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Читать книгу: «Das Geheimnis der Anhalterin», страница 3

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"Aber was hast du?", fragte der Apotheker, "Du machst ein so feierliches Gesicht!" - Ja, was hatte sie nur?

"Was heißt: 'I am tired' - auf französisch?", fragte Anna den Apotheker; der lachte,

"Ich weiß es nicht! Aber du lernst jetzt auch Englisch! Sehr tüchtig! Du bist wirklich ein gutes kleines Mädchen. - Und wer ist das hier?", fragte er und deutete auf mich.

"This is my teacher!", antwortete Anna mit einem frechen Blick. Ich schüttelte verblüfft den Kopf.

"Sehr gut, Anna!" sagte der Apotheker. "So bin ich als Lehrer also abgemeldet! Geh, gib ihm einen Tritt! Wir brauchen hier keine anderen Lehrer! Nun, er ist jünger und hübscher als ich, das gebe ich gern zu." Anna errötete.

Die Großeltern setzten sich auf die Couch, auf meiner Seite und am Ende des Couchtisches, saß das junge Mädchen, Anna. Aus den braunen Augen des Großvaters und aus den hellen überraschend blauen Augen der Großmutter kamen sanfte Korrekturen: weisend, verweisend. Anna hatte die blauen hellen Augen offenbar von ihrer Großmutter.

Ich vergaß sie jedoch bald wieder, weil ich mich mit Mrs. Habarth, der blonden Dame, und ihrer Tochter Mildred beschäftigte. Ich mußte das allerdings sehr unauffällig tun, denn ich wollte nicht, daß es allzu offenkundig wäre, welche der beiden Frauen mich interessierte. Außerdem sah mich Madame W. immer wieder eifersüchtig an. - Aber warum sollte ich darauf Rücksicht nehmen?

Das wohlerzogene Hausmädchen servierte noch einmal 'Kaffee? Tee?' auf einem Silbertablett im englischen Stil, englische Silberkannen, chinesische Porzellantäßchen. Ich griff in den kleinen Messing-Korb auf dem Tablett und zog einen Zettel heraus, der zwischen den Keksen versteckt war. Ich merkte, daß Anna mich dabei beobachtete.

"Was ist denn das?", fragte ich in die Runde hinein, und hielt den Zettel in der Hand.

"Ist das Kaffee oder Tee?", fragte der Apotheker, als das Hausmädchen gerade die Tassen füllte.

"Tee, Tee!", beteuerte das Hausmädchen.

"Tee oder Kaffee?", wiederholte ich gedanken-los, während ich den Zettel las, auf französisch in Blockbuchstaben geschrieben: 'Nehmen Sie sich in acht! Vor einer der Frauen!'

"Nicht möglich!", sagte ich.

"Nicht möglich!", murmelte der Apotheker, "Warum ist er so schwarz? Gibt es denn in Portugal keinen guten Tee?"

Das Hausmädchen verzog keine Miene und ging zu den anderen Gästen.

"Nicht möglich!", murmelte der Apotheker noch einmal. Ich probierte den Tee.

"Nicht möglich!", murmelte ich jetzt. In der Tat, es war die gleiche Mixtur, die man von Oslo bis Johannisburg in den Hotels vorgesetzt bekommt.

"Jedenfalls sind die Portugiesen,", sagte der Apotheker, "was Tee betrifft, keine Autorität!"

Anna sah mich an, während ich den Zettel umständlich zusammenfaltete. Sie hatte Mühe, ihr Lachen zu unterdrücken. Etwas wie ein Verschwörerlächeln blitzte auf. Annas Gesicht wurde hell. Wasserblau und klar waren ihre Augen, was für ein Kontrast zu ihren schwarzen schweren Haaren! Sie hatte die neugierigen hellen Augen eines Kindes, das Opfer suchte, dachte ich. - Opfer wofür? Für ein Spiel?

Ich winkte das Hausmädchen zu mir heran und sagte ihr leise:

"Für das junge Mädchen sollten Sie Kakao servieren!"

Das Hausmädchen blickte fragend.

"Das Getränk aus der Bohne von Theobroma cacao. Landläufig auch Schokolade genannt!", mischte sich der Apotheker ein. Das Haus-mädchen nickte und gab zu verstehen, daß es sein Versäumnis nachholen würde. Kurze Zeit später kam es mit einer Tasse heißer Schokolade zurück, die es vor Anna hinstellte.

"Ich mag keine Schokolade!", sagte Anna pikiert und schob die Tasse weit von sich. Das Hausmädchen blickte indigniert.

"Dann bringen Sie die Tasse mir!", sagte ich. Das Hausmädchen tat das und ich schlürfte behaglich das glühendheiße, dickflüssige, schwere Getränk, das viel besser schmeckte als der fade Tee.

Mrs. Habarth wurde auf einmal puterrot, sprang auf, ging zum Fenster, dann zu den Büchern, nahm ein beliebiges heraus und blätterte nervös darin; sie wagte es anscheinend nicht, sich nach mir umzudrehen, während ich mich mit Anna unterhielt. Ich hörte mich selbst etwas Spöttisches, Lustiges sagen. Anna lachte. Die Kakaotasse war leer, so stand ich auf, schlenderte unauffällig zum Bücherregal, während Mrs. Habarth auf der Flucht, vor mir? - hoffentlich nicht! - jetzt in Richtung der Mitte des Salons ging und einen neu hinzukommenden Gast begrüßen mußte.

Etwas ratlos setzte ich mich auf den einzigen freien Stuhl, der in meiner Nähe war. Mildred, Mrs. Habarth' Tochter, saß mir jetzt gegenüber auf der Couch. Ich redete mit Mildred über Lissabon, über andere Großstädte. Ich fragte, sie erzählte. Sie war aus London. Unter dem hübschen Gesicht hatte sie einen etwas zu kräftigen Hals, bemerkte ich jetzt. Sie wirkte verlegen, oder sogar unfertig und linkisch, und wenn sie sprach, kam es mir vor, als probiere sie ihre Züge nur aus. Wo war die schöne junge Frau, die ich in ihr gesehen hatte?

Die Mutter kam vorbei; sah ihre Tochter im Gespräch mit mir; zögerte einen Lidschlag lang; setzte sich dann aber nicht, sondern überließ ihrer Tochter das Feld.

Anna unterbrach uns. Insistierte. Fragte. Spielte. Clownerie. Sie hatte wirklich theatralisches Talent. Die Wurzeln der Koketterie. Sie wird die Kindheit bald verlassen, dachte ich. Bald. Sehr bald. - Doch warum war ich so durcheinander? Eine merkwürdige, unerklärliche Unruhe hatte mich befallen, als ob ich etwas suchen müßte.

Schließlich stand ich auf, ich hielt es nicht mehr aus,

"Mademoiselle, bitte," sagte ich so höflich ich konnte zu Mildred, "das ist ja eine Konfusion hier, aber das ist nicht der Grund, nein, nichts Arges, aber ich muß gleich fort, überraschend. Sie verstehen schon ... "

Mildred verstand nichts, doch sie nickte,

"Sie wollen gehen?" fragte sie.

"Bringen Sie es Madame W. irgendwie bei. Sie werden es schon richtig machen!"

Auf einmal hatte ich es eilig. Mildred erhob sich kurz nach mir. Überraschend entdeckte ich wieder Feinheiten in ihrem Gesicht. Sie drehte sich um und ging zu ihrer Mutter. 'Eine Prinzessin geht!' dachte ich. Der Rücken schmal, gekreuzte Schnüre über Mädchenhaut. Ein Gang! Der Stolz in den Hüften, als sie ging. Ein leichter Gang. Wie sollte die kleine magere Anna dagegen ankommen?

Ich suchte Anna mit den Augen; ein Blick traf mich, so ernst und tief, daß es mich warm durchschauerte. Einen Moment später sah mich ein argloser Engel im weißen Kleidchen mit geweiteten Augen fragend an, so, als ob sie noch etwas an mir deuten und verstehen wollte.

Das Spiel hatte begonnen.

Diese kleine Hexe!

Schenk ein dein Gift, daß es uns Kräfte spende ...

Aus dem Salon würde ich doch wohl noch kommen, trotz dieser hektischen Röte im Gesicht - oder?

Im Hof wartete ich auf Edmund.

8. Kapitel

Edmund kam auch wirklich bald herab zu mir in den Innenhof, und wir machten vor dem Zubettgehen noch einen kleinen Rundgang durch das Kastell. Im Kreuzgang fanden wir eine Tafel aus blauen Kacheln, die in die Wand eingelassen war: 'Ich kaufte dieses Kastell als Ruine 1939. Fünf Jahre lang habe ich es wiederaufgebaut mit der Hilfe des Architekten ... und des Meisters ... September 1944' - Welch ein glückliches Land, in diesem für das übrige Europa so schrecklichen Jahr!

Im Bogengang setzte ich mich auf die Fensterbank, dort lagen Kissen, und sah hinab auf den Fluß. Edmund blieb neben mir stehen, angelehnt an die Bogenlaibung. Die Fenster-scheiben waren vom Salz getrübt. Einige fehlten. Doch die grünen Rahmen ließen sich leicht öffnen.

Eine Fledermaus jagte über unseren Köpfen. Am östlichen Himmel hing ein müder blasser Mond. Die flachen Wellen des Meeres brachen sich wie Quecksilberperlen auf dem fernen Sandstrand. Die Hitze, die uns den ganzen Tag gequält hatte, hatte endlich nachgelassen. Wir hatten wenig Lust zu reden, und ließen die Schönheit des Abends unangetastet.

Die Dämmerung fiel unmerklich, schob den Horizont ins Blaue, das Blau des Meeres schwamm hoch bis zu den Dünen, der Himmel wölbte sich zu seiner ursprünglichen Form. In der Ferne fuhren die alten Männer in ihren winzigen Booten in den Abendhimmel hinein, in das Weltuntergangslicht, dort hinten, wo das Meer aufhörte.

"Warum bist du eigentlich von Paris fort und nach Thailand gegangen, - nur um diesen Film zu drehen?", fragte mich Edmund. Ich wollte nicht von Javica sprechen und sagte:

"Als bei dem letzten Film, den ich vor Thailand gedreht hatte, einer unserer Schauspieler, ein Mann, den ich kaum kannte, er war übrigens geschieden, mir beim Kaffee von seinen Depressionen berichtete und von seinen Plänen, sich aufzuhängen, und ich mich, nachdem ich müde zugehört hatte, bei den Worten ertappte: 'Das mögen wir aber gar nicht!', da dachte ich: jetzt ist es soweit!"

Edmund lachte kurz auf,

"Hat er sich denn aufgehängt?"

"Ich weiß es nicht! Jedenfalls will ich so bald keine Filme mehr drehen."

"Was willst du dann tun?"

"Ich weiß es nicht! Meinen Onkel fragen, ob er mir Geld leihen kann."

Wir schwiegen eine Zeitlang. Ich hing wieder meinen Gedanken an Mildred und an ihre Mutter nach, - und auch, ja auch an Anna, - und versuchte, die merkwürdige Unruhe, die mich hier immer wieder überfiel, zu verstehen. - War ich etwa verliebt? - Ja, vielleicht, - aber in wen?

"Es wird Nebel geben heute nacht!", unterbrach Edmund mein Nachsinnen, "Schau! Über dem Meer steigt Dunst auf. Und fühl einmal! Die Kissen werden schon feucht von niedersinkenden Tau."

Schließlich standen wir auf und gingen hoch auf die Plattform, die man über die gleiche Wendeltreppe erreichte wie den oberen Flur, wo unsere Zimmer lagen.

Der Möwenfelsen in der Ferne ragte schwarz und silbern aus dem Meer, das blau, wie magisch, leuchtete. Es war wie eine Kaiserkrönung des Felsens, ein schroffes Profil wurde sichtbar, schwarz und funkelnd, eine Krone dem Herrscher im Totenreich.

Der Himmel war zu tiefem Schwarz geworden. Der fast runde Mond stand jetzt schon über den verbrannten Hügeln in der Ferne, über den spärlichen trockenen Eukalyptus- und Pinienhainen hoch im ewig wolkenlosen glimmenden Nachthimmel. Der Abendstern glühte, ein Halogen-Brillant. Die anderen Sterne waren dagegen nichts als fade verblichene Punkte, Lampen leerer Batterien. Der Wind kämmte zärtlich die kurzen Wellen. Dort oben hinter den Sternen wurde es still. Wir redeten wieder, aber behutsam.

"Schön, daß du endlich hier bist,", sagte Edmund leise, "und nach so langen Jahren wurde es auch Zeit, daß du einmal kamst!"

"Ja!", erwiderte ich, "Was willst du noch? Hier bin ich!"

Vom Atlantik kamen Wolkenschleier gezogen, die alles in ein milchiges Grau kleideten. Ich erzählte ein wenig von Thailand, von diesem fremden, fremden Land, mit seinen fremden, fremden Menschen. Dann schwiegen wir eine Zeitlang.

"Wenn ich nicht mehr bin," sagte Edmund plötzlich, "ich wüßte nicht, in welch ein Lebewesen ich meine Seele bergen sollte." Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als ich diese Worte hörte.

Kurz darauf hörten wir Schritte die Treppe heraufkommen. Der portugiesische Großvater und die portugiesische Großmutter Annas kamen zu uns auf die oberste Plattform des Kastells. Sie begrüßten uns kurz, standen dann für sich und redeten lange und leise und aufgeregt miteinander. Endlich beruhigten sie sich, gesellten sich für einige höfliche Sätze zu uns, und stiegen schließlich nach einem 'Gute Nacht!' hinab.

Edmund, der die Unterhaltung der beiden verstanden hatte, erzählte, daß sich die Großeltern Sorgen machten über ihre Enkelin, er hatte etwas gehört wie: 'Droht von der Schule zu fliegen - zu den Verwandten geben auf's Land - sie träumt zuviel -' 'Sollen die Eltern sie etwa verheiraten?', hatte die Großmutter gesagt - 'Sie ist doch noch gar nicht reif!' hatte der Großvater geantwortet. - 'Noch nicht, aber Zeit wird's langsam!'"

"Anna?", sagte ich fassungslos, "Sie ist ja noch ein Kind!"

"Weniger als du denkst!", erwiderte Edmund.

Wortlos reichte ich ihm den Zettel, auf dem die Warnung vor einer Frau geschrieben stand.

"Was ist das?", fragte Edmund, las den Zettel und gab ihn mir zurück.

"Eine Kinderei!", sagte ich.

"Hier im Hotel ist Anna das einzige Kind! Kein Wunder, wenn sie sich langweilt.", sagte Edmund.

Er war müde, er wollte ins Bett und ging bald. Ich blieb noch ein wenig, und genoß den Blick in die Weite. Der Fluß, aus dem jetzt der Nebel aufstieg, lag grau unter mir, dahinter, kaum noch erkennbar, die bleichen Häuschen des Dorfes, mit kleinen gelben und blassen Lichtflecken.

Unten, am Steg des Kastells, legte wie ein Schatten ein Boot mit einer zitternden Lampe an. Eine schlanke dunkelhaarige Frau, die außerhalb meines Blickfeldes am Fuße des Kastells gestanden haben mußte, kam zielstrebig die Treppe herab. Sie winkte dem Fährmann und sprang mit einem Satz vom Steg auf das Boot. Von ihrem Sprung schwankte das Boot und duckte sich. Das Boot hatte nicht festgemacht, es setzte seinen nur kurz unterbrochenen Weg fort, schräg gegen die Strömung, hinaus auf das Meer. Ein intensives, drängendes Interesse erwachte in mir: Wer war die schlanke Frau? Und wohin verschwand sie?

Als ich von der Plattform zurück in das Treppenhaus ging, sah ich nur noch die Tür, und sah nicht, daß die Türflügel nicht gleichzeitig mit mir aufgingen, sondern der eine Flügel sich gegen mich verschworen hatte und nun mit aller Härte des Holzes gegen meine Nase und Stirn schlug. Das auch noch! Nasenbluten natürlich. Das würde Flecken geben auf dem Parkett meines Zimmers.

Sicherheitshalber hielt ich mir das Taschentuch vor Nase und Stirn, und spürte einen dröhnenden Kopfschmerz. Unten im Flur tastete ich zum Lichtschalter. Im Flurspiegel sah ich die Röte meines eigenen Gesichts.

9. Kapitel

Später dann, in meinem Zimmer, dachte ich plötzlich daran, daß sich Anna im Zimmer nebenan vielleicht jetzt auszog, und daß sie vielleicht wußte, daß ich daran dachte, daß sie sich jetzt auszog, und in mir nahm das Gefühl einer Welt in Unordnung zu.

Als ich mich später selbst auszog, ertappte ich mich dabei, daß ich wieder an Anna dachte. Ich, in meinem Alter, ein erwachsener Mann, dachte über ein halbwüchsiges Mädchen nach! Ein Mädchen!, eines von diesen fremden, unverständlichen Wesen, - fremd schon damals das Gekicher aus der Umkleidekabine für Mädchen neben der Turnhalle, fremd und verlockend. Eine Mischung aus Verachtung und Neugier, damals.

Es war klar, Anna war ein nächtliches Tier. Der Kalbskopf ohne Haut, doch mit Augen, den ich meiner Freundin Javica vor meiner Abreise nach Thailand mitgebracht hatte, als Abschiedsessen. Sie hatte sich so erschreckt! Das war auch so ein nächtliches Tier gewesen. Aber gab es denn ein passenderes Geschenk? Denn mit meiner Abreise war auch unsere Beziehung beendet.

Ich mußte ihn dann begraben, im Garten ihrer Wohnung in einem Vorort von Paris, doch am nächsten Tag hatte sie ihn gefunden. Er war schon wieder ausgegraben und angefressen worden. Wer ging da um? Ghule? Füchse? Ratten? Werwölfe? Do you remember? The corpses? Who digged them out? Wie einsam war die Nacht! - diesem Kopf!

Edmunds Worte auf der Dachterrasse fielen wir ein. Wohin würde meine Seele streben? Was geschieht mit der Seele, wenn man stirbt? Sollte es das vielleicht doch geben, was ich immer für Unsinn gehalten hatte?

Doch dann schob sich der Gedanke an die hübsche Mildred dazwischen, und damit schlief ich ein.

10. Kapitel

Am nächsten Morgen schien eine unschuldige Sonne aus einem schweigenden Himmel, dessen Blau von geradezu verletzender Unschuld war. Edmund und ich lagen auf den Liegestühlen im Innenhof des Kastells, ich unter dem Sonnenschirm, die Füße auf den Brunnenrand gestützt; Edmund, der mehr Sonne vertrug, auf dem Liegestuhl daneben. Michelle mochte die Sonne nicht, und war im Zimmer geblieben, um zu lesen. Mitten im faulen Dösen hörten wir Schritte sich nähern. Es war der Hausdiener in seiner grünschwarz gestreiften Weste, der zwei Koffer trug.

"Wer fährt denn?", fragte Edmund und gähnte verhalten. Der Diener stellte die Koffer neben uns ab, wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und entgegnete in seiner gezierten Ausdrucksweise:

"Madame Habarth und ihre Tochter, Mademoiselle Mildred, verlassen uns!" Es erschien ihm offenbar ungezogen oder unwürdig, mit den Koffern in der Hand zu reden. - Er nahm die Koffer wieder hoch, und ging zur Pflicht, zum Tor des Kastells. Kurz danach hörten wir andere, leichtere, weibliche Schritte.

"Hier kommt dein Engel!", flüsterte Edmund. Es war wirklich Mildred, mit ihrer Mutter, deren Blumenglanz heute in scheuen grauen Fältchen lag. Weg war das Königinnenkleid!

Die Tochter: diese Beine! - diese Knie! - in verworrener Linie. Das Tennis-Hemd buntge-blümt, auf dem Kopf eine weiße Schirmmütze. Weiß und Blätter. Wir zwei Sonnenanbeter, Edmund und ich, sprangen auf.

Mutter und Tochter verabschiedeten sich jetzt, mit höflichen Worten, in reinem höflichen Englisch, mir zuliebe. Ich brachte nicht mehr zustande als ein paar leere Floskeln und ein leises Lächeln des Bedauerns. Endlich sagte ich:

"So we won't see you!"

'Niemals wieder?', antworteten Mildreds er-schrockene Augen. Sie wendeten sich, verschwanden im Haus. Wir zwei Sonnenanbeter legten uns wieder auf die Liegestühle, und verschränkten die Arme unter dem Kopf.

Etwas später, ich hatte mir ein Buch aus dem Zimmer geholt und kam gerade die Treppe herab, begegnete ich Mildred aufs neue,

"Again!" rief sie mir zu. Sie hatte etwas vergessen und sprang nach oben, Mildred. Eilfertig drehte sich ihr Körper, Berührungen vermeidend, betonend, straffte sich das Hemd über der Brust. Aus weichen Muscheln ein Aufblitzen, war es freudig? Weiße Beine die Treppe hoch. Shorts.

Listig ging ich zur Zugbrücke. Der Diener in seiner schwarzgrün gestreiften Weste, stand am Tor. Leiser Gesang kam aus der Küche, ich hörte es leise durch die Tür, leise und unbekümmert. Das Zimmermädchen und die Köchin kamen jetzt und stellten sich unauffällig neben den Diener; sie erwarteten ein Trinkgeld von Mrs. Habarth. Doch die Hausdame erschien und verscheuchte sie. Ich sah in die blinzelnde Sonne, die über dem Fluß unten lag.

Da kamen Mildred und ihre Mutter noch einmal. Ich wendete mich ruhig ihnen zu.

"Again!" sagte Mildred wieder. Freundliche dunkle Fische waren ihre Augen, sie schwammen ganz nah. Die Mutter lächelte mir noch einmal wehmütig zu, und ging.

Mildred blieb stehen. Ich überlegte, ob ich etwas sagen, eine Anknüpfung versuchen sollte, doch ich brachte nichts heraus. Sie blickte irritiert, verletzt, fragend. Nichts! Sie senkte den Blick, sah wieder hoch, mir direkt in die Augen. Diese schönen hellen Augen!

Dann sagte sie leise und strahlend:

"Ich muß Ihnen etwas sagen!"

Voller Erwartung sah ich sie an.

"Ich heirate!"

"Wie bitte?" fragte ich tonlos. Irgendetwas kippte und schob mich in einen leeren dunklen Raum.

"Ja, ich heirate! In Faro treffen wir uns mit meinem Vater, fliegen gemeinsam nach London zurück und dort heirate ich! Mein Bräutigam und ich kennen uns schon vier Jahre. Ich heirate! Ist das nicht wunderbar?" Sie sah mich erwartend an.

"Ja! - Herzlichen Glückwunsch!", preßte ich zwischen meinen Zähnen hervor.

"Danke, vielen Dank!"

"Alles Gute!"

"Ihnen auch! Sie sind so nett!" Sie machte eine Bewegung auf mich zu, als ob sie mich zum Abschied umarmen wollte, ließ es dann aber, wendete sich abrupt und eilte, das Füllen, der wartenden Mutterstute nach, die Straße hinab, zu dem wartenden Auto, weiter, vorbei! - Und was hatte ich mir alles eingebildet!

Auch Madame W. und einige andere Gäste mußten abgereist sein, denn sie blieben seitdem verschwunden. Wir waren also jetzt fast allein in dem Kastell.

11. Kapitel

In der Nacht darauf träumte ich von Anna. Anna war nackt, sie wollte sich irgendwo hinsetzen. Ich begleitete sie auf eine Ebene. Von fern kamen zwei Männer auf Motorrädern näher. Ich wußte, was sie vorhatten. Es gab keinen Baum, kein Haus, sich zu verstecken. Jetzt waren die Motorradfahrer so nahe, daß ich die Augen der Männer hinter ihren Brillen sehen konnten. Sie hielten die Motorräder an, eines rechts, eines links von Anna und nahmen die Helme ab. Ich war da, aber ich konnte ihr nicht helfen! Sie gingen auf Anna zu, und ich konnte ihr nicht helfen!

Mit heftigem Herzklopfen, wachte ich auf; ich war schweißgebadet,und schalt mich selbst wegen dieses Traumes. Doch die Wirkung des Traumes dauerte an. Die quälende Aufregung, die ich den ganzen vorigen Tag über unterschwellig gespürt hatte, hatte sich wieder meiner bemächtigt.

Um mich ein wenig zu beruhigen und abzukühlen, stand ich auf und ging hinauf auf die Plattform, wo ich langsam hin- und herschlenderte. Der Wind trieb schläfrig Wolken über den Himmel, die den Mond von Zeit zu Zeit hinter ihrem grauen Schleier verschwinden ließen. Langsam wurde ich ruhiger.

Als ich schließlich hinabging, sah ich unten im dämmerigen Flur eine schlanke Gestalt am Fenster stehen. Es war Anna. Um den Kopf hatte sie ein Handtuch geschlungen. Ihre Haare waren noch naß. Sie war bleich und ihr kleines Gesicht sah sehr müde aus. Sie schien gerade aus dem Bad gekommen zu sein, das ihrem Zimmer gegenüber lag.

Anna stand am Fenster und blickte hinaus. Sie hörte mich nicht - oder tat zumindest so, als hörte sie mich nicht und blieb unbeweglich stehen, bis ich zu ihr trat. Auch da drehte sie ihren Kopf nicht, sondern sah völlig unverwandt hinaus. Doch ihr Gesicht änderte dabei ständig seinen Ausdruck, manchmal bewegte sie auch ihre Lippen ein wenig, so, als ob sie sich mit einem anderen Menschen unterhielte.

Da sprach ich sie an:

"Anna!"

Sie zuckte zusammen, wie in einem elektrischen Schock. Es war ein kurzes Beben, das durch ihren ganzen Körper ging. Ihr Erschrecken war so heftig, daß ich Angst bekam, ich hätte ihr durch mein Ansprechen einen Schaden zugefügt.

"Was machst du denn hier - zu dieser Zeit?" sagte ich leise, "Es ist längst nach Mitternacht!" Anna sah mich immer noch nicht an. Schließlich drehte sie den Kopf. Mir war, als ob jetzt draußen vor dem Fenster etwas wie ein Schatten verschwand, - der Schatten einer weiblichen Gestalt!

Von der vorigen Anspannung Annas war nun nichts mehr zu entdecken. Ich sah vor mir eine Vierzehnjährige, deren Angesicht nicht die geringsten Spuren von Erregung mehr aufwies. Sie war nun nichts weiter als ein junges Mädchen, das offenkundig übermüdet war, vielleicht weil es am Abend zuvor zu spät ins Bett gekommen war oder zu lange gelesen hatte. Sie sah mich mit ihren, selbst in diesem schwachen Licht hellen blauen Augen an und lächelte ein kindliches rührendes Lächeln, das mir mit einem Zauberschlag zeigte, wie sinnlos und wie überflüssig meine Angst um sie gewesen war.

Ihre Nähe, das junge Mädchen, das ganz einfach müde war und längst im Bett sein sollte, ließ nur eine gleichsam väterliche Besorgnis zu. Ein Kind war sie, das vielleicht auf der Toilette gewesen war, dann wieder ins Bett gehen wollte und im Flur durch einen Blick aus dem Fenster von irgendetwas festgehalten worden war, das es sich anschauen wollte.

Sie blickte suchend umher, schaute endlich nach oben, zu einer der Zinnen vermutlich. Und da sprach sie es auch schon aus, mit einer rührend kindlich müden Stimme, die nur eine Spur rauher, nur eine Spur tiefer in der Klangfarbe war, als sonst:

"Ich beobachte das Käuzchen!"

Ich trat näher an das Fenster und blickte hinaus. Anna zeigte mit dem Finger zu einer der Zinnen auf dem Turm schräg gegenüber. Ihr Finger zitterte dabei kaum merklich.

"Siehst du es nicht?" fragte sie. Und wirklich sah ich nach einigem Suchen dort eine kleine Eule sitzen, die von Zeit zu Zeit ihren Lockruf austieß.

Anna blickte mich triumphierend an. Sie war ganz offenkundig froh, eine harmlose Erklärung für ihr nächtliches Aufbleiben gefunden zu haben.

"Solltest du nicht besser in's Bett gehen um diese Zeit!", sagte ich und sah hinab zu ihren Füßen, "Und warum hast du keine Pantoffeln an? Es ist kühl jetzt abends!"

"Stimmt, es ist ein bißchen frisch, aber der Stein ist noch warm! Es ist besser so, dann brennen die Füße nicht und es ist nicht so laut, wenn man die Treppen geht!" sagte sie.

"Solltest du jetzt nicht wirklich in's Bett gehen?"

"Bin ich jetzt schlimm?", fragte sie, und ein unschuldiges Lächeln huschte über ihre Züge.

"Ziemlich!", sagte ich.

"Ich kann noch viel schlimmer sein!"

"Wie denn?"

"Richtig böse! - So sagt jedenfalls mein Großpapa!"

"Ist es recht, seine Großeltern zu beschwindeln?"

"Ich beschwindele sie ja nicht! Ich sage nur nichts!"

"Und wenn sie es erfahren, daß du hier nachts herumwandelst?"

"Dann sage ich die Wahrheit und versuche ihnen das Käuzchen zu zeigen! Ich mag Vögel, Großpapa auch." sagte sie.

"Und dann?"

"Wenn meine Großeltern es erfahren, das meinst du doch sicher, werden sie schimpfen! Dann kann ich nicht mehr abends allein aus dem Kastell! Und ich werde einen ganzen Tag lang schlechte Laune haben!"

Damit hatte sie sich verraten. Doch sie verzog keine Miene über diesen Fehlgriff. Sie überlegte offenbar, wie sie sich aus dieser Lage wieder befreien konnte.

"Du gehst abends allein aus dem Kastell?" fragte ich gespielt ruhig, innerlich aber war ich alarmiert.

"Der Schlüssel zum Haupttor," sagte sie ganz offen und entwaffnete mich damit vollständig, "liegt immer in der oberen linken Schublade der Kommode im Flur. Seit ich das weiß, kann ich jederzeit, wann ich will, hinaus und hinein und brauche nicht den Diener oder das Hausmädchen zu fragen."

'Aha,' dachte ich, 'so geht sie also nachts spazieren! - Wenn das die Großeltern wüßten, wären sie wohl nicht sehr begeistert.'

Anna drehte langsam den Kopf zum Fenster, warf noch einen verstohlenen Blick hinaus und sah mich dann wieder an.

"Wir sollten jetzt beide zu Bett gehen!" sagte sie unschuldig und mit einem müden kindlichen Lächeln.

Dann gähnte sie und hielt sich verschämt und erschrocken die Hand vor den Mund.

"Excuse me!" Sie kicherte, offensichtlich stolz darüber, daß ihr die richtige englische Redewendung eingefallen war, mitten in der Nacht. Damit ging sie zu ihrem Zimmer, und bewegte sich dabei so linkisch und müde, so kindlich!

"Gute Nacht!", sagte ich.

"Gute Nacht!", sagte sie, ohne sich umzudrehen, bevor sie in ihr Zimmer trat und es leise verschloß.

Welche Rätsel würde mir dieses halbe Kind noch aufgeben! - Und was war das für ein Schatten, den ich - und offenbar sie auch - gesehen hatte? Hing er mit der Frau zusammen, die ich am ersten Tag oben auf der Plattform gesehen hatte?

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