Читать книгу: «Die vorderen Hände», страница 4

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„Ja, die schlimmste Hex’, die in Wien herumläuft! Dass diese ganze Verwaltungsarmada in diesem Land immer blutrünstiger wird, ist das eine. Aber was diese Frau aufführt, ist nicht zu ertragen.“

„Du hast eine Rechnung mit ihr offen.“

Das Licht flackerte wieder.

„Sie ist im Marktamt die oberste Chefin der Abteilung Gastronomie.“

„Ui.“

Anton nahm einen übergroßen Schluck Wein und goss sich hektisch nach.

„Willst das wirklich wissen?“

„Erzähl ruhig. Wird dir auch guttun.“

„Das glaub ich weniger. Das mit der Baba Yaga hab ich halt so irgendwie erfunden, weil sie immer, wenn sie sich verabschiedet, so schrill wienerisch ‚Ba Ba!‘ schreit, so laut und hoch, dass dir das Blut in den Adern gefriert! Scheißfreundlich tut sie, und hintenrum sperrt sie dir deine Küche zu.“

„Ist das die, von der du schon erzählt hast? Die mit deinen Freunden gemeinsame Sache gemacht haben soll?“

„Genau die. Stauffacher. Adele. Diese Idiotin.“

„Und die war heute da?“

„Ständig kommt sie her, rein privat, selbstverständlich, und auch erst, seit es das ‚roxane & freunde‘ ist. Was für ein Zufall, oder? Mir hat sie damals die Hölle heiß gemacht, hat mir so horrende Nachbesserungen aufgebrummt, dass ich fast gespieben hätt. In der Küche hauptsächlich, von wegen Holzbrettln und Kühlregale und Hygiene, aber auch bei den Klos, obwohl das immer alles sauber war, Klimaanlage, und was weiß ich noch alles! Überall hat ihren Leuten was nicht gepasst. Ich hab so einen grandiosen Start hingelegt, zwei Jahre lang war meine Küche jeden Tag voll, verstehst? Und dann kommt die daher, schreibt eine Liste und ruiniert mit einem kleinen Wisch mein Lebenswerk. Und dann?“

„Weil du die Nachbesserungen nicht bezahlen hast können?“

„Das war doch ein Wahnsinn! Und dann hat sie so freundlich mit mir getan, dass ihr das auch leidtut, und dass sie überzeugt ist, dass ich ein großer Koch bin, vielleicht einer der besten in Wien, aber dass ihr da halt die Hände gebunden sind. Die falsche Sau. Dieses Geld. Ich hab dieses scheiß Geld so satt!“

Anton schmiss gerne mit Sachen. Zuerst flog heute die Tischblume. Quer durch den Gastraum.

Der Gastraum. Hoch. Unten ein zwei Meter hoher, weiß getünchter Sockel, rundherum. Unterbrochen von einem weiteren weinroten Vorhang, hinten: „Zu den Toiletten“, wunderschöne, alte Schrift, grüngrau. Und von der kleinen Theke zur Küche hin Messing. Oberhalb dieses weißen Sockels war alles bloß, war Zeugnis, stehengelassene Zeit, illustriert von unzähligen verschiedenen Anstrichen aus wenigstens zwei Jahrhunderten. Teils farbig, teils abgeblättert. Wasserflecken, Gasrohre. Alles von einer Patina überzogen, die nicht nur von Zigarrenrauch erzählte. In der Mitte ein quadratischer, hoher, mattschwarzer Kachelofen, modern, und durchgängig umlaufen von einer schwarzen Ledersitzbank. Fünf gleich große, quadratische Tische, ebenfalls schwarz, Eiche, schlicht.

„Aber deine Freunde haben die Sache –“

„Das sind nicht meine Freunde, merk dir das! Sie haben das Geld gehabt, ich hab es nicht gehabt. Ganz einfach. Das war halt mein Pech. Aus. Kann passieren! Ja, stimmt schon, das waren einmal Freunde, und sie haben mir das damals ja sogar eingeredet, dass ich unbedingt selbstständig sein soll und einen eigenen Laden brauche. Waren halt Fans von meiner Küche, und wahrscheinlich haben sie von Anfang an spekuliert auf die Nummer! Ich bin aber auch ein Depp! Ich hätte spätestens hellhörig werden müssen, als die bei mir als einfaches Dienstpersonal anfangen wollten.“

„Und wie ist das dann zugegangen?“

„Ganz einfach. Watscheneinfach! Die Baba Yaga hat nicht lockergelassen, da hab ich telefonieren können, oder selber hingehen, so oft ich wollt. Einen Zahlungsplan hat sie mir noch gemacht, und eine Frist gesetzt, und dann war Schluss. Ba Ba! Ciao. Und das haben halt die drei mitbekommen. Zumindest haben sie es mir so erzählt! Dann ist dieser Anruf gekommen. Dass ihnen das so leidtut und dass sie einen Vorschlag machen möchten. Bummsdi, war ich meine Selbstständigkeit wieder los.“

Ein alter Dielenboden, liebevoll restauriert. Und Stühle, alle verschieden. Keiner glich dem anderen, alles war vertreten, Biedermeier, Jugendstil, Fünfziger, alles. Nicht selten versuchten Stammgäste, immer auf demselben Stuhl zu sitzen. Verzeihen Sie, gnädige Frau, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Ihnen diesen wunderschönen Art-déco-Hocker überlasse, und mir dafür den ihren …? Nein, bitte nicht böse sein, ich häng sehr an dem Stuhl, und hab ihn mir grad vorhin erst selber eintauschen müssen!

„Also, sie haben dir das Geld geliehen?“

„Nein, das wollt ich nicht! Lieber hätt ich meine Küche zugemacht und wäre wieder zum Frondienst in irgendeinen besseren Laden gegangen, Jobprobleme hab ich ja nicht. Nein. Sie haben vorgeschlagen, dass sie das ‚Roxane‘ pachten, also übernehmen, alle Nachbesserungen einrichten, und es zu dritt führen. Der Bert weiter neben mir, als Hilfe in der Küche, und die Gitti im Service. Der Edi als Geschäftsführer, aber nur von Zuhause aus. Ich soll für ein festes Gehalt weiter kochen, zwei Ruhetage, ein bissel veränderte Küche, aber im Prinzip mein Ding, und sie haben so auch was davon.“

„Eigentlich nicht schlecht, die Idee.“

„Ja, das hab ich erst auch gedacht. Und dann hat es auf einmal ‚roxane & freunde‘ geheißen. Der Laden ist bombig weitergelaufen, und ich war einer von vier. Und zwar der Hinterste. Und wer ist seither immer wieder im Lokal? Sicher einmal im Monat?“

„Die Baba Yaga.“

„Bingo, Bummsdi! Kommt herein, lässt mich immer schön in der Küche grüßen und versteht sich mit der Gitti so prächtig, dass man sie fragen möcht, ob sie schon zusammenwohnen. Wie die miteinander tuscheln, und nachher immer schön noch zwei, drei Grappa! Da erzählt mir keiner, dass das nicht ein vollkommen abgekartetes Spiel war.“

„Was meinst genau?“

„Wenn du mich fragst, dann haben die das zu viert eingefädelt. Die drei sind irgendwann zu der ins Amt gegangen, haben ihr einen Hinweis gegeben, man könnt doch beim Anton Roggen mal ein paar Sachen finden, und was weiß ich, vielleicht haben sie die Hexe sogar beteiligt! Wenn sie nur dafür sorgt, dass ich den Löffel von der Roxane abgeb! Vielleicht speist sie seither umsonst, weiß ich das?“

Es klopfte an die Scheibe.

Draußen stand ein schmaler, eher hagerer Kerl, zeigte auf Karla, winkte, hüpfte von einem Bein auf das andere, und grinste.

„Den kenn ich. So, Bürscherl, jetzt wart einmal!“

Anton sprang auf. Sein Gewicht? Vergessen. Und war mit einem Satz schon vor dem roten Windfang.

„Anton, hör auf!“ Karla verstand erst jetzt, was vor sich ging.

„Ich kenn ihn auch, der ist meinetwegen da.“

Anton blieb genauso jäh stehen, wie er sich auf die Beine geschmissen hatte. Drehte sich um, und –

„Das ist der –“ Beide, gleichzeitig.

Jetzt Karla: „Darius, ein Freund von mir!“

Und Anton: „– der immer meine Kundschaft vertreiben will!“

Draußen hatte der Kerl auch innegehalten. Größere Augen jetzt als sonst. Aber schon hüpfte er wieder, grinste, winkte, klopfte.

„Sag mir einen Grund, warum ich den nicht auf der Stelle windelweich schlagen soll? Schnell!“

Schon war er wieder auf dem Weg. In diesem Moment fiel Anton ein, wer er jetzt in allererster Hinsicht war: ein Mann, der verdammt scharf auf Karla war. Sein Groll war nur noch halb so groß, ganz plötzlich.

Der Mann, draußen, schaute. Die Frau, drinnen, schaute. Der Mann, drinnen, fragte, atmete schwer. Kein Rösselsprung.

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, den kleinen Stinker –“

„Anton, ich glaube, du bist ein Trottel. Komm, lass ihn kurz rein.“

„Hey, spinnst du?“

„Was soll das Gehabe?“

Der Mann, draußen, war noch kein Mann.

Da stand er einfach, der Kerl.

Und grinste.

Stumm.

Mit stierem Blick voran gesehen

Nicht nach vorne, nein,

wo denkst du hin?

Auch nicht nervös um sich

herum im kreis geglotzt

Nur voran, gesehen,

sogar voran gehört, und ja-

Vielleicht kommt dann ein Schritt.

Oder zwei.

Ach. Wär der Blick nur etwas offner!

Versuch zu dritt

Nur seine elektrisierenden Gedanken an mögliche Ereignisse der kommenden Nacht mit Karla konnten Anton jetzt von gröberen Gangarten abhalten. Mit verschränkten Armen und Beinen und einem vollen Glas Rotwein saß er auf dem im Quadrat laufenden, schwarzen Ledersofa. An den schlichten, kalten Kachelofen gelehnt, gähnte er oft und völlig unverhohlen.

Darius war aufgekratzt genug, und obendrein an offene Geringschätzung gewöhnt. Also sah er gerne darüber hinweg. Karla tat sich mit sowas schwer. Vielleicht hasste sie es deshalb so sehr, vor ein Orchester zu treten.

„Und du bist hier wirklich öfter, Karla?“

Die hatte Skrupel, zuzugeben, wie viel ihr Antons Küche bedeutete. Darüber hinaus war ihr im Moment schleierhaft, warum sie Darius unbedingt hatte hereinlassen wollen. Es war leichter, eine afrikanische Blaskapelle in die Wiener Staatsoper zu bringen, als zwei solche Existenzen an einen Tisch.

„Na ja, was heißt ‚oft‘? Ab und zu halt. Wenn grad Zeit ist, und ein Tisch frei.“

Sie ging auf dünnem Eis. Anton merkte es. Darius runzelte die Stirn.

„Der Wein hier ist der Hammer. Ich mein’, ich versteh nicht viel von Wein, aber der hier ist der Hammer! Das geht schon ganz schön ans Geldbörsel, oder?“

„Du, sie bestellt immer das Gleiche. Rehravioli. Das ist das billigste Essen hier. Da brauchst dir also keine Sorgen machen, Dichter!“

Karla verengte ein wenig die Augen. War ihr Anton zur Seite oder fiel er ihr in den Rücken? Sie betrachtete erst oben die vergilbte Deckenstruktur und warf Darius dann mit gekonnter Kopfdrehung ein neues Thema ins Gesicht.

„Was machen denn grad die Bobo Jager?“

Es war leider nicht das richtige Thema. Eigentlich war es das falscheste überhaupt. Und eine Antwort war vorerst nicht zu erwarten. Als ob er nur darauf gewartet hätte, erhob Anton Roggen sich langsam, streifte die weiß-blau gestreifte Kochschürze glatt und blieb so stehen. Mit den zahlreichen Flecken darauf sah er aus wie ein Metzger.

„Die was?“

„Die Bobo Jager!“ Darius gab den jugendlichen Stürmer. Wenn auch auf dem Platz des Gegners.

„Meine Bürgerschreck-Bodentruppe. Du erinnerst dich.“

„Wenn ihr euch nochmal in diesen Laden traut, hau ich euch allen den Schädel ein, hast mich verstanden, Dichter?“

„Hey, Anton, entspann dich bitte. Ich glaub, du siehst nicht ganz, was wir eigentlich ausdrücken möchten. Hier gehts doch überhaupt nicht um dich persönlich!“

„Ich hab dich gefragt, ob du mich verstanden hast.“

Anton machte einen Schritt auf den Tisch zu.

Der hagere, junge Dichter sah zu Karla, die saß stumm auf rohen Eiern, auf Kohlen, wie auch immer. Dann nahm er Antons Angebot an.

„Ah ja! Ich hab dich schon verstanden. Und falls du auch noch irgendwas anderes kannst, als den potenten Patron raushängen lassen, würd ich dir gerne mal erzählen, was wir hier in Wien erreichen wollen.“

Anton war tatsächlich stehengeblieben und sah den jungen Mann ungläubig an, der sich jetzt von seinem Platz am Tisch erhob, und dabei ganz und gar nicht aussah, wie einer, der die Segel streichen wollte.

„Und wenn du ein Freund von Karla wärst, der ihr auch nur halbwegs das Wasser reichen kann, dann würdest du nämlich zustimmen! Dann würdest du dir das erst anhören, und am Ende würdest du nicht anders können.“

„Aha.“

„Ja, spiel ein bissel den erwachsenen Macker – ihr schaut uns alle von oben herab an. Aber du weißt genau, wenn du ehrlich bist, dass es so nicht mehr weitergeht! Hier in Wien nicht, und in Österreich und auf der ganzen Welt auch nicht.“

„Aha?“

Anton war mehr im Balzmodus als im Begriff echter Gegenwärtigkeit. Das war er ohnehin nur, wenn er kochte. Aber er stand da und hörte zu. Tatsächlich. Und Darius setzte sich wieder. Als hätte er vergessen, warum er aufgestanden war. Er trank von seinem Wein, lehnte sich zurück. Was genau hatte er sagen wollen? Es war nicht leicht, sich in diesem eigenartigen Terrain zu behaupten. Trotzdem wurde er den Eindruck nicht los, dass er hier jemandem begegnet war, der ihm am hilflosen Herzen lag. Es konnte gut sein, dass er irgendwann ein Gedicht darüber schrieb.

Er wechselte den Ton. Ruhiger jetzt, doch ohne jede Wärme.

„Ihr wisst das alle eh ganz genau. Dass ihr noch immer auf ein Pferd setzt, das schon lang lahm ist. Und dass ihr in einem Schiff sitzt, das ohne Orientierung herumtreibt, auf einem leblosen Meer. Und jeder kann den Orkan riechen, der jetzt im Anmarsch ist. Stimmts? Oder stimmts nicht? Euer kleines Paradies ist doch längst verkommen, bis hinein in die kleinsten Hütten. Lauter tote Winkel.“

Anton grinste, beinahe anerkennend.

„Jetzt reißt du dein Maul schon ein bissel weit auf, findst nicht?“

„Nein, find ich nicht. Schau dich um, wenn du dich traust: Heut geht diese Stadt selber auf den Strich, auf und ab stolziert sie und bietet sich an, rund um die Uhr, aufgedonnert, abgefuckt! Als eine einzige große Reue. Objekt neben Objekt, zum täglichen Verkauf verdammt, zu gnadenloser Werbung, zu allem, was gutes Geld bringt. Zu einer geschmacklos angepinselten, kaputten Hurenstadt haben sie Wien gemacht!“

Karla sah Darius an. Für solche Worte liebte sie ihn. Ein bisschen. Und nur dafür. Aber das reichte.

Es reichte seltsamerweise auch dafür, dass sie plötzlich eine ebenso unerklärliche wie unwiderstehliche Lust hatte, einfach aufzustehen und das Restaurant zu verlassen. Wortlos. Auf diese Weise, die nur sie beherrschte. Sich dann noch ein wenig treiben zu lassen, durch Wien, das verkommene Paradies, und später, allein, noch ein Glas mit Ferdinand zu trinken.

Erlösung.

Immer wieder dachte sie dieses Wort. Schon so lange.

Jetzt wieder. Erlösung.

Und nie wusste sie, warum sie dieses Wort dachte, und was es für sie bedeutete. Manchmal gab es in ihr solche Worte.

Vielschichtig. War auch so eins. Oder Siedepunkt.

Aber sie blieb sitzen.

„Und du sitzt nicht mit auf dem Schiff, oder was? Und dein Paradies ist nicht verkommen? Du bist ein zahnloser Löwe, ein schwanzloser Freier! Lass dir das von einem mittellosen Koch sagen.“

„Der anscheinend ein Meister ist. Nein, mich beleidigst du nicht, Anton. Ich sitze in dem gleichen Drecksdampfer wie du, ich hab den Bauch voll mit Dynamit, genauso wie du, und genauso wie alle anderen, die in diesem Scheinfrieden herumtorkeln, als ob es kein Morgen gäb. Aber ich tu wenigstens nicht so, als ob es nicht wahr wär! Und ich versuche, was zu machen, irgendwas da draus zu machen, damit es weitergehen kann auf der Welt!“

„Ja, eh. Versuch du, was du versuchen musst. Ich hab dir gesagt, dass ich deine Guerillatruppe hier nicht mehr sehen will. Fertig. Und ich geh jetzt so langsam nach Hause. Ein potenter Patron muss nämlich ziemlich hart arbeiten für sein Ticket auf diesem Drecksdampfer.“

Er sah nicht zu Karla hin, hatte gerade genug Feingefühl, sie jetzt nicht mit seinem Anspruch auf die kommende Nacht zu konfrontieren. Stattdessen trat er an den Tisch, kippte wie nebenbei die verwaiste, kleine Vase um. Sie war noch halb gefüllt mit Wasser. Wofür gab es Putzfrauen? Dann ergriff er die beinahe leere Weinflasche und nahm sie mit hinüber zur Lederbank, wo sein leeres Glas auf dem Boden wartete.

„Wer ist Roxane?“

Darius schickte ihm einfach eine Frage hinterher, in den Rücken, genau auf diese Art, der man nicht widerstehen konnte. Er konnte seinem Gegenüber eine Aufmerksamkeit schenken, die jedem sofort das Gefühl gab, etwas Besonderes, ja, tatsächlich von Interesse zu sein! Vielleicht hatte das damit zu tun, dass der hagere, junge Mann mühelos zwischen Vordergrund und Hintergrund wechseln konnte, wenn er mit jemandem sprach? Er kannte die lockernde Wirkung seiner Sprunghaftigkeit gut und setzte sie besonders dann ein, halb bewusst, halb naiv, wenn er sich unsicher fühlte.

„Das geht dich einen Scheißdreck an.“

„Anton, he, bitte!“ Karla wusste nicht mehr, was sie zwischen all den ungleichen Stühlen noch zu suchen hatte. „Mich interessiert das auch. Sag schon. Woher kommt der Name? Eine Frau, die du gekannt hast?“

„Nein. Ein Film. Eine Frau aus einem Film. Mit Gérard Depardieu.“

„Dieser Römerfilm, wo er als einfacher Centurio eine Rebellion anzettelt?“, fragte Darius. „Hab den Titel vergessen.“

Er sagte es so, wie es kam. Und in Anton bebte plötzlich ein winzig kleiner Riss. Darius wusste gar nicht, wer Gérard Depardieu war. In seinem Inneren mischten sich aber die verschiedensten Bildangebote. Robert de Niro, Kirk Douglas, Paul Simon, Jean Reno … lauter Althelden aus der Generation seiner Großväter.

„Depardieu hat nie einen Römerfilm gemacht. Schon gar nicht ‚Spartacus‘.“

Sagte Anton. Leise. Mit zitternder Stimme? Er fühlte sich so schlagartig in den Traum der letzten Nacht gezogen, dass er gar nicht genau hätte sagen können, wo er gerade wirklich war. Und wie kam der Flegel überhaupt dazu, diese Verbindung –? Meine Stimme. Sie sollte lauter sein.

„Der Film heißt ‚Cyrano‘!“

Ja, so war es besser.

„Stimmt! Spartacus hieß der Film.“

Darius stand auf und ging langsam mit seinem Weinglas hinüber zur Lederbank, zu dem dicken, blutverschmierten Schlächter dort.

„Und in Cyrano kommt also eine Roxane vor? Erzähl!“

Da saß er schon. Vielleicht zu nah.

„Schau ihn dir selber an, ich bin nicht gut im Erzählen.“

„Cyrano? Ist das nicht ein Theaterstück? Ich hab das mal als junge Frau gesehen.“

Anton grinste nur, trank, aber Darius lachte.

„Ja, das ist sicher ewig lang her!“

„Als ganz junge Frau, du Dodel. Das ist sicher sieben, acht Jahre her!“

Lachen und Gereiztheit rangen in Karla um die wenige Luft. Noch hielt sie sich.

„Mir hat das jedenfalls überhaupt nicht gefallen. Damals. Ich glaub, heut wär es anders.“

„Und? Kannst wenigstens du mir gnadenhalber sagen, worum es in diesem geheimnisvollen Stück geht? Cyrano! Oder muss ich das heut Nacht im Netz nachlesen?“

Darius gab sonst gerne den Leichten, den Fliegenden. Und meistens war er zufrieden mit dem Trugbild eines Ahnungslosen. Oder mit dem des faulen Wanja auf dem Ofen, der ungeliebte Junge, der es faustdick hinter den Ohren hatte. Der es später allen zeigen würde. Den aber niemand aus seinem Welpenschutz herausreißen durfte, auf keinen Fall, nicht vor der Zeit.

Aber hier ging es um Dichtung. Und Literatur!

Ausgerechnet jetzt wie ein völliger Anfänger auszusehen, war ihm wirklich unangenehm. Unpassend auch, fand er.

„Nein. Schau dir den Film an.“ Anton rülpste. „Da kann kein Theater mithalten.“

„Wieder diese alte Arroganz der Sofaglotzer, die in ihrem Leben vielleicht zweimal im Theater waren! Einmal mit der Schule und einmal im Weihnachtsmärchen. Ach, was red ich.“

Karla war nicht auf Diskussionen aus. Aber ganz ohne Widerspruch? Darius lächelte. Anton nicht.

„Hast du den Film gesehen, Karla?“

„Nein.“

„Also. Was regst du dich auf? Der Film ist der Hammer, und ich glaub halt, dass da nichts drüber kann. Basta! Schaut ihn euch an.“

Karla stand auf. Sie saß sowieso nur noch allein am Tisch. Es war genug, und sie war zu müde. Für alles. Auch für den späteren Anton. Und sie machte es wie immer. Fast.

„Ich muss ins Bett. Wir sehen uns sicher bald.“

Kurz deutete sie ein Winken an, hinüber zur Bank, zum Kachelofen, zu den beiden Herren. Einer in verschmierter, weißer Kochkluft, einer in beliebigem Sommeralltag. Einer dick, älter und finster großnasig, einer schmächtig, jung und auf den ersten Blick ohne besondere Merkmale.

Beide übrig. Jetzt, wo Karla sich ohne ein weiteres Wort durch den schweren, weinroten Vorhang schob, und nur das leise Beben der massiven Tür hinterließ. Beide mit dem gleichen Gedanken: Karla!

Beide ihn sofort verwerfend. Beide in stiller Beklemmung.

Der Andere?

„Du weißt auch, wo die Tür ist, oder? Nix für ungut.“

„Ja, sicher. Ich find vielleicht auch allein raus. Danke für den Wein.“

„Ist schon recht.“

„Anton?“

Keine Antwort.

„Ich dachte, der Name kommt aus dem Song von Sting.“

Anton blickte nicht auf.

„Welcher Name?“

„Roxane.“

„Ach so. Nein.“

„Ja. Schon klar.“

Und.

„Anton, ich würd dir das wirklich gern erklären.“

„Was?“

„Die Bobo Jager.“

„Heut nimmer.“

„Darius?“

„Ja?“

„Servus.“

„Servus, Anton.“

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