er sitzt bestimmt in irgendeiner Kneipe und trinkt ein paar Biere.“

Das fand Shelley unglaublich traurig. Timothy war so ein niedlicher kleiner Junge, wie konnte man ihn nur so behandeln? „Wo ist denn deine Mutter?“, fragte sie.

„Die ist weg. Ich weiß nicht wo. Eines Tages war sie einfach nicht mehr da.“

Das wurde ja immer trauriger. „Du Armer, das tut mir aber leid“, sagte Shelley. „Vielleicht kann ich dir eine kleine Freude machen. Was ist dein größter Weihnachtswunsch?“

„Den kann mir keiner erfüllen.“

„Ich vielleicht schon. Ich hab gute Kontakte, weißt du?“

Da erhellte sich Timothys Gesicht ein wenig. „Ich wünsche mir einen Butterfinger Schokoriegel.“

Damit hatte Shelley nun nicht gerechnet. Einen besseren Vater, die Rückkehr der Mutter, ein neues Spielzeug, irgendetwas, aber nicht das. „Das ist dein größter Weihnachtswunsch? Wenn du dir wünschen könntest, was du wolltest?“ fragte sie ungläubig.

Timothy nickte.

„Aber wieso?“

„Weil ich einmal einen von meiner Mom bekommen habe, als sie noch da war. Und ich weiß noch, wie lecker er geschmeckt hat. Seitdem wünsche ich mir noch einen. Aber mein Dad meint, wir haben kein Geld für einen solchen Luxus. In der Schule haben einige Kinder manchmal einen Butterfinger Riegel dabei. Und jedes Mal wünsche ich mir, ich hätte auch einen.“

So etwas war ihr in 38 Jahren noch nicht passiert. Die meisten Leute wünschten sich wichtige Dinge. Shelley hatte Menschen geheilt, vermisste Familienmitglieder wieder zueinander geführt, einen Lottogewinn ermöglicht und einmal sogar zum Frieden eines ganzen Landes beigetragen. Shelley war ratlos. Sollte sie ihm einen Schokoriegel beschaffen und das wäre es dann gewesen? Dazu war sie auf die Erde zurückgekehrt?

„Wünschst du dir denn nicht doch etwas Anderes?“, fragte sie hoffnungsvoll.

Doch Timothy schüttelte den Kopf. Dann überlegte er. „Kann ich mir wünschen, was ich will?“

„Klar, was du willst.“

„Dann wünsche ich mir eine ganze Packung Butterfinger Riegel.“

Shelley blieb nichts anderes übrig. Sie sagte ihm, sie würde gleich zurück sein und sie konnte Timothys Gesicht ablesen, was er dachte. Sie würde ihn auch einfach da stehen lassen. Sie würde sich bestimmt nie wieder blicken lassen.

Doch ein paar Minuten später war Shelley wieder da und brachte ihm eine große Familienpackung Butterfinger Riegel. Man kann sich nicht die Freude vorstellen, die Timothy ausstrahlte, das alles erfüllende Glück. Er fiel ihr in die Arme und bedankte sich tausend Mal.

„Danke, danke, danke. Sie müssen ein Engel sein. Wie kann ich Ihnen nur jemals danken?“

„Das ist wirklich Dank genug, Timothy. Schön, dass du dich so freust.“

Und das tat Timothy, ehrlich. Er öffnete die große Packung und nahm einen Riegel heraus. Er wickelte ihn vorsichtig aus und biss ab. Es schien das Beste zu sein, das er jemals gegessen hatte und er machte genüssliche Geräusche.

„Na dann, Timothy, ich muss nun wieder los. Ich wünsche dir frohe Weihnachten“, verabschiedete sich Shelley nach einer Weile.

„Das ist das schönste Weihnachten aller Zeiten. Vielen, vielen Dank!“

Shelley kehrte zurück und im Himmel angekommen, berichtete sie den Anderen von dem außergewöhnlichen kleinen Jungen, den sie heute getroffen hatte. Dieser bescheidene Junge, der alles hätte haben können, der aber so leicht zufriedenzustellen gewesen war.

Sie hatte schon viele Wünsche erfüllt, doch obwohl es der kleinste aller kleinen Wünsche gewesen war, hatte Shelley nie zuvor solche Freude und Glückseligkeit gesehen. Sie war froh, Timothy erwählt zu haben. Und wenn von nun an im Himmel von Bescheidenheit oder wahrer Freude oder echter Dankbarkeit die Rede war, fiel als Allererstes Timothys Name.

Manuela Inusa wurde am 17.09.1981 in Hamburg geboren. Sie ist gelernte Fremdsprachenkorrespondentin und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Hamburg. Ihre Hobbys sind Lesen, Schreiben und Reisen (besonders in die USA).

*

Philipp sucht den Winter

Traurig betrachtete Philipp den lustigen Schneemann, der als Fensterbild an der Scheibe des Kinderzimmers klebte. Draußen schien die Sonne, es war ein milder Tag. Philipp seufzte, in drei Tagen war Weihnachten und weit und breit kein Schnee. Von der Zimmerdecke baumelten an durchsichtigen Fäden einige Schneeflocken aus Watte. Die hatten Philipp und seine Mama aufgehängt. Letzten Winter hatte es auch nicht geschneit. Nur wenn Philipp aus dem Fenster sah, konnte er auf den Bergspitzen ein wenig Schnee erkennen.

Am Abend seufzte der Junge: „Mama, ich wünsch mir dieses Jahr vom Christkind, dass es viel schneit. Dann bau ich einen Schneemann, so wie den auf dem Fensterbild.“

„Philipp, schlaf gut und träume was Schönes. Vielleicht kommt ja noch ein bisschen Schnee bis zum Heiligen Abend“, tröstete Mama und gab ihm einen Gutenachtkuss. Bald war der Bub eingeschlafen.

Philipp wachte auf, weil etwas Kaltes über seine Wange strich. Der Junge blinzelte und vor ihm stand der Schneemann vom Fensterbild.

„Hallo Philipp, gehst du mit mir den Winter suchen?“

Verwundert blinzelte er den Schneemann an.

„Aber weißt du denn, wo der Winter wohnt?“, fragte Philipp.

„Ich habe heute von einem Sperling gehört, dass sich der Winter weit in den Norden zurückgezogen hat. Wir gehen in den Norden und suchen ihn. Dann bitten wir ihn, zu uns zu kommen“, erklärte der Schneemann.

„Wo Norden ist, weiß ich, das hat mir mein Papa gezeigt. Bei den Bergen, auf denen noch ein wenig Schnee liegt, dort ist Norden“, meinte Philipp. Er hüpfte aus dem Bett und zog sich rasch an. Der Junge steckte noch schnell eine Watteschneeflocke ein. Die wollte er dem Winter schenken. Dann lief er zur Türe hinaus.

„Nicht so schnell“, rief der Schneemann und wackelte hinter Philipp her. Philipp und sein Freund verließen das Haus und gingen auf die Berge zu.

Die Sonne schien und der Schneemann begann zu schwitzen. „Philipp, mir ist so warm und die Berge sind so weit weg“, jammerte der Schneemann.

Plötzlich leuchtete vor ihnen ein prächtiger Regenbogen auf und eine freundliche Stimme säuselte: „Ich habe gehört, ihr wollt den Winter suchen. Ich werde euch helfen. Steigt auf, ich bringe euch zu den Bergen hoch.“ Die Freunde kletterten auf den Regenbogen und der spannte sich und wurde immer länger, bis er knapp unter die Gipfel der Berge reichte. Vorsichtig rutschten Philipp und der Schneemann den Regenbogen entlang und landeten auf einem Schotterfeld.

„Danke, Regenbogen, du hast uns sehr geholfen“, rief Philipp und winkte, bis der Regenbogen verblasst war. Dem Schneemann ging es auch gleich besser, denn so hoch auf dem Berg war es kälter als im Tal. „Wo sollen wir den Winter jetzt suchen?“, fragte Philipp.

„Hallo, ihr da unten. Der Regenbogen hat mir erzählt, dass ihr den Winter besuchen wollt. Da kann euch nur der Nordwind helfen und der wohnt am höchsten Gipfel der Berge!“, erklang eine Stimme über Philipp. Erstaunt sah Philipp in die Höhe und bemerkte einen großen Steinadler, der über ihnen seine Kreise zog. „Kommt, steigt auf meinen Rücken, ich bringe euch zu ihm!“

Philipp und der Schneemann setzten sich auf den Rücken des Adlers, dieser erhob sich in die Lüfte und flog mit ihnen auf den höchsten Gipfel des Berges. „Ich wünsch euch noch viel Glück“, rief der Adler, nachdem er die zwei Freunde abgesetzt hatte.

„Hui, ich bin der Nordwind und habe gehört, ihr geht den Winter suchen. Ich werde euch dabei helfen, denn ich möchte so gerne wieder die Schneeflocken vor mir hertreiben und hohe Schneewirbel in die Luft blasen. Immer nur über kahle, trockene Hänge zu wehen ist langweilig!“ Mit diesen Worten blies auf einmal der Nordwind um Philipp und den Schneemann.

„Nicht so stürmisch, Nordwind, du bläst uns ja um! Aber danke für deine Hilfe, die nehmen wir gerne an“, lachte Philipp. Der Nordwind umfasste die beiden mit einem Luftwirbel und trug sie hoch auf den Gipfel des Berges.

Vorsichtig setzte der Wind die Freunde ab und rief ihnen zu: „Findet die Kälte, dann ist der Winter nicht mehr weit!“

Die Freunde gingen weiter. „Brr, es wird kalt“, sagte der Junge und sein Atem bildete kleine weiße Wölkchen.

„Ja, ja ich spüre es auch. Richtig angenehm!“, lachte der Schneemann. Nach der nächsten Wegbiegung blitzte ihnen ein Eisschloss entgegen.

„Da drinnen wohnt sicher die Kälte. Schau nur die langen Eiszapfen, die vom Dach herunter hängen“, rief Philipp.

„Hallo, Kälte, hörst du uns? Wir suchen den Winter!“, riefen die zwei. Mit einem Schlag wurde es eisig kalt und ein Flimmern und Leuchten von vielen feinen Schneekristallen schwebte durch die Luft.

„Ja, ich weiß, dass ihr den Winter sucht. Ich habe euch schon beobachtet. Der Winter ist traurig und hat sich in einen Raum im Eisschloss zurückgezogen“, wisperte eine Stimme aus der Schneekristallwolke.

„Warum ist er traurig?“, wollte Philipp wissen.

„Als der Winter und ich das letzte Mal auf der Erde waren, schimpften die Menschen über den vielen Schnee und die große Kälte. Von allen Seiten hörten wir, wie unnötig wir seien und wie beschwerlich wir das Leben der Menschen machten. Darum will der Winter nicht mehr auf die Erde kommen!“, flüsterte die Kälte.

„Führe uns zu ihm. Ich werde ihn bitten, wieder zu uns Kindern zu kommen.“

Die Kälte blies einen eisigen Luftstrom um die Freunde. „Ich will auch wieder auf die Erde. Die Seen sollen zufrieren. Lange Eiszapfen müssen von den Dächern hängen und Schneeblumen auf den Fenstern blühen. Ja, das hat mir wirklich gefehlt. Kommt mit, ich führe euch zum Winter.“

Die Glitzerwolke schwebte vor Philipp her, bis sie vor einer Türe anhielt, die dick mit Schnee bedeckt war. „Da drinnen sitzt der Winter. Ich wünsch euch viel Glück!“

Philipp nahm seinen ganzen Mut zusammen und stieß die dick verschneite Türe auf. „Guten Tag, Herr Winter! Der Schneemann und ich kommen dich besuchen. Wir bitten dich, komm doch wieder zu uns!“

„Wer stört mich da? Hinaus mit euch, ich will keinen Menschen mehr sehen!“, ertönte eine tiefe, brummige Stimme. Philipp sah sich um. In einem vereisten Schaukelstuhl saß ein Mann, eingehüllt in einen dicken, weißen Mantel, mit silbrigem Bart und grauen Haaren.

„Aber Winter, wenn du nicht mehr mit Schnee und Kälte kommst, werden dich bald alle Menschen vergessen haben. Uns Schneemänner gibt’s dann auch nicht mehr. Oder nur mehr als Bilder. Das ist doch traurig, wenn Kinder den Winter nur noch aus Erzählungen kennen.“ Der Schneemann war vor den Winter hingetreten und brachte seine Bitte vor.

„Ja, und Schneeflocken, gibt’s nur mehr aus Watte, so wie diese hier.“ Philipp hielt dem Winter die mitgebrachte Watteflocke hin. „Lieber Winter, komm bitte wieder zurück. Ich weiß schon, dass viele Menschen über dich schimpfen! Aber denk doch an uns Kinder, wir lieben dich. Der Schneemann hat recht, wahrscheinlich werden dich die Kinder bald vergessen haben, weil sie dich ja gar nicht kennen. Willst du das wirklich?“

„So, so, die Kinder lieben mich also. Na, ja, wenn ich es mir richtig überlege, ist es doch sehr langweilig in meinem Schloss und mir fehlt die schöne Winterzeit auch“, grummelte der Winter und strich sich über seinen langen Bart. „Also gut, Kälte mach alles fertig. In der Nacht werden wir wieder auf der Erde Einzug halten.“ Er wandte sich zu den Freunden. „Euch schicke ich mit dem Nordwind nach Hause. Morgen sehen wir uns wieder!“ Der Winter lachte und sein langer Bart wippte auf und ab und versprühte feine Eiskristalle.

Philipp und der Schneemann winkten dem Winter und der Kälte zu, bevor der Nordwind sie nach Hause brachte.

Am nächsten Morgen wurde Philipp von seiner Mama aufgeweckt. Verschlafen rieb sich Philipp die Augen.

„Mama, hat es geschneit? Ich habe geträumt, dass ich den Winter holen ging!“

„Nein, mein Schatz, noch nicht. Aber über Nacht ist es sehr kalt geworden. Schau zu den Bergen, da wälzen sich dicke Schneewolken heran. Ich bin sicher es fängt bald zu schneien an.“

„Hurra, es gibt wieder Schnee! Das Christkind kann dann auch mit dem Schlitten kommen!“

Philipp sah zu dem Schneemann am Fenster hin und der blinzelte ihm vergnügt zu!

Gabriela Rodler wurde 1950 in Wiener Neustadt, Österreich geboren. Ihr liebstes Hobby ist Lesen. Seit ihrer Pensionierung schreibt sie Märchen, Kinder- und Kurzgeschichten. Es wurden bereits verschiedene Erzählungen von ihr in Anthologien veröffentlicht.

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